JÜRG SINGER & DR. RAINER SCHNEIDER

 

Kluge Düfte

Aromatherapie richtig gemacht

 

Ebozon Verlag

2. Auflage Juni 2016

 

Veröffentlicht im Ebozon Verlag

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www.ebozon-verlag.com

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Covergestaltung: Duotones GmbH

Layout/Satz/Konvertierung: Ebozon Verlag

 

ISBN 978-3-95963-151-8 (PDF)

ISBN 978-3-95963-149-5 (ePUB)

ISBN 978-3-95963-150-1 (Mobipocket)

 

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Dank

 

Wir danken herzlich dem anonymen Editor von Optimus Translation München, sowie Manuela Daum für die zahlreichen Verbesserungen und Anregungen, die zur besseren Verständlichkeit des Buches beigetragen haben. David Lochmann danken wir nicht minder herzlich für die Anpassung des auf Basis der Illustration der Duotones GmbH (Bern, Schweiz) erstellten Buchcover-Motivs.

I. Vorwort

So wichtig Düfte im Alltag sind, so wenig Beachtung wird ihnen bisweilen geschenkt. Dem war nicht immer so. In der Menschheitsgeschichte bestimmten Düfte und der mit ihnen verbundene Nutzen lange Zeit das Leben. Sie wurden schon immer für medizinische, kulturelle und religiöse Zwecke eingesetzt.

 

Das änderte sich mit dem Beginn der Aufklärung, die in vielerlei Hinsicht eine Art „kognitive Wende“ darstellte. Der französische Philosoph René Descartes (1596-1650), einer ihrer frühen Protagonisten, sah in des Menschen Fähigkeit zu zweifeln (also zu denken) den letzten Schluss dafür, dass er von innen und nicht von außen gelenkt wird. Damit rückte auch die Bedeutung der Düfte in den Hintergrund; die Nase musste dem Auge die Vormachtstellung überlassen.

 

Dieses Schicksal hat sie jedoch nicht verdient. Der Geruchsinn ist überaus faszinierend. Das fängt damit an, dass Geruchsrezeptoren mit etwa drei Prozent die größte Genfamilie im Erbgut darstellen (Boron & Boulpaep, 2012). Millionen von Riechzellen befinden sich jedoch nicht nur in der Nase – man findet sie auch auf praktisch sämtlichen Organen des Körpers: von der Haut über das Gehirn bis zum Magen-Darmtrakt.

 

Evolutionsgeschichtlich gehört der Geruchssinn zum ersten Sinn, der sich entwickelte. Und er ist der einzige, der direkt mit der Außenwelt interagiert und nicht erst im Kopf „interpretiert“ werden muss. Diese direkte Verbindung mit der Außenwelt und der mit ihr verbundenen, potentiellen Gefahren ist auch der Grund, warum sich Riechzellen ungefähr alle 4-8 Wochen erneuern.

 

Die direkte Verbindung mit dem Gehirn ist auch gleichzeitig der schnellste Weg, Information zu übertragen. Doch nicht nur die Informationsgeschwindigkeit ist faszinierend. Auch die Fülle des Informationsinputs. Neue Untersuchungen zeigen, dass die lange Zeit angenommenen ca. 30.000 Geruchsunterscheidungen eine geradezu lächerliche Unterschätzung der Informationskapazität des olfaktorischen Systems sind: Wir Menschen können mindestens eine Billion verschiedene Gerüche differenzieren (Bushdid et al., 2014). Kein anderer Sinn erlaubt eine solch detaillierte Umwelterfahrung!

 

Damit liegt auf der Hand, dass neben dem WAS (Duftmolekül), gerade das WIE der Informationsaufnahme (Duftzuführung) beim Riechen große Bedeutung hat. Aus diesem Grund hat AromaStick® spezielle Riechstifte entwickelt und aus diesem Grund haben wir dieses E-Book geschrieben.

 

Was die Riechstifte von AromaStick® interessant macht, ist Ihre Wirkweise. Bei jeder Benutzung gelangt eine große Menge auserwählter Duftstoffe direkt an den Ort, wo wir sie riechen können. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Duft im Raum oder auf der Haut. Der umnebelt die Nase zwar ständig, wird vom Gehirn aber nach einer ersten Begutachtung als „Hintergrundrauschen“ nicht weiter verarbeitet.

 

Die Idee für aromatherapeutisch formulierte Riechstifte kam JS im Jahr 2009. Er stellte die Frage, was wäre, wenn es gelänge, 100% natürliche ätherische Öle unverfälscht, d.h. ohne Zuhilfenahme künstlicher Duftstoffe, in einen Riechstift zu packen, der immer und überall anwendbar ist. Die Umsetzung barg viele Hürden. Sowohl in der Entwicklung und technischen Umsetzung, als auch wegen der vielen Aromatherapie-Handbücher, die den Anschein weckten, irgendwie alle voneinander abzuschreiben. Daher begann er die Suche ganz am Anfang, beim unabhängigen Studium von Forschungsresultaten zu ätherischen Ölen und deren inhalierte Wirkung auf verschiedene biologische und psychologische Parameter. Das Resultat war ein Riechstift, der eigens für die Anwendung ätherischer Öle entwickelt und zum Patent angemeldet wurde und ein Sortiment verschiedenster Indikationen umfasst.

 

Was jedoch noch fehlte, war der Nachweis, dass diese so gefertigten Komplexdüfte im Riechstift tatsächlich im Sinne ihrer Zweckbestimmung wirkten. Zu diesem Zweck nahm JS Kontakt zu RECON auf, dessen Inhaber RS ist. Der Kontakt kam über die Bundesärztekammer zustande, für die RS als Mitglied des Arbeitskreises „Placebo in der Medizin“ tätig war.

 

Das Ergebnis dieser Forschungsarbeiten berichten wir in diesem E-Book. Wir hoffen, damit der Aromatherapie (neue) Impulse zu geben. Vor allem möchten wir anregen, in welcher Richtung weiter geforscht und entwickelt werden kann, um der Arbeit mit Düften eine größere Akzeptanz zu verschaffen. Tradition ist wichtig und gut. Aber überliefertes Wissen muss von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand gestellt werden. Die Wissenschaft bestätigt heute vieles von dem, was lange tradiert wurde. Manches aber war und bleibt falsch und sollte daher ad acta gelegt werden. Auch das möchten wir mit diesem E-Book zeigen.

 

Die AromaSticks wurden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt und stellen mit der Darreichungsform im Riechstift eine praktische und handliche (aromatherapeutische) Anwendung dar. Die Düfte können gezielt und ohne Beeinträchtigung anderer jederzeit und überall angewendet werden.

 

Das vorliegende E-Book ist nicht für Einsteiger gedacht und deswegen auch nicht in diesem Sinn geschrieben. Es wendet sich vielmehr an Kenner der Materie und an solche Menschen, die selbst mit Aromatherapie arbeiten oder mehr über die richtige Anwendung von Düften erfahren wollen.

 

Wir bedienen uns in diesem E-Book einer eher nüchternen, sachlichen Sprache und verzichten auf blumige und metaphorische Umschreibungen von Düften und Aromawirkungen. Aus diesem Grund listen wir auch keine populären oder folkloristischen Überzeugungen zu Wirkbehauptungen auf.

 

Vieles in diesem Buch dreht sich um den (klinischen) Beweis. Aus diesem Grund widmen wir ein ganzes Kapitel genau diesem Punkt, damit auch Leser ohne wissenschaftlichen Hintergrund unsere Erkenntnisse besser verstehen und einschätzen können.

 

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß und neue Erkenntnisse bei der Lektüre dieses E-Books.

 

Jürg Singer & Dr. Rainer Schneider

II. Definition

Um den Begriff Aromatherapie ranken sich zahlreiche Missverständnisse. Oft wird der Begriff elegant an der Zielgruppe ausgelegt, insbesondere wenn es dem eigenen aromatherapeutischen Angebot dienlich ist. Nicht selten wird unter Aromatherapie die ganz allgemeine Anwendung ätherischer Öle zum Einreiben, zur Massage oder als Bad verstanden. Eine noch großzügigere Definition beinhaltet bereits das bloße Aufträufeln von ätherischen Ölen auf die Zunge oder das Beifügen von Spuren ätherischer Öle in Duschgelen und Haarpflegeprodukten. Bei so wenig Trennschärfe ist der Laie schnell verwirrt. Wo fängt Aromatherapie an und wo hört sie auf? Wenn als Aromatherapie schon gilt, was einfach nur gut duftet, dann ist vielleicht dem Verkäufer, nicht aber dem Kunden gedient.

 

Die beiden in dem Wort Aromatherapie enthaltenen Begriffe sind Duft (Aroma) und Behandlung (Therapie). Man könnte folglich annehmen, dass deren Kombination bereits zur Bezeichnung eines aromatherapeutischen Verfahrens legitimiert. Das ist aber nicht unbedingt so. Wenn z.B. in der Massagetherapie ätherische Öle eingesetzt werden, um das physische Wohlbefinden zu verbessern, dann therapiert der Masseur damit zweifelsfrei. Auch setzt er Duftstoffe ein. Trotzdem hat das nur ganz entfernt – wenn überhaupt – etwas mit Aromatherapie zu tun. Dasselbe gilt für Einreibemittel oder Duschgels. Diese wohlriechenden Mittel haben nämlich eine ganz andere primäre Zweckbestimmung. Was wirken soll, sind nicht die Duftstoffe, sondern andere spezifische Faktoren. Bei der Massage ist das die manuelle Intervention (d.h. z.B. der Druck auf Triggerpunkte). Beim Einreibemittel ist das der in ihm enthaltene Wirkstoff (z.B. das in Wintergrünöl enthalte Methylsalicylat), der die entsprechende Indikation (z.B. Rheuma) behandelt. Beim Duschmittel ist es die schmutzlösende und vielleicht hautfettende Zusammensetzung des Produkts.

 

Es ist sinnvoll, die Definition von Aromatherapie begrifflich exakt einzugrenzen. Nach einer engen Definition dient die Aromagabe dem Zweck der psychologischen oder physikalischen Wirkung. Der funktionale Aspekt des Aromaeinsatzes ist daher das wesentliche Bestimmungsstück der Aromatherapie (Buchbauer et al., 1993). Was also helfen soll, ist das Aroma selbst. Wie es dabei wirkt, kann sogar sekundär sein. Folgen wir nun dieser Definition, dann dürfte auf der Hand liegen, dass nicht nur der Duft allein, sondern auch die Art der Anwendung den Effekt ausmachen muss. Es gilt auch hier das Gesetz der Konzentration bzw. Sättigung der Luft, in der ein Duftgemenge appliziert wird (Tisserand & Young, 2014)1.

 

Je stärker bzw. schneller sich ein Duft verflüchtigt, desto weniger intensiv wird er wahrgenommen. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird dadurch auch das Wirkprofil abgeschwächt. Da nun aber gerade die bewusste Wahrnehmung den aromatherapeutischen Effekt mit bedingt, ist die richtige Applikationsform entscheidend, um Effekte hervorzurufen, die physiologische bzw. psychologische Bedeutung haben.

 

Dahinter steckt u.a. auch ein physiologisches Prinzip, das man Habituation nennt: Der Körper hat seine Sinnesempfindungen so eingerichtet, dass die Stärke der Reizung mit der Reizintensität negativ gekoppelt ist: Wird der Sinnesapparat wiederholt mit einem Reiz gleicher Stärke stimuliert, sinkt die Reaktionsamplitude stetig. Mit anderen Worten: Die Sinnesempfindung lässt nach, wenn der gleiche Reiz dauerhaft eintrifft. Das ist eine sinnvolle Einrichtung der Natur, denn auf diese Weise adaptiert der Organismus, um für neue Reize aufnahmebereit zu sein.

 

Es gilt aber auch: Je direkter ein Reiz in das Zielorgan gelangt, desto größer ist die Reaktion. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich nur um flüchtige Duftstoffe handelt. Wir können nämlich schon vergleichsweise geringe Mengen wahrnehmen. Trotzdem macht es besonders Sinn, die Duftstoffe genau dahin zu bringen, wo sie wahrgenommen werden, nämlich direkt an die Nase. So ist gewährleistet, dass die Reaktion am größten ist.

 

Bei der Entwicklung der AromaStick®-Produkte war die Definition von Buchbauer et al. (1993) maßgeblich: Es ist die jeweilige für den Riechstift charakteristische Duftkombination, die diesen oder jenen Effekt hervorruft. Ob und wie stark sie das vermag, haben wir unter standardisierten Bedingungen getestet. Wie genau, das zeigen wir später. Doch schon jetzt können wir sagen, dass die Ergebnisse zur korrekten Interpretation des Begriffs Aromatherapie beitragen: Über die Inhalation von Düften werden körpereigene Mechanismen in Gang gesetzt, die einen nützlichen biologischen Effekt haben.

III. Einleitung

Das Arbeiten mit Düften ist eine Kunst, die weiter zurück geht als die geschriebene Geschichte. Kombinationen von Harzen, Ölen und duftigen Pflanzen wurden in der einen oder andern Form in den meisten Zivilisationen schon sehr früh für zeremonielle, religiöse, medizinische oder festliche Zwecke eingesetzt. Dass Düfte eine therapeutische Wirkung entfalten, ist schon lange bekannt. In medizinischen und psychotherapeutischen Fachgebieten hat sich deswegen der Begriff „Aromatherapie“ etabliert. Er stammt von René-Maurice Gattefosé (1936) und wird definiert als Gebrauch essenzieller Öle, die topisch (lokal), oral oder inhalatorisch verabreicht werden, um Gesundheit, Hygiene und psychisches Wohlbefinden zu fördern.

 

Essenzielle Öle stammen ursprünglich von Pflanzen. Diese können zwei Arten von Fetten synthetisieren: Feste Öle und essentielle Öle. Feste Öle bestehen aus Fettsäuren und Glycerin. Essentielle Öle dagegen sind flüchtige, organische Stoffe, die den Geschmack und Duft einer Pflanze ausmachen. Sie dienen im weitesten Sinn der Kommunikation, entweder als Lockstoff für Insekten oder als Botschaften für andere Pflanzen des gleichen Typus. Essentiell bedeutet in diesem Zusammenhang der Essenz (dem Wesen) der Pflanze entsprechend.

 

In der Medizin wurden aromatische Pflanzen schon bei Hippocrates (460-340 v. Chr.) eingesetzt (vgl. Dierbach, 2013). Der Einsatz destillierter Öle geht bis ins 10. Jahrhundert zurück, als die uns heute bekannte Destillation entwickelt wurde (Forbes, 1970). Man schätzt, dass von den geschätzten 350.000 Pflanzen unseres Planeten etwa 17.500 aromatisch sind. Hiervon wiederum werden etwa 400 kommerziell verarbeitet, um daraus aromatische Rohmaterialen zu gewinnen. Die toxischen Eigenschaften essenzieller Öle werden prinzipiell eher als gering eingestuft (Tisserand & Young, 2014), aber die toxischen Aromastoffe einiger Pflanzen werden ganz gezielt therapeutisch genutzt. Manche der am effizientesten antimikrobiell wirkenden Substanzen sind essenzielle Öle (gewonnen z.B. aus Eukalyptus oder Pfefferkraut). Mit ihnen lassen sich Viren, Bakterien, Pilze oder andere unerwünschte Kleinorganismen (z.B. Läuse) abtöten (Tisserand & Young, 2014).

 

Heute mag Duft für uns Menschen vielleicht ein Luxus sein, weil unser bewusstes Dasein dem Sehen und Hören mehr Beachtung schenkt. Wie wir aber schon andeuteten, organisiert sich das menschliche Gehirn viel mehr um das olfaktorische System als wir denken. Riechen ist eine wichtige neurosensorische Funktion, mit deren Hilfe Säugetiere, und damit wir Menschen, die chemische Umgebung „scannen“. Düfte sind Auslöser für Sympathie und Antipathie, sie beeinflussen Stimmungen und Emotionen, steuern unser Sozial- und Sexualverhalten, verändern den Hormonstatus und dienen als chemische Kommunikationsmittel.

 

Medizinisch gehört die Aromatherapie trotzdem weitestgehend der Folklore an. Nach schulmedizinischer Ansicht fehlt der (eindeutige) naturwissenschaftliche Nachweis, um Düften eine präventive oder heilende Wirkung zuzusprechen. Alternativmediziner werden das wahrscheinlich anders sehen. Und tatsächlich gibt es einige interessante Studien, die diese schulmedizinische Auffassung in Frage stellen. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht auf die Polemik zwischen Schul- und Alternativmedizin einlassen. Der Grund ist, dass diese Polemik gar nicht zwingend das Anliegen der Aromatherapie sein muss.

 

Wir wollen das kurz erklären. Eine Krankheit, ein Leiden oder „einfach nur“ Unwohlsein ist meistens mehr als nur die Summe von Einzelsymptomen. Um sich krank zu fühlen, muss die Krankheit im Selbsterleben auch bewusst werden (ein Bewusstloser spürt keinen Schmerz). Anders formuliert: Man muss die Signale des Körpers erst einmal interpretieren, um einen Leiden überhaupt zu erleben. Der Begründer der Integrierten Medizin, Thure von Uexküll, hatte dies erkannt und das herrschende biomechanische Modell der Medizin deswegen stark kritisiert. Als Begründer der modernen psychosomatischen Medizin verstand er Heilungsprozesse als Informationsaustausch (vgl. zsf. Hontschik, Bertram & Geigges, 2013). Gemäß dieser Vorstellung sind sowohl innerhalb eines biologischen Systems (z.B. zwischen Zellen), aber auch zwischen verschiedenen Systemen (z.B. dem Wahrnehmungsapparat und Körperprozessen) Informationsaustauch und -interpretation eine der Grundvoraussetzungen von Heilungs- und Genesungsprozessen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Wortes Information. Es stammt vom lateinischen >>informare<<, was „in Form bringen“ oder „eine Ordnung herstellen“ heißt. Nur wenn also Information zwischen den (Sub)Systemen fließt, wird (Neu)Ordnung geschaffen.

 

Auf einen Nenner gebracht heißt das: Bewusstsein (Interpretation der Symptome) schafft erst Leiden. So ist z.B. erklärlich, dass Menschen unter Schock den Schmerz einer Verletzung anfänglich überhaupt nicht spüren. Stresshormone sorgen dafür, dass die Schmerzreize in den Schmerzzentren des Gehirns geblockt werden. Sobald man beginnt, sich einer „Abweichung von der Norm“ bewusst zu werden, also ein Symptom wahrzunehmen, beginnt der Interpretationsprozess. Dabei entstehen Affekte. Werden diese Affekte bewusst, nehmen wir sie als Emotionen wahr bzw. interpretieren wir sie als solche. In Folge beginnt das Gehirn (genauer: das Selbstsystem im präfrontalen Kortex; vgl. Schneider & Kuhl, 2012) auf Ursachensuche der körpereigenen physiologischen Signale zu gehen und eine geeignete, oft erstaunlich „kreative“ Antwort zu bilden, die dann unserer Erwartung und dem Kontext entsprechen (Kandel, 2012). Emotionen können umgekehrt ganz spezifische Reaktionen im vegetativen Nervensystem auslösen, was wiederum ganz spezifische physiologische Reaktionen nach sich zieht.

 

Worauf wir hinauswollen, ist Folgendes: Wenn Gefühle sowohl Folge als auch Ursache von physiologischen Veränderungen sind, können Düfte als Vermittler dieser Emotionen auch ganz dezidierte physiologische und psychologische Veränderungen bewirken. Wie es die Düfte im Einzelnen bewerkstelligen, unsere Gefühle, Handlungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen, ist weitgehend noch unerforschtes Terrain. Aber es gibt immer mehr Forschungsbemühen, die neue Erkenntnisse zu Tage fördern. Zum einen wirken die Duftmoleküle direkt über die Nase im Gehirn, zum anderen werden sie auch über die Lunge eingeatmet, gelangen so ins Blut und damit zu den verschiedenen Organen und Geweben unseres Körpers.

 

Gerüche haben auch eine sehr direkte Verbindung zum Verhalten. Sie beeinflussen das autonome Nervensystem, die neurophysiologische Hirnaktivität, das neuroendokrine System (Hormone, Neurotransmitter und Neuromodulatoren) und die Aktivität der Haut als wichtige Schnittstelle zwischen „außen“ und „innen“ (Angelucci et al., 2014; Kiecolt-Glaser et al., 2008; Strous & Schoenfeld, 2006; Tanida, Katsuyama & Sakatani, 2008).

 

Nicht nur in der Nase sind Duftrezeptoren und nicht nur diese nutzt Duftsignale als Information. Die Forschung hat Duftrezeptoren in der Leber, im Herzen, auf der Prostata, in der Haut und selbst im Darmtrakt gefunden. Letzteres könnte erklären, warum sich Kräuter oder Gewürze so stark auf die Verdauung auswirken. Ein Grund, warum unsere Organe „riechen“ können, besteht in der Unterscheidung von schädlichen und förderlichen chemischen Stoffen.

 

So muss der Darm beispielsweise möglichst schnell über neuronale Verschaltungen giftige oder pathogene Substanzen aus dem Organismus befördern, z.B. über die Reflexe Durchfall oder Erbrechen (Blackshaw et al., 2007; Brand, 2006; Sternini, Anselmi & Rozengurt, 2008). Dafür ist wieder die Evolutionsgeschichte verantwortlich: Bevor Lebewesen sehen und hören konnten, waren sie in der Lage zu riechen. Riechen zu können war also nicht (hedonistischer) Luxus, sondern Kommunikationsform und Überlebensstrategie. Das dürfte auch einer der Gründe dafür sein, warum der Aufbau und die Vielfalt der olfaktorischen Sinnesneuronen in der Nase überaus komplex ist und aus einer riesigen Anzahl von Rezeptorproteinen (GPCR – G-Protein Coupled Receptors) besteht, die bei Menschen von über 350 Genen enkodiert werden (Borin & Boulpaep, 2011; Feldmesser et al., 2006; Fleischer, Breer & Strotmann, 2009).

 

Man weiß heute, dass Wachstum und Entwicklung zusammenlebender Organismen weitgehend über die Verwendung von Zeichen bzw. Symbolen (griechisch: Semeion) ablaufen. Das hat – wie schon beschrieben – u.a. von Uexküll betont und den Begriff Biosemiotik dafür geprägt. Chemische Moleküle werden als Zeichen genutzt. Sie dienen als Signale, Botenstoffe, Informationsträger oder Speichermedien und existieren entweder in fester, flüssiger oder gasförmiger Form (Witzany, 2006). Das geschieht, indem die chemischen Moleküle von Duftstoffen sogar auf Rezeptoren für Neurotransmitter wirken können (Sergeeva et al., 2010). Damit wirken sie selbst wie Botenstoffe der Signalübertragung!

 

Wir wollen an dieser Stelle eng am Thema bleiben. Daher führen wir diesen kleinen Exkurs nicht weiter aus. Wir haben ihn nur gemacht, um die theoretische und praktische Bedeutung von Düften für Gesundheit und Wohlergehen zu verdeutlichen. Die Schulmedizin mag ihre Zweifel haben, ob diese Bedeutung klinisch relevant ist. Es ist nicht an uns, dies zu entscheiden. Auch wollen wir keinen diesbezüglichen klinischen Beweis liefern. Uns geht es ganz allgemein um die Frage, ob und wie im Alltag mit Düften sinnvoll gearbeitet werden kann, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Um dies beurteilen zu können, ist es sinnvoll, ein paar Kriterien und Faktoren zu verstehen, die eine gute Aromatherapie ausmachen.

IV. Ätherische Öle: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen?