Cover

Inhaltsverzeichnis

Trilogie

Die große Liebe ... und die größte Liebe

… drehte er sich um und war somit der Erste.

und das Negativ eines Fotos: verschiedene Farben, aber das gleiche Motiv.

Prolog

Träumer

Böses Erwachen

Alienalphabet

Freund und Leid

Aliens unter sich, Menschen außer sich

Leidenschaft die Leiden schafft

Das kranke Herz

Das dunkle Ich

Tag der offenen Tür im Paradies

Von der Realität träumen

Zwischen zwei Ewigkeiten

Man muss das Rad nicht neu erfinden, aber

Prolog

Kapitel 1

Prä-log

Kapitel 2

Prä-log 2

Kapitel 3

Prä-log 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Prä-log 4

Kapitel 6

Prä-log 5

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

3Einigkeit

Nichts Böses zu tun heißt nicht, gut zu sein, sonst hieße nichts Gutes zu tun automatisch böse zu sein.

Medley

Ausklang

Dilogie

Andreas Peter

 

Trilogie

Das Paradies in Sicht

oder

Die große Liebe ... und die größte Liebe

 

Zwischen 2 Ewigkeiten

 

3Einigkeit

 

Andreas Peter

Das Paradies in Sicht

oder

Die große Liebe ... und die größte Liebe

Als der Teufel merkte, dass er Gott nie erreichen könnte, immer der Letzte sein würde …

… drehte er sich um und war somit der Erste.

Wir sind wie das Positiv

und das Negativ eines Fotos:
verschiedene Farben, aber das gleiche Motiv.

 

Andreas Peter

 

Er stand an der großen Fensterwand im 240. Stockwerk seines Tower Buildings – ein Symbol der Macht. Aber das große Ganze hing am seidenen Faden. Sein großes Ganzes. Seine Welt war sein Ein und Alles. Solang diese nicht berührt wurde … konnte die ganze Welt untergehen.

»Wir haben ihn gefunden«, erklärte der Diener in gebührlichem Abstand zu seinem Herrn.

»Gut … Tötet ihn!«

Sein Handlanger zögerte einen Moment. »Ich verstehe nicht, warum Ihr Euch Sorgen macht. Er ist so wie Ihr.«

»Ja … aber ich habe Angst vor Menschen wie mir.«

Träumer

 

»Ring.« Sven kannte dieses Geräusch zur Genüge, er hatte es schon einige tausend Male gehört. Es war nicht mehr ganz so lärmend wie in den 60er und 70er Jahren, man hatte es im Rahmen der Humanisierungsmaßnahmen an Arbeitsplätzen harmonisiert, aber es änderte nichts daran, dass es nach tausendfachem Hören nichts mehr Freundliches oder Hoffnungsvolles an sich hatte. Wenn man die Fabrik betrat und sie wieder verließ, klang es grausam, kalt und tot.

Sven war Schweißer für Industrieanlagen, er machte Tag ein Tag aus dasselbe. Gut, er schweißte immer andere Dinge: mal zwei Stahlträger, mal zwei Stahlrohre, mal zwei Stahlwürfel. Aber es änderte nichts, und er fürchtete, dass es so weitergehen würde, bis er in Rente ging und sich dann zuhause zu Tode langweilen würde.

Es war Freitag, immerhin. Auch wenn er nicht wusste, was er mit dem Wochenende anfangen sollte.

Er schob seine Karte in die Stechuhr und verließ die Fabrik. Auf dem Weg zum Parkplatz schnappte er Gesprächsfetzen auf, ein Flickenteppich aus Familien- und Freizeitgeschichten, die ihn nicht interessierten und die er nicht nachvollziehen konnte. Dann fuhr er einkaufen. Die anderen Leute in der Innenstadt nahm er kaum wahr. Er lief durch die Fußgängerzone, um im Drogeriemarkt noch Rasierschaum zu kaufen, dann ging es ab nachhause. Es sollte die letzte Stunde seines Lebens sein, die er als normal bezeichnen würde, kurz vor der Erkenntnis, dass auch Gelegenheit Helden machen konnte.

 

In seinem Heim angekommen, kochte er sich erstmal einen Kaffee. Er besaß ein ganzes Haus, aber das hatte nichts zu bedeuten auf dem Land. Er hatte die ehemalige Scheune sprichwörtlich für einen Apfel und ein Ei erworben, und es verwunderte nicht, dass die meisten Veränderungen, die Sven an dem Gebäude vorgenommen hatte, mit Schweißerei zu tun hatten.

Sven zog wie immer zu früh die Kaffeetasse unter dem Ausguss der Padmaschine hervor, verbrannte sich dabei die Finger, und zu allem Überfluss lief auch noch der Tropfenfänger unter der Tasse über. Beim Versuch, die Außenseite des Gefäßes mit einem Lappen abzuwischen, verschüttete er weiteren Kaffee. Nach dürftigen Säuberungsmaßnahmen fand er es doch besser, sich mal eine halbe Stunde hinzulegen. Er machte sich in voller Montur auf dem Bett lang und schlief rasch ein.

 

Hallooo. Jaaaaa. Willkommen … Dies ist eine interstellare Übertragung … Keine Angst, Sven … Sven? Komm zu uns. Wir freuen uns auf dich und wollen sehr gerne deine Bekanntschaft machen. Wir stehen auf einer großen Wiese, hier direkt vor dem Ortsschild … Du kannst uns von deinem Fenster aus sehen. Sven … bis gleich.

 

* * *

 

Sven schlug die Augen auf und rieb sich das Gesicht, dann drehte er den Kopf zu der Uhr auf seinem Nachttisch – er hatte vielleicht 20 Minuten geschlafen. Schwerfällig richtete er den Oberkörper auf, doch neben dem Wecker stand schon sein Kaffee, der mittlerweile Trinktemperatur hatte – so sollte das sein. Noch etwas schlaftrunken wuchtete er die Beine aus dem Bett und griff nach der Tasse. Fast verschüttete er noch mehr von dem Inhalt, als er von der Matratze aufstand. Er wollte sich angewöhnen, erst nach dem Aufstehen die Tasse zu ergreifen, aber das viel ihm wie immer zu spät ein, auf einen »Memory-Effekt« hoffte er vergeblich.

Er schwenkte ein wenig die Kaffeetasse, nahm dann noch einen Schluck. Schließlich glitt sein Blick aus dem Fenster … Er erstarrte in der Bewegung, die Tasse noch am Mund. Ohne den Blick zu lösen stellte er sie schließlich auf den Schreibtisch und stützte sich auf der Tischplatte ab.

Was zum?! … Das konnte doch nicht möglich sein! Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, blinzelte ein paarmal und richtete den Blick erneut in die Ferne.

Einen Moment lang überlegte er, ob der Dreck auf der Scheibe ein solches Muster gebildet haben könnte, dass er sich alles einbildete … Unsinn!

Rückwärts stolperte er in den Flur und wandte sich schließlich der Treppe zum Untergeschoss zu.

Was sollte er jetzt tun? … Sollte er was tun? … Warum sollte er etwas tun? … »Es wäre wohl besser hierzubleiben«, redete er sich ein, aber er war zu neugierig, und ein immenser innerer Impuls sagte ihm, dass er dorthin musste. Er rieb sich nochmal grübelnd die Nase, nahm dann den Schlüsselbund von der Kommode und steckte ihn ein. Anschließend zog er das feste Schuhwerk an und verließ das Haus.

Böses Erwachen

 

Der Ort war menschenleer um diese Zeit, eigentlich zu jeder Zeit. Die beschauliche Siedlung wirkte auf Fremde oft wie ausgestorben, und sie ahnten nicht, wie recht sie damit hatten. Wer arbeiten konnte, war jetzt nicht hier und wie man sich als Rentner die Zeit vertrieb, hatte Sven leider nie begriffen, sonst wäre sein Leben wohl nicht so trostlos verlaufen. Er beschleunigte seinen Schritt, obwohl er Unbehagen verspürte, in Sorge vor dem, was ihn auf der Lichtung erwartete, aber er wollte unbedingt das Ufo sehen, bevor es wieder abhob. Schließlich passierte in dem Kaff sonst nicht viel.

Noch ein paar Häuser und eine Hecke, die ihm den Blick versperrte. Bildete er es sich ein oder war diese Straße in den letzten Tagen um ein paar hundert Meter gewachsen? Er hielt die Spannung kaum aus, obwohl er darauf gefasst war, dass er die Situation grundlegend fehlinterpretiert hatte. Wahrscheinlich startete der Besitzer des Landguts gerade seine neue Baumaschine. Einen Mähdrescher oder einen dieser Monstertraktoren, mit denen man mal eben zwei Arbeitsplätze im Ackerbau vernichten konnte. Noch wenige Meter trennten ihn von der Gewissheit. Sven legte einen Spurt ein und konnte kaum genug Luft bekommen, als er die Hecke umwunden hatte und sich zu seiner Atemlosigkeit der blanke Schrecken gesellte: Dort, auf der frisch gemähten Wiese, stand ein gigantisches Sternenschiff. Silberglänzend, hier und da ein paar Oxidspuren, wie sie entstanden, wenn … ach, seine Arbeit als Schweißer half ihm hier wohl auch nicht weiter.

Er blieb einen Moment stehen und überlegte, was er jetzt tun sollte, da sah er Otmar, Hans und Hermann, drei Bauern vom Ort, die um die Füße des gigantischen Sternenschiffes herumscharwenzelten und offensichtlich auf Inspektionstour waren. Sven zögerte einen Moment, bevor er auf sie zuging. Er grüßte mit einem Kopfnicken und wagte sich dann zu fragen: »Sagt mal, wisst ihr, was hier los ist?«

»Die mache mir mei ganze Wiese kaputt mit ihrm Raumschiff, dess is hier los. Ich such scho die ganze Zeit ä Autokennzeiche. Wenn die abhaue, hab ich keinerlei Handhabe. Dann heißts Anzeiche gegen unbekannt.«

Sie gingen fluchend weiter, Sven blieb ratlos stehen. Komisch, dass noch keiner von offizieller Seite da war, außer Hermann, dem die Wiese gehörte. Wer kam, wenn ein Ufo in Deutschland landete? Die Polizei? Verfassungsschutz? Sicher mischte auch das FBI mit, auch wenn die dafür keine Befugnisse haben dürften. Und wie lange würde es dauern? Bestimmt gab es geheime Militärbasen für sowas, aber im bayerischen Hinterland? Plötzlich vernahm er ein mechanisches Geräusch und setzte erschrocken einen Schritt zurück, während sich eine Luke direkt über seinem Kopf öffnete. Er hatte Mühe, der ausladenden Klappe zu entkommen, bevor sie ihm auf den Kopf schlug. Schließlich erreichte die Lade mit einem Knall den Erdenboden, ein Zischen war zu vernehmen, dann kehrte wieder Stille ein. Die nun entstandene Rampe gewährte Zugang zum Inneren des Sternenkreuzers.

Sven stand mit den Händen in der Jackentasche da, weiterhin ratlos. Er blickte sich um: Von den Anderen war nichts zu sehen. Na ja … möglicherweise hatte sich die Luke wegen ihm geöffnet. Er deutete provisorisch mit dem Zeigefinger auf das Raumschiff, so, als warte er auf eine Anweisung, was er jetzt tun sollte, aber es war niemand da, der ihm hätte antworten können.

Schließlich zuckte Sven mit den Achseln und lief die Rampe hinauf ins Innere des Raumschiffs.

Alienalphabet

 

Dunkelheit umgab ihn, außer ein paar Rohrleitungen an den Wänden konnte er nichts ausmachen. Es war nicht sonderlich heimelig hier, aber das Innere von Schiffen sah für gewöhnlich nicht reizvoll aus, außer in der ersten Klasse. In diesem Moment erklang das mechanische Geräusch erneut und die Luke schloss sich.

Scheiße. Scheiße!! Wieso lief er auch einfach so in ein Raumschiff? Das war doch scheiße, oder?! Sven drückte gegen die Tür. Sie saß fest und war an ihrer Verankerung offensichtlich gut verschweißt. Okay, auf diesem Weg würde er das Raumschiff nicht wieder verlassen können, aber es war ein großes Schiff, sicher gab es einen Hinterausgang – für das Dienstpersonal oder so.

»Sven«, hörte er nun eine Stimme. »Sven.«

Sie kam ihm bekannt vor. Diese Stimme hatte er schon einmal gehört … Gerade vorhin erst in seinem Traum! Was zum Teufel war hier los?!

»Svehehen.«

»Ja doch«, rutschte es Sven heraus. Die Stimme schien von rechts zu kommen, also machte er sich auf den Weg dorthin.

Der Gang war schmal für ein Raumschiff. So einen engen Korridor sollte es hier nicht geben. In Scifi-Filmen gab es nie schmale Gänge, da waren Wege in Sternenkreuzern immer breit wie eine einspurige Straße. Dabei sollte man meinen, dass Platz in einem Raumschiff Luxus war, der nicht unnötig verschwendet werden konnte. Wie auf einem Schiff. Schließlich musste das Gefährt aus der Schwerkraft eines Planeten hinausbefördert werden und dabei zählte jedes überflüssige Kilo. Außerdem war ein kompaktes Raumschiff stabiler. Er vertrieb sich die Zeit mit derartigen Überlegungen, um seine Anspannung im Zaum zu halten.

Es waren keine offensichtlichen Türen in dem Gang auszumachen, aber er wusste nichts über die Beschaffenheit der Materie in diesem Schiff und vielleicht konnte man hier an bestimmten Stellen ja einfach durch die Wand gehen, weil die Struktur es zuließ.

Er kam an eine Abzweigung. Für die Richtungsweisung gab es eine optische Hilfestellung: Unter einem Pfeil in den entsprechenden Gang war ein Bildschirm angebracht. Auf jenem für die Richtungswahl »links« war eine Katze abgebildet, zusammen mit dem Begriff »Cat-walk«. Der rechte Flur wurde mit dem Begriff »Wolf-gang« ausgewiesen und war mit einem entsprechenden Symbol gekennzeichnet. »Ungewöhnlich profan für eine höher entwickelte Spezies«, dachte sich Sven. Andererseits hatte er sich schon oft gewünscht, dass Parkplätze von Einkaufszentren derartige Markierungen trugen, das hätte ihm so manche Viertelstunde für die Fahrzeugsuche erspart. Wie auch immer, am Ende des Wolfgangs drang ein Lichtschimmer durch die Wand, wenn das, was er sah, überhaupt eine Wand war. Er drehte sich nochmal um, als wäre es eine Option, einfach kehrtzumachen, dann schritt er auf die geheimnisvolle Lichtquelle zu.

Das diffuse Licht machte ihn konfus, doch schließlich erreichte er das Ende des Gangs und stand vor der ominösen Wand. Ein blauer Lichtschimmer war nun deutlich auszumachen, der durch die ansonsten solide und in seinen Augen seriös wirkende Mauer strahlte. Sven streckte seine Hand aus und näherte sich vorsichtig der vermeintlichen Begrenzung, welche zumindest eine Lichtquelle vor ihm zu verbergen schien. Als er in Kontakt kam, glitt seine Hand einfach durch das Gemäuer. Er fühlte Bewegung um sich, so, als würde er in herabfallendes, warmes Wasser greifen. Konnte diese Wand aus beweglichen Teilen bestehen, die durch irgendeine Kraft, die er nicht verstand, in ihrer Position gehalten wurden? Unvermittelt durchfuhr ihn markerschütternder Schrecken, als jemand oder etwas, das er nicht sehen konnte, seine Hand ergriff und ihn durch die Mauer zog. Zuerst bestieg er ungefragt ein Raumschiff und dann begrapschte er auch noch eine Wand, von der er nicht wusste, ob sie am Leben war. Er hatte schon bessere Freitage erlebt. Das war das Letzte, was er dachte, bevor er vor einigen Geschöpfen stand, die der Bezeichnung Mensch nicht gerecht wurden. Sven erschrak fürchterlich. Er hatte erwartet, dass dieses Spiel mit flackernden Lichtern und diffusen Schatten noch eine Weile weitergehen würde, aber das war kein Film und jetzt standen da fünf Aliens und Sven wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte.

»Wir sind keine Aliens«, erklärte einer der Aliens. »Wir sind Außerirdische.«

Die Geschöpfe hatten hellblaumetallic schimmernde Haut und zwei Fühler auf dem Kopf, die Pupillen ihrer esslöffelgroßen Augen waren dreieckig und gezwinkert wurde mit einer Art Scheibenwischer, der sich im 360-Grad-Winkel permanent um seine eigene Achse drehte.

Bevor Sven vollends die Fassung verlor, stellte er eine Frage. Das war die Kunst, dem Wahnsinn zu entgehen: so zu tun, als wäre alles normal. »Was wollt ihr?«, erkundigte er sich bei den fünf interstellaren Besuchern.

»Wir haben einen Auftrag für dich.«

Sven war dazu geneigt, die fremden Geschöpfe aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, denn er sah keine Bewegung des Mundes. Eine Eigenheit, die sich auch dadurch nicht verdauen ließ, dass sie offensichtlich gar keinen besaßen, was ihn wieder in Panik versetzte. Nichts war erschreckender für einen Menschen, als ein Geschöpf, das ihn an einen Menschen erinnerte, aber keiner war. Die Antworten schien er jedenfalls nicht durch seine Ohren, sondern direkt in seinem Kopf zu erhalten.

»Wir haben eine wichtige Mission für dich, Sven«, und da das Geschöpf, das ihm am nächsten stand, den Kopf so bewegte, als würde es sprechen, ging Sven davon aus, dass die Nachricht von ihm kam.

»Aha. Gibt’s auch eine Bezahlung? Wie lange wird es dauern? Und nebenbei: Was ist das für ein Auftrag?« Sven hatte das Gefühl, die Lage mitsamt seiner Gefühle im Griff zu haben, wenn er etwas Zynismus ins Spiel brachte.

»Deine Bezahlung ist das Leben«, bekam er zur Antwort.

»Aber ich will nicht mit dem Leben bezahlen«, empörte sich Sven.

»Du darfst es ja behalten. Das ist dein Geschenk.«

»Das ist keine Bezahlung, das ist Erpressung.«

»Du verstehst nicht, Erdling. Wir werden dir nicht das Leben nehmen, wenn du unseren Auftrag nicht annimmst, du wirst sterben, so wie der Rest der Welt.«

»Wi … Wieso?«

»Weil du an Gott glaubst.«

Sven runzelte die Stirn. »Ich dachte, das würde sich irgendwann auszahlen.«

»Du glaubst doch nicht an Gott, weil du meinst, es würde sich irgendwann auszahlen. Das wäre keine aufrichtige Loyalität, sondern nur eine Entscheidung für die bessere Seite.«

»Wie auch immer. So wie’s aussieht, habe ich keine Wahl. Was ist das für ein Auftrag?«

»Du musst den Schlüssel von Dimenzion holen.«

»Von wo?«

»Von Dimenzion.«

»Nein, ich meine: Von wo muss ich ihn holen

Eine neue Stimme erklang in seinem Kopf und ein anderer Alienkopf wackelte. Offensichtlich hatte sich ein weiterer Außerirdischer in das Gespräch eingeschaltet.

»Besser wäre es, wenn Ihr sagtet: ›Wo ist er?‹«

»Saxisonorus hat sich etwas zu viel mit weltlicher Grammatik beschäftigt. Der Schlüssel befindet sich in Dimenzion, deshalb heißt er Schlüssel von Dimenzion.«

»Demenzion?«, hakte Sven nach.

»Nein, Dimenzion – hartes m, weiches e«, verbesserte Saxisonorus.

»Es gibt kein hartes m, weil es kein weiches m gibt«, verbesserte Sven.

»Ach deshalb?«, interessierte sich Saxisonorus.

»Ja, es gäbe auch kein B ohne A, aber egal. Wo ist Dimenzion?«, lenkte Sven das Gespräch wieder in

richtige Bahnen.

»Im heutigen Europa.«

»Geht es nicht etwas präziser?«

»Der Ort, den du suchen musst, befindet sich in Österreich. In Wien. Tschüss.«

»Moment! Das kann es doch nicht gewesen sein, ich brauche genauere Informationen und Instruktionen … außerdem muss ich am Montag wieder zur Arbeit.«

»Du musst überhaupt nicht mehr zur Arbeit. Dein Freund Konstantin, ein Außerirdischer unseres Wohlgefallens, gibt dir alle Informationen, die du brauchst … Nun geh dahin.«

Die Außerirdischen wiesen ihn zur Wand. Sven stolperte zurück, er hatte das Gefühl, noch tausend Fragen stellen zu müssen, aber das Gespräch war offensichtlich beendet.

Er begab sich zu der Luke, durch die er hereingekommen war. Vermutlich würde er dort auch wieder hinausgelangen. Offensichtlich galt bei diesen Gefährten immer solange das Nächstliegende, bis jemand etwas anderes behauptete. Nun stand er dort, wo er den Ausgang wähnte. Einen Moment später erklang das mechanische Geräusch erneut und die Tür öffnete sich.

Tosender Applaus war zu vernehmen, noch bevor Sven erkennen konnte, von wem er verursacht wurde. Als sich seine Augen nach der dunklen Umgebung an das Licht gewöhnt hatten, sah er die riesige Menschenmenge, die Hermanns Wiese plattstand, jemand ließ zwei Tauben aufsteigen und ein Sportflugzeug mit dem Banner »Aliens und Menschen Hand in Hand im wunderschönen Bayernland«, zog

über den Himmel.

Fernsehkameras zeichneten das Spektakel auf, außerdem standen bis an die Zähne bewaffnete Militärangehörige da, die nervös mit den Beinen wippten und Maschinengewehre in ihren Händen balancierten.

Sven hörte die Stimme eines Moderators: » … und nun haben wir zum ersten Mal Sichtkontakt mit einem Außerirdischen. Dieser Moment wird Geschichte schreiben.«

 

* * *

 

»Ach du Scheiße!«, murmelte Sven und hatte Angst, etwas zu tun, das die bewaffnete Garde als feindselige Geste auffassen konnte. Er wusste nicht genau, wie er sich verhalten sollte, aber die Menge wartete darauf, dass er eine Reaktion zeigte – oder gar eine Aktion. So hob Sven unbeholfen die Hand und winkte kurz, woraufhin die Soldaten nervös ihre Gewehre anhoben und die Menge in tosendem Applaus ausbrach.

Sven lief behutsam die Rampe nach unten und widerstand dem Impuls, seine Hände in die Taschen zu stecken, wie er es sonst tat, um nicht den Gedanken zu provozieren, er würde eine Waffe mit sich führen. Schon kam ihm ein Mann entgegengeeilt, der nicht gerade vertrauenswürdig aussah. Schwarze Sonnenbrille, schwarzer Anzug, Ohrhörer – offenbar, um mit den Kollegen oder Untergebenen in Funkkontakt zu bleiben. »Sir, wenn Sie bitte mit uns kommen würden«, sagte er, und es klang nicht wie eine Bitte.

Er hatte wohl keine Wahl, der Mann wurde von zwei maschinenbewehrten Männern begleitet.

Sie gingen in einen Wohnwagen am Rande der Ansammlung.

»Setzen Sie sich doch.« Der Mann deutete auf einen Stuhl, und seine Geste machte deutlich, dass auch dies keine Option war. Sven setzte sich. Der Mann positionierte sich ihm gegenüber an der anderen Seite des Tisches und stützte sich mit seinen Händen auf der Tischplatte ab. »Also, Herr Alien … wir möchten nur wissen, was Sie hier wollen.«

»Ich bin hier zuhause«, erklärte Sven unbedarft.

»Offensichtlich sind sie bereits unter uns«, murmelten sich zwei Soldaten im Hintergrund zu.

»Wir vom FBI«, fuhr der Erste fort, »sind daran interessiert, die Menschheit zu schützen.«

»Schön«, antwortete Sven, woraufhin der Sonnenbebrillte offenbar böse wurde. »Also, ich frage Sie nochmal: Was wollen Sie hier?«

»Und ich sag Ihnen nochmal, dass ich hier zuhause bin«, ließ sich Sven nicht beeindrucken.

»Was soll das heißen: Sie sind hier zuhause?«

»Ich bin aus dem Ort hierhergelaufen, weil dort das Raumschiff stand. Dann öffnete sich eine Luke und ich bin rein.«

»Einfach so.«

»Ich war neugierig.«

»Und was haben Sie im Inneren des Raumschiffs gesehen?«

»Nichts. Nur ein paar Kunststoffröhren aus Metall.«

»… Kunststoffröhren aus Metall …«

»Na ja, kunststoffummantelte Röhren aus Metall.«

»Woher wissen Sie denn, dass sie aus Metall waren, wenn sie doch mit Kunststoff ummantelt waren?«

»Das ist doch immer so, oder?«

Der Mann schlug mit den Händen auf den Tisch. »Ich hab genug von Ihren Spielchen.« Er atmete einmal durch. »Ich sehe mich gezwungen, Sie an Doktor Frightful zu übergeben. Der wird es schon aus Ihnen herauskitzeln.«

Der Agent schnippte mit den Fingern, woraufhin einer der Soldaten nach draußen ging und jemanden hereinholte.

Der Mann, der nun eintrat, trug eine Brille und einen Koffer. Er wuchtete ihn auf den Tisch – das sah nicht gut aus. Wahrheitsserum, Daumenschrauben, Schlitzmesser – der Koffer bot viel Platz für allerlei Folterwerkzeug und die schlimmsten Befürchtungen.

Der Doktor löste die Schnallen und öffnete sein Gepäck. Oje oje oje … Doch Svens Angst wich der Verblüffung, als er den Inhalt des Koffers sah. In der Aussparung im schwarzen Kunststoff war gerade genug Platz für ein Pendel. Es war golden und hing an einer filigranen Kette. Der Doktor hob es behutsam heraus und ging um den Tisch herum.

Er positionierte sich hinter Sven und ließ das Pendel im Uhrzeigersinn um seinen Kopf kreisen. Vor seinen Augen und hinter seinem Hinterkopf vorbei.

Bei Sven kam der Schweißer durch: »Das ist saubere Arbeit. Gefräst und anschließend im Kupferbad versiegelt?«

»Genau, danach noch eine Legierung …«, ließ sich der Doktor mitreißen.

»Machen Sie Ihre Arbeit!«, brüllte der Mann in Schwarz.

»Schluss damit!«, hörte er eine Frauenstimme vom Eingang des Wohnwagens schallen.

»Wer sind Sie?«, empörte sich der Agent, mit hörbarem Erstaunen in der Stimme.

»Christina Wagner, Bundesnachrichtendienst. Sie und Ihre Leute verschwinden hier.«

»Wissen Sie, mit wem Sie reden? Ich bin vom FBI.«

»FBI bedeutet in Deutschland nur Stoff für gute Fernsehserien. Sie befinden sich auf deutschem Hoheitsgebiet. Heidi, Susi – begleitet die Herren zum Flughafen.« Zwei Schäferhunde zogen zwei Beamte an Hundeleinen in den Raum, und die FBI-Leute zogen unter sichtlichem Unbehagen vor den Hunden Leine.

 

* * *

 

»Also, Herr Sven Steffens.«

»Sie kennen meinen Namen?«

»Ich hab mich bereits über Sie informiert. Wie sind Sie dareingekommen?«

»Na ja … ich war neugierig und kam hierher. Dann öffnete sich eine Luke und ich ging rein. Drinnen sah ich nur kahle Gänge und kunststoffummantelte … na ja Rohre eben. Ich lief ein bisschen durch die Gänge und dann kam ich wieder an der Eingangsluke vorbei, die sich prompt in diesem Moment öffnete.«

»Und Sie haben nichts gesehen, außer Röhren?«

»Ja, und diffuses Licht von den Decken. Bläulich schimmernd, wie Neoröhren. Nur in Blau.«

»Gut. Dann hab ich keine weiteren Fragen. Sie können nachhause gehen.«

»Danke.«

Sven nickte freundlich und machte sich dann eilig auf den Nachhauseweg.

Als er um die nächste Häuserecke gebogen war, hörte er ein mechanisches Rauschen und überraschte Ausrufe der anwesenden Menge. Er drehte sich um und sah, wie das Raumschiff abhob und an seiner Unterseite regenbogenfarbenen Rauch hinterließ. Eine surreale Erscheinung, die sich mehr und mehr von der Erde entfernte und schließlich in den Wolken verschwand. Der Spuk war vorbei.

Freund und Leid

 

Puh, was für ein Erlebnis. Er wäre besser gleich zuhause geblieben. Sven legte sich wieder ins Bett, der Kaffee war inzwischen kalt … Verdammt. Verdammter Wahnsinn! Die Außerirdischen hatten ihm doch einen Auftrag gegeben … konnte er den so einfach ignorieren? Natürlich konnte er … aber dann würde die Welt untergehen … und sein bester Freund war ein Alien. Scheiße. Er wusste gar nicht, ob er jetzt noch Kontakt mit ihm wollte. Nicht, dass er rassistisch war, aber er hatte etwas Schiss. Warum hatte der ihm nie etwas gesagt? Möglicherweise fürchtete er sich. Möglicherweise taten sie das beide.

So lag er den Mittag über auf dem Bett. Irgendwann klingelte es an der Tür. Er beschloss, es zu ignorieren, doch das Klingeln verstummte nicht. Es wurde massiver und länger. Mist, der Geheimdienst würde ihn doch nicht erneut heimsuchen und am Ende noch seine Bude stürmen, wenn er die Tür nicht aufmachte?

Auf Strümpfen tapste er die Treppe nach unten und riss die Tür auf. Ein Schreck durchfuhr ihn – sein bester Freund Konstantin. Sven stand mit halb geöffnetem Mund da und konnte sich kaum bewegen. Er starrte nur dem wohlvertrauten Gesicht in die Augen, das ihm jetzt so fremd schien. Konstantin ließ ihm einen Moment, ehe er zur Räson rief. »Also, wenn du dann fertig bist. Hast du nicht einen Auftrag bekommen? Ja, hast du: Du sollst den Schlüssel Dimenzion klarmachen. Und warum tust du’s nicht?«

Sven atmete durch und Rang nach Fassung. »Hör zu, ich bin noch dabei, mit der Sache fertigzuwerden.«

»Die Sache wird aber nicht fertig, wenn du sie nie anfängst.«

»Ich meine doch emotional.«

»Du meinst, du musst erstmal die Sache zwischen dir und mir klären.«

»Oh, das zwischen dir und mir, das ist schon …«

Konstantin lehnte sich ein Stück nach vorne, und Sven wich um die gleiche Distanz zurück.

»Es ist, weil ich ein Alien bin«, brachte es sein Freund auf den Punkt. »Hör zu, ich bin kein biologisch außerirdisches Geschöpf, das in diesem Körper steckt. Ich bin ein richtiger Mensch. Diese Aliengeschichte ist feinstofflicher Natur – quasi auf Ebene des Geistes und der Seelen. Mein Körper ist durch und durch menschlich und du wirst nach menschlichen Messverfahren nichts Außerirdisches an mir feststellen.«

»Gut … äh nein, ich meine: Kein Problem wäre das. Ist in Ordnung. Ob schwarz, weiß, grün oder schwul – wir sind doch alle Menschen oder irgendwas in der Richtung, oder so.«

»Ja, ja.« Konstantin und Sven nickten und eine peinliche Pause entstand.

»Tja … dann mal los!«, resümierte Konstantin schließlich. »Pack deine Sachen. Auf nach Österreich, das liegt teilweise in Wien. Und dann retten wir die Welt. Und nimm Bares mit. Alles, was du hast. Falls wir scheitern, sollten wir stilvoll untergehen.«

 

* * *

Sven trottete nach oben, um seinen Koffer zu holen, schließlich blieb er auf halbem Wege stehen. »Wieso muss ich diesen Scheiß eigentlich machen?«

Konstantin musterte ihn von oben bis unten: »Das frag ich mich auch.«

»Wie groß ist dieser Schlüssel eigentlich, hä? Wenn er größer als ein Haus ist, können wir ihn nicht transportieren, und wenn er so groß ist, wie ein Schlüssel nun mal ist, wie sollen wir ihn dann in Wien finden?«

»Wir haben ein tüchtiges Aliennetzwerk in Wien. Wir finden ihn.«

Sven musterte seinen Freund. »Wie konntest du mich nur so lange täuschen?«

»Hey, ich hab nie behauptet, dass ich ein Mensch bin.«

»Vielleicht ist das Ganze nur eine Finte, wie das mit dem 21. Dezember 2012.«

»Oh, das war keine Finte«, erklärte Konstantin. »Die Menschen haben nur noch nicht begriffen, was sie damals wirklich verloren haben. Davon abgesehen: Es gibt nun mal zwei Sorten von Kalendern: endliche Kalender und unendliche Kalender. Endliche Kalender enden nun mal irgendwann. Und wenn die Mayas einfach keine Lust hatten, bis zum Nimmerleinstag Kalender zu führen?«

»Leuchtet ein.«

»Ich hatte mir trotzdem nichts vorgenommen für den 21.12. Man weiß ja nie. Aber für den 22. hatte ich Skiurlaub gebucht.«

Sven blickte ihn skeptisch an.

»Was?!«, fragte sich Konstantin.

 

* * *

Sven packte seine Koffer. Was sollte er überhaupt mitnehmen? Es war Ende April. Schon ein paar kurze Hosen? Würden sie auch Zeit haben ins Hundertwasserkaffee zu gehen?

Nachdem er sicher war, dass er alle Ausweispapiere bei sich hatte, sorgte er sich nur noch um eine Vignette, aber Konstantin redete ihm ein, dass man diese auch noch erwerben konnte, wenn man von der Polizei angehalten wurde, weil man keine besaß. Man müsse dann lediglich eine »Servicegebühr« entrichten.

Sie liefen zur Garage. Sein Freund rümpfte wie immer die Nase, wenn er Svens alten Golf sah. Mit Wohlwollen nahm er auf, dass dieser nicht ansprang.

»Freu dich nicht zu früh«, mahnte Sven und deutete auf eine Plane, die ein klobiges Gefährt verbarg. »Ich hab noch ein Ass im Ärmel.«

»Ein Ass nennst du das? Diese Dreckschleuder?«

»Hey, das ist ein zweisitziges Kultbike.«

»Das ist ein Motorrad mit Beiwagen.«

»Sag ich doch.«

»Äh äh. Kannst du vergessen.«

»Was? Wieso? Und: Hast du auch ‘ne bessere Idee?«

»Antwort auf Frage zwei: Weil wir nicht mit einem Motorrad mit Beiwagen auf der Autobahn nach Wien fahren werden. Frage drei: Ja, ich hab eine bessere Idee. Und Frage eins war gar keine Frage, sondern nur ein Ausruf von Überraschung.«

»Jetzt weiß ich, was du da immer tust. Ich hab es nie begriffen. Du schmeckst die Worte nach, die ich sage, weil dir die menschliche Art fremd ist.«

»Na, von Art kann keine Rede sein, eher von Abart.«

»Ich geh davon aus, dass das Wort, das du gesucht hast ›apart‹ lautet. Und wie ist die Ausführung der Antwort auf Frage zwei?«

»Wir fahren nach Ingolstadt.«

»Was? Wieso? Willst du dir einen Audi kaufen?«

»Sehr witzig, nein. Ich werde uns einen Audi organisieren

»Ach ja, einfach so.«

»Wie sonst?«

»Hast du schon mal was von Geld gehört?«

»Schon mal was von Vergeltung gehört?«

»Willst du ihn stehlen?«

»Nein, ich kenn den Audi-Chef.«

»Du kennst Rupert Stadler?«

»Ja, er kommt vom gleichen Planeten.«

»Na super.«

»Er wird uns einen Wagen überlassen.«

»Einfach so.«

»Einfach so. Aliens sind nicht so geizig wie Menschen.«

»Klar. Die Zerstörung der Welt ist vollkommen umsonst, und jetzt einsteigen!« Sven deutete auf das Motorrad. Konstantin seufzte.

 

* * *

 

Sie trugen alte Fliegerkappen und runde Fliegerbrillen. Die hatte Sven von dem Typen bekommen, dem er das Motorrad abgekauft hatte. Er hätte danach sehen sollen, ob das Fahrzeug eine gültige TÜV-Plakette hat, und er hätte fragen sollen, warum das Motorrad keine gültige TÜV-Plakette hat, aber er fand es zuhause schnell alleine raus. Hoffentlich hielt sie niemand an.

Konstantin sang während der Fahrt, bis ihm eine Fliege in den Rachen flog. Danach hörte er auf.

Gegen Abend erreichten sie Ingolstadt. Sie folgten dem Verkehrsleitsystem und sahen alsbald das Audi-Werk.

»Und was jetzt? Marschieren wir da einfach rein?«, wollte Sven wissen.

»Nein, ich werde ihn rufen.«

»Du wirst ihn anrufen?«

»Nein, ich werde ihn rufen. Mit meinen geistigen Fähigkeiten.«

»Toll. Hoffentlich geht nicht der Anrufbeantworter ran.«

Kurze Zeit später öffnete sich das Rolltor an einer der Lagerhallen. Ein schlanker, integrer Mann trat heraus. Er trug eine stilvolle viereckige Brille und lächelte.

Sie gingen ihm entgegen.

»Quikiquak«, rief Konstantin.

»Hallo«, grüßte Sven.

Der Audi-Chef schüttelte ihm die Hand. »Hattet ihr eine schöne Fahrt?«

»Ich hab Ohrensausen«, erklärte Konstantin, »und eine Fliege verschluckt.«

»Na, das wird euch mit dem neuen Audi TT nicht passieren.« Er gab einen Wink und aus dem großen Tor kam ein stattlicher Flitzer gerollt.

»Ich hab mir erlaubt, ein 10.000 Euro Soundsystem einzubauen«, ergänzte der Audi-Chef.

»Danke, wär doch nicht nötig gewesen«, antwortete Konstantin mit Vorfreude.

»Es ist vieles nicht nötig in diesem Auto«, erklärte der Audi-Chef.

»Ein Auto nach meinem Geschmack«, befand Konstantin und rieb sich die Hände. »Du fährst«, sagte er zu Sven.

»Wollte ich gerade vorschlagen.«

»Hast du keinen Führerschein?«, wollte Stadler von Konstantin wissen.

»Ich hatte einen Mofaführerschein, aber der wurde mir abgenommen, obwohl ich überhaupt nicht mit dem Mofa gefahren bin, sondern mit einem 7,5-Tonnen-Lkw.«

»Ja, die weltlichen Behörden sind kleinlich«, sinnierte der Audi-Chef. »Also dann: Gute Fahrt. Und Quakiquikiquoko!«

Sie setzten ihre Reise fort.

 

* * *

 

Konstantin probierte alle Knöpfe aus und ließ jedes Mal, wenn sich etwas Sichtbares tat, ein »Ahhh« oder »Ohh« vernehmen. »Die Radiofrequenz lässt sich über den Zahlenblock nicht einstellen, aber vielleicht muss man die Nummer auf Englisch eingeben.«

Sven runzelte die Stirn. »Also«, sagte er schließlich. »Deine ganze Lebensgeschichte ist eine Lüge.«

»Nein, nein«, begehrte Konstantin auf. »Meine Eltern sind wirklich gestorben, als ich fünf war, nur nicht auf dem Planeten Erde.«

»Und dein Name? Du heißt doch nicht wirklich Konstantin Nobel.«

»Ich dachte, es wäre ein glaubhafter Erdenname.«

Sven rollte die Augen und wechselte das Thema. »Welches Hotel besuchen wir?«

»Plaza!«

»Ich weiß nicht, ob es ein Hotel namens ›Plaza‹ in Wien gibt.«

»Und wenn schon – das ist der stellvertretende Begriff für: Das beste Hotel der Stadt.«

»Kohle – das ist der stellvertretende Begriff für das nötige Kleingeld, das man dafür braucht. Hast du es?«

 

* * *

 

Sie fuhren in die Wiener Innenstadt ein.

»Also, wohin jetzt?«, wollte Sven nun definitiv wissen.

»Plaza.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein, wir fahren nach links. Da, in eines der Randviertel. Da sind Unterkünfte wesentlich günstiger.«

»Überhaupt nicht. Günstiger sind Hotels, die eine günstige Lage in der Innenstadt haben.«

»Ich meine doch preislich.«

»Ich hab keine Lust, als Preis ein kaputtes Knie zu bezahlen. Innenstadt!«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein.«

»Doch.«

In diesem Moment hörten sie ein lautes Krachen

und Poltern. Ein Schemen rollte über die Windschutzscheibe.

»Scheiße! Du hast jemanden überfahren.«

»Scheiße! Ich hab jemanden überfahren!«

Sie hielten an und stiegen aus.

Hinter dem Fahrzeug lag ein Mann. Jetzt stand er auf.

»Er lebt!«, flüsterte Sven.

»Das heißt gar nichts«, meinte Konstantin. »Er kann innere Verletzungen haben und noch Minuten später krepieren.«

»Araba!«, sagte der Mann jetzt.

»Was?«, riefen Sven und Konstantin im Chor aus.

»Araba!!«

»Scheiße. Er hat einen Dachschaden abbekommen!«

»Vielleicht will er sagen, dass er aus Arabien kommt«, resümierte Sven.

»Nein. Das ist ein Außerirdischer.«

»Was sagt er dann?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Du bist doch auch ein Außerirdischer.«

»Du bist auch ein Außerirdischer: ein Erdling. Von meinem Planeten aus gesehen ist das ein Außerirdischer. Und? Kannst du seine Sprache? Weißt du, wie viele Aliensprachen es gibt? Von den ganzen Cyberdialekten gar nicht zu sprechen.«

»Lass uns versuchen, ihn einfach in unserer Sprache anzusprechen.«

Sven ging vorsichtig auf ihn zu, als könnte der Mann wie ein verschrecktes Tier davonlaufen … oder angreifen. »Hallo … Wie heißt du?«

»Christian«, erklärte der Außerirdische.

»Christian?«

»Ja.«

»Ein Außerirdischer namens Christian – das find ich irgendwie verdächtig«, merkte Sven an.

»Wo kommst du her?«, wollte Konstantin wissen.

»Von ertsodaigfasdölkgfjsödlkjfghvrdöolkvjeröolitgjreöotij.«

»Aha. Ich versuchs mir zu merken«, antwortete Sven ironisch.

»Du kannst auch ›ertsodaigfasdölkg‹ sagen«, bot Christian an.

»Danke.«

»Was tust du hier? Ich meine in Wien«, fragte ihn Konstantin.

»Ich suche einen Schlüssel. Ich muss nach Bereschit, danach zur Apfelernte.«

Sven zögerte einen Moment, bevor er antwortete: »Seeehr interessant.«

»So ein Zufall … oder so«, pflichtete Konstantin bei. »Wir suchen nämlich auch einen Schlüssel – den Schlüssel Dimenzion.«

Sven gab ihm einen Stupser. Vielleicht war der Weltuntergang ja Geheimsache.

»Der Schlüssel Bereschit und der Schlüssel Dimenzion befinden sich exakt am gleichen, äh selben Ort«, erklärte Christian.

»Hey, cool! Weißt du wo?«, wollte Konstantin wissen.

»Nö, aber ihr könnt mich Chris nennen.«

Sven ließ enttäuscht die Schultern sinken.

»Hast du ‘ne Unterkunft?«, fragte Konstantin indes.

»Plaza«, antwortete Chris, und Konstantin warf Sven einen von Genugtuung erfüllten Blick zu.

Aliens unter sich, Menschen außer sich

 

Suite und Deluxe-Zimmer?«, fragte der Portier, nachdem Konstantin offensichtlich zwei Goldmünzen auf den Tresen gelegt hatte.

»Ich steh auf Deluxe und Limited«, schwärmte er, und sie bekamen ihre Schlüssel ausgehändigt.

»Warum lässt du mich als Schweißer darben, wenn du einfach so mit Gold um dich werfen kannst?«, wollte Sven wissen.

»Das ist kein echtes Gold. Es ist praktisch wertloses Erz von Aquarius B. Aber menschliche Messverfahren können den Unterschied nicht feststellen«, verteidigte sich Konstantin.

»Na also, dann ist es für Menschen Gold. Wenn wir hier fertig sind, kannst du vielleicht ein bisschen von dem wertlosen Erz gegen Erde aus meinem Vorgarten tauschen.«

 

* * *

 

Also, was jetzt?«, fragte Sven, als sie auf Christians Zimmer saßen und Konstantin die Speisekarte des Hotels studierte.

»Ich würde sagen die 153, die 154 und 155 ohne Speck«, schlug er vor.

»Hör auf mit dem Quatsch«, rief ihn Sven zur Räson.

»Wieso? Magst du keinen Salat?«

»Wir sind zum Arbeiten hier.«

»Aber nicht mit leerem Magen«, mahnte Konstantin.

Christian verschwand in seinem Badezimmer, von wo aus sie kurze Zeit später gurgelnde Geräusche hörten.

»Sollen wir mal nachsehen?«, wollte Sven wissen.

»Nein, nein. Das ist normal. Er bonaniert.«

»Er onaniert?«

»Nein, er bonaniert. Er reißt sich die oberste Hautschicht ab.«

»Wieso?«

»Das tut er, statt zu ruhen. Die Müdigkeit und alle schlechten Einflüsse werden in die oberste Hautschicht verlagert, dann wird sie abgerissen. Das macht man einmal pro Tag und man muss nie schlafen und wird nie krank.«

»Also ich weiß nicht, wenn ich mir die Haut abreiße …«

»Na, bei einem Menschen funktioniert es natürlich nicht.«

Sie aßen fürstlich. Danach war Sven so müde, dass er den Weltuntergang erstmal auf morgen verschob.

 

* * *

 

Am nächsten Tag dachte er, er hätte alles nur geträumt. Aber er lag in einem fremden Bett. In einem Hotelbett. Mehr noch: in einem Hotelbett einer Luxussuite. Luxus: er war ihm nie begegnet … bis jetzt.

Sie frühstückten alle gemeinsam in Christians Suite. Konstantin biss je einmal in zwanzig verschiedene Gebäckspezialitäten.

»Hör auf, das gehört sich nicht«, mahnte Sven.

»Wieso? Wen stört‘s? Die Welt geht unter. Oder glaubst du, Gott kommt eines Tages zu mir und sagt ›Konstantin, du bist ein Außerirdischer meines Wohlgefallens, aber du hast einmal zwanzig Gebäckstücke nur angebissen. Seitdem bist du bei mir untendurch. Fahr zur Hölle!‹«

»Ich glaube schon, dass Gott erbost darüber wäre, dass du das Essen, das er dir beschert hat, nicht aufisst. Also Christian«, wandte sich Sven nun an ihren neuen hoffentlich Verbündeten, »hast du einen Plan, wie wir deinen Schlüssel von Bereschit und unseren von Dimenzion finden können?«

Christian zeigte ein strahlendes Lächeln und sagte: »Gurgel«, bevor er antwortete: »Wir müssen im Bauamt nachfragen. Das ist im Rathaus.«

»Im Bauamt? Das klingt so weltlich. Ich hatte was Mystisches erwartet«, wunderte sich Sven.

»Gott hält nichts von Zauberei. Und wenn du an einem bestimmten Ort so ein mystisches Gefühl im Magen verspürst, dann ist es nichts Spirituelles, sondern wahrscheinlich nur ein Darmleiden«, erklärte Chris.

»Also im Bauamt. Und weiter?«

»Frag im Bauamt nach den Schlüsseln Bereschit und Dimenzion.«

»Wartet mal: Ich kann doch nicht so einfach im Bauamt nach so etwas Mystischem fragen.«

»Wer sagt, dass es was Mystisches ist?«, wunderte sich Christian.

»Also gut, und warum soll ich das machen?«

»Weil du den Auftrag bekommen hast den Schlüssel zu organisieren«, rief ihm Konstantin in Erinnerung.

»Aber nur den von Dimenzion und nicht den von Bereschit.«

»Wenn du weißt wo der eine ist, weißt du doch auch wo der andere ist.«

»Richtig«, lenkte Sven ein. »Irgendeinen speziellen Ansprechpartner?«

»Ja. Es gibt da einen außerirdischen Sachbearbeiter namens Kurt Liebknecht«, wusste Chris.

»Wieso haben die alle so komische Namen?«, wunderte sich Sven erneut.

»Es sind Außerirdische«, fiel Konstantin dazu ein.

»Nein, ich meine: Warum haben sie so menschliche Namen?«

»Ich kann dir auch seinen wahren Namen nennen. Er beginnt mit einer 200-stelligen Zahlenkombination«, bot Chris an.

»Nein danke. Warum holen die Aliens den Schlüssel eigentlich nicht selbst?«

»Es sind keine Aliens, es sind Außerirdische«, verbesserte Konstantin.

»Ja, ja, schon gut … Also, warum holen sie den Zores nicht selbst ab?«

»Nur jemand, der hier geboren wurde, also ein echter Landsmann, besser gesagt ein Mann von Welt, darf den Schlüssel holen.«

»Aha. Also geh ich zu diesem Kurt Liebknecht, und der sagt mir dann so einfach, wo der Schlüssel ist?«

Chris amüsierte sich. »Schön wär‘s.«

»Und wie ist es?«

»Ich hab nicht gesagt, dass es nicht so ist, aber vielleicht musst du ihn foltern.«

»Was?«