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© 2020 Dr. Axel Groß

Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7519-1093-4

Inhalt

Prolog

Mein Vater, den ich leider nicht mehr kennengelernt habe, wurde nur 38 Jahre alt. Den Erzählungen meiner Verwandten entnahm ich schon als Kind, dass er – ein liebenswürdiger, belesener, zeichnerisch hochbegabter und kulturell sehr interessierter Mann – seinem Beruf als Regierungsbaurat mit Hingabe und Engagement nachgekommen war. Sein Leben endete 1945 nach nur wenigen Monaten einer eminenten Leidensgeschichte. Klinikärzte hatten seinen wiederholt geäußerten Schmerzen keinen Glauben geschenkt und stellten daher die Weichen einer sich hemmungslos ausbreitenden Krebserkrankung mit Metastasenbildung. Schon als Jugendlicher habe ich einen liebevollen Vater vermisst und trauerte um ihn, ohne ihn erlebt zu haben. Im Medizinstudium wurde mir die Einseitigkeit der nur körperbezogenen Medizin deutlich und ich ergänzte mein Studienwissen schon früh mit Vorlesungen über Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Hinzu kam in den Jahren meiner psychiatrischen Tätigkeit zunehmend Unverständnis und Verdruss über Hybris und Ignoranz etlicher somatisch arbeitenden Kollegen auf, die die Beschwerden eines Patienten nicht ernst nahmen und ihn nur nach Lehrbüchern behandelten. Wer nun glauben möchte, dass sich durch neue wissenschaftliche Forschungen und eine sehr lange Friedensperiode nach dem Zweiten Weltkrieg der Umgang mit dem leidenden Menschen, dem Patienten, wesentlich geändert hätte, sieht sich getäuscht. Noch immer werden auch bei schweren chronischen Erkrankungen medizinische Therapieleitlinien aufgestellt, die sich nicht an der Realität der Erkrankung eines Patienten orientieren und ihn nicht miteinbeziehen. Auch wenn sich offensichtlich keine nennenswerten Erfolge einstellen und viele Krebspatienten auch heute noch nach Chemotherapie, Bestrahlung und unzähligen pharmakologischen Behandlungen, von denen nur die Pharmaindustrie profitiert, elend zugrunde gehen, wird die Medizinwelt davon nicht erschüttert. Man hat es sich bequem gemacht, verweist auf angeblich unabänderliche genetische Ursachen einer schweren Systemerkrankung und übernimmt oft keine ethisch-medizinische Verantwortung.

Wie ich mich in den letzten Jahrzehnten auf den jährlichen Psychotherapiekongressen überzeugen konnte, hat die wissenschaftliche Erforschung des Zusammenhanges von Körper und Psyche in den letzten 10 bis 15 Jahren bedeutsame Fortschritte gemacht. Man weiß inzwischen bei vielen körperlichen Krankheiten sehr genau, wie sich dauerhaft ungelöste seelische Konflikte im familiären und beruflichen Bereich verhängnisvoll auf die Entstehung schwerster Krankheiten auswirken. So wies uns 2012 auf einem Seminar der Internist und Psychoanalytiker Prof. Egle, damals noch Leiter der Psychosomatischen Klinik in Gengenbach im Schwarzwald, nach, dass der sogenannte Typ-2-Diabetes, der erst im Erwachsenenalter entsteht, rein stressbedingt ist und letztlich keine determinierenden genetischen Ursachen hat.

Kehrte ich von den Kongressen in meine eigene psychiatrisch-psychoanalytische Praxis zurück, erzählten mir viele Patienten von ihren Besuchen bei Allgemeinärzten und Fachärzten und deren medizinischen Auffassungen. Ich hatte oft das Gefühl, die Zeit sei in den ärztlichen Praxen und Kliniken stehengeblieben und es habe sich in den letzten Jahrzehnten nichts Wesentliches verändert. Bei der ärztlichen Approbationszeremonie haben wir noch kollektiv den hippokratischen Eid abgelegt, der uns dazu verpflichtet, unseren Patienten nach bestem Wissen zu behandeln und »keine Verordnungen zu seinem Schaden und Unrecht zu treffen«. Im antiken Griechenland galt die Behandlung als heilige Pflicht und Götter wie Apoll und Asklepios wurden als Zeugen angerufen. Von dieser moralisch und ethisch begründeten Berufung ist heute fast nichts mehr zu spüren. Arztpraxen sind überfüllt, die durchschnittliche Behandlungszeit beträgt 5–10 Minuten. Wie soll sich ein Arzt in dieser kurzen Zeit ein tiefgreifendes Bild vom Leiden eines Menschen machen? Ärztliche Praxen verkommen immer mehr zu Dienstleistungszentren und sind weit entfernt, Zusammenhänge zwischen Seele und Körper zu erkennen, geschweige denn sich Aspekte moderner psychosomatischer Forschung anzueignen und zunutze zu machen. Zumindest könnten hierfür sensibilisierte Kollegen eine tragfähige Brücke zu psychotherapeutisch tätigen Fachärzten schlagen.

Ein anderes Phänomen ist die oft spürbare Abwehr von Ärzten gegenüber psychischen Prozessen bei ihren Patienten und sicher primär bei sich selbst. Nach dem kartesianischen Denkmodell wird nur als gültig anerkannt, was physikalisch wägbar und messbar ist. Die offensichtlichen fundamentalen Auswirkungen z. B. seelischer Angst auf biochemische Stoffwechselprozesse wie plötzliche schweißnasse Hände, Atemstörungen oder Herzjagen bei einem traumatisierenden Geschehen werden als nicht relevant eingestuft oder vernachlässigt. Durch die lediglich pharmakologischen Behandlungen werden schwere Wechsel- und Nebenwirkungen erzeugt, womit nicht nur keine Besserung oder Heilung von Krankheiten eintritt, sondern gesundheitlich riskante Folgeschäden entstehen. Es ist also davon auszugehen, dass in der Regel ein Patient mit chronischer Krankheit durch Besuche in den schulmedizinischen Praxen kränker wird, als er zuvor war. Es ist skandalös, dass die weit fortgeschrittene Erforschung psychosomatischer Krankheiten praktisch kaum eingesetzt wird und damit schwerkranke Menschen ihrer Hoffnung auf Heilung beraubt werden. Die deutsche Medizin verdient in den Bereichen chronischer Erkrankung nicht die Bezeichnung Humanmedizin.

In der Einleitung werde ich nach einem speziellen Unterkapitel über das deutsche Gesundheitssystem die moderne neurobiologische Forschung behandeln. Diese ist sich inzwischen nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2003 weitgehend darüber einig, dass Gene Steuerungen unterliegen, die das Ausbrechen einer schweren Erkrankung fördern oder verhindern. Die Entscheidung hierüber hat ein Patient zum überwiegenden Teil selbst in der Hand, wenn er gesundheitsbewusst lebt. In den anschließenden methodologischen Überlegungen werde ich zwei Therapiemethoden vorstellen, die bei der Behandlung schwer körperlich kranker Patienten hilfreich sind. In den nachfolgenden Fallstudien zeigt sich, wie unverarbeitete psychische Traumatisierungen ihre nachhaltigen Spuren in körperlichen Dysfunktionen und schweren psychosomatischen Krankheiten hinterlassen, aber auch wieder aufgelöst werden und zu Gesundheit führen können. Es gibt also sehr wohl Wege der Heilung und Gesundheit, allerdings nicht in einem kranken Gesundheitssystem.

Einleitung

Seit 42 Jahren bin ich in meiner psychiatrischen, psychoanalytischpsychotherapeutischen Praxis niedergelassen und behandelte zunächst vorwiegend Angstneurosen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen und zu einem geringeren Teil auch Patienten mit Psychosen. Es zeichneten sich zunehmend auch Befindlichkeitsstörungen im körperlichen Bereich ab, die Behandlungen verkomplizierten, aber auch untrügliche Signale erkennen ließen, dass sich ungelöste psychische Konflikte jeweils auf verschiedenen Ebenen abbildeten. Hinzu kamen die Klagen der Patienten, dass sie unter schwergradigen chronischen somatischen Erkrankungen litten, die sich auch unter einer Vielzahl von allgemeinärztlich oder internistisch verordneten Präparaten über viele Jahre hinweg nicht besserten.

Nicht selten suchen Patienten, die täglich 12–15 verschiedene Medikamente für ihre körperlichen Beschwerden oder Krankheiten einnehmen müssen, therapeutische Hilfe. Die sich ständig wiederholenden, scheinbar ausweglosen Leidensgeschichten ratloser Menschen festigten in mir den Wunsch nach ganzheitsmedizinischer Betrachtung, die besonders in den letzten 20 Jahren weltweit erforscht wurde oder auf den psychotherapeutischen Kongressen, die ich in den letzten Jahrzehnten besuchte, wissenschaftlich erläutert und eindrucksvoll belegt wurde. Inzwischen ist hinlänglich bekannt, dass es sich grundsätzlich bei psychischen oder somatischen Erkrankungen um ein komplexes biophysikalisches Geschehen handelt, bei dem die Komponenten ubiquitär vernetzt sind. Auch sind in der epigenetischen Forschung, wie Bruce Lipton1 et al. ausführlich dargestellt haben, bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen worden, die die bekannte These von der Determinierung genetischer Prägung relativieren und, wie später ausgeführt wird, erheblich einschränken. Dabei fiel auf, dass die wirklich revolutionären Studien und Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte kaum Auswirkung auf die hausärztliche Behandlung der Patienten hatten, die mir oft im Detail von ihren meist kurzen Praxisbesuchen berichteten. Manchmal gewann ich den Eindruck, als werde die psychosomatische Forschung von der überwiegenden Zahl deutscher Kollegen gänzlich ignoriert. Natürlich stellt sich die Frage, warum diese Einstellung besteht. Würde man diese Anmerkungen in einem deutschen Ärzteblatt veröffentlichen, käme voraussichtlich die Antwort, dass man bei dem hohen Patientenaufkommen nicht die Zeit habe, sich mit der spezifischen Entstehung der jeweiligen Erkrankung auseinanderzusetzen. Diese erwartbare Antwort befriedigt aber keineswegs, vielmehr scheinen hier auch prinzipielle Widerstände gegen die Aufgabe bzw. die Ergänzung des kartesianischen Denkmodells eine Rolle zu spielen, das die Medizin der Neuzeit, Moderne und Postmoderne aufrechterhalten hat.

In dem Buch des Biologen und Wissenschaftspublizisten Peter Spork wird dargelegt, wie sehr in der aktuellen molekularbiologischen Forschung besonders seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2003 die Hoffnung auf Heilung schwerer Krankheiten geweckt wurde. In den folgenden Jahren wich der Hoffnung Ernüchterung. Außer bei einigen bekannten vererbbaren Krankheiten wie Chorea Huntington und Mukoviszidose, deren Genotyp den Phänotyp deterministisch bestimmt, konnte bei den untersuchten schweren psychischen und somatischen Erkrankungen keine eindeutige spezifische genetische Matrix gefunden werden. Stattdessen waren nicht selten z. B. 20–30 Gene protektiv oder risikobehaftet hinsichtlich der Manifestation einer bestimmten Morbidität. So konnte wissenschaftlich zunächst in Tierexperimenten bewiesen werden, dass die Aktivierung eines bestimmten Gens davon abhing, ob an ihren Polen eine Methylierung durch eine CH3-Gruppe oder eine De-Methylierung erfolgte. Man entdeckte dabei, dass es auch einige andere Aktivierungsregulatoren für die Genexpression gab, die u. a. die Proteinsynthese, die Hormone und Enzyme bilden. Es kristallisierte sich also heraus, dass für die Entstehung von Krankheiten, natürlich auch im günstigen Fall von Gesundheit, die An- und Abschaltung verschiedener Gene verantwortlich ist. Es stellte sich unweigerlich die Frage, welche Faktoren die Genregulation beeinflussen und damit über Krankheit und Gesundheit entscheiden. In vielfältigen Studien, die auch beim Menschen durchgeführt werden konnten, zeigten sich als Einflussfaktoren wechselnde Umweltbedingungen.

Spork trug in seinem Buch »Gesundheit ist kein Zufall«2, das für den Wissenschaftspreis 2018 nominiert wurde, die Resultate vieler Studien zusammen. Hierbei ließen sich signifikante Hinweise biopsychologischer Wirkungen auf die DNA-Modulierung erkennen. In den Versuchsanordnungen zu speziellen Studien, die das unterschiedliche Gesundheitsbewusstsein und das daraus ableitbare divergierende Verhalten von Probanden genau analysierten, wurden wertvolle Erkenntnisse gewonnen. So hatten z. B. regelmäßiges Sporttreiben oder eine gesunde Ernährung nicht nur unmittelbar positive Auswirkungen auf den psychophysischen Allgemeinzustand eines Menschen, so wie es in umgekehrter Weise bei Vielrauchern oder sich vorwiegend von Fast Food Ernährenden zu gesundheitlichen Schäden kam. Vor allem Menschen, die dauerhaftem massivem Stress ausgesetzt sind, ziehen sich oft chronische körperliche Krankheiten zu, die mit zunehmendem Alter letztlich zu multiplem Organversagen und einem vorzeitigen Tod führen können. Die Studien belegten aber noch viel weiter reichende Resultate. Es wurden durch die verschiedenartige Lebensweise der untersuchten Probanden nicht nur aktuelle biochemische Veränderungen z. B. durch Anstieg des sympathikotonen Adrenalins, Noradrenalins oder Cortisols bzw. eine Umsteuerung der sogenannten hypothalamischen Stressachse erzeugt, die dem Köper schweren gesundheitlichen Schaden zufügen. Das »Gedächtnis« für das Verhalten, mit dem ein Mensch agiert oder reagiert, seiner Gesundheit gegenüber förderlich oder abträglich eingestellt ist, sedimentiert sich quasi in der Wandlung der Genexpressionsmuster. Durch ein perpetuierendes bestimmtes Verhalten wird praktisch im konstanten humanen Genom, das mit etwa 23 000 Genen entschlüsselt wurde, zwar nicht deren basenspezifische »Bausubstanz«, hingegen aber die Regulation der Aktivierungsschalter der Gene neu geschaffen. Dabei ist in gewisser Weise ermutigend, dass die Genregulation reversibel ist. Lässt sich ein differenzierteres Gesundheitsbewusstsein praktisch umsetzen, wandelt sich die Genregulation, die sogar noch in den nachfolgenden Generationen nachweisbar ist.

In den letzten fünfzehn Jahren nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms wurden die Hypothesen überprüft, wie sich psychische und somatische Gesundheit und Störungsfelder mit den Folgen von Morbidität entwickeln. In vielen Studien gab es zumindest klare Indizien, bei weiträumig angelegten Untersuchungen mit sehr vielen Probanden sogar evaluierte, signifikante Resultate für die Manifestation einer permanenten, wenngleich umkehrbaren Steuerung der wesentlichen biochemischen somatischen Prozesse. Spork führt aus, dass spezifische Regulationsprozesse bereits, wie erwähnt, transgenerational, also bereits mindestens bei unseren Großeltern beginnen und auf uns übertragen werden. Diesen Prozess nennt er epigenetische Steuerung. Das entsprechende Gesamtphänomen bezeichnet man demzufolge als das Epigenom. Die Reaktion auf spezielle Umweltbedingungen unserer Großeltern wird wie auch das meist nur in größeren epochalen Abständen mutierende Genom vererbt. Hereditär ist also nicht nur das Genom, sondern auch das Epigenom. Maßgeblich für den Status unserer Gesundheit oder eine Krankheitsanfälligkeit sind die genannten Faktoren. Es ist schon erstaunlich, wenn man sich bewusst macht, dass das Epigenom durch gesundheitsbewussteres Verhalten beeinflussbar ist und sich noch auf unsere Kinder und Enkel auswirkt. Wir haben also bis zu einem nicht unerheblichen Grade unsere Gesundheit selbst in der Hand.

In der einschlägigen Literatur, z. B. von Bruce Lipton (s. o.) und Peter Spork, wird der transgenerationale Einfluss des Epigenoms auf biochemischer Grundlage in einen Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit gebracht. Es werden von beiden Autoren umfassende präventive Maßnahmen empfohlen, die frühe Aufklärung, Information und eine bewusstere Einstellung zum eigenen Lebensstil beinhalten. Eine nachhaltige gesundheitsbewusstere Haltung wird zweifelsfrei in den epigenetischen und biochemischen Trägern von Zell- und Gewebsinformationen Spuren hinterlassen. Es findet also eine Metamorphose statt, die die Weichen in Richtung Gesundheit oder Krankheit stellt. Wir können diesen Prozess zumindest quasi partiell umkehren.

Das Bewusstsein von diesen vor allem in den USA, aber auch in der deutschen Max-Planck-Gesellschaft erforschten epigenetischen Phänomenen ist in unserer Ärzteschaft anscheinend noch nicht angekommen. Selbst in dem einschlägigen aktuellen psychosomatischen Lehrbuch von Thure von Uexküll (Auflage von 2017) sind die Ausführungen über die Wirkung epigenetischer Phänomene nur sehr vorsichtig und zurückhaltend formuliert. Man muss natürlich einräumen, dass wasserdichte Beweise bei einigen Studien auch aufgrund recht geringer Probandenzahlen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erbracht werden können. Wollte man in der heutigen Zeit, in der viele Studien für die Existenz des Klimawandels sprechen, nur dann z. B. die Emission von CO2 oder SO2 einschränken, wenn ein absolut stichhaltiger, mathematischer Beweis für die Generierung von Menschenhand vorläge, würde für unsere Kinder, sicher aber für unsere Enkel ein düsteres Zeitalter anbrechen. Es gilt, unseren gesunden Menschenverstand einzuschalten und intelligente Vorsorge zu betreiben.

Nun ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, dass Frühinformation, Gesundheitsvorsorge, Aufklärung und Prävention keine wesentlichen Fortschritte hinsichtlich der Reduktion von Volkskrankheiten wie z. B. Typ-2-Diabetes, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alkohol- und Drogensucht sowie inzwischen auch Depressionen erbracht haben. Die Gründe für die Weigerung, sich selbst gegenüber achtsam, wertschätzend-empathisch und demzufolge gesundheitsbewusst zu handeln, liegen offenbar wesentlich tiefer. Jeder Mensch durchläuft eine frühe Prägung, die neben der genetischen Vererbung bereits pränatal beginnt und, wie Spork erläutert, sogar bis vor die Zeugung des Kindes zurückreicht. Es folgen die drei Jahre der mütterlich-kindlichen Symbiose und die folgenden Jahre bis zur Einschulung. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die kardinale Prägung schon weit fortgeschritten. Finden besonders in der frühen Kindheit schwere Traumatisierungen statt, verändern diese bereits das beschriebene epigenetische Muster für die weitere Zukunft. Noch nachhaltiger wirken sich die o. g. Traumata aus, wenn das Epigenom von Eltern und Großeltern die psychische Struktur des Kindes negativ beeinflusst hat und es damit vulnerabler macht. Andererseits wird in der gegenwärtigen Resilienzforschung untersucht, inwieweit schwere Misshandlungen des Kindes später unerwartet gut verkraftet werden und den Lebensfluss nicht einschneidend destruktiv verändern.

Die Frage, die sich mir als frei niedergelassenem Psychiater und Psychoanalytiker schon lange stellte, war: Wie kann ich schwere psychische und somatische Erkrankung psychosomatisch effektiv behandeln und mit relativ wenig Zeitaufwand zur Rekonvaleszenz des Patienten beitragen? Aus früheren jahrelangen Psychoanalysen waren nicht selten befriedigende bis sehr gute Resultate zu erreichen. Allerdings waren einige Male auch über Jahre viele Widerstände gegen eine Wandlung der eigenen strukturellen psychischen Prägungen zu beobachten und somit keine Ausheilung der jeweiligen Erkrankung zu erzielen.

2018 stellte ich meine Therapiemethode um und konnte in einer jeweils 25–30 Stunden dauernden psychoanalytischen Kurzzeittherapie neue Schwerpunkte mit überraschenden Erfahrungen setzen. Meine These ist, dass sich durch eine abgewandelte analytische Therapie, die ich im folgenden Kapitel methodologisch näher erläutern werde, eine psychische Umstrukturierung erreichen lässt, die destruktive epigenetische Fixierungen zumindest lockert und dem Patienten auch nach der Therapie quasi einen »Psychohandwerkskoffer« in die Hand gibt, mit dem er sich zunehmend selbst heilen kann. Auf diese Weise kann eine nicht unbeträchtliche Zahl vorwiegend schwerkranker Patienten in meiner Praxis therapiert werden. Wie ich im Prolog erläuterte, interessieren mich onkologische Erkrankungen im Besonderen, wobei meine Klientel natürlich auch andere Diagnosegruppen somatischer Morbidität umfasst.

Das Versagen des deutschen Gesundheitssystems
bei der Behandlung chronischer Erkrankungen

Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in der Schulmedizin in den Bereichen Akut-, Notfall-, Rettungs- und Intensivmedizin sowie bei der apparativen Diagnostik meistens vorbildlich umgesetzt. Antibiotika und Kortisontherapie und andere Pharmakotherapien verhindern sicher in Einzelfällen vorübergehend einen dramatischen Verlauf schwerer somatischer Erkrankungen. Bei längerer Anwendung dieser pharmakologischen Präparate dominieren allerdings viele gesundheitsschädliche Neben- und Wechselwirkungen. Oft übersteigen langfristige Nebenwirkungen den therapeutisch angestrebten und kalkulierten Erfolg. So schwächt z. B. eine länger dauernde Behandlung mit einem Antibiotikum die Darmflora, die zu etwa 70 % für die Immunabwehr zuständig ist, und fördert stattdessen das Besiedeln mit pathogenen Bakterien, Viren und Pilzen.

Da es sich aber vielfach um chronische Krankheiten handelt, die schon ab einer Krankheitsdauer von ein bis zwei Jahren als chronisch bezeichnet werden, stößt die Schulmedizin zunehmend an ihre Grenzen. Auf der Homepage des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin heißt es: »Das RKI ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -Prävention und damit auch die zentrale Einrichtung des Bundes auf dem Gebiet der anwendungs- und maßnahmenorientierten biomedizinischen Forschung. Die Kernaufgaben des RKI sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere Infektionskrankheiten […]« Es führt weiterhin aus: »Chronische Krankheiten zählen heute in den Industriestaaten, zunehmend auch in den weniger wohlhabenden Ländern, zu den häufigsten und gesundheitsökonomisch bedeutsamsten Gesundheitsproblemen. Insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen, chronische Lungenerkrankungen, Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, psychische Störungen und Diabetes mellitus sind weit verbreitet und beeinflussen Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit und Sterblichkeit. In Zuge des medizinischen Fortschritts und des demographischen Wandels treten zunehmend Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) auf, besonders im höheren Alter.«3 (Stand 26. 06. 2018)

Der o. g. medizinische Fortschritt erstreckt sich aber vorwiegend auf akute Morbidität. Bei den weit überwiegenden chronischen Krankheiten zeigt sich die Konzeptionslosigkeit der Schulmedizin, die das ganzheitliche Wesen von Krankheit, wozu soziale, psychische und Umweltfaktoren gehören, nicht verstanden, verdrängt oder einfach vergessen hat. Zweifellos gibt es in unserer Ärzteschaft nicht wenige Mediziner, die ihre Aufgabe des Heilens und der Lebenserhaltung gewissenhaft erfüllen und nicht zu allererst auf die Honorierung ihrer Leistungen achten. Leider aber haben anscheinend viele Kollegen resigniert und sich dem Mainstream der vorherrschenden anonymen apparativen Diagnostik und der wie ein Krebsgeschwür hemmungslos expandierenden Pharmaindustrie verschrieben. Dabei ist auffällig, dass selbst offizielle Verwaltungs- und Fortbildungszentren keine Notiz von kritischen Wissenschaftlern nehmen, die Pharmapräparate erneut getestet und deren Unwirksamkeit oder Gefahrenpotential aufgedeckt haben. So wurde 2018 auf dem TV-Sender Arte ausführlich von Wissenschaftlern berichtet, die die jahrzehntelang gegen Hypercholesterinämie und Arteriosklerose der Herzkranzgefäße massenhaft eingesetzten Medikamente (Statine) unter die Lupe nahmen und fehlerhafte Studien nachwiesen. Außerdem erkannten sie, dass Patienten bei einer dauerhaften Einnahme Gefahr liefen, von schwergradigen neurologischen Erkrankungen betroffen zu werden. Das größte deutsche offizielle Fortbildungsforum »Springermedizin« reagierte nach einigen Wochen auf dieses wissenschaftliche Video mit der lapidaren Bemerkung, die positiven Wirkungen dieser Präparate seien doch in den letzten Jahrzehnten hinlänglich bewiesen. Eine verantwortungsvolle Reaktion kann nur darin bestehen, eine solche alarmierende wissenschaftlich gestützte Behauptung durch weitere Studien, eventuell durch Metastudien zu überprüfen. Es ist schändlich, wenn sich eine Art Monopol wissenschaftlicher »Erkenntnisse« ausbreitet, das nicht mehr angefochten wird und damit Menschen eventuell gesundheitlich schwerstens gefährdet.

Zurück zu unserer eigentlichen ärztlichen Aufgabe, dem Wohl des Patienten zu dienen und die individuelle Behandlung einer krankheitswertigen Störung oder schweren und chronischen Systemerkrankung zu übernehmen. In den letzten Jahrzehnten ist die segensreiche Funktion eines Hausarztes, der ständigen Kontakt zur Familie pflegte, über wesentliche familiäre Probleme Bescheid wusste und daher seine Patienten wirkungsvoll behandeln und begleiten konnte, zunehmend außer Acht gelassen und abgebaut worden. Die heutzutage meist nur noch oberflächlichen Kenntnisse der psychosozialen Gegebenheiten und Konflikte eines Patienten erzeugen eine symptomorientierte therapeutische Einstellung und verhindern ein ganzheitliches medizinisches Konzept, das Grundlage effektiver und nachhaltiger Heilung von Krankheiten bedeuten kann.

Michael Balint, ein 1896 in Ungarn geborener jüdischer Psychoanalytiker, Sohn eines praktischen Arztes, war ein Pionier und leidenschaftlicher Mitbegründer der psychosomatischen Medizin. Nach seinem Studium der Medizin, Biologie, Physik und Chemie wandte er sich den Studien zur Psychotherapie zu. Hierzu untersuchte er das Verhältnis zwischen Arzt und Patient, in dem sich über Übertragungen (Projektionen) und Gegenübertragungen die infantilen ungelösten Konflikte eines Patienten spiegeln und abbilden. Nach seiner Emigration nach England bildete er Sozialarbeiter- und Hausarztgruppen mit jeweils 8–10 Teilnehmern aus, in denen die biographischen Anamnesen von Patienten vorgestellt und über Einfälle und Assoziationen der Gruppenteilnehmer zu den dargelegten Fallstudien die Kernprobleme der Patienten sichtbar gemacht wurden.

Der am Spitalzentrum Oberwallis (Brig) in der Schweiz als Psychiater und Psychotherapeut arbeitende Philipp O. W. Portwich verfasste 2014 einen Artikel zum Thema »Die Arzt-Patient-Beziehung im Fokus – Was Michael Balint uns heute noch zu sagen hat«. Im Kapitel über das Konzept der primären Liebe führt Portwich aus: »[…] Das Kind erhält von seiner Umgebung alles, was es benötigt, und gleichzeitig finden Fruchtwasser und Plazenta ihre Bestimmung in dem Zweck der kindlichen Ernährung. Mit der Geburt des Kindes endet dieser Zustand der Verschmelzung: Kind und versorgende Umgebung werden physisch voneinander getrennt: Nun entsteht eine Beziehung zwischen zwei individuellen Personen, nämlich zwischen dem geborenen Kleinkind und seiner Mutter. Idealerweise handelt es sich auch hier um eine harmonische Beziehung, wenn das Verhältnis von einem gegenseitigen Geben und Nehmen gekennzeichnet ist: Das Kind erhält von der Mutter die notwendige Ernährung, Wärme, Liebe und Zuwendung, derer es für sein Gedeihen bedarf. Die Mutter ihrerseits erlebt den Stolz auf das eigene Kind und die bereichernde Erfahrung der Mutterschaft. Sie kann das freudige Lachen des Kindes als motivierende Antwort auf ihr Verhalten wahrnehmen und damit eine Bestätigung für ihr mütterliches Geben und Dasein. Mit diesem Geben und Nehmen sind Mutter und Kind gestärkt für Situationen, in denen einmal Angst oder Aggression in die Beziehung kommen. […]

Die Grundstörung: Ein Ungleichgewicht in der Beziehung von Mutter und Kind hingegen stört und reduziert die primäre Liebe und kann eine positive gesundheitliche Ausstattung des Menschen anfechten und gefährden; es entstehen Schwachpunkte in der Persönlichkeits- und Verhaltensentwicklung: Es kommt zu der von Balint so genannten Grundstörung. […] Die kindliche Erfahrung einer versagenden oder fehlenden Mutter kann Folge ihrer Abwesenheit, z. B. infolge Berufstätigkeit oder Krankheit, sein oder eines Fehlens wegen der persönlichen Unfähigkeit, sich dem Kind liebevoll und hingebend zuwenden zu können. Eine Störung des Beziehungsgleichgewichts resultiert aber auch aus der entgegengesetzten Plusvariante, nämlich wenn die Mutter das Kind überfürsorglich-einengend mit Zuwendung und Versorgung überhäuft und damit ebenfalls die Bedürfnisse des Kindes missachtet werden. […] Besteht in diesem Sinn […] eine nicht-harmonische Beziehung zwischen Mutter und Kind mit einem Defizit an primärer Liebe, so löst dies bei dem Kind eine tieftraurige Emotionalität aus, ein Gefühl von Unverbundenheit mit der Umgebung und Einsamkeit, das das Kind veranlasst, Bemühungen zur Korrektur des Zustandes anzustellen, um das Gleichgewicht der Beziehung zur Mutter mit der Erfahrung der primären Liebe (wieder) herzustellen. Gelingt dies nicht und fixieren sich die an der gestörten Mutter-Kind-Beziehung orientierten Verhaltensweisen, so entstehen Strukturdefekte in der Persönlichkeit mit dysfunktionaler Verhaltensentwicklung.

Bedeutung der Gegenübertragung

Es ergibt sich logisch, dass der Patient auch die Beziehung zu seinem Arzt bzw. Therapeuten in der ihm eigenen Art und Weise gestalten wird, bezüglich Nähe und Distanz, Anhänglichkeit oder Fluchttendenz. Der psychoanalytische Begriff der Übertragung des Patienten beschreibt, dass dieser seine frühen Beziehungserfahrungen auf den Therapeuten überträgt und sich diesem gegenüber entsprechend verhält. So kann der Therapeut das Vorliegen einer Grundstörung in der Begegnung mit dem Patienten feststellen: Der einfühlsame Therapeut spürt in der Beziehung zum Patienten dessen emotionale Not. […] In seiner von der Psychoanalyse sogenannten Gegenübertragung der aversiven Emotionen des Patienten verspürt der Therapeut empathisch auch den Drang des Patienten, sich von dieser emotional belastenden Situation zu befreien, und er wird bei sich selbst den Impuls spüren, mit einer Intervention Erleichterung zu verschaffen. Damit kommt der Gegenübertragung des Therapeuten als Diagnostikum für die Feststellung der Grundstörung in der Lehre von Michael Balint große Bedeutung zu, und sie ist wichtig und wertvoll, während sie in der klassischen Psychoanalyse von Freud als ein möglichst weitgehend zu eliminierender Störfaktor betrachtet wurde. […]«4

Portwich macht in dem folgenden Text zum therapeutischen Vorgehen darauf aufmerksam, dass die Aufgabe des Therapeuten nicht darin besteht, die vom Patienten unbewusst auf den Therapeuten übertragenen Konfliktmuster und daraus resultierenden Bedürfnisse und Behandlungswiderstände zu erfüllen bzw. aufzulösen, sondern sie dem Patienten bewusst zu machen. Anderenfalls entstünden sog. maligne Regressionen beim Patienten und eine gravierende Störung im therapeutischen Prozess. In oben beschriebenen methodologischen Konzepten von Eberwein werden in einer der psychoanalytischen Kurzzeittherapie ähnlichen Vorgehensweise des verhaltenstherapeutisch fundierten CBASP, einer Abkürzung für Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy, die einem kognitiv-verhaltenstherapeutisch-analytischen Psychotherapiesystem entspricht, auch die Gefühle des Therapeuten in der Gegenübertragung direkt verbalisiert und hierdurch der Versuch einer Korrektur der unbewussten Verhaltensmuster eingeleitet.

Im folgenden Kapitel führt Portwich über ein von Michael Balint verfasstes Buch »Der Arzt, sein Patient und die Krankheit« (1964) aus: »[…] In ›Der Arzt, sein Patient und die Krankheit‹ macht Balint die Objektbeziehungstheorie und die in der Gruppenarbeit mit Ärzten gemachten Erfahrungen für die ärztliche Praxis fruchtbar und anwendbar. […] Die der Ausbildung von Ärzten in psychosomatischen und psychotherapeutischen Kenntnissen dienenden Gruppen wurden vollständig dokumentiert, ihr Verlauf und Inhalt transkribiert und anschließend analysiert bzw. wissenschaftlich untersucht und ausgewertet. Es war Balints vorrangiges Ziel, dass die Ärzte zu einer veränderten Selbst- und Fremdwahrnehmung gelangen und dass sie mit einer ›Umstellung ihrer Einstellung‹ neue Möglichkeiten patientenorientierten Handelns erkennen und diese nutzen.

So entstand das, was Balint ein besonderes Anliegen war, nämlich eine ›Pharmakologie des Heilmittels Arzt‹. Balint stellt in seinem Buch einleitend fest, dass der Arzt in der Medizin seit alters her das am häufigsten verwendete Medikament ist, dass er aber auch das am wenigsten erforschte Medikament ist […] Die Hauptwirkung der Droge Arzt bestehe in dessen Antwort auf eben das Angebot, mit dem der Patient zu ihm komme: Jeder Patient wird den Gepflogenheiten des Gesundheitssystems entsprechend mit bestimmten Beschwerden seinen Arzt aufsuchen, die in dessen Fachgebiet gehören. Es sei die Aufgabe des Arztes, sehr genau hinzuhören und diese Beschwerden in Verbindung mit dem ganzen Erscheinungsbild des Patienten, der präsentierten Emotionalität und der Art der Schilderung zu bewerten und daraus den Schluss zu ziehen, in welcher Art und Weise er reagieren solle: Es kann ungünstige Wirkung zeitigen, wenn der Arzt nur auf die von dem Patienten konkret angesprochenen Beschwerden reagiert, z. B. körperliche Schmerzen, und sich ausschließlich auf entsprechende somatische Diagnostik beschränkt, sich aber hinter den primär beklagten Beschwerden ein ganz anderes Anliegen verbirgt, beispielsweise ein Beziehungswunsch oder der Hinweis auf eine schwere psychosoziale Notlage. […]

In dem Kapitel über die ›Apostolische Funktion des Arztes‹ schreibt Balint, dass (viele) Ärzte eine vage, aber fast unerschütterliche Vorstellung davon haben, wie ein Mensch sich verhalten soll, wenn er krank ist, und genau zu wissen meinen, was das Richtige für den Patienten ist. Hieraus resultiert, dass die Ärzte sich zwischenmenschlich mehr intuitiv-unreflektiert ihren Patienten zuwenden und ihnen pädagogische Ratschläge, z. T. auch moralisierende Mahnungen geben. Balint erkennt dahinter ein ärztliches Omnipotenzgefühl, mit dem der Arzt das, was er möglicherweise im Leben für sich für richtig hält, auch von dem Patienten erwartet, in der Hoffnung, dadurch dessen Problem besonders schnell lösen zu können. […]«5

Die durch Michael Balint ins Leben gerufene Balint-Gruppenarbeit wendet sich an Ärzte, Psychologen, Pädagogen oder andere im sozialen Bereich arbeitende Berufsgruppen, wobei in Gruppen von 6 bis 12 Teilnehmern z. B. die Biographie und Krankheitsentwicklung eines Patienten von dem ihn behandelnden Therapeuten vorgetragen werden. Danach assoziiert die Gruppe freie Einfälle zu der Persönlichkeit des Patienten und versucht sich dadurch ein vielschichtiges Bild von den ungelösten Problemen und der Notlage des Patienten zu machen. Auf diese Weise werden die Selbstreflexion und die Sensibilität des Arztes für die spezielle Lebenssituation und die damit im Zusammenhang erkennbare Entstehung psychosomatischer Krankheiten sowie deren Therapie geschärft.

Die Balint-Gruppenarbeit stellt damit auch für nicht psychotherapeutisch ausgebildete Ärzte eine wertvolle Selbsterfahrung dar, die ihr Menschenbild erweitert und sie von dogmatischen Positionen wegrücken lässt. Damit werden erfolgreichere Therapien möglich, die die Bezeichnung ganzheitliche Medizin verdienen.

Methodologische Überlegungen

Die psychotherapeutische Behandlung meiner Patienten, die an psychischen und/oder psychosomatischen Erkrankungen leiden, basiert auf den bekannten psychoanalytischen Grundlagen der Übertragung und Gegenübertragung, Klarifikation, Konfrontation und konfliktbezogenen Interpretationen. Ergänzend, aber partiell auch abgewandelt zu diesem psychotherapeutischen Verfahren haben sich in dem von mir angewendeten Vorgehen zwei Behandlungssysteme bewährt. Die erste Methode der amerikanischen Autorinnen Chopich und Paul‚ die mit ihrem Buch »Aussöhnung mit dem inneren Kind«6 nach den Prinzipien der Transaktionsanalyse arbeiten, spiegelt quasi die Leitlinien der biographischen Geschichte eines Menschen wider, die psychophysische Entwicklung eines Kindes hänge unbestritten maßgeblich von der elterlichen Erziehung ab.

Da jedes Kind auf elterliche Fürsorge und Liebe angewiesen ist und es existentiell darauf nicht verzichten kann, findet, sofern diese Grundbedürfnisse des Kindes nicht oder nur eingeschränkt erfüllt werden, ein stetiges Bemühen vonseiten des Kindes statt, diesen ersehnten Zustand auf irgendeine Weise dennoch zu erreichen. Hierzu versucht es, sich den elterlichen Geboten und Forderungen anzupassen, selbst wenn es damit eigene Interessen und unmittelbare Wünsche verleugnet. Die infantile psychische Struktur wird besonders in den ersten Jahren der symbiotischen Beziehung zur Mutter und erweitert vor allem bis zur Schulfähigkeit des Kindes geprägt. Diese Jahre entscheiden im Wesentlichen darüber, ob sich ein Kind vorwiegend selbst verleugnet, um den Ansprüchen und Erziehungsprinzipien der Eltern zu genügen und damit doch noch Anerkennung und Liebe zu gewinnen. Die Autorinnen bezeichnen diese oft verzweifelten und frustranen Anstrengungen des Kindes als das Erschaffen eines falschen Selbst, des sog. »Ego«. Dieser Begriff wird in der einschlägigen psychoanalytischen Literatur nicht gleichsinnig verwendet, sondern eher der »Persona« zugeordnet, die der Psychoanalytiker C. G. Jung für die Außendarstellung eines Menschen im gesellschaftlichen Kontext gebraucht.

Die gesamte Art und Weise des erzieherischen Umganges der Eltern mit ihrem Kind und die graduell mehr oder weniger angepasste Reaktion des Kindes erzeugen eine tiefgreifende seelische und psychosomatische Prägung, die zunächst dauerhaft internalisiert wird. D. h. ein Kind bildet eine sog. psychische Struktur aus, die praktisch eine Kopie des elterlichen Verhaltens und der kindlichen Antwort auf diese Verhältnisse darstellt. Es sorgt unbewusst dafür, dass das Skript der Eltern unverändert weitergeführt wird.

Übertragen auf den transaktionsanalytischen Ansatz von Chopich und Paul heißt das, es haben sich elterliche und kindliche Instanzen herausgebildet, die exakt die gesamte psychische Entwicklung eines Kindes abbilden. Die Autorinnen beschreiben zunächst im psychischen Raum eines Jugendlichen und Erwachsenen vier polarisierte Grundinstanzen: der liebevolle Erwachsene, das geliebte Kind versus der strenge, ablehnende, missbrauchende Erwachsene und das ungeliebte Kind. Diese Klassifizierungen sind natürlich zu verstehen wie das jeweilige Ende eines Regenbogenspektrums von Ultraviolett bis Infrarot. Selbstredend gibt es vielfache Übergänge in den jeweiligen psychischen Strukturen wie in der Vielfalt der Spektralfarben.

Die eigentliche psychotherapeutische Arbeit besteht darin, zunächst anhand alltäglicher Konfliktsituationen den Status quo der erworbenen Struktur zu erkunden. Die Frage ist also, ob es sich bei dem jeweiligen Patienten um eine Struktur handelt, die vom sog. falschen Selbst „Ego“ bestimmt ist, und insbesondere in welchen Bereichen der Alltagsbewältigung das Phänomen der Selbstverleugnung, Verdrängung oder Projektion auf die angebliche Aktion oder Reaktion der Mitmenschen wirksam ist. Hat man quasi topographisch die Konfliktfelder ermittelt, in denen ein Patient ständig wiederholt nicht realitätsadäquat reagiert, beginnt nach der Erkenntnis und dem Verständnis der Zusammenhänge des kindlichen Leidens und den verzweifelten Anpassungsversuchen das Aufspüren von spezifischen unangemessenen Verhaltensmodalitäten in der aktuellen Realität.

Diese sich bei einer komplexen defizienten psychischen Struktur ständig wiederholenden Verzerrungen der Realitätssicht und damit der fortschreitenden sozialen und beruflichen Desintegration führen letztlich unausweichlich zu gravierenden psychischen und oft damit kombiniert zu schweren psychosomatischen Erkrankungen. Diese akkumulieren mit zunehmendem Alter und verkürzen oft drastisch die durchschnittlich zu erwartende Lebensalterszeit. Gregg Braden, ein nordamerikanischer Autor, der sich mit spirituellen Existenzfragen beschäftigt, erwähnte in einem seiner Bücher beiläufig, dass seines Erachtens Menschen eine weit längere Lebenserwartung hätten, wenn sie nicht an ihren ungelösten persönlichen Problemen viel früher sterben würden. Natürlich müssen auch die weitgefächerten gesellschaftlichen und generellen Umweltbedingungen einbezogen werden.

Zurück zur Transaktionsanalyse der amerikanischen Autorinnen: Die Aufgabe des Psychotherapeuten besteht nach der o. g. diagnostischen Zuordnung und dem Skizzieren der Strukturmerkmale eines Patienten darin, die Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe gegenüber dem verinnerlichten, bislang früher nicht wahrgenommenen oder gepeinigten Kind im Nachhinein zu verbessern. Natürlich kann man die