9.


Ich hielt mich immer in der Mitte des Flusses, damit man uns nicht vom Ufer aus beschießen konnte.

Ich ließ das Boot mit der Strömung treiben, damit ich Yanceys Wunde untersuchen konnte. Es sah schlimmer aus, als es in Wirklichkeit war. Die Kugel hatte keinen Knochen verletzt.

Ich hatte bei den Apachen gelernt, wie man eine Schusswunde mit Kräutern behandelt und ausbrennt, damit kein Wundfieber entsteht. Das tat ich im Laufe des Vormittags. Ich landete am Ostufer, suchte die passenden Kräuter zusammen, fachte ein Feuer an und verarztete Yancey.

Er hatte Schmerzen, lächelte aber tapfer.

„Das hast du mir nun wieder voraus“, sagte er. „Die Tricks, wie man in der Wildnis überlebt.“

„Das habe ich von den Apachen gelernt“, murmelte ich und glühte mein Messer in der Flamme aus. „Ich tausche gern zwei Mississippi-Spieler gegen einen Apachen ein. Das heißt, gegen einen Apachen, der keinen Pik auf mich hat.“

„Wie denkst du dir das weiter, Partner?“, ächzte er. „Willst du dich mit einer Krücke belasten?“

„Was für eine Krücke?“

„Mich.“

Ich lachte. „Du bist ein feiner Kerl, Yancey“, sagte ich. „Dir steht noch ein Stiefel zu. Aber auf dem Mississippi brauchst du so etwas ja nicht.“

„Du solltest mich hier irgendwo bei einem Doc abliefern und allein weiterfahren, Partner.“

„Ich denke nicht daran. Eine Flussfahrt nach New Orleans wird dir guttun. Die Luft ist auf dem Fluss viel besser als an Land. Weniger Moskitos, keine Anstrengungen, den ganzen Tag lang in der Sonne liegen. Du wirst sehen, wie du dich dabei erholst. Und wenn wir in New Orleans ankommen, bist du so gut wie neu.“

Ich trug ihn wieder ins Boot zurück. Es musste das Boot des Kapitäns der Golden Cloud gewesen sein, aus so erlesenem Holz war es gefertigt. Und es hatte sogar ein paar Vorratskästen unter den Duchten, die mit Schiffszwieback, Fleisch und Obstkonserven gefüllt waren.

Und mit einem funkelnagelneuen Colt plus zwei Kisten Patronen.

Besser konnten wir es gar nicht getroffen haben, dachte ich voller Optimismus. Hier in der Mitte des Stromes, der immer breiter wurde, waren wir sicher vor den Hyänen, die unserem Geld nachjagten.


*


Wir erreichten die goldene Stadt nach zwei Tagen gegen Sonnenuntergang. Das Eldorado der Spieler und Lebemänner zeigte uns jedoch seine geschäftigste und hässlichste Seite – den Hafen von New Orleans, wo die Mississippi-Dampfer mit ihren charakteristischen hohen Doppelschornsteinen an den Kais lagen und ihre Güter ausspuckten – Baumwollballen, Zuckersäcke, Getreidesäcke und Holzladungen.

Yancey Hope hatte sich dank meiner Medizinmann-Pflege erstaunlich rasch von seiner Verwundung erholt. Er blickte an den meilenlangen Piers entlang, wo die Raddampfer sich Bug an Heck drängten, und schüttelte den Kopf.

„Partner“, sagte er, „ich dachte, in New Orleans gibt es nur Schlemmerlokale, Spielhöllen und Bordelle. Doch da sieht man mal, wie man sich täuschen kann. Ich sehe nur stinkende Dampfer, faulende Fische und Legionen von Ratten.“

„Das kommt davon“, sagte ich anzüglich, „weil du die Welt einmal von unten betrachten musst, aus der Perspektive eines Hundes. Vielleicht ist das ganz heilsam für dich. Man sieht, dass Geld erst verdient werden muss, ehe man es an den Spieltischen ausgeben kann.“

„Junge“, sagte Yancey staunend, „du wirst ja direkt zum Philosophen. Normalerweise passiert das Menschen erst, wenn sie älter werden.“

„Man wird jeden Tag älter. Also kann man mit der Philosophie nicht früh genug anfangen.“

„Sehr weise von dir. Doch mit deiner Philosophie kannst du keinen Cent verdienen, wenn du sie schriftlich niederlegst. Selbst die Analphabeten wissen, dass zum Geldverdienen das Arbeiten gehört.“

Yancey saß an der Ruderpinne und steuerte hinter den Kais einen halb verfaulten Landungssteg an. Wir mussten im alten Hafenviertel landen, denn im neuen war zwischen den mächtigen Raddampfern kein Fleckchen an der Pier mehr frei. Mein Blick fiel auf seine neuen Schuhe. Es waren keine eleganten Stiefeletten, sondern ganz gewöhnliche Straßenschuhe. Ich hatte sie in einer Handelsniederlassung am Ostufer gekauft, als ich Yanceys Verband wechseln musste. Shita betrachtete die noch frisch gefetteten Stiefel von Yancey genauso nachdenklich wie ich.

„Partner“, sagte ich, „wenn wir an Land gehen, sollten wir wieder unseren Notgroschen als Einlegesohlen in die Schuhe schieben, wie du mir das auf der Golden Cloud ans Herz gelegt hast.“

Ich hatte nämlich meine Geldeinlagen in meinen Texasstiefeln in die Tasche zurückgelegt. Dazu hatte mir Yancey geraten, eingedenk seiner Stiefeletten, die er auf dem Fluss verloren hatte.

„Wenn der Kahn kentert, geht uns das Geld nicht verloren“, hatte er zu mir gesagt. „Weil wir die Tasche in einem der Vorratskästen des Bootes sinksicher untergebracht haben. Deine Stiefel sind jedoch so wenig vor dem Absaufen sicher, wie es meine Stiefeletten gewesen sind. Also“, meinte er, „ist dein Geld in der Tasche besser aufbewahrt als in deinen Schuhen, solange wir auf dem Wasser leben müssen.“

„Partner“, erwiderte Yancey jetzt, „das sind Worte, die sich für einen Weisen schon besser schicken. Ratschläge, die ich sofort befolgen werde, wenn sich die erste Gelegenheit dazu bietet. Und wenn auch nur aus dem Grunde, weil diese weisen Ratschläge von mir selbst stammen.“

Er grinste mich an. Ich fragte, warum wir nicht gleich ein paar Hunderter in unsere Schuhe verstauen sollten.

„Erstens“, sagte er, „sitzen wir in einem kleinen, offenen Boot, und mindestens 200 neugierige Augen sind auf uns gerichtet. Zweitens werde ich diese scheußlichen Treter, die du mir gekauft hast, nur so lange behalten, bis ich einen Schuster gefunden habe. Denn sie kneifen mich schon jetzt an den Zehen, obwohl ich nicht mal einen Dollar eingelegt habe.“ Er hielt sich die Nase zu. „Es stinkt.“

Ich nickte zustimmend. „Shita merkt es schon lange. Er winselt, weil er sich nicht wie du die Nase zuhalten kann.“

Das Ufer, wo wir jetzt landeten, wurde offenbar dazu verwendet, den Unrat der ganzen Stadt New Orleans aufzunehmen. Auf den alten Kaianlagen, die man anscheinend schon seit Jahren nicht für Schiffe benutzte, türmten sich Berge von verdorbenem Obst, Fischen, Gemüse und zerbrochenen Kisten. An einem Ende dieser Halden aus Abfall und Unrat schwelte ein Feuer. Was brennbar war, wurde vermutlich durch Feuer beseitigt. Was nicht brannte, kippte man danach in den Fluss.

Wir stiegen neben einem Poller an Land, wo eine Leiter vom alten Kai in den Fluss hinunterhing. Ich band das Boot am Poller fest und half Yancey und Shita, die Leiter hinaufklettern. Oben auf dem Kai blickten wir uns um.

„Ich denke, wir werden eine Weile laufen müssen, bis wir einen Schuster finden“, murmelte ich.

Yancey schüttelte den Kopf. „Es stinkt, und es qualmt. Aber eigentlich ist das die richtige Stelle für unseren ersten Landgang in New Orleans. Schau uns beide doch nur an.“

Shita sah auch nicht viel sauberer aus als wir beide. Er hatte nur keinen Stoppelbart wie wir, weil er sich nicht zu rasieren brauchte.

„Yancey“, sagte ich zu meinem Partner, „wir werden erst einmal zu einem Barbier gehen und uns dort rasieren lassen. Dann nehmen wir ein Bad und suchen uns ein Hotel. Dort zeigen wir vorsichtig, was wir in der Tasche haben. Der Portier wird sich ein Bein ausreißen, um uns jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Wir nehmen uns ein Doppelzimmer und lassen uns Schneider, ­Schuster und das Essen aufs Zimmer schicken, okay?“

„Bis zum Hotel bin ich einverstanden“, meinte Yancey Hope mit einem leisen Augenzwinkern. „Was das Doppel­zimmer betrifft - nein. Ich habe zwar nichts gegen Shita, aber er gehört nun mal nicht in ein Luxusappartement. Ich denke, wir nehmen zwei getrennte Doppelzimmer.“

„Von mir aus“, sagte ich gekränkt, „nehmen wir zwei getrennte Doppelzimmer, obwohl zwei Einzelzimmer sicher ausreichen würden.“

„Junge“, sagte Yancey, „ich habe doch nichts gegen deinen Hund. Aber ich will mir nicht nur den Schneider und den Schuster aufs Zimmer schicken lassen. Du bist heute wirklich kein Schnelldenker.“

Ich errötete leicht. „So ist das also. Du meinst, Shita könnte dich bei einer intimen Sache stören, wie?“

„Doch nicht der Hund, Dummkopf. Ich möchte bei so etwas keine Zuschauer haben. Das verstehst du doch. Außerdem könnte es sein, dass mir Shita unbedingt behilflich sein will, wenn ich eine Miss auf dem Zimmer habe. Doch Ladys ziehe ich lieber allein aus, Ronco.“

„Also gut, Yancey“, sagte ich, immer noch gekränkt. „Du kannst ja mit deinem Geld tun, was du willst. Ich nehme mir ein Einzelzimmer, denn Shita schläft immer unter meinem Bett, nie darin.“

„Und wie steht es mit den Ladys? Sollen die auch unter deinem Bett schlafen?“

„Muss ich nicht haben“, sagte ich.

„Ah“, sagte er betroffen. „Bist du ein Mönch?“

„Partner“, sagte ich hart, „lassen wir dieses Thema. Es könnte ja sein, dass es selbst in diesem verrufenen New Orleans ein paar Mädchen gibt, die es nicht nur für Geld, sondern aus Zuneigung tun. Okay?“


*


Wir benutzten einen schmalen Weg, den man zwischen den Abfallhalden freigelassen hatte, um bis zu den ersten Häusern des alten Hafenviertels vorzudringen.

Ich sah einen kleinen Hafen-Saloon mit einem Hitchrail davor, an dem zwei Pferde angebunden waren. Gleich daneben stand ein kleines Backsteinhaus mit einem runden Blech vor der Ladentür, das an zwei rostigen Ketten aufgehängt war. Barber Shop stand darauf, und darunter in verschnörkelter Schrift: French Style.

Ich deutete auf das Schild. „Da ist ja schon, was wir als Erstes brauchen. Fragt sich nur, ob wir dort auch ein Vollbad nehmen können.“

„Ein französischer Barbier?“ Yancey schüttelte den Kopf. „Die Franzosen rasieren dich nur an den unmöglichsten Stellen. Das Baden haben sie nicht so gern. Sie gießen lieber Parfüm auf den Dreck.“

„Du meine Güte, Partner“, erwiderte ich, „mir scheint, du hast Vorurteile.“

„Durchaus nicht, Ronco“, erwiderte Yancey, „ich hatte mal ein Mädchen in Saint Louis, die nur französisch sprach. Sie sparte nie am Parfüm, aber umso mehr an der Seife. Sie meinte, es wäre nur wichtig, sich an einer Stelle zu waschen, und die wäre sehr klein. In diesem Punkt sind alle Franzosen reinlich, Männer wie Frauen. Sie waschen sich ja nur im Bidet, falls sie eins haben, denn ...“

Ich hörte ihm nicht zu. Ich hatte schon eine Weile nicht mehr zugehört, weil ich für ihn die Tür zu dem Barber Shop aufhielt und mir der Hund durch die Beine fuhr.

Shita stürzte sich auf einen Mann, der auf einem Schemel saß, den Hut im Genick, die Arme auf die Knie gestemmt. Offenbar ein Kunde, der darauf wartete, bis der Rasierstuhl frei wurde, auf dem gerade ein anderer Mann vom Barbier eingeseift wurde.

Zu spät fiel mir jetzt ein, dass eins der beiden Pferde, das nebenan vor dem Saloon angebunden war, ein grauer Morgan-Wallach war.

Noch bevor Shita Slade am Bein gepackt hatte, erkannte auch Slade meinen Hund wieder.

„Teufel, Boss!“, schrie er und sprang vom Schemel hoch. „Unsere beiden blonden Gents wollen sich auch rasieren lassen.“

Slade wehrte Shita mit einem Fußtritt ab und zog seinen Colt.

Und dann knallte es auch schon.


*


Ich riss Yancey mit mir, der noch gar nicht im Bild war, so sehr war er versponnen in seine männlichen Erinnerungen und das französische Flair.

Hank Gunnison hatte den kleinen dicken Barbier zur Seite gestoßen und schoss mit beiden Händen aus der Hüfte. Er nahm sich nicht die Zeit, erst den Schaum aus dem Gesicht zu wischen. Er sah meine Tasche und explodierte förmlich. Er schoss aus allen Rohren, wie man so schön sagt.

Yanceys rechter Arm taugte noch nicht viel zum Schießen. Er lag in einer Schlinge und war gerade kräftig genug, fünf Karten zwischen den Fingern zu halten. Ich drückte ihm unser Vermögen in die linke Hand und zog ihn mit mir fort - zurück zu den qualmenden, stinkenden Müllhalden auf dem alten, ausgedienten Kai.

Dafür nahm ich ihm seinen Colt ab und erwiderte das Feuer der beiden Kerle beidhändig.

Das Fenster des kleinen Barbierladens barst in Tausende von Scherben. Hank Gunnison hatte den Rasierstuhl durch die Scheibe geworfen, um ein besseres Schussfeld zu haben.

Slade tauchte in der kleinen Gasse zwischen dem Saloon und dem Barber Shop auf. Er schoss jetzt aus dem Dunkeln heraus. Das brachte ihm den wesentlichen Vorteil ein, dass ich ihn nicht sehen konnte. Ich musste mich an seinen Mündungsflammen orientieren.

Er hetzte geduckt aus der Gasse heraus, als ich zwei Schüsse durch die geborstene Scheibe des Barbierladens jagte. Im Nu hatte er den Wallach und seinen Braunen vom Hitchrail losgebunden.

„Zurück zum Boot“, raunte ich Yancey zu. „Ich gebe dir Feuerschutz. Shita begleitet dich. Die Tasche mit dem Geld muss unbedingt zuerst in Sicherheit gebracht werden. Ohne sie sind wir ein Nichts, eine Null, zwei abgebrannte Tramps.“

„Wie wahr, mein junger Philosoph“, erwiderte Yancey mit einem schiefen Grinsen und bückte sich, als eine Kugel ganz knapp über seinen blonden Scheitel pfiff.

Er lief geduckt zwischen den stinkenden Müllhalden zurück ans Ufer. Shita stand einen Augenblick ratlos da, wem er nun folgen sollte – Yancey mit der Tasche oder Slade auf seinem Braunen.

Hank Gunnison verwendete inzwischen einen schmutzigen Trick, der ihn ebenfalls unverletzt ins Freie zu seinem Wallach brachte. Denn während ich heftig durch die Ladenfenster des Barbiers beschossen wurde, tauchte der schwarze Hüne unvermutet neben dem Saloon auf und schwang sich mit einem Satz auf den grauen Morgan.

Der Lump musste den Barbier dazu überredet oder gezwungen haben, mich mit zwei Colts zu beschäftigen, damit er, Hank Gunnison, unbemerkt durch die Hintertür zu seinem Pferd gelangen konnte.

Irgendwo brüllte jemand, was diese verdammte Schießerei solle.

Die beiden Kerle sprengten plötzlich los – jeder in eine andere Richtung. Slade schoss jetzt mit einer Winchester auf mich, die er im Sattelschuh aufbewahrt hatte. Gunnison schoss abwechselnd mit seinen beiden Colts. Schießen und reiten konnte der Halunke weitaus besser als pokern, dachte ich grimmig, während ich mich geduckt in die schmale Gasse zwischen den Müllhalden zurückzog.

Der Wind wirbelte mir Gestank, Asche und Staub ins Gesicht. Alles das war einem kaltblütigen, sicheren Zielen leider abträglich.

Ich wusste genau, was die beiden planten. Die schmale Gasse zwischen den stinkenden Abfallhaufen war zu eng für ein Pferd. Andererseits konnten sie vom Pferd aus über die Müllhaufen weg den Kai beobachten und Yancey mit der Tasche mühelos den Rückweg zu unserem Boot abschneiden, wenn sie die Müllhalden links und rechts umrundet hatten.

Dann hatte sich Shita endlich entschieden, wem er nun folgen wollte. Er jagte hinter Slades Braunem her. Slade setzte mir tatsächlich mit seinem Gewehr am meisten zu.

Shita holte das galoppierende Pferd erst ein, als Slade mit dem Braunen bereits die Halde links von mir ­umrundet hatte und auf der Gegengeraden über den Kai galoppierte.

Direkt auf Yancey zu, der mit der Tasche dem Ufer zulief.

Plötzlich vollführte der Braune einen Satz und stieg mit allen vieren in die Luft. Slade stieß einen Schrei aus, flog kopfüber auf die Granitsteine, mit denen der Kai gepflastert war, schlitterte ein paar Yards weit und blieb dann regungslos liegen.

Ich war so fasziniert von Shitas Eingreifen und dessen Folgen, dass ich Hank Gunnison ein paar Sekunden aus den Augen ließ.

Der stieß einen triumphierenden Schrei aus. Ich riss den Kopf in die Richtung, wo der Wallach galoppierte. Gunnison hatte sich tief hinuntergebückt im Sattel und hielt plötzlich die Tasche mit unserem gesamten Vermögen in der Hand. Yancey lag auf dem Kai und hielt sich den Kopf.

Hank Gunnison musste meinen Partner niedergeritten oder mit dem Colt niedergeschlagen haben, ehe er ihm die Tasche entrissen hatte und damit davongaloppierte, dicht an den rauchenden und schwelenden Müllhalden entlang.

Shita raste jetzt kläffend hinter seinem Morgan her. Der Hurensohn drehte sich im Sattel nach meinem Hund um und nahm ihn mit einem seiner Colts aufs Korn.

Ich schoss.

Ich traf nur sein Pferd. Ich musste es in die Hinterhand getroffen haben, denn es knickte hinten plötzlich ein und warf seinen Reiter ab.

Hank Gunnison klammerte sich an meiner Tasche und an seinem Colt fest. Er drehte eine kleine Rolle im Abendrot und landete dann mitten im Müll.

Mitten im qualmenden, stinkenden, brennenden Müll.

Und dort, wo er landete, brach plötzlich die Halde zusammen. Es schoss eine Stichflamme hoch, als hätte dieser stinkende Haufen aus schwelenden Kistenhölzern, Papier und alten Säcken nur darauf gewartet, dass jemand die Asche aufwirbelt oder wegpustet oder einfach darin umrührt, damit das Feuer richtig brennt.

Und jetzt brannte es. Es brannte mit einer hohen, leuchtenden Flamme, in der jemand entsetzlich schrie.

Hank Gunnison. Offenbar hielt er immer noch meine Tasche mit unserem Vermögen fest.

Ich lief los, fluchend und betend zugleich.

Dann stand ich an der Stelle der Müllhalde, wo die Glut des brennenden Mülls so heiß war, dass man kaum Luft holen konnte.

Ich starrte in die Glut.

Die Halde war zusammengebrochen und hatte eine Art von glühendem Trichter gebildet, in dem nichts weiter zu erkennen war als ein heißes, weiß glühendes, waberndes Flammenmeer.

Ich blickte in etwas, das man nur mit dem Loch eines Schmelzofens vergleichen konnte. In dieser ungeheuren Hitze starb Hank Gunnison mit unserem Geld. Aber daran dachte ich in diesem Augenblick nicht. Schauer liefen mir über den Rücken. Meine Wut auf Gunnison war plötzlich verraucht. Einen solchen Tod hätte ich meinem schlimmsten Feind nicht gewünscht.

Ich wandte mich ab und trat zurück. Selbst auf weitere Entfernung war die Höllenglut unerträglich.


*


Ich kehrte zu meinem Partner zurück, der immer noch benommen auf den Granitsteinen des Kais lag.

Ich ging ganz langsam, ganz vorsichtig, und brachte es ihm auch ganz langsam und schonend bei.

„Die beiden Bastarde sind tot“, sagte ich. „In der Haut des einen hätte ich in den letzten Minuten seines Lebens wirklich nicht stecken mögen.“

„Mein Kopf“, stöhnte Yancey.

Shita trottete herbei und leckte ihm das Gesicht ab. Ich schätze, viel Trost bedeutete das meinem Partner auch nicht.

„Der eine ist verbrannt, der andere hat sich das Genick gebrochen“, sagte ich.

„Oh, mein Kopf“, stöhnte mein Partner. „Ich hoffe, du bist wenigstens heil geblieben, Ronco.“

„Das bin ich“, erwiderte ich fest. „Mir ist überhaupt nichts passiert.“

„Sei froh“, erwiderte mein Partner und schob mit dem linken Arm Shita von seinem Gesicht weg.

„Ich fürchte aber“, fuhr ich mit sanfter Stimme fort, „dass du dir weder einen Schneider noch einen Schuster noch sonst was aufs Hotelzimmer bestellen kannst.“

Er ließ seinen Kopf los und blickte mich erschrocken an.

„Die Tasche?“, fragte er ahnungsvoll.

„Sie ist auch verbrannt. Mit Inhalt und Notgroschen.“

Er fuhr von den Steinen hoch und fluchte: „Idiot – hättest du nicht ein paar angekohlte ...“

Er verstummte sofort, als ich mit dem Arm auf den Scheiterhaufen deutete, der inzwischen eine mindestens zwanzig Yards hohe Flamme in den Abendhimmel lodern ließ.

„Ach herrje“, sagte er, statt seinen Satz zu beenden, „ach herrje.“

„Du sagst es“, pflichtete ich ihm bei und kraulte meinem Hund den Nacken.

„Ein sehr teures Feuer, schätze ich.“

Dann glitt plötzlich ein Lächeln über das Gesicht meines Partners. „Wir haben ja noch das Boot“, sagte er. Er schien nicht mehr an Kopfschmerzen zu leiden.

„Ja, das haben wir noch“, erwiderte ich, „falls es uns nicht jemand geklaut hat.“

„Wir werden das Boot versetzen und mit dem Erlös von vorn anfangen. In Vidalia versetzte ich mein Pferd, und es hat mir in einer Woche 20.000 Dollar eingebracht. Wir versetzen das Boot und ...“

Ich schnitt ein saures Gesicht. Mir war eingefallen, was uns die 40.000 Dollar an gemeinsamen Vermögen alles eingebracht hatten: zwei kaputte Schiffe, einen Haufen Toter und Verletzter, Entbehrungen und Leiden und Strapazen ohnegleichen.

„Du scheinst ja gar nicht begeistert zu sein von meinem Einfall“, sagte Yancey Hope enttäuscht.

„Doch“, erwiderte ich, „ich bin davon begeistert, dass du das Boot versetzt, Partner. Aber dass du anschließend das Boot auch verspielst, gefällt mir weniger.“

„Verspielst?“, wiederholte er ungläubig. „Vermehrst, wolltest du wohl sagen. Ich werde das Geld vermehren, bis wir ganz New Orleans kaufen können.“

„Ohne mich, Partner“, sagte ich fest. „Ich glaube, dass reelle Arbeit zwar weniger einbringt als Pokern. Aber sie zahlt sich besser aus, verstehst du?“

„Jetzt wirst du schon wieder philosophisch, Junge.“

„Nein, Yancey. Ich bin nur ein bisschen klüger geworden ...“


RONCO



In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter



Dietmar Kuegler


Höllenpoker





Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-168-7

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Ein Drecknest in Texas


von Ken Conagher


29. April 1881.

Ich habe einen Unterschlupf bei Franco Allonso gefunden. Noch weiß ich nicht, was die nächsten Tage bringen werden – Gutes bestimmt nicht. Ich habe erfahren, dass ein Gringo gesucht wird, der für den Gouverneur Suarez gearbeitet haben soll. Dieser Gringo bin ich.

Es ist wieder so, wie es in meinen Jahren als Geächteter war: Ich werde gejagt und jage selbst einen anderen – Andrew Hilton, der meinen Sohn Jellico entführen ließ. Diesen Mann scheint mir mein Schicksal zum ewigen Feind ausgesucht zu haben. Solange er lebt, werde ich keine Ruhe finden. Manchmal frage ich mich, warum das Schicksal des Menschen Hilton auf derart teuflische Weise mit dem Schicksal des Menschen Ronco verflochten wurde. Noch unbegreiflicher wird diese Frage, wenn ich an Jellico denke, dessen Schicksal – jedenfalls zurzeit – nun auch von dem Menschen Hilton beeinflusst wird.

Es hätte alles ausgewogen und gut sein können, aber dann wurde Jellico geraubt, und damit dürfte Hilton, was mich betrifft, seinen größten Fehler begangen haben. Nichts und niemand nimmt mir meinen Sohn – nur der Tod. Aber Hilton ist nicht der Tod, Hilton ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Mensch mit einem denkenden Gehirn, einem Gehirn allerdings, das zu viel Böses ausgebrütet hat.

Soll dieses Böse weiter bestehen und auf diesem Teil der Erde ungestraft ein Unheil nach dem anderen vollbringen dürfen?

Das ist es, was mich nicht ruhen lässt und mir die Kraft gibt, Widerstand zu leisten, damit die Hiltons auf dieser Erde nicht beherrschend werden.

Ein Mensch dieser Art war der Händler Louis Granger, von dem ich in meinem Tagebuch weiter berichten möchte ...