1. Einleitung

Alix Mautner interessierte sich sehr für Physik und bat mich oft, ihr dies oder das zu erklären. Ich fand mich gern dazu bereit, so wie ich es mit Studenten von der Technischen Hochschule Kalifornien halte, die allwöchentlich donnerstags eine Stunde zu mir kommen. Zum Schluß aber mußte ich mich regelmäßig just bei dem für mich spannendsten Teil geschlagen geben: Unfehlbar nämlich steuerten wir auf die verrückten Ideen der Quantenmechanik zu. Die aber konnte ich ihr nicht in einer Stunde oder an einem Abend auseinanderklamüsern. Das hätte viel mehr Zeit erfordert, und so versprach ich ihr, einmal eine Vorlesungsreihe über dieses Thema vorzubereiten.

Nachdem ich die Vorlesungen zusammengeschrieben hatte, ging ich nach Neuseeland, um zu sehen, wie sie ankommen. Neuseeland ist so weit vom Schuß, daß man notfalls auch einmal eine Pleite verkraften kann! Da die Leute dort sie in Ordnung fanden, halte auch ich sie für in Ordnung – zumindest für Neuseeland! So liegen die Vorlesungen vor, die ich eigentlich für Alix vorbereitet habe, ihr selbst aber nun leider nicht mehr halten kann.

Ich ziehe es vor, mich über ein bekanntes Gebiet der Physik auszulassen, statt über ein unbekanntes. In der Regel nämlich fragen die Leute einen nach dem letzten Stand der Vereinigung dieser mit jener Theorie, und man bekommt keine Chance, etwas über die Theorien zu erzählen, die wir schon recht gut kennen. Immer wollen sie etwas wissen, was wir Physiker selber noch nicht wissen. Anstatt Sie mit einer Menge halbgarer, erst teilweise analysierter Theorien zu verwirren, möchte ich Ihnen lieber etwas über ein Thema erzählen, das außerordentlich gründlich analysiert worden ist, die Quantenelektrodynamik oder kurz QED; wie ich meine, ein höchst aufregender Bereich der Physik, der mir sehr am Herzen liegt.

Mein Hauptanliegen in diesen Vorlesungen ist, die seltsame Theorie des Lichts und der Materie oder richtiger, die Wechselwirkung zwischen Licht und Elektronen, so genau wie irgend möglich zu beschreiben. Die Erklärung all dessen, was mir vorschwebt, wird eine Menge Zeit erfordern. Da uns dafür vier Vorlesungen zur Verfügung stehen, können wir uns getrost an die Arbeit machen.

In der Geschichte der Physik ist eine Vielzahl von Erscheinungen zu einigen wenigen Theorien geronnen. Zum Beispiel unterschied man in der Frühzeit der Physik zwischen Erscheinungen der Bewegung und Erscheinungen der Wärme, zwischen Erscheinungen der Akustik, der Optik und der Gravitation. Nachdem Sir Isaac Newton die Gesetze der Bewegung erklärt hatte, entdeckte man aber bald, daß einige dieser scheinbar verschiedenen Dinge Aspekte ein und derselben Sache waren. Beispielsweise ließen sich die akustischen Erscheinungen vollständig mit der Bewegung von Atomen in der Luft erklären. Damit entfiel die Akustik als eigenständiges Gebiet. Nicht anders erging es der Wärmelehre, als man die Erscheinungen der Wärme durch die Gesetze der Bewegung zu begreifen lernte. So wurden große Bereiche der physikalischen Theorie zu einer vereinfachten Theorie zusammengefaßt. Die Gravitationslehre dagegen widersetzte sich einer Deutung durch die Gesetze der Bewegung und hat sich bis zum heutigen Tag ihre Eigenständigkeit, das heißt ihre Unabhängigkeit von den anderen Theorien, bewahrt. Bis jetzt jedenfalls läßt sich die Schwerkraft nicht mit Hilfe anderer Erscheinungen erklären.

Nach der Synthese der Erscheinungen der Mechanik, der Akustik und der Wärmelehre entdeckte man eine Reihe von Phänomenen, die wir als elektrisch und magnetisch bezeichnen. 1873 faßte James Clerk Maxwell diese Phänomene mit den Phänomenen des Lichts und der Optik zu einer einzigen Theorie zusammen, derzufolge Licht als elektromagnetische Welle aufzufassen ist. In diesem Stadium gab es also die Gesetze der Bewegung, die Gesetze der Elektrizität und des Magnetismus sowie die Gesetze der Schwerkraft.

Um 1900 wurde dann eine Theorie der Materie aufgestellt, die sogenannte Elektronentheorie der Materie; sie besagt, daß sich in den Atomen kleine geladene Teilchen befinden. Nach und nach wurde diese Theorie dahingehend ausgebaut, daß man zwischen einem schweren Kern und den ihn umkreisenden Elektronen unterschied.

Versuche, die Bewegung der um den Kern kreisenden Elektronen mit Hilfe der Gesetze der Mechanik zu verstehen – ähnlich wie sich Newton die Gesetze der Bewegung zunutze machte, um die Bahn der Erde um die Sonne zu begreifen –, schlugen vollständig fehl: Sämtliche Vorhersagen erwiesen sich als falsch. (Übrigens entstand um diese Zeit herum auch die Ihnen allen als große Revolution in der Physik bekannte Relativitätstheorie. Gegenüber der Entdeckung aber, daß die Newtonschen Gesetze der Bewegung bei den Atomen nicht greifen, bedeutete die Relativitätstheorie nur eine untergeordnete Modifikation.)

Einen Ersatz für die Newtonschen Gesetze zu erarbeiten, war aufgrund der ganz befremdlichen Erscheinungen in den Atomen ein langwieriges Unterfangen. Um die Vorgänge auf atomarer Ebene verstehen zu können, mußte man erst einmal den »gesunden Menschenverstand« über Bord werfen. 1926 schließlich wurde eine solche, nicht auf dem gesunden Menschenverstand fußende Theorie entwickelt, mit der sich das »gänzlich andersartige Verhalten« der Elektronen in der Materie erklären ließ. Diese Theorie mutete zwar blödsinnig an, war es aber nicht. Sie erhielt den Namen Quantenmechanik, der bereits durch das Wörtchen »Quant« den sonderbaren, dem gesunden Menschenverstand gegen den Strich gehenden Aspekt der Natur andeutet. Über eben diesen Aspekt wollen wir uns im folgenden unterhalten.

Die Quantentheorie erklärte darüber hinaus alle möglichen Details, etwa warum sich ein Sauerstoffatom mit zwei Wasserstoffatomen zu Wasser verbindet, und so weiter. Auf diese Weise lieferte sie die hinter der Chemie stehende Theorie. Anders ausgedrückt, die Grundlagen der theoretischen Chemie gehören in Wirklichkeit zur Physik.

Da die Quantentheorie die gesamte Chemie und die verschiedenen Eigenschaften der Substanzen erklären konnte, schlug sie wie eine Bombe ein. Nach wie vor ungelöst allerdings blieb das Problem der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie. Das heißt, Maxwells Theorie des Elektromagnetismus mußte abgeändert und den neuentwickelten Prinzipien der Quantenmechanik angepaßt werden. So entstand 1929 aus der Zusammenarbeit einer Reihe von Physikern eine neue Theorie, die Quantentheorie der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie, der man den schrecklichen Namen »Quantenelektrodynamik« gab.

Aber die Theorie hatte ihre Mucken. Wohl ergaben sich bei groben Berechnungen durchaus vernünftige Antworten. Bei genaueren Berechnungen dagegen stellte sich heraus, daß die zu den groben Resultaten hinzukommenden Korrekturen (zum Beispiel das nächste Glied in einer Reihenentwicklung) entgegen allen Erwartungen nicht etwa klein waren, daß dieser Term vielmehr sehr groß ausfiel – nämlich unendlich war! So zeigte sich, daß sich jenseits einer gewissen Genauigkeit nichts mehr wirklich berechnen ließ.

Übrigens Vorsicht! Der kurze historische Überblick entstammt der Feder eines Physikers. Das heißt, er folgt dem mittlerweile allgemein approbierten Mythos, den die Physiker ihren Studenten und diese wiederum ihren Studenten erzählen und hält sich nicht unbedingt an die wirkliche historische Entwicklung, mit der ich gar nicht vertraut bin.

Jedenfalls stellte, um mit dem Geschichtsmythos fortzufahren, Paul Dirac mit Hilfe der Relativitätstheorie eine relativistische Elektronentheorie auf, ohne die Wechselwirkung des Elektrons mit dem Licht zu berücksichtigen. Nach dieser Theorie eignet dem Elektron ein magnetisches Moment, so etwas wie die Kraft eines kleinen Magneten, und zwar eine Kraft von genau 1 in bestimmten Einheiten. Um 1948 zeigten dann Experimente, daß die wirkliche Zahl näher bei 1,00118 lag (mit einer Unsicherheit von 3 in der letzten Dezimalstelle). Natürlich wußte man, daß Elektronen mit Licht wechselwirken, und erwartete von daher eine geringfügige Korrektur (zum Wert von Dirac). Außerdem erwartete man sich von der inzwischen begründeten neuen Theorie der Quantenelektrodynamik eine Erklärung dieser Korrektur. Als man sich dann ans Rechnen machte, erhielt man jedoch keineswegs die Zahl 1,00118, sondern unendlich – was, wie die Experimente zeigen, falsch ist!

Um 1948 herum lösten dann Julian Schwinger, Sin-Itiro Tomonaga und ich das Problem, wie man den Dingen in der Quantenelektrodynamik mit Zahlen zu Leibe rückt. Als erster berechnete Schwinger diese Korrektur mit Hilfe eines neuen »Spielchens«* [* Feynman verwendet den Begriff Shell-game: ein trickreiches Mogelspiel. Durch geschickte Taschenspielerstreiche mit Muscheln, Bällen oder Erbsen hat das Opfer nicht die geringste Chance zu gewinnen. (Anm. d. Red.)]. Er kam auf den theoretischen Wert von 1,00116 und damit nahe genug an das experimentelle Ergebnis, um erkennen zu lassen, daß wir auf dem richtigen Weg waren. Endlich hatten wir eine Quantentheorie des Elektromagnetismus, die sich in Zahlen fassen ließ! Und diese Theorie werde ich Ihnen im folgenden beschreiben.

Mittlerweile hat sich die Theorie der Quantenelektrodynamik mehr als fünfzig Jahre lang gehalten und ist über einen immer größeren Anwendungsbereich auf immer größere Genauigkeit getestet worden. Und so kann ich heute die stolze Behauptung wagen, daß zwischen Experiment und Theorie kein signifikanter Unterschied mehr besteht!

Damit Sie sich eine Vorstellung davon machen können, wie die Theorie durch die Mangel gedreht wurde, möchte ich ein paar Zahlen aus jüngster Zeit anführen: Den Experimenten nach liegt Diracs Zahl bei 1,00115965221 (mit einer Unsicherheit von rund 4 in der letzten Dezimalstelle), der Theorie nach bei 1,00115965246 (mit einer rund fünfmal so großen Unsicherheit). Das bedeutet, um diese Zahlen etwas anschaulicher für Sie zu machen, etwa, daß Sie die Entfernung von Los Angeles nach New York bis auf Haaresbreite genau messen können. Einen solchen Grad an Genauigkeit haben die Experimente in den letzten fünfzig Jahren erreicht, und die Theorie der Quantenelektrodynamik hat Schritt gehalten. Im übrigen habe ich nur eine aus einer ganzen Reihe ähnlich genauer und ebenso gut übereinstimmender Zahlen herausgegriffen. Die Tests erstreckten sich über Entfernungen von der hundertfachen Größe der Erde bis zum hundertsten Teil der Größe eines Atomkerns. Diese Zahlen sollen Sie einschüchtern und glauben machen, daß die Theorie vielleicht in der Tat nicht allzu weit daneben liegt! In einer späteren Vorlesung beschreibe ich Ihnen, wie diese Rechnungen durchgeführt werden.

Und noch mit etwas anderem möchte ich Eindruck schinden: mit den Unmengen von Erscheinungen, die die Theorie der Quantenelektrodynamik beschreibt. Es ist einfacher, die Sache andersherum zu formulieren: Die Theorie beschreibt alle Phänomene der physikalischen Welt mit Ausnahme der Wirkung der Gravitation, die Sie auf Ihren Sitzen festhält (hier und jetzt handelt es sich um eine Mischung aus Schwerkraft und Höflichkeit, denke ich), sowie der radioaktiven Erscheinungen bei der Veränderung des Energiezustandes von Atomkernen. Was also bleibt, wenn wir die Gravitation und die Radioaktivität (richtiger, die Kernphysik) ausklammern? Benzin, das in Automobilen verbrannt wird, Schaum und Blasen, die Härte von Salz oder Kupfer, die Festigkeit von Stahl. Selbst die Biologen sind bestrebt, das Leben so weit wie irgend möglich mit Hilfe der Chemie zu deuten, und die der Chemie zugrunde liegende Theorie ist, wie schon gesagt, die Quantenelektrodynamik.

Eins muß ich klarstellen: Wenn ich behaupte, daß sich alle Phänomene der physikalischen Welt mit dieser Theorie erklären lassen, so nehme ich den Mund etwas voll. Bei den meisten uns vertrauten Erscheinungen ist eine so gewaltige Zahl Elektronen im Spiel, daß unser armer kleiner Verstand Mühe hat, dieser Vielfalt zu folgen. In solchen Situationen können wir mit Hilfe der Theorie ungefähr angeben, was passieren sollte und was dann unter diesen Umständen auch in etwa passiert. Stellen wir dagegen im Labor ein Experiment mit nur wenigen Elektronen unter einfachen Bedingungen zusammen, können wir mit großer Genauigkeit berechnen, was eintreten wird, und können das mit ebenso großer Genauigkeit messen. Bei allen Experimenten dieser Art bewährt sich die Quantentheorie der Elektrodynamik in der Tat vorzüglich.

Wir Physiker liegen ständig auf der Lauer, um herauszufinden, ob an der Theorie irgendwas nicht stimmt. Findet sich irgendwo nur der kleinste Haken, heißt es aufgepaßt! Bis jetzt aber konnten wir der Theorie der Quantenelektrodynamik nicht das Geringste anhängen, weshalb ich nicht anstehe, sie das Juwel der Physik, unseren ganzen Stolz, zu nennen.

Außerdem ist die Theorie der Quantenelektrodynamik der Prototyp für neue Theorien, die Kernphänomene, also das, was im Atomkern vor sich geht, zu erklären versuchen. Stellen wir uns die physische Welt als Bühne vor, so treten nicht nur Elektronen auf, die sich außerhalb des Atomkerns befinden, sondern auch Quarks und Gluonen und so fort – Dutzende verschiedener Teilchen – im Kern selbst. Und all diese »Schauspieler« agieren, obwohl sie sich deutlich voneinander unterscheiden, doch in einem ganz bestimmten Stil, einem befremdlichen, sehr eigenen Stil, dem »Quantenstil«. Zum Abschluß der Vorlesung werde ich Ihnen ein bißchen was über die Kernteilchen erzählen. In der Zwischenzeit aber werde ich mich der Einfachheit halber auf Photonen – Lichtteilchen – und Elektronen beschränken. Denn auf die Art und Weise ihres Agierens kommt es an, und wie sie agieren, ist hochinteressant.

Nachdem Sie nun wissen, worüber ich reden will, werden Sie fragen, ob Sie die Vorträge auch verstehen werden. Schließlich weiß jeder, der eine naturwissenschaftliche Vorlesung besucht, von vornherein, daß er nichts davon begreift. Doch vielleicht trägt der Dozent eine hübsche, bunte Krawatte, die man anschauen kann. Nicht in diesem Fall! (Feynman trägt keine Krawatten.)

Der Stoff, den ich Ihnen vortragen will, wird den Physikstudenten erst im letzten oder vorletzten Jahr zugemutet – und Sie bilden sich ein, ich könnte ihn so darlegen, daß Sie ihn verstehen? Nein, Sie werden nichts begreifen. Warum aber unterziehe ich Sie dann der ganzen Mühsal? Warum sollen Sie dann die ganze Zeit hier sitzen und sich etwas anhören, was Sie nicht verstehen? Das eben ist meine Aufgabe, Sie zu überzeugen, nicht davonzulaufen, nur weil Sie es nicht begreifen. Sehen Sie, auch meine Physikstudenten verstehen es nicht. Und zwar, weil ich es nicht verstehe. Niemand begreift es.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zum Problem des Verstehens sagen. Es gibt viele Gründe, warum man einen Vortragenden vielleicht nicht versteht. Einer ist schlampige Ausdrucksweise – er sagt nicht das, was er sagen will, oder zieht es verquer auf. So etwas ist relativ leicht zu vermeiden, und ich werde mich bemühen, meinem New Yorkerisch nicht die Zügel schießen zu lassen.

Ein anderer Grund kann sein, zumal wenn der Dozent ein Physiker ist, daß er alltägliche Wörter auf komische Weise gebraucht. Physiker bedienen sich häufig gewöhnlicher Wörter wie »Arbeit« oder »Energie« oder, wie Sie noch merken werden, »Licht«, um einen technischen Sachverhalt auszudrücken. So verstehe ich unter »Arbeit« im physikalischen Sinn etwas anderes, als wenn ich auf der Straße von »Arbeit« rede. Ein solches Ausgleiten in den Fachjargon mag mir auch bei dieser Vorlesung unterlaufen, ohne daß ich mir dessen bewußt werde. Es ist ein Fehler, in den der Fachmann nur allzu leicht verfällt. Aber ich werde mein Bestes tun, um ihn zu vermeiden. Das gehört schließlich zu meiner Aufgabe.

Ein weiterer Grund, warum Sie das, was ich Ihnen vortrage, nicht zu verstehen glauben könnten, mag sein, daß Sie nicht begreifen, warum die Natur so verfährt, während ich Ihnen doch beschreibe, wie sie verfährt. Das Warum versteht nämlich niemand. Ich kann nicht erklären, warum sich die Natur so und nicht anders verhält.

Schließlich gibt es die Möglichkeit, daß Sie das, was ich Ihnen sage, ganz einfach nicht glauben können. Sie können es nicht akzeptieren. Es paßt Ihnen nicht in den Kram. Sie lassen den Vorhang herunter und hören einfach nicht mehr zu. Ich beschreibe Ihnen die Natur, wie sie ist – und wenn Ihnen diese Beschreibung nicht paßt, geben Sie sich auch keine Mühe, sie zu verstehen. Wir Physiker haben uns mit diesem Problem herumschlagen und einsehen müssen, daß es nicht darauf ankommt, ob uns eine Theorie paßt oder nicht. Sondern darauf, ob die Theorie Vorhersagen erlaubt, die mit dem Experiment übereinstimmen. Es geht nicht darum, ob eine Theorie philosophisch bestrickend oder leicht zu verstehen ist oder dem gesunden Menschenverstand von A bis Z einleuchtet. Die Natur, wie sie die Quantenelektrodynamik beschreibt, erscheint dem gesunden Menschenverstand absurd. Dennoch decken sich Theorie und Experiment. Und so hoffe ich, daß Sie die Natur akzeptieren können, wie sie ist – absurd.

Mir jedenfalls wird es Spaß machen, Ihnen diese Absurdität darzulegen, denn mich entzückt sie. Also laufen Sie bitte nicht gleich davon, weil Sie die Natur nicht für so seltsam halten können. Hören Sie mir einfach bis zu Ende zu; vielleicht sind Sie dann ebenso begeistert wie ich.

Nun werden Sie wissen wollen, wie ich Ihnen denn Sachverhalte erklären will, die ich meinen Studenten erst gegen Ende des Studiums zumute. Lassen Sie mich diese Frage mit einer Analogie beantworten. Die Maya-Indianer, die sehr am Auf- und Untergang, das heißt am Erscheinen, der Venus als Morgen- und Abend»stern« interessiert waren, fanden nach jahrelangen Beobachtungen heraus, daß fünf Venuszyklen ungefähr acht ihrer »nominellen Jahre« zu 365 Tagen entsprachen (daß das Jahr nach Jahreszeiten anders anzusetzen wäre, war ihnen wohl bewußt und auch Gegenstand ihrer Berechnungen). Um die Berechnungen anstellen zu können, hatten die Maya ein System aus Strichen und Punkten zur Darstellung von Zahlen (einschließlich der Null) erfunden und Regeln aufgestellt, mit deren Hilfe sie nicht nur den Auf- und Untergang der Venus, sondern auch andere Himmelserscheinungen wie Mondfinsternisse berechnen und vorhersagen konnten.

In jener Zeit waren nur wenige Maya-Priester zu solch schwierigen Berechnungen imstande. Stellen wir uns nun einmal vor, wir würden einen von ihnen bitten, uns wenigstens einen Schritt aus dem für die Vorhersage des nächsten Venusaufgangs als Morgenstern erforderlichen Vorgang zu erläutern – die Subtraktion zweier Zahlen. Nehmen wir weiter an, wir hätten, was heute praktisch nicht mehr möglich ist, keine Schule besucht und könnten nicht subtrahieren. Wie könnte uns der Priester erklären, was eine Subtraktion ist?

Er könnte uns entweder über den Zusammenhang zwischen Strichen und Punkten und unseren Zahlen sowie über die Subtraktionsregeln aufklären oder uns darlegen, was er wirklich tut: »Nehmen wir an, wir wollen 236 von 584 abziehen, so zählen wir als erstes 584 Bohnen ab und werfen sie in einen Topf. Dann nehmen wir 236 Bohnen heraus und legen sie auf die Seite. Und schließlich zählen wir die im Topf verbliebenen. Ihre Zahl entspricht dem Ergebnis unserer Subtraktion, das heißt, wir haben 236 von 584 abgezogen.«

»Mein Quetzalcoatl!« würden Sie vermutlich ausrufen. »Welch ein Umstand – Bohnen abzählen, in den Topf hinein und wieder aus ihm heraus – was für ein Aufwand!«

»Deshalb«, würde ihnen der Priester erwidern, »haben wir die Regeln für die Striche und Punkte erfunden. Raffinierte Regeln, mit deren Hilfe wir die Antwort viel schneller erhalten als durch Zählen. Und was die Antwort angeht, so ist es völlig egal – und das ist wichtig –, ob wir den Venusaufgang durch Bohnenzählen (was langsam vor sich geht, aber leicht zu begreifen ist) oder durch Anwendung der raffinierten Regeln (was viel schneller geht, aber einen jahrelangen Schulbesuch voraussetzt) vorhersagen.«

Wie sich eine Subtraktion bewerkstelligen läßt, ist im Grunde nicht schwer zu begreifen – solange man sie nicht wirklich auszuführen braucht. Und damit sind wir bei mir und meiner Aufgabe angelangt: Ich erkläre Ihnen, was die Physiker machen, wenn sie das Verhalten der Natur vorhersagen, aber ich lehre Sie keinen der Tricks, mit denen sie effizient arbeiten. Um vernünftige Vorhersagen mit dem neuen Schema der Quantenelektrodynamik machen zu können, müßten Sie, wie Sie noch sehen werden, eine Unmenge kleiner Pfeile auf ein Blatt Papier zeichnen. Die Physikstudenten kostet es sieben Jahre, solche Tricks zu erlernen. Genau an dem Punkt werden wir uns sieben Jahre Physikstudium schenken: insofern als ich Sie anhand dessen, was wir wirklich machen, in die Quantenelektrodynamik einführe. Und ich hoffe, daß Sie sie besser verstehen als mancher Physikstudent!

Kommen wir noch einmal auf die Maya zurück. Wir könnten nun einen Schritt weitergehen und den Priester fragen, warum fünf Venuszyklen ungefähr 2920 Tagen oder acht Jahren entsprechen. Für das Warum gäbe es alle möglichen Erklärungen wie: »Die 20 spielt eine wichtige Rolle in unserem Zahlensystem. Teilt man nun 2920 durch 20, so erhält man 146, das heißt eins mehr als eine Zahl, die sich durch die Summe zweier Quadrate auf zweierlei Weise darstellen läßt«, und so fort. Nur daß die Theorie im Grunde nichts mit der Venus zu tun hätte. Seit der Neuzeit wissen wir, wie unnütz Theorien dieser Art sind. Deshalb werden wir uns, ich wiederhole es, nicht mit der Frage beschäftigen, warum sich die Natur so verhält, wie sie es tut. Es gibt keine brauchbaren Theorien, die das Warum erklären könnten.

Mit all diesen Betrachtungen wollte ich Sie in die richtige Stimmung versetzen, damit Sie mir zuhören. Andernfalls haben wir keine Chance. Also wagen wir’s, gehen wir’s an!

Beginnen wir mit dem Licht. Als Newton auf die Idee kam, Licht einmal genauer zu untersuchen, stellte er als erstes fest, daß es ein Farbengemisch ist. Mit Hilfe eines Prismas zerlegte er weißes Licht in verschiedene Farben. Einfarbiges – zum Beispiel rotes – Licht hingegen ließ sich durch ein Prisma nicht weiter aufspalten. Das bedeutete offenbar, daß Farben im Gegensatz zu weißem Licht kein Gemisch sein konnten, sondern rein im Sinne von unzerlegbar sein mußten.

(Allerdings läßt sich eine bestimmte Lichtfarbe noch auf andere Weise entsprechend ihrer sogenannten Polarisation zerlegen. Da dieser Aspekt des Lichts für das Verständnis des Charakters der Quantenelektrodynamik aber nicht unabdingbar ist, wollen wir ihn der Einfachheit halber hier ausklammern, auch wenn das natürlich bedeutet, daß unsere Beschreibung der Theorie nun nicht mehr ganz vollständig ist. Das Verständnis wird durch diese geringfügige Vereinfachung indessen in keiner Weise beeinträchtigt. Dennoch muß ich selbstverständlich auf alle meine Unterlassungssünden hinweisen.)

Wenn ich in diesen Vorlesungen von »Licht« rede, meine ich nicht nur das Licht von Rot bis Blau, das wir sehen können. Wie sich zeigt, ist das sichtbare Licht bloß ein Ausschnitt aus einer langen Skala, vergleichbar einer Tonleiter, die unser Hörvermögen übersteigende tiefere und höhere Töne besitzt. Diese Lichtskala läßt sich durch Zahlen – die sogenannten Frequenzen beschreiben. Je höher die Zahl, desto weiter wandelt sich das Licht von Rot über Blau und Violett zu Ultraviolett. Ultraviolettes Licht können wir zwar nicht mehr sehen, wohl aber seine Wirkung auf fotografische Platten wahrnehmen. Es ist durchaus noch Licht, nur hat es eine andere Zahl. (Wir sollten nicht so provinziell sein und allein das für unser Instrument, das Auge, unmittelbar Wahrnehmbare für die ganze Welt halten!) Fahren wir nun einfach fort, die Zahlen zu verändern, so kommen wir zu den Röntgen-, den Gammastrahlen und so weiter. Ändern wir die Zahlen in die entgegengesetzte Richtung, kommen wir von blauen zu roten zu infraroten (Wärme-)Wellen, dann zu den Fernseh- und schließlich zu den Radiowellen. Alles das verstehe ich unter »Licht«. Bei den meisten Beispielen werde ich mich zwar auf rotes Licht beschränken, aber die Theorie der Quantenelektrodynamik umfaßt die gesamte oben beschriebene Skala und bildet die Grundlage zur Beschreibung all dieser verschiedenen Erscheinungen.

Newton glaubte, daß Licht aus Teilchen bestehe – den »Korpuskeln«, wie er sie nannte –, und er hatte recht (wenn seine Beweisführung auch falsch war). Heute wissen wir, daß Licht in der Tat aus Teilchen besteht. Wir verfügen nämlich über ein hochempfindliches Instrument, das bei Lichteinfall klickt. Verdunkeln wir das einfallende Licht, so klickt die Apparatur gleich laut weiter, nur seltener. Man könnte das Licht also mit Regentropfen vergleichen, die wir in diesem Fall Photonen nennen. Ist unser Licht einfarbig, sind alle »Regentropfen« gleich groß.