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Inhaltsverzeichnis

Widmung
Inschrift
ERSTER TEIL - HIMMEL
1 - »DA KOMMT GOTT - TUT SO, ALS WÄRT IHR BESCHÄFTIGT!«
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
ZWEITER TEIL - NEW YORK CITY
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
DRITTER TEIL - ROADTRIP
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
VIERTER TEIL - LOS ANGELES
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
FÜNFTER TEIL - PARADISE, TEXAS
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
SECHSTER TEIL - NACHSPIEL
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Copyright

1

»DA KOMMT GOTT - TUT SO, ALS WÄRT IHR BESCHÄFTIGT!«

DAS STEHT AUF DEM ZERFLEDDERTEN AUFKLEBER, DER an dem Metallschrank neben dem Wasserspender klebt. Aber heute ist es kein Witz: Gott kommt wirklich, und die Leute geben sich auch alle Mühe, beschäftigt zu wirken. Raphael und Michael lungern vor der blubbernden Glaskuppel herum. Indem sie geschäftig mit Papieren hantieren, bedienen sie sich eines uralten Büro-Tricks, der in grauer Vorzeit konzipiert wurde, um dem unterbeschäftigten Angestellten einen Anstrich von Zielstrebigkeit zu geben. Im Unterschied zum zwanglosen Geplauder, das die beiden Engel noch letzte Woche hier am Wasserspender so genossen haben, ist ihre Unterhaltung abgehackt und hastig, ihr Ton klingt gedämpft, begleitet von nervösen Blicken den Flur hinab.

»Wann kommt der Alte zurück?«, fragt Raphael.

»Muss jeden Moment so weit sein. Jeannie sagte was von ›später Morgen‹«, erwidert Michael, ohne seinen Freund anzusehen. Er konzentriert sich auf den Spender, betätigt den Hebel fürs Wasser, woraufhin eine große Blase gluckernd in dem Behälter aufsteigt.

»Mist. Glaubst du, dass Er angepisst sein wird?«

»Angepisst?« Michael denkt darüber nach und nippt an seinem Wasser, während er seinen Blick durch das Zentralbüro schweifen lässt.

Das Zentralbüro im Himmel sieht aus wie jedes andere Großraumbüro auch: hüfthohe Trennwände, Schreibtische mit Ablagekörben darauf, Telefone, Papierkörbe, Fotokopierer und Regale voller Akten. Doch es gibt auch Unterschiede: Im Himmel finden sich natürlich keine Neonröhren. Vielmehr ist alles von reinstem himmlischem Licht überzogen, durchflutet, durchdrungen - wie immer man es nennen will. Dem jungfräulichen Licht eines perfekten Morgens im Mai. Auch wenn heute aus naheliegenden Gründen eine gewisse unterschwellige Unruhe zu verspüren ist, herrscht dort gewöhnlich eine freudige, konzentrierte, enthusiastische Arbeitsatmosphäre, denn im Zentralbüro des Himmels ist es – wie könnte es anders sein – immer Freitagnachmittag. Noch so ein kleiner Unterschied: Die Bienenwaben aus Trennwänden und Schreibtischen reichen, so weit das Auge sieht; umgeben von watteartigen Wolkenfetzen erstrecken sie sich bis zum Horizont. Manch einen mag es vielleicht überraschen, zu erfahren, dass im Himmel gearbeitet wird, aber das war eine von Gottes genialsten Direktiven – und geniale Direktiven sind Gott alles andere als fremd. »Die Leute wollen arbeiten«, hatte Er zu Petrus gesagt. »Scheiße, die Leute müssen sogar arbeiten. Schau dir die Langzeitarbeitslosen an. Oder diese steinreichen Nichtstuer. Sehen die für dich vielleicht glücklich aus?« Weshalb jeder im Himmel, der einen Job will – und das sind die meisten –, auch einen bekommt.

Michael trinkt den Becher leer und schließt verzückt die Augen, als die letzten Tropfen seine Kehle hinunterrinnen. Das Wasser im Himmel ... nun, Sie können es sich ja vorstellen.

»Angepisst?«, wiederholt Michael. »Scheiße, Er wird ausrasten

 

Selbst Jeannie, Gottes persönliche Assistentin, die sonst durch nichts zu erschüttern ist und normalerweise wie ein Schachgroßmeister fünfzehn oder zwanzig Züge vorausplant, selbst Jeannie ist heute Morgen ein klein wenig gereizt. Sie ist Anfang vierzig, war früher wahnsinnig attraktiv, jetzt nur noch sehr. »Nein, Seb«, herrscht sie einen ihrer beiden Assistenten an, »Er will es chronologisch. Stell diese Kisten da vorn hin.« Jeannie bereitet in Gottes Vorzimmer eine Rückschau der letzten gut vierhundert Jahre auf Erden vor. Da kommt eine Menge Zeug zusammen: Kartons mit Akten, Papieren und DVDs stapeln sich auf einer endlos langen Trolley-Schlange. Allein die Wagen voller CDs reihen sich meilenweit aneinander: Aufnahmen des gesamten irdischen Musik-Outputs aus vier Jahrhunderten.

Sebastian zankt sich mit Lance, Jeannies anderem Assistenten. »Nein, du dumme Kuh! Die da gehören zu denen da drüben, wenn ...«

»Ach du meine Güte, jetzt hör sich mal einer die an!«, erwidert Lance, eine Hand auf die Brust gepresst. Es ist schwer zu sagen, wer von beiden tuntiger ist.

Als es darum ging, Personal fürs Allerheiligste zu rekrutieren, hatte Jeannie eines sehr schnell begriffen. Etwas, das sie auf Erden anscheinend falsch verstanden haben: Gott liebt Schwuchteln.

»Weil, Dummerchen, Jeannie nämlich gesagt hat, es soll chronologisch sein!« «

»Ach komm, sei lieb!«, sagt Lance und bedeutet ihm mit einem affektierten Winken, sich zu trollen. »Ich hab bloß versucht, das hier zu verstecken.« Er hält eine mit KATHOLISCHE KIRCHE: NEUZEIT gekennzeichnete Akte in die Höhe. »Glaubst du, Er will so was lesen? Also, ich bitte dich.«

»Kommt schon, ihr zwei, vertragt euch«, geht Jeannie dazwischen, als ihr Telefon klingelt. »Seht einfach zu, dass ihr vorwärtskommt. Und es hat gar keinen Zweck, irgendwas zu verstecken. Er wird das alles lesen.« Dann sagt sie ins Telefon: »Jep?« Jeannie hört einen Augenblick zu. »Ah-ha. Jep. Okay.« Sie legt den Hörer zurück. Seb und Lance blicken sie erwartungsvoll an.

»Er ist auf dem Weg«, sagt Jeannie.

 

Gott schreitet den Mittelgang des Hauptbüros entlang, strahlend, Schultern klopfend, Hände abklatschend, hier ein Hallo, da ein Hallo, bleibt stehen, um mit den Leuten in ihren Bürowaben zu reden. Auf Erden würde man Ihn wohl für Mitte Fünfzig halten, und Er ist ... attraktiv erfasst es nicht einmal annähernd. Ein gottverdammter Herzensbrecher mit Filmstarqualitäten ist Er. Sein Haar, früher schwarz wie Motoröl, ist jetzt von silbernen Strähnen durchzogen. Silberne Stoppeln auch in Seinem Siebentagebart. Und diese Augen: so hell, strahlend blau, das Blau des seichten Wassers in einer tropischen Lagune an einem Sommertag zur Mittagsstunde. Nach einem kurzen Plausch nimmt Gott Seine Angelrute und geht weiter den Korridor entlang.

Er trägt Freizeitkleidung: kariertes Hemd, eine Baumwollweste, in deren Taschen Er allerlei Krimskrams gestopft hat, auf dem Kopf einen abgenutzten Schlapphut, an dem leuchtend bunte Anglerfliegen und Köder stecken. In der einen Hand hält Er Angel und Angelkasten, in der anderen baumeln drei fette, perfekt gesprenkelte Forellen an einer durch die Kiemen gezogenen Schnur.

»Hi, Markus!«, ruft Gott dem schwarzen Jungen aus dem Postraum zu. »Wie steht’s, mein Sohn?«

»Steht wie ’ne Eins, Boss!«, erwidert Markus und greift sich zwischen die Beine. Gott lacht. Gott liebt die Schwarzen.

Er schwingt die Tür zu seinem Vorzimmer auf. »Schätzchen, ich bin zu Hause!«, sagt Er und knuddelt Jeannie, mit der Er für sein Leben gern flirtet.

»Willkommen zurück, Herr!«, begrüßt ihn Jeannie.

»Habt ihr mich vermisst?«

»Und ob wir das haben.«

»Hi, Leute«, begrüßt Gott Seb und Lance. »Wie läuft’s?«

»Bestens!«, strahlt Seb, nervös.

»Hey«, sagt Lance und fährt mit der Hand über Gottes schäbige Baumwollweste, »todschickes Outfit. Eigentlich steh ich ja nicht auf John Deere, aber das hier ...«

Gott lacht. »Was du nicht sagst.«

»Und wie war Euer Urlaub?«, fragt Jeannie.

»Oh, fantastisch. Einfach fantastisch. Du hattest völlig Recht. Bis zu meinem nächsten Urlaub werd ich nicht wieder so lang warten.«

»Mmmm.« Beim Gedanken daran, wie schnell sich Seine Ansicht vermutlich ändern wird, lächelt Jeannie gequält. Es tut ihr weh, Ihn in so guter Stimmung zu sehen, wo sie doch weiß, dass Ihm die bald gründlich verhagelt wird.

»Oh, hier ...« Gott hält die Forellen hoch und reicht sie ihr. »Für dich. Pinsel sie einfach mit ein wenig Butter ein und würz sie mit Salz und Pfeffer. Danke, Seb«, sagt Gott und nimmt den dampfenden Kaffeebecher mit der Aufschrift ICH BIN DER Boss entgegen. »Schieb sie bei 180 Grad für fünfzehn Minuten in den Ofen. Wenn sie fertig sind, gib etwas Zitronensaft darüber. Mmmm!« Gott küsst sich die Fingerspitzen. »Ich hab sie die ganze letzte Woche frisch aus dem Fluss zubereitet. Na schön, was hab ich verpasst?«

»Nun ja«, sagt Jeannie, während sie in Gottes Büro vorausgeht. Sie öffnet die Schwingtüren: Das Büro hat die Größe eines Fußballfeldes und ist zugebaut mit Kartons, die sich zu regelrechten Skylines stapeln.

»Ach du Scheiße«, sagt Gott und pustet in seinen Kaffee. »Die da unten sind aber ganz schön fleißig gewesen, was?«

»Mmm-hmmm«, nickt Jeannie, Seinem Blick ausweichend. »Also, ein Großteil des älteren Zeugs befindet sich in diesen Akten, die aktuelleren Daten auf Disketten, CDs, Videobändern und auf Eurer Festplatte.«

»Bitte was

Gott lernt schnell. Schneller als jeder andere. Unter Jeannies Anleitung braucht Er vielleicht anderthalb Tassen Kaffee, bis Er all diese Technologien im Griff hat, die aufgekommen sind, seit Er sich Urlaub genommen hat: Telefone, E-Mail, Computer, CDs, DVDs, Fernsehen und Ähnliches. Kurz beschäftigt Er sich sogar mit dem Faxgerät, einer inzwischen überflüssigen Technologie des 20. Jahrhunderts. All das coole Zeug, das es bei Seinem Aufbruch noch nicht gab. Emsige kleine Kreaturen. Als Er sich über Videospiele informiert, genießt Er die Daddelei als willkommene Abwechslung: Fassungslos darüber, dass sie nach Donkey Kong ein Vierteljahrhundert gebraucht haben, um Halo 3 zu entwickeln, spielt Er Letzteres in sieben Minuten durch.

Gott steht auf, streckt sich und begutachtet mit einem kritischen Blick die haushohen Kartontürme sowie die auf dem Bildschirm Seines neuen Laptops blinkenden Ordner. »Jeannie«, fragt Er dann, »wird mir das Kummer bereiten?«

»Nun, ich würde sagen, das ist eine berechtigte Annahme, Herr.«

Gott macht ein paar Schritte, stellt Seinen Kaffeebecher auf einem Pappkarton ab und greift willkürlich nach einer Akte. Sie ist mit 18. JAHRHUNDERT: SKLAVENHANDEL beschriftet. Häh? Sklaverei war Gott ein Begriff, bedauerlicherweise. Diese barbarischen Pharaonen waren ganz verrückt danach gewesen. Aber Sklavenhandel? »Was zur Hölle ist ›Sklavenhandel‹?«, fragt Gott und öffnet stirnrunzelnd die Akte.

»Ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir Euch etwas Zeit geben, das alles durchzuarbeiten«, sagt Jeannie.

2

ERLAUBEN SIE MIR AN DIESER STELLE EINE KURZE ANMERKUNG zum Unterschied zwischen himmlischer Zeit und irdischer Zeit. Die Zeit vergeht zwar auch in der Ewigkeit, aber langsamer. Sehr, sehr viel langsamer. Ein Tag im Himmel verstreicht ungefähr mit der Geschwindigkeit von 57 Erdenjahre. Seinen ersten und – bis letzte Woche – einzigen Urlaub machte Gott vor 4,6 Milliarden Jahren, in der Erdurzeit. Damals gab es noch keinen Sauerstoff, und die Erde war kaum mehr als eine flüssige Kugel, so frisch, dass sie noch dampfte. Der Urknall lag höchstens zehn Milliarden Jährchen zurück und war, wie konnte es auch anders sein, weiter nichts als ein blödes Missgeschick gewesen. Gott liebt es, sich morgens zur Entspannung einen durchzuziehen, aber mitunter bereut Er die Resultate. Hammerhaie? Schnabeltiere? Der Pavianarsch? Ganz ehrlich, wer würde den nicht zurückstutzen wollen? Bis zur Entstehung der Ozeane sollte es noch Tausende von Jahren dauern. Da kann man sich doch wohl mal eine kleine Auszeit nehmen, nicht wahr?

Als Gott diesmal Seinen einwöchigen Urlaub antrat, schrieb man auf der Erde gerade das Jahr 1609, es war die Hochzeit der Renaissance, eine Epoche, die ihm enorme Freude bereitete. Das Zeitalter von Kopernikus, Michelangelo, da Vinci. Was gibt’s daran auszusetzen? Als Er aufbrach, sich die Angelkiste unter den Arm klemmte und unbeschwert den Schlapphut aufs Haupt setzte, wurde in London gerade King Lear uraufgeführt, während Bacon auf der anderen Seite der Stadt an da Sapientia Veterum Liber arbeitete. El Greco malte, mit konzentriert an die Oberlippe gepresster Zunge und zitterndem Pinsel, Das fünfte Siegel der Apokalypse. Durch den Prototyp seines Teleskops blinzelnd, fiel Galileos Blick zum ersten Mal auf die vier Mondtrabanten des Jupiters. Monteverdi hatte gerade die Komposition von L’Orfeo vollendet. Ein idealer Zeitpunkt, um angeln zu gehen, wie Gott befand.

Als Er gut erholt und mit einem Bündel Forellen unter dem Arm von Seinem Trip in die entlegene himmlische Provinz zurückkehrte, waren ziemlich genau vierhundert Jahre verstrichen. Auf der Erde schrieb man nun das Jahr 2011. Wie wir wissen, waren die letzten vier Jahrhunderte nicht gerade ereignisarm verlaufen ...

Gott liest schnell. Schneller als jeder andere. Er ist imstande, Tausende dicht beschriebener Dokumente beinahe simultan zu erfassen, während Er sich gleichzeitig Videos und DVDs ansieht und sich durch die Ordner auf Seinem Rechner klickt, die die Informationen über den jüngsten Abschnitt jener Zeit enthalten, die Er verpasst hat. Gott braucht den ganzen Morgen und einen Teil der Mittagspause, um sich auf den neuesten Stand zu bringen. Rasend schnell erweitert Er Sein geografisches Wissen um eine Sturzflut unheilvoller Orte: Auschwitz, Buchenwald, Bergen-Belsen, Guantanamo, Belfast, Kambodscha, Vietnam, Flandern, Ypern, Nagasaki, Hiroshima, Ruanda, Bosnien. Von Zeit zu Zeit schrecken Jeannie, Lance und Seb hinter ihren Schreibtischen auf, wenn sie Sein gedämpftes Heulen und Schreien vernehmen.

Als Er sich durch das 20. Jahrhundert arbeitet – wobei Er regelmäßig innehalten muss, um sich zu übergeben –, erfährt Gott von befremdlichen, völlig neuartigen Konzepten, von Kapitalismus und Kommunismus. Von nuklearer Abschreckung und dem Gleichgewicht des Schreckens. Vom militärisch-industriellen Komplex. Von Abtreibungsgegnern und Nulltoleranz. Von hochverzinslichen Risikoanleihen und Blankoverkäufen. Von Immobilienblasen und negativem Eigenkapital. Fatwa und Jihad. Ethnischen Säuberungen und Rückführungen. Er sieht Fotos, aufgenommen in heißen, staubigen Winkeln arabischer Länder: zwei schwule Jungs, erhängt. Eine Ehebrecherin, flehend, bis zu den Schultern im Sand eingegraben, nur ein paar Meter entfernt ein Mob von Männern, grobe Steine in den Händen, die sie prüfend abwägen. Er wendet sich dem Computer zu und klickt auf dem Desktop einen Ordner mit der Bezeichnung ISLAMISCHER FUNDAMENTALISMUS: ÜBERZEUGUNGEN UND BRÄUCHE an. Mmm, etwas namens TALIBAN. Okay, was hat es mit diesen Typen auf sich? Sieht ganz so aus, als würden sie vor allem mit ihren abstrusen Monsterbärten protzen ...

Ein paar Minuten später hört Jeannie durch die schweren, kathedralengroßen Türen gedämpfte Schreie und Flüche. Gegenstände werden umgetreten.

Gott liest über die Burka und den Hidschab. Wenn Er die schräge Logik dieser Typen richtig versteht, lautet deren Argument in etwa so: Alle Männer sind im Grunde genommen latente Vergewaltiger, die man nicht provozieren darf, nicht einmal durch das Aufblitzen eines Knöchels. Also müssen die Mädels von Kopf bis Fuß in schwarze Säcke gehüllt herumlaufen. Alle Frauen wiederum sind prinzipiell mannstolle Huren, die rund um die Uhr auf einen Fick scharf sind. Wenn sich also eine von ihnen an einen guten, aufrichtigen, verheirateten Mann ranschmeißt, indem sie beispielsweise schamlos ihr, sagen wir mal, blankes Knie enthüllt, und er daraufhin kapituliert und sie vögelt, dann ist es nur angemessen, sie dafür buchstäblich zu Tode zu steinigen – wobei die Männer einen Kreis bilden und ihr aus nächster Nähe mit aller Wucht Steine an den Kopf werfen –, während der beteiligte Kerl mit einem Strafzettel davonkommt. Gott liest weiter, eine Liste der Dinge, mit denen diese Taliban-Typen entschieden nichts zu tun haben wollen: Schweinefleisch, Schweine, Schweinefett, Echthaarprodukte, Satellitenschüsseln, Kinematografie, Musik und Geräte, die dem Musikgenuss dienen, Billardtische, Schach, Masken, Alkohol, Videokassetten, Computer, Videorekorder, Fernseher, alles, was Sex propagiert, Wein, Hummer, Nagellack, Feuerwerkskörper, Statuen, Handarbeitskataloge, Bilder und Weihnachtskarten.

Handarbeitskataloge?

Er liest über die Hinrichtung von Homosexuellen. Das Steinigen und Auspeitschen von Menschen für ... nun, eigentlich für so gut wie nichts. Über ein sechzehnjähriges Schulmädchen, das für etwas gehängt wurde, das sie »Verbrechen gegen die Keuschheit« nennen.

Dann, um einen ausgeglichenen Blick bemüht, sieht Er sich einen flüchtigen Abriss der populärsten amerikanischen Fernseh-Shows an. Ein regelrechter Gangbang pseudo-dokumentarischer Possen: abgeschmackter Über-Nacht-reich-und-berühmt-Quatsch. Und für einen winzigen Augenblick hat Er eine Vision, wie sich diese Taliban-Typen fühlen müssen: Du hockst da, in deine Höhle gepfercht, mit deinem AK-47 und einer Schale voller grauer, stinkender Pampe, und fantasierst darüber, eine Ziege zu ficken, während du dir Amerikas neueste Top-Schlampe trifft die Kardashians reinziehst. Gott verspürt instinktiv das Bedürfnis, das Fernsehen eigenhändig zu verbieten.

Ein Mittags-Snack, bestehend aus zwei Fingerbreit Single Malt und einem fetten Joint, hilft Ihm dabei, auch noch die jüngste Vergangenheit zu überstehen: Abholzung der Regenwälder. Globalisierung. Kollateralschaden. Markenbewusstsein. Marketing. Product-Placement. Unternehmenssponsoring. Geplanter Verschleiß. Republikaner.

Den Rest der Mittagspause weint Gott bitterlich.

 

Im Vorzimmer hat Jeannie die Jungs in die Pause geschickt. Sie beißt sich auf die Lippe, während sie Seinem Schluchzen lauscht, einem Geräusch, das sie noch nie zuvor gehört hat. Denn abgesehen von Seinem geselligen, liebenswürdigen Auftreten ist Gott durch und durch oldschool: ein harter Bursche. Ein ganzer Mann. Dann wird es für eine lange Zeit still.

Als Gott die Türen aufreißt, hat Er sich wieder gesammelt. Nur ein leichtes Kratzen in Seiner Stimme könnte einen Hinweis darauf geben, was eben geschehen ist. Jeannie blickt zu Ihm auf und schluckt. Jetzt wirkt Er nicht mehr untröstlich, sondern sieht nur noch sehr, sehr wütend aus. Was eigentlich ein gutes Zeichen ist, findet Jeannie.

»Jeannie«, sagt Gott mit sanfter Stimme, in Seinem Zorn erstaunlich ruhig und kontrolliert, »wo steckt der kleine Mistkerl? «

3

ES IST SO EINE, ÄH, SO EINE ART DIP, VERSTEHST DU? Ungefähr wie Baba Ganoush? Ich glaube, es sind Kichererbsen drin, vielleicht ein wenig Kreuzkümmel, Zitronensaft, Zwiebeln und, äh, hier ...«

Jesus nimmt einen kräftigen Zug von dem Joint und gibt ihn zurück. Das Gras im Himmel – nun, Sie können es sich ja vorstellen. Ich nehme an, Sie haben eine ungefähre Idee von dem Stoff, den Gott für uns hier unten reserviert hat, richtig? Scheiße, gegen das Zeug da oben können selbst Thai-Sticks nicht anstinken.

»... und, äh, Knoblauch. Aber es schmeckt nicht so wie dieses knofige Zeug, bei dem man sofort denkt: Oh Mann, da ist aber ’ne Menge Knoblauch drin. Es ist mehr so eine Andeutung. Sie streichen es auf diese superdünne, geröstete Pita, und es schmeckt wie ... ohhh Mama!«

»Scheiße, Mann«, sagt Jimi, der jetzt seinerseits kräftig an dem Joint zieht, »hör gefälligst auf damit! Du machst mich hungrig.«

»Ich sag’s dir, Alter, ich hab es da unten ein paarmal gegessen. Der Nahe Osten, das ist essenstechnisch so ’ne total unterschätzte Gegend. Ich, Kacke, ich bin ...« Während er mit glasigem Blick in die dichten blauen Schwaden des Marihuanarauchs starrt, entgleist der Zug seiner Gedanken und rauscht den Hang hinab.

Stoned? Dicht? Zugeballert? Total drauf? Hammerbreit? Völlig verstrahlt?

Nein.

Jesus ist regelrecht hirngefickt.

Sie liegen ausgestreckt auf dem Boden, um sie herum verstreut die üblichen Utensilien: eine Kühlbox voll Bier, Aschenbecher, Pfeifen und Bongs, ausgedrückte Joints, zerrissene Zigarettenpäckchen, Pizzakartons, Verstärker und Kabel. Jimi wiegt seine weiße Fender Stratocaster in den Armen. Jesus’ Gibson SG aus Palisanderholz ruht hinter ihm auf einem Kissen. Schon rein äußerlich kommt Jesus in vielerlei Hinsicht nach seinem Vater: Auch er ist groß, knapp über eins neunzig und verdammt gut aussehend, mit seinen meerblauen Augen – die gerade zugegebenermaßen stark gerötet sind. Allerdings hat er dichtes, blondes Haar, so lang, dass es ihm bis auf die Schultern fällt. Geistesabwesend schlenzt Jimi ein kleines Riff ganz oben auf dem Griffbrett, der letzte Ton verhallt in den Wolken um sie herum.

»Wow«, sagt Jesus. »Wie machst du das?«

»Ist bloß ein kleines Bluesthema, Mann.«

Jesus greift nach seiner Gitarre, und Jimi zeigt ihm die Griffe. Es gibt nichts, was Jesus lieber tut, als mit Jimi herumzudaddeln. Ohne Frage finden sich noch einige andere großartige Gitarristen hier oben. Oh Mann, Roy Buchanan bringt die Telecaster regelrecht zum Weinen, doch Roy kann ziemlich, nun ja, launisch sein. Jimi dagegen ist so ein netter Kerl. Hendrix wiederum sieht in Jesus einen überaus vielversprechenden Schüler, einen mehr als fähigen Rhythmusgitarristen mit einem echten Händchen für kantige, schrille Solo-Ausbrüche. Und der Typ hat auch noch eine Spitzenstimme, daran gibt’s nichts zu rütteln. Nach ein paar Versuchen beherrscht Jesus das kleine Riff aus dem Effeff. »Und wenn du in, sagen wir mal, Moll spielst«, sagt Hendrix, »brauchst du nur ...«

Während jeder der beiden das Riff an einer etwas anderen Stelle des Halses greift, stimmen und schwingen die zwei Gitarren sich mehr und mehr aufeinander ein. Sie haben den Dreh beinahe raus, als Lance sich materialisiert. Mit einem einzigen Blick registriert er die Wolken süßen Qualms, die Überbleibsel einer weiteren, mit reichlich Dope garnierten Jamsession, und die vernebelten kleinen Augen des im Zentrum dieses Chaos logierenden Pärchens. »Oh. Mein. Gott!«, sagt Lance. »Hier sieht’s ja aus, als hätten sich ein paar zugekiffte Teenager ordentlich ausgekotzt.«

»Hi, Lance«, begrüßt ihn Jesus, »willst du ’n Bier?«

»Oh, Bier! Wie macho ist das denn bitte!«, erwidert Lance und klatscht in die Hände. »Nein danke. Wenn ihr mich fragt, ist es für Cocktails noch ein wenig zu früh. Dein Vater will dich sehen.«

»Oh Mist, das hab ich ganz vergessen. Er ist heute zurückgekommen, oder?«

»Zurück und alles andere als entzückt, Süßer.«

»Okay, richte Ihm aus, dass ich gleich da bin.«

»Ähm, nichts für ungut, aber ich glaube, Er meinte sofort. Wie in jetzt sofort.«

»Ach Scheiße.« Jesus löst den Gurt der Gibson und nimmt einen letzten Zug. Lässig erhebt sich seine schlaksige Gestalt aus dem Sitzsack. »Bis nachher, Jimi.«

»Sei lieb«, sagt Hendrix.

»Aber immer.«

 

Gott hebt den Blick und sieht, wie Jesus hereinschlendert, während Jeannie die Türen hinter ihm schließt. »Dad«, ruft Jesus mit ausgebreiteten Armen. »Wie war’s? Haben die Fische angebissen?«

Vater und Sohn schließen einander in die Arme, der Sohn riecht Forelle und alten Schweiß – Gott hatte seit Seiner Rückkehr noch keine Zeit, sich umzuziehen –, während der Vater den Geruch von Bier, Peperoniwurst und den süßen Duft sehr guten Dopes identifiziert. »Sohnemann!«, ruft Er voller Freude, »setz dich doch! Wie ist es dir ergangen?«

»Oh, großartig, einfach großartig.«

Jesus setzt sich in den Sessel, der dem Schreibtisch seines Vaters am nächsten steht, und schwingt seine nackten Füße auf die Tischkante.

»Das freut mich, freut mich wirklich«, sagt Gott strahlend. »Was hast du so getrieben?«

»Ähm, du weißt schon, rumhängen, chillen, relaxen.«

»Hast es ruhig angehen lassen, was? Ist doch spitze.«

»Na ja, ich hab Gitarre gespielt, ’n bisschen Golf. Ein paar Tütchen geraucht.«

»Ja? Du siehst ein wenig dehydriert aus, mein Sohn, kann ich dir was zu trinken anbieten? Ein schönes Glas Wasser oder so?«

»Oh ja, das wär cool, danke. Weißt du, du siehst gut aus, Dad.« Während er Jesus den Rücken zuwendet, schüttet Gott Wasser aus einer Karaffe in ein Glas. Das Wasser hat eine rostbraune Farbe mit dickem Bodensatz. Gott schirmt das Glas mit einer Hand ab, während Er es zu Jesus hinüberträgt. »Du siehst aus, als hättest du ein wenig Sonne abbekommen«, sagt dieser.

»Tatsächlich?«

»Oh ja, Jeannie hatte völlig Recht. Du solltest dir öfter mal freinehmen.« «

»Findest du?«, fragt Gott und reicht Jesus das Wasser.

»Scheiße, ja. Gönn dir hin und wieder auch mal etwas Zeit für dich selbst. Du müsstest ...«

»Mmmm.« Lächelnd beobachtet Gott, wie Jesus nach einem tiefen Schluck hastig das Glas absetzt.

»Ihhhhh-bähhhh!« Würgend spuckt Jesus das Wasser quer durch den Raum. »Was zur Hölle ist ...«

»DAS IST EINE WASSERPROBE, DIE HEUTE NACHMITTAG DEM GANGES ENTNOMMEN WURDE!«

»Das ist ... äh ... was?«

»WÄHREND DU AUF DEINEM TRÄGEN ARSCH LIEGST, DU FAULER KLEINER SCHEISSER, MISSBRAUCHEN DIE DA UNTEN DIESEN FLUSS ALS IHRE BESCHISSENE TOILETTE!«

Gott mit guter Laune? Der liebenswürdigste Onkel, den man sich erträumen kann. Jack Lemmon oder Jimmy Stewart auf Zolpidem. Gott angepisst? Der Präsident eines Hollywood-Studios nach einem miesen Startwochenende. Joel Silver oder David Geffen auf Crack.

Im Vorzimmer vergraben die Leute die Köpfe in ihren Unterlagen. Es ist hart für sie. Alle haben Jesus gern.

»Ich ... ich ...«

»Komm her. Los. Kommst du her!« Gott packt Jesus am Ohr – »Au! Au! Au! Au!« – und zerrt ihn auf eine riesige weiße Tafel zu, auf die Er verschiedene Schlagworte aus Seinem Briefing geschrieben hat. »Sie benutzen den Regenwald als gottverdammtes Holzlager. In der Ozonschicht ist ein Loch – EIN VERFICKTES LOCH –, so groß wie mein Schwanz! Und die Ozeane ... die wenigen Fische, die es darin noch gibt, haben sie auf eine Zwangsdiät aus Kloake, Rohöl und alten Kühlschränken gesetzt.« Gott lässt los, und Jesus taumelt zurück, reibt sich das Ohr. »Ich, Dad ...«

Gott hebt einen Finger. Jesus verstummt, drohend nähert sich Gottes Finger seinem Gesicht. »Und das ist nur der Öko-Kack. Moralisch, ich ... ach Scheiße, hast du auch nur den leisesten Schimmer, wie tief diese Menschen in moralischer Hinsicht inzwischen gesunken sind? Selbst auf einem Kongress von Vergewaltigern und Wucherern würde man mehr Sitte und Anstand vorfinden.«

»Aber Dad, du weißt doch, dass ich selbst noch gar nicht so lange zurück bin!« Womit er irgendwie Recht hat. Zweitausend Jahre: nach himmlischer Zeitrechnung gerade mal ein Monat.

»Du konntest also nicht hin und wieder mal nach dem Rechten sehen? Weißt du, was dein Problem ist? Du bist inkompetent, faul und nicht bei der Sache. Du glaubst, du könntest dich mit ein paar freundlichen Worten und einem albernen Grinsen durchs Leben schlawinern. Du hast noch nie ... «

Gott fuhr fort mit seiner elterlichen Standpauke. Junge, Junge, dachte Er, als Er sich selbst Worte wie »Verantwortlichkeit«, »Selbstdisziplin« und »Geisteshaltung« sagen hörte, klang diese Rede abgegriffen. Könnten wir nicht wenigstens hier im Himmel irgendwann an einen Punkt in unserer Entwicklung gelangen, an dem es nicht mehr nötig wäre, seinen Kindern Vorträge wie diesen zu halten? Alle anderen hatten den Jungen in ihr Herz geschlossen. Verlangte Er von Seinem eigen Fleisch und Blut einfach zu viel?

Als Er schließlich bemerkt, dass Jesus mit den Tränen ringt, atmet Gott einmal tief durch, hält einen Augenblick inne und kommt dann hinter dem Schreibtisch hervor, um sich an Jesus’ Seite auf die Tischplatte zu setzen. Sein Ton wird sanfter. »Versteh mich bitte nicht falsch, du hast dir ein bisschen Erholung mehr als verdient, gar keine Frage. Aber ich dachte, du würdest, weißt du ... ein wenig auf den Laden aufpassen, während dein alter Herr nicht in der Stadt ist.«

»Es ist ja nur ... die Leute aus dem 20. Jahrhundert, die ich kennengelernt habe, schienen alle ganz cool drauf zu sein.«

Gott seufzt. »Du bist im Himmel, Dummerchen. Natürlich sind sie cool drauf. Und außerdem siehst du in den Menschen eh immer nur das Beste.«

Für einen kurzen Moment starren Vater und Sohn schweigend auf die Tafel, die ungeheuerlichen Fakten und Ziffern, die Namen und die verschiedenen Fotos, die Gott an die weiße Fläche geheftet hat: die Stapel nackter, skelettartiger Leichen hinter Stacheldraht; die Kinder mit den geschwollenen Bäuchen, die auf Beinen, so dünn wie Pfeifenreiniger, ihre leeren Schüsseln umklammern; ein monströses Atom-U-Boot.

»Scheiße«, sagt Jesus leise. »Was ist bloß aus SEID LIEB geworden? «

»Seid lieb.« Gott liebte diesen Spruch, den er von den Schwulen übernommen und zu seinem ersten und alleinigen Gebot erhoben hatte. Wann immer Er darüber nachdachte, wie wundervoll schlicht diese Worte doch waren, durchzuckte Ihn automatisch der folgende Gedanke: verfickter Moses. Was für ein arroganter Flachwichser bringt es fertig, das eine Gebot, das ihm gegeben wurde, in die Tonne zu kloppen und dann mit zehn eigenen aufzutauchen? Moses, ganz genau. Moses, das wussten alle, hatte immer schon ein paar Schrauben locker gehabt. Ein paar Schrauben locker? Der Kerl hatte einen gewaltigen irreparablen Dachschaden. All diese gruseligen Vorschriften über so kranken Scheiß, wie zum Beispiel, den Ochsen seines Nächsten zu begehren? Wozu sollte das gut sein? Was hatte der Dreckskerl sich davon versprochen, alles mit einer gehörigen Portion Schmuddelsex aufzupeppen? Macht. Ehrgeiz. Ego. Die üblichen Gründe eben, aus denen etwas passierte.

»Genau das werden wir herausfinden«, sagt Gott, klatscht in »Packen wir’s an«-Manier in die Hände und drückt die Taste der Gegensprechanlage auf Seinem Schreibtisch. »Jeannie? Alle leitenden Heiligen in den Konferenzraum bitte, sofort.« Während Er das sagt, kann Gott einen erneuten Seufzer nicht unterdrücken. Denn Gott hasst »Konferenzen«. Ständig vergeudet man seine Zeit in Konferenzen, immerzu damit beschäftigt, Feuer zu löschen, Probleme zu lösen.

»Schon passiert, Herr. Sie warten dort bereits auf Euch.«

»Braves Mädchen. Und, Jeannie?«

»Ja, Herr?«

»Sandwiches, Kaffee und Donuts, bitte. Es wird etwas länger dauern ...«

4

VIER SEHR NERVÖSE HEILIGE - PETRUS, MATTHÄUS, ANDREAS und Johannes – sitzen um den Konferenztisch, rauchen und schütten Kaffee in sich hinein. In die Glasplatte des gewaltigen Tisches ist mit feinen Linien eine Weltkarte geätzt. Vor jedem der Heiligen liegt ein Stapel Papiere.

Petrus’ Stapel ist ein von sämtlichen Abteilungen vorbereiteter Gesamtüberblick. Als leitender Geschäftsführer des Himmels liegt die Verantwortung theoretisch bei Petrus. Aber aufgrund einer vagen Ahnung dessen, was dort unten gerade im Namen der Religion angerichtet wird, hatte Petrus als Einziger den Mut besessen, Gott darauf hinzuweisen, dass ein Urlaub womöglich nicht die allerbeste Idee sei. Dank dieser Tatsache und seiner Position als Gottes Consigliere ist er momentan einen Tick weniger nervös als seine Kollegen.

Matthäus’ Stapel besteht, wie es sich für einen ehemaligen Zöllner und Steuereintreiber geziemt, um Statistiken, Fakten und Ziffern. Matthäus hat lichtes Haar, trägt eine Brille und trinkt mit zitternder Hand aus seinem Wasserglas. Darüber hinaus besitzt er eine der langweiligsten Stimmen im Himmel wie auf Erden: ein monotones Säuseln, mit dem er noch die schönste Prosa zum Telefonbuch zu degradieren vermag.

Andreas’ Stapel ist klein und bezieht sich hauptsächlich auf das 20. Jahrhundert. Der Schutzheilige von Schottland wäre aus irdischer Sicht wohl am treffendsten als Gottes Spindoktor und Imageberater beschrieben. Andreas ist gut in seinem Job, doch er weiß, dass es ein hartes Stück Arbeit werden dürfte, dem, was da heute vor ihm liegt, auch nur den geringsten positiven Anstrich zu verleihen.

Johannes’ Stapel enthält radikale Ideen und Zukunftsentwürfe. Als jemand, dessen Vater auf den Namen Zebedäus hörte, ist Johannes passenderweise der Mann für ungewöhnliche Ansätze, ein Querdenker.

»Oh Gott, oh Gott, oh Gott«, murmelt Matthäus, während er seine Unterlagen durchsieht.

»Kommt bitte ohne Umschweife zur Sache«, fordert Petrus sie auf. »Schildert Ihm ein klares Bild.«

»Aye. Ein beschissenes klares Bild, du hast ja wohl den Arsch offen«, flucht Andreas. »Vielleicht ein Bild von einem riesigen verfickten Scheißhaufen, auf den irgendein Wichser draufgepisst und ihn dann mit stahlbeschlagenen Springerstiefeln in Grund und Boden getreten hat? Findest du, das würde es halbwegs auf den Punkt bringen?«

Matthäus seufzt. »Muss bei euch alles immer gleich Scheiße und Pisse sein?«

»Ich schätze, das wird schon werden«, sagt Johannes und blickt von dem Joint auf, an dem er gerade baut. »Ich meine, okay, da unten, das läuft ein bisschen nach dem Motto ›Papa ist aus dem Haus, und die Kids feiern eine Party‹ – ihr wisst, was ich meine: Ein paar Flecken auf dem Teppich, ein paar kaputte Gläser, vielleicht, ähm, geht ein Fenster zu Bruch, aber am Ende des Tages hat niemand das Haus abgefackelt, richtig? Niemand ist zu Tode gekommen.«

Andreas prustet höhnisch lachend.

»Ähm, genau genommen, statistisch gesprochen ...«, sagt Matthäus, während er von seinen Tabellen, Grafiken und Listen aufschaut.

»Johannes?«, unterbricht Petrus.

»Mmmm?« Johannes steckt sich den fertigen Joint in den Mund und durchsucht seine Robe nach einem Feuerzeug.

»Halt doch bitte einfach deine beschissene Klappe.« Petrus klaut ihm den Joint von den Lippen und zündet ihn sich selbst an. Johannes zuckt mit den Schultern, da hören die vier Heiligen, wie sich Stimmen und Schritte nähern. »Oh Gott, oh Gott, oh Gott«, sagt Matthäus noch einmal – und dann, mit einem Mal, öffnen sich die Türen, und Gott betritt den Raum mit Jesus im Schlepptau.

Johannes sitzt am nächsten zur Tür und ist als Erster auf den Füßen. »Hey! Willkommen zurück! Ihr seht blendend aus.«

Matthäus kommt gerade noch bis: »Wie ich höre, war das Angeln fanta...«

»Ihr beiden«, sagt Gott und unterbricht sie, »behaltet diesen Schwachsinn gefälligst für euch und setzt euch auf eure dämlichen Ärsche, oder – ich schwöre – ich werde euch eure mickrigen Schwänze abreißen und sie für den Rest dieser beschissenen Konferenz als Ohrringe tragen.«

»’tschuldigung«, murmelt Matthäus.

»No Problemo«, sagt Johannes, während die beiden sich setzen.

»Hallo«, sagt Petrus leise, als er und Gott sich umarmen. »Ich bin ja sonst nicht so der ›Ich hab’s ja gesagt‹-Typ, aber ...«

Mit erhobenem Zeigefinger gebietet Gott ihm zu schweigen.

»Alles klar, Chef?«, Andreas nickt ihm über den Tisch zu.

»Hi Jungs«, grüßt Jesus in die Runde, nimmt sich einen Donut vom Buffet und lässt sich neben Matthäus in einen Sessel fallen.

»In Ordnung«, sagt Gott, schmeißt Seine Unterlagen auf den Tisch und lässt sich an der Kopfseite nieder. »Da es ganz danach aussieht, als würden die da unten sich alle zehn bis fünfzehn Minuten in einen Genozid oder eine Hungersnot stürzen, lasst es uns anpacken.« Gott stützt Seine Ellbogen auf den Tisch, verschränkt Seine Hände und beugt sich fragend zu ihnen nach vorn. »Also, was, um Himmels willen, ist da unten los?«