Cover

Dieses Buch kann keine Metakognitive Therapie in einer MCT-I-zertifizierten Klinik oder bei einem Therapeuten ersetzen. Wenn du dir nicht sicher bist, ob du an einer Angststörung leidest, musst du einen Arzt aufsuchen.

Inhalt

Vorwort von Hans Nordahl

Vorwort von Pia Callesen

Kapitel 1
bist du von Angst geplagt?– Befreie dich von alten Gewohnheiten

Kein Seelenstriptease

Das Nervensystem reguliert sich selbst

Stundenlanges Grübeln erzeugt nur Angst

Ein Paradigmenwechsel für den Umgang mit Angststörungen

Unsere Psyche reguliert sich selbst

Die beste Therapie ist: weniger denken!

Wann werden normale Gefühle zu Angst?

Haben wir die Strategien unserer Vorfahren geerbt?

Kapitel 2
Ungeeignete Strategien erzeugen Ängste– und werden von Triggergedanken ausgelöst

Triggergedanken sind ungefährlich – aber sie machen Angst

Vier ungeeignete Strategien

Ungeeignete Bewältigungsstrategien mindern deine Lebensqualität

Seine Triggergedanken kennenlernen

Auch reale Triggergedanken werden zu CAS – und dann zur Angst

Kapitel 3
Das Abkoppeln der Aufmerksamkeit – lerne, die Gedanken und Gefühle loszulassen

So machen wir es in der Praxis

Teste es selbst

Das Abkoppeln der Aufmerksamkeit ist kein Ablenkungsmanöver

Warum hören wir nicht einfach auf, uns Sorgen zu machen, wenn wir davon Angst bekommen?

Hinterfrage deine Überzeugungen

Kapitel 4
Den Sorgenkreislauf durchbrechen – gewinne die Kontrolle zurück

Kannst du deine Sorgen steuern und deine Aufmerksamkeit abkoppeln?

Die Kontrolle zurückgewinnen – Schritt für Schritt

Sind große, echte Sorgen schwieriger zu steuern?

Tägliche Grübelzeit

Kann man seine Aufmerksamkeit auch abkoppeln, wenn die Gedanken an die Tür trommeln?

Kontrolle über deinen Überwachungsdrang

Ein zweiter Blick auf die Skala

Kapitel 5
Keine Angst vor der Angst – Gedanken, Gefühle oder Sorgen bringen dich nicht um

Die Gefährlichkeit hinterfragen – Schritt für Schritt

Angst vor positiven Gedanken

Kapitel 6
Der Kampf gegen Gedanken ist Zeitverschwendung – es bringt nichts, sich schon vorher Gedanken zu machen

Sorgen im Kleinformat

Was bringen dir die CAS-Strategien?

Was überwiegt – Vor- oder Nachteile?

Kapitel 7
Lass deine Angst ziehen – deine Psyche reguliert sich selbst

Raus ins Leben – Schritt für Schritt

Kann man sein Leben trotz bedrückender Gedanken genießen?

Höre auf das Leben – nicht auf die Angst

In Zukunft angstfrei

Angststörungen und Angsterkrankungen

Gesundheitsangst(wird auch Krankheitsangst genannt, früher sagte man Hypochondrie dazu)

Sozialphobie

Panikstörung

Agoraphobie(Angst davor, sein Zuhause zu verlassen, an Orten mit vielen Menschen zu sein)

Generalisierte Angststörung

Zwangsstörung (OCD, obsessive-compulsive disorder)

Posttraumatische Belastungsstörung

Glossar

Literatur

Möchtest du eine Metakognitive Therapie machen?

Vorwort

von Hans Nordahl

Es freut mich außerordentlich, diese Neuerscheinung über die Metakognitive Therapie (MCT) vorzustellen. Es ist bereits das zweite Buch von Pia Callesen, in diesem widmet sie sich der Angst. Es geht darum, wie uns die Angst davon abhält, ein gutes und schönes Leben zu führen. Wir können neue Strategien erlernen, um die Angst zu überwinden und dadurch unsere Lebensqualität zu verbessern.

Callesen beschreibt die Grundprinzipien der Metakognitiven Therapie, die einen neuen Ansatz in der Behandlung von Angststörungen bedeutet. Ziel ist es, sich die Strategien abzugewöhnen, die man bisher im Umgang mit seiner Angst angewendet hat, und stattdessen neue Methoden zu erlernen, um die Angst endgültig loszulassen. In der MCT geht es darum, die Kontrolle über seine Reaktion auf die Angst und Unwohlsein auslösenden Triggergedanken zurückzugewinnen. Denn die Wahl unserer Reaktion ist entscheidend, ob sich daraus negative Gedanken entwickeln, aus denen dann Sorgen und Angst werden.

Das Buch gibt dem Leser zunächst eine kurze Einführung in die zentralen Prinzipien der Metakognitiven Therapie, wobei die relativ komplexen Begriffe auf eine einfache und illustrative Weise erklärt werden. Callesen spricht viele bekannte Alltagssorgen und Probleme an und kann sie aufgrund ihrer langjährigen klinischen Erfahrung für den Leser anschaulich und umsetzbar beschreiben. So ist ein leicht verständliches Buch entstanden, das mit vielen Illustrationen und Beispielen auch einem Leser ohne Vorkenntnisse den Zugang zur MCT ermöglicht.

Die Metakognitive Therapie ist, wie die Forschung zeigt, die zurzeit effektivste Methode gegen Angststörungen und Depressionen. Auch ich habe viele Jahre in diesem Bereich geforscht und kann nur bestätigen, dass riesige Erfolge erzielt werden. MCT bedeutet für die Behandlung von psychischen Leiden einen großen Fortschritt und gibt vielen Patienten die Hoffnung auf Besserung.

Pia Callesens Buch zeigt eine neue, hilfreiche Perspektive auf die Angst und eröffnet vielfältige Möglichkeiten, einen Weg aus der Angst zu finden. So wirkt es inspirierend und bestärkt die Hoffnung darauf, dass chronische Angststörungen, an denen heutzutage viele Menschen leiden, effektiv und nachhaltig behandelt werden können. Die Botschaft des Buches ist optimistisch: Man kann seine Ängste loswerden, wenn man trainiert, nicht mehr auf seine negativen Gedanken und Sorgen zu reagieren, und seine Konzentration stattdessen auf seine Mitwelt richtet. Das Leben soll mit denen gelebt werden, die wir um uns haben. Viel Spaß beim Lesen!

Prof. Dr. Hans M. Nordahl (MCT-Institute®Ltd)

Vorwort

von Pia Callesen

Fast 400 000 Einwohner Dänemarks leiden an einer Angststörung oder zumindest unter Angstsymptomen, in Deutschland sind es etwa 15 Prozent der Bevölkerung. Für die Menschen, die am stärksten darunter leiden, äußert sich diese Störung in zahlreichen Symptomen, die ihr Leben beeinträchtigen, wie konstanter Unruhe, Angst, Gedankenstrudel, Herzrasen, Schlaflosigkeit und körperliches Unwohlsein. Die Angst verschlingt alles, und das einzige Ziel eines jeden Tages ist es, die Angst loszuwerden. Am anderen Ende des Angstspektrums befinden sich jene, die nur ab und zu von diesen inneren Angststürmen heimgesucht werden, die aber wieder abklingen. Oder eben jene, die eine Zeit lang Schlafstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten haben, weil ihr Kopf voller Gedanken ist, mit denen sie sich erst einmal auseinandersetzen müssen. Und zwischen diesen beiden entgegengesetzten Polen lassen sich eine ganze Menge von Symptomen ausmachen, die man jahrelang mit sich herumschleppt oder die sich in bestimmten Situationen oder Lebensphasen zeigen. Das habe auch ich so erlebt. In meiner gesamten Schulzeit hatte ich schreckliche Prüfungsangst. Schon Tage vor einer Klassenarbeit oder Prüfung war ich so nervös, dass ich weder schlafen, essen noch entspannen konnte. »Was, wenn ich einen Blackout habe? Wenn ich vor dem Klassenlehrer oder den Prüfern stehe und kein Wort herausbekomme? Was ist, wenn ich durchfalle?« In diesen Tagen war ich zu nichts anderem in der Lage. Ich ging zum Arzt wegen meiner Ängste, und er verschrieb mir damals Beruhigungstabletten.

Für das Studium der Psychologie habe ich mich entschieden, um Menschen zu helfen, die unter Ängsten, Angespanntheit und Nervosität und anderen psychischen Problemen und Störungen leiden. Am Anfang arbeitete ich mit dem kognitiven Ansatz, wie alle anderen Psychologen und Therapeuten auch: Mein Therapieangebot bestand aus Gesprächen über die aktuelle Situation des Patienten und die Ursachen, die in ihm Angst und Nervosität auslösten. Wir redeten über den Druck im Arbeits- oder Privatleben, über traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit, Ängste, Sorgen und Enttäuschungen. Ich forderte meine Patienten auf, ihren Blick nach innen zu richten, um sich mit ihrem Schmerz und dem Leiden zu konfrontieren, der Angst ins Auge zu sehen und sie herauszufordern, indem sie das taten, wovor sie am meisten Angst hatten. Ich munterte sie dazu auf, sich mit ihren negativen Gefühlen und Gedanken auseinanderzusetzen, um sie mit der Realität abzugleichen und ihre Katastrophenentwürfe abzuschwächen. Ich versuchte, sie von ihren perfektionistischen Lebensentwürfen zu lösen, damit nicht alles 100 Prozent sein musste, und freute mich mit ihnen, wenn wir realistische Versionen formulierten, in denen schon 80 Prozent gut genug waren. Ich habe sie bei allen Interventionen unterstützt, die ihre Unruhe und Angst dämpften. Vielen Patienten ging es danach besser – zumindest eine Zeit lang, aber häufig kamen sie zurück, wenn die Angst sie wieder in ihren Klauen hatte.

Mittlerweile gibt es überzeugende Forschungsergebnisse, die zeigen, dass wir diesen Angstpatienten eine eher ungeeignete Therapieform angeboten haben. Diese Forschung weist nämlich die Annahme zurück, dass Angst eine notwendige Konsequenz auf Druck ist, der von der Umgebung – ob beruflich oder privat – auf einen einwirkt, sowie auf unrealistische Erwartungen oder aufgestaute und nicht bearbeitete Traumata, die eine empfindsame Psyche erschüttern können. Dunkle und negative Gefühle und Gedanken gehören genauso zum Leben wie fröhliche und positive. Sie stauen sich nicht in unserer Psyche und führen nicht automatisch zu Angststörungen. Aber die Art und Weise, wie wir mit diesen Gedanken und Gefühlen umgehen, kann das bewirken.

Die Forschungsergebnisse basieren auf den jahrzehntelangen Studien des britischen Psychologieprofessors Adrian Wells an der Universität von Manchester. Sie dokumentieren die Tatsache, dass sich die menschliche Psyche selbst heilen kann, wenn wir ihr den Raum dafür geben. Das bedeutet, dass wir unsere Gedanken und Gefühle eben nicht analysieren und bearbeiten müssen, damit es uns besser geht. Wir sollten auch nicht versuchen, sie zu vermeiden oder die unangenehmen Gedanken gegen realistischere oder schöne Gedanken auszutauschen. Wir können aber lernen, unsere Gedanken – auch die negativen und unangenehmen – kommen und gehen zu lassen. Dazu müssen wir lernen, weniger zu denken. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Selbstanalyse und Umstrukturierung unserer Gedanken eher den Effekt von Benzin hat, das ins Feuer der Angst gegossen wird.

Sie zeigen außerdem, dass es sich – entgegen der Annahme, die seit Generationen vorherrscht – um keine unkontrollierbare menschliche Charaktereigenschaft handelt, wenn jemand sich Sorgen macht. Niemand kommt als »der Sorgenvolle« oder »die Zarte« auf die Welt. Wir haben Ängste, und wir machen uns Sorgen, weil wir uns angewöhnt haben, das zu tun. Sie sind (nur) Gewohnheiten.

Ich habe als kognitive Therapeutin gearbeitet, als ich das erste Mal von Professor Wells und seiner Forschung hörte. Wie bereits ausgeführt, war ich also davon überzeugt, dass Ängste und Sorgen ihren Ursprung in unrealistischen Grundannahmen und unrealistischen Katastrophenszenarien haben, die durch Erlebnisse in der Vergangenheit entstanden sind. Als ich mich mit Wells’ Ergebnissen und seiner therapeutischen Methode, der Metakognitiven Therapie, die er auf der Grundlage seiner Forschungen entwickelt hatte, beschäftigte, war ich verblüfft und begeistert.

Die Methode kann in mehreren kleinen und größeren Studien bereits fantastische, überzeugende Ergebnisse vorweisen und hat Tausenden von Menschen einen Ausweg aus der Angst gezeigt. Laut einer Studie aus den Niederlanden, bei der die metakognitive Methode an Patienten mit Generalisierter Angststörung getestet wurde, konnten sich 91 Prozent aus den Klauen ihrer Angst befreien. Eine groß angelegte Studie von 2018, in der der kognitive mit dem metakognitiven Ansatz bei Angststörungen verglichen wurde, zeigte, dass nur 38 Prozent der Probanden mit kognitiver Behandlung nach zwei Jahren symptomfrei waren, wohingegen die Metakognitive Therapie nach dem selben Zeitraum für 65 Prozent der Probanden ein symptomfreies Leben ermöglichte.

Ähnliche Ergebnisse liegen für Zwangsstörungen oder Posttraumatische Belastungsstörungen vor. In einer neuen Studie, die im Dezember 2018 publiziert wurde, haben Psychologen der Universitäten Liverpool und Manchester 220 Patienten, die unter Zwangsstörungen litten, mit Kognitiver beziehungsweise Metakognitiver Therapie behandelt. Die Studie ergab, dass 64 Prozent der Patienten, die eine Kognitive Therapie erhielten, sich von ihren Symptomen befreien konnten, mit Metakognitiver Therapie gelang das hingegen 86 Prozent der Patienten.

Nach meinem ersten Kontakt mit der metakognitiven Methode von Professor Adrian Wells und seiner Forschung habe ich mich sofort darin ausbilden lassen. Heute, nach Hunderten von Therapiesitzungen in Gruppen oder in Einzeltherapien, kann ich diese Methode bei aller Bescheidenheit als eine Revolution auf dem Gebiet der Behandlung von Angststörungen bezeichnen.

Die Erfahrungen, die ich in meiner Klinik sammeln konnte, haben gezeigt, dass man im Laufe von 6 bis 12 Sitzungen die Gewohnheit ablegen kann, seine Gedanken, Gefühle und Körperwahrnehmungen überhandnehmen zu lassen und ständig zu analysieren. In der Therapie lernt der Patient, seine Gedanken und Gefühle passiv zu beobachten, sie vorbeiziehen oder stehen zu lassen, ohne sie zu bearbeiten und sich darauf zu konzentrieren, warum sie da sind. Dadurch verschwindet die Angst entweder ganz oder sie wird zumindest auf einen Bruchteil reduziert. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich meine Begeisterung über diesen Therapieansatz teilen will. Ich erlebe immer wieder die Freude der Patienten, die mit Angststörungen in meine Klinik kommen und nach einer Metakognitiven Therapie wieder angstfrei nach Hause gehen können. Ich erhalte Mails oder Anrufe von ehemaligen Patienten, die mir schildern, dass ihr Leben wieder farbenfroher ist, seit sie die Selbstanalyse auf ein Minimum reduziert und gelernt haben, ihre Gedanken und Gefühle kommen und gehen zu lassen.

In den sieben Kapiteln des Buches werde ich mit den gängigen Auffassungen über Angststörungen aufräumen und zeigen, dass Gedanken und Gefühle nicht erst bearbeitet werden müssen, damit es einem wieder gut geht. Ich werde das neue Verständnis von Angst erläutern und den Leser an diese neue Behandlungsmethode, die auf Studien von Adrian Wells aufbaut, heranführen – Schritt für Schritt und Übung für Übung.

Die Methode hat zwei wesentliche Ansätze:

  1. Die Identifizierung der ungeeigneten Strategien und

  2. Das Erlernen der Technik »Abkoppeln der Aufmerksamkeit«.

Das persönliche Muster eines jeden ergibt sich anhand der individuellen Ausprägung der vier ungeeigneten, aber ganz universellen, menschlichen Gewohnheiten. Diese Gewohnheiten – oder Strategien, wie sie hier genannt werden – haben das Ziel, die Kontrolle über unser Chaos in Gedanken und Gefühlen herzustellen und Lösungen und Antworten zu finden. Diese vier Gewohnheiten bzw. Strategien sind:

  1. Sich zu viele Sorgen zu machen,

  2. Zu grübeln und die eigenen Gedanken und Gefühle zu analysieren,

  3. Innere und äußere Gefahren, wie körperliche und zwischenmenschliche Unregelmäßigkeiten, andauernd zu überwachen und

  4. Gedanken zu unterdrücken, Unruhe zu dämpfen, Gefühle und Symptome zu kontrollieren sowie übertrieben viel zu planen.

Adrian Wells bezeichnet diese vier Strategien als Cognitive Attentional Syndrome (CAS), übersetzt: Kognitives Aufmerksamkeitssyndrom. Das Problem dieser vier Strategien ist nämlich, dass sie langfristig weder Kontrolle noch Ruhe und Sicherheit erzeugen – ganz im Gegenteil. Sie verstärken die Angst und Nervosität. Und hier kommt der zweite Ansatz der Metakognitiven Therapie ins Spiel: das »Abkoppeln der Aufmerksamkeit«, eine Technik, die man mithilfe einiger Übungen erlernen kann. Ziel ist es, ein passiveres Verhältnis zu seinen Gedanken und Gefühlen zu gewinnen und gezielt den Zustand der abgekoppelten Aufmerksamkeit beziehungsweise losgelösten Achtsamkeit erreichen zu können.

An dieser Stelle ist es mir wichtig zu betonen, dass diese vier CAS-Strategien zwar »selbst gewählt« sind – weil wir sie uns selbst angeeignet haben und anwenden –, dass dies aber nicht bedeutet, dass wir uns nur »einfach zusammenreißen« müssen, um sie ablegen zu können. Niemand will an einer Angststörung leiden und niemand hat sich absichtlich für diese problematischen Strategien entschieden. Man ist nicht »selbst schuld«, aber man kann sich selbst von diesem Leiden befreien.

Am Ende eines jeden Kapitels erzählen uns Patienten ihre Geschichte und ihre Erfahrungen mit der Metakognitiven Therapie. Maria, Peter, Christian, Mette und Lene haben – unterschiedlich lange – unter einer Angststörung gelitten und es geschafft, sich von ihrer Gewohnheit zu befreien, unablässig darüber zu grübeln. Und sind seitdem angstfrei.

Dieses Buch kann keine Angststörung behandeln oder eine Metakognitive Therapie bei einem zertifizierten Therapeuten ersetzen. Aber ich hoffe sehr, dass es viele, die Angst am eigenen Körper erfahren haben, inspirieren kann und sie so wieder an Lebensqualität gewinnen.

Viel Freude beim Lesen wünscht dir

Pia Callesen

Kapitel 1

bist du von Angst geplagt?

– Befreie dich von alten Gewohnheiten

Vor einigen Jahren kam eine junge Frau zu mir in die Klinik und beschrieb mir ihr Leiden folgendermaßen: »Es fühlt sich an, als würde ich den ganzen Tag auf Treibsand laufen. Ich habe permanent Angst, jeden Augenblick in die Tiefe gezogen zu werden.« Jahrelang hatte sie unter Nervosität, Angst und undefiniertem körperlichem Unwohlsein gelitten. Sie hatte sich für den Schritt in die Klinik entschieden, weil sie es nicht mehr aushalten konnte, so zu leben. Sie beschäftigte sich andauernd mit denselben Fragen: »Warum geht es mir so? Was ist in meiner Vergangenheit passiert, dass es mir so geht? Hat es mit meiner Persönlichkeit zu tun, dass ich immer von Panikattacken überrollt werde und Angst habe, krank zu werden, bei Prüfungen durchzufallen, verlassen zu werden oder zu sterben?« Sie machte sich außerdem Sorgen darüber, dass sie sich so viele Gedanken machte: »Bestimmt bekomme ich bald einen Burn-out davon. Oder einen Herzinfarkt?« Die Angststörung beeinträchtigte sie massiv: Sie konnte sich nicht auf ihr Studium konzentrieren, sich keinen Studentenjob suchen und kein Hobby ausüben, auch vermied sie den Kontakt zu Freunden und Familie. Ihr Geist und ihr Körper befanden sich in permanenter Alarmbereitschaft. Sie dachte, erst dann, wenn sie ihre Angst wieder losgeworden wäre, könnte sie in ein normales Leben zurückfinden. Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie darum damit, gegen ihre Besorgtheit anzukämpfen. Sie sprach mit Psychologen, Psychotherapeuten und Ärzten und erhielt die Diagnose »Generalisierte Angststörung«. Sie lernte bestimmte Atemtechniken, ging zum Yoga, machte lange Spaziergänge, meditierte und nahm phasenweise Beruhigungs- und Schlaftabletten – alles mit dem Ziel, ihre Sorgen loszuwerden und die beängstigenden Symptome zu dämpfen.

Etwa zur selben Zeit hatte ich eine andere Patientin, die ebenfalls unter Sorgen, Angespanntheit, Nervosität litt und von Angst und körperlichem Unwohlsein beeinträchtigt war. Allerdings hielten diese Symptome sie nicht davon ab, zu arbeiten oder am Alltag mit ihren Freunden und der Familie teilzunehmen.

Beiden Frauen bot ich zunächst eine Kognitive Therapie an. Wir erstellten sogenannte Angsthierarchien, die sie schrittweise mit den angsterzeugenden Situationen und Gedanken konfrontieren sollten. Und wir formten ihre negativen Gedanken in realistische um. Sie profitierten von der Behandlung, aber nur kurzfristig. Im Laufe der Zeit entwickelten sich wieder neue Katastrophengedanken, mit denen sie sich auseinandersetzen mussten und die sie beschäftigt hielten.

Die Geschichte dieser beiden Frauen zeigt, dass die Bearbeitung und Veränderung der Gedanken sowohl bei einer schweren Angstdiagnose als auch bei einem weitaus geringeren Maß an Besorgtheit auf lange Sicht selten dazu führen, angstfrei zu werden.

Mittlerweile habe ich mich ganz von der Kognitiven Therapie verabschiedet und behandle meine Patienten ausschließlich mit der metakognitiven Methode, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch diesen beiden Frauen geholfen hätte, sich für immer von der Angst zu befreien. Aber damals kannte ich diese Therapieform noch nicht. In den letzten Jahren hat die Metakognitive Therapie in weiten Teilen der Welt Einzug gehalten, und in diesem Buch möchte ich die Methode für die Behandlung von Angststörungen vorstellen, Belege für deren Effekt geben und Einblick in den metakognitiven Therapieverlauf gewähren. Ich habe in meiner Laufbahn bisher noch keine Therapieform mit dermaßen positivem Effekt kennengelernt.

Der Verband der Psychiater bezeichnet Angststörungen als eine der häufigsten psychischen Leiden in Dänemark und schätzt, dass bis zu 400 000 Männer, Frauen, Kinder und eine steigende Zahl von Jugendlichen im Laufe eines Jahres ein Symptom von Angst zeigen. In Deutschland sind laut eines Onlineartikels im Deutschen Ärzteblatt von 2017 jedes Jahr circa 9,8 Millionen Menschen von Angststörungen betroffen. Der Begriff »Angst« wird in diesem Zusammenhang stellvertretend für das gesamte Spektrum einer Angststörung verwendet, dazu gehören alle Varianten von Nervosität, Angespanntheit und Unwohlsein. Allerdings bezieht sich der Begriff hier nur auf das psychische Leiden, nicht auf das Gefühl von Angst.

Das Gefühl von Angst kennen wir alle. Wir haben Angst, wenn wir nachts ein komisches Geräusch hören. Wir haben Angst, wenn wir im Flieger sitzen und es Turbulenzen gibt. Wir schrecken nachts aus einem Albtraum auf und haben Angst. Oder wir haben Angst, weil wir oder unsere Liebsten krank werden, uns gekündigt wird oder wir in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Angst zu haben, ist genauso normal wie Freude, Sorge, Wut zu empfinden – oder eines der anderen großen, bedeutenden Gefühle. Angst anlässlich eines konkreten Ereignisses zu empfinden, ist keine Krankheit und nicht behandlungsbedürftig. Einige Menschen suchen solche Situationen, in denen sie Angst spüren können, sogar absichtlich auf und haben Spaß am Bungee Jumping oder an Horrorfilmen.

Wenn man aber immer wieder ungewollt von Angstzuständen heimgesucht wird oder sich anhaltend angespannt, ängstlich und unwohl fühlt, kann es sich um eine Angststörung handeln. Dieses Leiden hat zerstörerische Kräfte, weil es das Leben auf Stand-by setzt. Man ist von einer permanenten Besorgtheit und Unruhe erfüllt, hat das Gefühl, auf Treibsand zu laufen, oder wird in unregelmäßigen Abständen von Nervosität und Ruhelosigkeit gepackt. Angst ist also ein ziemlich komplexes Phänomen, und man sollte sich die Mühe machen zu präzisieren, was man darunter versteht, um Missverständnisse zu vermeiden.

Dieses Buch beschäftigt sich mit allen Varianten von Angststörungen. Wenn ich von Angst spreche, meine ich damit das Leiden und nicht das Gefühl. Zwischendurch verwende ich auch konkrete Diagnosen, die wir als Therapeuten benutzen, um den Betroffenen die richtige Hilfe zukommen zu lassen. Der eine leidet an einer Generalisierten Angststörung, der Nächste an Gesundheitsangst oder Sozialphobie oder unter Panikattacken. Aber häufig besteht eine Angststörung aus einem gemischten Krankheitsbild. Erstens wiederholen sich die Symptome in den jeweiligen Diagnosen, zweitens überlappen sie sich.

Was ist eine Angststörung?

Angst ist zum einen ein Gefühl, das alle Menschen kennen – das ist ganz natürlich und ungefährlich. Angst bezeichnet aber auch ein psychisches Leiden, von dem viele Menschen betroffen sind. Wenn man an einer (diagnostizierten) Angststörung leidet, ist das sehr qualvoll und bedeutet eine Einschränkung von Lebensqualität. Dieses Leiden hat viele Gesichter, die auch ganz unterschiedlich empfunden werden.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störung (10. Ausgabe) alle Diagnosen aufgelistet.

Man differenziert Angststörungen zunächst in zwei Gruppen:

Sogenannte nervöse Zustände, unter denen die bekanntesten Angststörungen zusammengefasst werden

Sogenannte stressrelevante Störungsbilder

Alle Angststörungen haben gemeinsam, dass sie für die Betroffenen belastend und furchtbar schmerzhaft sein können, weil sie bombardiert werden von körperlichen Symptomen, quälenden Gedanken und Ängsten: »Wird mich das umbringen?«, »Was ist, wenn ich mich zum kompletten Idioten mache?«, »Mein Herz rast – was, wenn ich einen Herzinfarkt bekomme?«, »Was ist, wenn mein Mann fremdgeht?« Diese physischen und psychischen Zustände ziehen die gesamte Aufmerksamkeit auf sich, sodass kaum Platz für etwas anderes bleibt. Das einzige Ziel ist dann, diese Ängste loszuwerden.

Dass es fast 15 Prozent der Bevölkerung so geht, ist vollkommen inakzeptabel. Es sind so viele, dass statistisch gesehen jeder von uns im Laufe seines Lebens mit dem Leiden in Kontakt kommt, entweder als Betroffener oder als Freund oder Verwandter.

Warum sind Angststörungen so weit verbreitet und warum erhalten immer mehr von uns eine solche Diagnose? Dafür gibt es meines Erachtens mehrere Ursachen: Erstens ist in Dänemark wie in Deutschland eine größere Aufmerksamkeit für Angststörungen entstanden, und diese werden nicht mehr so tabuisiert wie zuvor. Das fördert, dass sich Betroffene zunehmend Ärzten anvertrauen. Zweitens sind auch Eltern und Fachkräfte in Schulen und Tageseinrichtungen wesentlich besser sensibilisiert und achten viel früher auf die Symptome bei Kindern und Jugendlichen. Und drittens sind die Mitarbeiter im Gesundheitssektor mittlerweile zunehmend besser geschult, erkennen die vielen Gesichter der Angststörungen und können konkretere Diagnosen geben. Meine Patienten berichten, dass sie sich akzeptiert fühlen – ganz gleich, ob sie Angst vor Krankheiten, vor Einsamkeit, vor Nähe, Spritzen, Clowns oder anderen Dingen oder sogar Angst vor der Angst haben.

Aber diese wachsende Akzeptanz in unserer Gesellschaft für alle Formen der Angststörung erklärt leider nicht, warum einige davon betroffen sind und andere nicht. Um die Ursachen dafür zu finden – und auf diesem Weg auch die Lösung für das Problem –, sah die gängige Praxis jahrzehntelang vor, tief in der Vergangenheit, dem Arbeitsalltag, der Partnerschaft, dem Familienleben und anderen Beziehungen, der Lebenseinstellung und Weltanschauung zu graben, um ein besseres Verständnis von der eigenen Person zu bekommen. Es war üblich, sich in Gesprächstherapien dem Schmerz zu stellen, um die körperlichen Reaktionen, Gefühle und Gedanken zu analysieren und ihren Ursprung auszumachen. Andere Therapieansätze waren darauf ausgerichtet nachzuspüren, Ungleichgewichte in Körper und Geist auszumachen, Gedanken hin und her zu wälzen und einen neuen Blick auf die Welt zu entwickeln. Gemeinsam haben alle diese Ansätze die Selbstanalyse und Selbstreflexion.

Kein Seelenstriptease

Sehr lange herrschte die Annahme vor, dass man die eigene Seele und sein Leben erforschen muss, um die Ursache seiner Angst zu finden, und damit auch das Werkzeug, um sie zu bekämpfen. Man war der Auffassung, dass Angst eine logische Konsequenz der Umwelteinflüsse oder angestauter und nicht verarbeiteter Traumata ist, die unsere empfindsame Psyche bedrohen. Eine empfindsame Psyche hatte man, weil man zu einem bestimmten Typus Mensch gehörte oder ungünstige Umstände es auslösten.

Die Behandlung von Angststörungen gingen darum immer von einer oder mehreren der folgenden Ansichten aus:

*

Hyperaktives Nervensystem

Eine weitverbreitete Erklärung für eine Angststörung ist, dass einige Menschen ein hyperaktives und hochsensitives Nervensystem hätten. Solche Menschen empfänden die innere Unruhe als sehr bedrohlich und nähmen auch die Signale ihrer Umwelt übermäßig intensiv auf. Deshalb benötige ihr Nervensystem besonders viel Ruhe und Auszeiten mit häufigen oder täglichen Übungen in Achtsamkeit, Meditation, Yoga und anderen Atem- und Entspannungstechniken, möglicherweise im Rahmen von Retreats oder Wandertouren. Diese Aktivitäten könnten das Nervensystem beruhigen und den Betroffenen helfen, zur Ruhe zu kommen und Stimmungsschwankungen zu vermeiden, die wiederum Angst auslösten.
Das hyperaktive Nervensystem lasse sich aber auch mithilfe von Übungen aus der Konfrontationstherapie regulieren, da sich das System an die beängstigenden Situationen gewöhnen könne und die Angst dann weniger werde.

*

Unrealistische Katastrophengedanken

Eine weitere Ansicht ist, dass einige Menschen Risiken und Situationen falsch einschätzten und sie dadurch ein größeres Risiko hätten, Angst zu entwickeln. Das liege an ihrem Schwarz-Weiß-Denken, das sie dazu verleite, immer das Schlimmste anzunehmen. Ihnen wurde empfohlen, ihre Katastrophengedanken auf die Probe zu stellen oder sie umzuformulieren, um so die Angst zu überwinden. Aus den negativen Gedanken sollten durch Gegenfragen differenziertere und realistischere werden. Zum Beispiel: »Wie realistisch ist meine Angst, dass ich jetzt sterbe? Ich bin 34 Jahre alt und kerngesund.« »Wie realistisch ist meine Angst vor einem Flugzeugabsturz? Es kommt äußerst selten zu Flugzeugabstürzen.« »Woher weiß ich denn, dass niemand aus der Klasse mich leiden kann? Gestern zum Beispiel hat mich Anne doch gefragt, ob ich mich nach der Schule mit ihr verabreden will.«

*

Nicht verarbeitete Traumata

Wie auch bei anderen psychischen Leiden ist man immer davon ausgegangen, dass die menschliche Psyche automatisch nicht verarbeitete Traumata und belastende, emotionale Erlebnisse speichere und sie Auslöser für Angstanfälle werden könnten. Nicht verarbeitete Traumata könnten sich in Angstsymptomen entladen, wenn man erneut in eine ähnliche Situation gerate. Bei der Behandlung ging es deshalb vor allem darum, in Gesprächstherapien Einsichten zu gewinnen und Werkzeuge an die Hand zu bekommen, um den emotionalen Ballast zu bearbeiten, den man mit sich herumschleppt.

*

Erwartungsdruck

Es liegt nahe, die Ursache für zunehmende Angstzustände und Stress in dem wachsenden Erwartungsdruck zu suchen, unter dem viele, vor allem im Beruf, leiden, da dort oft ein erhöhtes Maß an Flexibilität und Effektivität erwartet wird. Wir würden krank von unserem Versuch, diesen Erwartungen zu entsprechen, uns für Fortbildungen bereitzuhalten, gesund und froh zu sein, gut auszusehen und 100 Prozent Leistung im Job und im Privatleben zu erbringen. Einige Experten betonen, dass unser analoges Gehirn die vielen Ansprüche, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden, nicht bewältigen könne. Sie fordern deshalb, dass unsere Gesellschaft den Blick generell »mehr nach innen« lenken solle, um den Erwartungs- und Leistungsdruck zu reduzieren, der uns nur krank mache. Politiker, Arbeitgeber und die Medien sollten Verantwortung übernehmen, und Betroffene sollten lernen, beruhigende Strategien anzuwenden, weniger perfektionistische Standards aufzustellen, mal Nein zu sagen, besser in sich zu spüren und auf sich achtzugeben.

*

Familiäre Disposition

Ein fünfter Erklärungsansatz, mit dem sich jahrelang sowohl die Betroffenen als auch Heerscharen von Psychologen und Therapeuten auseinandergesetzt haben, geht davon aus, dass psychische Leiden vererbt werden könnten. Einige Familien seien, wie bei einer Disposition für Brustkrebs, stärker mit psychischen Krankheiten belastet, und deshalb solle man besonders aufmerksam sein, wie es einem selbst, aber auch anderen Familienmitgliedern gehe – vor allem in Krisensituationen wie Arbeitslosigkeit, Scheidung, physische Krankheit, Verletzungen etc. Wenn man dem psychischen Leiden immer einen Schritt voraus sei, könne man vorbeugend einen Therapeuten aufsuchen oder sofort für eine Behandlung bereit sein, wenn einen das Leiden treffe.

Das Nervensystem reguliert sich selbst

Diese Erklärungsansätze für Angststörungen folgen alle der Überzeugung, dass unser Nervensystem beziehungsweise der Inhalt unserer Gedanken aktiv reguliert und umgeformt werden solle, um der Angst zu entgehen oder sie loszuwerden. Ich bin da vollkommen anderer Ansicht. Das menschliche Nervensystem ist perfekt, so wie es ist. Es muss weder justiert, reguliert noch verändert werden. Unser Gehirn ist belastbar und kann weitaus mehr schaffen, als wir glauben. Wir verwenden nur einen kleinen Teil unserer Hirnkapazität, und unser Geist stabilisiert sich von ganz allein, wenn wir ihn in Ruhe lassen.

Die Frage ist berechtigt, warum ich davon so felsenfest überzeugt bin und die Notwendigkeit ablehne, die menschliche Psyche zu regulieren? Warum ich nicht mehr für die Umstrukturierung der Gedanken, die Reduzierung von Erwartungsdruck, für Entspannungstechniken und Beruhigungsstabletten bin – obwohl ich das alles doch selbst jahrelang in meiner therapeutischen Arbeit gegen die Angst praktiziert und eingesetzt habe? Ich habe nicht vor zu leugnen, dass auch ich – wie unzählige Psychologen, Psychiater und Therapeuten – jahrzehntelang Angststörungen auf diese Weise behandelt habe. Ich habe mit meinen Patienten die angstmachenden Gedanken bearbeitet – und damit gedämpft – und in Gesprächen das entsprechende Verhalten analysiert, um so das hyperaktive Nervensystem zu beruhigen und zu regulieren. Ich habe in bester Absicht gehandelt.

Ich kann drei Gründe für meine heutige Überzeugung nennen. Die ersten beiden sind schnell erklärt, der dritte Grund ist umfangreicher und wird auf den folgenden Seiten ausführlich erläutert.

  1. Angst ist ein flüchtiges und ungefährliches Gefühl, dem wir alle im Leben begegnen.

  2. Katastrophengedanken sind ganz normal. Aus ihnen müssen weder Sorge noch Angst entstehen.

  3. Überzeugende Forschungsergebnisse beweisen, dass sich unsere Psyche selbst regulieren kann.

Dazu möchte ich im Einzelnen ausführen:

  1. Angst ist ein flüchtiges und ungefährliches Gefühl, dem wir alle im Leben begegnen.

    Angst ist, wie bereits gesagt, ein ganz natürliches Gefühl, so wie Freude, Trauer, Wut, Glück oder Kummer auch. All diese Gefühle kommen und gehen von allein. Verliebtheit kann überwältigend und fast schmerzhaft sein, aber sie geht vorbei. Auch die Freude über beispielsweise die neue Wohnung vergeht im Laufe der Zeit. Das gilt auch für die Wut wegen der Ungerechtigkeit letzte Woche bei der Arbeit oder auf den Idioten, der auf dem Schulweg der Kinder viel zu schnell an einem vorbeigerast ist. Auch die Angst verhält sich am Anfang so: Sie kommt und geht wieder.
    Die Angst hat das Überleben der Spezies Mensch gesichert, indem sie unsere Vorfahren davor bewahrte, von gefährlichen Raubtieren gefressen zu werden oder giftige Beeren zu verzehren. Es gelang nur denjenigen, die sich wachsam aller Gefahren bewusst waren, zu überleben. Die Angst beschützte sie, meldete frühzeitig Gefahren und sorgte für die Ausschüttung von Adrenalin, wenn es hieß »kämpfen oder fliehen«.
    Auch für uns moderne Menschen sind die Gefühle von Angst und Furcht so wichtig wie für unsere Vorfahren. Es ist natürlich und auch durchaus sinnvoll, dass du ein bisschen Angst hast, wenn du zu einer Prüfung musst, vor vielen Menschen einen Vortrag halten sollst oder einen neuen Job antrittst. Denn sie schärft unsere Sinne und macht uns präsenter. Und wenn du in eine Situation gerätst, in der du schnell fliehen musst – weil zum Beispiel in deiner Wohnung ein Feuer ausbricht –, sorgt die Angst für eine extra Portion Adrenalin und Kraft, die dafür sorgt, dass du dein Optimum leisten kannst.
    Diese situative Angst bringt dein Gefühlsleben in Bewegung und du fühlst dich lebendig. Und das soll weder vermieden noch bekämpft werden.

  2. Katastrophengedanken sind ganz normal. Aus ihnen müssen weder Sorge noch Angst entstehen.

    Ein zweiter Grund, warum ich gegen die Regulierung der menschlichen Psyche bin, ist meine Überzeugung, dass es vollkommen in Ordnung ist, ab und zu von Katastrophengedanken überrollt zu werden. Ein Katastrophengedanke ist – wie das Wort schon verrät – ein Gedanke, der sich mit einer potenziellen Katastrophe beschäftigt. »Was ist, wenn ich auch Brustkrebs bekomme, wie so viele andere Frauen?«, »Was, wenn mein Sohn durch die Prüfung fällt?«, »Und wenn meine Ansprache nicht gut ankommt und ich wie ein Idiot dastehe?« Die meisten Psychologen und Therapeuten sehen in den Inhalten dieser Katastrophengedanken traditionell die Auslöser von Angst, und darum sieht ihr Ansatz immer vor, diese Gedanken genau zu untersuchen und einer Realitätsprüfung zu unterziehen. Aber ich bin anderer Meinung. Unsere Katastrophengedanken sind nicht das eigentliche Problem. Die Gedanken sind nicht verantwortlich für unsere Ängste, auch wenn sie negativ und unrealistisch sind. Gedanken haben eine sehr kurze Halbwertzeit – auch die beängstigenden Gedanken.

  3. Überzeugende Forschungsergebnisse beweisen, dass sich unsere Psyche selbst regulieren kann.

    Adrian Wells und sein Kollege Gerald Matthews haben jahrzehntelang die menschliche Psyche erforscht. Sie untersuchten die Entwicklung von Angststörungen bei verschiedenen Gruppen von Menschen, von der traditionellen Annahme ausgehend, dass uns Angst und andere psychische Leiden von außen treffen und sie notwendige Konsequenzen aus Lebensumständen, Erbe und Umfeld sind. Folgt man dieser vorherrschenden Logik, müssten alle Menschen, die bestimmte Traumata erlebt haben und in bestimmte Lebensumstände geraten sind, eine Angststörung oder ein anderes psychisches Leiden entwickeln. Aber das ist nicht so. Die beiden Forscher stellten fest, dass einige auf das Erlebte mit einer Angststörung reagierten, andere davon verschont blieben. Daraus zogen sie den Schluss, dass Druck, Katastrophengedanken oder unbearbeitete und angehäufte traumatische Erlebnisse nicht automatisch zu einer Angststörung führen. Stattdessen fand Wells heraus, dass die menschliche Psyche wie ein Sieb ist, durch das Gefühle und Gedanken rieseln und verschwinden, wenn wir es zulassen. Wir häufen in unserem mentalen Rucksack keine Traumata und Erlebnisse an, so wie man das jahrzehntelang angenommen hat. Gedanken und Gefühle sind flüchtiger Natur und selbstregulierend. Die Gedanken und Gefühle, die wir letzte Woche gehabt haben, sind längst von allein verschwunden.