Wie Sie wissen, hat mich vor zwei Jahren ein schicksalshafter Brief erreicht, der mich erstmals aus den Armen meiner geliebten Rosabelle riss und mich zwang, Ihnen und Ihrer herzlichen Gastfreundschaft, die Sie mir so vorbehaltlos haben angedeihen lassen, den Rücken zu kehren. Diese Entscheidung fiel mir besonders schwer, da Rosabelle und ich uns einige Wochen zuvor mit Ihrer Zustimmung die Ehe versprochen hatten und ich es durch die Arbeit in Ihren Minen zu einem gewissen eigenen Vermögen gebracht hatte, weswegen unserer Hochzeit auch in dieser Hinsicht nichts mehr im Wege zu stehen schien.
Ich habe Ihnen gegenüber mit Sicherheit hin und wieder erwähnt, dass John Barton, mein Vater, hier in Amerika recht vermögend war. Im Lichte späterer Erkenntnisse denke ich jedoch, dass er viel mehr war als das. Tatsächlich verfügte er über beträchtliche Summen und ich glaube, dass er in den Jahren kurz vor seinem Tode, da er der Verwaltung seines immensen Vermögens im Geheimen nachging, auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Haushalt des gesamten Staates hatte.
Und doch, ich gäbe alles, jeden einzelnen Cent des verfluchten Erbes meines Vaters hin – wenn mich doch bloß Periwinkles Brief nie erreicht hätte! Wenn ich doch Afrika und meine geliebte Blume nie verlassen hätte! Doch ach, es ist zu spät, viel zu spät für Reue.
Periwinkle war der Buchhalter meines Vaters gewesen und half mir später, die gewaltigen Gelder der Hinterlassenschaft zu verwalten (selbst ihn überraschte der tatsächliche Umfang des Vermächtnisses!). In seinem Brief blieb er äußerst vage, berichtete aber vom sich stetig verschlechternden Gesundheitszustand meines Vaters und deutete an, dass ihm möglicherweise nur noch wenige Tage blieben. Über die Ursachen oder Art der Krankheit schwieg er sich jedoch aus. Es schien beinahe, als befürchtete er, dass deren bloße Erwähnung mich von einem Besuche abhalten würde.
Glauben Sie mir, ich rang mehrere Tage mit einer Entscheidung, denn in Afrika und damit in Rosabelles Nähe zu sein, war mir wie das Paradies auf Erden. Mein Verlangen nach dem weitaus raueren Klima der Küste von Port und dort schließlich meinem Vater gegenüberzutreten, war dagegen mehr als gering. Dennoch empfand ich es als unangemessen, ja sogar unehrenhaft, meinem Vater die letzte Ehre zu verweigern, und erwarb schließlich ein Ticket für die Überfahrt in die Staaten. Zurück in das Land und zu jenem Menschen, von dem ich seit meiner Jugend fest geglaubt hatte, ihn nie wieder sehen zu müssen.
Mein Vater hatte mich verstoßen, das wissen Sie bereits – jedoch versäumte er es während der Tage meiner Wanderschaft und Abenteuer nie, mir finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Ich hatte ihn nie um das Geld gebeten, schrieb ihm kein einziges Mal – dennoch schien er stets zu wissen, wo ich mich gerade befand und wie er mich erreichen konnte. Heute glaube ich, einer seiner zahllosen Detektive folgte jedem meiner Schritte und berichtete ihm davon. Ja, ich bin sogar recht überzeugt davon. Und es waren diese Reisen und meine jugendliche Abenteuerlust, die mich letztlich zu Ihnen, in die Minen von Kimberley im Herzen Afrikas führten – und zu meiner geliebten Rosabelle.
Oh, es waren schmerzliche Worte, die wir zum Abschied wechselten, und wir gaben uns das Versprechen eines recht baldigen Wiedersehens. Wie Sie wissen, sollte es beinahe ein halbes Jahr dauern, bis ich Rosabelle tatsächlich wieder in die Arme schließen durfte, hier in Barton Hall, an dem kleinen Küstenstreifen, der dem wundervollen und ursprünglichen New Hampshire gegeben ist.
Und so kehrte ich nach über einem Jahrzehnt der Absenz zurück nach Barton Hall, dem Haus meiner Kindheit und frühen Jugend. Zurück in das Haus, das nie wieder zu betreten ich mir Tausende Male geschworen hatte. Und zurück zu meinem Vater, den ich hasste, als ich ging, und verachtete, als ich zurückkehrte. Heute glaube ich, dass dieser Hass und diese Verachtung zum Teil auf fehlendem Verständnis für die Gedankenwelt meines Vaters gefußt haben. Nur ausgemachte Narren würden sich der Illusion hingeben, die wir konventionelle Realität nennen, so sagte von Meyrinck einmal zu mir. Nun, heute bin ich kein solcher Narr mehr.
Und obwohl das ungnädige Schicksal mir nicht erlaubte, meinem Vater noch ein letztes Mal lebend zu begegnen, so vermachte er mir doch zwei Dinge durch seinen Tod. Eines davon ist das enorme Vermögen, das ich bereits erwähnte und das letztlich dabei geholfen hat, die Arbeit meines Vaters, seine Experimente und Forschungen, fortzusetzen. Das andere Vermächtnis ist zu einer starken Triebfeder meines Handelns geworden, zu einem Verlangen, so habe ich später herausgefunden, das tief in den Wurzeln meiner Ahnen, unser aller Ahnen begründet liegt. Mein Vater überreichte es mir durch Worte, die er in seinen letzten Minuten an andere richten musste.
Doch es war nicht nur das, was er sagte, sondern auch wie er es sagte, was mich noch immer bis in meine tiefsten Träume verfolgt. Es war etwas in dem angstvollen Blick seiner verlöschenden Augen, den mir Periwinkle später so eindringlich wie angewidert beschrieb – in dem Moment, als sie gänzlich brachen, hatten meines Vaters Augen etwas geschaut, wovor sie sich angstvoll weiteten und zurückzuweichen schienen. Dieses Etwas kann nur eines gewesen sein, wie ich heute weiß: die ewige Schwärze der Leere.
Das furchtbare Nichts, das nach dem Tode kommt.