Inhaltsverzeichnis
Buch
BSE-Krise und Schweinemastskandal erweisen sich als Super-GAU der europäischen Landwirtschaftspolitik. Verbraucher und Politiker kämpfen inzwischen landesweit gegen die Lobbyisten für artgerechte Tierhaltung und umweltbewusst nachhaltiges Wirtschaften. »Schluss mit den Agrarfabriken«, fordert Kanzler Gerhard Schröder. 20 Prozent Biobauern hat sich Verbraucherministerin Renate Künast zum Ziel gesetzt. Öko für alle – ist das, wie manche behaupten, zu teuer? Können die 50 Prozent des gesamten EU-Haushalts, die derzeit für Subventionen der Landwirtschaft zur Verfügung stehen, sinnvoller verteilt werden? Franz Alt zeigt, welche Chancen der konsequente Abschied vom maroden agrarindustriellen System birgt und wie eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen kann: hochmoderne Technologie im Einklang mit der Natur. Die Agrarwende ist mehr als eine Berufswende für die Bauern, denn Landwirtschaftspolitik ist Gesundheitspolitik und geht uns alle an.
Autoren
Franz Alt, geboren 1938, studierte Politische Wissenschaften, Geschichte, Philosophie und Theologie. Seit 1968 arbeitet er beim SWF. Er moderierte das Politmagazin »Report« und leitete die Sendereihe »Zeitsprung«. Seit 2000 moderiert Franz Alt das 3-Länder-Magazin »Grenzenlos« in 3sat. Ausgezeichnet mit dem renommierten Adolf-Grimme-Preis hat sich der bekannte Fernsehmoderator mit Bestsellern wie »Frieden ist möglich« (1983), »Liebe ist möglich« (1985), »Jesus – der erste neue Mann« (1989) und »Die Sonne schickt uns keine Rechnung« (1995) auch als Buchautor einen Namen gemacht.
Brigitte Alt, geboren 1944, ist Buchhändlerin. Sie lebt, liebt und
arbeitet in Baden-Baden.
I. Kapitel
Wie wollen wir leben?
1. Bringt BSE die Wende?
»Was bringt den Doktor um sein Brot?
A – die Gesundheit, b – der Tod.
So hält er uns, auf dass er lebe,
zwischen beiden in der Schwebe.«
Eugen Roths Ärztelästerung gilt auch für die heutigen Mediziner: Sie wissen von vielem etwas, aber fast nichts über das Wichtigste, nämlich über gutes und gesundes Essen. Ich möchte durch dieses Buch ein wichtiges politisches Thema bei denen zur Sprache bringen, die es wirklich angeht: bei den »Endverbrauchern« – also bei uns allen. Es gibt tausend Krankheiten, aber nur eine Gesundheit!
Unsere Tochter Christiane hatte als 14-jährige einen Reitunfall und lag drei Wochen mit gebrochenem Bein in einer Baden-Badener Klinik. Die Klinik war zwar so modern, dass ich abends mit Christiane essen und bei ihr übernachten durfte, aber das Essen war so schlecht, dass ich dem Chefarzt sagte: »Jetzt weiß ich endlich, dass ein Krankenhaus in Deutschland Krankenhaus heißt, weil man hier vom Essen krank wird.« – »Aber, Herr Alt«, wehrte der Chefarzt der renommierten Klinik im noblen Kurort ab: »Was hat denn Essen mit Gesundheit zu tun?«
Meine spätere Recherche ergab, dass bis heute in der Ärzteausbildung in Deutschland und Europa der Zusammenhang zwischen gesundem Essen und Gesundheit so gut wie nicht gesehen und nicht gelehrt wird.
Deshalb konnte sich unsere Landwirtschaft zu einer Chemielandwirtschaft entwickeln, und deshalb konnte die frühere Lebensmittelproduktion zu einer Nahrungsmittelproduktion verkommen. Die Produkte machen zwar satt, sind aber immer weniger Mittel zum Leben, weil Lebendiges in ihnen kaum noch enthalten ist. »Masse statt Klasse« und »Hauptsache, satt und billig« bestimmen die Nahrungsmittelproduktion. Hauptsächlich deshalb steigen die so genannten Gesundheitskosten, die eigentlich Krankheitskosten sind, ins Unermessliche. Jede neue Gesundheitsministerin weiß davon ein Lied zu singen.
Vergessen wurde die biologische Grunderkenntnis: Nur Leben kann Leben weitergeben. Im Gegensatz dazu hat der Begründer der traditionellen ayurvedischen Medizin in Indien, Caraka Samhirta, vor 2100 Jahren gelehrt:
»Allein durch gute Nahrung gedeiht der Mensch, schlechte Nahrung hingegen ruft Krankheit hervor.«
Voraussetzung für die Gesundheit aller Lebewesen sind gesunde Böden, gute Luft und sauberes Wasser. Das wusste der griechische Arzt Hippokrates schon 400 Jahre vor Samhirta:
»Eure Lebensmittel sollen eure Heilmittel sein, und eure Heilmittel sollen eure Lebensmittel sein.«
Den ersten Teil dieses Buches habe ich während einer Ayurvedakur in Südindien geschrieben. In der klassischen Ayurvedamedizin gibt es noch Be-hand-lungen und nicht nur Verschreibungen wie in der abendländischen Schulmedizin. Die Handarbeit der Ärztin und von zwei bis drei Therapeuten am Körper des Patienten dauert täglich zwei Stunden. Für eine Verschreibung braucht ein Arzt in Deutschland zurzeit im Schnitt drei Minuten.
Die Analogie zu unserem Thema Ökolandwirtschaft: Gesunder Landbau erfordert – ähnlich wie die klassische ayurvedische Medizin – mehr Handarbeit und weniger chemische Verabreichung. Durch massenhaften Einsatz von chemischen Spritzmitteln und Kunstdünger wurden zwar die Erträge pro Hektar gesteigert, aber die Qualität der Nahrungsmittel hat gelitten.
In den hinduistischen Veden lese ich:
»Meine Hand ist Gott. Diese Hand bewahrt alle heilenden Geheimnisse, die ganz machen mit ihrer sanften Berührung.«
In den heiligen Schriften der Menschheit hat Handarbeit offenbar einen viel wichtigeren Stellenwert als in den heutigen Industriegesellschaften.
2. Landwirt – werde wesentlich!
Als Folge unserer ständigen Misswirtschaft ist in jüngster Zeit die Qualität unserer Nahrungsmittel immer mehr ins Gerede gekommen. Die Kritikpunkte sind im Wesentlichen:
• Massentierhaltung ist ökonomisch sehr effektiv, aber ökologisch schädlich und ethisch nicht zu verantworten. Es entstehen gefährliche Klimakiller, wie CO2, Methan und Lachgas.
• Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Landwirtschaft weltweit zu 15 Prozent für den Treibhauseffekt verantwortlich ist. Die Kosten für diese Umweltschäden tauchen aber in den Lebensmittelpreisen nicht auf.
• Ökologisch katastrophal ist auch der Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel. Die Böden werden durch zu viel Chemie geschädigt und zerstört.
• Unsere Kulturlandschaften werden monotoner. Viele Tier- und Pflanzenarten finden in diesen Agrarwüsten keinen Platz mehr und verschwinden für immer.
• Dünger und Pflanzenschutzmittel vergiften das Wasser. Flüsse und Seen kippen um. Die Flüsse transportieren Nitrate und Pestizide ins Meer.
• Das Grundwasser, unser wertvollstes Lebensmittel, ist gefährdet. 116000 verschiedene Chemikalien werden zurzeit eingeleitet. Was das langfristig für das Wasser und uns bedeutet, weiß kein Chemiker der Welt.
• Die Trinkwasseraufbereitung wird immer aufwändiger. 1870 wurde das Wasser in Deutschland einmal gefiltert. 1955 musste es bereits dreimal chemisch aufbereitet werden, und heute achtmal, um wieder trinkbar zu sein!
Sind Bauern also ein verantwortungsloser Haufen von Umweltsündern? Fest steht: Die meisten Bauern haben von dieser Entwicklung nicht profitiert, sondern stehen unter Zugzwang.
• Seit 1950 haben über 1,1 Millionen Höfe in Deutschland aufgegeben.
• Vier Millionen Menschen waren 1950 noch in der deutschen Landwirtschaft beschäftigt – heute sind es nur noch 600000.
• Jährlich geben zirka 15000 Höfe auf.
Profitiert haben von diesem Prozess:
• Die Großbauern, die immer größer wurden.
• Die chemische Industrie, denn in den letzten 35 Jahren stieg der Verbrauch an Chemie und Kunstdünger auf unseren Äckern um das Fünffache.
• Die Lebensmittelindustrie, die Bauern immer mehr zu Zulieferern degradiert.
• Seit neuestem auch die Gentechnikindustrie, die nach dem Motto arbeitet: schöner, größer, haltbarer.
Wer Natur zerstört, erntet hohe Erträge und damit hohe Subventionen. Landwirtschaftspolitik heißt seit 40 Jahren: konzentrieren, spezialisieren und intensivieren. Die so entstandenen Monokulturen brauchen Schutz gegen Schädlinge. Das ist zwar gut für die chemische Industrie, aber schlecht für die Umwelt.
Über 140 Millionen Tiere leben inzwischen in Deutschland für die Schlachtbank. Das Futter für die gigantischen Tierfabriken kommt nicht mehr vom eigenen Acker, sondern wird in großen Mengen aus der Dritten Welt importiert. Zum Teil wird deutsche Gülle, die in riesigen Mengen anfällt, nach Indonesien exportiert. Ein ökologischer Kreislauf der ganz besonderen Art.
Nie ist mir der Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit so klar geworden wie in den Zeiten von Rinderwahn und Schweinepest, von Intensivlandwirtschaft und unbezahlbaren Kosten unserer Krankheitsreparatur. Und noch nie waren die Konsumenten hinsichtlich ihrer Ernährung so verunsichert wie heute.
Kein Wunder, denn in den letzten Jahrzehnten wurden die Merkmale von Lebensmitteln ausschließlich den Bedürfnissen des Handels und der Agrochemie angepasst. Wie die österreichischen Autoren Wolfgang Hingst und Josef Ortner in »Die Bio-Bibel« schreiben: »Bürokratische Euro-Schild-Bürger legten 1979 mit Winkelmaß und Zirkel die Krümmung der Gurken fest (je gerader sie sind, desto besser passen sie in die Kiste), normierten die Schale und die Größe der Tomaten. Transport- und Lagerfähigkeit sind das Wichtigste, nicht die Inhaltsstoffe.«
Es geht mir darum, Wege aus der Landwirtschaftskrise zu Gunsten unserer Gesundheit zu finden. Es geht mir weniger darum zu zeigen, was in der Chemielandwirtschaft alles falsch gemacht wird, sondern hauptsächlich darum, was von Ökobauern richtig gemacht wird. Rinderwahn ist kein unabwendbares Schicksal.
Für die moderne Landwirtschaftspolitik gilt, die Bauern bei ihren Stärken zu packen! Landwirte haben nicht vergessen, dass sie die geborenen Naturschützer sind oder sein sollten. Aber sie werden durch eine fatale Politik von der Agrarchemie abhängig gemacht.
Ich habe Bauern erlebt, die über ihre alten landwirtschaftlichen Methoden beinahe verzweifelten. Einige – in England zum Beispiel – haben während der BSE-Krise Selbstmord begangen, aber andere folgten ihrem Gewissen und haben sich auf alte Tugenden im Umgang mit der Natur besonnen und sind Ökobauern geworden.
Häufig war ich bei Ökobauern und bei ihren Verbänden eingeladen und habe ihre Erfolge und ihre neue Freude an ihrer Arbeit erlebt. Vor allem in Österreich, wo es mehr Ökobauern gibt als in allen EU-Staaten zusammen, habe ich viele glückliche Bauern kennen gelernt – meistens junge Bäuerinnen und Bauern. Aus Land-Wirten wurden Lebens-Wirte. Sie wollten nicht mehr die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen sein.
»Mensch, werde wesentlich«, hat Friedrich Nietzsche gefordert. Auf eine neue positive Landwirtschaftspolitik übertragen heißt diese Forderung:
Landwirt, werde wesentlich – werde wieder ein Wirt des Landes, ein Wirt des Lebens und ein Wirt der Lebensenergie.
Eine positive Landwirtschaftspolitik in diesem Sinne müsste statt Subventionen für Überschussproduktion und statt subventionierter Vernichtung dieselben Anreize zum ökologischen Umsteuern anbieten. So ähnlich hat wohl auch der Landwirtschaftskommissar der Europäischen Union, Franz Fischler, gedacht: Er möchte jedem Bauern und jeder Bäuerin, die sich zu mehr Ökologie und Landschaftspflege verpflichten, künftig eine Jahrespauschale von 2500 Euro anbieten. Immerhin ein erster Anreiz zum Einstieg in die Agrarwende.
3. Verbraucher – werde wesentlich!
Noch nie hatten wir so viel Freiheit! Und noch nie haben wir so viele Fehler gemacht! Aber auch noch nie hatten wir so viele Chancen, es besser zu machen! Wissen reicht nicht, das Tun entscheidet.
In der Landwirtschaftskammer Oldenburg ruft am 28. Februar 2001 der Vertreter einer Großmetzgerei an und bestellt 200 Ökoschweine. »Was dürfen sie denn kosten?«, fragte der zuständige Abteilungsleiter. »Der Preis spielt keine Rolle. Hauptsache Öko! Wichtig ist, dass Sie ganz rasch liefern können«, ist die Antwort.
Ein solcher Anruf wäre noch vor kurzem undenkbar gewesen. Die BSE-Krise hat das doppelte Wunder bewirkt. Jetzt erst, wo das Kind (oder besser das Rind) in den Brunnen gefallen ist, gibt es ein Aufwachen.
1. Bei einem Großeinkauf von 200 Schweinen wird nach ökologischer Aufzucht gefragt.
2. Der Preis spielt keine Rolle. Die Verbraucher verlangen jetzt plötzlich Ökoware wie nie zuvor. Ob dieser Trend anhält, liegt allein an unserem Verhalten.
Ich werde beschreiben, wie wir in den nächsten 30 Jahren auf eine hundertprozentige biologische Landwirtschaft in Deutschland und in der Europäischen Union umstellen können. Die Agrarwende ist nötig und möglich. Und zwar, liebe Renate Künast, nicht zu 20 Prozent, sondern zu 100 Prozent.
Unsere Gesundheit ist das Spiegelbild der Gesundheit der Lebensmittel, die wir essen. Gesundheit im ganzheitlichen Sinne ist das Wohlbefinden von Körper, Geist und Seele. Unser Wohlbefinden ist abhängig von unseren Lebens mitteln, und deren Gesundheit wiederum von reinem Wasser, guter Luft und gesunden Böden.
Für große Ziele braucht man große Visionen. Krisenmanagement und das Kurieren an Symptomen reicht nicht mehr. Die entscheidenden Fragen für die Zukunft heißen:
• Wie kann Landwirtschaft nachhaltig funktionieren?
• Was ist artgerechte Tierhaltung?
• Wie können gesunde Lebensmittel für alle produziert werden?
• Auf welcher wissenschaftlichen Theorie basiert die landwirtschaftliche Praxis von morgen?
Immer mehr Menschen verstehen den Zusammenhang von gesunden Böden, gesunder Luft, gesunden Pflanzen, gesunden Tieren und ihrer eigenen Gesundheit. Also: Der Schwung des Anfangs muss jetzt genutzt werden. Lassen Sie nicht zu, verehrte Landwirtschaftsministerin, dass der versprochene Aufbruch von der Landwirtschaftsbürokratie boykottiert wird! Der Rinderwahn ist weit mehr als eine Krankheit. Er ist ein symbolischer Hinweis auf eine grundsätzlich falsche Wirtschaftsweise und auf eine teilweise verbrecherische Informationspolitik.
Bezeichnend für viele Falschinformationen der Europäischen Kommission in Brüssel zu BSE ist die Aussage des Direktors der Agrargeneraldirektion, Fernando Mansito, vom Oktober 1990: »Man muss cool bleiben, um keine ungünstigen Marktreaktionen zu provozieren... BSE-Informationen sollen zurückgehalten werden. Am besten sagt man, dass die Presse immer zu Übertreibungen neigt.«
4. BSE ist überall
Den heutigen Menschen der westlichen Hemisphäre geht es so gut, dass sie ständig über Allergien, Magenbeschwerden und Übergewicht klagen. Die meisten von uns essen zu viel, zu fett, zu süß und zu salzig – darin sind sich, bei aller unterschiedlicher Argumentation, alle Ernährungspäpste einig, oder doch fast alle. In der ayurvedischen Medizin gibt es keine guten oder schlechten Lebensmittel, es gibt nur einseitiges und extremes Essverhalten.
Beim jetzt notwendigen Umsteuern geht es um viel mehr als um eine neue Landwirtschaft, aber ohne neue Landwirtschaft geht es überhaupt nicht. Noch immer setzen die Energiekonzerne auf Erdöl, Kohle und Atom. Das sind die angeblich billigen Energiequellen. Dabei ist allgemein bekannt, dass die Folgen und Folgekosten verheerend sind.
Noch immer ist Verkehrspolitik in Deutschland Autopolitik. Und die Autokonzerne produzieren überwiegend Zehnliterautos, einige auch 20-Liter-Autos, die ökonomisch und ökologisch zu den größten Fehlkonstruktionen des Industriezeitalters gehören. Es gibt nicht nur Rinderwahn, sondern auch einen Autowahn. Bis zu diesem Zeitpunkt ist in Deutschland noch kein einziger Mensch an BSE gestorben – aber 400000 Rinder sollen geschlachtet werden. Jährlich sterben in Deutschland durch den Autowahn 7500 Menschen auf den Straßen, 30000 sterben an den Folgen von Autoabgasen und im Jahr 2000 sind über eine halbe Million Menschen im Autoverkehr verunglückt. Tausende von ihnen sitzen ein Leben lang im Rollstuhl.
Doch die Forderung »Schlachtet die Autos« habe ich noch nie gehört! Unsere Wahrnehmung ist schizophren. Der Rinderwahn ist in Wahrheit ein Menschenwahn. BSE ist überall.
Umweltpolitik und Klimaschutz sei zu teuer, heißt es immer noch auf den internationalen Konferenzen der Vereinten Nationen. Dieselben Vereinten Nationen leisten sich eine Umweltbehörde, die UNEP, geleitet von Klaus Töpfer, die mit einem Jahresetat auskommen muss, der gerade mal ein Viertel des Etats der New Yorker Feuerwehr beträgt. Wie teuer es für unsere Kinder und Enkel wird, wenn unsere Generation nicht endlich Umwelt und Klima besser schützen lernt, diese entscheidende Frage stellt – außer dem unermüdlich mahnenden Klaus Töpfer – niemand.
Die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer hat darauf hingewiesen, dass in Deutschland allein durch falsche Ernährung jährlich 114 Milliarden Mark ausgegeben werden müssen. Und dennoch hält die Mehrzahl der Konsumenten Biolebensmittel für zu teuer. Rinderwahn ist eben überall – hauptsächlich in unseren Köpfen, nicht nur in denen der Politiker. Würden wir zum Beispiel noch Fleisch essen, wenn wir die Tiere, deren Fleisch wir auf unserem Teller haben, selbst schlachten müssten?
5. Alle sind betroffen
Von BSE ist jede und jeder betroffen. Denn viele Arzneimittel und noch mehr Supermarktprodukte enthalten Rinderbestandteile. Jetzt rächt sich, dass wir Lebensmittel wie Industrieprodukte produziert haben. BSE ist die logische Folge von industriellem Zusatzfutter und wahllosen Medikamenten zur Leistungssteigerung. Der Giftcocktail, den wir Tieren verabreicht haben und der jetzt zu uns zurückkommt, besteht aus Pestiziden, Klärschlämmen, verendeten Tieren, Abfällen wie Gülle oder Altölen, Dioxinen, Frittieröl und Schwermetallen. Diese Tiermehlpampe wird zunächst an Tiere verfüttert und so in deren Hirn abgelagert. Der Stoffwechsel kann diese artfremden Stoffe weder erkennen noch ausscheiden. Es kommt zu dem, was BSE eigentlich ist, zu einer Vergiftung, sagt der klinische Toxikologe Max Daunderer. Über Wurst, Brühen und Fleisch zum Beispiel gelangen diese deformierten Eiweiße ins menschliche Gehirn. Die gesundheitlichen Folgen sind Alzheimer, Gemütsveränderungen und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, genannt Rinderwahn.
Die größte Gefahr geht allerdings von unserer Selbstvergiftungskultur aus: Amalgam, Dioxine, Pestizide, Drogen und Nikotin. Die Folgen dieser Selbstvergiftung sind Krebs, Immunschäden, Hirnschäden, Zahngifte. Die heutige Umweltvergiftung ist längst zur modernen Geißel der Menschheit geworden.
Die Politik könnte die krisenbedingte Sensibilisierung nutzen, um neue soziale und ökologische Rahmenbedingungen zu setzen. Warum zum Beispiel sind noch immer nicht alle Kantinen und Restaurants der öffentlichen Hand auf Bio umgestellt? Wenn alle Universitäten, das Bundestagsrestaurant, die Landtagsrestaurants und alle Rathauskantinen, die Restaurants des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Bundeswehr, der Bahn-AG, der Finanzämter und Arbeitsämter ihre Einkäufe auch nur zu 20 Prozent auf biologisch erzeugte Lebensmittel umstellten, dann wäre das Ziel von Renate Künast – 20 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2010 – leichter zu erreichen. Dann müssten nämlich viele Restaurants, Cafés, Hotels und Reiseunternehmen ebenfalls rasch in die Bio-Offensive gehen. Das öffentliche Bewusstsein dafür ist vorhanden.
Neulich habe ich im Speisewagen des ICE die Kellnerin gefragt, welche Essen zur Zeit am meisten bestellt werden. Ihre Antwort: »Die Bioland-Angebote.«
Welche Mensa in Deutschland stellt als Erste zu 100 Prozent auf Bio um? In welcher Autohauskantine gibt es als Erstes nur noch Biogemüse – bei BMW oder VW? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Kluge Politik könnte einen Wettlauf zur Agrarwende initiieren. Das wäre auch international ansteckend. Aber dafür brauchen wir die entsprechenden Politikerinnen und Politiker, und die wiederum werden von uns gewählt. Also, bitte!
6. Die Agrarwende ist möglich
Die BSE-Krise erweist sich als das »Tschernobyl« der europäischen Landwirtschaftspolitik. »Schluss mit den Agrarfabriken«, fordert der Kanzler. 20 Prozent Ökobauern will die neue Verbraucherministerin Renate Künast. Geht das?
Seit 1950 hieß das Motto der deutschen und europäischen Landwirtschaftspolitik: »Bauern brauchen wir eigentlich gar nicht – wir haben ja Aldi!« Kein Berufsstand wurde von der Politik so hoch subventioniert und zugleich so in die Irre geführt wie die Landwirte. 50 Prozent des gesamten EU-Haushalts sind Subventionen für die Landwirtschaft. Erst wurde die Überschussproduktion subventioniert und dann deren Vernichtung. Und schließlich, damit sich der wahnsinnige Teufelskreis schließt, bekommen die Bauern noch Geld für Flächenstilllegung.
Seit 1950 erlebt Europa das größte Bauernsterben der Geschichte – zugleich wurde der Boden, das Wasser, die Luft und die Tiere in einer Weise traktiert, die zur Katastrophe führen musste. Die Mythen der alten Landwirtschaftspolitik werden jetzt entmythologisiert. Die alte Landwirtschaft hat Millionen Menschen durch schlechte Ernährung krank gemacht und die Volkswirtschaft – allein in Deutschland – mit jährlich über 100 Milliarden Krankheitskosten belastet.
Welche Chancen ergeben sich aus dieser Krise? Zunächst ist festzuhalten, dass das Geld, das heute in die alte Landwirtschaft gesteckt wird, für die ökologische Agrarwende ausreicht.
Das von mir entworfene Szenario basiert auf einem Gutachten von Professor Arnim Bechmann vom Zukunftsinstitut Barsinghausen. Es belegt: Bis 2030 kann es in der EU ausschließlich Ökobauern geben.
Der Stufenplan hat sich folgende Ziele gesetzt:
2010: 20 Prozent Ökobauern
2020: 50 Prozent Ökobauern
2030: 100 Prozent Ökobauern.
EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler hält diesen Plan für realisierbar. Voraussetzung: Landwirte, Verbraucher und Politik nutzen die jetzige Krise wirklich als Chance. Die Bauernverbände signalisieren immerhin erstmals seit 40 Jahren Wendebereitschaft.
Wie realistisch das Bechmannsche Szenario für die Agrarwende bis 2030 ist, zeigt die Entwicklung des ökologischen Landbaus in der EU zwischen 1985 und 1999.
Diese Aufwärtsentwicklung hatte Arnim Bechmann schon 1987 in seinem Buch »Landbau-Wende« prognostiziert. Am Beispiel der Schweiz und Österreichs sowie an vielen Einzelbeispielen in Deutschland wird demonstriert, dass die neue Vision in ganz Europa umgesetzt werden kann. Das alte Vorurteil, kleine Bauernhöfe seien grundsätzlich gut, große Bauernhöfe grundsätzlich schlecht, muss freilich überwunden werden. In Thüringen gibt es ökologische Höfe mit 2000 Hektar und mehr, die beispielhaft biologischen Landbau betreiben, und dabei ökonomisch erfolgreich sind. Dasselbe gilt für Supermarktketten, die ausschließlich ökologisch erzeugte Lebensmittel verkaufen. Wenn Europa beweist, dass die Agrarwende möglich ist, kann sie auch weltweit gelingen.
Instrumente, mit deren Hilfe die 100-prozentige Agrarwende möglich wird:
• Ein Max-Planck-Institut für ökologischen Landbau gründen.
• Neue Lehrstühle und Studienfächer für ökologischen Landbau schaffen.
• Eine Bundesforschungsanstalt für ökologischen Landbau und entsprechende Landesforschungsanstalten einrichten.
• Fachhochschulen für ökologischen Landbau gründen.
• Günstige Darlehen beim Umstieg in den ökologischen Landbau zur Verfügung stellen.
• Die Einfuhr von Kraftfutter aus der Dritten Welt verbieten.
• Unwürdige Formen der Tierhaltung sanktionieren.
• Neue Vermarktungsstrategien für Biolebensmittel schaffen.
• Verstärkte Verbraucheraufklärung betreiben.
• Die Landwirtschaftskammern demokratisieren.
• Journalisten für den Urberuf und die Basisproduktion einer Gesellschaft interessieren.
Die Kosten für all das wären auf jeden Fall deutlich geringer als für die katastrophale heutige Landwirtschaftspolitik. Richtiges Wirtschaften ist immer kostengünstiger als falsches.
Die grüne Revolution wird aber erst vollendet, wenn die Landwirte von morgen auch Energiewirte werden. Die Europäische Kommission erwartet, dass Bauern in etwa 40 Jahren ein Drittel aller Energie über Biomasse vom Wald und Acker produzieren können. Das bedeutet, dass nicht nur das Bauernsterben gestoppt wird, sondern zwei Millionen neue Arbeitsplätze in Europas Landwirtschaft und klimaverträgliche Energie geschaffen werden. Bauern werden Energie- und Rohstoffproduzenten der Zukunft.
7. Mieten Sie sich ein Huhn!
Erst diese neue zukunftsfähige Land-(und Forst-)Wirtschaft führt exemplarisch vor, wie nachhaltiges Wirtschaften funktionieren kann: Denken in Generationen, Wirtschaften in Kreisläufen, Verantwortung für Mensch und Tier, Einkommensorientierung statt Gewinnmaximierung.
Voraussetzung zum Gelingen dieser agrarischen Kulturrevolution ist das ökologische Gewissen der Verbraucher. Nur mithilfe der Verbraucher wird Ökologie die Ökonomie des 21. Jahrhunderts. Moderne Landwirtschaft ist zukunftsfähig, wenn sie sich an ökonomischen, ökologischen, sozialen, kulturellen und ethischen Prinzipien orientiert. Diese neue Kulturrevolution hat im ländlichen Raum schon begonnen.
Und die ökologische Ethik wächst – sogar an der Börse. Inzwischen ist Boris Becker in die Vermarktung ökologischer Lebensmittel eingestiegen.
Neue Lebensmittel braucht das Land und bekommt sie auch. Sechs Monate nach der ersten BSE-Kuh in Deutschland machen Ökoläden bis zu 80 Prozent mehr Umsatz. Die Bio-Aktie der »Rapunzel Naturkost Aktiengesellschaft« im süddeutschen Legau weist schon seit 1990 jährlich zweistellige Zuwachsraten auf.
Die Ökoland AG in Hamm: »Wir haben im Jahr 2001 eine so starke Nachfrage nach Aktien, dass wir gerade die zweite Kapitalerhöhung vornehmen«, so Vorstandsvorsitzender Reinhard Raffenburg.
Bislang war der gesamte biologische Landbau unterkapitalisiert. Deshalb war der Durchbruch unmöglich. Jetzt aber bewegt sich das »große Geld« langsam in die Richtung der kleinen Biohöfe.
Die Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken (GLS) in Bochum ist anthroposophisch orientiert. Sie bietet jetzt ihren Sparern die Möglichkeit, über ein »Grünes Konto« Geld zur Förderung des ökologischen Landbaus anzulegen. Und wer ohne Aktien und mit weniger Geld als Boris Becker etwas bewegen will, kann sich ein Huhn mieten: ().
Der Lohn sind glückliche Hühner – und biologische Eier für die Mieter!
Wer sich gesund ernährt, gewinnt mehr Lebensqualität. Die Agrarwende ist also mehr als eine Berufswende für die Bauern. Sie ist Gesundheitspolitik und betrifft alle. Ganzheitlich betrachtet sind lebendige, lebensfördernde Lebensmittel vorbeugende Medizin, eine Art Ayurveda für Gesundheit und Wohlbefinden. Hier liegt die eigentliche Chance für die Renaissance der Landwirtschaft.