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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Originalausgabe

11. Auflage Juli 2010

Erstmals erschienen: Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG,

München 2002

© Piper Verlag GmbH, München 2004

Umschlagkonzeption: semper smile, München

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

Umschlagabbildung: Ciruelo Cabral, Barcelona

Karten: Erhard Ringer

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-492-95049-7

ULSAR und GRANBURG

LODRIK BARDRIȻ: Kabcar von Tarpol

STOIKO GIJUSCHKA: Vertrauter des Kabcar

WALJAKOV: Leibwächter des Kabcar

IJUSCHA MIKLANOWO: tarpolischer Brojak, Freund und Vertrauter Lodriks

NORINA: Tochter Miklanowos, Brojakin

MATUC: Mitglied des Ulldrael-Ordens

BELKALA: Priesterin des kensustrianischen Gottes Lakastra

NERESTRO VON KURASCHKA: Mitglied des Ordens der Hohen Schwerter, Verehrer des Gottes Angor

HERODIN VON BATASTOIA: Vertrauter Nerestros, Mitglied des Ordens der Hohen Schwerter

TAREK KOLSKOI: tarpolischer Haraȼ

ALJASCHA RADKA BARDRIȻ: Großcousine Lodriks, Vasruca von Kostromo und Kabcara

MORTVA NESRECA: Berater des Kabcar

HEMERÒC: Handlanger Nesrecas

PAKTAÏ: Handlangerin Nesrecas

CHOS JAMOSAR: Hof-Cerêler in Ulsar

SOSCHA: Mädchen aus Ulsar

HERRSCHER und DIPLOMATEN

KÖNIG PERDÓR: Herrscher von Ilfaris

FIORELL: Hofnarr und Vertrauter Perdórs

MOOLPÁR DER ÄLTERE und VYVÚ AIL RA’AZ: kensustrianische Botschafter

SARDUIJELEC: Botschafter Borasgotans

FUSURÍL: hustrabanischer Gesandter

MERO TAFUR: Botschafter Aldoreels

PARAI BARALDINO: Commodore, Kaufmann und Botschafter Palestans

FRAFFITO TEZZA: Adjutant Baraldinos

ALANA II.: Regentin von Tersion

ARRULSKHÁN: Kabcar von Borasgotan

TARM: König von Aldoreel

TELISOR: Tarms Sohn

DIE VERBOTENE STADT

MEISTER HETRÁL: Bogenschütze und Befehlshaber der Schutzwache um die Verbotene Stadt

TARMANN NURK: Hetràls Stellvertreter

PASHTAK: Sumpfkreatur, Versammlungsmitglied

ARMEEANGEHÖRIGE

SINURED: legendärer Kriegsfürst

OSBIN LEOD VARÈSZ: Stratege Sinureds

WIDOCK: Handlanger von Varèsz

FAÏS-BAR-LAMSHADAI: Tei-Sal (Oberer Befehlshaber)

HAÏL-ER-IBADAN: Tei-Sal

J’MAAL: Anführer des tersionischen Kontingents

WEITERE

VARLA: Piratenkapitänin

TORBEN RUDGASS: rogordischer Freibeuter

FARRON und OLLKAS: zwei kensustrianische Astronome

LOM T’SHARR: Befehlshaber der Stadtwache Baiugas

L’XARR: Shadoka von Alana II.

Ulldart, Königreich Tersion, Hauptstadt Baiuga, Sommer 443 n.S.

Ungefähr in einem Abstand von fünfzig Schritt zueinander blieben die zwei Männer in den sengenden Strahlen der Sonnen stehen, sahen sich an und hoben dann ihre Hand zum Gruß.

Der eine trug ein leichtes, bewegliches Kettenhemd zum Schutz, während sein Gegenüber den stabileren, aber auch steiferen Plattenpanzer gewählt hatte. Beide Gesichter wurden von Topfhelmen verdeckt.

Jeweils links von ihnen stand ein kleines Tischchen im hellen Sand des ovalen Platzes, auf dem eine mittelschwere Armbrust und drei passende Bolzen für die Waffe lagen.

Auf ein kurzes Trompetensignal hin erwachten die Kontrahenten aus ihrer Regungslosigkeit.

Der Mann im Kettenhemd fasste nach der Fernwaffe und begann mithilfe eines Spannhebels, die Sehne Stück für Stück nach hinten zu ziehen.

Als er das erste Geschoss schwitzend in den Lauf legte und zielte, hatte sein Gegner mit dem dünnen, geflochtenen Seil gerade mal die Hälfte der Strecke bis zum metallenen Haltedorn überbrückt.

Zischend durchschnitt der Bolzen die Luft und schlug in die Schulterpanzerung ein. Ein leiser Schmerzenslaut entfuhr dem Getroffenen, kurz hielt er inne. Nach wenigen Lidschlägen setzte er aber seine Arbeit fort, während das Blut plötzlich in einer breiten, roten Bahn den linken Oberarm hinablief.

Fluchend fing nun auch wieder der Mann im Kettenhemd an, seine Armbrust zu spannen.

Zähneknirschend richtete sich der andere auf. Das Anvisieren bereitete ihm wegen der Verletzungen sichtlich Schwierigkeiten, und er musste den Lauf wieder senken. Der linke Arm zitterte zu sehr, also versuchte er sein Glück mit der anderen Seite. Sein zeitlicher Vorsprung und damit sein Vorteil schmolzen dahin.

Gleichzeitig hoben sie ihre Fernwaffen, fast synchron betätigten sie die Abzüge. Doch die Geschosse verfehlten in beiden Fällen ihre Ziele und bohrten sich wirkungslos etliche Meter weiter hinten in den hellen Sand.

Hektisch wurde nachgeladen, und erneut war der Träger des Kettenhemdes der Schnellere der beiden. Keuchend vor Anstrengung riss er den Lauf hoch, zielte und verzog durch das aufgeregte Atmen beim Feuern etwas. Sein letztes Geschoss brach durch die metallene Panzerung, der Bolzen verschwand bis zur Hälfte in der rechten Brust.

Diesmal schrie sein Gegner laut auf, die bereits gespannte Armbrust fiel in den Sand, und er musste vor Schmerzen in die Knie gehen.

Zitternd nahm er nach einer Weile die Fernwaffe in die Rechte, stützte das linke Knie auf und legte den Lauf darauf ab. Schwer atmend peilte er den Kopf seines Gegners an, der regungslos abwarten musste, bis alle Bolzen verschossen waren. Selbst wenn dieses Geschoss nicht traf, hatte sein Gegner immer noch einen letzten Versuch.

Mit einem schabenden Geräusch schnellte die Sehne nach vorne, beschleunigte das Holz und den Stahl. Nach einem kurzen Flug durchstießen die geschliffenen Kanten den ungeschützten Hals des Kontrahenten, der daraufhin gurgelnd zusammenbrach.

Nur einen Lidschlag später kippte der Mann im Plattenpanzer langsam nach hinten um und lag tot im Sand. Seine zweite Verletzung war zu schwer gewesen.

Nach einer Phase der atemlosen Spannung brüllte die Menge in der Arena auf, applaudierte, johlte und pfiff, begeistert von dem, was sie gerade für ihr Eintrittsgeld zu sehen bekommen hatte.

Fraffito Tezza, das lebende palestanische Geschenk an die Regentin von Tersion, schüttelte den Kopf und seufzte anhaltend. Er stand im Schatten einer großen Säule am äußersten Rand des Schauplatzes, stützte sich auf den Stiel seines Reisigbesens und wunderte sich täglich aufs Neue über so viel Dummheit.

Zum einen über die der Kämpferinnen und Kämpfer, die in der tersionischen Arena immer wieder gegeneinander antraten und schneller ums Leben kamen, als sie das wohl planten. Zum anderen über die der Besucher, die sich am Tod, der mal mehr, mal weniger qualvoll ausfiel, anderer ergötzten. Dass sie an den blutigen Spektakeln ihren Spaß hatten, hörte er seit fast einem halben Jahr durchgängig an der lautstarken Verzückung der Massen.

Andererseits hätte er nichts dagegen, hier Baraldino antreten zu sehen, jenen Mann, der ihn an Königin Alana von Tersion »verschenkt« hatte.

»Los«, sagte eine der Wachen, die am Eingang zur Arena standen, zu dem palestanischen Offizier und nickte in Richtung der beiden Leichen.

»Sehr wohl«, entgegnete Tezza, stakste in die Mitte des Sandplatzes, zog seinen Dreispitz und machte eine tiefe Verbeugung, wie immer formvollendet und höchst elegant.

Das Publikum liebte den Auftritt des inzwischen berühmtesten Kehrmeisters, den die Arena jemals gehabt hatte.

In seinem auffälligen Brokatrock, den Wadenhosen und weißen Strümpfen sowie mit den Schnallenschuhen an den Füßen war der Palestaner ein bunter Vogel inmitten von weißen Tauben. Selbst in der größten Hitze behielt er seine Perücke auf; und rann der Schweiß ihm auch in Strömen über das Gesicht, Fraffito Tezza behielt seine Würde. Er wusste, dass die Tersioner ihn als eine Art Hofnarr betrachteten, aber solange ihn dafür alle in Ruhe ließen, war ihm das recht.

Während ein paar Sklaven die Toten höchst unwürdig wegzerrten, scharrte der Palestaner mit dem Besen frischen Sand über die Blutflecken, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

In einem halben Jahr würde er hier raus sein. Und egal, was ihm danach drohte, er würde seinem Vorgesetzten, Parai Baraldino, beim ersten Zusammentreffen eine Ohrfeige geben. Oder zwei. Für diese Demütigungen, die er in dem fremden Land erlitt, sollte sein Landsmann bezahlen.

Der Palestaner hatte seine Arbeit verrichtet, absolvierte einen weiteren Kratzfuß, was ihm den Applaus und das Gelächter der Besucher einbrachte, dann stelzte er zurück in den Schatten der Säule. Die Sonnen brannten gnadenlos aus dem wolkenlosen Himmel im südlichen Ulldart.

»Du sollst runter, in die Katakomben«, wies ihn die Wache an. »Die Zisterne muss sauber gemacht werden. Und die Wasserbecken sollen aufgefüllt sein, damit die Kämpfer sich nachher waschen können.«

»Sehr wohl«, sagte Tezza wie immer, schulterte sein Kehrwerkzeug und machte sich an den Abstieg in das unterirdische, kühle Reich unter der Arena.

Hier befanden sich sowohl die Käfige für die verschiedenen exotischen Tiere und Sumpfbestien, die zum Kampf eingesetzt wurden, als auch die Behausungen der Männer und Frauen, die sich wegen Geld gegenseitig ans Leben gingen. Und das mit dem abenteuerlichsten Waffensammelsurium, das der palestanische Offizier jemals gesehen hatte.

Schwerter in allen Formen und Größen, Keulen, Lanzen, Speere, Schilde, Netze und jede Menge Waffen, für die es keine Namen gab oder nur solche, die er sich nicht merken konnte. Daneben rollten alle möglichen Gefährte durch den Sand, wie Streitwagen oder Ähnliches. Durch ein Röhrensystem, das vom Hafenbecken hierher führte, konnte die Arena zudem für Schiffskämpfe geflutet werden, auch wenn diese Prozedur sehr aufwändig war. Um einen Zweikampf spannender zu machen, waren Sklaven dazu abgestellt, zusätzliche Hindernisse und Deckungsmöglichkeiten aufzubauen.

Das Prinzip war einfach: Antreten durfte in der Arena jeder. Das Gold, das es für Freiwillige zu verdienen gab, lockte einfache Bauern, ehemalige Sklaven oder Glücksritter, die aber schnell zu spüren bekamen, dass ein Kampf gegen einen der Krieger der Regentin kein Zuckerschlecken war. Gewann entgegen aller Erwartungen trotzdem einer der Wahnsinnigen, bekam er einen Lohn von zwanzig Batzen. Wagte er einen zweiten Kampf, verdiente er das Doppelte.

Neben den Freiwilligen gab es die Sklaven, denen ihre Entlassung in Aussicht gestellt wurde, wenn sie eine gewisse Anzahl von »Begegnungen« überlebten, und die professionellen Kämpfer, die sich »Shadoka« nannten und in einer Rangliste ordneten. Sie kämpften mal einzeln gegeneinander, dann im Duo oder in größeren Gruppen. Ob ein Gegner letztendlich getötet wurde, lag allein im Ermessen des Kontrahenten.

Die Regentin stellte insgesamt zehn solcher Männer und Frauen auf, hinzu kamen rund dreißig weitere Kämpfer, die von unterschiedlichen wohlhabenden Tersionern unterstützt wurden.

Jede reichere Familie sah es als eine Verpflichtung an, ihr Haus durch einen Shadoka in der Arena vertreten zu lassen. Natürlich wettete man auf den Ausgang der Kämpfe, was wiederum für zusätzliche Einnahmen sorgte.

Momentan führte ein albinohafter K’Tar Tur namens L’Xarr für Alana II. die Liste der Besten an. Seinen beiden seltsamen Schwertern war bislang kein Herausforderer gewachsen gewesen. Als Gleichwertige wurden ein unbekannter Kensustrianer mit unaussprechlichem Namen, der auf eigene Rechnung kämpfte, und ein hünenhafter schwarzer Angorjaner, den der Gemahl der Regentin mitgebracht hatte, gehandelt.

Tezza erwirtschaftete, ohne dass es jemand bemerkte, inzwischen einen ordentlichen Haufen Geld. Er beteiligte sich an den Wetten. Denn wenn jemand genaue Einblicke in die Erfolgsaussichten der Kämpfer hatte, dann war er es, weil er praktisch mitten unter ihnen lebte. Als gewiefter Kaufmann fand er durch Beobachtung und Lauschen sehr schnell heraus, wo bei dem Einzelnen die Schwächen und Vorteile lagen. Demnach war er in der Lage, den Ausgang einer »Begegnung« ziemlich gut einschätzen zu können.

Pfeifend schlenderte er durch die Gewölbegänge in Richtung der großen Zisterne, die zwischendurch immer wieder auf kleinere Verschmutzungen und ihren Wasserstand hin überprüft werden musste.

Tezza wusste genau, wer hinter welchen Türen, die er unterwegs passierte, lebte. Und je nach Status des Shadoka herrschte schon beinahe unanständiger Luxus in den Räumen. Pech hatten dagegen die Sklaven, die in Massenunterkünften ganz unten eingesperrt waren.

Die Tür des derzeitigen Listenbesten war nur angelehnt, undeutlich vernahm der Palestaner eine Unterhaltung zwischen mehreren Stimmen.

Sofort war sein kaufmännischer Geist hellwach. Vermutlich eine Kampfbesprechung. Vielleicht erfuhr er etwas, was er bei den nächsten Wetten Gewinn bringend einsetzen konnte.

Auf Zehenspitzen pirschte er sich an die Kammer heran, hielt sich das rechte Ohr zu, um sich völlig auf das linke zu konzentrieren.

Doch zu seiner Enttäuschung redete der K’Tar Tur in einer Weise, die vom Volk die »Dunkle Sprache« genannt wurde und die er, wie die meisten Menschen des Kontinents, nicht verstand. Plötzlich wechselte der Beste der Shadoka ins Ulldart.

»Ich weiß, du verstehst unsere Sprache nur sehr schlecht. Aber du bist einer von uns und wirst sie lernen müssen. Außer uns beherrscht sie niemand, daher macht es uns sicher davor, belauscht zu werden.«

Tezza grinste.

»Ich werde mich bemühen«, sagte ein für den Palestaner unsichtbarer Sprecher etwas zerknirscht. »Aber ich war nicht lange bei meiner Familie, daher …«

»Es ist gut. Wir werden es dir beibringen«, beruhigte ihn der Preiskämpfer. »Also, nun berichte.«

»Es wird erzählt, dass Sinured, unser aller Vorfahr, wieder zurückgekehrt sei.«

Im Zimmer hinter der Tür war es nach dieser Mitteilung totenstill. Dem Offizier fuhr ein Schauder über den Rücken.

»Wer erzählt das?«, wollte L’Xarr misstrauisch wissen.

»Ich komme direkt aus Tûris, und ich kann euch allen nur berichten, dass in der so genannten ›Verbotenen Stadt‹ große Dinge vorgehen. Die Kreaturen der Sümpfe sammeln sich dort zu Hunderten, säubern die Ruinen vom Bewuchs, als würden sie die Vorarbeit für etwas leisten wollen.« Der Erzähler redete schnell und aufgeregt, die Begeisterung war deutlich zu erkennen. »Und zwei Fischer haben vor der turîtischen Küste die Galeere Sinureds gesehen, wie sie aus dem Wasser emporkam. Brüder, unser Vorfahr lebt wieder! Tzulan sei Dank!«

Die anderen Männer und Frauen, die sich außerdem in der Kammer befanden, unterhielten sich leise in der Dunklen Sprache.

»Ich gestehe«, begann der Listenbeste nach einer Weile, »dass ich einen innerlichen Drang verspüre, aus Tersion wegzugehen, in Richtung Norden. Ich wusste bisher nicht, weshalb. Aber nach diesen Neuigkeiten wird mir einiges klar. Unser aller Urvater ruft uns zu sich, auf dass wir ihn unterstützen. Was auch immer er beabsichtigt.«

»Ja, lasst uns gleich aufbrechen«, fiel ihm der Neuling begeistert ins Wort. »Je eher wir bei ihm sind, desto …«

»Nicht so schnell«, herrschte ihn L’Xarr an. »Wir werden abwarten. Noch weiß keiner von uns, wo Sinured hin ist. Wir werden alle so lange in Tersion bleiben, bis uns ein Zeichen gesandt wird, das uns Klarheit verschafft. Oder wenn uns der Ruf unseres Vorfahren genauer leitet. Und überlegt: Wenn alle K’Tar Tur auf einen Schlag aus dem Land, womöglich noch aus allen anderen Reichen Ulldarts, nach Tûris marschierten, bekämen die Menschen Angst und würden sich uns wahrscheinlich in den Weg stellen wollen. Wir werden heimlich, nach und nach, verschwinden. Es darf niemandem auffallen.«

»Ob unser Vorfahr wieder so mächtig wird wie einst?«, fragte der andere leise. Hoffnung schwang mit. »Dann könnten sich die K’Tar Tur endlich für alle Schmach und Schande, die Verfolgungen und das Töten der letzten Jahrhunderte an diesem Kontinent rächen.«

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Listenbeste. »Keiner von uns weiß, was Sinured möchte. Wir haben nicht einmal eine Ahnung davon, wo er sich aufhält. Vielleicht benötigt er unsere Hilfe ja auch hier, in Tersion. Keiner ist so nahe an der Regentin wie wir, nicht wahr, T’Sharr?«

»Sie vertraut mir wie niemand anderem«, bestätigte der Kommandant der Stadt- und Leibwache und lachte. »Nicht einmal ihrem Gemahl.«

Tezza war einer Ohnmacht nahe. Dort drinnen saß einer der mächtigsten Männer des Reiches und redete durch die Blume über eine Übernahme des Throns durch die K’Tar Tur, wenn sein Vorfahr es ihm befehlen sollte.

»Also gut, Brüder und Schwestern.« L’Xarr hob seine Stimme. »Warten wir auf ein Zeichen, das uns hilft zu verstehen. Und danach lasst uns dafür sorgen, dass unser Vorfahr das erreicht, was er möchte. Wir sind seine Kinder und ihm ewig treu.« Der Schwur wurde von allen in der Kammer Versammelten wiederholt.

Erste Schritte näherten sich der Tür, und der Palestaner hüpfte das Gewölbe hinunter. Zu spät bemerkte er, dass sich in dem Gang keinerlei Möglichkeiten boten, wo er sich verstecken konnte.

Das Knarren in seinem Rücken sagte ihm, dass einer der Verschwörer hinaustrat.

Ruckartig blieb er stehen und kehrte imaginären Dreck auf dem Steinboden zusammen. Er pfiff die palestanische Nationalhymne und tat so, als würde er sich von unten den Korridor hinaufarbeiten.

Hinter sich hörte er Gemurmel, dann näherte sich jemand. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und Tezza spielte den Erschrockenen, was ihm nicht besonders schwer fiel.

»Oh, L’Xarr. Ich habe Euch gar nicht gehört. Ich höre nie etwas, wenn ich in meine Arbeit versunken bin. Absolut überhaupt gar nichts«, sagte er, aber sein Lächeln misslang gründlich, als er in die forschenden roten Augen des K’Tar Tur sah. Die dunkelrote Strähne im schlohweißen Haar, das Markenzeichen aller, die dem Dunklen Volk angehörten, zog seinen Blick an. »Schön, Euch in einem Stück zu sehen.«

»Tezza, wie gut, dass ich Euch hier zufällig treffe«, sagte der Listenbeste harmlos. »Ich wollte Euch fragen, was Ihr von meinem Gegner haltet, der morgen auf mich trifft. Damit ich in einem Stück bleibe.«

»Das müsste doch der Shadoka der Familie Paskalon sein, nicht wahr? Wartet einen Moment.« Der Palestaner stützte sich auf seinen Besen und überlegte. »Nun, das dürfte kein Problem für Euch werden, L’Xarr. Seine Waffen sind Keule und Dolch. Zu langsam für Euch.«

»Das dachte ich mir.« Der Listenbeste nickte und schlug dem Offizier auf das Schulterblatt, sodass der Getroffene etwas in die Knie gehen musste. »Trotzdem danke ich Euch für Eure Einschätzung.« Er betrachtete den sauberen Boden und warf sein langes Haar zurück. »Das sieht sehr rein aus. Oder wollt Ihr, dass sich die Kämpfer darin spiegeln können? Ich denke, Ihr habt woanders mehr zu tun.«

»O ja, sicher doch«, sagte der Offizier beflissen. »Ich war auf dem Weg zur Zisterne, als ich das bisschen Dreck entdeckte und mir dachte, ich könnte ein wenig fegen, wenn ich schon mal hier bin, nicht wahr?« Tezza hob den Besen und zupfte am Reisig. »Aber ich sehe lieber nach dem Wasser. Die ersten Shadoka werden bald kommen.«

»Macht das, Tezza, macht das«, entließ ihn der Listenbeste und sah dem Mann im Brokatrock hinterher, der etwas verkrampft das Gewölbe hinablief.

Als der Palestaner um die Ecke verschwunden war, stellte sich T’Sharr an seine Seite. »Er hat unser Gespräch belauscht, oder?«

»Ich fürchte es beinahe«, sagte L’Xarr nachdenklich. »Hast du Vorschläge, Bruder?«

Der Kommandant legte die Stirn in Falten. »Wir dürfen es nicht nach Vorsatz aussehen lassen. Er ist immer noch ein offizielles Geschenk, das der Regentin gehört. Und Alana sieht es nicht gern, wenn man ihre Spielzeuge absichtlich kaputt macht. Zumal Palestan nun ein Verbündeter von uns ist.«

»Ein Unfall also«, meinte L’Xarr.

Der andere K’Tar Tur nickte knapp. »Ich fürchte, einer der Käfige wird demnächst nicht richtig verschlossen sein. Und ausgerechnet, wenn unser tapferer Tezza seinen Besen schwingt, wird das böse Tier ausbrechen. Da habe ich so eine Vorahnung.«

»Tragisch, tragisch«, murmelte der Listenbeste. »Dass er so enden muss.«

»Vorsichtshalber denke ich mir noch etwas anderes aus. Man weiß nie. Und ich unterschätze ungern jemanden. Sichert man sich doppelt ab, kann nichts schief gehen. Ich denke, wenn ich Alana dazu überreden könnte, den Palestaner spaßeshalber für einen unblutigen Kampf gegen einen Sklaven in die Arena zu schicken, hätten wir alle etwas davon. Auch dabei können sich Unfälle ereignen. Unfreie tun für ihre Freiheit einiges.«