Der Autor

Prof. Dr. Klaus Wingenfeld, Gesundheitswissenschaftler und Soziologe, ist Geschäftsführer und Projektleiter am Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld.

Klaus Wingenfeld

Pflegerisches Entlassungsmanagement im Krankenhaus

Konzepte, Methoden und Organisationsformen patientenorientierter Hilfen

2., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036244-4

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Inhalt

 

 

  1. Einleitung
  2. 1   Was ist pflegerisches Entlassungsmanagement?
  3. 1.1 Der Kern des pflegerischen Entlassungsmanagements
  4. 1.2 Der Expertenstandard »Entlassungsmanagement in der Pflege«
  5. 1.3 Handlungsgrundsätze
  6. 1.4 Exkurs: Der »Rahmenvertrag Entlassmanagement«
  7. 2   Die Arbeitsschritte des Entlassungsmanagements
  8. 2.1 Risikoscreening und erste Bedarfseinschätzung
  9. 2.2 Vertiefende Bedarfseinschätzung
  10. 2.3 Maßnahmenplanung
  11. 2.4 Durchführung: Information, Beratung, Anleitung und Schulung
  12. 2.5 Durchführung: Kooperation und Koordination
  13. 2.6 Überprüfung der Entlassungsplanung
  14. 2.7 Nach der Entlassung
  15. 3   Organisationsformen des pflegerischen Entlassungsmanagements
  16. 3.1 Stellen für Pflegeüberleitung
  17. 3.2 Überleitung durch Pflegekräfte im Stationsdienst
  18. 3.3 Case Management-Konzepte
  19. 3.4 Modelle der Übergangsversorgung
  20. 3.5 Multidisziplinäre Entlassungsallianzen
  21. 3.6 Entlassungsmanagement durch externe Institutionen
  22. 4   Patientenprobleme nach der Krankenhausentlassung
  23. 4.1 Problem- und Bedarfslagen nach der Krankenhausentlassung
  24. 4.2 Patienten mit Versorgungsverantwortung
  25. 4.3 Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen
  26. 4.4 Entlassungsmanagement bei Kindern
  27. 5   Strukturelle Grundlagen
  28. 5.1 Entwicklung einer Konzeption
  29. 5.2 Qualifikationsanforderungen
  30. 5.3 Zusammenarbeit zwischen Pflege und Krankenhaussozialdiensten
  31. 5.4 Netzwerkarbeit
  32. 5.5 Entlassungsmanagement, DRGs und koordinierte Versorgung
  33. Schlussbemerkung
  34. Literatur
  35. Stichwortverzeichnis
  36. Anhang
  37. Anhang A: Profil eines Risikoscreenings
  38. Anhang B: Inhaltliche Dimensionen eines differenzierten Assessments
  39. Anhang C: Überprüfung einer Konzeption

Einleitung

 

 

 

Durch die anhaltende Tendenz zur Verkürzung der Verweildauer von Patienten1 im Krankenhaus hat das pflegerische Entlassungsmanagement einen großen Bedeutungszuwachs erfahren. Was in den 1990er Jahren mit vereinzelten Modellprojekten begann, findet sich heute bereits in vielen Krankenhäusern als etabliertes Unterstützungsangebot für die Patienten und Angehörigen. Die auf Fallpauschalen beruhende Krankenhausfinanzierung, der nationale Expertenstandard »Entlassungsmanagement in der Pflege« und der allmähliche Aufbau von Fachgruppen und Qualifizierungsangeboten haben einen kräftigen Entwicklungsschub ausgelöst.

Allerdings kann noch immer nicht von einer flächendeckenden Verbreitung dieser anspruchsvollen pflegerischen Praxis gesprochen werden. Das qualitätssichernde Potenzial des Entlassungsmanagements und die Chancen, die es für ein besseres Gleichgewicht von Patientenorientierung und Wirtschaftlichkeit mit sich bringt, werden in Krankenhäusern noch zu wenig gesehen. Der Anspruch, kein monoprofessionelles, sondern ein multidisziplinäres Entlassungsmanagement sicherzustellen, ist noch wenig eingelöst. Die Bewältigung des Nachholbedarfs im Bereich der Konzept- und Instrumentenentwicklung – Stichworte: Assessment, Beratung, Anleitung – stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Kurz: Aufbau und Weiterentwicklung des pflegerischen Entlassungsmanagements erfordern einige Kraftanstrengungen und die Auseinandersetzung mit vielen Fragen, für die es zum Teil keine einheitlichen Antworten gibt.

Das vorliegende Buch soll dabei helfen, Antworten zu finden oder selbst zu entwickeln. Es macht die Leser schrittweise mit dem modernen Verständnis des pflegerischen Entlassungsmanagements in Krankenhäusern vertraut. Zugrunde liegen dabei u. a. internationale Erfahrungen und aktuelle Entwicklungen, die nach dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches einsetzten. Dazu gehört die Verankerung des Entlassungsmanagements als Aufgabe des Krankenhauses im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und die zweite Aktualisierung des Expertenstandards »Entlassungsmanagement in der Pflege« im Jahr 2019. Das Buch ist als Arbeitshilfe für die Praxis konzipiert und beschäftigt sich ausführlich mit allen Bausteinen des Entlassungsmanagements, von der Patientenaufnahme bis zum Abschluss nach der Krankenhausentlassung. Es wendet sich vor allem an die Mitarbeiter des Krankenhauses, die mit Aufgaben des Entlassungsmanagements betraut sind. Aber auch Leitungskräfte, die für den Ausbau und die Weiterentwicklung dieses verhältnismäßig neuen Aufgabenfeldes verantwortlich sind, Lehrkräfte und Teilnehmer einer Qualifizierungsmaßnahme gehören zu den Adressaten.

Die Überleitung eines Patienten mit komplexem Unterstützungsbedarf stellt eine große Herausforderung dar und ist nicht vergleichbar mit anderen pflegerischen Maßnahmen im Krankenhausalltag. Sie leistet zugleich einen wichtigen Beitrag zu Qualität und Wirtschaftlichkeit: Misslingt der Übergang und kommt es dadurch zu gesundheitlichen Problemen, steht möglicherweise der ganze Erfolg der Krankenhausbehandlung in Frage. Das pflegerische Entlassungsmanagement hat den Auftrag, solche Entwicklungen so weit wie möglich zu vermeiden, indem bereits während des Krankenhausaufenthalts geeignete Maßnahmen eingeleitet werden. Die im Folgenden dargestellten Vorgehensweisen und Instrumente sind hierfür eine wichtige Voraussetzung.

1     Im Folgenden wird bei Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Selbstverständlich sind dennoch Personen aller Geschlechter gemeint.

1          Was ist pflegerisches Entlassungsmanagement?

 

 

 

1.1       Der Kern des pflegerischen Entlassungsmanagements

Entlassungsmanagement ist mehr als dieses Wort sagt – mehr als ein Management der Patientenentlassung. Es gibt leider keinen ganz passenden Begriff für das Aufgabenfeld, das gemeint ist. Dieses Problem findet man auch in anderen Ländern. Im englischsprachigen Raum wird meist der Ausdruck Discharge Planning verwendet, was wörtlich übersetzt Entlassungsplanung bedeutet und noch weniger den Kern der Sache trifft als der Ausdruck Entlassungsmanagement. Das moderne Verständnis von Entlassungsmanagement lässt sich folgendermaßen formulieren2:

Pflegerisches Entlassungsmanagement ist ein Prozess zur Unterstützung des Patienten bei der Bewältigung des Übergangs vom Krankenhaus in ein anderes Versorgungssetting.

In dieser Definition gibt es mehrere wichtige Teilaspekte (vgl. Wingenfeld 2005):

1.  Entlassungsmanagement ist ein Prozess, also keine vereinzelte Maßnahme, sondern eine Abfolge mehrerer Handlungsschritte, die mit der Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus beginnt. Zu diesem Prozess gehören auch eine systematische Einschätzung des Bedarfs und eine Überprüfung nach der Entlassung. Das Ausfüllen eines Überleitungsbogens, die Vorbereitung einer anschließenden Rehabilitationsmaßnahme oder die Unterstützung bei der Beantragung von Leistungen der Pflegeversicherung sind jeweils für sich genommen noch kein pflegerisches Entlassungsmanagement.

2.  Entlassungsmanagement dient der Unterstützung des Patienten bei der Bewältigung des Übergangs. Die Patienten (und häufig auch ihre Angehörigen) erhalten Unterstützung zur Bewältigung der Anforderungen und Probleme, die beim Wechsel der Versorgungsumgebung auf sie zukommen. Die Unterstützung wird in Form von Information, Beratung und Anleitung geleistet, aber auch durch die Übernahme von Aufgaben, die Patienten und Angehörige selbst erledigen würden, wenn sie dazu in der Lage wären (Beantragung von Leistungen, Bestellung von Hilfsmitteln, Suche nach geeigneten Diensten/Einrichtungen, Informationsübermittlung an weiterversorgende Einrichtungen etc.). Entlassungsmanagement umfasst also die komplexe Aufgabe der Sicherstellung der Weiterversorgung und der Vorbereitung von Patienten und Angehörigen auf die Probleme und Anforderungen nach der Entlassung.

3.  Entlassungsmanagement greift den Bedarf beim Übergang vom Krankenhaus in ein anderes Versorgungssetting auf. Es spielt keine Rolle, in welche Versorgungsumgebung der Patient wechselt – ob in eine stationäre Rehabilitationseinrichtung, ein Altenheim, eine betreute Wohngemeinschaft oder in das eigene Zuhause. Es ist auch unerheblich, ob eine Weiterversorgung durch Einrichtungen, durch Angehörige oder auch in Form der Selbstpflege des Patienten erfolgt. In all diesen Konstellationen erfolgt eine Veränderung der Versorgungsvoraussetzungen. Nicht die Umgebung oder die Lebenssituation des Patienten ist ausschlaggebend, sondern der Umstand, dass weiterhin Krankheit und Krankheitsfolgen bewältigt werden müssen.

Pflegerisches Entlassungsmanagement richtet sich an Patienten, die ein erhöhtes Risiko für poststationäre Probleme3 aufweisen. Dies sind Patienten, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass nach der Entlassung gesundheitliche Komplikationen, vermehrte Pflegebedürftigkeit oder Versorgungsprobleme auftreten, höher ist als bei anderen ( Kap. 2.1;  Abb. 1.1). Konsequenterweise findet man in der englischsprachigen Literatur häufig den Begriff Risikopatienten. Doch nicht alle diese Patienten benötigen Unterstützung bei der Überleitung. Ein Teil von ihnen hat bereits genügend Unterstützung, die Versorgung ist sichergestellt, was allerdings in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen ist. Mit Hilfe des Assessments im pflegerischen Entlassungsmanagement werden diejenigen Patienten herausgefiltert, bei denen ein ungelöstes Problem bzw. ein ungedeckter Bedarf besteht und somit eine komplexe Entlassungsplanung stattfinden soll.

Der Ausdruck Risiko für poststationäre Probleme bezieht sich auf alle Ereignisse und Entwicklungen, die sich negativ auf die Gesundheit des Patienten auswirken oder sein Leben in einer problematischen Weise verändern. Damit angesprochen sind vor allem neue gesundheitliche Probleme, eine Wiedereinweisung in das Krankenhaus, der Übergang in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung, lange Zeiten der Rekonvaleszenz, die Überforderung der häuslichen Pflegeumgebung, hohe psychische und körperliche Belastungen sowie die Chronifizierung gesundheitlicher Beeinträchtigungen.

Abb. 1.1: Risiko und Bedarf an Überleitung

Das Entlassungsmanagement soll einen Beitrag dazu leisten, diese unerwünschten Entwicklungen soweit wie möglich zu vermeiden. Das Mittel dazu ist die zielgerichtete Unterstützung des Patienten und ggf. seiner Angehörigen bei der Vorbereitung auf die Anforderungen und Probleme, die nach der Krankenhausentlassung anstehen. Ein Patient, der ein erhöhtes Risiko für poststationäre Probleme aufweist, sollte bei der Entlassung alle Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, die er zur Bewältigung der Situation nach der Entlassung benötigt. Ist er selbst damit überfordert, unterstützt ihn das Entlassungsmanagement darin, Hilfe zu mobilisieren und alle Vorbereitungen zu treffen, um eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Lebens- und Versorgungssituation nach der Entlassung sicherzustellen.

1.2       Der Expertenstandard »Entlassungsmanagement in der Pflege«

Der nationale Expertenstandard »Entlassungsmanagement in der Pflege« (DNQP 2004/2009/20194) wurde erstmals Ende des Jahres 2002 der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Mit diesem Standard begann eine neue Phase der Entwicklung des pflegerischen Entlassungsmanagements in Deutschland.

Bis zu diesem Zeitpunkt gab es viele Einzelinitiativen, die sehr unterschiedliche Konzepte und Aufgabenschwerpunkte aufwiesen. Der nationale Expertenstandard schreibt zwar kein bestimmtes Konzept vor, er definiert aber eine Reihe von Kernaufgaben und Bausteinen des Entlassungsmanagements, durch die sich eine gewisse Vereinheitlichung und eine Grundlage für die professionelle Weiterentwicklung dieses Arbeitsfeldes ergaben. Denn die Bestandteile, die der Standard vorgibt, gelten international als Kennzeichen eines professionellen pflegerischen Entlassungsmanagements.

Es handelte sich um den zweiten nationalen Expertenstandard, der im Rahmen der Aktivitäten des »Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege« (DNQP) entwickelt wurde. Der erste Standard griff mit der Dekubitusprophylaxe ein völlig anderes Thema auf. Es folgten weitere Standards zur Sturzprophylaxe, zum pflegerischen Schmerzmanagement, zur Förderung der Harnkontinenz, zum Ernährungsmanagement und zum Thema Wundmanagement.

Die Expertenstandards galten zunächst als professionelle Vorgaben für das Versorgungshandeln in der Pflege, die zwar rechtlich eine gewisse Bedeutung haben, zunächst aber nicht rechtlich verpflichtend waren. Dies hat sich seit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz im Jahr 2008 verändert. Im Bereich der Pflegeversicherung sind die nationalen Expertenstandards jetzt auch als rechtlich verbindlich anzusehen. Für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen, die nach den Maßgaben der Pflegeversicherung finanziert werden, hat die Bedeutung der Standards auch deshalb stark zugenommen, weil sie von den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung als Maßstab zur Beurteilung der Qualität einer Einrichtung herangezogen werden.

Der Expertenstandard zum pflegerischen Entlassungsmanagement fällt etwas aus dem Rahmen. Er bezieht sich auf eine pflegerische Aufgabe, die im Unterschied zu anderen Aufgaben (wie der Dekubitusprophylaxe) nicht in allen Versorgungsbereichen eine Bedeutung hat. Er ist entwickelt worden für die Anwendung in der Krankenhausversorgung (einschließlich Rehabilitationskliniken), nicht für Pflegeeinrichtungen. Die einzelnen Handlungsvorgaben des Standards beziehen sich dementsprechend auf Strukturen des Krankenhauses. Die anderen Themen, die von den Expertenstandards aufgegriffen werden, sind dagegen für alle Versorgungsbereiche relevant.

Zum Verständnis des Expertenstandards ist es wichtig, die Grundlagen der Standardentwicklung beim deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung zu berücksichtigen (Schiemann et al. 2017). Charakteristisch ist, dass die Standards wichtige und vor allem auch häufig vorkommende Probleme und Risiken aus dem Bereich der pflegerischen Versorgung aufgreifen. Sie gelten zunächst nur für die Berufsgruppe der Pflegenden und sind insofern keine berufsgruppenübergreifenden Handlungsleitlinien. Ein weiteres gemeinsames Merkmal aller Expertenstandards besteht darin, dass sie komplexe pflegerische Handlungsfelder bzw. Aufgaben aufgreifen. Es geht also nicht um eine einzelne Maßnahme (beispielsweise im Bereich der Hautpflege), sondern immer um Aufgabenbündel, die verschiedene Einzelaufgaben (pflegerische Einschätzung, Maßnahmenplanung, Beratung und Anleitung, Durchführungskontrolle etc.) in sich vereinen.

Die Standardentwicklung erfolgt nach einem ganz bestimmten Muster und immer in Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis. Hierzu wird für jeden Standard eine Expertengruppe einberufen, in der Personen vertreten sind, die sich mit dem jeweiligen Thema intensiv auseinandergesetzt haben – entweder im Bereich der wissenschaftlichen Forschung oder in der Praxis. Obligatorisch ist auch eine ausgedehnte Analyse von Forschungsergebnissen zur jeweiligen Thematik. Die Standards beanspruchen, stets auf dem aktuellen Stand des Wissens zu sein. Die Vorgaben und Empfehlungen, die sie enthalten, beruhen auf einer sorgfältigen Prüfung von Forschungsergebnissen. Damit soll u. a. erreicht werden, dass die in den Standards enthaltenen Vorgaben dem Bedarf der Patienten entsprechen und die Maßnahmen, die vorgeschrieben oder empfohlen werden, tatsächlich die geplante Wirkung auf die Patienten haben.

Allen pflegerischen Expertenstandards gemeinsam ist schließlich, dass sie im Rahmen eines formalen Prozesses von der pflegerischen Fachöffentlichkeit diskutiert und konsentiert werden. Außerdem erfolgt eine praktische Erprobung zur Überprüfung der Frage, ob die Vorgaben eines Standards unter den Bedingungen der Praxis auch tatsächlich umsetzbar sind und wo ggf. eine Optimierung erforderlich ist.

Faktisch haben die Expertenstandards in der Praxis eine große Bedeutung und Verbindlichkeit erlangt. Der Standard zum Entlassungsmanagement weist allerdings auch in dieser Hinsicht eine gewisse Besonderheit auf. Eine Überprüfung der Frage, ob ein Krankenhaus entsprechend der Vorgaben des Standards ein Entlassungsmanagement installiert hat, findet nicht statt. Der Druck auf die Krankenhäuser, den Standard umzusetzen, ist daher bei weitem nicht so groß wie der Druck auf Pflegeeinrichtungen, deren Qualität durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen bzw. durch den Prüfdienst der Privaten Krankenversicherung geprüft wird. Die Sicherstellung des Entlassungsmanagements im Allgemeinen hat zwar durch die Gesetzgebung und den »Rahmenvertrag Entlassmanagement« ( Kap. 1.4) an Verbindlichkeit gewonnen, doch blieb den Krankenhäusern nach wie vor sehr viel Spielraum, vom Expertenstandard abzuweichen.

Der Aufbau des Entlassungsmanagements, den der Expertenstandard vorgibt, lehnt sich stark an die in anderen Ländern vorzufindenden Konzepte an. Dies gilt auch für die formale Darstellung des Arbeitsprozesses, der stark an die Struktur des Pflegeprozesses erinnert. Formal gesehen beinhaltet das Entlassungsmanagement alle Arbeitsschritte, die auch in den verschiedenen Stufen des Pflegeprozesses vorgesehen sind.

Die Kernaussagen über das angestrebte Entlassungsmanagement finden sich in einer stark zusammengefassten, tabellarischen Darstellung, die die Ebenen Struktur, Prozess und Ergebnisse unterscheidet:

•  Auf der Ebene »Struktur« werden diejenigen organisatorischen, methodischen und personellen Voraussetzungen aufgeführt, die zur Durchführung des professionellen Entlassungsmanagements erforderlich sind.

•  Die Ebene »Prozess« ist für die Umsetzung des Entlassungsmanagements die wichtigste Ebene, weil hier beschrieben wird, welche Aufgaben zum pflegerischen Entlassungsmanagement dazugehören und wie sie aufeinander aufbauen.

•  Die Ebene »Ergebnisse« beschreibt die Ziele und angestrebten Endpunkte des jeweiligen Prozesses. Ebenso wie bei den anderen Standards handelt es sich allerdings nicht um klassische Kriterien für Ergebnisqualität, sondern eher um Handlungsendpunkte. Zu den Ergebnissen zählt beispielsweise, dass den Patienten und Angehörigen eine Beratung angeboten worden ist. Manche der auf dieser Ebene angesiedelten Punkte würden in anderen Zusammenhängen eher der Prozessebene zugeordnet.

Die folgende Übersicht ( Kasten 1.1) beschreibt das pflegerische Entlassungsmanagement nach den Maßgaben des Standards, wobei aus Gründen der Übersichtlichkeit die Ausführungen zur Ebene »Prozess« zugrunde gelegt wurden.

Kasten 1.1: Bausteine des pflegerischen Entlassungsmanagements

P1: Assessment (Risikoscreening und differenzierte Einschätzung)

•  Durchführung einer ersten Einschätzung (initiales Assessment, Risikoscreening) bei allen im Krankenhaus aufgenommenen Patienten, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die voraussichtlich Unterstützungsbedarf in Form des pflegerischen Entlassungsmanagements haben. Die Einschätzung soll innerhalb von 24 Stunden nach der Krankenhausaufnahme vorgenommen und ggf. im Verlauf des Krankenhausaufenthalts aktualisiert werden (wenn sich beispielsweise neue Erkenntnisse ergeben, die einen Bedarf vermuten lassen).

•  Die Durchführung einer differenzierten Einschätzung dient zur Beantwortung der Frage, welche Probleme beim jeweiligen Patienten zu berücksichtigen sind und welche konkrete Unterstützung er oder seine Angehörigen benötigen.

P2: Entwicklung einer individuellen Maßnahmenplanung

Auf der Grundlage des Assessments wird in Abstimmung mit Patienten, Angehörigen und anderen beteiligten Mitarbeitern festgelegt, was alles getan werden soll, um einen reibungslosen Übergang in die neue Versorgungssituation sicherzustellen. Die Maßnahmenplanung richtet sich zum einen danach, welche Unterstützung die Patienten und Angehörigen während des Krankenhausaufenthalts durch andere Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Therapeuten, Ärzte etc. erhalten sollen. Zum anderen wird festgelegt, welche Vorbereitungen für die Situation nach der Entlassung zu treffen sind.

P3/P4: Durchführung

Die Durchführung umfasst zwei wichtige Handlungsfelder:

•  die direkte Unterstützung des Patienten und ggf. seiner Angehörigen durch Beratung, Anleitung und Schulung,

•  diverse Arbeiten im Bereich der Koordination und Kommunikation, wozu insbesondere die Weiterleitung von Informationen, organisatorische Absprachen, die Leistungserschließung (Antragstellung, Kontaktaufnahme zu anderen Einrichtungen) und auch die direkte Kommunikation zur Entscheidungsfindung zählen. Der Standard hebt hervor, dass den Mitarbeitern anderer Einrichtungen eine direkte Übergabe im Krankenhaus (unter Einbeziehung des Patienten und ggf. seiner Angehörigen) angeboten werden soll.

P5/P6: Überprüfung des Stands der Umsetzung

Spätestens 24 Stunden vor der Entlassung sollen alle Vorbereitungen noch einmal überprüft werden, um etwaige Probleme früh genug zu erkennen und zu bearbeiten bzw. die konkrete Maßnahmenplanung noch einmal anzupassen. Eine zweite Überprüfung soll nach den Vorgaben des Standards innerhalb von 48–72 Stunden nach der Entlassung folgen. Sie erfolgt durch eine Kontaktaufnahme mit dem Patienten und/oder seinen Angehörigen oder, beispielsweise bei demenziell erkrankten Heimbewohnern, mit der Einrichtung. Bei Bedarf wird das Entlassungsmanagement – im Rahmen seiner nunmehr recht eingeschränkten Möglichkeiten – noch ein letztes Mal tätig, um bei der Lösung unvorhergesehener Probleme mitzuwirken.

Diese Bausteine des pflegerischen Entlassungsmanagements werden im Hinblick auf ihre Funktionen und ihre inhaltliche Ausgestaltung näher beschrieben, der Standard verzichtet allerdings auf ganz konkrete Festlegungen. Er schreibt weder ein bestimmtes Organisationskonzept noch bestimmte Einschätzungsinstrumente vor. Anders gesagt: Der Standard beschreibt, welche Aufgaben dem pflegerischen Entlassungsmanagement zuzurechnen und welche Strukturen erforderlich sind, aber bei der Umsetzung müssen alle Bausteine von den Krankenhäusern selbst noch einmal durchdacht, konkretisiert und im Detail ausgearbeitet werden. Dazu gehören vor allem die Entscheidung für eine bestimmte Organisationsform, die Definition von Kriterien für das initiale Assessment und die Entwicklung und Umsetzung von Anleitungskonzepten.

Damit lässt der Standard den Krankenhäusern recht viel Spielraum, ein Konzept zu entwickeln, das auf ihre besonderen Organisationsstrukturen, ihre Patienten und die verfügbaren Ressourcen zugeschnitten ist. Dies kann den Umgang mit dem Standard einerseits erleichtern. Andererseits hat das Fehlen von Festlegungen zur Konsequenz, dass die Krankenhäuser bzw. die dort zuständigen Mitarbeiter selbst eine ganze Reihe von Entwicklungsarbeiten leisten müssen. Diese Arbeiten betreffen nicht allein den Zuständigkeitsbereich der Pflege, es bedarf auch vieler Absprachen mit anderen Berufsgruppen, insbesondere mit den Ärzten und den Mitarbeitern des Krankenhaussozialdienstes. Der Aufbau eines professionellen pflegerischen Entlassungsmanagements ist daher im Regelfall nicht innerhalb von ein oder zwei Monaten zu leisten.

Die wichtigsten Bereiche, in denen die Krankenhäuser Festlegungen treffen und Entwicklungsarbeiten leisten müssen, sind:

•  Festlegung eines Organisationskonzepts, mit dem definiert wird, wer für das pflegerische Entlassungsmanagement zuständig ist,

•  Arbeitsteilung und Formen der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Berufsgruppen und den einzelnen Arbeitsbereichen (Fachabteilungen, Stationen) im Krankenhaus,

•  Kriterien und Instrumente für das Assessment,

•  Arbeitsmaterialien für den Alltag, insbesondere Dokumentationsinstrumente, mit denen beispielsweise die individuelle Maßnahmenplanung festgehalten werden kann,

•  Konzepte und Arbeitshilfen für die Durchführung einzelner Schritte des Entlassungsmanagements, insbesondere für die Durchführung von Beratung und Anleitung.

Für diese Entwicklungsarbeiten existiert inzwischen reichhaltiges Material bei den Stellen, die das pflegerische Entlassungsmanagement schon seit vielen Jahren erfolgreich betreiben. Allerdings ist es empfehlenswert, Ansätze und Erfahrungen anderer Krankenhäuser kritisch zu prüfen und auf die Grenzen der Übertragbarkeit zu achten. Das gilt z. B. für Dokumentationsinstrumente oder Assessmentbögen, die in der Praxis des Entlassungsmanagements verwendet werden. Denn verglichen mit anderen pflegerischen Arbeitsfeldern ist das Entlassungsmanagement noch ein sehr junges Aufgabengebiet. Es wird noch immer viel experimentiert, und systematische Darstellungen von Erfahrungen gibt es bislang nur selten. Nicht alle Konzepte und Instrumente, die man in der Praxis vorfindet, sind empfehlenswert. Für ihre Prüfung und Anpassung sollte daher genügend Zeit eingeplant werden.

Es ist außerdem wichtig, dass beim Aufbau oder bei der Weiterentwicklung von pflegerischem Entlassungsmanagement auf Qualität geachtet wird. Bei Innovationen, die eine große Herausforderung darstellen, tendieren manche Krankenhäuser eher zu bequemen Lösungen. Das ist verständlich, weil heute die Ressourcen für alle Arbeitsbereiche in den Krankenhäusern knapp sind. Vermieden werden sollte aber auf jeden Fall, ein Entlassungsmanagement auf niedrigem Qualitätsniveau zu entwickeln. In dem durch Wettbewerb gekennzeichneten Gesundheitsbereich ist es manchmal einfacher, plakative, beeindruckende Formen der Außendarstellung mit modernen Medien zu entwickeln als die Kernprozesse in der Patientenversorgung zu verbessern. Kliniken sollten sich also lieber etwas mehr Zeit nehmen und die für sie anstehenden Entscheidungen oder Entwicklungsarbeiten sorgfältig vorbereiten.

Der Expertenstandard ist im Jahr 2009 in einer aktualisierten Fassung erschienen. Weitreichende Veränderungen gab es dabei nicht, sie blieben im Großen und Ganzen auf Konkretisierungen und die Klarstellung von möglichen Missverständnissen beschränkt. So enthielt der 2009 veröffentlichte Standard eine deutlichere Empfehlung für die Wahl zentralisierter Organisationsformen des Entlassungsmanagements, womit er dem aktuellen Stand der Forschung Rechnung trug. Der Risikogedanke, der für das professionelle Entlassungsmanagement charakteristisch ist, wurde ebenfalls stärker herausgearbeitet, und frühere Empfehlungen von Einschätzungsinstrumenten, die nicht für das Entlassungsmanagement entwickelt wurden, waren nicht mehr enthalten.

Im Jahr 2019 erschien eine nochmals überarbeitete Fassung des Standards. Auch in diesem Falle gab es keine substantiellen Änderungen an den Vorgaben des Standards für die Entlassung aus dem Krankenhaus. Allerdings führte auch diese Aktualisierung zu einigen neuen Akzenten. Die Bereitschaft der Patienten und auch der Angehörigen zur Krankenhausentlassung soll nach den Vorstellungen der Expertengruppe, die über die Aktualisierung des Standards entschieden hat, bei der Planung und Durchführung der Krankenhausentlassung, vor allem bei der Wahl des Entlassungszeitpunkts, besonders beachtet werden. Betont wird außerdem, dass auch bei internen Verlegungen die Versorgungskontinuität sichergestellt sein müsse.

Auffallend sind jedoch mehrere Unschärfen und offene Fragen, die in der zuletzt aktualisierten Fassung des Standards zum Teil durch Formulierungsschwächen, zum Teil durch angedeutete, aber nicht konkretisierte Hinweise in Detailfragen entstanden sind. Mitunter werden Begriffe nicht korrekt benutzt. »Transition« beispielsweise ist ein wichtiger Begriff aus Pflegetheorien und der sozialwissenschaftlichen Forschung, der weitreichende Veränderungen im Lebensverlauf bezeichnet (Meleis 2010, Wingenfeld 2005). Im aktualisierten Standard wird jedoch jeder Patiententransfer, z. B. die Verlegung zwischen zwei Krankenhausstationen, fälschlicherweise als Transition bezeichnet (DNQP 2019: 22). Krankenhausentlassung und interne Verlegung werden, wenn es um die Beschreibung von Schritten des Entlassungsmanagements geht, häufig in einem Atemzug genannt. Aber natürlich kann nicht gemeint sein, dass bei jeder internen Verlegung der komplette Prozess des Entlassungsmanagements vollzogen werden sollte, was zur unsinnigen Dopplung von Prozessen führen würde. Leider erweckt der Text gelegentlich diesen Anschein. Manche Probleme sind offenkundig auch bei der redaktionellen Bearbeitung übersehen worden.

Den Einrichtungen und Mitarbeitern, die mit dem Standard arbeiten wollen, sei empfohlen, sich durch diese Probleme nicht irritieren zu lassen und sich an die Kernaussagen des Standards zu halten. Aufgrund der Unschärfen bei den Formulierungen ist es aber im Falle dieser zweiten Aktualisierung besonders ratsam, den Text des Standards kritisch zu prüfen.

1.3       Handlungsgrundsätze

Pflegerisches Entlassungsmanagement beruht auf mehreren Handlungsgrundsätzen, die für die Konzeptentwicklung, aber auch für den Arbeitsalltag sehr wichtig sind ( Kasten 1.2). Sie gelten in der internationalen Diskussion als wesentliche Kennzeichen eines professionellen Entlassungsmanagements. Die Einhaltung dieser Grundsätze ist eine wichtige Voraussetzung, nachhaltige Wirkungen zu erzielen.

Kasten 1.2: Handlungsgrundsätze im pflegerischen Entlassungsmanagement

1.  Patientenorientierung

2.  Einbeziehung der Angehörigen

3.  Multidisziplinarität

4.  Entlassungsmanagement als pflegerische Aufgabe

5.  Ziel ist die Reduzierung des Risikos poststationärer Probleme

6.  Entlassungsmanagement beginnt mit der Aufnahme des Patienten

7.  Entlassungsmanagement verläuft wie der Pflegeprozess

8.  Überbrückung von Versorgungsbereichen

Patientenorientierung

Aufgrund vieler negativer Erfahrungen von Patienten und Angehörigen wird der Grundsatz der Patientenorientierung in der internationalen Diskussion um das Entlassungsmanagement stark betont. Denn im Arbeitsalltag ist es nicht unbedingt selbstverständlich, die Belange der Patienten an die erste Stelle zu setzen. Der Druck, einen möglichst reibungslosen Betriebsablauf zu gewährleisten und Kosten zu minimieren, ist in vielen Krankenhäusern sehr stark und legt manchmal andere Prioritätensetzungen nahe.

Der Grundsatz der Patientenorientierung spricht u. a. drei Aspekte des Entlassungsmanagements an:

•  Berücksichtigung des Lebensalltags: Pflegerisches Entlassungsmanagement ist in erster Linie Unterstützung des Patienten. Das erfordert, die Lebenssituation des Patienten und seiner Angehörigen umfassend einzuschätzen und auch der Frage nachzugehen, welche Probleme im Lebensalltag auftreten könnten und wie sie sich verhindern oder lösen lassen. Es geht also nicht allein um die Sicherstellung der Anschlussversorgung.

•   Patientenperspektive beachten: Die Problemsicht und die Prioritätensetzungen von Patienten und Pflegenden, Ärzten oder anderen Mitarbeitern ist häufig nicht identisch. Dies sollte immer wieder bewusst gemacht werden, um zu vermeiden, am Patienten vorbei zu arbeiten. Die Art und Weise der Weiterversorgung beispielsweise, die aus fachlicher Sicht nach der Entlassung einsetzen sollte, kann den Vorstellungen des Patienten und der Angehörigen widersprechen. Patienten geben auch nicht immer zu erkennen, was sie beschäftigt, weil sie meinen, das Krankenhaus sei für ihre »privaten« Probleme nicht zuständig. Zeit für Gespräche und Sensibilität sind erforderlich, um die Situation des Patienten, so wie er sie sieht, und die aus seiner Sicht vordringlichen Aufgaben zu erkennen.

•  Selbstbestimmung: Patienten (und Angehörige) entscheiden in allen wesentlichen Fragen. Die für das Entlassungsmanagement zuständigen Mitarbeiter müssen die hierzu erforderlichen Voraussetzungen schaffen, vor allem für Transparenz sorgen und die Patienten und Angehörigen in alle Schritte des Entlassungsmanagements einbeziehen. Das schließt auch den Entlassungstermin ein. Die zeitliche Planung der Entlassung sollte nicht ohne Absprache mit ihnen erfolgen. Situationen, in denen Patienten und Angehörige erst am Tag zuvor oder sogar erst am gleichen Tag von ihrer Entlassung erfahren, müssen soweit wie möglich vermieden werden.

Einbeziehung der Angehörigen

Die Angehörigen verdienen bei der Vorbereitung der Entlassung mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit wie der Patient selbst (Shyu 2000). In vielen Fällen sind sie sogar mehr als der Patient diejenigen Personen, mit denen Einzelheiten besprochen und Festlegungen für später abgestimmt werden. Dazu kommt es vor allem dann, wenn der Patient aufgrund seiner Erkrankung oder therapiebedingter Belastungen gar nicht in der Lage ist, sich mit der Frage »Was kommt nach der Entlassung?« auseinanderzusetzen.

Beim Entlassungsmanagement kommt den Angehörigen eine Doppelrolle zu. Sie sind erstens Kooperationspartner, mit denen viele Einzelheiten der Entlassungsplanung und der Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt besprochen werden, ebenso viele Entscheidungen, die noch während des Krankenhausaufenthalts getroffen werden müssen. Sie sind zweitens aber auch Adressaten von Hilfen durch das Entlassungsmanagement, weil sie möglicherweise Versorgungsverantwortung in der poststationären Phase übernehmen und zur Vorbereitung auf diese Situation Unterstützung benötigen. Deshalb sollte sich das Assessment auch auf die Situation der Angehörigen beziehen.

Multidisziplinarität

In der internationalen Diskussion herrscht Einigkeit darüber, dass das Entlassungsmanagement eine multidisziplinäre Aufgabe darstellt. Das bedeutet, dass alle Berufsgruppen im Krankenhaus, die an der Versorgung des Patienten beteiligt sind, einen Teil der Verantwortung für die fachgerechte Überleitung tragen. Dazu zählt

•  bei den Pflegenden: z. B. die Einschätzung des Bedarfs an pflegerischen Maßnahmen in der Zeit nach der Entlassung und die Übermittlung pflegebezogener Informationen an Personen oder Einrichtungen, die an der poststationären Versorgung beteiligt sind.

•  bei den Ärzten: z. B. die Aufklärung des Patienten über die Erkrankung und Krankheitssymptome, die möglicherweise erst nach der Entlassung auftreten, oder die Übermittlung medizinisch relevanter Informationen an die niedergelassenen Ärzte.

•  bei den sozialen Berufen: z. B. die Einschätzung etwaiger Probleme bei der Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen oder der Fortführung der Berufstätigkeit.

•  bei den therapeutischen Berufen: z. B. die Dokumentation der Maßnahmen, die während des Krankenhausaufenthalts begonnen wurden, aber danach fortgesetzt werden müssen, um den gewünschten Erfolg zu erreichen.