Gottfried Keller

Das verlorene Lachen

Novelle

Gottfried Keller

Das verlorene Lachen

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962812-93-5

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

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Erstes Kapitel


Drei El­len gute Ban­ner­sei­de,
Ein Häuf­lein Vol­kes, eh­ren­wert,
Mit kla­rem Aug, im Sonn­tags­klei­de,
Ist al­les, was mein Herz be­gehrt!
So end ich mit der Mor­gen­hel­le
Der Som­mer­nacht be­schränk­te Ruh
Und wand­re rasch dem fri­schen Quel­le
Der va­ter­län­d’­schen Freu­den zu.

Die Schif­fe fah­ren und die Wa­gen,
Be­kränzt, auf al­len Pfa­den her;
Die luft’­ge Hal­le seh ich ra­gen,
Von Stei­nen nicht noch Sor­gen schwer;
Vom Red­ner­sim­se schim­mert lieb­lich
Des Fest­po­ka­les Sil­ber­hort:
Heil uns, noch ist bei Frei­en üb­lich
Ein lei­den­schaft­lich frei­es Wort!

Und Wort und Lied, von Mund zu Mun­de,
Von Herz zu Her­zen hallt es hin;
So blüht des Fes­tes Ro­sen­stun­de
Und muss mit gold­ner Wen­de fliehn!
Und jede Pf­licht hat sie er­neu­et,
Und jede Kraft hat sie ge­stählt
Und eine Kör­ner­saat ge­streu­et,
Die nie­mals ihre Frucht ver­fehl­te
Drum wei­let, wo im Fei­er­klei­de
Ein rüs­tig Volk zum Fes­te geht
Und leis die fei­ne Ban­ner­sei­de
Hoch über ihm zum Him­mel weht!
In Va­ter­lan­des Saus und Brau­se,
Da ist die Freu­de sün­den­rein,
Und kehr nicht bes­ser ich nach Hau­se,
So werd ich auch nicht schlech­ter sein!

Die­ses Lied sang der Fah­nen­trä­ger des Seld­wy­ler Män­ner­cho­res, wel­cher an ei­nem pracht­vol­len Som­mer­mor­gen zum Sän­ger­fes­te wan­der­te. Nach­dem die Her­ren am Abend vor­her auf­ge­bro­chen und einen Teil des We­ges auf der Schie­nen­bahn be­för­dert wor­den wa­ren, hat­ten sie be­schlos­sen, den Rest in der Mor­gen­küh­le zu Fuß zu ma­chen, da es nur noch durch schö­ne Wal­dun­gen ging.

Schon brei­te­te sich der glän­zen­de See vor ih­nen aus mit der bunt­be­flagg­ten Stadt am Ufer, als die sech­zig bis sieb­zig jün­ge­ren und äl­te­ren Män­ner des Verei­nes in zer­streu­ten Grup­pen durch einen herr­li­chen Bu­chen­wald hin­ab­stie­gen und das hin­ter den großen Stäm­men woh­nen­de Echo mit Jauch­zen und ein­zel­nen Lie­der­stro­phen wi­der­hal­len lie­ßen, auch etwa ei­nem wei­ter­hin nie­der­stei­gen­den Fähn­lein ant­wor­te­ten.

Nur der al­len vor­aus­zie­hen­de Fah­nen­trä­ger, ein schlank ge­wach­se­ner jun­ger Mann mit bild­schö­nem Ant­litz, sang sein Lied voll­stän­dig durch mit freu­de­hel­ler und doch ge­mä­ßig­ter Ba­ri­ton­stim­me. Ge­schmückt mit brei­ter reich ge­stick­ter Schär­pe und statt­li­chem Fe­der­hut, trug er die eben­so rei­che, schwe­re Sei­den­fah­ne, halb zu­sam­men­ge­fal­tet, über die Schul­ter ge­legt, und de­ren gol­de­ne Spit­ze fun­kel­te hin und wie­der im grü­nen Schat­ten, wo die Strah­len der Mor­gen­son­ne durch die Laub­ge­wöl­be dran­gen.

Als er nun sein Lied ge­en­det, schau­te er lä­chelnd zu­rück, und man sah das schö­ne Ge­sicht in vol­lem Glücke strah­len, das ihm je­der gönn­te, da ein ei­gen­tüm­lich an­ge­neh­mes La­chen, wenn es sich zeig­te, je­den für ihn ge­wann.

»Un­ser Ju­kun­di«, sag­ten die hin­ter ihm Ge­hen­den zu­ein­an­der, »wird wohl der schöns­te Fähn­rich am Fes­te sein.« Er führ­te näm­lich den hei­ter klin­gen­den Na­men Ju­kun­dus Meyen­tal und wur­de mit all­ge­mei­ner Zärt­lich­keit schlecht­weg der Ju­kun­di ge­nannt. Es er­wahr­te sich auch die Hoff­nung; denn als die Seld­wy­ler, am Orte an­ge­kom­men, sich zum Ein­zu­ge un­ter die lan­gen Sän­ger­scha­ren reih­ten, er­reg­te sei­ne Er­schei­nung, wo sie durch­zo­gen, über­all großes Wohl­ge­fal­len.

Den­je­ni­gen, wel­che schon meh­re­re Fes­te ge­se­hen hat­ten, war er auch schon auf das vor­teil­haf­tes­te be­kannt als eine mus­ter­gül­ti­ge Fes­ter­schei­nung. Von ste­ter Fröh­lich­keit und Aus­dau­er vom ers­ten bis zum letz­ten Au­gen­bli­cke, war Ju­kun­di den­noch die Ruhe und Ge­las­sen­heit selbst; im­mer sah man ihn teil­neh­mend an je­der all­ge­mei­nen Freu­de und an je­der be­son­de­ren Aus­füh­rung, aus­har­rend und hilf­reich, nie über­laut oder gar be­trun­ken. Den schrei­en­den Pos­sen­ma­cher wuss­te er zu er­tra­gen wie den übel­lau­ni­schen Fest­gast, der sich über­nom­men und die Freu­de ver­dor­ben hat­te, und bei­de ver­stand er voll Dul­dung und Freund­lich­keit aus al­ler­lei Fähr­lich­kei­ten zu er­lö­sen, wenn die all­ge­mei­ne Ge­duld zu bre­chen droh­te, und sie aus be­schä­men­dem Schiff­bru­che zu er­ret­ten. Selbst den be­wusst­lo­sen Jäh­zor­ni­gen führ­te er, alle Schmä­hun­gen über­hö­rend, mit stil­lem Ge­schick aus dem Ge­drän­ge und er­warb sich Dank und An­häng­lich­keit des Nüch­tern­ge­wor­de­nen.

In die­ser Übung konn­te er üb­ri­gens nur als eine Dar­stel­lung al­ler Seld­wy­ler gel­ten, wenn sie zu Fes­te zo­gen. So un­ge­re­gelt und mü­ßig sie sonst leb­ten, so sehr hiel­ten sie auf Ord­nung, Fleiß und gute Hal­tung bei sol­chen An­läs­sen. Rühm­lich zo­gen sie auf und wie­der ab, eine gut ge­mus­ter­te ei­ni­ge Schar, so­lan­ge die Lust­bar­keit dau­er­te, und sich im vor­aus auf die zwang­lo­se Er­ho­lung freu­end, wel­che zu Hau­se nach so erns­ter An­stren­gung sich lan­ge­hin zu gön­nen sein wer­de.

In die­ser Wei­se hat­ten sie auch den Ge­sang, mit wel­chem sie am Sän­ger­ta­ge um den Preis zu rin­gen ge­dach­ten, treff­lich ein­ge­übt und schon­ten ihre Stim­men mit großer Ent­beh­rung. Sie hat­ten eine Ton­dich­tung ge­wählt, wel­che »Veil­chens Er­wa­chen!« be­ti­telt und auf ir­gend­ein nichts­sa­gen­des Lied­chen auf­ge­baut, aber so künst­lich und schwer aus­zu­füh­ren war, dass es schon Mo­na­te vor­her ein großes Ge­re­de gab an al­len Or­ten, als ob die Seld­wy­ler zu viel un­ter­nom­men und sich dem Un­ter­gang aus­ge­setzt hät­ten.

Als aber der Tag der Wett­ge­sän­ge vor­ge­rückt war und in der mäch­ti­gen wei­ten Hal­le Tau­sen­de von Hö­rern vor fast so viel tau­send Sän­gern sa­ßen und das Häuf­lein der Seld­wy­ler, da ihre Stun­de ge­kom­men, mit dem Ban­ner ein­sam vor­trat in dem Men­schen­mee­re, da hiel­ten sie den eben­so zar­ten als schwe­ren Ge­sang durch alle schwie­ri­gen Har­mo­ni­en und Ver­wi­cke­lun­gen hin­durch auf­recht ohne Wan­ken und lie­ßen ihn so weich und rein ver­hau­chen, dass man das blaue Veil­chen­knösp­chen glaub­te lei­se auf­plat­zen und das ers­te Düft­lein durch die Hal­le schwe­ben zu hö­ren.

Rau­schend, to­send brach der Bei­fall nach der atem­lo­sen Stil­le los, die er­ha­be­nen Kampf­rich­ter nick­ten vor al­lem Vol­ke sicht­bar mit den Häup­tern und sa­hen sich an, die gol­de­nen Do­sen er­grei­fend, Ehren­ge­schen­ke ent­le­gen woh­nen­der Fürs­ten und Völ­ker, und sich ge­gen­sei­tig Pri­sen an­bie­tend; denn es be­fan­den sich von den ers­ten Ka­pell­meis­tern dar­un­ter.

Die Seld­wy­ler selbst tra­ten mit ru­hi­ger Hal­tung zu­rück und wuss­ten ohne Auf­se­hen aus der Schlacht­ord­nung sich hin­aus­zu­win­den, um in ei­nem schat­ti­gen Gar­ten ein mä­ßi­ges Cham­pa­gner­früh­stück ein­zu­neh­men. Kei­ner be­gehr­te mehr als sei­ne drei Glä­ser zu trin­ken, nie­mand merk­te, wo sie ge­we­sen sei­en, als sie wie­der in der Hal­le sich ein­fan­den.

Der­ge­stalt wür­dig ver­hiel­ten sie sich wäh­rend der Dau­er des gan­zen Fes­tes, bis die Stun­de der Preis­ver­tei­lung kam. Das Gold der Nach­mit­tags­son­ne durch­web­te den bis zum letz­ten Platz an­ge­füll­ten Fest­bau, wel­cher mit ro­tem Tuch und Grün aus­ge­schla­gen, mit vie­len Fah­nen ge­schmückt, in fei­er­li­chem Glan­ze wie zu schwim­men schi­en. Auf er­höh­ter Stel­le, wo die zu Prei­sen und Fest­ge­schen­ken be­stimm­ten Scha­len und Hör­ner in Gold und Sil­ber leuch­te­ten, sa­ßen ei­ni­ge Jung­frau­en, aus­er­wählt, die Krän­ze an die ge­krön­ten Sän­ger­fah­nen zu bin­den.

Oder viel­mehr dienten sie der Schöns­ten und Größ­ten un­ter ih­nen zum Ge­leit, der schö­nen Jus­ti­ne Glor von Schwanau, wel­che sich mit vie­ler Mühe hat­te er­be­ten las­sen, das An­bin­den der Krän­ze zu über­neh­men. Sie sah auch aus wie eine Muse; im reich­ge­lock­ten brau­nen Haar trug sie einen fri­schen Ro­sen­kranz und das wei­ße Ge­wand rot ge­gür­tet.

Al­ler Au­gen haf­te­ten an ihr, als sie sich er­hob und den ers­ten Kranz er­griff, wel­cher so­eben den Seld­wy­lern un­ter Trom­pe­ten- und Pau­ken­schall zu­ge­spro­chen wor­den war. Zu­gleich sah man aber auch den Ju­kun­dus, der un­ver­se­hens mit sei­ner Fah­ne vor ihr stand und in fro­hem Glücke lach­te. Da strahl­te wie ein Wi­der­schein das glei­che schö­ne La­chen, wie es ihm ei­gen, vom Ge­sich­te der Kranz­spen­de­rin, und es zeig­te sich, dass bei­de We­sen aus der glei­chen Hei­mat stamm­ten, aus wel­cher die mit die­sem La­chen Be­gab­ten kom­men. Da je­des von ih­nen sich sei­ner Ei­gen­schaft wohl mehr oder we­ni­ger be­wusst war und sie nun am an­dern sah, auch das Volk um­her die Er­schei­nung über­rascht wahr­nahm, so er­rö­te­ten bei­de, nicht ohne sich wie­der­holt an­zu­bli­cken, wäh­rend der Kranz an­ge­hef­tet wur­de.

Eine Stun­de spä­ter ord­ne­te sich der letz­te und rau­schends­te Zug durch die Fest­stadt, un­ter den un­zäh­li­gen Wim­peln und Krän­zen und durch das wo­gen­de Volk hin­durch, in­dem die ge­won­ne­nen Fest­ge­schen­ke und die ge­krön­ten Fah­nen um­her­ge­tra­gen wur­den. Da sa­hen sich die bei­den wie­der, als Jus­ti­ne von der Gar­ten­zin­ne ih­rer Gast­freun­de aus den Zug an­schau­te und Ju­kun­dus vor­über­zie­hend sei­ne Fah­ne schwenk­te; und am Abend er­eig­ne­te es sich, da das gute Glück heu­te be­son­ders flei­ßig war, dass Ju­kun­dus wäh­rend des Schluss­ban­ket­tes der Schö­nen am glei­chen Ti­sche ge­gen­über­zu­sit­zen kam, so­dass sie um Mit­ter­nacht schon in al­ler Fröh­lich­keit und Freund­lich­keit an­ein­an­der ge­wöhnt wa­ren.

Sie tra­fen sich auch am nächs­ten Mor­gen als gute Be­kann­te auf ei­nem großen be­flagg­ten Dampf­boo­te, wel­ches die Fe­st­re­gie­rung mit ei­ner Zahl ein­ge­la­de­ner Ver­dienst- und Ehren­per­so­nen und aus­wär­ti­ger Freun­de zu ei­ner Lust­fahrt den See ent­lang tra­gen soll­te. Ein wol­ken­lo­ser Him­mel brei­te­te sich über Was­ser, Land und Ge­bir­ge und öff­ne­te die letz­ten Quel­len ed­ler Freu­de, wel­che noch ver­schlos­sen sein konn­ten. Das Schiff durch­furch­te das tief­grü­ne kris­tal­le­ne Was­ser, bald von den Klän­gen gu­ter Mu­sik ge­tra­gen, bald von Lie­dern um­tönt. Von den blü­hen­den Ort­schaf­ten an den weit­hin sich zie­hen­den Ufern rechts und links schall­ten Grü­ße und wink­ten Fah­nen her­über, und mit Stolz wies man den Gäs­ten das wohl­be­bau­te Land, die rei­chen Wohn­sit­ze und Ort­schaf­ten. Ein statt­li­cher Kranz von Frau­en saß auf er­höh­tem Plat­ze des Schif­fes, un­ter ih­nen Jus­ti­ne Glor in schö­ner ein­fa­cher Mo­de­klei­dung, den Son­nen­schirm in der Hand, so­dass Ju­kun­dus, als er in sei­ner Fah­nen­trä­ger­tracht grü­ßend vor sie trat, über­rascht von ih­rem ver­än­der­ten und fast noch fei­nern Aus­se­hen, bei­na­he be­fan­gen wur­de. Sie wech­sel­ten je­doch nur we­ni­ge Wor­te, wie zu ge­sche­hen pflegt, wenn ein reich­lich lan­ger Som­mer­tag zu Ge­bo­te steht.

Als eine Wei­le spä­ter Ju­kun­dus wie­der in ihre Nähe kam, wink­te sie ihm und teil­te ihm mit, dass ihre El­tern in Schwanau, wel­ches am obern Tei­le des Sees lag, die gan­ze Ge­sell­schaft auf den Abend in ihre Gär­ten ein­la­den, dass das Schiff dort vor An­ker ge­hen wür­de und dass sie hof­fe, er wer­de auch so lan­ge da­beiblei­ben. Die­se ver­trau­li­che Mit­tei­lung, von der nur noch we­ni­ge wuss­ten, trug ihm so­fort An­spie­lun­gen und Glück­wün­sche der Um­ste­hen­den ein, die er be­schei­dent­lich ab­lehn­te, aber ger­ne ver­nahm.

In der Tat wur­de es bald kund, dass das Schiff ge­gen Abend in Schwanau an­hal­ten wür­de und dass alle ge­be­ten sei­en, die letz­te Er­fri­schung im Be­sitz­tu­me der Fa­mi­lie Glor ein­zu­neh­men. Die­sel­be tat das der Toch­ter zu Ehren, um zu zei­gen, dass sie wo zu Hau­se sei und ei­gent­lich nicht nö­tig habe, an frem­den Fest­ta­feln zu sit­zen, son­dern selbst ein Fest ge­ben kön­ne. Denn es wa­ren Leu­te, die auf ihre Be­sitz­tü­mer, als selbs­t­er­wor­be­ne, et­was viel hiel­ten.

Um also den viel­ver­hei­ßen­den Abend un­ver­kürzt zu ge­nie­ßen, wur­den die Auf­ent­hal­te an den üb­ri­gen Ufer­or­ten, wo das Schiff er­war­tet wur­de, ge­nau ab­ge­mes­sen und in­ne­ge­hal­ten, und das tö­nen­de und sin­gen­de Schiff fuhr recht­zei­tig quer über den fun­keln­den See, von Ka­no­nen­schlä­gen be­grüßt, nach Schwanau hin­über und leg­te an, wo die ho­hen Bäu­me der Glor­schen Gär­ten sich im Was­ser spie­gel­ten und dar­über weg von den Ter­ras­sen und Hü­geln ihre Häu­ser glänz­ten.

Wäh­rend das Sän­ger­volk sich un­ter den Bäu­men aus­brei­te­te, ver­schwand Jus­ti­ne im Hau­se, um den Ih­ri­gen Hand­rei­chung zu tun, wo­ge­gen der Va­ter und die Brü­der sich um die zahl­rei­chen Gäs­te und de­ren Be­grü­ßung be­müh­ten. In Lau­ben und Ve­ran­den wa­ren Nie­der­las­sun­gen für die Frau­en mit den ent­spre­chen­den Er­fri­schun­gen be­rei­tet; in ei­ner frisch­ge­mäh­ten Wie­se, un­ter Frucht­bäu­men, lan­ge Ti­sche für die Män­ner ge­deckt. Es dau­er­te aber nicht lan­ge, so wa­ren auch alle Frau­en auf der Wie­se, an­ge­lockt von den Scher­zen, Pos­sen und Ne­cke­rei­en, wel­che die jun­ge Män­ner­welt un­ter sich trieb, um ein Auf­se­hen zu er­re­gen. Und es gab ge­nug zu schau­en und zu la­chen, da Lau­ne und Ge­schick­lich­keit der ein­zel­nen hun­dert klei­ne ar­ti­ge Er­fin­dun­gen und Stück­lein her­vor­brach­ten, wo­bei das Naivs­te, mit gu­ter Art ent­stan­den, in der all­ge­mei­nen glück­li­chen Stim­mung den herz­lichs­ten Bei­fall weck­te. Selbst ein un­ver­mu­tet ge­schla­ge­ner Pur­zel­baum fand sei­ne Gön­ner, und so­gar der un­glück­li­che Vir­tuo­se, wel­cher auf sei­nem Fri­sier­kamm al­len Erns­tes eine ge­fühl­vol­le Wei­se hat­te bla­sen wol­len und dar­an schei­ter­te, freu­te sich über die un­ge­trüb­te Hei­ter­keit, die er er­weckt, und tat den ihm auf­ge­setz­ten Stroh­kranz nicht mehr vom Kop­fe.

Nur Ju­kun­dus fühl­te sich et­was ver­ein­samt in dem Trei­ben, weil er Jus­ti­nen gar zu lan­ge nicht mehr er­blick­te, an die er schon ein klei­nes An­recht zu ha­ben glaub­te, we­nigs­tens für die­sen letz­ten Tag. In­des­sen fand sich eine hol­de Er­lö­sung, da un­ver­se­hens die Jung­frau dicht bei ihm stand, ohne dass er wuss­te, wo sie her­kam, und ihn dem Va­ter und den Brü­dern vor­stell­te als den Ban­ner­her­ren des erst­ge­krön­ten Verei­nes. Er wur­de von den Män­nern höf­lich und auch freund­lich ge­grüßt und will­kom­men ge­hei­ßen, aber nicht ohne jene fes­te küh­le Hal­tung, wel­che so rei­che Ar­beits­her­ren ei­nem nichts oder we­nig be­sit­zen­den Seld­wy­ler ge­gen­über be­wah­ren muss­ten, in­so­fern er etwa Meh­re­res vor­zu­stel­len ge­däch­te als einen statt­li­chen Fest­be­su­cher.

Der gut­mü­ti­ge Sän­ger fühl­te das doch au­gen­blick­lich und wur­de et­was ver­le­gen; so auch Jus­ti­ne, wel­che ihn dar­um zur Ent­schä­di­gung wei­ter­führ­te, als die Her­ren weg­ge­gan­gen, und ihm das Gut zu zei­gen vor­schlug.

Zwei gleich­ge­bau­te vil­len­ar­ti­ge Häu­ser neues­ten Sti­les, wel­che zu­nächst dem See in den schat­ti­gen An­la­gen stan­den, be­zeich­ne­te sie ihm als die Woh­nun­gen der bei­den Brü­der, wo­von je­der schon sei­ne ei­ge­ne Fa­mi­lie ge­grün­det hat­te, ohne des­we­gen aus der Ge­samt­fa­mi­lie aus­zu­schei­den. Dann stieg sie mit ihm Wege und Trep­pen em­por, bis wo über den Wip­feln der un­tern Bäu­me die Woh­nung der El­tern stand, worin sie sel­ber leb­te, von et­was äl­te­rer Bau­art, aber im­mer­hin ein statt­li­ches Her­ren­haus, um­ge­ben von Wirt­schafts­ge­bäu­den und Stäl­len; wei­ter­hin sah man lan­ge hohe Ge­werbs­häu­ser mit zahl­lo­sen Fens­tern, wel­che an die stau­bi­ge Land­stra­ße grenz­ten, die hier vor­über­führ­te. Jen­seits der Stra­ße aber, an dem an­stei­gen­den Ber­gab­hang, dehn­ten sich Äcker, Wein­ber­ge und Wie­sen mit Wäl­dern von Obst­bäu­men, und hoch über al­lem die­sem zeig­te ihm Jus­ti­ne das Haus der Gro­ß­el­tern als den Stamm­sitz der Ih­ri­gen, in der Abend­son­ne weit über das Land hin schim­mernd, ein weit­läu­fi­ges vor­neh­mes Bau­ern­haus von al­ter­tüm­li­cher Bau­art, mit hel­len Fens­ter­rei­hen, weißem Mau­er­werk und bunt­be­mal­tem Holz­werk an Dach und Scheu­nen, mit stei­ner­nen Vor­trep­pen und künst­lich ge­schmie­de­ten ei­ser­nen Ge­län­dern. Hier haus­ten der Groß­va­ter und die Groß­mut­ter mit ih­rem Ge­sin­de, bei­de acht­zig­jäh­ri­ge Land­leu­te, bei­de noch täg­lich und stünd­lich schaf­fend und be­feh­lend, zähe und ge­stren­ge alte Per­so­nen von ein­fachs­ter Le­bens­wei­se und stets fer­tig mit ih­rem Ur­teil über alle Jün­ge­ren, wie Jus­ti­ne ih­rem Beglei­ter sie schil­der­te. »Wol­len wir noch schnell hin­auf­ge­hen und sie grü­ßen, da sie es ver­schmä­hen, von ih­rer Höhe her­un­ter­zu­stei­gen und un­se­re Lust­bar­keit an­zu­se­hen? Es ist eine herr­li­che Aus­sicht dort oben!« so sag­te das Mäd­chen. Aber Ju­kun­dus emp­fand eine Art Scheu vor den Al­ten und dank­te höf­lich für wei­te­re Be­mü­hung sei­ner Füh­re­rin, da ihn über­dies all das aus­ge­dehn­te We­sen eher ängs­tig­te als er­freu­te.

Sie kehr­ten da­her wie­der zu­rück und misch­ten sich un­ter die Fest­ge­nos­sen, die je län­ger, je lus­ti­ger wur­den, bis im Os­ten der Voll­mond auf­ging und nach dem Nie­der­gang der Son­ne hin­über­schau­te, so­dass Ro­sen und Sil­ber sich in den Lüf­ten und auf den Was­sern ver­meng­ten und das Schiff zur Ab­fahrt be­rei­tet, auch bald be­stie­gen wur­de.

Es gab ein Ge­drän­ge hie­bei, da je­der den Wir­ten, die am Ufer stan­den, die Hand ge­ben woll­te, wäh­rend die Schiffleu­te zur Eile mahn­ten. So kam es, dass Ju­kun­dus Meyen­tal von sei­nem Vor­ha­ben, von der schö­nen Jus­ti­ne Ab­schied zu neh­men, ab­ge­drängt wur­de und dem Stro­me fol­gen muss­te, da sie nicht am Wege stand. Frei­lich schüt­tel­ten auch ihm Va­ter und Brü­der die Hand, flüch­tig spre­chend: »Es hat uns ge­freut«, aber der eine nann­te ihn Herr Tal­mey­er, der an­de­re Mei­en­berg, der drit­te gar Herr Mei­er­heim, und kei­ner sag­te: »Auf Wie­der­se­hen!«

Als das Schiff in den Abend­glanz hin­aus­fuhr, sah er sie auch nicht mehr, da sie mit den an­de­ren Frau­en im dun­keln­den Schat­ten der Bäu­me stand.

*

Zu Hau­se leb­te Ju­kun­dus bei sei­ner Mut­ter, de­ren ein­zi­ger Sohn und Ju­kun­di er war und de­ren große Hoff­nung. Weil der Va­ter früh ge­stor­ben, so hat­te er das von aus­wärts zu­ge­brach­te Ver­mö­gen der Frau nur halb auf­brau­chen und sie mit der an­de­ren Hälf­te den Sohn auf­zie­hen kön­nen; und es war auch jetzt noch et­was da, ob­schon er noch kei­nen ent­schie­de­nen An­lauf ge­macht und noch we­nig er­wor­ben hat­te. Aber es war von ihm auch noch nichts ver­schwen­det wor­den, weil er der Mut­ter, von wel­cher er sei­ne Schön­heit und Ge­sund­heit be­saß und die ihn mit Freund­lich­keit lieb­te, leid­lich ge­horch­te und sich von ihr lei­ten ließ.

Bei ei­nem be­stimm­ten Be­ru­fe war er noch nicht ge­blie­ben. Zu­erst hat­te es ge­schie­nen, dass er für tech­ni­sches We­sen Nei­gung zei­ge, und er war des­halb eine Zeit lang auf die Bu­re­aus ei­nes In­ge­nieurs ge­gan­gen. Dann än­der­te sich aber die­se Stim­mung zu­guns­ten des Kauf­manns­stan­des, und er trat in ein Ge­schäft ein, wel­ches bald dar­auf aus Miss­ge­schick sich auf­lös­te, ohne dass er viel ein­büß­te; jetzt war er ge­ra­de in der Rich­tung, sich dem Mi­li­tär­we­sen zu wid­men, in­dem er sich zu ei­nem Un­ter­richts- und Stabs­of­fi­zier aus­bil­de­te. Da er hie­bei den größ­ten Teil des Jah­res auf den Waf­fen­plät­zen zu­zu­brin­gen hat­te und Sold emp­fing, so ge­währ­te das für einst­wei­len ein statt­li­ches Da­sein, ohne dass es bei sei­ner mä­ßi­gen Le­bens­wei­se großen Zu­schuss ei­ge­ner Mit­tel er­for­der­te.

Als er nun nach dem Fes­te in schmuckem Kriegs­ge­wand und den Sä­bel an der Sei­te zu Pfer­de saß, be­schau­te ihn sei­ne Mut­ter mit Wohl­ge­fal­len und be­merk­te da­bei, dass sein an­mu­ti­ges Lä­cheln eine klei­ne Bei­mi­schung von Me­lan­cho­lie oder der­glei­chen ge­won­nen hat­te. Er schi­en aus­zu­se­hen wie ei­ner, der ir­gend­ein Heim­weh oder eine Sehn­sucht auf­ge­le­sen hat. Sie dach­te dar­über nach und stell­te auch ei­ni­ge vor­sich­ti­ge For­schun­gen an, und als sie von dem Aben­teu­er mit der Kranz­jung­frau hör­te und wie er etwa von den an­dern da­mit gen­eckt wur­de, ging ihr ein Licht auf, bei des­sen Schei­ne sie so­fort still an die Ar­beit ging, um ein Glück zu schaf­fen, wohl an­ge­mes­sen und gut ge­näht.

Nach­dem sie mehr aus den Mie­nen als aus den we­ni­gen Äu­ße­run­gen Ju­kun­dis ge­merkt hat­te, dass sich dem also ver­hiel­te, wie sie mein­te, dass er aber als ein be­schei­de­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­