Dieses Buch ist Rian gewidmet,
ebenso wie all den anderen Followern und Unterstützern von Dear My Blank und jedem, der je einen Brief geschrieben hat, den er nicht abzuschicken gedenkt.

VORWORT

Hast du schon einmal jemandem einen Brief geschrieben und von Anfang an gewusst, dass du ihn nie abschicken würdest?

Falls ja, dann bist du damit nicht allein.

Mein Name ist Emily, ich bin fünfzehn Jahre alt und habe im März 2015 eine Tumblr-Seite erstellt, die Dear My Blank heißt – ein Tumblog mit anonymen Einsendungen unversandter Briefe. Am Anfang waren meine Erwartungen nicht groß. Es war nur eine kleine Idee, inspiriert von meinem dicken Notizblock voller unverschickter Briefe an den einen oder anderen Schwarm, Freunde, Familienmitglieder, Leute, mit denen ich inzwischen nicht mehr rede, und alle anderen, die Einfluss auf mein Leben hatten. Nachdem der Block voll war, habe ich einen Ordner auf meinem Computer mit allen Briefen, die ich seitdem geschrieben habe, angelegt. Die Briefe waren mir wichtig, weil sie mir dabei geholfen haben, Gefühle rauszulassen, die ich anders nicht zum Ausdruck bringen konnte. Zuerst war ich nur neugierig, ob andere Leute vielleicht genau dasselbe machen wie ich.

Doch dann, als Tausende von Menschen ihre Briefe einreichten, begriff ich, dass Dear My Blank viel größer wurde, als ich es je erwartet hätte. Schnell war auch die Presse von den nackten Emotionen begeistert, die in den Dear My Blank-Beiträgen ans Licht kommen, und hat geholfen, das Ganze noch bekannter zu machen. Über Nacht stand mein kleiner Blog auf einmal im Rampenlicht und die Menge an Nachrichten, die daraufhin eingeschickt wurde, war einfach überwältigend. Die Leute nutzten den Blog, um Dinge zu sagen, die sie noch nie ausgesprochen hatten, um Gefühle preiszugeben, die sie hatten vergraben wollen, um ihre Liebe zu gestehen oder um über das Ende einer Beziehung oder den Tod eines wichtigen Menschen hinwegzukommen. Was als kleines Projekt begonnen hatte, war schnell zu etwas geworden, was mit unglaublich vielen menschlichen Emotionen aufgeladen war, ein Cyber-Sammelsurium voller Sorgen, Herzschmerz, Hoffnung und neuer Liebe. Es gab Briefe an Familienmitglieder, Angebetete, Expartner, Lehrer, Stars und alle, die sonst noch wichtig waren.

So viele Menschen haben durch das Einsenden ihrer Briefe inneren Frieden gefunden und auch ich habe Dear My Blank etwas Wundervolles zu verdanken: Ich habe dadurch meinen Freund kennengelernt. Einige Tage, nachdem ich meinen Blog ins Leben gerufen hatte, haben wir angefangen, uns zu unterhalten. Er hatte seinen eigenen Brief eingereicht und ich blieb mit ihm in Kontakt. Und das ist nur ein Beispiel für die fantastischen Beziehungen, die durch Dear My Blank entstanden sind. Ein anderer Junge hat seinen Brief gepostet und sein Schwarm hat ihn aufgestöbert, hat herausgefunden, wer dahintersteckt, und sich bei ihm gemeldet. Beide konnten sich ihre Gefühle füreinander gestehen. Genau wie Rian und ich, sind sie noch immer zusammen.

Als jemand einen Brief geschickt hatte, in dem es darum ging, wie man mit kontrollsüchtigen Eltern umgehen soll, wurde die Inbox geflutet mit Antworten, die Unterstützung und Ratschläge anboten, Nummern von Hilfe-Hotlines und weisen Worten aus persönlicher Erfahrung. Zu Beginn dieses Vorworts habe ich Dear My Blank vereinfacht einen Blog genannt. Aber eigentlich ist es viel mehr als das geworden. Inzwischen ist es eine Gemeinschaft, die fest zusammenhält.

Dear My Blank hat mein Leben auf so viele Arten verändert. Vor neun Monaten hat es angefangen und im Augenblick gibt es über dreißigtausend Beiträge und jeden Tag kommen Dutzende neue hinzu. Ich finde es unglaublich, dass mir so viele Menschen ihre unverschickten Briefe anvertrauen. Ich fühle mich so geehrt, ihr Bewahrer sein zu dürfen, und ich habe vor, sie für den Rest meines Lebens zu sammeln.

Emily Trunko
Januar 2016

Liebes 17-Jahre-altes Ich,

du bist schön. Vergiss das nicht. Bald, schon viel zu bald, werden dir Leute etwas anderes einreden. Also: Wenn all die Schaulustigen nach Hause gegangen sind, such dir einen Spiegel! Schau dir die Teile von dir an, die du hinter den vielen Schichten aus Selbsthass versteckst. Suche und finde die Schönheit in den Speckrollen, in den Sommersprossen, in den Verfärbungen, in der Akne, in den Narben, in all den Dingen, für die du dich schämst. Es wird die blöden Sprüche erträglicher machen.

Er wird immer NUR dein Freund sein. Es wird wehtun. Manchmal wirst du auflegen, nur um dich in den Schlaf zu weinen. Aber er ist dein Freund und er will dich nicht verletzen. Wenn du erst mal fort aufs College gehst, werden dir die 600 Meilen wie ein Ozean vorkommen, über den man laut brüllen muss. Also genieße die herrlich schmerzvollen Knoten, die er mit jeder flüchtigen Berührung seiner Hand an deiner in deine Brust knüpft.

Kauf Mom einfach mal so Blumen. Sag ihr jeden Tag, wie sehr du sie liebst. Wenn ihre Nieren versagen, weiche nicht von ihrer Seite. Alles wird schnell vorbei sein. Und du wirst auf ewig bereuen, nicht jede denkbare Sekunde mit ihr verbracht zu haben.

E

 
Liebes jüngeres Ich,
 
das ist keine Liebe.
 
     – Älteres Ich

 

 

 

Früheres Ich –

Es wird die Freundschaft zerstören.

Er wird dich dafür hassen.

Es ist das Ganze nicht wert.

M

liebes dreizehnjähriges ich,

 

  1. er liebt dich nicht (und das ist okay).

  2. die spange wird sich eines tages auszahlen.

  3. mathe wird kein bisschen leichter. aber das leben besteht nicht nur aus zahlen. wenn du zum himmel schaust, versuch, dir das zählen zu verkneifen. such lieber nach sternbildern.

  4. du bist nie zu alt, um den soundtrack von high school musical mitzusingen.

  5. trag ab sofort einen seitenscheitel. er steht dir besser.

  6. du bist nicht so reif, wie du glaubst. gönn dir den freiraum zum wachsen.

  7. deine mutter ist die stärkste frau, die du je kennen lernen wirst. sie wird sich erholen. haar wächst nach. ihr körper hat sie nicht aufgegeben. du solltest das genauso wenig tun.

  8. immer gut mit sonnencreme einreiben.

  9. du bist zu jung, um übers college nachzudenken. dafür hast du in der zukunft noch genügend zeit.

10. hör nie auf zu schreiben.

 

in liebe, mae

Mein lieber Körper,

du hast nichts falsch gemacht. Ich hasse dich nicht. Ich mag es nur nicht, auf einen Körper als Wohnung angewiesen zu sein. Aber das ist nicht deine Schuld. Ich weiß bloß nicht, wie ich in dir leben soll. Ständig bin ich mir bewusst, dass du da bist, und es kommt vor, dass ich mir wünsche, du könntest verschwinden. Aber das ist unmöglich. Ich muss lernen, mit dir auszukommen, dich nicht als Last zu empfinden. Wenn Menschen dich kritisieren, macht mich das traurig, weil ich dich ja liebe, du bist ein Teil von mir.

Manchmal finde ich es auch schrecklich, wenn jemand behauptet, er fände dich hübsch, weil es mich daran erinnert, dass es dich gibt.

Manchmal habe ich den Eindruck, du bist wichtiger als ich, und das finde ich unfair, schließlich sollte ich wichtig sein. Was nicht heißt, dass du es nicht bist. Ich habe dir so viel zu verdanken. Es tut mir leid, so schlimme Dinge über dich zu denken, ganz im Ernst.

Ich hoffe, wir schaffen das.

Ich liebe dich.

Ich.

Liebes Hirn in meinem Kopf,

woher kommen Gedanken?

Warum kann ich nicht aufhören, an sie zu denken? Wie stelle ich diese Gedanken ab? Warum fühle ich mich so, wie ich mich fühle? Warum ist ihr Gesicht das einzige, das ich sehe, wenn ich die Augen schließe?

Ein besorgter Denker.

Liebes 10-Jahre-altes Ich,
es ist nicht deine Schuld. Das war es nie und ist es immer noch nicht.

Dein 17-jähriges Ich

Liebes 18-jähriges Selbst,

mach mal halblang – alles wird gut. Du wirst bei nichts versagen, das dir am Herzen liegt oder wichtig ist. Hab nicht so viel Angst. Nicht so viel Angst, mit anderen zu reden. Nicht so viel Angst, dich durchzusetzen. Nicht so viel Angst, dass Zeit für sich selbst etwas Schlechtes ist. Es ist okay, ein paarmal die Woche zu weinen. Nicht mehr zu Hause zu wohnen, ist hart, und es wird auch nicht leichter. Du wirst seltener weinen. Wende dich ab von den Dingen, die mehr nehmen, als sie dir geben. Widme dich den Dingen, die dir guttun und dich glücklich machen. Widme dich weniger Dingen, aber dafür ausgiebiger.

Mit 21 wirst du begreifen, dass du die Momente, in denen du glücklich bist, nicht zählen musst. Du wirst beinahe andauernd glücklich sein. Filme über Ungerechtigkeiten werden dich zum Heulen bringen. Hör nicht auf, sie anzuschauen. Sie werden dich antreiben. Flipp nicht aus, weil jeder Film dir ein neues Lebensziel liefert. Solange du etwas Gutes tun willst, bleibst du dir selbst treu. Hör auf, dich ständig mit den anderen um dich herum zu vergleichen. Ihre Kämpfe machen deinen eigenen nicht weniger wichtig. Ihre Erfolge machen deine nicht kleiner. Du wirst nie sämtliche Antworten erhalten. Aber immer einen Teil. Dein Leben einen Tag nach dem anderen anzugehen, ist kein Versagen – du bist kein Versager.

 

 

An mich:

Hör auf, an zwei Orten nach Anerkennung zu suchen. Weder der Spiegel noch andere werden je erkennen, wie viel du wert bist. Aber das heißt nicht, dass du es nicht erkennen solltest.

M

Liebes 18-Jahre-altes Ich,
bisher ist alles gut gelaufen. Mach einfach weiter so. Und vielleicht überlegst du dir das mit dem Französischunterricht noch mal.

– Ich

an wer auch immer zuhören will,

ich habe eine menge über schwarze löcher nachgedacht. dass ihre anziehungskraft so stark ist, dass sie zeit und raum krümmt. wie man in atome gedehnt wird, wenn man den ereignishorizont passiert.

irgendwie fühle ich mich, als würde ich zu atomen zerdehnt. als würde ich auseinanderfallen und so metaphorisch dünn werden, dass ich fast durchsichtig bin. aber genau wie nichts, was hinter dem ereignishorizont passiert, das universum jenseits beeinflusst, beeinflusst auch nichts von dem, was ich fühle, jemanden in der außenwelt.

der ereignishorizont ist ein punkt, an dem es kein zurück gibt. nichts, nicht einmal licht, kann ihm entkommen.

ich frage mich, was geschehen wird, wenn ich den ereignishorizont erreiche und ganz in das schwarze loch abtauche.

es gibt theorien, dass man, wenn man in einem bestimmten winkel in ein schwarzes loch eindringt, überlebt und auf dem boden aufschlägt. die wahrscheinlichkeit ist unglaublich gering.

ich bezweifle, dass ich überleben werde.

Liebe Welt,