Volker Schmidt

Kaltes Herz

Dramatisierung eines frei erfundenen Kriminalfalles

mit auffallender Ähnlichkeit zum Märchen “Das kalte Herz” von Wilhelm Hauff

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

1. Präludium

2. Präludium II

TEIL 1 – Evaluation

3. Im Hirschhof

4. N5

5. Am Morgen

6. Die Schokoladenfabrik

7. Im Hause

8. Der Hirschhof

9. Der Glasmann

10. Mail

11. Martin Diaz

12. Der Vater

TEIL 2 – Investition

13. Aurora Elegie

14. Die Frau mit den Handschuhen

15. Im Bahnhofscafe

TEIL III – Expansion

16. Sinai

17. Wüste

18. Traum

19. Wüste II

20. Im Hirschhof

TEIL IV – Performance

21. Friedrich-Ebert-Straße 26

22. Das kalte Herz

23. Whirlpool

24. St. Tropez

25. Die Elisabeth-Munk-Stiftung

26. Die Übernahme

27. Whisky

28. Epilog

29. Epilog II

Über den Autor

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Peter Munk
Frau Munk
Paul
Herr Knapp
Lisbeth
Glasmännchen
Martin Diaz
Johann
Nina
Klaus
Die Frau mit den Handschuhen
Groupier
Der Mann mit dem karierten Hemd
Marten
Amery
Eine Stimme
Svetlana, ein kleines Mädchen
Chor/Bericht/Die Anderen

Die Anderen sind jeweils alle anderen. Alle, die gerade nicht in der Szene sind.

ZEIT
Unbedingt heute

ORT
Um den Schwarzwald, wo es brummt vor Geschäftigkeit

1. Präludium

CHOR
wir wissen worüber wir berichten
denn wir haben alles schon gesehen
aber das konnten wir nicht voraussehen
die summe ist immer höher als man sich gedacht hat
man addiert ein leben lang und am ende merkt man
dass man doch auf manches verzichten hätte sollen
dann wäre man jetzt besser dran
das leben ist die summe seiner fehler
deshalb fällt das mitrechnen so schwer

wir wissen nicht worüber wir berichten
uns beschleicht ein grauen
wie konnte das passieren
hat man es kommen sehen?
hat man womöglich gedacht
dass es nicht möglich wäre?
erst jetzt wo alles so klar vor uns liegt
erkennt man
dass man sich verschätzt hat
wir schätzen unser leben
und verschätzen uns regelmäßig
weil wir den schatz zu gut versteckt haben
deshalb fällt das mitrechnen so schwer

2. Präludium II

BERICHT
am 13. juni gegen 22 uhr abends
erschlägt peter munk mit seinem golfschläger seine frau lisbeth
der vorgang der tötung ist ein langwieriger
der gegenstand ist zu stumpf
um einen raschen exitus herbeizuführen
der erste schlag ist zwar gut am hinterkopf platziert
doch führt er lediglich dazu
dass lisbeth vornüber in den spiegelschrank fällt
und das glas sogleich über ihr in einem glitzernden regen zusammenstürzt
lisbeths kopf ist anscheinend eine harte nuss
sie trägt nur eine platzwunde davon
ihr hinterkopf verfärbt sich sofort dunkel
blut rinnt an ihren strähnen hinunter
als hätte sie sich gerade eine haarpackung einmassiert

lisbeth verliert die orientierung und bewegt sich auf allen vieren richtung bad zu anstatt durch die tür oder das fenster das weite zu suchen
währenddessen schlägt peter munk erneut auf sie ein
kann aber diesmal die schläge nicht so genau platzieren
in immer kürzeren abständen aber auch immer uneffektiver
rasen die schläge auf lisbeths kopf und rücken herunter

lisbeth verkriecht sich hinter der kloschüssel dort kann peter munk sie schlechter erreichen außerdem ist er außer atem und hält kurz inne

diesen moment nutzt lisbeth aus einem fatalen instinkt heraus
sich umzuwenden und peter munk anzusehen
sie denkt oder denkt nicht mehr
vielmehr wird sie nur gehofft haben ohne zu denken
(denn die hoffnung stirbt ja zuletzt)
hofft also, dass ihr blick
mit dem sie sooft versucht hat
ihren mann liebevoll zu berühren
dass ihr blick eine mischung aus hoffen und staunen
ihr das leben retten könnte
dass der mensch der da steht ein mensch wäre
ihr mann ihr mann wäre
und seinen irrtum bemerken würde

es ist ein wortloser appell
an das herz des anderen

dieser blick geht ins leere
dafür trifft peter munk ins volle
er plaziert den nächsten schlag direkt in ihr gesicht
etwas knackst
vielleicht ist es bloß die nase

auf alle fälle ist es jetzt völlig still
kein atem geht
lisbeth eingeklemmt zwischen wand und kloschüssel
sitzt noch immer aufrecht da
ihr blick ist leer geworden
ob sie tot ist
kann peter munk nicht sagen

es scheinen einige minuten zu vergehen
in denen nichts gedacht wird
dann entschließt sich peter munk
wir wissen nicht wieso
seine frau in die badewanne zu legen
er schneidet ihre pulsadern der länge nach auf
schließt den abfluss und lässt heißes wasser über sie laufen

während das wasser in die badewanne rauscht
und dunkelrote schlieren ihres blutes lisbeths körper umfangen
geht peter munk in den salon hinunter
und gießt sich ein glas whisky ein
die eiswürfel knacken
er blickt durch die großen terrassenfenster in die dunkelheit des gartens
er kann nichts erkennen was da draußen ist
er kann keine blumen sehen und auch nicht den wald
der sich hinter dem kleinen bach den hang hinauf erhebt
er sieht nur sich selbst in der spiegelung des glases
das glas scheint sich zu verformen
sein spiegelbild aufzulösen
er blickt durch sich hindurch in eine schwärze
die unendlich ist

zwei tage später
am 15. juni meldet peter munk seine frau als vermisst
daraufhin durchstreifen drei tage lang hundertschaften der polizei
die wälder des schwarzwaldes
das dunkel im wald
scheint größer als sonst
elisabeth munk bleibt unauffindbar
die schwärze des waldes hat sie
für immer in sich aufgenommmen

TEIL 1 – Evaluation

3. Im Hirschhof

Peter Munk dreieinhalb jahre davor. er sieht viel jünger aus, jünger als um die jahre, die vergangen sind. er steht und starrt.

PAUL
peter. peter! peter?

PETER MUNK
ja.

PAUL
machst jetzt mit?

PETER MUNK
ja klar. wobei?

PAUL
wir wollten spielen.

PETER MUNK
ich komm schon.

PAUL
was machst du hier?

PETER MUNK
nichts.

PAUL
träumst immer.

PETER MUNK
ich schau nur.

PAUL
die da gerade geht.
die kleine mit dem süßen arsch?

PETER MUNK
ja.

PAUL
die gefällt dir?
kannst gleich vergessen.

PETER MUNK
wieso?

DIE ANDEREN
die hat schon einen.

PETER MUNK
wen?

PAUL
den sohn vom sieg.
der mit der unterwäschefirma.

PETER MUNK
der hat doch so ein buttergesicht.

DIE ANDEREN
aber kohle

PETER MUNK
kohle

DIE ANDEREN
eine menge kohle
hat alles gekriegt vom papa
will jetzt eine eigene firma aufbauen
der will das alleine schaffen auf eigenen beinen stehen
aber ob er das hinkriegt wenn man sein leben lang
alles in arsch geschoben bekommen hat

PETER MUNK
kohle

PAUL
ja, also vergiss die außerdem
dachte du stehst auf die irene vom versand?

PETER MUNK
die hab ich mir abgewöhnt

PAUL
wie?

PETER MUNK
weiß nicht
sie lacht über jeden scheiß und ihre fingernägel
so billig. und redet ohne ende nur blödsinn

PAUL
ist mir nicht aufgefallen kommst du jetzt?

PETER MUNK
na klar. wer spielt?

PAUL
wir gegen die anderen

PETER MUNK
die anderen?

PAUL
ja
die anderen

DIE ANDEREN
wer bist’n du eigentlich

PAUL
der peter munk aus der fabrik mein kollege vom fließband

PETER MUNK
schokoladenfabrik

DIE ANDEREN
fließbandschokolade
na lecker berufe gibt’s muss auch sein
aufstiegschancen?

PETER MUNK
schichtleiter

DIE ANDEREN
oho
ich glaub an dich hast du zigaretten?

PETER MUNK
ich rauch nicht

DIE ANDEREN
holst du mir welche vom automaten
dann darfst du mitspielen jeder muss mal

PETER MUNK
zigaretten?

PAUL
lass ihn doch

PETER MUNK
ist aber weit

DIE ANDEREN
mit dem auto?

PETER MUNK
ist kaputt

DIE ANDEREN
na dann

PETER MUNK
ich fahr jetzt besser mal
hab morgen frühschicht und der nächste nachtbus geht gleich

DIE ANDEREN
frühschicht alle achtung

PAUL
bis morgen um sechs

4. N5

LISBETH
ich kenn dich doch

PETER MUNK
hallo

LISBETH
wann geht der nächte?

PETER MUNK
nimmst du auch den N5?

LISBETH
ja

PETER MUNK
in zwanzig minuten

LISBETH
ich kenn dich doch
ich mag nachtbusse nicht
sie stinken nach kotze
die meisten darin sind besoffen oder deprimiert
weil sie keine abgekriegt haben und
das licht macht die menschen hässlich
man könnte doch nie jemanden im nachtbus aufreißen
weißt du was ich meine?

PETER MUNK
ja wahrscheinlich

LISBETH
man ist da immer irgendwie opfer
hätte ich meinen freund im nachtbus kennengelernt
wären wir jetzt sicher nicht zusammen

PETER MUNK
ja wahrscheinlich

LISBETH
ich kenn dich doch
du gehst doch immer zum rewe einkaufen

PETER MUNK
ja

LISBETH
ich sitz da an der kasse
aber nur vorübergehend als ferialjob
hab dich da schon öfter bedient

PETER MUNK
ich weiß

LISBETH
so was dummes eigentlich
man hat immer nur so kurz zeit an der kasse
und wenn man mit jemandem reden will
fängt man über die dümmsten dinge zu sprechen an
einmal hab ich zu einem motorradfahrer gesagt
cooler helm
weil er einen helm auf dem kopf hatte
ist das nicht bescheuert?

PETER MUNK
ja

LISBETH
ich will aber nicht nur schweigen
ich will nicht nur eine zahl sagen und haben sie eine kundenkarte
ich fang da immer gespräche an
deswegen wäre ich wahrscheinlich gar keine gute kassierin langfristig
weil ich den betrieb aufhalte
wir dürfen das gar nicht
kannst du dir das vorstellen
wir dürfen da keine langen unterhaltungen führen
du bist da eigentlich nur so eine art menschliches ersatzteil
für alle anderen die das machen könnten
verstehst du was ich meine
aber ich mach’s eh nur diesen sommer lang

PETER MUNK
und
was machst nach dem sommer?

LISBETH
na weiterstudieren

PETER MUNK
ach so

LISBETH
kunstgeschichte
studierst du auch was?

PETER MUNK
ich –?
ja

LISBETH
was?

PETER MUNK
bwl

LISBETH
aha
o gott naja
auf alle fälle praktischer als kunstgeschichte
kann man wenigstens irgendwann geld verdienen

PETER MUNK
genau

LISBETH
ich hab mir das uneffizienteste studium der welt ausgesucht
also lebensplantechnisch
wo studierst du?

PETER MUNK
vielleicht wechsel ich ja auch das studium

LISBETH
das denk ich mir auch jedes jahr
dann bleib ich doch dabei
aus prinzip verstehst du?

PETER MUNK
mhm

LISBETH
wohnst du hier in der nähe?

PETER MUNK
da hinten
friedrich-eberts-straße

LISBETH
das ist ja unglaublich
wir sind fast nachbarn
wohnst du da alleine?

PETER MUNK
ja. hab da ein haus
mit garten. und pool

LISBETH
wow
ich würd gerne ausziehen
weg von meinen eltern
mein freund will aber nicht hält
mich auf distanz
der baut gerade eine firma auf
zuviel stress sagt er deshalb mach ich diese ferienjobs
damit ich ausziehen kann irgendwann
selbstständig
unabhängig
auf eigenen füßen

PETER MUNK
ja

LISBETH
ich wohn Nr. 26
du kannst ja mal vorbeikommen

PETER MUNK
ja

pause

LISBETH
naja
jetzt könnte echt mal der bus kommen

PETER MUNK
ja

LISBETH
willst du mir ein taxi zahlen?

5. Am Morgen