G.F. Barner
– Jubiläumsbox 7–

E-Book: 35 - 40

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-201-5

Weitere Titel im Angebot:

Todesurteil für Lee Dunn

Roman von G. F. Barner

Er ist groß, schwarzhaarig, schlank in den Hüften und hat ein Paar kühle graue Augen.

Und er weiß, daß er sterben muß.

Er hat jemanden umgebracht.

Nicht erschlagen, nicht erstochen, nicht im betrunkenen Zustand getötet, sondern kaltblütig und gemein aus sieben Yards Entfernung von hinten in den Rücken geschossen.

Und der Mann, der starb, als sie ihn fanden, konnte noch reden.

»Lee – Lee…«

Und danach schwieg er.

Er hatte den Namen seines Mörders genannt.

Lee Dunn!

Lee Dunn, ehemaliger Revolvermann, Zureiter, Maultiertreiber, Cowboy – und wild.

Lee Dunn zieht die Schultern zusammen.

Er friert.

Nicht allein darum, weil er weiß, daß er sterben muß. Verurteilt von der Jury in Challis zum Tode durch den Strang.

Verurteilt von Männern, die in einem Toten einen ehrenwerten Menschen gesehen haben. Und in Lee Dunn jenen Burschen, der zehn Jahre seines Lebens wild war, der mit Leuten ritt, die heute steckbrieflich gesucht werden. Lee Dunn, der Mann, der schneller schießen als ein anderer Mann bis zwei zählen kann. Lee Dunn, der Mörder.

Die Kutsche rumpelt durch ein Schlagloch auf dem Weg von Challis nach Pocatello. In Pocatello, so will es das Gesetz, werden sie ihn aufhängen. Er wird sich eine Mahlzeit vor seinem Ende wünschen können, eine gute Mahlzeit. Und danach den Gang zum Balken antreten und auf die Falltür gestellt werden. Und jemand wird ihn fragen, ob er noch etwas zu sagen habe.

Und dann wird Lee Dunn reden. Er wird ganze drei Worte sprechen, dieselben Worte, die er seit Wochen gesprochen hat, seit jener eiskalten Februarnacht, in der sie ihn fanden, den Mann, der von ihm erschossen worden ist: Ich bin unschuldig!

Er wird es sagen und sie alle lächeln sehen. Lächeln wie den Sheriff von Challis, lächeln wie die Männer der Jury, denen nur einmal das Lächeln verging, als er die Nerven verlor und nicht mehr schrie, daß er unschuldig sei. Denn damals schrie er: »Wenn ich jemals rauskomme, dann bringe ich euch um, ihr Schurken! Ich bin unschuldig, ich habe ihn nicht umgebracht. Sollte ich herauskommen, bevor ihr mich hängen könnt, dann bringe ich euch um!«

Die Kutsche neigt sich, an das linke Fenster peitscht der Wind und treibt den Schnee heran, der langsam, sich in ganzen, schwammigen Stellen lösend, von der Scheibe nach unten rutscht, um irgendwo unterhalb der Kutschenwand auf den Weg zu klatschen.

Aprilwetter, kalt, regnerisch. Und hier, auf der Höhe, ist der Regen zum Schneematsch geworden.

Es regnet schon drei Tage, und seit zwei Wochen friert Lee Dunn, denn vor zwei Wochen hat man das Urteil gefällt. Seit zwei Wochen weiß er, daß sie ihn hängen werden.

Mein Gott, denkt Lee und prallt, als die Kutsche sich nach rechts neigt, gegen seinen rechten Nebenmann, einen Iren, kein Mensch glaubt mir, außer einem Mädchen. Ich habe keine Freunde mehr, ich habe niemanden mehr.

»He, paß auf, Dunn, Trottel!«

Der Ire stößt ihn mit dem Ellbogen zurück, so daß Dunn wieder in die Mitte fliegt und an seinen linken Nebenmann stößt.

»Verdammte Schaukelei«, sagt der Mann aus Malad City keuchend. »Deputy, he, Deputy, was ist denn das für eine Affenschaukel?«

Er spricht wie ein Herumlungerer, wie jemand, der im Dreck aufgewachsen und in ihm groß geworden ist. Genau das ist er auch. Er heißt David Johnson, der Mann aus Malad City. Dieser Mensch spricht nicht, er nuschelt. Drei Jahre Jail wegen Diebstahls, anderthalb Jahre wegen räuberischer Erpressung, zwei Jahre und zwei Monate wegen Raubes und versuchten Totschlages. Und so weiter… Ein ganzes Register, eine Tat gemeiner als die andere.

Und nun sitzt der Mann aus Boston, der sich David Johnson nennt, neben Lee Dunn in der Transportkutsche.

»Halt die Klappe, Dieb!«

»Soll das ein Witz sein?« fragt Johnson giftig. »Dreckskerl von Deputy, du stiehlst selber dem lieben Gott die Zeit, wie? Sitzt da in der Ecke und raucht. He, du, gib mir wenigstens ’nen Rest von deinem Stengel ab.«

»Du sollst dein Maul halten, Johnson!«

»Sieh an, der Sheriff muß also auch seinen Senf dazu tun«, sagt Johnson ungerührt. »Der hohe Herr sollte sich lieber darum kümmern, daß ich einen Glimmstengel unter die Nase bekomme. Oder haben Sie kein Mitleid mit einem armen Mann?«

»Johnson, wenn du weiter so redest, dann binde ich einen Strick an denWagen«, erwidert Sheriff Atman aus Challis scharf. »Und am anderen Ende des Strickes wirst du hängen, um laufen zu lernen. Es ist kalt draußen, mein Freund. Vielleicht kühlt das dein sonniges Gemüt ab.«

»Wie kann man nur so brutal sein«, antwortet Johnson hämisch. »Sey, hast du das gehört? Und so behandeln die einen Mann, der nie etwas verbrochen hat, stimmt’s, Sey?«

Dabei sieht er Seymour an, seinen linken Nebenmann. Vier Mann auf einer Bank. Gegenüber zwei, die einen Stern tragen und sie hinbringen sollen, auch nach Pocatello. Auf dem Bock noch ein Fahrer, der für das Gesetz fährt und immer die Spezialkutsche lenkt, die extra für den Gefangenentransport umgebaut worden ist.

Seymour nickt in der Dunkelheit und sagt gähnend, dabei ist er weder müde noch schläft er seit Stunden auch nur eine Minute: »Du hast nichts getan, Dave, ist wahr. Wir haben alle nichts getan. Der Kerl muß uns verwechselt haben.«

»Verdammtes Packzeug!« schimpft der Deputy los. »Euch werden sie endlich zehn Jahre in den Käfig stecken, euch Gesindel. Haben nichts getan, hast du gehört, Sheriff?«

»Nur einen Store ausgeraubt, den Storebesitzer niedergeschlagen, seine Frau gefesselt und die Kasse genommen«, erwidert der Sheriff kühl. »Johnson, sie werden euch dem Mann und der Frau gegenüberstellen, weißt du das?«

»Dann«, sagt Johnson mit der Frechheit eines Mannes, der die Hälfte seines Lebens gesiebte Luft geatmet hat, »lügen diese Leute eben, sie lügen, sag’ ich.«

In der Kutsche brennt eine Laterne, aber sie schwankt so heftig und flackert ab und zu im Windzug, der in die Kutsche kommt, daß die Gesichter der Insassen manchmal im Schatten liegen.

Der Deputy erwidert grimmig: »Diesmal bekommst du sechs Jahre, wette ich, Johnson. Und die beiden anderen mindestens drei. Bewaffneter Raubüberfall, das kostet dich wieder ein Stück deines Lebens.«

Johnson schweigt, die Laterne schwankt und wirft ihren Schein über die Beine des Sheriffs und seine Oberschenkel. Johnson schielt auf das Revolverhalfter des Sheriffs, in dem der Revolver steckt.

Dann stößt Johnson Seymour an. Der wendet erst nach einer Minute wie zufällig den Kopf und blickt auf die Scheibe rechts. Dort rutscht der Schneematsch herab.

»Zu fest?« fragt Johnson, kaum die Lippen bewegend und seine Worte so leise aussprechend, daß bei dem Geheul und dem Krachen der Wagenachsen, als die Räder in ein Loch der Straße donnern, seine Stimme nicht zu hören ist, nicht von Sheriff Atman und auch nicht von dem Deputy aus Pocatello. »Nichts zu machen, ha?«

»Absolut nichts«, erwidert Seymour, den Kopf erneut senkend. »Wenn dieser Kerl uns nicht hilft, dann ist es aus.«

»Redest du, Seymour?« fragt da Atman mißtrauisch.

»Ich?« erwidert Seymour erstaunt und sieht ihn aus unschuldigen Kinderaugen, die zu seinem pausbäckigen und harmlosen Gesicht passen, groß an. »Was soll ich denn zu reden haben? Ich habe nicht geredet.«

»Na, wenn du nicht lügst, dann will ich nicht mehr Sheriff sein!«

»Wär’ auch kein großes Unglück«, sagt Johnson giftig und blickt zu dem Iren. »Du, O’Fields, die Tür ist offen. Lauter Wasser, wer hat gesagt, daß wir hier baden sollen, ha?«

»Kann nichts dafür«, brummt der Ire, ein großer, stämmiger Mann, bissig. »Es zieht verdammt in mein Genick, ich werde ’nen steifen Hals haben, ehe wir ankommen.«

»Kannst auch einen steifen Hals gebrauchen«, erwidert der Deputy grimmig. »Für das, was du getan hast, brauchst du einen, verlaß dich darauf, O’Fields. Da sitzt du gut, auch wenn es zieht!«

»Dir möcht’ ich gern mal allein begegnen«, sagt O’Fields giftig. »Du hast eine Art, mit einem Menschen zu reden, daß man sich schlecht fühlt. Rede anders mit anständigen Menschen, Deputy!«

»Anständige Menschen?« echot der Deputy spöttisch. »O’Fields, wenn du ein anständiger Mensch bist, dann bin ich sonstwer. Ich mache diese Arbeit nun seit drei Jahren, aber solche Strolche wie euch vier habe ich kaum jemals gefahren. He, Dunn, warum sagst du nichts? Zieht es dir nicht?«

»Nein.«

»Seht ihr, dem zieht es nicht«, sagt der Deputy grinsend. »Ihr anderen müßt dauernd meckern, aber Dunn sagt gar nichts. Dunn, du bist ein ruhiger Gefangener, was?«

»Deputy, hör auf«, murmelt der Sheriff, als Dunn den Kopf hebt und den Deputy seltsam starr anblickt. »Rege Dunn nicht auf, er ist gefährlicher als diese drei zusammen!«

»Dafür ist er ja auch ein Mörder«, antwortet der Deputy kalt. »Ich bin schon mit anderen Burschen fertiggeworden.«

»Schon gut«, winkt der Sheriff ab. »Dunn, du bist mir zu ruhig, mein Freund. Solltest du versuchen auszubrechen, wir müssen schießen, ist dir das klar?«

»Man kommt hier ja nicht los«, antwortet Lee Dunn knapp. »Ich kenne diese Kutschen, Atman.«

»Ach ja, du bist ja mal als MarshalGehilfe geritten«, antwortet der Sheriff kurz. »Nun, Beine und Arme sind fest, Dunn, man kann sich wirklich nicht befreien, wie? Dabei bin ich sicher, du würdest es versuchen, wenn du nur könntest.«

Dunn schweigt und sieht auf das Fenster. Draußen wüten Sturm und Regen. Der Kasten der Kutsche wird vom Sturm gerüttelt, irgendwo in der Nacht kracht es.

»Ein Baum«, sagt Atman knapp. »Das ist ein Wetter heute. Ich überlege schon, ob wir nicht besser in der Warm-Springs-Ranch bleiben sollen. Einen Topf Kaffee könnten wir brauchen, wie?«

»Lausig kalt«, gibt Deputy Coles zurück und massiert seine steifen Finger. »Länger konnten wir nicht warten. Das Wetter soll morgen nachlassen, haben sie uns erzählt, aber ob es stimmt? Atman, ich bin diese Strecke schon viermal gefahren, aber so was wie heute habe ich noch nicht mitgemacht. Wenn man hier drin wenigstens einen Ofen hätte.«

»Der friert«, sagt Johnson mürrisch, »dabei kann er sich bewegen, der Deputy. Bloß wir nicht. Ist dem ja egal, ob wir uns hier erkälten. Ofen in der Kutsche, habt ihr das gehört?«

»Dir stopf’ ich noch dein Maul«, sagt Coles fauchend. »Dich möchte ich im Jail haben, drei Monate, Johnson, dann würdest du lesen und schreiben können und so ruhig sein wie niemand sonst auf der Welt. Ich wette, ich brächte dir Benehmen bei, du Strolch. Wenn man dich nicht zwingt, dich zu waschen, dann machst du ein paar Verbeugungen, damit der Dreck abplatzt, um sauber zu werden. Mann, dich möchte ich mal drei Monate haben!«

Johnson sagt lauthals und schrill keifend.

»Sheriff, ich verlange, daß der sich zusammennimmt, der Bursche. Beschweren werde ich mich. Ich habe nichts getan, gar nichts!«

»Mensch, wenn du den Mund aufmachst, dann lügst du schon«, knurrt Atman grimmig.

»Wir müßten doch bald an der Ranch sein?«

Er hat einen Griff neben sich. Der Griff ist an einem Seil befestigt, das durch eine Öse in der Stirnwand der Kutsche bis zum Bock läuft. Dort ist eine Art Klopfer.

Gleich darauf steht die Kutsche. Atman erhebt sich, stößt die Tür an der dem Wind abgewandten Seite auf und sieht nach oben zum Fahrer.

»Hallo, Harris, halte an der WarmSprings-Ranch, wir können alle einen Kaffee brauchen.«

»Es ist nicht mehr weit, Sheriff. Mein Gott, was für ein Wetter. Ist gut, ich halte.«

*

»Verdammt!« knurrt John Fargus und reißt sein Pferd mit einem Ruck herum. Vor ihm bröckelt der Boden weg, vor ihm bricht die Wand aus. Grassoden, Büsche und einige Steine neigen sich, brechen ab und verschwinden unter Gepolter in der Tiefe.

Fargus, dicht am Rand des Steilhanges haltend, flucht laut, als er sein Pferd nur mit knapper Mühe und Not von der Kante wegbringen und es vor dem Absturz bewahren kann.

Vor seinen Augen verschwindet ein ganzes Stück der Kante unter Gepolter und dumpfem Dröhnen in der Tiefe. Die Wand bricht aus. Und Fargus, kreidebleich in diesem Augenblick, starrt entsetzt in die Tiefe, auf die Bäume rechts und jenes Geröll unten, das regennaß glänzt.

Von der Wand rinnt Wasser in kleinen, rieselnden Bächen nach unten, vereinigt sich unten zu einem kleinen See und bedeckt die Sohle des Tales, jener Schlucht, durch die der Weg nach Dickey führt.

In Dickey, das weiß Fargus nur zu gut, wird man die Gefangenen ausladen und in den Ketten zum Schlafen in den Schankraum der Station bringen. Dann sind drei Männer ständig bei Johnson und den anderen. Vor Dickey aber, genau an dieser Stelle, an der die Straße unterhalb des Summit durchführt, der vom Willow Creek umrundet wird, ist der Engpaß. Die linke Wand des Engpasses muß bereits zur Hälfte in das Tal und auf die Straße gestürzt sein.

»Alle Teufel«, sagt Fargus, der von oben kaum genau sehen kann, was unten alles liegt, »dort links ist die Wand steiler. Wenn man nur ein wenig nachhilft, was?«

Der Gedanke läßt ihn handeln. Aber nun ist er vorsichtig genug, sein Pferd, nachdem er es gut zehn Schritt weiter gebracht hat, anzubinden und zu Fuß zur Kante zu gehen.

Um ihn heult der Wind. Schneematsch klatscht ihm ins Gesicht. Er hat den breiten Kragen der Lammfelljacke hochgeklappt, starrt auf die beiden Bäume am Hang, deren Wurzeln zum Teil hinaus in die Luft ragen, und grinst plötzlich.

Dann beugt sich Fargus vor, streckt den rechten Fuß aus und beginnt mit dem Stiefel gegen die Grassoden zu stoßen.

Erde bröckelt ab, kleine Steine fallen nach unten, Grassoden lösen sich.

Teufel, denkt er, als er sich zurückzieht und zufrieden nickt. Man müßte diese beiden mächtigen Bäume herunterfallen lassen. Steckt die Kutsche erst einmal hier drin, dann kann sie auch nicht mehr wenden. Sie kommen herein, aber nicht mehr hinaus. Verdammt einfache Sache, wenn man die Bäume herunterbekäme. Die würden ein Hindernis bilden, vor dem die Kutsche einfach anhalten muß. Und was passiert dann?

Er braucht nicht lange zu überlegen, er weiß, was geschehen muß.

Die Kutsche wird kommen und vor den beiden Bäumen anhalten müssen. Der Fahrer wird absteigen, Beil, Axt oder Säge nehmen, und ein Mann aus der Kutsche, entweder der Sheriff oder der Deputy, wird ihm helfen. Dann ist mit Sicherheit nur ein Mann bei den Gefangenen.

Einer, was? denkt Fargus. Laut heult der Wind in den kahlen, kaum das erste sprossende Grün tragenden Ästen. Einer, mit dem ist leicht fertigzuwerden. Erstens ist es dunkel, zweitens braucht der nur auszusteigen, um einmal den anderen zu helfen. Die Gefangenen können ja nicht los, werden sie sich sagen, also können wir auch alle drei das Hindernis wegräumen, was? Sie gehen alle drei arbeiten. Und dann steige ich in die Kutsche. Und der, der zuerst hereinkommt, der bekommt eins über den Schädel, daß er vergißt, zu schreien. Der Sheriff hat die Schlüssel, hoffentlich ist er es, der in die Kutsche zurückkommt. Habe ich den Schlüssel, dann ist es ein Kinderspiel, sie loszumachen und die beiden anderen Burschen zu überwältigen.

Er lacht einmal kurz, dreht sich dann mit einem Ruck um und hastet zurück zu seinem Pferd. Fargus reitet immer mit der Ausrüstung eines Prospektors. Seitdem in den Bergen hier Silber gefunden worden ist, tarnt sich Fargus mit dem Werkzeug eines Prospektors. In Wirklichkeit ist er der Mann, der für Johnson und mit Johnson die Gelegenheiten auskundschaftet. Findet Fargus irgendwo heraus, daß jemand einen Haufen Geld bei sich hat, dann sagt er den anderen Bescheid, die dann ihre Arbeit tun. Genauso ist es in Malad City gewesen. Und nur der Zufall hat es gewollt, daß Fargus sich mit Johnson und den anderen weiter im Norden treffen wollte, um seinen Anteil zu kassieren. Nur darum sitzt er nicht mit ihnen in der Kutsche. Und nur darum ist er hier. Er weiß, daß Johnson die Beute versteckt hat. Er will seinen Anteil haben. Und er weiß, daß er, befreit er sie, mehr als seinen Anteil bekommen wird.

Die Spitzhacke in der Hand, rennt er zu den beiden Bäumen zurück.

Es dauert kaum eine Viertelstunde, dann schwitzt Fargus zwar, hat aber rings um die Bäume einen Halbkreis gezogen. Ab und zu stößt er zwar auf eine Wurzel, die er durchhacken muß, aber er kommt gut voran. Mit der Schaufel wirft er die lockere Erde und die Steine aus, er gräbt immer tiefer, sieht ab und zu nach Nordwesten, kann aber noch kein Licht in der Nacht auftauchen sehen. Zudem ist der Schneematsch auch zu dicht und nimmt ihm die Sicht. Er wird sich auf die Geräusche verlassen müssen, wenn er die Kutsche rechtzeitig entdecken will.

Sosehr er auch schlägt und darauf wartet, daß sich die Bäume endlich neigen – die Bäume, deren Kronen der Wind zur Schlucht hindrückt, rühren sich kaum. Sie schwanken etwas stärker, sie neigen sich ab und zu etwas mehr, aber sie wollen einfach nicht stürzen.

»Verdammt, verdammt!« sagt Fargus keuchend und fährt sich mit dem Ärmel der Jacke über die schweißnasse Stirn: »Sie rühren sich nicht, sie rühren sich einfach nicht. Und dabei muß die Kutsche bald kommen, sie muß jeden Augenblick erscheinen!«

Verzweifelt und immer schneller hackend und grabend, wühlt er weiter, doch dann weiß er, warum die Bäume nicht stürzen wollen.

Hier, an der Gegenseite zum Hang hin, halten zwei, drei schenkelstarke Wurzeln den einen Baum wie mit Tauen fest. Keuchend und fluchend, seine Spitzhacke wild schwingend, schlägt Fargus auf die Wurzeln ein. Die erste Wurzel platzt endlich mit einem schwachen, satten Ton.

Fargus richtet sich keuchend auf und starrt nach Nordwesten. In der Nacht und im Dunst zeigt sich ein Licht.

»Die Kutsche«, sagt er entsetzt. »Verdammt, sie kommt schon.«

Er holt aus, schlägt auf die zweite Wurzel ein, bäumt sich auf, lehnt sich zurück und schlägt mit einer wilden Bewegung zu.

Die Schneide der Spitzhacke ist auf Steine gekommen, sie ist nicht mehr scharf genug, die Wurzel ist zu zäh, so daß die Schneide abgleitet.

Endlich, und er hört schon das Rasseln der Räder, platzt auch diese Wurzel.

Zu nahe, denkt Fargus verzweifelt, es ist zu nahe! Sie werden mißtrauisch werden, wenn dieser Baum herabkommt, genau vor ihnen in die Schlucht kracht.

Was tun, doch zuschlagen, die dritte Wurzel versuchen zu kappen?

Er blickt hoch zu dem Wipfel des Baumes und schlägt wieder zu.

Die Wurzel federt durch, seine Hacke gleitet ab und klirrt auf einen Stein.

Fargus stößt einen heiseren Fluch aus, sein Blick geht erneut nach oben. Schon kommt es ihm vor, als wenn sich die Krone mehr neigt. Noch ein Schlag, denkt er, noch zwei? Wieviel noch, ehe sie endlich platzt und der Baum in die Tiefe stürzt?

Zwei, drei Schläge, ein Klirren, ein Knarren, er hört das Ächzen und blickt nach oben.

Da, der Baum schwankt, neigt sich etwas, der Baum will stürzen – oder nicht?

Fargus wirft seine Hacke hin, springt aus dem Loch, spürt unter sich den Boden beben, hat auf einmal Angst und krabbelt auf allen vieren durch den schlammigen Boden, den er neben dem Loch ausgeworfen hat.

Da ist die Kutsche, dort kommt sie.

Und der Baum?

Fargus sieht zurück.

Die Kutsche – der Baum.

»Das«, sagt Fargus, und seine Lippen bewegen sich zitternd, »habe ich nicht gewollt, das nicht!«

Der Baum stürzt. Und die Kutsche ist unter ihm.

*

Auf dem Bock der Kutsche sitzt Harris, der Fahrer.

Harris hat zu tun, auf die Pferde zu achten. Er muß die Pferde so lenken, daß die Kutsche sich in einer Schlangenlinie zwischen den Steinen durchwindet. Links sinkt der Wagen ein, kommt bis an die Achsen ins Wasser. Der Kasten steht schief.

»Zieht doch!« sagt Harris keuchend und holt mit der Peitsche aus. »Verdammtes Loch, raus mit dem Wagen. Wollt ihr wohl ziehen?«

Die Peitsche fliegt, klatscht über das Fell der Pferde. Sie ziehen an, die Kutsche rumpelt. Und dann blickt er hoch.

Harris sieht den Baum stürzen.

Es hat keinen Sinn mehr zu versuchen, den Wagen wegzubringen, das weiß er. Es hat keinen Sinn mehr, auf die Pferde einzuschlagen und sie anzutreiben.

Zu spät, denkt Harris, als er den Baum kommen sieht und mit einem gellenden Schrei vom Bock springt, zu spät!

Er landet im hochspritzendenWasser auf allen vieren, und dann trifft es ihn.

Er spürt einen Hieb auf seinem Rücken, der ihn nach vorn schleudert und ihn der Länge nach in das trübe, schlammige Wasser fliegen läßt.

Danach prallt etwas auf sein Bein und läßt ihn vor Schmerz aufbrüllen. Die Gewalt des Anpralles ist es, die ihn glatt unter die lehmig-trübe Oberfläche des Wassers drückt und ihn in das Wasser eintauchen läßt.

Die Todesangst gibt ihm neue Kraft, er kommt hoch, taucht aus dem Wasser auf und hört den Schlag in dem Moment, in dem er auf den Händen am Boden liegt, den Kopf aus dem Wasser strecken kann.

Es splittert und kracht.

Und dann wiehern die Pferde.

Atman hört den Schrei, einen gellenden, wilden Schrei und danach das Rütteln der Kutsche.

Was schreit Harris, denkt Atman verwundert, was schreit er?

In diesem Augenblick, in dem er die Hand ausstreckt – die anderen den Schrei hören und Coles nach links aus dem Fenster blickt –, sieht Coles den Schatten.

Es kommt Coles vor, als wenn in der Luft ein Schatten ist, ein großer dunkler Schatten, der sich vor dem Fenster auf die Kutsche zuneigt.

In der nächsten Sekunde ertönt ein Klatschen. Und dieses Klatschen ist der Anfang vom Ende. Urplötzlich kracht etwas auf das Dach.

Neben ihm zersplittert das Fenster in tausend Stücke.

Atman stürzt nach rechts von seinem Platz, er kippt auf die Tür zu, die unter der Wucht des Astes zerbricht. Er stürzt aus der aufspringenden, zertrümmerten und nur noch in einer Angel hängenden Tür aus dem Kasten, der sich jäh nach rechts neigt.

Johnson ist es, als wenn jemand dicht vor seinem Gesicht einen schweren Balken herabschlägt.

Johnson hat über sich den Himmel, sieht die Lampe nicht mehr, die an der Decke gehangen hat.

Der Ire aber brüllt, schreit seine Todesangst hinaus und bekommt einen Schlag auf die Knie, daß er denkt, seine Beine wären gebrochen.

Vor ihm, beim Aufprall seiner Seitenäste beraubt, die das Dach der Kutsche zuerst getroffen haben, um dann zu zersplittern, schießt der Stamm durch das Dach, bleibt schräg liegen und läßt durch das Gewicht die Kutsche kippen, zwei Räder glatt abbrechen und Coles eingeklemmt zu den Füßen der drei Männer liegen.

Die Pferde sind frei, bäumen sich aber auf, denn vor ihnen, einer dunklen drohenden Wand gleichend, kommt die Krone des Baumes herabgeschossen, donnert keine zehn Yards vor ihnen in das Wasser und bricht ab. Nun türmt sich ein Hindernis auf, das den Pferden, die mit dem Ende der Deichsel davonrennen wollen, den Weg verbaut.

Sie drehen erneut, sie kreisen, sie wissen nicht wohin.

Aus der Dunkelheit aber kommt das Stöhnen, aus der Dunkelheit schreit einer: »Oaaahhh – mein Bein, mein Bein! Oh, mein Bein! Atman – Coles, ich bin eingeklemmt. Hilfe! Atman, Coles! Hilfe… Hilfe, ich bin eingeklemmt!«

Coles rührt sich nicht, auf ihm liegt das Gewicht des Astes.

Vor dem Kasten aber, halb auf einem Stein, liegt der Sheriff, den Arm gebrochen, nur die Brust und den Kopf aus dem Wasser, nichts hörend, ohnmächtig.

Und hinter ihm kreischt der Ire gellend: »Meine Knie sind gebrochen, oh, meine Knie sind gebrochen, meine Beine, meine armen Beine!«

Johnson sitzt still, sieht in den Himmel, und der Regen benetzt sein Gesicht. Und neben ihm sitzt Dunn, links von ihm beginnt der dicke Seymour zu röcheln und sagt gurgelnd: »Mein Fuß, ich kann meinen Fuß nicht bewegen!«

Plötzlich schreit er los, schreit so schrill und jammernd, daß die Benommenheit von Johnson abfällt und Johnson mitten in das schrille Geheul und Gewimmer von Seymour seinen Ellbogen förmlich abschießt.

»Auaaah! Ohh, Hilfe – ohhh!«

»Hältst du dein Maul, Mensch, bist du still?«

»Mein Bein ist eingeklemmt, mein Fuß, mein Fuß! Hilfe, helft mir doch, ich sterbe.«

»Bist du jetzt still, Narr?« flucht Johnson neben ihm. »Du sollst dein Maul halten, Mensch! Ziehen, he, Dunn, du Strolch, Dunn!«

»Ja«, sagt Dunn, überraschend kaltblütig und knapp. »Was ist? Mir ist nichts passiert!«

»Aber mir, meine Knie sind gebrochen!«

»Beweg die Beine, beweg sie! Kannst sie ja bewegen, du Irenstrolch, kannst du doch! Was jammerst du denn, he? Wen haben wir denn da, Teufel, ist das denn die Möglichkeit? Der Halunke, der Coles, der großmäulige Schuft, der greuliche, da liegt er! Was ist bloß passiert, verdammt? He, da liegt ’n Baum! Tatsächlich, ist ein Baum. Lehnt euch nach vorn, los, alle nach vorn!«

Sie gehorchen. Vielleicht, weil er sie anschreit, vielleicht, weil sie durch sein Gebrüll aus ihrer Benommenheit erwachen und blindlings gehorchen wollen.

Es knackt, als sie sich nach vorn legen.

»Die Pest, die Schweinerei, die Greulichkeit!« hören sie Johnson fluchen. »Das ist nicht genug, es reicht nicht. Noch mal, sag’ ich, noch mal dasselbe! Mit aller Macht nach vorn legen, werft euch nach vorn, sag’ ich! Wir müssen los, also ran! Wo ist denn der Sheriff, der Kerl, wo steckt er? Na, egal, wo er steckt, werft euch nach vorn, sag’ ich! Eins, zwei, drei!«

Rumms!

Es knackt, es bewegt sich. Und der dicke Seymour starrt auf das völlig zertrümmerte Vorderteil der Kutsche und erkennt, daß der Baum sie alle drei beinahe erschlagen hätte. Dunn zählt ja nicht zu ihnen. Er sagt kreischend: »Wir kommen nicht los, wir schaffen es nicht, Johnson!«

»Wirst du dich wohl bewegen, Fettsack, wirst du wohl? Los, los, du Drückeberger! Leg dich nach vorn, wenn ich es sage! Und tust du das nicht, dann lernst du mich kennen! Eins, zwei, drei!«

Es splittert irgendwo, es kracht einmal laut. Die Wand in ihrem Rücken scheint sich durchzubiegen, die Stange wackelt.

»Oho, sie wackelt, wir schaffen es! Los, noch mal, streng dich an, Dicker, das sag’ ich dir. Raus müssen wir. Wenn wir die Stange abreißen können, sind wir frei.«

Die Stange hält, das verdammte Ding hält. Wenn auch nur noch die Bolzen im Holz sitzen, zwischen dem Holz ist eine Eisenschiene, durch die führt die Bolzenbohrung. Es klirrt, es wackelt, aber es ist fest.

Johnson stößt einen Fluch aus und brüllt danach: »Es muß los, es muß! Werft euch gegen sie, ich sag’ es euch. Der Sheriff ist draußen, der Kerl muß irgendwo sein! Hört ihr, der Harris brüllt um Hilfe, der brüllt noch immer. Der Sheriff liegt da irgendwo draußen. Blick nach links, hast du gehört, Dicker? Siehst du ihn?«

»Nein, nein, da, doch, doch, da ist er, da liegt er. Hier vor der Kutsche auf einem Stein!«

»Na also, da liegt er. Los, hau ruck, hau ruck!«

Die Stange klirrt, sie bewegt sich. Die Bolzen wackeln. Das Eisen schlägt aneinander, und ihre Ketten bilden mit ihrem Geklirr die Begleitmusik zu Johnsons Kommandos.

Auf einmal japst der Ire und neigt sich nach vorn.

»Geht nicht, geht nicht los. Verdammte Sache, es geht nicht.«

»Mensch, es muß, verstanden, es muß! Weiter, macht weiter!«

Sie schieben und schieben.

»Sie geht nicht los, das verdammte Ding, Johnson, sie hängt unten fest.«

»Weiter, wirst du wohl weitermachen, Schreihals! Unsere einzige Chance, unsere einzige! Weiter!«

»Hau – ruck!«

Da toben sie, auch Dunn. Sie werfen sich gegen die Stange, sie stemmen sich ein, sie ziehen und reißen.

Und mitten in dem Gekeuche der Männer, dem Klirren der Ketten und dem Schlagen von Eisen auf Eisen ist auf einmal der Schatten links.

Ein Mann, der sich am Kasten, dem zerbrochenen Teilstück neben der Tür, festhält, ein Mann, der kaum auf den Beinen stehen und seinen rechten Arm nicht bewegen kann, der jedoch mit der linken Hand seinen Revolver gezogen und den Hammer gespannt hat.

Da steht er – Louis Atman, der Sheriff von Challis, und streckt die Hand vorwärts, drückt die Revolvermündung dem keuchenden und japsenden dicken Seymour in die Rippen.

»Aufhören! Verdammtes Gesindel, aufhören!«

Johnson sitzt auf einmal still, der Ire japst und sperrt seinen Mund auf. Dunn sieht den Mann mit dem Revolver.

»Schluß jetzt – aufhören!«

Sie haben längst aufgehört und sehen zu ihm und auf den Revolver.

Der Fluch, den Johnson ausstößt, könnte nicht greulicher sein. Er beginnt zu schreien.

»Bursche!« sagt Sheriff Atman fauchend.

Der Sheriff zuckt zurück, als er Harris rufen hört.

»Sitzt still«, sagt er dann drohend. »Ihr kommt doch nicht los. Und wenn ihr es schaffen solltet, dann schieße ich, verstanden?«

Er dreht sich um, keucht, schwankt, als er sich am Wagen entlangzieht und um die Ecke kommt, die Stiefel bis über die Knöchel im schlammigen Wasser.

Vor ihm ragt der abgebrochene Teil der Krone aus dem Wasser. Und zwischen den Zweigen sagt Harris keuchend: »Atman, komm her, ich bin eingeklemmt, mein Bein muß gebrochen sein. Oh, diese Schmerzen, komm schnell!«

»Wo bist du denn, Mann?«

Er schiebt sich durch die Zweige, sieht ihn endlich, wenn auch Harris’ Gesicht vom Schlammwasser dunkel ist.

»Ich hebe den Ast hoch, Harris. Kannst du dich wegziehen?«

»Ich weiß nicht. Oh, mein Bein, At- man!«

»Du mußt es schaffen, Harris, verstanden?«

Er bückt sich, umklammert mit seinem linken Arm den Stamm und zieht, stemmt sich ein.

Der Stamm wackelt, und Harris stößt ein fürchterliches Gebrüll aus.

»Mein Bein, mein Bein!«

»Harris, ich schaffe es nicht.«

»Du mußt, Sheriff, du mußt! Da hinten ist doch die Astgabel. Stemm die Schulter unter sie, du mußt es schaffen!«

Atman bückt sich, stemmt die Schulter unter die Gabel, knickt ein und will sich hochstemmen, als es hinter ihm plätschert.

Er denkt, daß es die Astgabel ist, das untere Ende, das im Wasser liegt.

Auf die Stille, die auf einmal in der Kutsche ist, achtet er nicht.

Und er sieht nicht, daß hinter ihm wie ein Bär – ein Mann in einem Lammfell kommt.

Der Mann ist unmittelbar hinter ihm und holt aus.

Und dann schlägt der Mann zu.

Es ist Atman, als wenn in seinem Kopf etwas explodiert.

Er rutscht ab und fällt unter die Astgabel.

Der Mann aber bückt sich, sucht nach Atmans Revolver und nimmt ihm die Waffe weg. Er sucht weiter. Und die Schlüssel klirren.

»Atman, wo bist du? Heb ihn doch hoch, heb ihn hoch!«

Harris hört das Plätschern des Wassers.

Und dann sieht er den Schatten.

»Atman, wo gehst du hin?«

Es ist nicht Atman. Er kann es nur durch die Zweige nicht erkennen.

Der Mann, ein Schatten nur, geht davon.

Das Wasser plätschert.

*

Johnson fährt mit einem heiseren Fluch hoch und bückt sich dann.

In dieser Sekunde gleicht er einem Tier, einem wilden Tier, das auf ein am Boden liegendes Opfer zuschießt.

Das Opfer heißt Coles, der heiser atmet und leise stöhnt.

»Den Revolver«, sagt Johnson keuchend. »Verdammt, wo hat er denn seinen Revolver, der Kerl? Äh, hier, da ist er ja. Kann noch japsen, was? Dem sollte man…«

Er hält den Revolver in der Hand und sieht Fargus an.

»Kerl, mußt du denn das so anstellen? Beinahe wären wir alle hin gewesen. Wie ist denn das passiert?«

»Zufall, erzähle ich euch später. Los, Seymour, bist du frei?«

»Tatsächlich frei«, sagt Seymour keuchend und schnellt hoch, torkelt etwas, klettert nach draußen und rennt auf den Bock zu. »Das Gewehr, was? Er hat doch ein Gewehr gehabt.«

Der Bock ist gar nicht mehr da, nur ein Torso aus verbogenen Brettern, aus seltsam wirr hochstehenden Eisenbügeln, sonst nichts.

Seymour blickt auf den Schlamm und stößt einen Japser aus. Das Gewehr liegt im Schlamm, vollkommen heil, er zieht es mit dem Kolben heraus. Ein Griff, Seymour hat es, hört den Iren fluchen und sieht ihn aus dem Kasten steigen. Der Ire umklammert draußen seine Knie und kann doch stehen.

»Hier, Coles’ Gewehr, da hast du es, Mensch!«

Das Gewehr fliegt los, der Ire fängt es auf und wiegt es in der Hand.

»Fargus, hast du Pferde mit?«

»Nur eins, ich hatte nicht genug Geld, Johnson.«

»Dann nehmen wir die beiden Gespannpferde. He, daß du auch keine drei besorgt hast, Mensch!«

Dann blickt er auf den Sitz, auf dem noch ein Mann kauert und auf seine Hände blickt, die Fargus losschließt.

»Was machst du denn da, Fargus? Das ist ein Mörder. Na, gut, mach ihn los, den Kerl, aber nur die Hände.«

Lee Dunn hebt den Kopf und sieht ihn an.

»Johnson, ihr könnt mich doch nicht hier sitzenlassen?«

»Und warum nicht? Du, sei froh, daß deine Hände frei sind. Mit ’nem Mörder will ich nichts zu tun haben, verstanden? Schmeiß ihm die Schlüssel auf den Schoß, wir müssen weg, Fargus. Schmeiß sie hin, er soll sich selber befreien, wenn er es kann, der Bursche. Los, raus hier, weg, die Pferde nehmen wir mit!«

»Und ich?« fragt Dunn heiser. »Fargus, ich habe niemanden umgebracht, ich bin es nicht gewesen. Laßt mir wenigstens ein Pferd. Mit einem Wagenpferd habt ihr drei, das reicht doch! Sie werden mich suchen…«

»Du«, sagt Johnson böse. »Ist es dir nicht genug, wenn du los bist, he? Willst du etwa einen Gaul extra? Halt die Klappe, erzähl das deiner Großmutter, daß du diesen Clapton nicht umgeblasen hast, die glaubt es dir vielleicht, ich nicht. Mach dich selber los, Mann. Von wegen Pferd!«

Er flucht, springt aus dem Kasten und zieht von draußen Sheriff Atmans Gewehr unter dem Baum heraus.

Ein Pferd schnaubt, wiehert dann, und Johnson sagt heiser: »Schneid doch die Sielen durch, Kerl!«

Es klatscht im Wasser, dann ist Hufschlag zu hören. Und es wird still, so still, daß es Dunn vorkommt, als wenn die Kette einen Heidenlärm macht, als er sie endlich lösen kann. Er dreht den Schlüssel im Schloß um und löst die Schelle von seinen Stiefeln.

In diesem Moment, die Reiter sind fort, hört er Harris rufen: »Atman – Atman, wo bist du? Atman, hilf mir doch!«

Frei, denkt Dunn, schüttelt verstört den Kopf und bewegt die Hände, streckt die Beine aus und springt in den Schlamm hinein. Frei?

Draußen packt ihn der Wind, der Regen verstärkt sich. Er steht neben der Kutsche, als er Harris erstickt schreien und danach wimmern hört.

»Atman, hilf mir doch. Mir ist so schlecht, Atman… Hilfe!«.

Alles still, keine Antwort.

Frei, denkt Lee Dunn. Ich bin frei, aber ich kann es nicht begreifen, es will mir nicht in den Kopf, daß ich auf einmal frei sein soll. Gerechnet habe ich, gerechnet genug. In einer Woche eine letzte Mahlzeit, den Besuch eines Geistlichen, der Gang zur Klappe und den Fall in die Tiefe, aus der es kein Wiederkommen mehr gibt. Frei?

Er schiebt sich an der Kutsche entlang, er kommt herum und sieht Atman unter dem Baum liegen.

Hat Atman – nein, kein Revolver.

»Atman, Atman!«

Das klingt schwach, das klingt so, als wenn Harris erstickt.

Im Wasser bewegt sich etwas, eine Hand taucht auf, dann klatscht es.

Harris verliert die Besinnung und stürzt in das Wasser.

Und sein letzter Gedanke ist, daß es nun zu Ende mit ihm ist. Er wird im Wasser ersticken müssen.

»Harris?«

Das Wasser bewegt sich, trübe Wellen, ein Fleck, eine Jacke, ein Mann, der auf dem Gesicht im Wasser liegt.

Lee Dunn watet zu ihm, packt ihn, zieht ihn hoch und schüttelt ihn.

»He, Harris!«

Warum, denkt Dunn, warum habe ich ihn nicht einfach in der Brühe liegen lassen, warum nicht? Hat er nicht gesagt, daß ich ein Mörder sei, hat er nicht gesagt, daß sie mich schön aufhängen würden, drei Fuß Luft unter den Stiefeln?

»Harris, Mann, wach auf!«

Er wacht nicht auf. Er liegt da, und sein Kopf ist so schlaff, als sei er schon tot.

Lee Dunn streckt die Linke aus, erwischt den Ast, der abgebrochen zu sein scheint, und zieht. Der Ast ist abgebrochen, er kann ihn heranziehen, schiebt ihn unter sich und Harris und läßt Harris dann sinken. Harris liegt mit der Brust auf dem Ast, Dunn dreht sich um, starrt auf das Stammende und duckt sich dann.

Unter dem Ende an der Seite, an der Harris liegt, steckt ein zweiter Ast quer.

Kaum ist Dunn an dem Ast, als er hinter sich Harris stöhnen hört.

»Harris, hörst du mich?«

»Was – was – Dunn?«

Harris zuckt zusammen, als wenn ihn jemand mit einer Peitsche schlägt, als Dunn neben ihm auftaucht und stehenbleibt.

»Dunn«, sagt Harris entsetzt, hebt abwehrend die Hand und stottert vor Furcht. »Dunn, tu mir nichts, Dunn, hörst du? Mein Bein, Dunn, ich kann mich nicht wehren, verstehst du?«

»Was? Meinst du, ich hätte dich auf den Zweig da gelegt, wenn ich dich umbringen wollte?« fragt Lee Dunn finster und blickt auf ihn herab. »Harris, du bist im Wasser ohnmächtig geworden, weißt du das nicht?«

Harris starrt ihn an und weiß es auf einmal wieder.

»Ja«, sagt er mühsam. »Dunn, ich halte es nicht aus, die Schmerzen, mein Bein!«

»Warte, ich hebe den Stamm hoch, dann ziehst du dich fort. Kannst du das?«

»Ich probiere es.«

»Versuche es!«

Er ist ja frei, denkt Harris verstört, als Dunn nur vier Schritte von ihm ist und hinter ihm im Wasser einen Ast anfaßt und ihn hochhebt, wobei Harris das Schüttern des Stammes bemerkt. Der ist frei, aber warum rennt er denn nicht weg, warum nicht?

»Harris, paß auf, ich bin gleich soweit. Ich habe jetzt den Ast hoch genug. Wenn ich drücke, dann müßtest du freikommen.«

»Das schaffst du nicht«, erwidert Harris schrill. »Mein Bein, es schmerzt, wenn der Baum rollt. Es wird ganz zerquetscht werden. Dunn, ich sage dir – aah!«

Dunn? denkt Harris und reißt die Augen weit auf, als er sieht, wie der große Dunn sich bückt, sich mit aller Gewalt einstemmt und der Baum vom Ast angehoben wird. Es ist nur ein kurzer Schmerz in Harris’ Bein, mehr nicht, aber der Druck ist fort.

»Kriech, Harris!«

Plötzlich ist er frei, der Baum liegt hinter ihm, er ist weg. Es klatscht einmal, der Baum sinkt zurück. Und Harris liegt auf dem Zweig, dreht sich, sieht Dunn kommen und hält den Atem an.

»Kommst du hier heraus? Da hinten liegt der Sheriff, du mußt an ihm vorbei aus dem Wasser kriechen, Mann! Komm her, ich helfe dir, ich… Verdammt, Atman!«

In diesem Augenblick bewegt sich Atman. Vielleicht hat ihn die Erschütterung, die durch den Baum gegangen ist, munter gemacht, denn er stemmt sich hoch, blickt um sich und schüttelt wild den Kopf.

Lee Dunn erkennt es kaum, als er sich dreht und sich duckt.

Mit offenem Mund sieht ihn Harris an, sieht sein Zusammenzucken, seinen Satz, den er zum Baum macht, den Sprung hinter die Zweige und dann sein Abducken dort.

Es ist diese Sekunde, die Sheriff Atman genug erkennen läßt.

Vor ihm, hinter den Zweigen der Krone, taucht ein Schatten auf.

Und es ist – das erkennt Atman sofort, der Dunn oft und lange genug gesehen hat, Lee Dunn.

»Lee!« brüllt Atman heiser, aber dann hat seine Stimme wieder die alte Kraft.

»Lee – Lee – warte! Lee, halt, ich schieße, ich schieße! Halt, Lee!«

Wenn Atman auch nicht begreift, wie Lee Dunn freigekommen sein kann, er kennt ihn. Er kennt ihn seit zweieinhalb Jahren und sieht Dunn hinter den Ästen weglaufen.

»Lee, bleib stehen, oder ich schieße, Lee!«

»Verdammt«, sagt Lee Dunn keuchend und duckt sich, so tief er nur kann, »warum mußte ich mich um Harris kümmern, was geht mich Harris an? Atman wird noch abdrücken.«

Er rennt weiter, er kommt auf das Geröll, fällt, als er auf dem Schlamm ausgleitet, der Länge nach hin und schnellt wieder hoch.

»Lee, stehenbleiben! Zum letzten Male, Lee, ich schieße!«

Schieß doch, verdammter Narr, denkt Lee bitter, schieß doch. Du mußt schon Adleraugen haben, wenn du treffen willst.

Rumms!

Atman schießt, sein Revolver bellt los.

Vorbei, die Kugel faucht zwei Schritte hinter Lee Dunn her, der sich nach vorn wirft und den mächtigen Baumstamm der Ponderosa vor sich erkennt.

Über den Baum, denkt Lee und springt los, über ihn und dann weg, dann sieht er mich nicht mehr.

Er wendet leicht den Kopf, er sieht Atman, nach rechts auf den Stamm der Eiche gestützt, stehen und mit der Linken schießen.

Ich treffe ihn nie, denkt Atman, der mit der linken Hand niemals so gut wie mit der rechten gewesen ist. Unmöglich bei diesem Wetter einen huschenden Schatten zu treffen, auch mit der rechten Hand würde ich es nicht schaffen

Er feuert trotzdem. Er schießt, als er Lee Dunn am Baum erkennt und hört, während er abdrückt und immer wieder abdrückt, den Lauf schwenkt und aufs Geratewohl feuert, daß Harris schreit: »Nicht schießen, Atman, nicht schießen, er hat mir das Leben gerettet!«

Der Bursche entwischt, denkt Atman, feuert und sieht Lee Dunn beim dritten Schuß dieser Serie zucken.

Lee Dunn ist auf dem Baumstamm, als der Schlag seinen linken Oberarm trifft. Der Schlag ist kurz und heftig, ein einziger wilder Hieb, der seinen nach hinten pendelndenArm von innen trifft und zur Seite schleudert.

Getroffen, großer Gott, denkt Lee verzweifelt, als er sich nach vorn wirft und die letzten beiden Kugeln über ihn hinwegfauchen, er hat mich getroffen.

Er fällt drüben hin, er keucht, der Schmerz steckt im Arm, der Knochen scheint verletzt zu sein.