Paul Heyse
In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten
Paul Heyse
In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-64-8
null-papier.de/514
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Widmung
In der Geisterstunde
I. Die schöne Abigail.
II. Mittagszauber.
III. ’s Lisabethle.
IV. Das Waldlachen.
Martin der Streber
Das Haus »Zum ungläubigen Thomas«
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr
Jürgen Schulze
Der Newsletter informiert Sie über:
https://null-papier.de/newsletter
Meiner lieben Freundin
Frau Emma Ribbeck
zugeeignet.
(1892)
Wir hatten nach dem Abendessen in einem befreundeten Hause bei Bowle und Cigarre bis in die späte Nacht hinein geplaudert, zuletzt über die Entlarvung eines spiritistischen Gauklers, die gerade vor wenigen Tagen gelungen war und bei Gläubigen und Spöttern großen Lärm gemacht hatte. An den Bericht über den Vorgang – Einer aus unserem Kreise war zugegen gewesen – hatte sich ein endloses Gespräch über das Für und Wider jener rätselhaften Erscheinungen geknüpft, die auf der helldunklen Grenze zwischen Seelen- und Nervenleben stehen und selbst von der hochmütigsten Wissenschaft nicht länger mit Schweigen und Achselzucken abzufertigen sind. In das lebhafte Gewirre der widerstreitenden Meinungen hinein erklang plötzlich der tiefe Ton der alten Standuhr, die Mitternachtsstunde ankündigend. Als der letzte der zwölf harten, langsamen Schläge verhallt war und eine kleine Stille entstand, hörten wir aus dem Sofawinkel heraus die helle Stimme der jungen Schwester der Hausfrau, die in ihrer drollig trockenen Tonart ausrief: So! die Geisterstunde wäre nun glücklich angebrochen. Ich erlaube mir den Vorschlag zu machen, dass jetzt die Debatte über Suggestion, Telepathie, Autohypnose, und wie der konfuse Spuk sonst noch heißen mag, geschlossen wird und wir uns endlich mit etwas Soliderem beschäftigen, ich meine, mit echten und rechten Gespenstergeschichten, wie sie zur Geisterstunde passen. Ich glaube zwar an die tanzenden Nonnen in »Robert der Teufel« so wenig wie an den fliegenden Holländer, trotzdem aber kann ich mich eines angenehmen Gruselns nicht erwehren, wenn sie gut gespielt und gesungen werden, und nichts hab’ ich lieber, als wenn mir – in guter Gesellschaft – die Haut ein bischen schaudert und das Haar zu Berge steht. Gerade dass man weiß, es ist Alles Unsinn, und doch hat es diesen wunderlichen Effect, ist das Hübsche daran, wie man es ja auch bei allem Poetischen erfährt, das uns mit fortreißt, obwohl wir wissen, es ist ein Spuk der Fantasie. Verzeihen Sie, Herr Doktor, wandte sie sich lächelnd zu mir, ich schwatze da sehr unbescheiden über Dinge, die Sie besser verstehen. Aber warum sind Sie Alle, nachdem die Uhr Zwölf geschlagen, so wie auf Verabredung verstummt? Der Erste, der den Mund öffnet, wenn ein Engel durchs Zimmer geflogen ist, sagt bekanntlich immer etwas Dummes.
Alle sieben Weisen könnten nichts Klügeres über die Wirkung der Poesie sagen, als was Sie eben geäußert haben, liebes Fräulein, erwiderte ich, mich gegen sie verneigend. Ich freue mich, eine so tapfere Idealistin in Ihnen zu begrüßen, welcher Schiller, wenn er sie hätte reden hören, seine Hochachtung bezeugen würde als einer werten Gesinnungsgenossin. Denn in der Tat meinte er ja auch: was sich nie und nirgend hat begeben, das allein veraltet nie. Aber lassen wir diese ästhetischen Prinzipienfragen und kommen zu unserer mitternächtigen Tagesordnung. Sie wollen Spukgeschichten hören? Wenn nun aber Niemand von uns eine recht ausbündige, die nicht gar zu kindisch und köhlergläubig wäre, in Bereitschaft hat?
Nein, sagte das kluge Mädchen lachend, das versteht sich, es darf nicht etwa auf einen bloßen Bademantel hinauslaufen, der, zum Trocknen aufgehängt, vom Winde hin und her geweht wird und sich für ein Gespenst ausgibt, wie ich selbst als kleines Mädchen einmal erlebt habe. Es muss Etwas sein, was einem vernünftigen Menschen, und der kein Hasenfuß ist, was aufzuraten gibt, und wofür auch nicht gleich eine prosaische Aufklärung bei der Hand ist. Wie wär’s, wenn wir Umfrage hielten, und wer nichts derart aus eigener Erfahrung oder nach glaubwürdiger Mitteilung zu erzählen wüsste, müsste ein Pfand geben?
Dann rücke du selbst nur gleich mit deinem Pfand heraus, sagte ihre Schwester lächelnd, denn schwerlich sind dir außer jenem Bademantel überirdische Gesichte zu Teil geworden.
Wer weiß! versetzte die Mutwillige und bemühte sich, eine geheimnisvolle Miene zu machen. Aber ich komme zuletzt. Der Doktor hat jetzt das Wort. Wir bitten um ein recht hübsches Gespenst, Herr Doktor, Wahrheit oder Dichtung, in Prosa oder in Versen ist uns gleich, nur dass es uns recht eiskalt dabei über den Rücken läuft und zu gleicher Zeit eine sanfte ätherische Hand uns das Gesicht streichelt.
Damit kann ich nun freilich nicht dienen, versetzte ich, wenn ich nicht etwas zusammenfabeln will, was ich doch aus dem Stegreif nicht wagen würde. Das Höchste in dieser Art hat schon ein Höherer geleistet, der Dichter der Braut von Korinth. Mir selbst ist nur ein unscheinbares Erlebnis in der Erinnerung, das für eine geheimnisvolle Wirkung in die Ferne, die längst durch tausend Tatsachen bestätigt ist, ein neues Zeugnis ablegt. Ich war als ein junger Mensch von dreiundzwanzig Jahren in Rom und hatte in Berlin die beiden Menschen zurückgelassen, denen von all meinen Nächsten ich am meisten fehlte: meine Mutter und meine Braut. Im frühen Frühling des Jahres 1853 nun, an einem dunklen, stürmischen Abend, sitzt meine Liebste ruhig mit einer Handarbeit bei ihren Geschwistern, als sie heftig unten an der Haustür klingeln hört und mit dem Rufe: das ist Paul! hinaus- und die Treppe hinuntereilt, um selbst das schon verschlossene Haustor zu öffnen. Niemand stand draußen an der Schwelle, und sie musste sich, da sie zurückkam, von den Brüdern mit ihrer »bräutlichen Fantasie« necken lassen. Am anderen Morgen besucht sie meine Mutter, die kommt ihr mit den Worten entgegen: Denke nur, was mir gestern Abend begegnet ist! – und erzählt genau denselben Hergang, wie sie plötzlich die Hausglocke gehört habe, mit dem lebhaften Ton, den ich anzuschlagen pflegte, zu meinem Vater hineingeeilt sei und ebenfalls ausgerufen habe, das müsse ich sein, der unten stehe, worauf sich auch hier das Ganze als eine Sinnestäuschung erwiesen habe. Oder doch als etwas Anderes? Denn acht Tage später kam ein Brief aus Rom mit der Nachricht, dass ich an einem Malariafieber bedenklich krank gelegen, und gerade an jenem Abend die Gefahr auf ihre Höhe gestiegen sei.
Wieder ward eine kleine Stille in der Runde. Dann sagte das Fräulein ruhig: Eine nachdenkliche Geschichte, von der ich jedes Wort glaube. Denn von den Wirkungen der Seelen auf einander ohne die Vermittlung sinnlicher Zwischenträger haben wir ja heute Abend schon genug unwidersprechliche Beweise gehört. Und so sollen Sie ohne Pfand sich gelöst haben, obwohl es keine eigentliche Gespenstergeschichte ist, keine solche, die unglaublich ist und uns doch gruseln macht. Jetzt ist die Reihe an dem Herrn Obersten. Ich fürchte nur, der wird uns auch im Stich lassen. Denn so viel ich weiß, haben die Gespenster einen heiligen Respekt vor Leuten, die Waffen tragen und schon aus Beruf Courage haben müssen.
Sie wandte sich mit diesen Worten an meinen Nachbar, der sich während der letzten Stunde, so lange das Gespräch sich um die Geheimnisse des Zwischenreichs gedreht, auffallend schweigsam verhalten hatte. Ein stattlicher Mann, zu Anfang der Fünfziger, Haar und Bart vorzeitig ergraut; die wetterbraune Farbe des Gesichts stach mit einem gewissen koloristischen Reiz dagegen ab, und nur ein leises Zucken, das dann und wann den festen Mund umzog, verriet ein geheimes Leiden. In der Tat hatte der treffliche Mann, der mit Leib und Seele Soldat war und im Kriege von 70 und 71 mit Auszeichnung gedient hatte, wegen tief eingenisteter rheumatischer Beschwerden in Folge seiner Feldstrapazen vor zwei Jahren den Abschied nehmen müssen, mit Oberstenrang und allen sonstigen Ehren, die ihn jedoch über seine gezwungene Untätigkeit so wenig zu trösten vermochten, wie die kriegsgeschichtlichen Studien, mit denen er seine Muße ausfüllte.
Wir Alle schätzten ihn sehr und freuten uns, dass er in unserm Kreise seiner schwermütigen Stimmung Herr zu werden im Stande war und bei den witzigen Torheiten, auf welche die Schwester der Hausfrau zuweilen verfiel, das dankbarste Publikum abgab.
Desto bestürzter sahen wir nun, wie er auf die letzten Worte des Fräuleins erblasste, den Blick zu Boden kehrte und eine Weile unschlüssig schien, was er erwidern sollte.
Es war offenbar, dass irgend eine wunde Stelle in seinem Innern berührt worden war, und dass er nach seiner angeborenen Tapferkeit sich bemühte, den Schmerz zu verwinden und nichts davon zu Tage kommen zu lassen.
Eben wollte das betroffene Mädchen, das bei all seinem Übermut einen feinen Herzenstakt besaß, die unliebsame Übereilung wieder gut machen und unter einem scherzhaften Vorwande den Oberst von der Pfänderpflicht freisprechen, als dieser die Augen mit ruhigem Entschluss wieder aufhob und sagte:
Ich hätte allerdings etwas zu erzählen, was den Anforderungen, die Sie an eine richtige Spukgeschichte stellen, hinlänglich entsprechen möchte. Ich müsste aber, um verständlich zu machen, warum dies Erlebnis mir so nahe ging, ziemlich weit in meine Vergangenheit zurückgreifen und allerlei Herzensabenteuer berühren, die Ihnen nicht sehr interessant sein können. Zudem ist die Polizeistunde längst überschritten –
Das Fräulein ließ ihn nicht ausreden. Ich bin nicht die Hausfrau, sagte sie mit einem lieblichen Erröten, und habe wohl überhaupt schon zu dreist das Wort geführt. Aber wie ich meine Schwester kenne – von dem lieben Schwager gar nicht zu reden – so ist es ihr nie zu spät, eine merkwürdige Geschichte erzählen zu hören, zumal wenn es sich um Herzensabenteuer eines so verehrten Hausfreundes handelt. Überdies ist die Bowle noch nicht zur Hälfte ausgetrunken, was mich, die ich sie gebraut habe, kränken muss. Lassen Sie mich also Ihr Glas wieder füllen, dann will ich mäuschenstill sein und recht mit Wonne mich graulen.
Sie merkte, dass sie doch nicht den rechten Ton gefunden hatte, denn auf seinem Gesicht erschien kein Lächeln, wie sonst bei ihrem schalkhaften Geplauder. Auch wir Andern gerieten in eine etwas beklommene Stimmung, da wir den Freund jetzt aufstehen und ein paar Mal das Zimmer durchschreiten sahen. Er stand endlich an dem längst erloschenen Ofen still, lehnte sich mit dem Rücken daran und begann seine Geschichte.
Was ich Ihnen erzählen will, liegt schon eine ziemliche Strecke Zeit hinter mir, über zehn Jahre. Doch bei der leisesten Erinnerung daran steht Alles wieder so leibhaft vor mir, als hätte sich’s gestern zugetragen, und ich habe ganz dieselben Schauer von Glut und Frost in meinem Blute zu überstehen, wie in jener wundersamen Nacht.
Ich schicke dies voraus, damit Sie mich nicht im Verdacht haben, Ihnen einen leeren Traum vorzutragen. Träume pflegen zu verschäumen. Was ich damals erlebte – doch ich will ohne weitere Vorrede zur Sache kommen.
Es war also im Jahre 1880, im Hochsommer. Ich hatte mir vier Wochen Urlaub ausgewirkt, da mein rheumatisches Leiden eben damals anfing, mich unerträglich zu peinigen. Das Wildbad aber, auf das ich meine Hoffnung gesetzt hatte, tat Wunder. Nach drei Wochen fühlte ich mich wie neu geschaffen, und da die Hitze in jenen Talgründen mir im Übrigen nicht wohltat, sprach der Badearzt mich nach den üblichen einundzwanzig Bädern frei und riet mir, den Rest meiner Ferien in einer kühleren Gegend zuzubringen, mit aller Vorsicht freilich, um nicht wieder einen Rückfall heraufzubeschwören.
Nun hatte ich in B. einen Jugendfreund, mit dem ich seit dem Frieden nicht wieder zusammengekommen war. Nach dem Kriege, den er als Regimentsarzt gerade in meiner Kompanie mitgemacht, hatte er in dieser seiner Vaterstadt die Leitung des Krankenhauses übernommen, sich verheiratet und nur durch die Zusendung der Geburtsanzeigen seiner fünf oder sechs Kinder die Fäden unserer alten Freundschaft fortgesponnen.
Um so wohltuender war mir’s, da ich ihn jetzt unvorbereitet überfiel, den guten Kameraden ganz so herzlich gesinnt wiederzufinden wie damals, als ich von ihm Abschied nahm, um nach meinem Wundbette in Mainz evakuiert zu werden. Ich musste zu Tische bei ihm bleiben – die einzige Zeit des Tages, neckte ihn seine liebenswürdige Frau, wo er nicht dem Ersten Besten mehr gehörte als seinem eigenen Fleisch und Blut –, und da ihn in den nächsten Stunden seine Stadtpraxis wieder in Anspruch nahm, verabredeten wir, dass ich ihn Abends nach dem Theater in einem Weinhause, das er mir bezeichnete, erwarten sollte.
Mein einsamer Nachmittag verging rasch genug. Ich kannte zwar, außer meinem Kriegskameraden, keine lebende Seele in der schönen alten Stadt, die ich als Fähnrich vor langen Jahren einmal flüchtig durchwandert hatte. Aber es gab an allen Ecken und Enden so viel Merkwürdiges zu schauen, so Manches reizte mich, ein paar Striche in meinem Skizzenbuch zu machen, und das Wetter war so lieblich durch ein Morgengewitter gekühlt worden, dass ich das Theater – eine sehr fragwürdige Sommerbühne – fahren ließ und die Zeit bis zu unserm Stelldichein lieber mit einem Spaziergang in der stillen Abendluft die baumreichen Flussufer entlang ausfüllte.
Ich hatte mich dabei so in meine Gedanken eingesponnen, dass ich erst an den Rückweg dachte, als es völlig Nacht geworden war. Eine Nacht freilich, in der sich’s so anmutig lustwandelte wie am Tage: denn der Mond ging fast schon mit seinem vollen Schein über den Erlenwipfeln auf und erhellte die Gegend dergestalt, dass man an den flachen Uferstellen die Kiesel durch die Wellen wie kleine Silberkugeln schimmern sehen konnte.
So auch erschien die Stadt von einem silbernen Duft umwoben, wie aus einem Märchen vor mich hingepflanzt, als ich mich ihr wieder näherte. Es schlug schon Neun von der alten Domkirche, ich war müde und durstig von meinem langen Streifzuge und hatte mir die Rast in dem Weinhause, zu dem ein gefälliger Bürgersmann mich hinwies, wohl verdient. Da ich meinen Freund noch nicht vorfand, ließ ich mir etwas zu essen geben und einen Schoppen leichten Weins, mit dem ich den ersten Heißdurst löschte. Noch immer ließ der Doktor auf sich warten. Er musste nun aber jeden Augenblick kommen, und so bestellte ich im Voraus einen feurigen Rauenthaler, von dem er mir bei Tische gesprochen hatte, um ihm gleich in diesem edlen Tropfen Willkommen zuzutrinken, sobald er einträte. Es war wirklich ein »Trank voll süßer Labe«, würdig, die Blume alter Freundschaft damit zu begießen. Doch verfehlte er seinen Zweck. Statt meines guten Kameraden erschien, so gegen Zehn, ein Bote mit einer Karte, auf der der Freund sein Ausbleiben zu entschuldigen bat; er sei über Land gerufen worden zu einem schweren Patienten und könne nicht absehen, ob er in dieser Nacht überhaupt zurückkehren würde.
So war ich auf mich selbst angewiesen und auf den Wein, der mich leider nicht heiter zu stimmen pflegte, wenn ich ihn nicht in freundlicher Gesellschaft trank. Seit ich meine Frau verloren habe, damals ging es ins dritte Jahr, überfiel mich bei der einsamen Flasche regelmäßig eine tiefe Melancholie, die geflissentlich zu nähren ich nicht mehr jung und sentimental genug war. Um ihr auch diesmal nicht zu verfallen, griff ich nach den Zeitungen, die mir fast alle zu Gebote standen, da die wenigen Stammgäste an ihren abgesonderten Tischen sich eifrig ihrer Scat- oder Schachpartie hingaben.
Was mir zunächst – auf der letzten Seite des Lokalblattes – ins Auge fiel, war die Liste der städtischen Sehenswürdigkeiten. Da ich den ganzen morgigen Tag noch zu bleiben gedachte, war mir dieser Wegweiser ganz erwünscht, und ich notierte mir Einiges, was meine Neugierde reizte, in mein Taschenbuch. Da fiel mein Blick auf eine Anzeige, die meine Gedanken plötzlich in eine weit entlegene Zeit zurücklenkte: »Jeden Montag und Donnerstag ist die Windham’sche Gemäldesammlung im Erdgeschoss des Rathauses unentgeltlich geöffnet.«
Windham! Nein, ich irrte mich nicht; das war der Name gewesen. Ein Windham hatte im letzten Kapitel meines Jugendromans die Hauptrolle gespielt. Nun dämmerte es auch in mir auf, dass ich später einmal gehört hatte, dieser Windham habe sich mit seiner jungen Frau hier in B. niedergelassen. Seitdem war er mir verschollen geblieben. Und nun hier so unverhofft an ihn erinnert zu werden! –
Aber Sie können ja nicht verstehen, was mich an der unscheinbaren Zeitungsnotiz so seltsam aufregte. Ich muss nun doch noch weiter ausholen.
Sie wissen, dass ich als Sprössling einer unterfränkischen Soldatenfamilie im Kadettenhause zu München erzogen worden bin und es in dem Jahre vor Ausbruch des französischen Krieges zum Oberleutnant gebracht hatte. Ich war neunundzwanzig Jahre alt und hatte außer meinem Beruf, dem ich mit Leib und Seele anhing, nicht viel erlebt. Eine sehr ideale Fähnrichsliebe, die ein albernes Ende nahm, hatte mich vor den mancherlei Verirrungen meiner Altersgenossen bewahrt, mir aber das weibliche Geschlecht nicht im besten Lichte gezeigt. Doch posierte ich nicht als Weiberfeind, und da ich ein leidenschaftlicher Tänzer war, selbst noch auf der Kriegsakademie, machte ich auch den Karneval des Jahres 70 als einer der Flottesten mit, ohne mir die Flügel zu verbrennen.
Bis auch meine Stunde geschlagen hatte.
Auf einem der öffentlichen Bälle erschien so um die Mitte des Februar eine auffallende junge Schönheit, die alle bisherigen Ballköniginnen verdunkelte.
Sie war erst vor Kurzem mit ihrer Mutter, da der Vater vor Jahr und Tag gestorben war, aus Österreich herübergekommen, um, nachdem sie die Trauer abgelegt hatte, noch etwas Winterfreuden zu genießen. Ihre Gestalt, ihr Benehmen, ihre Art sich auszudrücken, all das hatte einen fremdartigen Reiz, der schon aus der seltsamen Mischung ihres Blutes zu erklären war. Denn ihre Mutter, eine hochgewachsene, rötlich blonde Schottin von strenger, puritanischer Haltung und langsam ungelenken Gebärden, hatte einen steirischen Edelmann geheiratet, der sich auf einer Reise durch ihr heimatliches Hochland in das junge Mädchen verliebt hatte. Sie war ihm nach seinem Gut gefolgt, hatte sich aber dort nicht zu akklimatisieren verstanden. Trotzdem schien sie in einer glücklichen Ehe mit dem leichtblütigen katholischen Gatten gelebt zu haben und seinen Tod noch immer nicht verwinden zu können, als sie mit ihrer Tochter auf Reisen ging.
Diese, damals schon in den ersten Zwanzig, hatte von der Welt bisher nichts gesehen, als was auf zehn Meilen in der Nachbarschaft ihres Landsitzes sich ihr dargeboten hatte. Der Vater, der im Punkt der ehelichen Treue vielleicht nicht der Gewissenhafteste gewesen war und alljährlich viele Monate in Wien zubrachte, hatte seine Frau den Versuchungen der großen Stadt sorgfältig fernzuhalten gewusst und die Tochter vollends vor allem Verkehr mit jungen Männern behütet. Beide hätten es wahrlich nicht bedurft, da ihr kühles Temperament sie hinlänglich schützte. Denn hierin war Abigail – so war das Fräulein nach einem uralten Brauch der mütterlichen Familie getauft worden – das echte Kind ihrer Mutter, der sie äußerlich durchaus nicht ähnlich sah, nicht einmal durch die Farbe des Haars, die bei der Tochter durchaus keinen rötlichen Schimmer hatte.
Ich will aber nicht den törichten Versuch machen, Ihnen diese reizende junge Person zu beschreiben. Nur Zweierlei fiel mir gleich bei dem ersten Begegnen auf und verfolgte mich bis in meine Träume: der seltsam glanzlose Blick ihrer großen grauen Augen, die immer ernst blieben, auch wenn der Mund lächelte, und dass sie die schönsten Arme hatte, die ich je gesehen. Sie trug sie gegen die damalige Sitte ganz entblößt, an den Achseln nur durch einen schmalen Florstreifen von den herrlichen Schultern abgetrennt, was die Damen, zumal die Mütter, skandalös fanden, obwohl die Wiener Mode diese Tracht sanktionierte und das Fräulein im Übrigen sich in Worten und Gebärden aufs Züchtigste betrug. Aber die Arme waren zu schön, um nicht Aufsehen zu machen und so viel Neid wie Bewunderung zu erregen. Eine Farbe wie etwas vergilbter weißer Atlas, mit einem matten Glanz, und in der Biegung des Ellenbogens eine zarte blaue Ader. Selbst die kleinen, hellen Narben am linken Oberarm, die von der Nadel des Impfarztes herrührten, hatten einen eigenen Reiz, als wären sie mit absichtlicher Koketterie der glatten Haut eingeätzt worden, um deren edle Feinheit desto mehr bemerklich zu machen.
Und so die Hände, als sie beim Souper die Handschuhe abstreifte, der schönste Fuß im weißseidenen Schuh, ein Ebenmaß und eine Schmiegsamkeit der Glieder, die sie dem österreichischen blauen Blut, nicht der schottischen Hochlandrasse verdankte.
Ich war, so wie ich den ersten Blick auf das herrliche Geschöpf geworfen hatte, unter dem Zauber dieser fremden, kühlen Augen. So unbefangen ich sonst selbst den reizendsten Frauen gegenübertrat, das Herz schlug mir heftig, und meine Rede verwirrte sich, als ich ihr vorgestellt wurde und sie um einen Tanz bat.
Auch fand ich meine Besinnung nicht so bald wieder, während ich mit ihr durch den weiten Saal mich umschwang, und war wütend auf mich selbst, dass ich eine so unbeholfene Figur machte. Beständig musste ich denken: Sie ist kein Weib wie alle anderen. Eine Göttin! Kein Wunder, dass ihre Blicke so kühl auf das armselige Menschengewühl herabsinken. Ist es zu denken, dass man einen solchen Mund küssen dürfte? Und der Sterbliche, um dessen Hals sich diese Arme schlängen, müssten dem nicht die Sinne vergehen und er in diesem übermenschlichen Glück zu einem Aschenhäufchen verlodern?
Sie sehen, es war eine richtige Bezauberung. Was man vom Blitz und Schlag einer plötzlichen Verliebung redet, hatte ich an mir erleben sollen.
Ich gewann aber bald so viel Herrschaft über mich, dass ich mich mit guter Manier in mein Schicksal ergeben und an diesem ersten Abend die Rolle eines ritterlichen Verehrers spielen konnte, ohne mich zu so überschwänglichen Huldigungen fortreißen zu lassen, wie die Meisten meiner Kameraden. Das kam mir mehr zu Statten, als wenn ich an Schönheit und Liebenswürdigkeit Alle überglänzt hätte. Denn das seltsame Mädchen, obwohl dies ihr erster Ballwinter war, nahm doch alle Auszeichnungen, die ihr zu Teil wurden, zumal die süßen Reden ihrer Tänzer, mit so kühler Miene entgegen, als ob es ihr beim Tanz einzig und allein auf die Bewegung ankäme und die eitlen jungen Herren, so schön geputzt und frisiert sie waren, ihr nur als Mittel zu diesem Zweck willkommen wären.
Das gestand sie mir denn auch ganz harmlos, als wir beim Souper mit einander plauderten, und dass es ihr eher lästig und langweilig sei, wegen ihrer Schönheit beständig begafft und umschmeichelt zu werden. Keine Spur von Koketterie konnte ich an ihr bemerken, doch einen Hang zur Ironie und Menschenverachtung, der in einem minder reizenden Wesen sehr abstoßend gewirkt hätte, an Fräulein Abigail aber nur wie ein seltsames Schmuckstück, etwa ein blanker Stachelgürtel um den schmiegsamen Leib, sich ausnahm.
Da ich ihr nicht ein einziges schmeichelndes Wort sagte, wurden wir gleich an diesem ersten Abend sehr gute Freunde, und ich erhielt sogar von der Mutter die Erlaubnis, sie in ihrem Hause aufzusuchen.
Ich machte, wie Sie denken können, gleich am anderen Tage davon Gebrauch. Ich musste doch fragen, wie der Ball ihnen bekommen sei, und fand die Damen in einer möblierten Wohnung so behaglich eingerichtet, dass mir klar wurde, sie lebten in den bequemsten Verhältnissen. Gleichwohl machte die Mutter kein Hehl daraus, dass sie nur gekommen sei, um für die Tochter einen Mann zu finden, wozu auf dem abgelegenen Landsitz keine Aussicht sei. Das Mädchen hörte jede Äußerung, die in diesem Sinne fiel, mit dem äußersten Gleichmut, wie wenn es sich durchaus nicht um sie selbst dabei handle, sondern um eine Laune der Mama, die hoffentlich auch wieder vergehen werde.
Das Zutrauen, das sie so rasch zu mir gefasst hatte, entzog sie mir auch nicht wieder, sondern gab mir immer neue Beweise, dass ihr meine Gesellschaft angenehm sei, meine Art, Welt und Menschen zu betrachten, ihr die richtige scheine. Sie erzählte mir ihr ganzes Leben, das freilich keinem Roman ähnlich sah. Verliebt war sie nie gewesen und konnte sich von dem Zustand eines leidenschaftlichen Herzens überhaupt keine Vorstellung machen. Geliebt hatte sie nur Einen Menschen, ihren Vater. Mit der Mutter verstand sie sich in keiner Sache und beobachtete alle kindlichen Pflichten fast mechanisch, ohne das Geringste dabei zu empfinden. Ja, sagte sie mir einmal, es ist vielleicht so, wie Sie sagen, ich habe kein richtiges Mädchenherz, und doch –
Dabei drückte sie die Augen ein, lehnte den schönen blonden Kopf zurück, und ihre halb geöffneten Lippen hatten einen halb schmerzlichen, halb wilden Ausdruck von Dürsten und Verlangen.
Gleich darauf lächelte sie und fing eine spöttische Rede an über gewisse junge Damen, die sie kennen gelernt und die ihren Freundinnen beständig Bulletins über die Zustände ihrer zärtlichen Herzen zu hören gaben.
All diese Vertraulichkeiten waren weit entfernt, mich eitel zu machen und kühne Hoffnungen in mir zu wecken.
Ich verbrachte aber fast einen Abend wie den andern in der Gesellschaft der beiden Damen, teils, so lange der Karneval dauerte, bei öffentlichen Festen, wo ich nun bereits für den unzertrennlichen Kavalier und begünstigten Bewerber galt, teils an ihrem behaglichen Teetisch als einziger Hausfreund männlichen Geschlechts. Nur dann und wann fand sich eine ältere Dame, eine österreichische Bekannte der Mutter, dazu, und es wurde ein kleiner Tarok gespielt, bei dem Abigail die Zuschauerin machte. Sie verhehlte ihre Langeweile nicht, wie sie überhaupt mit keiner ihrer Empfindungen je zurückhielt. Und doch blieb ein rätselhafter dunkler Grund in ihrem Wesen, der zuweilen in unbewachten Stunden durchblickte und mich jedes Mal mit einem leisen, unheimlichen Frösteln überschauerte.
Ich war im Verlauf der Wochen und Monate so offenherzig gegen sie geworden, dass ich selbst dieses nicht gerade schmeichelhafte Gefühl dem verwöhnten Mädchen nicht verhehlte.
Sie sah ruhig und mit unbeweglichen Augen über mich hinweg.
Ich weiß, was Sie meinen, sagte sie. Es ist Etwas in mir, wovor ich mich selbst fürchte, und kann es doch nicht näher bezeichnen. Vielleicht die Ahnung, dass ich nie erfahren werde, was Glück ist, freilich auch Anderen kein Glück zu bringen bestimmt bin, ohne eigene Schuld, und dass mein innerstes Wesen sich dann empört und auf irgend Etwas sinnt, um sich für diese Zurücksetzung zu rächen. Wissen Sie, wie ich mir vorkomme? Wie ein Eiszapfen, der eine Flamme lustig flackern sieht und sich schämt, so starr und kalt zu bleiben, und nun näher heranrückt und dabei nichts weiter erreicht, als dass er langsam abschmilzt; wenn aber die letzte eisige Starrheit geschwunden ist, wird er selbst nicht mehr vorhanden sein. Das Gleichnis hinkt auf beiden Füßen, ich weiß es wohl; aber es ist doch Etwas daran, und Sie wissen vielleicht auch, was mit der Flamme gemeint ist.
Es war das erste Mal, dass sie auf meine längst nicht mehr verborgene Neigung anspielte, freilich unbarmherzig genug, da sie mir jede Hoffnung abschnitt. Wer weiß aber, wohin das Gespräch noch geführt hätte, wenn die Mutter nicht dazugekommen wäre.
Und freilich hinkte das Gleichnis. Denn auch die Flamme brannte nicht so lustig, wie ein rechtschaffenes Liebesfeuer soll, sondern hatte wunderliche Anfälle von Kühle und Versuchungen völligen Erlöschens.
So recht ins Lodern geriet sie nur, wenn ich mit dem wundersamen Mädchen unter vier Augen war oder im lichterhellen Saal ihre ganze Schönheit an mir vorüberschwebte. War sie meinen Augen entrückt, so kam sie mir durchaus nicht aus dem Sinn, ja ich musste nun erst recht an sie denken, dann aber stets mit einer rätselhaften Abneigung, obwohl ich ihr nichts Bestimmtes vorwerfen konnte. War’s eine Sünde, mich nicht zu lieben? oder von der Liebe überhaupt noch keinen Hauch gespürt zu haben? Und jener dunkle Grund, der ihr selbst unheimlich war, konnte er sich nicht eines Tages als ein ganz unschuldiger Hintergrund erweisen, auf welchem allerlei lichte Freuden sich desto farbiger und reizender ausnahmen?
Und dennoch, die Tatsache stand fest: ich wünschte, ich hätte das schöne Mädchen nie kennen gelernt, das mich doch immer von Neuem zu sich hinzwang und, wenn ich in ihrer Nähe war, meine Sinne in einen magischen Aufruhr brachte.
Nur Einmal meinen Mund auf diese durstigen Lippen zu drücken, nur Einmal von diesen weichen, schlanken Armen umfangen zu werden – ich bildete mir ein, damit würde der Zauber gebrochen und ich mir selbst zurückgegeben werden.
Die Mutter sah mich kommen und gehen, ohne sich über mein Verhältnis zu ihrem Kinde besondere Gedanken zu machen. Dass ich verliebt war, fand sie nur in der Ordnung, aber ganz ungefährlich bei der Sinnesart des Mädchens, die sie nur zu gut kannte und nicht zu bekämpfen suchte, da sie ihrem bei aller äußerlichen Frömmigkeit weltlich spekulierenden Geist sehr erwünscht war. Sie wollte höher hinaus mit ihrer gefeierten Tochter, als ein schlichter Oberleutnant es ihr bieten konnte, und hoffte von mir vor Allem, dass ich durch meine Bekanntschaften ihr den Eintritt in die aristokratischen Kreise erleichtern würde. Dann würde es, kalkulierte sie, auf die Länge an einem gräflichen oder gar morganatischen Schwiegersohn nicht fehlen.
Der Sommer machte zunächst einen Strich durch diese Rechnungen, da die »Gesellschaft« sich zerstreute und aufs Land hinauszog. Auch meine beiden Damen mieteten eine Villa in Tegernsee, zu meinem Leidwesen, da ich jetzt nur einmal alle sieben Tage sie besuchen konnte. Die Entbehrung schürte nun allerdings die Flamme dergestalt, dass ich von Samstag zu Samstag in einer fieberhaften Ungeduld hinlebte, zugleich in steter Angst, während meiner langen Entfernung möchte sich irgendjemand an die einsamen Frauen herandrängen, der den Ansprüchen der Mama genügte und der Tochter nicht unwillkommener als irgend ein Anderer wäre.
Diese Sorge war überflüssig. Dagegen verfinsterte sich plötzlich die Luft über der ganzen deutschen Welt so drohend, dass alle Einzelgeschicke davon überschattet wurden.
Der französische Krieg brach aus. Ich begrüßte ihn freudig, auch weil er meiner eigenen unerträglichen Situation ein Ende machte. Nur mit genauer Not, indem ich einen nächtlichen Ritt daran setzte, konnte ich die Zeit zu einem Abschiedsbesuch in Tegernsee erschwingen. Ich fand, am frühen Morgen, das schmerzlich geliebte Mädchen im Garten, da sie mein Kommen nicht erwartet hatte. Sie hatte ein Bad im See genommen, und die Morgenluft schauerte über ihre blasse Haut und das blonde Haar, das ihr wie ein weicher Mantel über den Rücken hinabhing. Als sie hörte, was mich zu so ungewohnter Zeit hinausgeführt, wechselte sie die Farbe keinen Augenblick, nur ihre Augenlider senkten sich, als ob sie einen Vorhang über das niederlassen wollte, was in ihr vorging.
Nun, sagte sie, da wird ja Ihr sehnlichster Wunsch erfüllt. Non più farfallon andrai amoroso – Sie werden Wunder der Tapferkeit verrichten und als ein berühmter Sieger zurückkehren. Ich wünsche Ihnen das beste Glück und werde Ihrer täglich gedenken.
Werden Sie das wirklich? sagte ich. Und etwas herzlicher als jedes anderen Muttersohns, der seine Brust pro patria den Kugeln der französischen Mitrailleusen aussetzt?
Wie können Sie daran zweifeln! sagte sie und brach eine Blume ab, deren Duft sie wieder mit jenem sehnsüchtigen Ausdruck einsog. Sie wissen, dass ich Ihnen sehr gut bin. Habe ich Ihnen nicht auch mehr Vertrauen bewiesen, als noch je irgend einem jungen Mann? Sind Sie damit nicht zufrieden?
Nein, Abigail, sagte ich, und Sie wissen ja auch sehr gut, warum. Und nun schüttete ich mein ganzes Herz zum ersten Mal – da ich dachte, es sei vielleicht das letzte Mal – in leidenschaftlicher Erregung vor ihr aus. Ich weiß, schloss ich, Sie empfinden gar nichts Ähnliches. Der Blitz, der in mein Herz eingeschlagen, hat Ihnen nicht ein einziges Haar Ihrer Stirnlöckchen versengt. Ich bin auch nicht so verblendet, zu glauben, Sie würden aus bloßem Mitleid, um mich nicht ganz hoffnungslos ins Feld ziehen zu lassen, ein wärmeres Gefühl heucheln. Es musste mir aber einmal von den Lippen, zu meiner eigenen Erleichterung – und nun empfehlen Sie mich Ihrer Frau Mutter, deren Morgentoilette ich nicht stören will, und bewahren Sie mir ein geneigtes Andenken.
Da schlug sie die Augen auf und sah mir gerade ins Gesicht, sehr ernsthaft, während ihre sonst immer gleichmäßig gefärbten Wangen eine leichte Röte überflog, die sie sehr verschönte.
Nein, sagte sie, so dürfen Sie denn doch nicht von mir gehen, und Gott weiß, ob man sich je wieder sieht. Ich will Ihnen das Geständnis mit auf den Weg geben, dass ich fest überzeugt bin, wären Sie noch ein paar Wochen oder Monate wie bisher freundlich und gut gegen mich gewesen, so hätte sich der bewusste Eiszapfen in ein frisch grünendes Reis verwandelt und Blüten getrieben – wieder ein hinkendes Bild, aber Sie verstehen mich. Vielleicht denken Sie an dieses Frühlingsmärchen, wenn Sie im kalten Biwak1 Nachts nicht einschlafen können, und erwärmen daran Ihr fröstelndes Herz.
Ich kann nicht schildern, wie mir bei diesen Worten zu Mute war.
Was ich in dem ersten Schwindel und Taumel aller Gefühle gestammelt habe, mögen die Götter wissen. Nur so viel ist mir erinnerlich, dass ich unter Anderm die Zumutung an sie stellte, nun sofort zur Mutter zu gehen, sie um ihren Segen zu bitten und dadurch unser Einverständnis zu einer regelrechten Verlobung zu stempeln.
Wenn Sie mit meiner eigenen Erklärung nicht zufrieden sind, sagte sie kaltblütig, so tut mir’s leid; zu mehr aber fühl’ ich mich für jetzt nicht aufgelegt – wahrhaftig, aufgelegt