Über Mary Ann Fox

Mary Ann Fox, Jahrgang 1978, verdiente sich ihr erstes Geld in einer Gärtnerei. Der Liebe wegen ging sie nach dem Studium nach England und arbeitete dort als Fremdenführerin, als Deutschlehrerin und dann im Botanischen Garten in Oxford. Sie arbeitet und lebt mittlerweile in Hamburg-Altona.

Informationen zum Buch

Zwei Krimis von Mary Ann Fox in einem E-Book!

Je tiefer man gräbt.

In Rosehaven, einem malerischen Dorf inmitten blühender Gärten und versteckter Buchten, macht Mags sich als Gärtnerin selbständig. Sie soll Besucher durch den prachtvollen Garten eines alten Herrenhauses führen, aus dem vor Jahren eine Frau spurlos verschwunden ist. Bei einem der Rundgänge macht Mags eine grausame Entdeckung: Unter den blühenden Hortensien stößt sie auf menschliche Knochen. Als sich herausstellt, dass sie zu der verschwundenen Frau gehören, gerät auch Mags in Lebensgefahr.

Herrenhäuser, Scones und Steilküsten – ein Kriminalroman voll südenglischem Flair

Je dunkler das Grab.

Die junge Gärtnerin Mags Blake wird von dem Historiker Sam Hawthorn um Hilfe gebeten. Er arbeitet an einer Festschrift über die Klosterinsel St. Michael’s Mount, und Mags soll ein Kapitel über die Gärten der Insel schreiben. Bei ihren Recherchen stößt sie in einer Kapelle auf die nackte Leiche eines alten Mannes – niemand scheint ihn zu kennen. Als ein Freund von Mags unter Verdacht gerät, mischt sie sich mit Sam in die Ermittlungen ein. Dabei stoßen sie auf ein jahrzehntealtes Geheimnis. Und zwischen den beiden knistert es gewaltig …

Cornwall, Crime and a Cup of Tea. Eine liebenswerte Heldin ermittelt vor der atemberaubenden Kulisse Cornwalls.

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Mary Ann Fox

Je tiefer man gräbt

Ein Cornwall-Krimi

Inhaltsübersicht

Über Mary Ann Fox

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Je tiefer man gräbt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Je dunkler das Grab

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Informationen zu St. Michael’s Mount

Impressum

Impressum

ISBN 978-3-8412-2482-8

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Juni 2020

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die Originalausgaben der beiden Titel erschienen 2018 ("Je tiefer man gräbt") und 2019 ("Je dunkler das Grab") bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

unter Verwendung mehrere Motive von ©AndyRoland, desifoto, valentinrussanov, Pobytov/gettyimages

E-Book Konvertierung: Zeilenwert GmbH, www.zeilenwert.de

www.aufbau-verlag.de

The autumn air is clear,

The autumn moon is bright.

Fallen leaves gather and scatter,

The jackdaw perches and starts anew.

We think of each other – when will we meet?

This hour, this night, my feelings are hard.

Li Bai

***

Wie hatte es nur in wenigen Sekunden so nebelig werden können? Mags Blake stand fluchend auf dem schmalen Damm, der bei Ebbe die Klosterinsel St. Michael’s Mount mit dem gut dreihundert Meter entfernten Festland verband, und merkte mit einem Schaudern, wie ihr bereits das Wasser der nahenden Flut über ihre heißgeliebten Chucks schwappte. Das war nicht gut. Das war wirklich nicht gut. Mags, an der Küste Cornwalls aufgewachsen, kannte das Meer und seine Gezeiten. Sie kannte die Gefahren – und war trotzdem wie einer dieser gedankenlosen Touristen einfach losgegangen. Im September. In der Dämmerung. Und schuld war nur Sam, wer auch sonst.

Sie atmete tief durch. Der mittelalterliche Damm mit seinen vom Wasser glatt geschliffenen Pflastersteinen ragte bei Ebbe vielleicht einen Meter aus dem Grund. Er verlief in einer leichten Kurve leicht steigend bis zur Insel. Mags wusste das, sie war schon einmal hier gewesen. Ihr Heimatdorf Rosehaven lag nur eine Stunde Fahrt mit dem Auto entfernt, und ihr Vater hatte sie schon als Kind in den Garten mitgenommen, der sich an den Hang schmiegt.

Aber zwischen dem Ahnen, wie ein Weg verlief, und dem Sehenkönnen, wo genau er verlief, lag ein großer Unterschied.

Sie musste sich entscheiden. Eine Drehung um hundertachtzig Grad, um wieder zurück nach Marizion zu gehen, dort die nassen Schuhe auszuziehen und in ihrem betagten VW-Transporter zurück nach Rosehaven zu fahren. Sie würde es sich mit einer Tasse Tee und einem Stück Kuchen in ihrem Lieblingssessel bequem machen.

Oder sie könnte weiter geradeaus laufen, um auf der Insel Sam zu treffen, der ihre nassen Füße und ihre mittlerweile vom feuchten Nebel wild gelockten Haare sicherlich mit seinem typischen ironischen Lächeln begutachten würde.

Sam Hawthorn und sein Lächeln.

Nach den Ereignissen im Sommer war er nach Oxford verschwunden und hatte sich bis auf zwei alberne Postkarten nicht gemeldet. Bis heute Morgen, als Mags vom Klingeln ihres Telefons wach geworden war. Bevor sie sich fluchend aus dem Schlaf und dann aus ihrem Bett befreien konnte, war schon das Band angesprungen. Sams Stimme ertönte:

»Mags? Ich bin es, Sam. Ich bin auf St. Michael’s Mount und könnte hier deine Hilfe gebrauchen. Kannst du kommen? Bitte.«

Bevor sie das Telefon erreichte, hatte er schon aufgelegt. Keine Nummer hinterlassen, keine Zeit genannt. Einfach nur: Komm. Sie hatte sich fest vorgenommen, seine Nachricht zu ignorieren, da ohnehin viel zu tun war. Sie führte ihr eigenes Unternehmen, den Evergreen Garden Service. Sie hatte gut zu tun, das wusste Sam auch. Sie konnte nicht einfach so alles stehen und liegen lassen, nur weil er sie darum bat. Verdammt.

Seufzend setzte sie weiter einen Fuß vor den anderen. Die Insel konnte nur noch wenige Meter entfernt sein, durch den Nebel sah sie ein schwaches Leuchten. Sicherlich die Lichter der Hafenhäuser. Wenn sie sich richtig erinnerte, gab es dort einen kleinen Pub für die Touristen. Der Gedanke an ein Bier und einen warmen Platz am Feuer  – und jeder Pub in Cornwall, der etwas auf sich hielt, hatte eine Feuerstelle – ließ sie ihre Schritte beschleunigen. Sie merkte, wie der Weg langsam steiler wurde und ihre Füße nicht länger durch Wasser gingen. Gleich hatte sie es geschafft.

Erleichtert atmete sie auf, als sie plötzlich mit dem Fuß gegen etwas Weiches stieß. Erschrocken trat sie einen Schritt zur Seite und merkte zu spät, dass sie dem Rand des Dammes gefährlich nahe gekommen war. Mags strauchelte, konnte ihr Gleichgewicht nicht halten und fiel. Sie spürte, wie ihr Kopf gegen etwas Hartes krachte, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

1

»Was in aller Welt hattest du dort draußen zu suchen?«

Mags stöhnte und rückte behutsam den Eisbeutel an ihrem Kopf zurecht, den ihr die Wirtin des Pubs gereicht hatte.

»Wenn Adam nicht durch Zufall selbst draußen gewesen wäre, dann wärst du ertrunken!«

Sams Stimme dröhnte in ihren Ohren.

Unter einem vorwurfsvollen und zugegebenermaßen auch sehr besorgten Blick hielt er ihr erneut drei Finger vor die Augen.

»Wie viele Finger?«

Mags stöhnte auf.

»Sam, drei! Drei Finger. Ich habe mir eine dicke Beule und wahrscheinlich eine Erkältung eingehandelt, aber ich habe keine Gehirnerschütterung.«

Sie zog die dicke Wolldecke noch etwas fester um sich und rutschte näher an das Feuer.

Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Sam Hawthorn, der etwas schlaksige Mann mit seiner unvermeidlichen Cordhose, sich besorgt im Pub umblickte. Er war Historiker an der Universität Oxford und anscheinend mal wieder dabei, Material für sein Steckenpferd, die Geschichte Cornwalls, zu sammeln. Sie hatte ihn im Sommer im Haus der Familie Williams kennengelernt. Bei dem Gedanken an ihr erstes Treffen musste sie lächeln, was sie allerdings schmerzhaft an die Beule an ihrem Kopf erinnerte. Sie hatte sich eines Morgens heimlich in den herrschaftlichen Garten des Landsitzes geschlichen, auf dem Sam zu Gast war. Er hatte sie im Garten gesehen und es geschafft, sie innerhalb weniger Sekunden zur Weißglut zu bringen. Das schaffte er immer. Sie wusste mittlerweile, dass sich hinter seinem leicht blasierten Tonfall eher Unsicherheit als Arroganz versteckte, aber trotzdem: Sam blieb Sam, und sie war sich nicht sicher, was sie von seinem Interesse an ihr halten sollte.

Die Tage im Garten von The Shelter waren tragisch gewesen und hatten für Mags mit einer lebensbedrohlichen Situation geendet. Sie hatte damals in der Nacht auf den Klippen ein weiteres Stück ihrer ohnehin schon geringen Unbeschwertheit verloren.

Seufzend lehnte sie sich zurück und blickte sich in dem holzvertäfelten Innenraum des Pubs um.

Der Tresen schien aus einem einzigen langen Stück Eichenholz gezimmert zu sein, an den Wänden hingen gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos von Fischerbooten und ihren Besatzungen. Hinter dem Tresen standen blank polierte Flaschen in Reih und Glied. Die dunkle Decke war niedrig und vom Feuer der letzten Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte geschwärzt.

Elsa Sands, die Wirtin, war vielleicht fünfzehn Jahre älter als Mags selbst und war wie eine aufgescheuchte Glucke um Mags geschwirrt, nachdem sie in den Pub getragen worden war. Sie hatte Mags in eines der Gästezimmer gebracht, sie in Sekunden ausgezogen und unter eine heiße Dusche gestellt, danach mit einem flauschigen Handtuch abgerubbelt und in einen ausgebleichten Schlafanzug und eine Decke gepackt und sie so vor den Kamin gesetzt. Vor ihr stand eine Tasse Tee mit einem ordentlichen Schuss Whisky, und sie hatte das Gefühl, gleich aus den Ohren zu dampfen.

Sie erinnerte sich an ihren Sturz und einen scharfen Schmerz, und dann war sie, nass bis auf die Knochen, in den Armen eines Riesen aufgewacht.

Nicht eines wirklichen Riesens, nein, aber in den Armen eines der größten Männer, die sie je gesehen hatte.

Bevor sie ihn etwas hatte fragen können, war er schon geduckt durch die Tür in den Pub getreten. Ihr Eintreten hatte die Gespräche am Tresen für einige Sekunden verstummen lassen. Dann waren alle auf sie zugestürmt, Mags hatte einen kurzen Blick auf Sams vertrautes Gesicht werfen können, bevor Elsa sie unter ihre Fittiche genommen hatte.

Sams Stimme holte sie zurück.

»Also noch mal: Was in Teufels Namen hattest du da draußen zu suchen? Ich dachte wirklich, dass du vernünftiger seist als ein ahnungsloser Tourist, der bei Dämmerung und Nebel ins Watt geht.«

»Du hast angerufen und gesagt, dass ich kommen soll.«

Mags hörte sich sprechen, bevor sie ernsthaft über ihre Worte nachgedacht hatte, und biss sich wütend auf die Zunge. Auf Sams Gesicht erschien langsam ein Lächeln, das nach und nach zu einem Grinsen wurde.

»Sieh an.«

Mags schnaubte entrüstet und wollte gerade erklären, dass sie es schon alleine auf die Insel geschafft hätte, aber ein Blick in die besorgten Gesichter um sie herum ließ sie verstummen.

Adam saß am Tresen, lächelte sie an, eine Tasse heiße Milch in der Hand und einen weißen Schnurrbart über seiner Oberlippe. Die Tasse wirkte, als gehörte sie zu einem Puppengeschirr. Mags hatte noch nie einen so großen Mann gesehen. Ohne ihn wäre sie vielleicht wirklich ertrunken.

Schaudernd zog sie die Decke noch enger um sich und machte sich bereit, den immer noch unverschämt grinsenden Sam in seine wohlverdienten Schranken zu weisen. Doch der nahm ihr schon wieder den Wind aus den Segeln.

»Aber du hast recht, ich brauche dich wirklich. Oder vielmehr brauche ich dein Wissen über Gärten.«

Damit hatte Mags nun nicht gerechnet. Natürlich kannte sie die Gärten der Insel. St. Michael’s Mount hatte, seinem vom Festland aus eher felsigen und schroffen Anblick zum Trotz, einen wunderschönen Garten zu bieten. Die Steine der Insel speicherten die Sonnenwärme, die Meeresluft sorgte für ausreichend Feuchtigkeit, und so schmiegten sich die herrlichsten subtropischen Pflanzen in die Nischen und Terrassen der Hänge. Sie war einmal mit ihrem Vater zur Zeit der Lilienblüte auf St. Michael’s Mount gewesen – die Insel war in den Duft von Tausendundeiner Nacht getaucht.

Aber was hatte Sam plötzlich mit Gärten zu tun?

»Ich bin von Timothy, einem meiner Studenten und zugleich dem Erben dieser Insel, gebeten worden, eine Festschrift zum Jubiläum der Stiftung der Insel an den National Trust zu erarbeiten. Du musst wissen, nicht nur die Gärten sind etwas Besonderes. Wenn ich die Quellen richtig deute – und ich bin gespannt, was ich in der Bibliothek der Burg noch alles finde –, dann können wir eine Besiedlung bis ins neunte Jahrhundert zurückverfolgen. Von den Gerüchten über einen Handelsstützpunkt der Phönizier ganz zu schweigen. Wobei dafür schlicht Beweise fehlen. Und seit die Familie von Sir Rupert auf der Insel ist, und das sind ja schlappe vierhundert Jahre, gibt es lückenlose Aufzeichnungen über fast alle Vorgänge. Die Kelten, die Römer, alle waren hier auf der Insel und …«

Mags sah das Leuchten in Sams Augen. Würde sie ihn nicht unterbrechen, könnte er sicherlich Stunden so weitersprechen.

»Sam? Sam, mein Kopf brummt. Warum ich, also warum interessierst du dich für die Gärten?«

Sam schien etwas kämpfen zu müssen, um aus seinem Vortrag wieder in die Gegenwart zurückzukehren. Er blinzelte.

»Ach ja, die Gärten. Eigentlich wollte ich das selbst schreiben, ich meine, es kann ja nicht so schwer sein, ein bisschen über die Pflanzen hier …«

Mags zog die Augenbrauen hoch, aber bevor sie etwas sagen konnte, hob Sam schon abwehrend die Hände.

»Ja, ich weiß. Es ist viel komplizierter als gedacht, und ich habe mich da auch ein wenig verzettelt, und …«

Man konnte ihm ansehen, dass ihm der nächste Satz schwerfiel.

»Und ja, ich weiß einfach viel zu wenig über Gärten, und da der Garten hier ja auch noch so besonders ist … Außerdem gibt es da …«

Sam brach ab.

»Was gibt es da außerdem?«

Sam grinste schon wieder.

»Ich denke, das wirst du morgen schon sehen.«

Das war mal wieder typisch. Zuerst zugeben, dass er Hilfe brauchte, und sich dann aber hinter irgendwelchen Andeutungen verstecken.

»Morgen? Wie kommst du auf die Idee, dass ich morgen noch hier sein werde?«

Mags merkte, wie sich unter den Tee und den Whisky und die Wärme des Feuers langsam eine leichte Wut mischte.

»Sam, ich habe ein Geschäft, falls du es vergessen hast. Kunden, die auf mich warten. Vielleicht ist das in deinen Augen nicht so wichtig wie deine Studien, aber mir schon. Ich kann nicht einfach so morgen wieder herkommen, nur weil du beschlossen hast, dass das so ist.«

Sie merkte, wie sie sich verhaspelte, und wollte gerade weiterschimpfen, als Sam ihr den Wind aus den Segeln nahm.

»Nein, nein. Du sollst ja gar nicht morgen wieder herkommen, du bleibst einfach hier. Elsa hat ein freies Zimmer für dich, und ich habe vorhin bei Miss Clara angerufen, damit sie sich keine Sorgen um dich macht. Sie sagt, dass die Jungs morgen deine Aufträge schon alleine übernehmen werden.«

»Du hast was?«

Mags schnappte nach Luft. Miss Clara war ihre Freundin und außerdem die Vermieterin der alten Gartenscheune, in der sich Mags’ Büro und ihre Wohnung befanden.

»Wie kannst du es wagen …«

Sam war vorsichtshalber einige Schritte zurückgetreten.

»Warte doch erst einmal, bevor du mir den Kopf abreißt. Es ist schon nach neunzehn Uhr, es gibt kein Schiff mehr, das dich zurück nach Marizion fahren würde, und die Ebbe setzt erst in zwei Stunden ein  – und bei Nacht ist es auf dem Damm viel zu gefährlich. Daher dachte ich …«

Mags drehte sich hilfesuchend um, doch auch Elsa schüttelte bedauernd den Kopf.

»Er hat recht, tut mir leid. Im Dunkeln würde ich sowieso niemanden über den Damm gehen lassen. Ich habe vorhin den Ofen angestellt, in einer halben Stunde gibt es Essen. Ein Stew, für das ich eine ganze Flasche von unserem dunklen Bier geopfert habe.«

Mags wollte weiterhin wütend sein, aber das war verdammt schwer, wenn man an einem warmen Feuer saß, eine Tasse Tee in der Hand hielt und der Gedanke an einen hausgemachten Eintopf einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

»Anscheinend bleibt mir keine Wahl, oder?«

***

Die Dunkelheit der Nacht schwand allmählich, und die Sonne schob sich über den Horizont. Die Schatten wichen zurück. Eine Dohle saß auf den Zinnen der Burgmauer und blickte über die Insel.

Früher war es ruhiger gewesen, nur die Fischer und die Burgbewohner hatten hier gelebt. Jetzt kamen immer mehr Menschen, zu Fuß oder mit dem Boot strömten sie am Morgen auf die Insel und verließen sie am Abend wieder. Aber das störte die Dohle nicht. Sie freute sich über die Essensreste, die am Pier und an den Bänken liegen blieben. Dieses Jahr hatte sie kein Nest gebaut. Ihr Partner war im Winter zum Festland geflogen und nicht zurückgekehrt.

Sie war alt, ihre Augen, die als Jungvogel hellblau und später dann in ein warmes Braun übergegangen waren, erstrahlten mittlerweile in einem fast reinen Weiß. Sie würde nie wieder ein Nest bauen.

Vom Hafen konnte sie die leisen Bewegungen des letzten Fischers der Insel hören. Die Möwen machten sich bereit, ihn und sein Schiff bei seiner morgendlichen Arbeit zu begleiten.

Bewegungen ließen die alte Dohle innehalten. Da waren Menschen. Weit unter ihr bewegten sich bei der kleinen Kapelle die Umrisse zweier Körper. Neugierig stieß sie sich von ihrem Platz ab und stieg in einem eleganten Bogen zuerst nach oben, um sich dann leise auf den Boden sinken zu lassen.

Stimmen, leise und gedämpft. Die beiden Menschen gingen in die Kapelle.

Sie wollte schon wieder zu ihrem Aussichtspunkt zurückkehren, als sie einen erstickten Schrei hörte. Neugierig sprang sie näher an die Tür.

2

Mags war wirklich versucht, sich die Decke noch einmal über den Kopf zu ziehen. Bei dem Sturz hatte sie doch mehr blaue Flecken davongetragen, als gedacht. Sie seufzte und wickelte die warme Daunendecke fester um sich. Zu Hause in Rosehaven musste sie meistens früh aufstehen, um das ganze Tagespensum zu schaffen. Der Sommer war zum Glück voll mit Aufträgen gewesen. Sie hatte neue Kunden für ihren Gartenservice gewonnen, was gut war, wirklich gut.

Sie arbeitete gerne und freute sich über jeden Penny, der den Berg an Schulden, den sie auf ihren Schultern trug, schrumpfen ließ. Dabei waren es noch nicht einmal ihre Schulden, oh nein. Arthur, ihr verstorbener Mann, war betrunken mit seinem Auto in voller Geschwindigkeit gegen einen Baum gekracht und hatte ihr hohe Schulden hinterlassen. Sie hatte nach und nach erfahren, wie sehr die nach außen hin so heile und erfolgreiche Fassade seiner Geschäfte sie getäuscht hatte und wie weit seine Probleme tatsächlich reichten. Der Verkauf des Hauses in Amerika, seiner teuren Uhren und Anzüge hatte bei weitem nicht ausgereicht. So war sie, zurück in ihrem Heimatdorf Rosehaven, auch noch gezwungen gewesen, ihr eigenes Elternhaus zu verkaufen, um wenigstens den drängendsten Schulden zu entkommen. Niemand wusste von diesen Schulden, und das sollte auch so bleiben. Sie wollte seinen Eltern, die ihren Sohn nach dessen Tod nach und nach zu einem Heiligen erhoben hatten, die Wahrheit nicht zumuten. Arthur ein Heiliger! Was für ein gemeiner Witz des Schicksals. Trotzdem schwieg sie, seiner Familie zuliebe, und ließ lieber die vielen teils neugierigen, teils gemeinen Spekulationen, warum sie Hab und Haus verkauft hatte, so gut es ging an sich abprallen.

Nur Miss Clara, ihre Vermieterin und Freundin, hatte sich nach und nach alles zusammengereimt und Mags zur Rede gestellt. So kam es, dass sie nun mietfrei in der umgebauten Gartenscheune der ehemaligen Postmeisterin von Rosehaven wohnte und Tag für Tag damit verbrachte, die Gärten anderer Leute anzulegen und zu betreuen. Sie liebte ihre Arbeit und sehnte den Tag herbei, an dem das verdiente Geld in ihrer eigenen Tasche und nicht mehr in den Taschen ihrer Gläubiger verschwinden würde.

Mags schüttelte sich und schlug die warme Decke nun doch mit einem heftigen Schwung zurück. Sie wollte und würde sich den beginnenden Tag nicht mit so finsteren Gedanken verderben. Und wenn sie im Bett liegen bliebe, würden sicherlich nur noch mehr davon auftauchen.

Mit einem leichten Frösteln ging sie zu dem kleinen Fenster und zog den Vorhang zurück. Licht fiel auf den Holzfußboden und ihre nackten Füße. Mags musste erst einmal blinzeln, bevor sie mit einem breiten Grinsen beide Fensterflügel aufstieß.

Das Licht war herrlich, und sie konnte von ihrem Fenster im ersten Stock des Pubs auf den kleinen Hafen der Insel blicken. Es war Flut, und der Geruch von Salzwasser und Tang stieg ihr in die Nase. Ein Fischerboot kehrte wohl gerade, von einem Schwarm Möwen umgeben, zurück und schob sich tuckernd Stück für Stück in die kleine Hafeneinfahrt.

Auch in ihrem Heimatort Rosehaven konnte sie das Meer riechen, aber der kleine Hafen lag geschützt in den Ausläufern des Hellford River. Doch St. Michael’s Mount war den Herbststürmen, die vom Meer kamen, sicherlich ungeschützt ausgesetzt. Wie musste der Wind im Herbst und Winter über der Insel toben!

Die große Gestalt, die auf der Mole stand, war unverwechselbar Adam – und sie sah ihm lächelnd einen Moment dabei zu, wie er auf seinen großen Füßen auf und ab wippte und dem einfahrenden Schiff entgegenblickte. Wahrscheinlich wartete er auf den Fang des Tages, um ihn zu Elsa in die Küche des Pubs zu bringen. Die ersten Touristen würden bald kommen.

Mags versuchte, ihren Kopf weiter aus dem Fenster zu strecken, um noch einen Blick auf den Rest der Insel zu werfen, aber das Fenster war zu klein, und so gab sie auf und beschloss, lieber nach unten in den Gastraum zu gehen. Wenn Adam schon wach war, war es die Wirtin sicherlich auch, und wo eine Wirtin war, war ein Becher mit heißem Tee nicht weit.

Gestern Nacht war sie zu müde und erschöpft gewesen, um sich in dem kleinen Zimmer umzusehen.

Dunkle Balken und ein schwerer Holzboden, der glatt und glänzend unter ihren Füßen lag. Ein bunter geknüpfter Teppich in den Farben der See lag vor dem Bett. Zwei kleine Aquarelle hingen an der Wand, die die Insel zeigten. Der Geruch von Lavendel und Bohnerwachs hing in der Luft.

Nur wo war ihre Kleidung?

Gerade, als sie sich damit abgefunden hatte, wieder mit dem großen Bademantel in den Gastraum zu gehen, klopfte es leise an ihrer Tür.

»Miss Blake?«

Eine sanfte Stimme drang fragend durch die Tür. Das war nicht Elsa, deren lautes Lachen Mags aus dem Gastraum nach oben schallen hörte.

»Ja, herein.«

Die Tür öffnete sich, und zwei große dunkelblaue Augen blickten auf Mags.

»Guten Morgen. Ich bin Julia. Meine Mutter meinte, sie würden sicherlich gerne einen Tee und ihre Kleidung haben.«

Mags hatte so fasziniert auf das vielleicht sechzehnjährige Mädchen geschaut, dass sie die Tasse mit Tee und die saubere und gebügelte Kleidung völlig übersehen hatte.

»Schneewittchen?«

Mags merkte zu spät, dass sie laut gesprochen hatte, und wurde rot.

Doch das Mädchen schien sie nicht gehört zu haben.

»Ich soll Ihnen ausrichten, dass es unten im Gastraum in zehn Minuten Frühstück gibt.«

»Oh, ja. Danke.«

Elsas Tochter also.

Julia Sand war außergewöhnlich schön. Das Gesicht war blass und fein geschnitten, die Augen in einem dunklen Blau und die Haare schimmerten in dem gleichen satten Schwarzbraun wie die ihrer Mutter. Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz. So hatte sich Mags immer die Prinzessinnen im Märchen vorgestellt. Seufzend blickte sie in den Spiegel. Die wilden rotbraunen Locken schienen über Nacht ein Eigenleben entwickelt zu haben und standen ab. Als Mädchen hatte Mags sie immer zu einem dicken Zopf gebunden, um sie zu bändigen. Heute trug sie die Haare kürzer und ließ die Locken Locken sein. Nur bei der Gartenarbeit band sie sie mit einem Tuch zurück oder versteckte sie unter einer Mütze. Auf ihrer in ihren Augen zu breiten Nase leuchteten Sommersprossen auf, die sie als Teenager gehasst hatte und die ihr jetzt oft schlicht unpassend für eine erwachsene Frau erschienen. Ihre Haut, von der Arbeit im Freien bis in den Winter hinein gebräunt, würde nie blass und edel wirken. Sie seufzte wieder. Sie fühlte sich dennoch wohl in ihrer Haut. Mags streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus und machte sich daran, den Morgenmantel gegen Jeans und Turnschuhe zu tauschen.

3

Im Gastraum roch es noch schwach nach dem Feuer der letzten Nacht, aber der leicht erdige und süße Geruch wurde überdeckt von dem Duft frisch gebackenen Brotes, gebratener Eier und Speck.

Mags steckte grade neugierig und hungrig ihre Nase in einen Topf, der auf einer Wärmeplatte auf dem Tresen stand, als sie Sams Stimme hörte.

»Porridge. Es ist verdammt gut, aber es gibt auch Eier und was immer dein Herz begehrt.«

Mags drehte sich um und lächelte den groß gewachsenen Mann an, der im Türrahmen lehnte.

»Kommst du, um mir Gesellschaft zu leisten, oder hattest du Angst, dass ich doch über Nacht die Insel verlassen haben könnte?«

Sam stieß sich vom Türrahmen ab und schlenderte in den Raum, um dicht vor Mags stehen zu bleiben.

»Beides.«

Er griff mit einer schnellen Bewegung an ihr vorbei und steckte sich ein Stück gebratenen Speck in den Mund.

»Und ich frühstücke immer hier.«

Mags merkte, wie sie bei Sams Bewegung die Luft angehalten hatte und trat jetzt genervt von sich selbst einen Schritt zur Seite.

»Aber du wohnst doch auf der Burg, oder?«

»Ja, als Gast von Timothy und seiner Familie. Aber Timothys Mutter, Lady Irene, frühstückt nicht. Timothy ist morgens wie die meisten Teenager in den Ferien nicht vor Mittag aus dem Bett zu bekommen, und Sir Rupert, Timothys Vater, Besitzer und Verwalter von St. Michael’s Mount, hält ein ausgiebiges Frühstück für Zeitverschwendung.«

Sam hatte sich einen Teller vom Tresen genommen und füllte ihn ohne mit der Wimper zu zucken bis zum Rand voll.

»Außerdem habe ich hier Gesellschaft von der Frau meines Herzens.«

Mags blickte mit großen Augen auf, sah dann aber, wie Sam in Richtung der großen zweiflügeligen Tür zur Küche blickte und jemandem zulachte.

Elsa Sands, die Hände in die Hüften gestemmt, lachte ebenfalls und kam herüber zu den beiden.

»Du bist ein fürchterlicher Charmeur, und ich würde ja wirklich in Versuchung geraten, wenn ich nicht wüsste, dass du mich nur wegen meiner Kochkünste in dein Herz geschlossen hast.«

Sie drehte sich zu Mags um und zwinkerte.

»Wenn Sie das Herz dieses Mannes haben wollen, müssen Sie ihm nur etwas Warmes kochen. Wie es scheint, bekommt er in Oxford nicht genügend zu essen.«

Mags wusste nicht, was sie sagen sollte. Hatte Sam sie nicht um Hilfe gerufen, und sie war extra gekommen, nur damit er nun vor ihren Augen mit Elsa flirtete? Sie zog die Augenbrauen zusammen, straffte ihre Schultern und lächelte Elsa an. Sie würde sich einfach von Sam nicht mehr aus der Ruhe bringen lassen.

»Das Frühstück ist phantastisch, danke. Und die ganze Mühe, die Sie mit meiner Kleidung hatten! Ich war sehr froh, als Julia sie mir brachte. Ihre Tochter ist ganz reizend.«

Elsa lachte und zog sich einen Stuhl an den Tisch von Sam und Mags.

»Reizend? Nun ja, wenn Sie ihr Aussehen meinen, ja. Ansonsten lassen Sie sich nicht von ihr täuschen. Ich liebe sie heiß und innig, verstehen Sie das nicht falsch, aber sie ist bei ihrer engelsgleichen Schönheit immer noch ein pubertierendes Mädchen. Eines, wie sie mir gestern in aller Ausführlichkeit vorgeworfen hat, das von ihrer herzlosen Mutter auf einer todlangweiligen Insel am Ende der Welt festgehalten wird.«

Elsas Augen strahlten eine Wärme und Liebe aus, während sie von ihrer Tochter erzählte, die bei Mags einen Hauch von Neid auslösten. Sie selbst hatte ihre Mutter kaum gekannt, nachdem diese sie und ihren Vater verlassen hatte, als Mags noch ein kleines Kind gewesen war. Sie hatte ein altes Foto von sich und ihrer Mutter, und kaum mehr als das.

»Wo geht Julia denn zur Schule? Fährt sie jeden Tag nach Marizion hinüber?«

»Ja, aber sie kann, wenn das Wetter im Winter und während der Frühlingsstürme zu rau ist, bei einer Freundin und deren Familie bleiben. Als sie kleiner war, hat sie immer zusammen mit Timothy darauf hingefiebert, dass am Hafen die schwarze Flagge aufgezogen wurde. An einem Black-Flag-Day fuhren weder Schiffe noch war der Damm sicher, und so hatten die beiden schulfrei. Jetzt würde sie wohl zu viel Stoff in der Schule verpassen und genießt es sicher auch, auf dem Festland shoppen zu gehen. Sie ist, seit Timothy in Oxford ist, der einzige Teenager auf der Insel. Aber zurzeit sind ja Ferien, da arbeitet sie hier bei mir und verdient sich damit etwas dazu. Also sie sollte bei mir arbeiten, denn seit sie Ihnen den Tee ins Zimmer gebracht hat, habe ich sie nicht …«

Elsa schaute auf, und Mags bemerkte, wie das Strahlen aus ihren Augen wich und nur noch ein höfliches Lächeln übrig blieb.

Der Grund dafür trat anscheinend gerade durch die Tür in den Pub. Mags wandte den Kopf.

»Guten Morgen, Elsa.«

»Marc.«

Die Wirtin stand auf und blickte Mags und Sam entschuldigend an.

»Marcs Ankunft zeigt mir, dass das morgendliche Schiff vom Festland angelegt hat. Ich werde also mal frischen Kaffee und Tee kochen, die Gäste kommen bestimmt bald.«

Sam hatte die letzten Minuten damit verbracht, mit großer Konzentration seinen Teller zu leeren, und blickte nun das erste Mal wirklich auf.

»Ah, Marc! Mags, das ist Marc Winters, er ist der Touristenmanager der Insel und Angestellter des National Trust. Marc, darf ich dir Margaret Blake vorstellen? Sie ist die Gärtnerin, von der ich dir erzählt habe. Ich zeige ihr gleich die Gärten und hoffe, dass sie mich bei der Festschrift unterstützen wird.«

Mags betrachtete den Mann. Sie schätzte ihn auf fünfunddreißig Jahre. Er hatte fein säuberlich frisiertes glattes braunes Haar. Sin Anzug hatte sicherlich einiges gekostet, und er trug ein höfliches Lächeln auf den Lippen, das seine Augen jedoch nicht erreichte.

»Sehr erfreut. Darf ich?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sich Winters zu ihnen an den Tisch und legte dabei seine schwarze Laptoptasche neben sich auf die Bank.

»Ich war ja zuerst skeptisch, was Timothys Pläne für die Festschrift angingen. Als der Junge mir erzählte, einer seiner Professoren in Oxford sei ein Experte für die Geschichte Cornwalls, habe ich einen verstaubten, langweiligen, mit Jahreszahlen um sich werfenden Nerd erwartet.«

Marc Winters hielt kurz inne.

»Und als mir dann Sam vorgestellt wurde, wurden meine Erwartungen voll erfüllt.«

Er lachte über seinen Witz und bediente sich ungefragt aus der Kaffeekanne, die auf dem Tisch stand.

»Aber Scherz beiseite, ich glaube, die Festschrift wird einigen Touristen gefallen, und die anderen werden sie allein deswegen kaufen, weil Sir Rupert das Vorwort schreiben wird und Sams akademische Titel sich ja auch gut im Bücherregal machen werden. Lesen wird es doch ohnehin keiner.«

Sam schien sich durch nichts, was Winters sagte, angegriffen zu fühlen, und lächelte weiterhin.

»Mags, du musst wissen, dass Marc es geschafft hat, die Besucherzahlen auf der Insel in den letzten drei Jahren fast zu verdoppeln. Er mag vielleicht keine Ahnung von Geschichte haben, aber auf seinem Gebiet ist er wirklich gut.«

Mags war sich trotzdem nicht sicher, was sie von dem geschniegelten Mann halten sollte, der so wenig in den gemütlichen Gastraum und auf die Insel zu passen schien. Winters schien ihr Unbehagen nicht wahrzunehmen und lehnte sich noch etwas weiter über den Tisch.

»Und Sie Maggie, Sie …«

»Margaret.«

Winters schien kurz aus dem Konzept gebracht.

»Ah, und Sie sollen also Sam ein bisschen mit dem ganzen Pflanzenkram unter die Arme greifen? Gerade für Hobbygärtner ist die Insel ja immer wieder ein Magnet. Ich …«

Mags wollte gerade den Mund öffnen, als Winters mitten im Satz abbrach und sein Gesicht einen fast andächtigen Ausdruck annahm.

Mags folgte seinem Blick und sah Julia Sands durch die Küchentür in den Schankraum treten, eine Platte mit Kuchen in der Hand. Sie blickte zurück zu Marc Winters, der sich bemühte, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Was ihm nicht gelang, da Julia den Kuchen abstellte und nun an ihren Tisch trat.

»Guten Morgen, Dr. Hawthorn. Guten Morgen, Marc.«

Sie legte wie beiläufig eine Hand auf Winters’ Schulter und verstärkte ihr Lächeln noch einmal. Mags musste ein Grinsen unterdrücken. Auch wenn Julia gerade mal sechzehn Jahre alt war, wusste sie um ihre Wirkung. Neugierig blickte sie auf Sam. Was löste Julia in ihm aus? Doch Sam unterbrach seine konzentrierte Arbeit an dem Berg Rührei auf seinem Teller nur für ein kurzes Lächeln und Nicken.

Winters hatte sich wieder gefangen.

»Guten Morgen, Julia. Hast du Margaret Blake schon kennengelernt? Sie hat ein Faible für Gärten und hilft unserem Gelehrten hier bei seiner Festschrift.«

Mags hatte erneut das Bedürfnis, Winters mit seiner Nase in den Kaffee zu tunken.

»Oh, ja. Hallo noch mal, Miss Blake.«

Mags konnte ein Blitzen in Julias Augen sehen.

»Meine Mutter erzählte mir, dass Sie eine eigene Gartenfirma betreiben und in ganz Cornwall bekannt sind. Sie haben doch den Garten des Crown Hotels gestaltet, richtig? Wir waren mit unserer Schulklasse letztes Jahr zum Skulpturenfest dort. Wirklich beeindruckend, wie man im Garten immer wieder auf etwas Neues stößt. Die Pflanzen wirken wie Rahmen für die Skulpturen. Es ist wirklich wunderschön.«

Julia hatte ihre Hand immer noch auf Winters’ Schulter und zwinkerte Mags zu, die ein Lachen unterdrücken musste. Julia hatte einen sehr geschickten Weg gewählt, Winters einen Dämpfer zu verpassen. Und Mags hatte sicherlich nicht vor, Julias Übertreibung, ihr Gartenservice sei in ganz Cornwall bekannt, zu korrigieren.

»Ja, das ist mein Projekt. Danke, ich freue mich, wenn jemandem meine Arbeit gefällt. Meistens arbeite ich ja eher in privaten Gärten, so ein öffentliches Projekt wie das Hotel von Jules Smith ist immer wieder spannend.«

Marc Winters hatte genau zugehört, und Mags konnte förmlich sehen, wie die Rädchen in seinem Kopf sich bewegten. Jules Smith war ein einflussreicher Mann in Cornwall, dem mittlerweile mehrere Hotels, zwei Brauereien und ein nicht unerheblicher Teil der privaten Jachthäfen am Hellford River gehörten. Und außerdem ein Verwandter von Miss Clara, was Winters ja nicht zu wissen brauchte.

»Ah, Margaret, den Garten habe ich natürlich auch schon gesehen. Er ist ein Meisterwerk. Sie und Jules müssen wirklich stolz sein.«

Mags war sich sicher, dass Winters wahrscheinlich weder den Garten gesehen noch irgendeine Berechtigung hatte, Jules beim Vornamen zu nennen. Doch bevor sie ihn mit ein, zwei gut platzierten Fragen zu ihrem Garten in Verlegenheit bringen konnte, ging die Tür zum Pub mit einem lauten Krachen auf, und ein Mann stürmte herein.

4

Mags konnte einen kurzen Blick auf einen grauen Parka, robuste Stiefel und ein ziemlich teuer aussehendes riesiges Fernglas erhaschen, über dem ein schmales, hageres Gesicht mit einem ungepflegten Dreitagebart aufragte. Ein Gesicht, das ziemlich rot und wütend aussah und zu einem vielleicht fünfzigjährigem Mann gehörte.

»Winters! Sie verdammter Ignorant!«

Winters seufzte und stand seinerseits auf.

»Rathbone. Womit habe ich denn heute mal wieder Ihren Unmut auf mich gezogen?«

Mags fand es mutig bis dumm von Winters, mit einem derartig süffisanten Ton dem Mann zu begegnen, der sichtlich vor Wut kochte. Julia war einen Schritt vorgetreten und hatte sich zwischen die beiden Männer gestellt.

»Sebastian, bitte. Meine Mutter wird nicht erfreut sein, wenn hier im Pub …«

Sie wurde von dem wütenden dünnen Mann unterbrochen.

»Julia, weißt du, was er vorhat? Ein Feuerwerk! Ein verdammtes Feuerwerk hier auf der Insel, zum Jubiläum. Er hat sogar schon die Entwürfe für die Plakate in Auftrag gegeben.«

Winters stöhnte und fasste sich theatralisch an die Stirn.

»Wie konnte ich bloß auf die Idee kommen, etwas mit einem Feuerwerk zu feiern. Mein Gott, Rathbone. Wo liegt denn dabei schon wieder das Problem?«

Der dünne Mann zischte mehr, als dass er sprach:

»Das Feuerwerk wird über der Burg stattfinden, richtig? Abends, wenn es dunkel ist. Genau neben den Nistplätzen der Dohlen. Das werde ich nicht zulassen.«

Jetzt war es an Winters, ebenfalls die Stimme zu senken.

»Nicht zulassen? Wollen Sie mir schon wieder irgendwelche Stolpersteine in den Weg legen? Ich warne Sie, ich warne Sie eindringlich. Wenn Sie so weitermachen, dann …«

»Dann was? Das Feuerwerk verstößt gegen das Gesetz zum Schutz bedrohter Tierarten. Die Dohlen stehen unter diesem Schutz. Egal, wie vielen Leuten Sie in den Arsch kriechen werden, es wird Ihnen nichts nützen. Ich hetze Ihnen von der Polizei bis zur Presse alles auf den Hals, wenn Sie an Ihrem Plan festhalten! Ein Feuerwerk kommt nicht in Frage.«

Mags konnte Winters bis zu ihrem Platz mit den Zähnen knirschen hören.

»Passen Sie mal auf, Sie armseliger Idiot.«

»Schluss jetzt!«

Elsa Sands Stimme klang leise, aber dafür umso eindringlicher durch den Raum. Die Wirtin kam mit großen Schritten auf die beiden Männer zu, Adam hinter sich.

»Marc, du gehst. Sofort. Solche Ausdrücke dulde ich nicht in meinem Haus.«

Marc öffnete den Mund, schloss ihn mit einem Blick auf Adam wieder und griff nach seiner Tasche. Im Rausgehen drehte er sich noch um.

»Rathbone, an Ihrer Stelle wäre ich verdammt vorsichtig!«

Elsa wandte sich an den dünnen Mann.

»Und auch du gehst jetzt.«

Der Vogelschützer blickte wütend in die Runde und zögerte.

»Sofort!«

Rathbone drehte sich auf dem Absatz um und stürmte zur Tür hinaus. Elsa seufzte.

»Was war denn hier los? Ich habe nur die letzten Sätze mitbekommen.«

Mags hatte den ganzen Streit mit wachsender Sorge beobachtet und war froh, dass Elsa eingegriffen hatte.

»Es ging wohl um ein Feuerwerk, das Winters plant – und wenn ich es richtig verstanden habe, würde das Feuerwerk Vögel stören, die auf der Insel nisten?«

Sie blickte fragend zu Sam, der trotz des Streites seelenruhig seinen Teller bis auf den letzten Krümel geleert hatte und sich gerade mit einer Serviette den Mund abwischte.

»Die Dohlen. Genauer gesagt, zwei davon. Seit letztem Jahr nistet ein Paar cornischer Dohlen hier. Pyrrhocorax pyrrhocorax, das Wappentier Cornwalls. Schwarzer Körper, roter gebogener Schnabel, rote Beine? Du kennst das doch sicherlich aus dem Unterricht? Sie leben hier auf der Insel.«

Julia mischte sich ein, aufgeregt und voller Begeisterung.

»Sie leben wieder hier auf der Insel. Es ist wie ein kleines Wunder. 1947  gab es das letzte nistende Paar hier. Das Weibchen starb, und das Männchen ist noch mehrere Jahre alleine auf der Insel geblieben. Dann gab es in ganz England keine einzige cornische Dohle mehr. Bis 1991. Und man ist davon ausgegangen, dass das auch so bleiben würde. Die Dohlen brauchen die Wiesen nahe der Felsen, um ihre Nahrung zu finden. Und die wurden immer weniger oder durch die Schafherden zerstört. Dann tauchte wieder ein Paar auf. Durch Freiwillige, die die Nester vor tierischen und menschlichen Räubern schützen, wird der Bestand größer. Können Sie sich vorstellen, dass wirklich Leute noch in den Felsen herumklettern und den Vögeln ihre Eier klauen, um sie zu Hause in Schubladen zu legen? Barbarisch!«

Das Mädchen hatte sich ebenso wie Rathbone in Rage geredet und schaute mit einer vielsagend hochgezogenen Augenbraue auf Sam, der ungerührt davon seine zweite Portion Rührei verschlang. Mags musste an die Vogeleier denken, die sorgfältig beschriftet und aufgereiht im Wohnzimmer ihres Elternhauses gelegen hatten. Die Sammlung ihres Vaters, der als Kind in den Klippen Cornwalls auf die Jagd gegangen war. Sie selbst hatte sie vor dem Verkauf ihres Elternhauses sorgfältig in Papier gepackt und in einer Kiste auf Miss Claras Dachboden verstaut. Aber das würde sie Julia besser nicht erzählen.

»Sebastian hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Dohlen zu beobachten und zu schützen. Ich helfe ihm dabei. Gerade wollte ich selbst bei Marc rausfinden, was er mit dem Feuerwerk geplant hat. Ich wäre sicherlich erfolgreicher gewesen.«

Sie lächelte leicht und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Mags sah, wie Elsa die Augen verdrehte.

»Julia ist seit einiger Zeit begeisterte Naturschützerin und streift mit Rathbone über die Insel.«

Sie wandte sich ihrer Tochter zu.

»Hör auf, mit Winters zu flirten, um deine Ziele zu erreichen. Das meine ich ernst. Der Mann ist, da muss ich Sebastian zustimmen, ein selbstverliebter Idiot. Und die können sehr unangenehm werden. Damit kannst du noch nicht umgehen, also lass es.«

Mags sah, wie Julia rot wurde und zu einer Entgegnung ansetzte.

Doch Sam sprang auf, lächelte in die Runde, als würde er die schlechte Stimmung nicht wahrnehmen, und drückte Mags ein kleines Buch in die Hand, das er wohl in seiner Hosentasche aufbewahrt hatte.

»Das ist eine kurze Geschichte der Insel. Ich muss noch einmal in die Burg, dann hole ich dich hier ab und zeige dir alles. Du kannst dich schon ein bisschen einlesen, ja? Und wegen des Feuerwerks würde ich mir keine Sorgen machen. Sir Rupert wird dem schon einen Riegel vorschieben. Die Dohlen tauchen auch im Wappen seiner Familie auf – und für Sir Rupert ist so etwas heilig.«

Er deutete eine knappe Verbeugung vor Elsa und Julia an, die sich immer noch feindselig ansahen.

»Damen meines Herzens, ich bitte Euch, den Frieden zu wahren. Mister Winters ist ein feines Windei und hat Eure Aufmerksamkeit in keinster Weise verdient.«

Mags musste wider Willen kichern. Aber erst, als Sam aus der Tür war.

5

Wenn es Sams Ziel gewesen war, Julia den Wind aus den Segeln zu nehmen, so hatte er es erreicht. Mutter und Tochter standen sich gegenüber und lächelten beide. Dann griff Elsa nach Sams leerem Teller.

»Vergiss nicht, dass Timothy um drei kommt, um mit dir für die Prüfungen zu lernen.«

Mags konnte sehen, wie Julia die Augen verdrehte und einen Flunsch zog. Elsa hatte es auch gesehen und hob leicht die Stimme.

»Julia! Timothy nimmt sich Zeit, dir zu helfen, ohne Geld dafür zu verlangen. Ohne ihn würdest du Prüfungen nicht bestehen. Aber du hast die Wahl. Lernen mit Timothy, der, und das ist mir völlig unverständlich, wirklich große Geduld mit dir hat – oder die Prüfungen ohne Nachhilfe machen und durchfallen. Das Jahr wiederholen oder ganz ohne Abschluss dastehen. Du entscheidest, du bist alt genug.«

»Ach, dafür bin ich also plötzlich alt genug? Wofür brauche ich den blöden Abschluss denn? Ich will ja gar nicht studieren. Ich werde Naturschützerin wie Sebastian. Er sagt, er hat Kontakte und kann mir einen Job verschaffen.«

Nun wurde Elsas Stimme doch lauter.

»Sebastian ist ein Idiot! Anscheinend sind heute eine Menge davon unterwegs. Wenn du wirklich etwas verändern willst, dann studiere Jura oder Biologie oder was auch immer. Wissen ist Macht.«

Sie wollte noch mehr sagen, doch Julia war schon bei den letzten Worten ihrer Mutter durch die Küche verschwunden.

Mags blickte besorgt zu der immer noch schwingenden Küchentür.

»Wird sie wirklich den Abschluss sausen lassen?«

Elsa schüttelte den Kopf und schnaubte laut.

»Nein, sie wird schon lernen. Sie will den Abschluss ja selbst. Das ganze Theater soll mich nur provozieren. Manchmal habe ich das Gefühl, die ganzen letzten Jahre waren für Julia eine einzige Übung darin, mich auf die Palme zu bringen.«

Mit einem wehmütigen Lächeln setzte sie sich zu Mags an den Tisch.

»Ich will mein kleines Mädchen zurück.«

»Ich glaube, das hat mein Vater sich sicherlich auch mehr als einmal gewünscht.«

Mags grinste bei der Erinnerung daran, wie entsetzt ihr Vater auf die ersten Anzeichen ihrer Pubertät reagiert hatte.

»Aber er hat es ja schon hinter sich, er hat jetzt ja seine kluge, gelassene und liebenswerte Tochter wieder – ich muss darauf wahrscheinlich noch Jahre warten.«

Und damit griff Elsa seufzend nach der Kaffeekanne, stand auf und ging in Richtung Küche.

Mags blieb schweigend sitzen und schloss die Augen. Der Schmerz, der sie jedes Mal überkam, wenn jemand von ihrem Vater sprach, überrollte sie auch jetzt. Ihr Vater war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und Mags hatte sich nicht verabschieden können. Maximilian Blake war nicht mit der Heirat seiner Tochter und ihren Entscheidungen einverstanden gewesen und hatte es ihr deutlich gezeigt. Ihr Vater war ein liebevoller, aber auch unglaublich sturer und dickköpfiger Mensch gewesen. Sie hatten die Jahre vor seinem Tod nur wenig miteinander gesprochen.

Mags holte tief Luft. Sie fühlte nicht nur Trauer wegen seines Todes. Es war auch Scham, die sie heiß überkam, wenn sie daran dachte, wie sehr sie und ihr Vater sich bei ihrer letzten Begegnung gestritten hatten. Wie leichtfertig sie ihre enge Beziehung aufs Spiel gesetzt hatten, weil beide jeweils ihren Weg für den einzig richtigen gehalten hatten. Heute wusste sie, dass weder sie noch ihr Vater recht gehabt hatten. Sie hatte sich in Arthur getäuscht und ihre Heimat und ihre Träume für eine überstürzte Ehe aufgegeben. Ihr Vater hatte ihr jegliche Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, abgesprochen und ihr in seiner Arroganz keinen Rückweg offen gelassen.

Er war auf dem Rückweg von einem Auftrag zu schnell gefahren, die Straße regennass, die Reifen seines alten Transporters abgefahren, die Bremsen hatten versagt. Schmerz und Scham. Heute würde Mags einiges dafür tun, um die Zeit zurückdrehen zu können.

6