cover

Buch

»Ich möchte keineswegs behaupten, dass man bei OBI ein wenig arbeitsscheuer ist als bei anderen Baumärkten. Als ich aber einen Karton Hohlraumdübel aus dem Regal nehme und dahinter einen Mitarbeiter entdecke, habe ich doch ein wenig Mühe, besonders überrascht zu tun.«

Mit Feingefühl und treffsicherer Analyse entwickelt der bekennende Stadtneurotiker Paul Bokowski aus den harmlosesten Situationen hinreißend humorvolle Geschichten. Seien es die Abenteuer einer wandernden Waschmaschine, die Hilflosigkeit eines Großstädters beim Anblick eines Kükens in der eigenen Küche, der stille Kampf um Beinfreiheit in überfüllten Zügen oder der nachbarschaftliche Wettstreit um die spektakulärste Balkonbegrünung. Paul Bokowski findet das Absurde im Zwischenmenschlichen und entlockt beiläufigen Begebenheiten das größtmögliche Maß an Komik. Neben der schleichenden Befürchtung, dass das alles wirklich so passiert ist, bleibt die augenzwinkernde Erkenntnis: Alleine ist man weniger zusammen …

Autor

Paul Bokowski, geboren 1982, gehört zur Speerspitze der Berliner Lesebühnenszene. Der Autor, Vorleser und Geschichtenerzähler lebt seit über zehn Jahren in einem der unbeirrbarsten Problembezirke der bundesdeutschen Hauptstadt. Er ist jüngstes Mitglied der Lesebühne »Brauseboys«, Gründungsmitglied der Literaturveranstaltung »Fuchs & Söhne« sowie festes Redaktionsmitglied der Satirezeitschrift »Salbader«. 2012 erschien sein Überraschungserfolg »Hauptsache nichts mit Menschen«. Der »Woody Allen des Weddings« entstammt einer deutsch-polnischen Familie und ist in seinem zweiten Leben leidenschaftlicher Backblogger.

Mehr zum Autor und seinen Büchern unter www.paulbokowski.de

Von Paul Bokowski außerdem lieferbar

Hauptsache nichts mit Menschen

Paul Bokowski

Alleine ist man
weniger zusammen

MANHATTAN

Manhattan Bücher erscheinen im
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH

1. Auflage

Erstveröffentlichung Mai 2015

Copyright © der Originalausgabe

2015 by Paul Bokowski

Copyright © dieser Ausgabe 2013

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher
Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München

Umschlaggestaltung und Konzeption:

Buxdesign | München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-15674-9

www.manhattan-verlag.de

Inhalt

Anruf bei der Polizei

Lausche, was wandert

Hinterhof, mon amour: Frühlingsgefühle

Von einem, der einzog, das Fürchten zu lernen

Kuck mal, was da schwimmt

Hinterhof, mon amour: Gute Tage

Der Schwabe

Das Mitbringsel

Hinterhof, mon amour: Leicht bekleidet

Glaube, Liebe, Hoffnung

Dicker als Wasser

Hinterhof, mon amour: Fernweh

Mutter Blamage und ihre Kinder, Teil 1

Die Nachmieter

Hinterhof, mon amour: NSA

Die neue Waschmaschine

Das Aquarium

Hinterhof, mon amour: Ruhestörung

Wenn der Nachbar ein Mal klingelt

Urban Balconing

Hinterhof, mon amour: Ostern

Mutter Blamage und ihre Kinder, Teil 2

Reden ist Silber

Hinterhof, mon amour: Der Mann fürs Leben

In drei Zügen schachmatt

Send in the Klaus

Hinterhof, mon amour: Vorsorge

Polohemd – der Tragödie zweiter Teil

Besuch vom RBB

Hinterhof, mon amour: Parship

Der Letzte macht das Licht aus

Episch geht die Welt zugrunde

Dank

Anruf bei der Polizei

Notruf der Berliner Polizei, Abschnitt 35, Schimanski.

Sie heißen Schimanski!?

Ja, mein Name ist Schimanski. Rüdiger Schimanski. Was kann ich für Sie tun?

Ich hätte gern eine Nummer für kleinere Notfälle.

Kleinere Notfälle?

Ja.

Was sind denn kleinere Notfälle?

Na ja. Keine richtigen Notfälle.

Sie hätten also gern eine Nummer für nicht richtige Notfälle.

Genau. Also nichts Lebensbedrohliches oder so.

(Schweigen.)

Hallo?

Ja. Ich bin noch dran.

Ich könnte auch später noch mal anrufen.

Das ist sehr nett von Ihnen, bringt mir persönlich aber wenig.

Wieso?

Ich sitz hier noch bis Mitternacht.

Nee. So lang wollte ich eigentlich nicht wach bleiben.

Eben. Was für ein Notfall ist das denn?

Da ist ein Tier in meiner Küche.

Was denn für ein Tier?

Ich glaube, ein Vogel.

Können Sie den Vogel beschreiben?

Eher klein, von rundlicher Statur, gelbes Haar.

Haar?

Fell.

Fell?

Gefieder.

Eher klein, von rundlicher Statur, gelbes Gefieder?

Richtig.

Klein, dick und gelb?

Nicht dick. Rundlich.

Rundlich?

Ja. Rundlich, aber nicht dick. Eher flauschig.

Klein, flauschig und gelb?

Ja.

Sie meinen ein Küken.

Vielleicht.

Sie wissen schon, dass das der Notruf der Berliner Polizei ist?

Deswegen frag ich ja!

Wonach?

Nach einer Nummer.

Wofür?

Kleinere Notfälle.

Sie rufen also an, weil ein Küken in Ihrer Küche sitzt?

Das kommt drauf an, was genau ein Küken ist.

Sie werden doch wissen, was ein Küken ist.

Ich weiß, dass Küken kleine Hühner sind. Aber ich weiß nicht, ob das in meiner Küche auch ein Huhn ist, verstehn Se? Vielleicht ist es ja ’ne Gans oder ’ne Ente oder ein Adler. Sind denn kleine Gänse auch Küken?

In welchem Stock wohnen Sie denn?

Im dritten.

Wie soll denn ein Küken zu Ihnen in den dritten Stock gekommen sein?

Wir haben einen Aufzug im Haus.

Ist das Ihre einzige Theorie?

Vielleicht ist es auch geflogen?

Küken können nicht fliegen.

Vielleicht ist es ein hochbegabtes Küken?

Seit wann haben Sie das Küken denn in Ihrer Küche?

Seit drei Stunden.

Was haben Sie denn gemacht so lange?

Na, das Übliche.

Das Übliche?

Gegoogelt.

Da hockt ein Küken in Ihrer Küche im dritten Stock und das Erste, was Sie machen, ist zu googeln?

Eigentlich hab ich erst ein Bild gemacht. Für Facebook.

Und? Hat’s schon jemand geliked?

Ja. 86 Leute.

Sehn Se. Ist doch halb so schlimm, so ein Küken in der Küche.

Aber was soll ich denn jetzt machen?

Isses ein männliches oder ein weibliches Küken.

Keine Ahnung.

Na schaun Se doch mal nach!

Ich fass doch kein fremdes Küken an!

Was soll denn passieren?

Vielleicht beißt es mich.

Küken könn’ nicht beißen.

Aber picken. Und ich habe lange dünne Finger. Fast wurmartig, könnte man sagen.

Sie gehn jetzt gefälligst in die Küche und gucken nach, ob es ein männliches oder weibliches Küken ist.

Nein.

Doch.

Wieso überhaupt?

Wenn das ein männliches Küken ist, dann schick ich garantiert keine Streife los. Bei einem weiblichen Küken würd ich mit mir reden lassen.

Was hat das denn mit dem Geschlecht zu tun?

Wissen Sie nicht, was man macht mit männlichen Küken?

Wie? Was man macht?

Na, was so passiert mit männlichen Küken.

Nee.

Die werden zermust.

Zermust?

Ja. Aus weiblichen Küken macht man Legehennen und Masthennen. Aus männlichen Küken macht man Mus. Für Tierfutter.

Und was mach ich, wenn das ein männliches Küken ist?

Sind Sie bei der PETA?

Nee.

Bei Greenpeace?

Nö.

Deutscher Tierschutzbund?

Nein.

Partei für Mensch, Umwelt und Tierschutz?

Auch nicht.

Wird dieses Gespräch aufgezeichnet?

Nicht von mir.

Dann würd ich an Ihrer Stelle eine große Pfanne nehmen und kurzen Prozess machen.

Ich werd doch kein kleines Küken töten!

Essen Sie Hühnerfleisch?

Ja.

Dann töten Sie Küken. Vierzig Millionen. Jedes Jahr.

Ich töte doch keine Küken.

Sie nehmen das Töten von Küken wissentlich in Kauf.

Wissentlich bisher ja nicht.

Sehn Se!

Mit ’ner Pfanne! Geht’s noch!

Aber Musmaschine ist okay oder was?

Bei so einem automatisierten Prozess finde ich das irgendwie weniger grausam.

Weniger?

Ja. Weniger.

Ham Se einen Mixer zu Hause.

Ja.

Na bitte. Ist doch auch automatisiert.

Das ist auch grausam. Da muss ich das Küken ja erst reintun, Deckel drauf und dann selber auf den Knopf drücken.

Ach, und wenn jemand anders draufdrückt, is’ aber okay?

Ja.

Oder wenn das Ding von allein anspringt?

Noch besser.

Ham Se eine Zeitschaltuhr zu Hause?

Geht’s noch?

Oder Sie gehn zu Lidl.

Was soll ich denn bei Lidl?

Sie nehm’ das Küken. Setzen es in den Leergutautomaten. Zack. Mus!

Sind Sie verrückt? Am Ende geht der Automat kaputt und ich darf blechen.

Was soll denn da kaputtgehen? Außer dem Küken.

Kann das nicht jemand anders machen?

Wer denn?

Na, die Polizei.

Die Polizei kann doch kein kleines Küken töten. Was glauben Sie, was da los ist, wenn das rauskommt?

Wir könn’ doch so tun, als hätte Sie das Küken angegriffen. Warnschuss eins. Warnschuss zwei. Querschläger. Küken tot.

Ich hab jetzt keine Lust mehr.

Könn’ Sie nicht vorbeikommen?

Nee.

Von mir aus auch nach dem Dienst? Sie nehm’ das Küken einfach mit und regeln das für mich. Bitte.

Nein.

Bittebitte.

Nein.

Bittebittebitte.

Hörn Se, ich leg jetzt auf.

Das dürfen Sie doch gar nicht.

Was?

Na, auflegen.

Warum sollte ich das nicht dürfen.

Na juristisch. Sie als Polizist vom Notruf.

Das stimmt. Normalerweise.

Was heißt denn normalerweise.

Na, eigentlich darf ich das nicht. Außer bei kleineren Notfällen.

(Ende der Szene)

Lausche, was wandert

Man darf’s ja so laut gar nicht sagen, aber wo wir doch gerade unter uns sind: Ich gehöre schon ganz klar zu den Leuten, die ein bisschen klüger sind als alle anderen. Da muss man schon ganz ehrlich mit sich sein. Will zwar keiner hören, ist aber so: Ich weiß eigentlich alles ein bisschen besser als der Rest. Da kommt’s auch gar nicht darauf an, wovon genau die Rede ist: frühmittelalterliche Dichtung, Nuklearmedizin, Byzantinistik oder Geschlechtskrankheiten subtropischer Tierarten. Ich, im Kopf immer verschränkte Arme, rechte Augenbraue ganz weit oben und ein bisschen Überlegenheit im Gesicht.

Je weniger ich von irgendwas verstehe, umso mehr weiß ich Bescheid. Auch immer noch ein bisschen mehr als alle anderen. Da könnte man jetzt sagen: »Geht doch gar nicht! So rein logisch.« Aber glauben Sie mir mal. Ich weiß schon, wovon ich rede.

Sie müssen wissen: Die Leute sehen das ja auch, dass man weiß. Und dass man weiß, dass sie wissen. Wenn ich dem Dirk vom Hornbach sage, dass die neue Waschmaschine immer wandert, wegen der Dielen, dann weiß ich doch sofort, dass er denkt: »Das weiß ich aber besser. Nicht wegen der Dielen, sondern weil die Beinchen falsch justiert sind.« Und wenn der Dirk vom Hornbach mir dann eine Unterlegmatte für die Waschmaschine verkaufen will, dann weiß ich: »Hilft mir zwar bei Beinchen, aber nicht bei Dielen.« Das weiß ich eben besser als der Dirk. So eine Unterlegmatte macht doch alles nur noch schlimmer. Aber weil ich weiß, dass Dirk weiß, dass ich weiß, kaufe ich trotzdem eine, damit er nicht denkt, ich wüsste … na, Sie wissen schon.

Is’ ja auch gut, so was mal im Haus zu haben. Damit falls einer sagt: »Kauf dir mal ’ne Unterlegmatte!«, ich gleich sagen kann: »Hab ich schon. Wusste ich gleich, dass das nichts bringt.«

Soweit ich weiß, geht das mit der Waschmaschine schon ein Weilchen so. Anfangs nur ein kleines bisschen. Da ist die Waschmaschine morgens nicht mehr neben dem Kühlschrank gestanden, sondern hinten rechts bei der Spülmaschine. Hatte ganz plötzlich angefangen. Wobei: So ganz genau wissen kann ich das ja nicht. Könnte gut sein, dass die Waschmaschine schon länger gewandert ist. Nur eben sehr unauffällig. Immer raus aus ihrer Nische, einmal rund um den Küchentisch und wieder zurück in ihre Nische. Ich hab da ja kein Auge für. Mir fällt so was immer nur rückblickend auf. Mir ist sogar so, als sei die Waschmaschine eines Morgens im Wohnzimmer am Fenster gestanden. Glaube ich. Nicht so lange. Zwei, drei Tage vielleicht. Und dann wieder zurück. Aber Achtung: Ich, anfangs ja noch voll der Besserwisser. Da hab ich gedacht: Kann doch gar nicht sein.