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ZIEGEN HALTEN

— Informationen vorab

ZIEGEN ALS HAUSTIERE

Kein anderes landwirtschaftliches Nutztier polarisiert mehr als die Ziege: Es gibt Menschen, die dem Charme, dem Witz und der Intelligenz dieses Tieres vollkommen erlegen sind, und eben–jene, denen genau diese Eigenschaften zuwider sind.

Persönlich möchte ich mich zu Ersteren zählen, Ziegen sind für mich faszinierende Haustiere und ich kann mich nicht daran erinnern, jemals ohne eigene Ziegen gelebt zu haben. Dennoch kann ich großes Verständnis für diejenigen aufbringen, die mit diesen Tieren rein gar nichts anfangen können und schier in Panik verfallen, wenn das Gespräch auf die Ziege kommt. „Ziegen stinken, sie brechen aus jedem Zaun aus, sie vertragen sich nicht mit anderen Tieren, sind bösartig und gemein“, so lauten die Vorurteile. Vielleicht kann ich mit diesem Buch dazu beitragen, diese Vorurteile – meist basierend auf Missverständnissen und Haltungsfehlern – ein klein wenig aus der Welt zu schaffen.

Die Intelligenz der Ziege ist sprichwörtlich und wird den Halter gleichermaßen faszinieren wie vor fast unlösbare Probleme stellen. Wenn man sich aber als Mensch und neuer Ziegenhalter auf das Wesen der Ziege einlässt und sich ein wenig in sie hineindenkt, etwa versucht, die Welt aus dem Blickwinkel der Ziege zu sehen, dann hat man mit der Haltung von Ziegen die allergrößte Freude. Mal ganz abgesehen von dem wirtschaftlichen Nutzen, den diese Tiere mit sich bringen.

Der Schlüssel zum friedvollen und harmonischen Leben mit Ziegen ist die artgerechte Haltung. Dieses Buch wird sich somit im Wesentlichen an den Neuling in der Ziegenhaltung richten und versteht sich als Leitfaden zur artgerechten Ziegenhaltung.

Die Ziege polarisiert! Entweder man liebt sie, oder eben nicht.

VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE HALTUNG

Sie haben sich also dafür entschieden, Ihr Leben mit der Haltung von Ziegen zu bereichern. Wenngleich die Ziege ein recht robustes und vermeintlich anspruchsloses Tier ist, so gilt es doch, einige wichtige Grundvoraussetzungen zu klären. Ziegen sind zwar Weidetiere, lieben aber die kulinarische Abwechslung und ziehen Sträucher und Büsche jedem Grashalm vor. Haben Sie eine Weide zur Verfügung, die möglichst abwechslungsreich gestaltet ist? Und dies gleichermaßen im botanischen Aufwuchs wie bestenfalls in der geografischen Beschaffenheit? Ziegen klettern gerne und finden nichts langweiliger als eine ebene Fläche ohne Hügel, Felsen oder Baumstämme, ohne Sträucher und Astwerk. Und ebenjene Langeweile zwingt die Ziege regelrecht zum Umsetzen wirklich blöder Ideen, wie beispielsweise das Ärgern von Weidegenossen oder das Zerstören von Inventar. Kein Tier ist so unzufrieden und unberechenbar wie eine Ziege mit Langeweile.

Auf die Beschaffenheit der optimalen Ziegenweide werde ich im entsprechenden Kapitel (siehe hier) detailliert eingehen, aber im Vorfeld sollten Sie sich schon darüber im Klaren sein, dass es nicht damit getan sein wird, hinterm Haus den Garten einzuzäunen und dort dann zwei Ziegen hineinzustellen.

Es stellt sich zudem die Frage, was Sie von Ihren Ziegen erwarten: Sollen sie einfach nur Familienmitglieder sein? Wollen Sie vor allem die leckere Ziegenmilch gewinnen und vielleicht zu köstlichem Käse verarbeiten? Möchten Sie das Fleisch der Ziege nutzen? All diese Fragen sollten Sie sich stellen und anhand der Antworten die richtige Rasse für sich wählen.

Dann wäre die Frage, wie viele Ziegen Sie halten möchten und wer diese versorgt, wenn Sie mal nicht da sind? Gerade wenn Sie Ihre Tiere melken wollen, muss immer ein Plan B zur Hand sein, falls Sie – aus welchen Gründen auch immer – plötzlich nicht melken können.

Wohin mit den Ziegen im Winter? Haben Sie einen Stall für Ihre Tiere? Wo steht der? Gerade für den Fall, dass Sie auch einen Bock halten wollen, sollte der Stall nicht direkt neben dem Wohnzimmerfenster Ihres Nachbarn stehen, dies könnte eventuell zu nachbarschaftlichen Differenzen führen.

Wie viel Zeit steht Ihnen täglich zur Betreuung Ihrer Tiere zur Verfügung? Es lässt sich im Vorfeld nicht sagen, wie hoch der zeitliche Aufwand tatsächlich sein wird, aber es wird ganz sicher arbeitsintensivere Zeiten geben und solche, in denen Sie weniger Arbeit mit Ihren Ziegen haben werden. All diese Überlegungen sollten Sie vor der Anschaffung Ihrer neuen Mitbewohner anstellen. Auf den folgenden Seiten werden Sie einiges lesen, was Ihnen bei der Beantwortung dieser Fragen helfen kann.

Frische Äste sind bei allen Ziegen überaus beliebte Leckerbissen.

WIE VIELE TIERE?

Ziegen sind Herdentiere, und als solche fühlen sie sich in der Gesellschaft von Artgenossen am wohlsten. Anders als Schafe können Ziegen aber auch schon zu zweit zufrieden sein. Zwei Tiere sollte allerdings wirklich die Mindestzahl sein. Um ihr volles Verhaltensrepertoire ausleben zu können, wäre sicher die Haltung einer kleinen Gruppe von fünf Tieren erstrebenswert.

Ob im Stall oder auf der Weide, nur in der Gruppe fühlen sich Ziegen wohl.

Der Platzbedarf für diese Kleingruppe lässt sich in der Ziegenhaltung weitaus schwerer beziffern als in der Schafhaltung. In der Schafhaltung würde man dieser Tiergruppe mindestens einen halben Hektar, also 5.000 Quadratmeter zuteilen. Für die Ziegenhaltung ist die Beschaffenheit und vor allem die Gestaltung der Weide weitaus wichtiger als die Größe der Fläche. Die optimale Weide zur Ziegenhaltung ist nicht flach, sondern möglichst hügelig, mit einer Klettermöglichkeit und bestenfalls einem Baumbestand oder diversen stabilen Sträuchern. Feuchte Stellen sollten auf der Weide fehlen und die Ziegen sollten unbedingt die Möglichkeit haben, sich vor Wind, Sonne und Regen zu schützen. Dazu mehr im Kapitel über Stall und Weide.

Bemerkenswert an Ziegen ist, dass sie auch sehr enge soziale Kontakte zu artfremden Tieren aufnehmen können. Der Klassiker sind Schafe und Ziegen oder Pferde und Ziegen. Hier entstehen oft sehr enge Freundschaften. Dennoch, eine Ziege sollte die Möglichkeit haben, innerartliche Kontakte zu pflegen. Am friedvollsten lassen sich meist eng verwandte Tiere zusammen halten, wie z. B. Mutter und Tochter, zwei Schwestern oder auch zwei Brüder, zwei Schwestern und deren Töchter usw. Die paarweise Haltung wird ebenfalls bestens funktionieren, wenn der Bock kastriert ist. Andernfalls wird er die einzige Dame, die ihm zur Verfügung steht, derart belästigen, dass diese auf Dauer doch sehr unter ihrem ungestümen Partner zu leiden hat.

Ein Bock sollte, wenn er dauerhaft in der Gruppe lebt, schon eine „Auswahl“ von mindestens fünf Geißen haben. Das wird ihn zwar nicht gänzlich auslasten, aber den Damen die Ruhepausen gönnen, die sie verdienen. Auch auf die Haltung des Bockes werde ich näher eingehen (siehe hier).

Grundsätzlich benötigen Ziegen zum artgerechten und zufriedenen Leben nicht zwingend einen Bock. Allerdings werden Sie – je nachdem, in welcher Weise Sie Ihre Ziegen nutzen wollen – kaum um Nachwuchs herumkommen, und dazu wäre zumindest der Besuch eines Bockes vonnöten, oder aber die Haltung eines eigenen Paschas für Ihre Damen. Außerdem ist im natürlichen Lebensrhythmus der Ziege durchaus auch eine Trächtigkeit vorgesehen, und die Faszination, die vom eigenen Ziegennachwuchs ausgeht, ist fast unbeschreiblich.

© Kai Haus

Der mächtige Thüringer Waldziegenbock hat immer ein Auge auf seine Damen.

RECHTLICHE ASPEKTE

Nichts geht ohne Bürokratie, auch die Ziegenhaltung unterliegt diversen Vorschriften. So schreibt z. B. das Tierschutzgesetz vor, dass grundsätzlich jeder Ziegenhalter die nötige Sachkunde für die Ernährung, Pflege und Betreuung seiner Tiere haben muss, um das Wohlbefinden der von ihm gehaltenen Ziegen sicherstellen zu können (§ 2 Nr. 3 des Tierschutzgesetzes). Diese Sachkunde kann man z. B. auf diversen Sachkundelehrgängen erwerben, die von regional organisierten Ziegenzuchtvereinen oder vom überregionalen Ziegenzuchtverband angeboten werden. Es ist dem Neuziegenhalter daher unbedingt empfohlen, sich bei einer dieser Einrichtungen Rat in allen bürokratischen Belangen zu holen.

Außerdem muss jeder Ziegenhalter seinen Tierbestand beim zuständigen Veterinäramt anmelden. Dort sollte er sich auch über die Kennzeichnungspflicht seiner Tiere informieren. Laut Viehverkehrsverordnung vom 6. Juli 2007 müssen alle Ziegen mit Ohrmarken gekennzeichnet werden. Diese Kennzeichnung ist ein umstrittenes Thema unter den Tierärzten und Tierhaltern, denn gerade Ziegen sind prädestiniert dafür, sich durch das Ausreißen der Marken – beispielsweise beim Fressen im Gebüsch – hässliche Verletzungen zuzufügen. Aber aktuell ist eben die Vorschrift, dass eine Ziege mit Ohrmarke gekennzeichnet sein muss, und das gilt es vom Tierhalter zu beherzigen.

Das Einziehen der Ohrmarken sollte unbedingt durch eine sachkundige Person stattfinden. Zum einen, damit die Marken auch an der richtigen Stelle sitzen, zum anderen, um den Tieren so wenig Schmerz wie möglich zu bereiten. An dieser Stelle sei jedem Neuziegenhalter empfohlen, sich den Rat und ggf. die Hilfe eines erfahren Ziegenhalters zu holen. Ziegen sind wehleidig, das Einziehen der Marken ist für die Tiere kein Vergnügen und sie werden dies lautstark kommentieren. Der Neuziegenhalter wird furchtbar erschrecken, und da kann es sehr beruhigend sein, sich auf einen erfahrenen Kollegen zu verlassen.

Korrekt gezeichnete Ziege

Des Weiteren sollten Sie sich bei Ihrer Gemeinde darüber informieren, ob Sie Ihre Ziegen überhaupt dort halten dürfen, wo es Ihnen vorschwebt. Hier gilt es unbedingt, sich über Baurechte bezüglich des Stalles und über Nachbarschaftsrechte schlau zu machen. Informieren Sie sich im Vorfeld!

Alle Vorschriften und Regeln dienen letztlich dem Wohl der Tiere; sie sind darauf ausgerichtet, Tierwohl zu garantieren und haben daher durchaus ihre Berechtigung.

DIE ABSTAMMUNG UNSERER ZIEGEN

Ziegen zählen zoologisch zur Unterfamilie der Ziegenartigen (Caprinae). Die wildlebenden Vorfahren unserer Hausziegen finden sich in den Gebirgen Europas, Asiens und Nordafrikas. Diese Vorfahren lassen sich in vier Arten unterteilen:

  • Steinbock (Capra ibex)

  • Iberien-Steinbock (Capra pyrenaica)

  • Markor- oder Schraubenziege (Capra falconeri)

  • Bezoarziege (Capra aegagirus)

© Angelo Gandolfi/Arco Images

Die Bezoarziege gilt als direkter Vorfahr unserer Hausziegen.

All diesen Wildziegen ist ihre Lebensweise und die Art der Ernährung gemein. Während die Steinböcke sicher die imposantesten Vertreter ihrer Familie sind, ist die Bezoarziege für uns die interessanteste Wildziegenart. Sie gilt als direkter Vorfahre unserer Hausziegen.

Bezoarziegen leben auch heute noch wild im Kaukasus, in den meisten Gebirgen Kleinasiens und Persiens und auf einigen Inseln im ägäischen Meer. Die Färbung variiert in verschiedenen Rotbrauntönen mit schwarzbraunen Abzeichen im Gesicht, an Brust, Unterhals und Vorderbeinen. Ein dunkler Aalstrich ziert den Rücken der Tiere. Erwachsene Böcke erreichen eine Widerristhöhe von 80–100 cm und eine beeindruckende Hornlänge von bis zu 130 cm. Die Hörner sind säbelförmig nach hinten gebogen. Weibliche Tiere tragen einen kleineren Kopfschmuck und erreichen auch nicht die Körpermaße der Böcke.

Ihren Namen verdankt die Bezoarziege jenen Haarkugeln (im Persischen „Bezoare“ genannt), die sich in ihren Mägen weitaus häufiger finden als bei allen anderen Wiederkäuern. Sie bestehen aus Haaren, Harzen und Steinchen, die die Tiere bei der Körperpflege und Nahrungsaufnahme zu sich nehmen. Unglücklicherweise schrieb man früher diesen Kugeln eine heilende Wirkung zu, was zu einer extremen Bejagung der Bezoarziegen führte und sie fast ausrottete. 1860 war der Bestand auf nur noch 50 Tiere dezimiert. Dank strengem Schutz konnte sich die Population erholen und gilt heute nicht mehr als stark bedroht.

Bezoarziegen lassen sich fruchtbar mit Hausziegen kreuzen. Aufgrund des gleichen Chromosomensatzes von 2n = 60 entstehen bei dieser Paarung kerngesunde, lebensfähige Nachkommen. Daher ist es durchaus möglich, dass die eine oder andere verwilderte Hausziege mit ihrem Erbgut in einer wild lebenden Gruppe Bezoarziegen aufging.

SCHAF ODER ZIEGE?

Die beiden kleinen Wiederkäuer unterscheiden sich nicht immer so deutlich, dass dem Laien direkt die eindeutige Zuordnung gelingt. Während es einfach ist, Wolle tragende Schafe von unbewollten Ziegen zu unterscheiden – und dies sicher in 90% aller Fälle auch korrekt ist –, so gibt es doch einige Haarschafrassen wie Kamerunschafe oder Wiltshirehorn-Schafe, die rein äußerlich durchaus einer Ziege ähneln können. Oder die eine oder andere Ziegenrasse erinnert an ein Schaf mit Wolle, wie z. B. die Angoraziege.

Achten Sie auf das Verhalten der Tiere: Schafe weiden im meist recht engen Herdenverband, Ziegen schwärmen viel weiter aus. Schafen ist es meist nicht möglich, auf den Hinterbeinen balancierend an den herabhängenden Ästen eines Baumes zu naschen, Ziegen beherrschen diese Technik perfekt. Vor allem achten Sie auf die Schwanzhaltung: Schafe tragen in Bewegung den Schwanz lose nach unten hängend, bei Ziegen zeigt dieser meist steil nach oben oder wird mindestens waagerecht vom Körper weggestreckt.

Nicht erkennen können Sie den unterschiedlichen Chromosomensatz, obgleich dieser aus biologischer Sicht der Hauptunterschied ist. Er ist auch der Grund dafür, dass aus einer vermeintlichen Paarung von Schaf und Ziege kein lebensfähiger Nachwuchs entstehen kann.

DAS WESEN DER ZIEGE

Unter allen Haustieren hat sich wohl die Ziege am meisten ihre Eigenständigkeit bewahrt. Ziegen sind freiheitsliebende Individualisten mit einer geradezu sprichwörtlichen Neugier, vielleicht am ehesten zu vergleichen mit einer Katze. Der Mensch wird geduldet, aber den Lebensrhythmus bestimmt die Ziege. Sie gibt den Tagesablauf vor und entscheidet meist selbst, wann sie die Nähe zum Menschen sucht und wann sie diesen entbehren kann.

Ziegen sind zwar Herdentiere, leben aber eher lose zusammen, gerne in Familienverbänden innerhalb der Herde. So wird man oft Mutter und Tochter zusammen weiden sehen, oder zwei Schwestern oder zwei gleichaltrige gute Freundinnen. Überhaupt entscheidet jede Ziege selbst, wen sie in ihrer Nähe haben möchte und mit wem sie befreundet sein will. Dies sollte der Halter vor allem in der Stallzeit bedenken.

KLETTERN UND ERKUNDEN

Ziegen zieht es immer nach oben, sie lieben es zu klettern und in irgendeiner Weise die Welt von oben zu betrachten. Als Hartbodenlieger schätzen sie es sehr, von erhöhten Plattformen aus über ihr Reich zu blicken, auf kargem Fels oder sogar dem Dach des Weideunterstandes zu ruhen und wiederzukäuen. Für die Ziege ist kein Berg zu hoch, und alles, was sie auf der Weide oder im Stall findet, wird sie irgendwie erklimmen wollen. Damit bringt sie sich oft in gefährliche Situationen.

Klettern ist die größte Freude für alle Ziegen.

Außerdem ist es ihre unstillbare Neugier, die sie umtreibt. Ziegen erkunden täglich neu ihr Revier und entdecken dabei auch immer wieder ihre Welt neu. Daher rührt es auch, dass Ziegen dazu neigen, genau zu wissen, wann die Batterie am Elektrozaun leer ist und wie man es dann schafft, die Welt außerhalb der Umzäunung zu erkunden. Hier gilt es wirklich, das Wesen seiner Tiere zu verstehen. Es ist nicht etwa der Hunger oder das Verlangen nach frischerem Grün, welches Ziegen die Umzäunung ihrer Weide überwinden lässt, sondern ebendiese unerträgliche Neugier, welche die Tiere förmlich dazu zwingt, sich außerhalb ihrer Weide nach neuen Abenteuern umzusehen. Wissend um diese Eigenschaft, schafft es der Ziegenhalter wesentlich leichter, erstens seine Tiere in der Weide zu halten und zweitens sich weniger darüber aufzuregen, wenn seine Herde doch einmal auf Wanderschaft geht.

DIE HERDENSTRUKTUR

Innerhalb der Herde herrscht eine strenge Hierarchie, und auch hier strebt jedes Tier ein wenig nach der Weltherrschaft. Daher kommt es unter Ziegen öfter mal zu kleinen oder größeren Rangeleien. Den Herdenvorsitz hat immer eine erfahrene, starke Leitgeiß. Es herrscht das Matriarchat.
Aber eben aufgrund des Strebens jeder Ziege nach „Höherem“ kann diese Matriarchin sich ihrer Sache nie wirklich sicher sein und muss ihre Position oft verteidigen.

Als Tochter der Leitziege wird dieses Kitz bereits in eine ranghohe Position hineingeboren.

INTELLIGENTE ZIEGEN

Erwähnt werden muss unbedingt auch, dass Ziegen unter den Haustieren sicher zu den intelligentesten gehören. Sie erfassen wiederkehrende Abläufe sehr rasch, lernen schnell ihren Besitzer zu erkennen und von anderen Menschen zu unterscheiden, können tatsächliche Gefahr von potenzieller Gefahr unterscheiden und prägen sich z. B. Wege von einer Weide zur nächsten oder von der Weide in den Stall sehr genau ein. So neugierig sie sind, sosehr hängen sie an einem festen Weltbild.

Schnell lernen Ziegen, Leckereien aus der Hand ihres Pflegers entgegenzunehmen.

Ich z. B. habe mit meinen Ziegen die Erfahrung gemacht, dass sie es kaum ertragen, wenn nach einem Weideumzug „ihr“ Weideunterstand nicht schnell genug nachgefahren wurde. Solange sie ohne Unterstand waren (unabhängig von der Notwendigkeit desselben), liefen sie meckernd und wehklagend aufgeregt über die neue Weide, während sich die Schafe schon genüsslich über das neue Futter hermachten. Sobald ich mit dem Unterstand angefahren kam, kehrte sekundenschnell Ruhe ein und auch die Ziegen konnten sich entspannt der Nahrungsaufnahme widmen. Es darf also auch keine zu große Veränderung der Gegebenheiten die Ziege erschüttern.

Apropos wehklagen: Wehleidig sind Ziegen allemal. Eine kranke Ziege wird sich vollends ihrer Erkrankung hingeben und sich hängen lassen. Während Schafe weitaus weniger auffällig leiden, sind die divenhaften Ziegen hier voll in ihrem Element: Eine kranke Ziege lässt sprichwörtlich den Kopf hängen, wird schnell die Nahrungsaufnahme verweigern und heftig mit den Zähnen knirschen. Ziegen sind daher nicht die beliebtesten Patienten bei den Tierärzten.

Und wasserscheu ist die Ziege. Sie hasst nichts mehr als Nässe. Sowohl von unten, in Form eines Baches oder vielleicht der feuchten Weide, als auch besonders von oben. Bei Regen suchen Ziegen meist schon vor Beginn des Schauers sehr instinktsicher mögliche Unterstellplätze auf, um sich ins Trockene zu bringen. Es wird daher kaum passieren, dass Ihre Ziegen z. B. freiwillig einen Bach durchschwimmen. Wasser am Körper ist ein No-Go für die Ziege, und sie wird alles daransetzen, dieses von sich fern zu halten.

 

GESCHICHTLICHES ZUR ZIEGENHALTUNG

Die Domestikation der Ziege erfolgte vermutlich um 9.000 v. Chr. im Vorderen Orient. Damit ist die Ziege eines der ältesten domestizierten Haustiere überhaupt. Als Belege für diese Annahme dienen Ausgrabungen in Ganj Dareh und Ali Kosch (Irak), die ein Alter von ca. 10.000 Jahren aufweisen.

Die Gründe für die Domestikation der Ziege waren mannigfaltig, natürlich wurden die Tiere zunächst hauptsächlich wegen ihres Fleisches und der Haut (dem Leder) gezähmt und gehalten, allerdings war wohl auch ihr Fressverhalten mit ein Grund, sie an den Menschen zu binden: Ziegen wurden nach verschiedenen Quellen wohl auch schon sehr früh dazu eingesetzt, Buschland und Wald in Ackerland zu verwandeln. Zumindest halfen sie schon sehr früh dem Menschen beim Roden der Wälder und schufen somit auch die Möglichkeit, dort Ackerbau zu betreiben.

Viel später erkannte der Mensch den Nutzen der Ziegenmilch, und durch gezielte Züchtung schuf er ein Haustier, welches sich die Robustheit seiner Vorfahren erhalten hat und ihm als schmackhafter Fleisch- und vorrangig als Milchlieferant zur Verfügung stand. Die Fähigkeit der Ziege, aus karger Kost Fleisch und Milch „herzustellen“, machte sie schnell zu einem der wichtigsten und wirtschaftlichsten Haustiere überhaupt.

Eine gute Milchleistung wird von jeher geschätzt.

Die Nutzung der Ziege als Zugtier war bis Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Europa weit verbreitet. Die erstaunlich kräftigen, genügsamen und robusten Ziegen wurden vor Kutschen und Wagen gespannt und, falls keine größeren Tiere verfügbar waren, auch zum Pflügen verwendet. In bergigem Gelände dienten Ziegen als Lasttiere.

Ziegen werden noch heute oft als die „Kuh des kleinen Mannes“ bezeichnet, da sie mit weniger Futter auf meist kleinerer Fläche im Verhältnis durchaus ähnliche Milchleistungen liefern können wie alte Rinderrassen. In Deutschland hatte die Ziegenhaltung vor allem in der Nachkriegszeit ihren Höhepunkt.

Heute wird die Ziege wirtschaftlich vor allem zur Milch- und Käseproduktion genutzt. Aber auch das Fleisch ist nach wie vor geschätzt und sehr beliebt. Außerdem werden Ziegen zur Landschaftspflege eingesetzt, um z. B. der Verbuschung vorzubeugen. In großen Schafherden findet man immer ein paar Ziegen, die gerne die Leitposition in der Herde einnehmen und oft zur Aufzucht verwaister Schaflämmer mitgeführt werden.

 

NATÜRLICHE VERHALTENSWEISEN

Wie schon erwähnt, sind Ziegen Herdentiere. Allerdings leben Ziegen in weitaus loserem Verband als z. B. Schafe. Meist halten die Tiere losen Kontakt zu ihren Weidegenossen, und ganz oft ist es so, dass sich innerhalb der Ziegenherde ausgeprägte Freundschaften entwickeln oder starke Familienbande gepflegt werden.