VERLIEBT, VERLOBT, VERBOCKT
Meine türkisch-deutsche
Traumhochzeit
LAPPAN
Die quirlige Leyla Güneş, Schauspielerin und Sprössling einer türkischen Einwandererfamilie, steht vor dem wichtigsten Tag ihres Lebens … ihrer Hochzeit mit Nils Bockheim, 32, Rechtsanwalt, fußballverrückt und furchtbar deutsch.
Eine moderne Lovestory, wie sie nur das Multi-Kulti-Deutschland des 21. Jahrhunderts schreiben kann – wären da nicht der manisch-aggressive Trauzeuge, massive Gewichtsprobleme der Braut, die türkisch-westfälische Helalfleisch-Mafia, die liebestolle Eso-Frutarierin Rieke und die Familien, deren Wahnsinn kulturelle Grenzen mühelos überschreitet. Und zu allem Überfluss heißt Bockheim auf türkisch auch noch Scheißhaus …
Eine turbulente Geschichte über Brautkleider, Trauzeugen, Integration – und über eine Hochzeit, bei der am Ende nur zwei Personen nicht mitreden dürfen: Braut und Bräutigam.
„Das Buch ist Lava … heißer Scheiß! Ich hab echt gelitten mit der Braut und mir gleichzeitig die Lachmuskeln geprellt. Eine türkisch-deutsche Gefühlsachterbahn – Anschnallen und los!“
Luke Mockridge
Nein!!!
Ich meine Ja!!!
Was? Habe? Ich? Gerade? Gesagt? Habe ich gerade wirklich meine heilige Lebensregel fein säuberlich erlegt, in Stücke gerissen und die Toilette hinuntergespült? Wahrscheinlich wird mich heute Nacht Alice Schwarzer in meinen Träumen heimsuchen und mich für meinen Verrat mit einem lebenslangen Emma-Abo bestrafen. Mindestens. Aber er sieht so süß aus, wenn er kniet. Auch wenn er dabei gerade, im strömenden Regen von Prag, ein Paar arglose Nacktschnecken ins Weichtier-Nirvana schickt. Ich ertappe mich dabei, dass ich den armen Glitschviechern Namen gebe: Fridolin und Horst, alte Kumpels aus Schulzeiten, haben gerade ihre Midlife-Crisis überwunden und beschlossen, gemeinsam die Wege Prags vollzuschleimen und nicht mehr an ihre unglückliche Kindheit zu denken. Dem Schneckentherapeuten Dr. Weinberg sei Dank. Und jetzt das! Das Leben kann so grausam sein! Mein Stimmtrainer meinte einmal, irrationale Tagträume zu Unzeiten seien ein Zeichen meiner Intelligenz und grenzenlosen Fantasie. Ich glaube, er wollte sich nur einschleimen, und ich hab sie einfach nicht mehr alle. Künstler halt, Sie verstehen schon. Schauspielerin, und Moderatorin auch noch, ach du Scheiße! Aber stopp, was passiert hier noch mal gerade? Genau! Mein Schatz kniet und bibbert. Ich sollte ihn nicht länger zappeln lassen. Ich liebe ihn. Wie verrückt. Aus meinen Augen fließt es in Strömen.
Menschen, die eine Nahtoderfahrung hinter sich haben, behaupten ja steif und fest, dein ganzes Leben laufe in Bruchteilen von Sekunden wie ein Film in deinem Kopf ab, wenn du dem grimmigen Sensenmann in die Augen blickst. Ich habe das immer für absoluten Schwachsinn gehalten, ich meine: Wie soll das denn bitte praktisch funktionieren? Mit wie vielen ‚frames per second‘ müsste das Gehirn denn arbeiten, um mich in diesem Moment auch nur ansatzweise an die wichtigsten Stationen meines Lebens zu erinnern? Es beginnt mit meinem ersten Schafskäsebörek 1, da war ich 2 ½, und Tante Hüsniye erzählt heute noch bei jeder Familienfeier mit Tränen in den Augen von diesem Happening. Und danach ist ja auch noch das ein oder andere in meinem Leben passiert. Und das soll ich dann alles nochmal sehen? So wie die sechste Wiederholung des Traumschiffs auf ZDFneo? Glaub ich nicht. Will ich auch nicht. So dachte ich immer.
Aber just in dem Moment, in dem mein geliebter Nils mit angespannter Mimik und klitschnassen Haaren in den braunen Matsch der Goldenen Stadt gleitet und tatsächlich die Frage aller Fragen stellt, bleibt die Zeit für einen Augenblick stehen, so als hätte der liebe Gott die Pausentaste gedrückt. Und tatsächlich laufen Bilder vor meinem geistigen Auge ab, Bilder aus meiner gemeinsamen Zeit mit dem deutschen Bengel, der es tatsächlich geschafft hat, mein türkisches Herz zu erobern. In mehreren Anläufen allerdings.
Dienstag, 6.3.2010, allererstes Date: Nils empfängt mich am malerischen Ausgang Nord des Dortmunder Hauptbahnhofs 2 mit den klugen Worten: „Du, ich dachte, weil du ja Türkin bist, gehen wir mal in eine türkische Begegnungsstätte, da kann man auch Nargile rauchen. Da drüben ist schon eine: Café Bei Yussuf II“. Na Klasse! Ich glaube, die einzige Frau, die es jemals geschafft hat, die heiligen Hallen von Yussuf zu betreten und lebendig wieder zu verlassen, ist seine Putzfrau Ayşe. Wäre der nächste Zug in meine Wahlheimat Köln nicht einem Triebwerkschaden zum Opfer gefallen, hätte mein Leben höchstwahrscheinlich einen ganz anderen Verlauf genommen! Tipp: Entführen Sie eine moderne türkische Frau beim ersten Date niemals in eine „Begegnungsstätte“! Dies dürfte die Begegnung empfindlich verkürzen.
Samstag, 23.6.2013, in einem Apartment am Gardasee: Ich stehe unter der Dusche, habe tierische Kopfschmerzen und bin genervt. Ja, der Gardasee ist malerisch, ja klar, vor allem ist die Gegend aber ein deutsches Rentnerparadies geworden, das bereits seit Jahren die Deutsche Touristenregel nach § 84 Ziff. 6 Touristen-Organisations-Verordnung bindend eingeführt hat: „Jeder Tourist, der beabsichtigt, den Strand zu betreten, um dort ggf. ein Sonnenbad zu nehmen, Halma zu spielen oder den hoteleigenen Helene-Fischer-Radiosender zu hören, hat bis spätestens 22 Uhr (in Worten: zweiundzwanzig) des Vortags ein persönlich gekennzeichnetes Handtuch auf einer reservierten Liege zu deponieren. Die Reservierungen werden sonntags und mittwochs von 6:30 Uhr bis 9:45 Uhr im Bereich C5 des Rezeptionsgebäudes West vergeben. Ein Rechtsanspruch auf eine Reservierung besteht nicht.“
Und dann auch noch das: Ich habe doch tatsächlich fast alle meine Unterhöschen zu Hause vergessen, jetzt bleibt mir nur ein altes, viel zu knapp geratenes, rosafarbenes Exemplar, auf dem Snoopy irgendwas auf Ungarisch sagt und Sekt trinkt. Wo zum Kuckuck habe ich denn dieses Teil her? Erst jetzt realisiere ich, dass es eigentlich Nils gehört, gehe aber trotzdem nichtsahnend in den Schlafbereich, in dem mein schweißgebadeter Freund gerade auf dem Boden herumturnt. Als ich ihn fragen will, ob er sich vielleicht einen Nerv eingeklemmt hat, holt er eine kleine Schachtel aus seinen alten Shorts von Borussia Dortmund heraus und stottert: „Eigentlich wollte ich es erst morgen bei einer Heißluftballonfahrt mit anschließendem Candle-Light-Dinner an einer Schlucht mit Blick auf den See tun, aber ich kann es einfach nicht mehr abwarten: Leyla, willst du meine Frau werden?“. An dieser Stelle noch ein Tipp: Machen Sie Heiratsanträge nach Möglichkeit nicht in Hotelzimmern, im Stau auf der Autobahn oder im Fußball-Stadion. Anderenfalls gibt’s die rote Karte, und die Leidenszeit des Mannes verlängert sich um unbestimmte Zeit.
In unserem Fall dauerte die Sperre bis exakt zu dem Zeitpunkt, an dem der liebe Gott die Pausentaste gedrückt hatte. Im Regen von Prag.
Donnerstag, 5. November, 16:24 Uhr, Café „Herr Pumuck“, Köln, Nieselregen. Fieser Hund kläfft mich an, ich wechsle den Tisch, Hund kötert hinterher, Hund huscht unter meinen Tisch, Hund pinkelt, ich kreische, Herrchen lacht hämisch.
Prag ist weit weg. Ganz weit weg!
„Können Sie das Vieh gefälligst an die Leine nehmen?“
„Nanana, Schätzelein, wir mögen wohl keine Hunde, wat? Dat Herkules is janz lieb!“
Herkules? Das passt zu diesem Monstrum! Und das Monstrum passt zum Herrchen. Ekelhaft! Noch so ein zugezogener Möchtegern-Kölner, der sich einen Schnäuzer stehen lässt und falsches Kölsch spricht, weil er eigentlich aus Rheda-Wiedenbrück stammt und das bitteschön niemand bemerken soll. Ich weiß, wovon ich spreche: Ich bin Leyla Güneş, geboren in der Pumpernickelhochburg Gütersloh und aufgewachsen in der Mähdreschermetropole Harsewinkel-Marienfeld, dem Ort, in den man einfach mal reisen sollte, wenn man sich noch nicht ganz sicher ist, ob man sich tatsächlich das Leben nehmen will. Ich weiß, wie schwer es ist, sich als Imi in Köln zu integrieren. Aber muss man denn wirklich mit einem grenzdebilen Dauergrinsen durch die Kölner Barszene tingeln und seinen Mörder-Pfiffi Frauen anpinkeln lassen? Was sagt eigentlich der deutsche Gesetzgeber dazu? Ach ja, der Gesetzgeber …
„Passen Sie mal gut auf, Sie Scherzkeks! Mein Verlobter ist Rechtsanwalt.“
„Anwalt? Sischer dat! Sischer dat!“
„Und wenn Sie nicht augenblicklich ihren Köter von meinem Bein wegholen, dann zeigt er Sie an. Das, was Sie hier tun, ist nämlich … ja … ähh … Erregung öffentlichen Ärgernisses! Genau! Und Nötigung! Und Sachbeschädigung! So!“
„Ach Pralinsche, wat biste denn so frustriert? Guck mal, et jibt doch auch Männer, die stehen auf so Moppelchen wie dich! Such dir eenen, dann biste auch wieder besser druff.“
So ein chauvinistisches Arschloch, denke ich mir. Der wird mich jetzt mal kennenlernen! Jetzt kommt Leyla, die unerschrockene Deutsch-Türkin, die für die Rechte aller fülligen, aber eleganten Lads kämpft, für echte Molly-Diven, die Models von morgen, denn Heidi Klums Hungerhaken werden bald ausgedient haben, soviel ist mal sicher. Ich erhebe den Zeigefinger, öffne den Mund und schmettere ein furchteinflößendes „Sie … Sie … Siiiiiiiiiiiieeeeee!“
In diesem Moment merke ich, wie mir urplötzlich die Tränen ins Gesicht schießen. Ich versuche zu sprechen, aber es steckt ein Kloß von der Größe einer türkischen Knoblauchfrikadelle in meinem Hals. Sturzbäche fließen mit einer solchen Wucht über mein Gesicht, dass selbst Herkules, der gerade erst zufrieden sein Geschäft an meiner Hose beendet hat, jaulend die Flucht ergreift. Sein Herrchen tut es ihm gleich: Er schmeißt Geld auf die Theke und verschwindet wortlos auf die belebte Aachener Straße.
Um Himmels willen, was ist bloß los mit mir? Ja gut, ich bin vermutlich 20 cm zu klein für mein Gewicht, das sagt zumindest mein Hausarzt immer zu mir, ein bisschen weniger wäre sicher nicht schlecht, Frau Güneş. Und ja, ich sorge mich, ob ich ein Brautkleid finde, in dem ich nicht aussehe wie Miss Piggy, die als wandelnde Sahnebaisertorte den armen Kermit vor den Altar zerrt.
Aber warum bin ich so aufgewühlt, so unausgeglichen, so mies gelaunt? Habe ich vorhin tatsächlich mit einer Strafanzeige gedroht und dabei den Deutschen Zeigefinger gehoben? Als Tochter türkischer Eltern?! Ich schäme mich.
Sagt man nicht immer, die Zeit zwischen Verlobung und Hochzeit sei die schönste im Leben einer Frau? Eine Zeit, in der man verliebt mit seinem Schatz über grüne Wiesen tanzt, mit einer rosaroten Brille durch die Stadt schwebt und es einfach nur genießt, glücklich zu sein? Warum empfinde ich gerade kein Glück?
Nein, an Nils liegt es nicht. Ich habe keine Zweifel, dass er der Richtige für mich ist. Glaube ich jedenfalls. Aber was ist es dann?
Just in dem Moment fällt mir wieder ein, warum ich überhaupt hier sitze: Ich muss einen Trauzeugen finden! Und das Dilemma ist: Ich kann mich einfach nicht entscheiden. Drei schlaflose Nächte liegen deshalb schon hinter mir. Das konnte ich noch nie … also, mich entscheiden. Von daher ist es ein Wunder, dass ich jetzt verlobt bin. Meine Mutter hat meine Entscheidungsunfähigkeit schon in frühen Jahren bemerkt und klug ausgenutzt. Immer, wenn ich als Kind im türkischen Supermarkt an der Kasse lauthals Schokolade einforderte, konterte meine Mutter mit einem „Aber sicher, mein Bülbül 3! Guck mal, was willst du? Hanuta oder Biskrem 4?“. Das war zuviel für mein kleines Hirn, und bis ich wusste, dass ich weder Hanuta noch Biskrem wollte, sondern türkische Rocher 5, war meine Mutter schon längst auf dem Parkplatz, und ich ging leer aus. Wie gemein!
Genauso geht es mir auch jetzt bei meiner Trauzeugenwahl. Nur dass ich hierbei eher das Gefühl habe, ich müsste mich zwischen in Essig eingelegten Soleiern und gebratenen Oktopus-Fangarmen entscheiden. Natürlich habe ich Freunde. Gute, ja sogar sehr gute Freunde. Aber ich bin ein Kontrollfreak. Ich wünsche mir, dass der schönste Tag meines Lebens perfekt wird – und muss dennoch einen Teil der Verantwortung abgeben. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich auf eine Katastrophe epischen Ausmaßes zusteuere, die mit der falschen Trauzeugenwahl begonnen haben wird.
Deshalb sitze ich jetzt mit zugestrullter Hose und verheulter Visage in diesem charismatischen Szene-Café und atme schwer vor Aufregung: Hier sollen die Würfel fallen, hier werde ich mein Trauzeugen-Casting abhalten. Und ich habe das entscheidende Auswahlkriterium unwiderruflich festgelegt: Wer sich über unsere bevorstehende Hochzeit am meisten freut, wer die ehrlichsten, die spontansten, die größten Emotionen zeigt, wird mich als Trauzeuge auf dem Weg in meine Ehe begleiten.
Kandidat 1
NAME: Cem Zigota
NATIONALITÄT: türkisch-schlesisch (behauptet er jedenfalls)
ALTER: 32
BERUF: Kunsthändler und Model
BEZIEHUNGSSTATUS: „On-Off-Ledig“ mit wechselnden Partnerinnen
GEEIGNET, WEIL … … er als Händler jede noch so miese Party als Mega-Fete verkaufen kann.
UNGEEIGNET, WEIL … … er sich keine 10 Sekunden auf eine Sache konzentrieren kann.
Cem und ich lernten uns vor genau neun Jahren im Studium kennen, aus seiner Sicht irgendwann zwischen Julia und Agata. Er war der schlimmste Schwerenöter und Herzensbrecher in unserem Semester, gleichermaßen verachtet wie bewundert. Als er sich mit seinen schimmernden, mit Pomade zugekleisterten Haaren in der Mensa an meinen Tisch setzte, mich ansah und seinen dämlichen Flirtklassiker: „Ich lebe gefährlich! Alles so kurvig hier, dabei habe ich keine Bremsen!“ abspulte, war es um mich geschehen: Die kleine, 22-jährige Leyla hatte sich unsterblich in einen Mega-Macho verknallt, den Alain Delon der Philipps-Universität zu Marburg. Von nun an klebte ich wie Pattex an Cem, richtete meine Kurse an seinem Stundenplan aus und versuchte bei jeder Gelegenheit, ihm näherzukommen. Als ich mir nach Beendigung des Seminars „Griechische Bildhauerei – nur Penis, oder steckt mehr drin?“ ein Herz fasste und ihn zu küssen versuchte, nahm er sanft meine Hand, schaute mir tief in die Augen und sagte: „Leyla, du bist klasse, und ich habe richtig Lust auf dich! Aber ich bin nicht in der Lage zu lieben. Und wenn wir uns jetzt küssen und miteinander schlafen, dann wirst du eine Nummer sein wie alle anderen, und ich werde früher oder später auch dein Herz brechen. Und dafür bist du mir mal ganz klar zu schade! Verstehst du mich, Leyla? Ich will dich nicht, weil ich dich will! Und das ist das größte Kompliment, das ich dir machen kann!“
Noch heute, 9 Jahre und 34 Kilo später, erinnere ich mich an den Schmerz, den ich damals empfand, an diese dumpfe Trauer. Liebeskummer in Reinform. Aber schon bald wurde mir klar, dass seine Reaktion nichts anderes als ein riesiger Freundschaftsbeweis war, und tatsächlich wurden wir Freunde fürs Leben, ohne dass jemals wieder andere Gefühle zwischen uns standen. (Bis heute frage ich mich allerdings manchmal, ob dieser „Du-bist-zu-schade-für-mich“-Spruch damals einfach nur sein Trick war, die Frauen endgültig weichzukochen – und ob er selbst ganz verdattert war, dass ich tatsächlich seine Freundin statt sein Betthäschen Nr. 34 wurde.)
„Hey Leyla! Leeyyyyla! Ne haber 6? Sag mal, träumst du?“
Ich werde jäh von einem Mann in stylischer Lederjacke, braunen Boots und penibelst gestylter Haartolle aus meinen Gedanken gerissen. Cem sieht mit seinen 32 immer noch aus wie Anfang Zwanzig. Und immer noch wie Alain Delon nach seiner Hochzeit mit Romy Schneider. Verdammt nochmal, wie macht er das bloß?
„Hey, Cem! Alles gut! Mich hat nur gerade so ein bekloppter Köter angepisst.“
„Was? Köter?“
„Ja, den hatte so ein blöder Schnauzbart-Träger hier reingeschleppt und …“
„Fies, aber weißt du was? Mich hat ja mal so ein Frettchen besudelt, kurz bevor ich in die Sauna bin, mein lieber Mann, da gab’s Beef, das hängt dir ja überall …“
„Cem, bitte …“
„Entschuldige, Leylie! Also: Du wolltest mir etwas sagen?! Komm, mach’s mal nicht so feierlich!“
„Naja, feierlich …“
„Toller Laden hier. ‚Herr Pumuck‘ ist ja mal ein Name, mein lieber Mann, aber marketingtechnisch irgendwie daneben. Hmm … ich finde, hier riecht’s irgendwie total nach altem Hund …“
„Cem! Nils und ich werden heiraten!“
Jetzt ist der Augenblick gekommen, der alles entscheidet. Ich blicke gebannt auf Cems Augen. Weint er oder weint er nicht? Nimmt er mich in den Arm? Tanzt er mit mir einmal quer durch „Herrn Pumuck“? Gehen wir danach Cocktails trinken bis zum Abwinken? Bestellt er eine Stretch-Limousine, mit der wir runter zum Rhein fahren, während alte Klassiker der unvergessenen Ex-Teenieband „Echt“ aus den Boxen dröhnen und wir Kim Frank alle Ehre machen, indem wir immer wieder die grandiosen Zeilen „Wünsch dich nicht fort von mir. Bitte bleib hier bei mir!“ in den Kölner Nachthimmel schreien? Halte ich bei offenem Limo-Fenster ein riesiges Schild mit den Worten „Ich liebe Echt, ich liebe Cem, auf ARTE läuft Alain Delon, und ich habe meinen Trauzeugen“ in den Fahrtwind? Also? Cem? It’s your turn!
„Alter … echt?! Ihr heiratet? Schön, hab ich mir schon fast gedacht. Du, sag mal, kennst du Jana? Du, Jana ist ein echt tolles Mädchen, total klasse, und wir sind ja immerhin auch schon seit … ja … ähhm … mindestens …“
„Cem, ich …“
„… drei Wochen zusammen, die Jana und ich, und … ja … also wenn ich die heirate, wird die Hochzeit ein Knaller, ich sag’s dir! Wir machen die definitiv draußen! Also entweder an ’nem See oder am Pool. Und alle sind total schick angezogen und ich dann so im Frack …“
„Cem, hallo …?“
„Also ich dann so im Frack, ’nem Glas Cognac in der Hand, Zigarre, und irgendwann, wenn es keiner erwartet, weißt du was?! Dann spring ich plötzlich in den Pool … oder in den See, müssen wir mal gucken … und alle springen hinterher, und wir feiern die geilste Poolparty aller Zeiten! Na, was meinst du?“
Ich meine gar nichts mehr. Mir hat es die Sprache verschlagen. Was soll ich auch sagen? Du, klar, ich heirate jetzt meine große Liebe und teile dir, meinem langjährigen Freund, gerade als Erstem mit, dass ich heiratsscheues Reh es tatsächlich wage, den Bund der Ehe einzugehen. Aber das ist natürlich nicht so wichtig wie deine Pool-Hochzeits-Phantasien mit dem tschechischen Flittchen, das du sowieso in spätestens 68 Stunden verlassen wirst. Pool oder See? Frack oder Nackt? Barfuß oder Lackschuh? Meine Güte, es gibt ja so viel zu besprechen.
Ich stehe kurz vor der Explosion. Vermutlich endet gleich unsere neunjährige Freundschaft, denn ich bin fest entschlossen, ihn mit meiner noch immer urindurchtränkten Hose zu ersticken. Verhindern tut dies nur Cems Handy, das in diesem Moment in seiner schwarzen Cordhose brummt.
„Was?? I H R H A B T W A A A S?!?“
Jetzt kommt etwas, das in der Natur eine Metamorphose genannt wird: Der charmante, verträumte Gentleman Cem wird innerhalb weniger Sekunden zum knallharten, ungenießbaren Jobkiller Dr. Zigota! Bühne frei für den erfolgreichsten jungen Kunsthändler Kölns: „Ihr habt ‚D A S E I V I I I‘ gekauft?? D A S E I V I I I??? Seid ihr vollkommen verblödet? Der Vollidiot ist spätestens seit ‚DAS EI IV‘ total am Ende, der verkauft kein verschissenes Bild mehr! Und ihr Schwachmaten wedelt mit den Scheinen herum, und der lacht sich kaputt. Mann, seit 15 Jahren nichts als scheiß Eier auf den Bildern! Ihr biegt das jetzt gerade! Sofort! Ich erwarte euren Rückruf in zwei Minuten!“
Rumms, das hat gesessen! Und jetzt Rolle rückwärts: Binnen weniger Sekunden heitert sich die angespannte Fratze von Dr. Zigota wieder auf, und Monsieur Delon sitzt wieder mit verschmitztem Lächeln vor mir und fuchtelt glücklich mit seinem Bierglas durch die Gegend.
„Wo war ich gerade stehengeblieben, liebe Leylie? Ach ja, geil, wollte ich sagen …“ Brrrrrrrr Brrrrrr Brrrrrrrrrrrr … und wieder verdüstert sich seine Miene.
„Wie, er sieht’s nicht ein? E R S I E H T’S N I C H T E I N??!! Der hat das verdammt nochmal einzusehen! Ihr macht gar nichts mehr, ich komme sofort! Noch eine dumme Aktion, und es rollen Köpfe!“
Cem blickt nun kurz expressiv in die Ferne, als würde er über die Lösung der Flüchtlingskrise sinnieren, murmelt ein „Die brauchen mich … bin gleich zurück … sorry“ in den Raum und rennt davon.
Was für eine Enttäuschung!
Ich sitze wieder alleine an meinem Tisch und merke, dass die Nervosität wie eine eklige Giftschlange in meinen Magen kriecht. Cem war meine erste Trauzeugen-Wahl – und er hat es mit Pauken und Trompeten verkackt. Und schon wieder zeige ich neurologisch bedingte Übersprunghandlungen: Offenbar teste ich bereits seit mindestens drei Minuten mit dem kleinen Finger der rechten Hand durch beharrliches Bohren, ob meine letzte Ohrendusche beim HNO erfolgreich war. Sie war es nicht. Ich brauche feuchte Reinigungstücher! Sofort! Und wenn wir schon dabei sind: Ich brauche einen verlässlichen Trauzeugen! Noch soforter!
Als mir die Desinfektionstücher ausgehen und ich überlege, was mich im Rahmen des Castings noch so erwartet, verdunkelt sich meine Miene – oh ja, das geht tatsächlich! – noch weiter: Die nächste Kandidatin hat bei mir in etwa so große Siegchanchen wie ein Ford Ka in der Formel 1. Ich habe sie überhaupt nur deshalb zu diesem Casting geladen, weil mein zukünftiger Göttergatte Nils vehement darauf bestanden hat. Nicht weil sie seine Schwester ist. Oh nein! Nicht weil die beiden eine innige Geschwisterliebe verbinden würde. Oh nein nein nein! Sondern schlicht und ergreifend, weil Irene es will – Nils’ Mutter, der Prototyp des Schwiegermonsters, den du selbst deinem ärgsten Feind nicht an den Hals wünschst. Bereits jetzt ist mir klar, dass Irene eine größere Rolle in unseren Hochzeitsplanungen spielen könnte, als uns allen lieb ist. Also werdet auch ihr sie noch kennenlernen, keine Bange!
All diese Gedanken können sich in meinem Kopf einnisten, weil der Ford Ka sich erwartungsgemäß verspätet. Mittlerweile sind meine Ohren sauber, meine Pasta verspeist, meine Hose getrocknet, mein Herz in selbige gerutscht. Doch sie ist immer noch nicht da! Vielleicht noch ein Dessert? Tiramisù? Was sagten die Weight Watchers noch gleich zu Mascarpone? Scheißegal! Bestellung aufgegeben, Tiramisù serviert, Tiramisù landet zu 95 % auf meinen Hüften und zu 5 % auf meiner heute wirklich bemitleidenswerten Hose, die zu allem Überfluss jetzt auch noch spannt. Wann zum Geier kommt sie?
Als ich gerade resigniert die Rechnung bestellen will, schwebt sie tatsächlich herein, bekleidet mit einem Poncho, der alle denkbaren Komplementärfarben vereint. Das Besondere an Komplementärfarben ist, dass sie miteinander gemischt einen neutralen Grauton ergeben. Leider hat hier jemand das Mischen vergessen.
Also Vorhang auf für:
Kandidatin 2
NAME: Rieke Bockheim
NATIONALITÄT: im Herzen nepalesisch, im Pass deutsch
ALTER: 34 (in diesem Leben)
BERUF: Kindergärtnerin, Yogalehrerin und Esoterikerin
BEZIEHUNGSSTATUS: ledig (ihr Herz gehört nur Mutter Natur)
BES. EIGENSCHAFT: Sie spricht mit Bäumen
GEEIGNET, WEIL … … ja, warum eigentlich?
UNGEEIGNET, WEIL … … Raum und Zeit für sie keine Rolle spielen,
… sie ausschließlich Ponchos trägt,
… sie nicht von dieser Welt ist.
Ihrem Äußeren setzt Rieke dadurch die Krone auf, dass sie eine Nickelbrille zum Poncho trägt. Böse Zungen behaupten, sie sei damit rein optisch zu einer Art mexikanischem Reinhard Mey nach missglückter Geschlechtsumwandlung mutiert. Und Über den Wolken!