Impulse und Übungen
Das können Sie tun, um in Zukunft manche Dinge anders zu machen
Geschwister als Team – Impulse für eine starke Familie
»Nicola, das klingt alles gut in dem Buch, aber hast du eine Idee, wie man das üben kann? Wenn ich ruhig bin, weiß ich das alles, aber wenn die Kinder mich zur Weißglut bringen, dann kriege ich es einfach nicht hin!«
Ja, das geht mir auch so. Und keiner von uns muss immer friedlich und klug sein, denn Konflikte gehören zum menschlichen Zusammenleben dazu. Dennoch gibt es ein paar Tricks, wie wir es uns einfacher machen können. Nach all meinen Recherchen gibt es ein paar einfache Grundlagen für gesunde Kinder und friedliches Zusammenleben:
Das ist oft einfacher gesagt als getan. Wenn ich richtig aufgewühlt bin, steuert mich der Kampf- oder Flucht-Modus eines gestressten Gehirns. Mein Kind wird zum Berglöwen, der mein Leben bedroht. Und entsprechend reagiere ich dann: Ich will ich nur noch überleben, mich durchsetzen, Recht haben oder gewinnen. Auch wenn ein Kind eine schwierige Phase hat, kann es im Gehirn zu enormem Stress kommen und dann gibt es vielleicht den Moment, in dem wir uns denken »Immer dieses ... Kind!«. Und allzu oft im Alltag gehen wir – wenn der Druck zu groß wird - aus dem Kontakt – wir schauen auf unser Smartphone, gehen von den Kindern weg, sind mit dem Herzen nicht dabei, »sehen« unsere Kinder nicht mehr als kleine, von uns abhängige, lernende, liebenswerte Wesen, sondern nur noch als anstrengende kleine Nervensägen, die ständig etwas von uns fordern.
Wir können unserem Gehirn und Herzen helfen, damit besser umzugehen. Schon kleine Veränderungen haben nachweislich eine enorme Wirkung! Daher habe ich hier die wichtigsten Übungen zusammen getragen.
Das Ziel ist in jeder Übung, sich unbewusste Prozesse bewusst zu machen, dem Denken und Fühlen eine neue Richtung zu geben und das Gehirn gut vorzubereiten, damit wir in stressigen Situationen etwas haben, auf das es automatisch zurückgreifen kann – das macht es uns deutlich einfacher.
Nehmen Sie sich für die folgenden Übungen Zeit, leeres Papier und Ihre Lieblingsschokolade. Manche Übungen funktionieren am Besten, wenn man sie öfter macht.
Die Bestandsaufnahme
Was stört mich im Moment am meisten ...
... an meinem Verhalten:
... am Verhalten meiner Kinder:
Was wünsche ich mir in unserer Beziehung ...
... für mich:
... für meine Kinder:
Was tue ich, damit diese Wünsche nicht in Erfüllung gehen?
Was sollte ich tun oder lassen, damit diese Wünsche in Erfüllung gehen?
Was ist zauberhaft an meinen Kindern?
Was würden meine Kinder sagen, was ist zauberhaft an mir?
Soforthilfe für den Alltag
Nutzen Sie zwei Wochen lang jeden Tag jede Wartezeit (auf den Wasserkocher, auf den Bus, bis der Dreijährige seine Schuhe angezogen hat) für ein 15 Sekunden langes Check-In mit sich selbst:
Fragen, die die emotionale Intelligenz unserer Kinder fördern
Wie hast du dich gefühlt?
Was war es, was du wolltest?
Wie hast du versucht, es zu bekommen?
Was ist dann passiert?
Und – hast du erreicht, was du wolltest?
Hat dein Bruder / deine Schwester erreicht, was er/sie wollte?
Was meinst du, wie hat er/sie sich gefühlt?
Was könntest du nächstes Mal versuchen? Gibt es noch einen anderen Weg?
Was meinst du, was würde dann passieren?
Wie würdest du dich fühlen, wenn es so klappt?
Wie würde sich deine Schwester / dein Bruder fühlen, wenn es so klappt?
Wie wir Situationen neu sehen
Unsere Kinder brauchen uns – besonders in Stressituationen – empathisch und hilfreich. Aber wie kann das gehen, wenn sich zwei Kinder zum hundertsten Mal an diesem Sonntag vormittag streiten? Unser Gehirn kann lernen, die gleiche Situation anders zu bewerten – und damit ruhig und in Kontakt zu bleiben. Hier eine kleine Übung:
Schritt 1: So war die Situation für mich
Ich sehe: Die Kinder streiten andauernd und rauben mir den letzten Nerv.
Ich denke: Die machen mich fertig. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr! Was soll das?
Ich fühle mich: Wütend, hilflos, genervt, zunehmend gereizt, ich will nur weg.
Schritt 2: So könnte man die gleiche Situation auch sehen
Ich sehe: zwei Kinder, die meine Hilfe brauchen, weil sie einfach nicht zueinander finden.
Ich denke: oh je, die Kleinen schaffen es heute einfach nicht, obwohl sie doch eigentlich so gerne miteinander spielen möchten.
Ich fühle mich: mitfühlend, teilnahmsvoll, ich will ihnen helfen, liebend.
Probieren Sie es aus: Wann haben Sie sich das letzte Mal schrecklich über ihre Kinder geärgert? Weil sie Unsinn gemacht, sich gestritten, ihnen das Leben schwer gemacht haben?
Schreiben Sie auf, wie sie es wahrgenommen haben und was sie gedacht und gefühlt haben:
Ich sehe:
Ich denke:
Ich fühle:
Wie könnte man die Situation noch sehen?
Ich sehe:
Ich denke:
Ich fühle:
Was könnte Sie daran erinnern, nächstes Mal die Sichtweise zu wählen, die Sie weniger genervt sein lässt?
Was bereits gut läuft
Die wichtigste Grundlage für jede Form der Erziehung ist Selbstregulation – denn »in der Ruhe liegt die Kraft«. Schreiben Sie auf, wann Sie schon ruhig und besonnen auf ihre Geschwisterkinder und ihre Streits und Launen reagiert haben. Wie kam es dazu, dass Sie damals so ruhig bleiben konnten? Sammeln Sie als Training für ihr Gehirn hier drei dieser Erfahrungen:
Endlich Frieden in der Familie
»Ein Kind ist kein Kind – und zwei sind vier!« Mit jedem Geschwisterchen steigt der Trubelfaktor in einer Familie exponentiell. Warum? Aus Sicht der Evolution sind Geschwister Rivalen, die um Nahrung und Sicherheit konkurrieren. »Ich will zuerst Apfelsaft! Nein, das ist mein Platz! Ich will vorne sitzen!«
Wenn Eltern dieses Buch gelesen haben, wissen sie, worum die Kinder wirklich streiten. Und auch, wie sie am besten reagieren, um sie beim Zusammenwachsen zu unterstützen. Nicola Schmidt zeigt genial einfache Wege, schlimmste Rivalen zu starken Teams werden zu lassen. So wird es leicht, konstruktiv zu reagieren, wenn alle Kinder gleichzeitig »Ich zuerst!« schreien.
Nicola Schmidt, zweifache Mutter, ist Gründerin des artgerecht-Projekts, Wissenschaftsjournalistin, und Autorin erfolgreicher Familienratgeber. Sie bietet Aus- und Fortbildungen für Fachleute und Wildnis-Camps für Familien an.
www.artgerecht-projekt.de
Nicola Schmidt
Geschwister als Team
Ideen für eine starke Familie
Kösel
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Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlag: Weiss Werkstatt München
Illustration: Claudia Meitert
Umschlagmotiv: plainpicture / Stella Mai
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN
978-3-641-22162-1
V003
www.koesel.de .
Inhalt
Geschwister als Team – so geht’s
Statt einer Einleitung
Warum wir uns Hilfe wünschen dürfen
Eine Reise in die Herzen unserer Kinder
Warum dieses Buch – jetzt?
Das Geheimnis von Geschwistern als Team
Geschwister als Team – die sechs Bausteine
Wie Eltern verstehen, was jedes Kind braucht
Der erste Baustein
»Wo ist eigentlich das Problem?« – Das Besondere an Geschwistern
Geschwisterposition und Persönlichkeit • Entthronungsschock oder nicht? • Mythos Einzelkind
Der ideale Abstand zwischen Geschwistern
Gibt es den »natürlichen« Altersabstand? • »Ich will auch Geschwister haben!« – Wie Eltern den richtigen Moment erwischen • Der richtige Altersabstand
Ein Blick über den Tellerrand: Geschwister in anderen Kulturen
Geschwister gestern und heute
»Bildet einen ›Clan‹!«
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Eltern die verschiedenen Phasen der Geschwisterbeziehung nutzen können
Der zweite Baustein
Wie wir gute Grundlagen legen
»Hätte ich doch lieber ein Dreirad bestellt!«
»Wir kriegen noch ein Baby!« – Was wir Kindern sagen und was besser nicht
Wie wir einem Kleinkind vom neuen Baby erzählen • Wie wir größeren Kindern ein neues Baby ankündigen
Die Geburt des neuen Geschwisterchens
Tandemstillen oder Abstillen? • Mit dem Baby nach Hause kommen
Die erste Phase (0 bis 8 Monate)
Die zweite Phase (8 bis 16 Monate)
Mehrere Kinder ins Bett bringen • Wie wir zu ruhigen Stillmahlzeiten kommen • Kontaktkuscheln im Alltag
Die dritte Phase (16 bis 24 Monate)
Der Umgang mit Hassgefühlen größerer Kinder
Die vierte Phase (24 Monate und mehr)
Geschwister im Erwachsenenalter
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Eltern die Rollenverteilung verstehen und Problemkinder vermeiden
Der dritte Baustein
»Du kleiner Wüterich!« – Vorsicht, Kinder kooperieren immer!
Talente richtig fördern
Das Problem mit den Vergleichen
»Puppen für alle!« – Jungen und Mädchen
Wie wir Kindern helfen, ihre Rollen zu verlassen
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Geschwister lernen, Konflikte zu lösen
Der vierte Baustein
»Ein Streit alle zehn Minuten?« – Wie viel Streit normal ist
»Ich! Kann! Nicht! Mehr!« – Streit ist wichtig
Wie Eltern ihren Kindern beibringen, richtig zu streiten
Wie Eltern echten Streit als Lernfenster nutzen – Baby und Kleinkind • Tipps für die klassischen Themen • Warum Kinder nicht teilen müssen • Wie Eltern echten Streit als Lernfenster nutzen – ab etwa sechs Jahren • »Spiel mit mir!« – Wenn ein Kind mehr Kontakt will als das andere • »So, und jetzt entschuldigst du dich!« • Petzen – vier Schritte, wie wir damit umgehen können
Wenn es beim Streit um mehr geht
»Die lösen das von ganz allein!« – Wann Eltern überhaupt eingreifen müssen • Wenn es kritisch wird – Aggression zwischen Geschwistern • Wenn das Kleinkind massiv stänkert
Spiele als Konfliktlösung
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Geschwister lernen, zu sich selbst zu finden
Der fünfte Baustein
»Er ist halt so« – Was Kinder wirklich mitbringen
Jedem Kind seine eigenen Räume geben – egal, wie wir wohnen
Wie Sprache unseren Kindern helfen kann
Drei Schritte aus der Lieblingskind-Falle
Was Mehrlinge brauchen
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Geschwister ein Team werden
Der sechste Baustein
»Hilfe, sie haben mich!« – Spiele für ein starkes Team
Eine schrecklich alberne Familie
Eine herrlich laute Familie
»Klar, wir schaffen das!« – Gemeinsame Ziele
Wie unsere Erziehung das Team torpediert – oder stärkt
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Familien mit besonderen Geschwistern umgehen können
Geistig oder körperlich Eingeschränkte, Stillgeborene und Patchworkgeschwister
Das Was und Wie der Patchworkgeschwister
Phasen der Familiengründung • Geschlecht und Alter der Kinder • Ein weiteres Baby? – Auf den Zeitpunkt kommt es an
Was die Geschwister eingeschränkter Kinder von uns brauchen
Warum es gefährlich ist, ein »vernünftiges Geschwister« zu sein • Woran wir ein glückliches Geschwisterkind erkennen
»Wir gehören auch dazu!« – Still geborene und gestorbene Geschwister
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Dos and Don’ts
Was Eltern lassen und stattdessen tun könnten
Drei Fallen, die Eltern unbedingt vermeiden sollten
Vergleichen Sie die Kinder nicht • Ergreifen Sie niemals Partei • Rasten Sie nie aus • Und jetzt: Sie haben das gut gemacht!
Die eine Sache, die alle Eltern tun sollten
Kinder sind Kinder • Liebe heilt immer
Anhang
Statt einer Danksagung
Anmerkungen
Impulse und Übungen
Geschwister als Team – so geht’s
Statt einer Einleitung
»Nicola, ich brauche es einfach, machbar und umsetzbar!«
ANNA
Warum wir uns Hilfe wünschen dürfen
Ich sitze mit Anna am Tisch, und sie erzählt von ihren beiden Kindern, zwei und fünf. »Die beiden lieben sich heiß und innig«, sagt sie, »andererseits haben sie bei ihren Streiten solche Schreianfälle, dass die Nachbarn denken müssen, hier wäre sonst was los.«
Sie sagt, dass ihr Sohn sehr eifersüchtig war, als die kleine Schwester kam. Sein Gefühl, die Kleine habe ihm »Mama weggenommen«, konnte Anna wohl sehen, aber sie war mit zwei kleinen Kindern schnell so überfordert, dass sie ihm nicht helfen konnte. Im Gegenteil: Sie fühlte Wut und Ablehnung gegenüber dem fordernden Sohn, der in ihren Augen ja »schon groß« war.
Als die kleine Schwester größer wurde, kam es immer öfter zum Krach zwischen den Kindern. Das Muster war immer dasselbe: Die kleine Schwester stritt mit ihrem großen Bruder, bis der sie haute, gleichzeitig stichelte sie regelmäßig so lange, bis er ausflippte. Anna hat sich mit gewaltfreier Kommunikation beschäftigt und weiß, was kompetente Kinder brauchen. Ihr ist klar, dass sie kein Kind bevorzugen darf, und sie hat all die klugen Ratschläge gehört: die Kinder spiegeln, gerecht sein, keine Strafen verhängen … »Aber die Kinder fühlen sich unfair behandelt, wenn ich eingreife, egal, was ich tue«, klagt Anna, »und ich verstehe sie auch nicht – warum dieser ständige Streit?«
Als Coach habe ich mit vielen Eltern gearbeitet, die die gleichen Fragen stellten wie Anna. Sie geben ihr Bestes für ihr erstes Kind und kommen dann mit zwei Kindern ganz schnell an ihre Grenzen. Sie versuchen, beiden alles zu geben, ihnen gerecht zu werden, sie zu lieben – und spüren bald, wie schwierig das ist.
Was viele Eltern nicht wissen: Es liegt nicht an uns, dass es so schwierig ist. Wir machen alles richtig. Aber wir Menschen waren immer Teil einer Gruppe, die gemeinsam lebte und sich den ganzen Tag gegenseitig helfen, beraten und zur Seite stehen konnte. Wir hatten Schwestern, Onkel und erfahrene Älteste, die wussten, wie man das mit den Geschwistern gut macht, die von außen auf unsere kleine Familie schauen und uns die richtigen Hinweise geben konnten.1 Mit zwei, drei oder mehr Kindern waren wir in den vergangen 2,5 Millionen Jahren niemals allein. Dennoch versuchen viele Eltern, es in ihrer Kleinfamilie oder sogar als Alleinerziehende zu schaffen – und kommen mit dieser übermenschlichen Aufgabe an ihre nervlichen und körperlichen Grenzen. Es braucht den Blick von außen. Es braucht Wissen und Strategien, die man nicht in der Schule lernt.
Also, was können wir tun? Und wie machen es Familien, in denen die Geschwister nicht streiten, in denen jeder im Haushalt hilft, alle zusammenhalten, die durch den Alltag zu surfen scheinen, als gäbe es all die Probleme nicht?
Um das zu verstehen, trägt dieses Buch zehn Jahre meiner Studien zu den Bedürfnissen von Babys und Kleinkindern zusammen, die Erfahrungen aus Jahren in der Elternberatung, Hunderte von Beobachtungen in meinen Familiencamps und den aktuellen Stand der Forschung zu Geschwistern und ihren Beziehungen. Das Buch soll zeigen: Ja, es geht! Wir können als Familie nicht nur »funktionieren«, wir können sogar gut miteinander leben! Freudig! Gemütlich! Singend und auf einem Bein hüpfend! Und das ein Leben lang.
Eine Reise in die Herzen unserer Kinder
Wir reisen in diesem Buch gemeinsam in die Welt der Geschwister und in die Köpfe unserer Kinder – in denen oft Dinge vorgehen, die wir uns gar nicht vorstellen können. Wir schauen direkt in die Herzen unserer Kleinen. Wir spüren nach, wie sie fühlen, um zu verstehen, was sie von uns brauchen. Und wir können von dieser Reise für uns selbst profitieren: Wir können unsere eigenen Beziehungen, ja, unsere Berufswahl und unser ganzes Leben besser verstehen.
Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie nie wieder vor Ihren streitenden Kindern stehen und sich fragen, wie andere Familien das machen. Sie werden es wissen. Sie werden eine Reihe zuverlässiger Wege kennen, um den Frieden wiederherzustellen und beiden Seiten gerecht zu werden. Sie werden selbst auftanken und ihre sozialen Beziehungen auch zu anderen Menschen in einem neuen Licht sehen – was für unsere Kinder gilt, gilt ja oft auch für unsere Partner, unsere Kollegen und unsere eigenen Geschwister. Wie Anna mir sagte, findet sie viele Erklärungen, aber zu wenig praktische Hilfe in pädagogischen Ratgebern. Für den Alltag braucht sie es bitte »einfach, machbar und umsetzbar« – und so soll dieses Buch sein.
Warum dieses Buch – jetzt?
Ich habe das Glück, mit vielen Eltern in Kontakt zu sein – in den sozialen Medien, in meinen Trainings, meinen Camps, meinen Beratungen. Ich fühle überall die gleiche Verunsicherung, den gleichen Wunsch, nichts falsch zu machen, und die ernsthafte Suche nach dem richtigen Weg – oft bis zur totalen Erschöpfung. Wenn wir dann noch Selbstzweifel, den anstrengenden, schnelllebigen Alltag, die allgemeine Unsicherheit und all die Wahlmöglichkeiten, Verantwortungen und das »Wo ist nur der Elternzettel für den Theaternachmittag im Kindergarten?« hinzurechnen, sehen wir, dass Kinder zu haben wirklich »nichts für Feiglinge« ist.2 Wir alle wollen es gut, perfekt und besser machen, aber allzu oft sind wir am Ende erschöpft, ratlos oder schlicht überfordert und genervt. Und selbst die, die ein glückliches Familienleben haben, klagen über die Last, die auf ihnen liegt.
Wir alle brauchen keine weiteren »Tricks«, um unsere Kinder zu manipulieren, keine Erziehung und keine »Konsequenzen-statt-Strafen«-Hymnen. Wir brauchen Verbindung, Liebe und praktische Wege, um unser Familienleben auf die nächste Stufe zu heben.
Wir brauchen diese Nähe, diese Familie und diese Liebe jetzt – hier und heute, da Sicherheit so wichtig wird in einer unruhigen Welt, in die wir unsere Kinder entlassen. Was können wir ihnen Besseres mitgeben als stabile Beziehungen und das Gefühl, eine Familie als Team hinter sich zu haben? Wir wissen aus der Forschung, dass Geschwister am Anfang des Lebens besonders wichtig sind, dass sie sich dann zwar möglicherweise jahrelang nur an Weihnachten und runden Geburtstagen sehen, dass am Ende ihrer Tage aber die Ernte dieser Beziehung eingefahren wird, wenn sie alt sind und in den letzten Jahren zueinanderstehen.
Was für ein schöner Gedanke, dass meine Kinder sich noch gegenseitig stützen werden, wenn ich schon längst nicht mehr bei ihnen sein kann.
Das Geheimnis von Geschwistern als Team
Es gibt Familien, die das friedliche Zusammenleben aller wie von allein prima hinkriegen. Da halten die Kinder von klein auf wie Pech und Schwefel zusammen, gründen später gemeinsam Firmen, beschützen die Kleinen, bewundern die Großen, lernen voneinander und helfen zu Hause, wenn es ans Aufräumen geht. Ich habe mich jahrelang gefragt: Wer sind diese Familien? Was ist ihr Geheimnis? Was machen sie anders?
Nun, es sind ganz normale Familien, und ihr »Geheimnis« ist die Art, wie sie mit ihren Kindern sprechen, wie sie Konflikte lösen, Aufgaben aufteilen und ihre Kinder als Team unterstützen – und im richtigen Moment auch mal in Ruhe lassen. Die gute Nachricht ist: Wir können das alle. Es ist kein Hexenwerk. Es ist nicht angeboren. Wenn wir verstehen, woher unsere Kinder kommen, was sie brauchen und wie wir sie und uns selbst gut unterstützen können, dann kann jeder von uns seine Kinder zu einem Team werden lassen. Es gibt eindeutige Strategien dafür und klare Wege, wie man dorthin kommen kann. Ich bin in der Lage, das zu beweisen. Ich kann das zeigen. Für alle, die auf diesem Weg mit mir kommen möchten, habe ich dieses Buch geschrieben.
Geschwister als Team – die sechs Bausteine
Während meiner Recherche für dieses Buch dachte ich bald: »Zum Glück bin ich Einzelkind!« Geschwister streiten nicht nur, sie tun sich auch richtig weh, in manchen Büchern wird das Drama der Erstgeborenen beschrieben, in anderen das Leiden der Nesthäkchen, Geschwister mobben einander und wählen Berufe, die sie unglücklich machen, Ehepartner, die ihnen nicht guttun, und werden sogar körperlich und seelisch krank, weil sie es als Kinder so schwer mit ihren Brüdern und Schwestern hatten.
»O mein Gott«, dachte ich, »ist das so?« Ich wollte nicht noch ein Buch schreiben, in dem nur ausgeführt wird, wie schlimm alles war. Aber dann stellte ich fest, dass es offenbar eindeutige Strategien gibt, dieses ganze Drama zu vermeiden. Aus all meinen Quellen habe ich sechs Bausteine erarbeitet, die sich im Praxistest am vielversprechendsten zeigten.
Hier sind sie: Grundsätzlich müssen wir Eltern verstehen, was überhaupt so schwierig an Geschwistern ist und was unsere Kinder brauchen – denn das, was die Kinder benötigen, variiert je nach Platz in der Geschwisterfolge, ihrem Alter und ihrem Geschlecht. Darum geht es beim ersten Baustein, dem Kapitel »Wie Eltern verstehen, was jedes Kind braucht«. Als Nächstes möchte ich zeigen, wie Eltern die verschiedenen Phasen der Geschwisterbeziehung zu nutzen vermögen, denn hier können wir die richtigen Weichen stellen. Der folgende Baustein betrifft die Rollen in der Familie: »Der Kleine ist unser Sonnenschein! Die Große ist ja so eine Hilfe!« Ja, jeder in der Familie findet seine Nische, aber es ist unser Job als Eltern, das zu erkennen und Kindern auch aus ihrer Ecke herauszuhelfen, damit sie nicht ein Leben lang versuchen müssen, sich selbst zu befreien. Aber auch die Kinder müssen einiges tun, damit das Geschwisterteam funktionieren kann. Einer der wichtigsten Bausteine für ein erfolgreiches Geschwisterteam ist weniger Streit – darum geht es im Kapitel »Wie Geschwister lernen, Konflikte zu lösen«. Das wird schwieriger, wenn Eltern ein Lieblingskind haben oder zwei Kinder mit sehr starken Temperamenten – wie wir damit umgehen können, schreibe ich im Kapitel »Wie Geschwister lernen, zu sich selbst zu finden«.
Wenn diese Grundlagen stimmen, dann können wir zum letzten Baustein kommen: den ganz praktischen Tipps, wie wir das Team, das die kleinen Persönlichkeiten am Ende bilden sollen, unterstützen können. Dazu gehört auch die Frage, wie wir eigentlich mit besonderen Geschwistern umgehen – Patchworkgeschwistern, Zwillingen oder solchen, die nie geboren wurden. Denn auch sie gehören zu unserem »Familienteam« und brauchen ihren Platz.
Falls Sie wenig Zeit haben und in diesem Buch zunächst nur einige Seiten lesen können, dann fangen Sie am besten im hinteren Teil an: Lesen Sie den Abschnitt »Die eine Sache, die alle Eltern tun sollten« (ab hier). Und wenn Sie dann noch Lust und Zeit haben, schauen Sie in den Abschnitt davor – auf die »Drei Fallen, die Eltern unbedingt vermeiden sollten« (ab hier).
Und dann legen Sie das Buch zur Seite. Gehen Sie jetzt und sofort Ihre Kinder anschauen, und stellen Sie fest: »Ja, ihr streitet, aber was für entzückende Kinder ihr doch seid!« Denn wenn wir unsere Liebe in unserem Herzen fühlen können, ist der wichtigste Schritt schon getan.