1.1   Warum Stille?

Stille ernährt. Der Lärm verbraucht.
Reinhold Schneider

Vor meinem Fenster zwitschert gerade lautstark ein Vogel. Von unten dringt Straßenlärm in mein Büro. Ab und an hört man auch Musiker auf der Straße. Plötzlich übertönt die Sirene eines Feuerwehrautos mit ihrem schrillen Klang alle anderen Geräusche – sogar das Klappern meiner Tastatur beim Schreiben. 

Stille ist ein rares Gut geworden. Es gibt kaum noch einen Ort, an dem man keine Geräuschkulissen durch Musik, Telefone oder technische Geräte hat. Mittlerweile hört man nicht nur in U-Bahnen, sondern sogar in Aufzügen Hinweise aus dem Lautsprecher: »Tür schließt«. Viele Geräuschquellen schaffen wir selbst, etwa indem wir das Radio oder den MP3-Player im Hintergrund laufen lassen – häufig ohne überhaupt noch wahrzunehmen, was da gespielt wird. 

Neben dem akustischen Lärm sind wir auch von unzähligen optischen Reizen umgeben, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Ruhe rauben. 

Blinkende Signalanzeigen, Werbetafeln – vieles strömt täglich auf uns ein. Meist ohne dass wir es wollen. 

Ein erster Schritt auf dem Weg zur Stille könnte sein, dir erst einmal bewusst zu machen, wie viel Unruhe dich ständig umgibt.

Was siehst und hörst du den ganzen Tag? Was strömt auf dich ein? Willst du das alles wirklich sehen und hören?  

 

1.2   Stille suchen

Viele Menschen wissen nicht, was sie wollen. Aber sie sind entschlossen, es zu bekommen.
—Sir Peter Ustinov

Der Begriff Stille bedeutet für unterschiedliche Menschen etwas ganz verschiedenes. Die einen denken bei Stille an einem Steg an einem ruhigen Gewässer. Andere an ungestörtes Zeitungslesen. Für die nächsten ist Stille vor allem in einer ruhigen, vertrauten Umarmung zu finden. 

Um etwas zu finden, muss man erst einmal wissen, was man sucht. Es kann hilfreich sein, wenn du dir zunächst Gedanken darüber machst, was genau du suchst, bevor du mit der Suche beginnst. 

Folgende Fragen könnten dir dabei helfen: 

Stell dir vor, du würdest ein Bild malen oder einen Film drehen. Der Titel des Werkes wäre: »Ich in der Stille«.

Was wäre auf dem Bild oder dem Film zu sehen? Welche Details und Handlungen sind zu erkennen? Welche Orte werden dargestellt? Welche Bilder hast du vor Augen, wenn du an Stille denkst? 

Du kannst dir auch überlegen: Wie leben und gestalten andere Menschen Stille? Welche Art, Stille zu leben, findest du attraktiv? Was spricht dich an? Was könnte deine Form sein, Stille zu finden?

 

1.3   Verlorene Stille

Wer die Stille nicht sucht, kann sie nicht finden.
—Kerstin Hack

Fast jeder kennt die Geschichte von dem Betrunkenen, der im Licht einer Straßenlaterne nach seinem Schlüssel sucht. Als er von einem Passanten gefragt wird, ob er den Schlüssel denn dort verloren habe, gibt er zur Antwort: »Nein, aber hier ist das Licht heller.« 

Wenn wir Stille finden wollen, dann ist neben einem klaren Bild davon, wie Stille für uns aussieht, auch die Frage wichtig, ob wir mehr Stille in unserem Leben schon kannten und sie »nur« verloren haben, oder ob es für uns ein ganz neuer, vollständig unbekannter Weg ist, den wir nun beschreiten. 

Die meisten Menschen kennen kürzere oder längere Momente der Stille. 

Es kann auch interessant sein, darüber nachzudenken, was zum Verlust der Stille beigetragen hat. Hierbei ist es hilfreich, nicht so sehr nach außen auf die Umstände zu sehen, die du vielleicht ohnehin nicht ändern kannst. Konzentriere dich vielmehr auf die Dinge, die du beeinflussen kannst. Was hast du aktiv getan, um Stille zu verlieren? Oder, noch etwas provokanter gefragt: Wenn du dafür sorgen müsstest, dass keine Stille in deinem Leben ist – wie könntest du das am Besten tun? 

 

1.4   Das eigene Herz entdecken

Stille ist nicht nur das Fehlen von Geräuschen. Stille ist vielmehr auch die Einkehr in sich selbst.
—Willy Meurer