Annette von Droste-Hülshoff: Geistliches Jahr in Liedern auf alle Sonn- und Festtage
Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Albrecht Dürer, Betende Maria, 1518
ISBN 978-3-8430-8490-1
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-4238-3 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-4240-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Die ersten 25 Gedichte entstanden 1919/1820, die folgenden 47 Gedichte erst 1839/40. Erstdruck des Zyklus: Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1851. Einige Gedichte des Zyklus waren bereits in der Ausgabe der Gedichte von 1838 enthalten.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Nach dem Text der Originaldrucke und der Handschriften. Herausgegeben von Günther Weydt und Winfried Woesler, Band 1–2, München: Winkler, 1973.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Du weißt, liebste Mutter, wie lange die Idee dieses Buchs in meinem Kopfe gelebt hat, bevor ich sie außer mir darzustellen vermochte, der betrübte Grund liegt sehr nahe, in dem Unsinne dem ich mich recht wissentlich hingab, da ich es unternahm, eine der reinsten Seelen die noch unter uns sind, zu allen Stunden in Freud und Leid vor Gott zu führen, da ich doch deutlich fühlte, wie ich nur von sehr wenigen Augenblicken ihres frommen Lebens eine Ahndung haben könne, und wohl eben nur von jenen, wo Sie selbst nachher nicht recht weiß, ob sie zu den guten oder bösen zu zählen, es würde somit fast freventlich gewesen sein, bei so heiligen Dingen mich in vergeblichen Versuchen, ich möchte sagen, herumzutummeln, wenn nicht der Gedanke, daß die liebe Großmutter ja grade in jenen Augenblicken nur allein eines äußeren Hülfsmittels etwa bedürfe, indes in ihren reineren Stunden alles Hinzugetane gewiß überflüssig oder störend, und wo Sie sich dessen etwa aus Demut bedient, auch das gelungenste Lied von mir, Ihr nicht jene alten rührenden Verse ersetzen könne, an denen das Andenken ihrer frommen verstorbenen Eltern und liebsten Verwandten hängt, wenn nicht, sage ich, dieser Gedanke mich zu den mehrmaligen Versuchen verleitet hätte, die so mißlungen sind, als sie gar nicht anders werden konnten.
Kein Schwachkopf, der plötzlich zum König wird, kann bedrängter sein, als ich im Gefühl der Ohnmacht, wenn ich Heiligtümer offenbaren sollte, die ich nur dem Namen nach kannte, und deren Kunde mir Gott dereinst geben wolle.
So habe ich geschrieben, immer im Gefühl der äußersten Schwäche, und oft wie des Unrechts, und erst seitdem ich mich von dem Gedanken, für die Großmutter zu schreiben völlig frei gemacht, habe ich rasch und mit mannigfachen, aber immer erleichternden Gefühlen gearbeitet, und, so Gott will, zum Segen. – Die wenigen zu jener mißlungenen Absicht verfertigten Lieder habe ich ganz verändert, oder wo dieses noch zu wenig war, vernichtet, und mein[567] Werk ist jetzt ein betrübendes aber vollständiges Ganze, nur schwankend in sich selbst, wie mein Gemüt in seinen wechselnden Stimmungen.
So ist dies Buch in deiner Hand! – Für die Großmutter ist und bleibt es völlig unbrauchbar, so wie für alle sehr fromme Menschen, denn ich habe ihm die Spuren eines vielfach gepreßten und geteilten Gemütes mitgeben müssen, und ein kindlich in Einfalt frommes würde es nicht einmal verstehn, auch möchte ich es auf keine Weise vor solche reine Augen bringen, denn es gibt viele Flecken, die eigentlich zerrissene Stellen sind, wo eben die mildesten Hände am härtesten hingreifen, und viele Herzen die keinen Richter haben, als Gott, der sie gemacht hat.
Daß mein Buch nicht für ganz schlechte, im Laster verhärtete Menschen paßt, brauchte ich eigentlich nicht zu sagen, wenn ich auch eins für dergleichen schreiben könnte, so würde ich es doch unterlassen.
Es ist für die geheime, aber gewiß sehr verbreitete Sekte jener, bei denen die Liebe größer wie der Glaube, für jene unglücklichen aber törichten Menschen, die in einer Stunde mehr fragen, als sieben Weise in sieben Jahren beantworten können.
Ach! es ist so leicht eine Torheit zu rügen! aber Besserung ist überall so schwer, und hier kann es mir oft scheinen, als ob ein immer erneuertes Siegen in immer wieder auflebenden Kämpfen das einzig zu Erringende, und ein starres Hinblicken auf Gott, in Hoffnung der Zeit aller Aufschlüsse, das einzig übrige Ratsame sei; d.h. ohne eine besondere wunderbare Gnade Gottes, die auch das heißeste Gebet nicht immer herabruft. – Ich darf hoffen, daß meine Lieder vielleicht manche verborgne kranke Ader treffen werden, denn ich habe keinen Gedanken geschont, auch den geheimsten nicht. – Ob sie Dir gefallen, muß ich dahin gestellt sein lassen, ich habe für keinen einzelnen geschrieben, ich denke es indes, und wünsche es sehnlichst, da sie als das Werk deines Kindes dein natürliches Eigentum sind, sollte ich jedoch hierin meinen Zweck verfehlen, so muß mich das alte Sprichwort rechtfertigen: »Ein Schelm der mehr gibt als er hat.«
Hülshoff, den 9ten Oktober 1820[568]
Das Auge sinkt, die Sinne wollen scheiden:
»Fahr wohl, du altes Jahr, mit Freud' und Leiden!
Der Himmel schenkt ein neues, wenn er will.«
So neigt der Mensch sein Haupt an Gottes Güte,
Die alte fällt, es keimt die neue Blüte
Aus Eis und Schnee, die Pflanze Gottes, still.
Die Nacht entflieht, der Schlaf den Augenlidern:
»Willkommen junger Tag mit deinen Brüdern!
Wo bist du denn, du liebes neues Jahr?«
Da steht es in des Morgenlichtes Prangen,
Es hat die ganze Erde rings umfangen
Und schaut ihm in die Augen ernst und klar.
»Gegrüßt du Menschenherz mit deinen Schwächen,
Du Herz voll Kraft und Reue und Gebrechen,
Ich bringe neue Prüfungszeit vom Herrn!«
»Gegrüßt du neues Jahr mit deinen Freuden,
Das Leben ist so süß, und wären's Leiden,
Ach, alles nimmt man mit dem Leben gern!«
»O Menschenherz, wie ist dein Haus zerfallen!
Wie magst du doch, du Erbe jener Hallen,
Wie magst du wohnen in so wüstem Graus!«
»O neues Jahr, ich bin ja nie daheime!
Ein Wandersmann durchzieh ich ferne Räume,
Es heißt wohl so, es ist doch nicht mein Haus.«
»O Menschenherz, was hast du denn zu treiben,
Daß du nicht kannst in deiner Heimat bleiben
Und halten sie bereit für deinen Herrn?«
»O neues Jahr, du mußt noch viel erfahren;
Kennst du nicht Krieg und Seuchen und Gefahren!
Und meine liebsten Sorgen wohnen fern.«[569]
»O Menschenherz, kannst du denn alles zwingen?
Muß dir der Himmel Tau und Regen bringen,
Und öffnet sich die Erde deinem Wort?«
»Ach nein! ich kann nur sehn und mich betrüben,
Es ist noch leider nach wie vor geblieben
Und geht die angewiesnen Wege fort.«
»O tückisch Herz, du willst es nur nicht sagen,
Die Welt hat ihre Zelte aufgeschlagen,
Drin labt sie dich mit ihrem Taumelwein.«
»Der bittre Becher mag mich nicht erfreuen,
Sein Schaum heißt Sünde und sein Trank Gereuen,
Zudem läßt mich die Sorge nie allein.«
»Hör an, o Herz, ich will es dir verkünden,
Willst du den Pfeil in seinem Fluge binden?
Du siehst sein Ziel nicht, hat er darum keins?«
»Ich weiß es wohl, uns ist ein Tag bereitet,
Da wird es klar, wie alles wohl geleitet,
Und all die tausend Ziele dennoch eins.«
»O Herz, du bist von Torheit ganz befangen!
Dies alles weißt du, und dir kann noch bangen!
O böser Diener, treulos aller Pflicht!
Ein jeglich Ding füllt seinen Platz mit Ehren,
Geht seinen Weg und läßt sich nimmer stören,
Dein Gleichnis gibt es auf der Erde nicht!
Du hast den Frieden freventlich vertrieben!
Doch Gottes Gnad' ist grundlos wie sein Lieben,
O kehre heim in dein verödet Haus!
Kehr heim in deine dunkle wüste Zelle,
Und wasche sie mit deinen Tränen helle,
Und lüfte sie mit deinen Seufzern aus!
Und willst du treu die Blicke aufwärts wenden,
So wird der Herr sein heilig Bild dir senden,[570]
Daß du es hegst, in Glauben und Vertraun,
Dann darf ich einst an deinem Kranze winden,
Und sollte dich das neue Jahr noch finden,
So mög' es in ein Gotteshäuslein schaun!«[571]
Durch die Nacht drei Wandrer ziehn,
Um die Stirnen Purpurbinden,
Tiefgebräunt von heißen Winden
Und der langen Reise Mühn;
Durch der Palmen säuselnd Grün
Folgt der Diener Schar von weiten;
Von der Dromedare Seiten
Goldene Kleinode glühn.
Wie sie klirrend vorwärts schreiten,
Süße Wohlgerüche fliehn.
Finsternis hüllt schwarz und dicht
Was die Gegend mag enthalten;
Riesig drohen die Gestalten:
Wandrer fürchtet ihr euch nicht?
Doch ob tausend Schleier flicht
Los' und leicht die Wolkenaue:
Siegreich durch das zarte Graue
Sich ein funkelnd Sternlein bricht,
Langsam wallt es durch das Blaue,
Und der Zug folgt seinem Licht.
Horch, die Diener flüstern leis:
Will noch nicht die Stadt erscheinen,
Mit den Tempeln und den Hainen,
Sie der schweren Mühe Preis?
Ob die Wüste brannte heiß,
Ob die Nattern uns umschlangen,[571]
Uns die Tiger nachgegangen,
Ob der Glutwind dörrt' den Schweiß:
Augen an den Gaben hangen
Für den König stark und weis'.
Sonder Sorge, sonder Acht,
Wie drei stille Monde ziehen
Um des Sonnensternes Glühen,
Ziehn die Dreie durch die Nacht.
Wenn die Staublawine kracht,
Wenn mit grausig schönen Flecken
Sich der Wüste Blumen strecken:
Schaun sie still auf jene Macht,
Die sie sicher wird bedecken,
Die den Stern hat angefacht.
O ihr hohen heil'gen Drei!
In der Finsternis geboren,
Hat euch kaum ein Strahl erkoren,
Und ihr folgt so fromm und treu!
Und du meine Seele, frei
Schwelgend in der Gnade Wogen,
Mit Gewalt ans Licht gezogen,
Suchst die Finsternis aufs neu!
O wie hast du dich betrogen;
Tränen blieben dir und Reu'!
Dennoch, Seele, fasse Mut!
Magst du nimmer gleich ergründen,
Wie du kannst Vergebung finden:
Gott ist über alles gut!
Hast du in der Reue Flut
Dich gerettet aus der Menge,
Ob sie dir das Mark versenge
Siedend in geheimer Glut:
Läßt dich nimmer dem Gedränge
Der dich warb mit seinem Blut.[572]
Einen Strahl bin ich nicht wert,
Nicht den kleinsten Schein von oben.
Herr, ich will dich freudig loben,
Was dein Wille mir beschert!
Sei es Gram, der mich verzehrt,
Soll mein Liebstes ich verlieren,
Soll ich keine Tröstung spüren,
Sei mir kein Gebet erhört:
Kann es nur zu dir mich führen,
Dann willkommen Flamm' und Schwert![573]
Ev.: Jesus lehrt im Tempel.
Und sieh, ich habe dich gesucht mit Schmerzen,
Mein Herr und Gott, wo werde ich dich finden?
Ach nicht im eignen ausgestorbnen Herzen,
Wo längst dein Ebenbild erlosch in Sünden:
Da tönt aus allen Winkeln, ruf' ich dich,
Mein eignes Echo wie ein Spott um mich.
Wer einmal hat dein göttlich Bild verloren,
Was ihm doch eigen war wie seine Seele,
Mit dem hat sich die ganze Welt verschworen,
Daß sie dein heilig Antlitz ihm verhehle;
Und wo der Fromme dich auf Tabor schaut,
Da hat er sich im Tal sein Haus gebaut.
So muß ich denn zu meinem Graun erfahren
Das Rätsel, das ich nimmer konnte lösen,
Als mir in meinen hellen Unschuldsjahren
Ganz unbegreiflich schien was da vom Bösen,
Daß eine Seele, wo dein Bild geglüht,
Dich gar nicht mehr erkennt, wenn sie dich sieht.[573]
Rings um mich tönt der klare Vogelreigen:
»Horch auf, die Vöglein singen seinem Ruhme!«
Und will ich mich zu einer Blume neigen:
»Sein mildes Auge schaut aus jeder Blume.«
Ich habe dich in der Natur gesucht,
Und weltlich Wissen war die eitle Frucht!
Und muß ich schauen in des Schicksals Gange,
Wie oft ein gutes Herz in diesem Leben
Vergebens zu dir schreit aus seinem Drange,
Bis es verzweifelnd sich der Sünd' ergeben,
Dann scheint mir alle Liebe wie ein Spott,
Und keine Gnade fühl' ich, keinen Gott!
Und schlingen sich so wunderbar die Knoten,
Daß du in Licht erscheinst dem treuen Blicke,
Da hat der Böse seine Hand geboten
Und baut dem Zweifel eine Nebelbrücke,
Und mein Verstand, der nur sich selber traut,
Der meint gewiß sie sei von Gold gebaut!
Ich weiß es, daß du bist, ich muß es fühlen,
Wie eine schwere kalte Hand mich drücken,
Daß einst ein dunkles Ende diesen Spielen,
Daß jede Tat sich ihre Frucht muß pflücken;
Ich fühle der Vergeltung mich geweiht,
Ich fühle dich, doch nicht mit Freudigkeit.
Wo find' ich dich in Hoffnung und in Lieben!
Denn jene ernste Macht, die ich erkoren,
Das ist der Schatten nur, der mir geblieben
Von deinem Bilde, da ich es verloren.
O Gott, du bist so mild und bist so licht!
Ich suche dich in Schmerzen, birg dich nicht![574]
Was ist süß wie Honigseim,
Wenn er sich der Wab' entgießt?
Süßer ist des Lebens Keim,
Der durch unsre Adern fließt;
Doch dein Name, lieber Jesu mein,
Der ist über alles mild und süß!
Daß der Tod vergißt die herbe Pein,
Wo ein frommer Mund ihn tönen ließ.
Was ist gleich des Löwen Kraft,
Wenn er durch die Wälder kreist?
Stärker ist die Leidenschaft,
Ist der widerspenst'ge Geist;
Doch dein Name, lieber Jesu mein,
Der ist über alles voll der Macht!
Daß er zwängt zu milden Lichtes Schein
Was die Welt bedräut in Flammenpracht.
Was ist reich wie Meeresfahrt,
Gleich des Schachtes goldner Hut?
Reicher ist wer sich bewahrt
Seiner Ehre köstlich Gut;
Doch dein Name, lieber Jesu mein,
Der ist mehr und reicher als das all!
Ach, um ihn erträgt man ganz allein
Schmach, Verkennung, aller Ehre Fall.
Was ist schön wie Morgenlicht,
Gleich dem Sternendom der Nacht?
Ach! ein lieblich Angesicht,
Und im Aug' des Geistes Pracht;
Doch dein Name, lieber Jesu mein,
Der ist über alles mild und schön!
Wer ihn trägt im stillen Antlitz sein,
Der ist hold, was auch Natur versehn.[575]
Was ist freudig wie zu ziehn
In die reiche Welt hinaus?
Ach! viel freud'ger was wir fliehn,
Das verkannte Elternhaus;
Doch dein Name, lieber Jesu mein,
Der ist über alles voll der Lust!
O, wer gäb' nicht um die Freuden sein
Heimat, Freiheit, was ihm nur bewußt!
Ja, dein Name, Jesus Christ,
Der ist stark und reich und mild!
Wer den Namen nie vergißt,
Der kennt aller Leiden Schild.
Und ich soll, o liebster Jesu mein,
Die Gesunkne, treulos aller Pflicht,
Dennoch deines Namens Erbin sein:
Gott! du willst den Tod des Sünders nicht![576]
Ev.: Vom Aussätzigen und Hauptmann.
»Geh hin und dir gescheh' wie du geglaubt!«
Ja, wer da glaubt, dem wird sein Heil geschehen;
Was aber ihm, dem in verborgnen Wehen
Das Leben hat sein Heiliges geraubt?
Herr, sprich ein Wort, so wird dein Knecht gesund!
Herr, sprich das Wort, ich kann ja nichts als wollen;
Die Liebe kann das Herz dir freudig zollen,
Der Glaube wird ja nur als Gnade kund!
Wie kömmt es, da ich dich am Abend rief,
Da ich am Morgen ausging dich zu finden,
Daß du in Lauheit und des Zweifels Sünden
Mich sinken ließest, tiefer stets und rief.[576]
Ist nicht mein Ruf in meiner höchsten Not
Zu dir empor geschollen aus der Tiefe?
Und war es nicht, als ob ich Felsen riefe,
Indes mein Auge stets von Tränen rot?
Verzeih, o Herr, was die Bedrängnis spricht,
Ich habe dich doch oft und süß empfunden,
Ich war ja eins mit dir zu ganzen Stunden,
Und in der Not gedacht' ich dessen nicht!
Und ist mir nun, als sei ich ganz allein
Von deinem weiten Gnadenmahl verloren,
Der ausgesperrte Bettler vor den Toren:
O Gott! die Schuld ist doch gewißlich mein!
Fühlt' ich in Demut, wie ich nimmer wert,
Daß ich dein Wort in meinem Geist empfangen,
Daß meine Seufzer an dein Ohr gelangen,
Daß meine Seele dich erkennt und ehrt?
Mein Herr, gedenke meiner Sünden nicht,
Wie oft hab' ich auf selbstgewähltem Pfade
Geschrien im Dunkel, Gott, um deine Gnade,
Wie um ein Recht, und wie um eine Pflicht!
O hätt' ich ihre Gaben nicht versäumt!
Hätt' ich sie nicht zertreten, und verachtet!
Ich stände nicht so grauenvoll umnachtet,
Daß das entflohne Licht mir wie geträumt!
Wie oft ist nicht, noch eh die Tat geschah,
Die als Gedanke lüstern mich umflogen,
In milder Warnung still vorbeigezogen
Dein Name mir, dein Bild auf Golgatha!
Und wenn ich nun mich frevelnd abgewandt,
Die Sünde die ich klar erkannt begangen,[577]
Wie hast du dann in reuigem Verlangen
Nicht oft in meiner Seele nachgebrannt!
Ach, viel und schwere Sünden übt' ich schon,
Noch mehr der Fehle, klein in ihren Namen,
Doch groß in der Verderbnis tiefstem Samen,
Taub für des jammernden Gewissens Ton.
Nun ist mir endlich alles Licht dahin!
Und öfters deine Stimme ganz verschollen,
Doch wirf mich, o du siehst ich kann noch wollen,
Nicht zu den Toten weil ich lebend bin!
Mein Jesu, sieh, ich bin zu Tode wund,
Und kann in der Zerrüttung nicht gesunden,
Mein Jesu, denk an deine bittern Wunden,
Und sprich ein Wort, so wird dein Knecht gesund![578]
Ev.: Von den Arbeitern im Weinberge.
Ich kann nicht sagen:
»Keiner hat mich gedingt.«
Wem soll ich klagen,
Wenn es mich niederzwingt
In meine schmählich selbstgeflochtnen Bande?
Vor Millionen hast du mich erwählt,
Mir unermeßnes Handgeld zugezählt
In deiner Taufe heil'gem Unterpfande.
Ich kann nicht sagen:
»Siehe, des Tages Last
Hab ich getragen!«
Wenn nun zu Duft erblaßt,
Mich meine matte Sonne will verlassen,
Mein Garten liegt ein übergrüntes Moor,[578]
Und blendend steigt das Irrlicht draus empor,
Den Wandrer leitend in den Tod, den nassen!
Ich kann nicht sagen,
»Siehe, wer stand mir bei?
Ich mußte zagen,
Um mich die Wüstenei,
Und das Getier, so nimmer dich erkennet.«