Ephraim Kishon

… und die beste Ehefrau
von allen

LangenMüller

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© für die Originalausgabe: 1995 LangenMüller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
© für das eBook: 2013 LangenMüller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
unter Verwendung einer Zeichnung von
Rudolf Angerer
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7844-8104-3

I

Was kann ein Mann schon über eine Frau schreiben, die erstens seine eigene und zweitens völlig in Ordnung ist?

Leo Tolstoi hat‘s da leicht gehabt. Er konnte zwei dicke Bände über Anna Karenina vollschreiben, denn diese Dame versorgte ihn mit allem nötigen Material. Und als die Handlung des Romans nicht mehr weiterging, warf sie sich in lobenswerter Hilfsbereitschaft unter die Räder einer heranbrausenden Lokomotive. Wer kann schon mit so etwas konkurrieren? Oder nehmen wir jene lebenslustige Madame Bovary, die mit wachsender Begeisterung über 285 engbeschriebene Dünndruckseiten hinweg ständig ihre Liebhaber wechselte. Das sind literarische Vorlagen! Aber was um Gottes willen schreibt man über seine eigene Lebensgefährtin, die weithin als die beste Ehefrau von allen bekannt ist?

Die Idee, meine berühmte bessere Ehehälfte zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, kam mir seltsamerweise auf dem Zürcher Flughafen. Ich stand gerade neben jenem Perpetuum mobile, das die Gepäckstücke der Passagiere im Kreis zu drehen pflegt, und unterhielt mich mit einer neben mir stehenden Dame in den zweitbesten Jahren. Da stürzte ein intelligent aussehender junger Mann auf uns zu, in der Hand ein offenes Notizbuch. Er bat um ein Autogramm der besten Ehefrau von allen. Ich klärte ihn über sein Mißverständnis auf. Von meiner Erklärung offensichtlich enttäuscht, wandte sich der Autogrammjäger ab und schritt von dannen. »Hallo«, rief ich ihm nach, »ich bin doch da, der Gatte, der sie geschrieben hat!« Darauf drehte sich der junge Idiot auf dem Absatz um: »Sie? Von Ihnen gibt‘s ohnehin schon Unmengen von Autogrammen!«

So kam ich drauf, daß ich das Schicksal jenes Zauberlehrlings von Goethe teile, der so viel über seinen Besen schrieb, daß der letzten Endes viel populärer wurde als er selbst. Schließlich kam es so weit, daß der Lehrling in der sintflutartigen Verehrerpost seines eigenen Besens beinahe ertrunken wäre. Es ist die alte Geschichte von Frau Golem, die sich gegen ihren Schöpfer kehrte.

Die beste Ehefrau von allen bekommt tatsächlich Waschkörbe von Leserbriefen, in denen ihr ein langes Leben gewünscht wird – sowie mehr Glück bei der Auswahl ihrer nächsten Ehegatten.

Einige sowohl zornige als auch weibliche Leser fragten sie, warum sie sich von mir für sogenannte humoristische Glossen mißbrauchen läßt.

Ein Spielzeugfabrikant machte sich allen Ernstes erbötig, eine Puppe mit ihren Gesichtszügen zu produzieren, und erst kürzlich wollte eine angesehene Wochenzeitschrift eine literarische Würdigung meiner gesammelten Werke veröffentlichen, unter der Bedingung, daß meine Frau ihrem Reporter ein Interview gewährt. Oho, sagte ich mir, das ist der klassische Fall eines Mannes, der von seinem gesetzlich angetrauten Besen geprügelt wird.

Wenn also so viele Leute darauf aus sind, das Mysterium der besten Ehefrau von allen zu enthüllen, warum sollte ich eigentlich meine Position als ihr langfristiger Ehemann nicht dahingehend ausnützen? Wenn ich richtig informiert bin, wurden auch die Nacktfotos der »schönsten Ehefrau von allen«, Bo Derek, von ihrem eigenen Gatten geknipst. Wer kennt meine Frau besser als der Schreiber dieser Zeilen, der schließlich jene grandiosen Geschichten über seine Frau seit einem Vierteljahrhundert an ihren Haaren herbeigezogen hat?

»Existiert sie überhaupt?« erkundigte sich kürzlich mißtrauisch eine Matrone irgendwo in Europa. Ich fragte, was sie für einen Grund hätte, an der Existenz der besten Ehefrau von allen zu zweifeln, worauf sie mir folgenden Gedankenbrocken in den Weg legte:

»Wenn es diese Frau wirklich gäbe, hätte sie schon längst eine Ehrenbeleidigungsklage gegen Sie eingereicht.«

Was die Matrone im Herzen Europas offensichtlich nicht in Erwägung zog, ist die Tatsache, daß meine Frau und ich im Orient leben. In dieser Gegend sind die Männer öfter als man glaubt mit vier kräftigen, arbeitsamen Frauen verheiratet. Der handelsübliche Orientale ist bekanntlich der wahre Herr der Schöpfung und hat legitime, historisch verbriefte Rechte, auf die er pochen kann. Zum Beispiel das altehrwürdige und durchaus angemessene Gesetz des Ostens, welches besagt, daß ein Weib, das ihrem Mann, nun ja, nicht in absoluter Treue ergeben ist, jederzeit auf dem Marktplatz gesteinigt werden kann. Oder wenn sie einen guten Anwalt hat, zumindest von Haus und Herd vertrieben wird. Wohingegen wir Gatten, falls uns die Monogamie zu monoton erscheint (das ist natürlich nur ein hypothetisches Beispiel), ärgsten Falls einem minderen Kavaliersdelikt frönen, welches keine rechtlichen Folgen hat. Wir Männer fühlen uns daher sehr wohl im Orient. Es steht ja auch ausdrücklich im Koran: »So wisse und beherzige denn, daß jeder Mann über sein Weib schreiben möge, wie und wo ihm der Sinn steht, sie aber möge hingehen und den Mund halten.«

Woraus klar ersichtlich ist, daß das Copyright der besten Ehefrau von allen mein uneingeschränktes Eigentum ist.

Was ihr Äußeres betrifft, so besteht eine tatsächliche Ähnlichkeit zwischen ihr und jenem weiblichen Wesen, das ständig in meinen Büchern auftaucht. Sie ist auch im Leben eher rundlich und attraktiv, hat ebenso wie ihre beiden Kinder einen feurigen Rotschopf und ist das, was man in ihrer Heimat eine Sabre nennt. Ihr Leben ist eine einzige Erfolgsstory, besonders seit sie mich vor etwa 22 Jahren geheiratet hat. Sie begann schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren, sich auf diese Traumehe vorzubereiten, indem sie Klavierunterricht nahm, und zwar in den versnobtesten Musikschulen von New York und Philadelphia. Dies tat sie ausschließlich zu dem Zweck, mein kurzes und kärgliches Junggesellentum ein für allemal zu beenden.

Es geschah eines Tages, daß die beste Freundin von allen sich an einen Flügel setzte, um sich mit ihren zarten Händen den dornigen Weg durch eine Chopin-Polonaise zu ertasten. Sie war dabei so erfolgreich, daß ich sie stehenden Fußes um eine der beiden Hände bat. Sie hauchte das übliche errötende Ja, und knapp zehn Minuten nach der Hochzeitszeremonie legte sie den Flügel auf Eis und begann zu malen. Ihr Ziel war schließlich erreicht. Doch von Zeit zu Zeit empfindet sie ob dieses Verrats an der Musik die Nadelstiche eines schlechten Gewissens. Darauf setzt sie sich ans Klavier und widmet oben erwähntem polnischen Heiratsvermittler ein zehnminütiges Entschuldigungskonzert. Es ist dies vermutlich die kürzeste und gleichzeitig lärmendste Dokumentation eines schlechten Gewissens im gesamten Vorderen Orient.

Was ihre Malerei betrifft, so steht sie auch hier über den Dingen. Das heißt, daß sie einen Pinsel nicht von einem Eispickel unterscheiden kann (woher soll sie schließlich malen können?), aber sie ist ungemein tüchtig, meine Beste. Sie hat schon früh im Leben erkannt, daß die einfachste Methode, zu gut gemalten Bildern zu gelangen, folgende ist: Man lasse sie von anderen malen. Die Folge davon: die beste Ehefrau von allen ist seit zehn Jahren stolze Besitzerin der »Sarah-Kishon-Kunstgalerie«.

Woraus klar zu entnehmen ist, daß die kunstverständigste Ehefrau von allen eigentlich Sarah heißt. Es steht zu erwarten, daß die Enthüllung dieses bis dato wohlgehüteten Geheimnisses die Sensation des vorliegenden Buches sein wird.

Nachdem mein Entschluß feststand, die beste Ehefrau von allen auch für kommende Generationen zu verewigen, beschloß ich, das Rohmaterial hierfür aus unserer alltäglichen Realität zu schöpfen. Es soll den interessierten Verehrern der Obenerwähnten die Möglichkeit geboten werden, zu erfahren, wie wir gemeinsam in ein und demselben Haushalt leben, und warum.

Eines grauen Arbeitstages stand ich also auf und schrieb alles nieder, was wir während einer 24stündigen Zeitspanne unseres Ehelebens taten. Sie als pianistische Galerie-Hausfrau, und ich als rigoros verheirateter Federfuchser. Das Folgende ist die getreue Beschreibung eines durchschnittlichen Wochentages, wie er in seiner beglückenden Friedfertigkeit so typisch ist für unser trautes Heim.

»Solltest du die Kinder in die Schule bringen«, eröffnete die beste Ehefrau von allen unsere Betriebssitzung am Frühstückstisch, »dann hol mir auch sechs Flaschen Milch. Der Milchmann ist auf Weltreise.«

»Ich kann überhaupt nichts holen«, lautete mein Gegenangebot. »Heute vormittag muß ich die Rechnung bezahlen.«

»Welche Rechnung?«

»Keine Ahnung.«

Seit zwei Monaten lag irgendein blauer Zettel auf der Küchenvitrine herum, vermutlich von der Stadtverwaltung, denn er enthielt die Worte »Zahlungsrückstand« und »Müllabfuhr«. Vor einigen Wochen versuchte ich ihn zu lesen, aber als ich zu der Stelle kam, wo die Ziffern vierstellig wurden, regte ich mich so auf, daß ich den blauen Zettel sofort in der Tiefkühltruhe deponierte. Dort landete er neben einem orangefarbenen Schriftstück, auf dem als Überschrift zu lesen war: »Straßenbelag-Zuschlag«.

»Was kann ›Straßenbelag‹ heißen?« fragte ich die beste Ehefrau von allen. »Seit wann werden Straßen belegt?«

»Woher soll ich das wissen?«

»War das nicht die Geschichte, für die wir im vorigen Winter diese städtischen Wechsel unterzeichnen mußten?«

»Nein, damals ging‘s um die Kanalisation.«

»Also was kann das hier sein?«

»Keine Ahnung.«

Sie kam mir irgendwie rastlos vor, die beste Ehefrau von allen. Tags zuvor hatte sie das Keuchhusten-Attest unserer Tochter Renana mit der Gebrauchsanweisung für die neue italienische Nudelmaschine verwechselt und konnte daher kein Gas besorgen, was zur Folge hatte, daß wir den ganzen Tag nichts Warmes zu essen hatten, und seither hustet auch die Nudelmaschine.

»Straßenbelag«, grübelte ich vor mich hin, »das muß irgend etwas mit Straßen zu tun haben. Vielleicht hat man sogar eine Straße gebaut, ohne daß wir es gemerkt haben.«

»Unsinn«, entgegnete meine Allerbeste, »mein Instinkt sagt mir, daß es etwas mit der Wasserrechnung zu tun hat. Sie fangen schon wieder damit an.«

Wasser ist eines unserer Existenzprobleme. Für die Monate April und Mai bekamen wir eine Wasserrechnung in Höhe von 111 630 Pfund. Ich teilte den Leuten in einem geharnischten Brief mit, daß sie uns wohl mit dem Städtischen Freibad verwechselt hätten und ich nicht bereit wäre, für einen amoklaufenden Computer die Kastanien aus dem Wasser zu holen. Ich erhielt auch postwendend eine grellgelbe Antwort: »Letzte Mahnung, ehe das Wasser gesperrt wird.«

Anschließend wurde ich für 26 Tage zum Reservedienst eingezogen. Das mag der Grund dafür sein, daß wir die Sache ein wenig verschlampt haben. Als ich wieder daheim war, fand ich einen weiteren Zettel in der Küche, der besagte, daß es uns bei strengster Strafe verboten sei, einen Wasserhahn aufzudrehen. Dieser Zettel war übrigens rosa.

Selbstverständlich legte ich Berufung ein. Das Ergebnis war ein grasgrüner Zettel, der besagte: »Achtung! Der Inspektor ist bereits unterwegs!« Damit sollte uns deutlich gemacht werden, daß der Inspektor bereits sein Büro verlassen hatte, um uns das Wasser abzudrehen. Er kam niemals an. Seither läßt man uns in Ruhe. Nur einmal hörten wir wieder von den Leuten, als sie uns sechzehn Pfund und zwei Piaster zurückerstatteten. In Hellbraun.

Jetzt meldeten sie sich wieder, und zwar auf dem Umweg über den Straßenbelag.

»Bring das in Ordnung«, sagte die beste Ehefrau von allen. »Sprich mit diesem mageren Kassierer, dessen Namen du dir nicht merken kannst. Und wenn du schon dabei bist, kümmere dich auch um die Sozialversicherung.«

Ich erbleichte.

»Tu mir das nicht an! Alles, nur nicht die Sozialversicherung. Ich weiß nicht einmal, was das ist.«

»Ich auch nicht.«

Schon seit Wochen waren wir bemüht, das Problem zu lösen. Die Sozialversicherung hatte uns fünf Formulare ins Haus geschickt, weil wir leichtsinnig genug gewesen waren, eine Putzfrau anzustellen. Es ging um 7,1 Prozent Altersversorgung, 0,7 Prozent Arbeitsunfallversicherung sowie 1,8 Prozent für Kinder und andere Unselbständige. Mindestens zweimal versuchten wir diese Formulare auszufüllen. Beim zweiten Anlauf hatten wir gerade die erste Hälfte geschafft, da ging die Putzfrau in die Flitterwochen oder sonstwohin, und wir sagten uns, daß wir auch nach ihrer Rückkehr weitermachen könnten. Wir hofften, daß sie nie wiederkäme.

»Ich glaube«, sagte die beste Ehefrau von allen, »man kann auch ohne Putzfrau auskommen. Es ist weniger anstrengend.«

Vorgestern hätten wir gepfändet werden sollen. Es erschien ein verschreckter Greis mit einem schwarzen Aktenkoffer, der ständig mit den Augen zwinkerte. Meine Frau versprach ihm stehenden Fußes hinzugehen, um die Sache in Ordnung zu bringen. Dann aber ging sie doch nicht hin. Vor allem deshalb, weil der Zwinkerer vergessen hatte, ihr zu sagen, woher er überhaupt kam.

Der Plattenspieler im Wohnzimmer begann wieder einmal zu streiken. Er spielte zwar noch, aber nur ganz langsam. Also brachte ich ihn zum Radiofachmann, der gerade eine Regatta segelte. Seine Frau sagte mir: »Er kommt Ende der Woche zurück, wenn er nicht wieder ertrinkt.«

Während sie mir das erzählte, bekam ich wegen falschen Parkens ein Strafmandat, gegen das ich keinen Protest einlegen konnte, weil ich es zusammen mit meinem Personalausweis verlor. Es war ein gewöhnlicher Alltag, wie gesagt.

Bei meiner Rückkehr fragte ich die beste Ehefrau von allen: »Wo sind die Zeitungen?«

»Ich habe dir doch gesagt, daß der Zeitungsjunge Migräne hat und erst am Ende der Woche wieder kommen kann. Du mußt dir deine Zeitungen schon selber holen.«

Ich holte mir lieber ein Glas Wasser. Die Leitung war noch nicht abgesperrt, wenigstens das nicht. Einige bunte Mahnungen flatterten von der Küchenvitrine. Wir sollten etwas gegen den Luftzug unternehmen, vielleicht den Balkon mit Glas verschalen. Aber wo, wenn überhaupt, bekommt man dafür eine Baugenehmigung? Keine Ahnung.

Auch die Rundfunkgebühr sollten wir bezahlen und die Hausratsversicherung, ganz zu schweigen von der Grundsteuer, sowie die Importbewilligungsgebühr für die Nudelmaschine, die wir dem Fiskus oder sonstwem schuldeten. Es erschien sinnvoll, mir am Nachmittag ein Paar strapazierfähige Schuhe anzuschaffen.

»Hast du etwas Geld?« fragte die beste Ehefrau von allen. »Ich muß die Fernsehantenne bezahlen.«

Vorgestern hat sie der Wind vom Dach geweht.

»Ich habe nicht einen Groschen«, teilte ich ihr mit. »Du wirst zur Bank gehen müssen. Wenn du schon in der Stadt bist, bring ein paar Patronen für den Syphon mit.«

»Geh lieber du. Ich muß Krach schlagen wegen dem Geschirrspüler.«

Irgendwo im Haus haben wir sicher die Garantiekarte. Da gibt es gar keinen Zweifel. Nur wo sie ist, wissen wir nicht. Wir bestellten einen Mechaniker, während wir die Rechnung suchten, aber er läßt sich gerade scheiden und kann erst im Juni nach der Hochzeit kommen.

Auch die Hypothek auf unser Haus wäre fällig. Wir fragten bei der Bank, wann wir das Geld für die Zwangsanleihe aus dem Jahr 1966 zurückbekämen, aber sie hatten keine Ahnung. Möglicherweise, sagten sie, zu Ostern oder übernächstes Jahr oder vielleicht am 2. Februar 1995.

Da wären noch die Bücher, die wir in die Bibliothek zurückbringen sollten. Wir kamen nicht einmal dazu, einen Blick hineinzuwerfen. Irgendwie hat man viel zu wenig Zeit zum Lesen. Sie haben uns schon die dritte Mahnung geschickt, diesmal in Rot.

Um die Mittagszeit bringe ich das Pipi meines Sohnes ins Labor, auf dem Rückweg lasse ich den Wagen für eine gründliche Motorwäsche in der Werkstatt und kaufe Batterien für den Transistor sowie eine Melone. Und einen gebrauchten Rasenmäher.

Noch was für heute?

»Ephraim«, sagte die beste Ehefrau von allen, »sollten wir nicht irgend etwas gegen die Inflation tun?«

»Gern, aber was?«

Ich hatte keine Ahnung.

»Eigentlich wollte ich unsere Pässe erneuern lassen«, informierte ich meine Gattin, »dann hatte ich vor, bei der Heeresverwaltung um eine Freistellung anzusuchen. Auch gegen Cholera muß ich mich noch impfen lassen. Leider schließt das Gesundheitsamt um elf und ist nur an ungeraden Tagen geöffnet. An geraden Tagen haben sie Malaria.«

»Das hat Zeit«, meinte die Beste. »Auf dem Rückweg mach einen Sprung in die Wäscherei. Du trägst seit zwei Wochen das gleiche Hemd.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Aber wer bringt die Katze zum Tierarzt?«

»Welche Katze?«

Sie hat recht. Wir haben gar keine Katze. Ich war ein bißchen durcheinander. Ich eilte zum Telefon und wollte die Feuerwehr anrufen, aber schon nach der ersten Zahl war die Nummer blockiert. Also setzte ich mich auf den Fußboden und aß den rosa Zettel. Den mit dem Straßenbelag.

»Was sitzt du da herum?« fragte die beste Ehefrau von allen. »Wir haben wieder eine Regierungskrise. Mach die Nachrichten an.«

»Unmöglich. Das Radio ist zusammengebrochen«, sagte ich. »Ich übrigens auch.«

»Wovon?«

»Keine Ahnung.«

Seither sitze ich am Küchenboden und kaue farbige Zettel. Die blauen sind noch immer die geschmackvollsten. Besonders wenn sie frisch sind.

Aus dem vorhergegangenen Tagesbericht läßt sich mühelos ableiten, daß der Schreiber dieser Zeilen einen wesentlichen Teil der Haushaltspflichten auf sich nimmt. Vorausgesetzt, daß er daheim ist und nicht im Ausland. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich Weltreisen so gern habe. Nicht, daß ich etwas gegen Männer im Haushalt hätte. Im Gegenteil, es gibt verschiedene Haushaltspflichten, die ich ehrlich mag, zum Beispiel einkaufen. Das war schon immer eines meiner geheimen Hobbys. Hin und wieder schlage ich meiner Frau am Frühstückstisch vor, daß sie aufs Finanzamt gehen soll, während ich den Kramladen an der Ecke aufsuche, um Vorräte einzukaufen. In der Regel akzeptiert sie mein Angebot; nicht etwa, weil sie an Steuerproblemen so interessiert ist, sondern weil sie auf dem Standpunkt steht, daß es Männersache ist, schwere Pakete nach Hause zu schleppen. Zugegeben, wenn ich einkaufen gehe, sind die Pakete besonders schwer. Ich bin einfach nicht in der Lage, Viktualien, egal in welcher Form oder Farbe, zu widerstehen. Speziell, wenn diese Viktualien Form und Farbe von Salami annehmen. Die meisten Ladenbesitzer erkennen meine Schwäche im Handumdrehen und nützen sie in der schamlosesten Weise aus.

Vor einigen Jahren gab es gegenüber von uns ein Delikatessengeschäft. Als ich dort zum ersten Mal einkaufen ging, ersuchte ich Joseph um 100 Gramm Mortadella.

»Gern, mein Herr«, sagte Joseph höflich, »150 Gramm Mortadella.«

Bevor ich noch gegen diese willkürliche Ausweitung meines Kaufgesuchs protestieren konnte, hatte er schon eine massive Portion der würzigen Kostbarkeit auf der Waage:

»Ein kleines bißchen über 200 Gramm. In Ordnung?«

»In Ordnung.«

»Genau genommen sind es 320 Gramm«, erklärte Joseph. »Was dagegen, wenn ich 400 Gramm abwiege? Nein? Hab‘ ich mir doch gleich gedacht. Wenn Sie sich bitte zur Kasse bemühen würden. Sie bezahlen genau ein halbes Kilo Mortadella.«

Nach sechs Monaten dieser Geschäftsbeziehung erreichten unsere Verkaufsgespräche einen Grad außerordentlicher Konzentration:

»Ich hätte gern 100 Gramm Limburger Käse«, teilte ich Joseph mit, worauf dieser den ganzen Block auf die Waage warf und mich fragte:

»Könnten es eineinhalb Kilo sein?«

Mit der Zeit haben Joseph und seine Brüder ihr Geschäft aufgegeben, oder besser gesagt, sie wurden von einem Riesensupermarkt verschlungen. Ich persönlich bin kein Freund von Supermärkten, vor allem deshalb, weil ich mir da drinnen immer vorkomme, als würde ich einen Kinderwagen schieben, eine Tätigkeit, die nicht unbedingt meiner Lebensphilosophie entspricht. Wir waren daher überglücklich, ich und die übrigen Ehemänner unserer Nachbarschaft, als der alte Petschik auf einem Ruinengelände hinter dem Supermarkt ein kleines Lebensmittelgeschäft eröffnete, um für die spärlichen Individualisten der Gegend eine Alternative zu bieten. Petschik und sein Kramladen haben sich über Nacht zum Lieblingsaufenthalt der vereinigten Ehemänner unseres Wohnblocks entwickelt.

Ich möchte nun ein aufwühlendes Erlebnis schildern, das mir bei Petschik zuteil wurde. Die beste Ehefrau von allen tritt zwar in diesem Ensemble nicht auf, aber ein Ehemann sollte doch auf gewisse Rechte in seinem eigenen Buch pochen dürfen. Abgesehen davon, gäbe es mich nicht, hätte sie selber zu Petschik gehen müssen.

Die folgende Geschichte kann also als eine Art von Umwelterforschung betrachtet werden, aber auch als Nebenerscheinung der Frauenemanzipation, oder beides oder keins von beidem oder vice versa, oder was weiß ich.

Es ist müßig zu sagen, daß »Chez Petschik« ein eher ungemütliches Etablissement ist, mit etlichen wirr eingeräumten Regalen innen sowie einigen Körben Obst und Gemüse davor. Daß dieses Mini-Unternehmen in unserer modernen Zeit überleben kann, ist vermutlich der Tatsache zuzuschreiben, daß Männer das Schlangestehen vor einer elektronischen Registrierkasse erniedrigend finden. Und bei Petschik gibt es keine Kasse, nur Petschik. Ein weiterer Vorteil gegenüber dem Supermarkt ist der absolute Mangel an Auswahl. Denn bei Petschik gibt es nur die allernötigsten Waren, und auch die nur am Wochenbeginn.

Der alte Petschik selbst ist Angehöriger eines aussterbenden Stammes: ein freundlicher Bulgare mit wenig Launen und vielen falschen Zähnen. Übrigens waren es die Zähne, die das Drama ins Rollen brachten.

Es war ein Morgen wie jeder andere. Herr Blum fischte eingelegte Gurken aus einer rostigen Blechdose, Dr. Shapiro, der Junggeselle, besprach mit Herrn Geiger, dem Wirrkopf, die Vor- und Nachteile diverser Waschpulver, und Frau Sowieso, als Repräsentantin des schwachen Geschlechts, vertiefte sich gerade in eine Tomatenkiste.

Da erschien der Fremde. Ein hochgewachsener, bebrillter Mensch mit einer rabenschwarzen Aktenmappe unterm Arm. Wir Stammkunden tauschten irritierte Blicke. Was will der hier, fragten wir uns, warum geht er nicht in den Supermarkt?

Der Fremde steuerte direkt auf Petschik zu und kommandierte:

»200 Gramm Trüffelpastete und 150 Gramm geräucherten Truthahn.«

Uns verschlug es die Rede. Wo glaubte der Mann denn zu sein, in einem Delikatessengeschäft?

»Hab‘ ich nicht«, sagte der alte Petschik scheuen Blicks, »keine Paste … kein Truthahn …«

Der Fremde hob eine Augenbraue.

»Kein Truthahn? Also, was haben Sie statt dessen zu bieten?«

»Eine Zahnbürste … bulgarischen Schafkäse …«

Der alte Petschik hat, wie erwähnt, viele falsche Zähne. Sowohl zu ebener Erde als auch im ersten Stock. Diese Zähne erzeugen den ungewollten Eindruck, daß er ständig lacht. Auch wenn ihm gar nicht danach zumute ist. Es sind einfach die Zähne.

»Also gut«, sagte der Fremde, »dann geben Sie mir eine Schachtel Camembert.«

»Hab‘ ich leider nicht … kein Kamberger …«, und wieder blitzten die großen falschen Zähne.

»Bier?«

»Nur Sodawasser.«

»Cola?«

»Nein.«

Der Fremde verlor die Beherrschung:

»Verdammt«, fluchte er, »was gibt‘s denn überhaupt in diesem Scheißladen?«

»Oliven«, murmelte der alte Petschik zitternd. »Petersilie …«

Seine ängstliche Verlegenheit förderte immer mehr lächelnde Zähne zutage. Der Fremde starrte ihn an.

»Sie!« knarrte er. »Können Sie mir sagen, was da so komisch ist?«

»Petersilie …«

»Ich frage, was ist an Petersilie so komisch?«

»Der Name«, griff ich ein. »Finden Sie nicht auch, daß er einen merkwürdigen Klang hat? Pe-ter-si-li-e …«

Ich mußte einfach in die Bresche springen. Der alte Petschik stand hilflos mit dem Rücken zum Heringsfaß, seine Augen fixierten in stummem Schrecken den Fremden, der ihn mit seiner Brille und der schwarzen Aktenmappe zu bedrohen schien. Unter uns Petschik-Fans entstand plötzlich echte Solidarität. Jeder von uns war bereit, dem Alten in seiner schweren Stunde beizustehen.

Der Eindringling wandte sich mir zu. Petschik seufzte erleichtert auf.

»Komisch?« bellte der Fremde. »Was soll an Petersilie komisch sein?«

Sofort eilte mir Geiger zu Hilfe.

»Sogar der Anblick von Petersilie ist komisch«, behauptete er, »erinnert irgendwie an einen winzigen Regenschirm, den der Sturm umgedreht hat.«

Herr Blum brach in ein irres Gelächter aus und holte ein Bündel besagten Krautes aus seiner Einkaufstasche, um den Fall zu demonstrieren.

»Bei uns daheim wird über Petersilie immer sehr gelacht«, teilte er mit. »Sie hat so einen kitzelnden Geruch …«

»Genau«, pflichtete Frau Sowieso bei, »Petersilie ist unheimlich amüsant.«

»Fürwahr«, nahm Shapiro das Stichwort auf, »der Ursprung des Wortes ist das altgriechische ›Petroselinon‹. Das bedeutet: ›einen Stein zum Lachen bringen‹.«

Der Fremde warf Shapiro einen zweifelnden Blick zu, aber offensichtlich konnte er nicht Griechisch.

»Wollen Sie uns weismachen«, schoß ich dazwischen, »daß Sie den epochemachenden Essay von Jones nie gelesen haben: ›Humor von Petersilie bis Peter Sellers‹?«

»Nein«, sagte der Fremde, sich an seine Aktenmappe klammernd, »ich glaube nicht …«

Es stellte sich heraus, daß er uns Profis wehrlos ausgeliefert war. Ich legte einen freundlichen Arm um seine Schultern und nahm ihn zur Seite, während sich der gesamte Petschik-Club um uns versammelte. Ich wage die Behauptung, daß es noch nie soviel Einigkeit unter Menschen gegeben hat – mit der möglichen Ausnahme von Präsident Sadat und Premier Begin.

»Im Mittelalter«, belehrte ich den Eindringling, »nannte man die Pflanze ›Kichergrün‹. Sie war eines der seltensten Gewächse der Welt. Die Monarchen Europas pflegten ein Bündel davon mit purem Gold aufzuwiegen.«

»Daher«, dozierte mein gelehrter Kollege Shapiro, »spricht man heute noch von ›petrifizieren‹, wenn man Werte für die Ewigkeit aufbewahren will.«

Der Fremde zerbröckelte vor unseren Augen.

»Ich«, stotterte er, »ich habe die einschlägige Literatur nicht gründlich durchgearbeitet …«

»Undenkbar«, rief ich, von kreativem Schaffensdrang beflügelt, »Sie müssen doch zumindest den populären Vers kennen: ›Frau Wirtin pflanzte eine Lilie,/ doch was dann wuchs, war Petersilie./ Was konnte man da machen?/ Die Wirtin samt Familie,/ sie wälzte sich vor Lachen …‹«

»Natürlich«, Geiger trat wieder in Aktion, »kennen Sie die klassische Anekdote, wie sich zwei Petersilien in der Eisenbahn treffen …«

Der Fremde brach zusammen.

»Verzeihung«, murmelte er, »ich hab‘ eine dringende Verabredung …«

Er ergriff die Flucht.

Wir waren wieder allein mit Petschik und seinen mißverstandenen Zähnen. Der Alte – Gott segne ihn – blickte verständnislos in die Runde. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, worum es hier gegangen war.

»Weißt du was, Petschik«, sagte ich, »jetzt will ich schon so ein Bündel ›Kichergrün‹.«

Alle schüttelten sich vor Lachen. Frau Sowieso kamen sogar die Tränen. Die Wände wackelten, die Nachbarschaft wurde munter …

Vielleicht ist wirklich etwas Wahres daran, daß Petersilie komisch ist.

Ich möchte hier ausdrücklich klarstellen, daß ich nicht der einzige Einkaufsnarr in der Familie bin. Die Leidenschaft einzukaufen hat auch die beste Ehefrau von allen befallen, sogar in noch gefährlicherem Maße als mich.