Das Leben leben zu können bleibt immer dem einzelnen überlassen. Dem modernen Menschen, der auf Wissenschaft,Technik und politische Systeme vertraut, fehlt es jedoch an dieser Kunstfertigkeit. Anstatt darüber zu klagen, geht es dem Autor um die konkreten Fragen zu einer neuen Lebenskunst. Dazu kann die Philosophie einen entscheidenden Beitrag leisten. Die grundlegende Frage »Was soll ich tun?« hat in diesem Moment keinen moralischen, sondern einen existentiellen Sinn und zielt auf die Kunst der Existenz, aus dem abstrakten Leben ein eigenes werden zu lassen. Dazu dient das Nachdenken über den Umgang mit Gewohnheiten, Lüsten und Schmerzen, mit Zeit und Tod, über die Künste der Ironie, des »Negativdenkens«, der Gelassenheit – einen Lebensstil, der auf die entscheidende Herausforderung der Zeit zu antworten vermag.
»Ob er dem tieferen Sinn von Gewohnheiten nachgeht oder für eine heitere Skepsis als Grundhaltung plädiert, der Alltag avanciert zum Prüfstein jeder Theorie … Schmid pflegt einen luziden, eingängigen Stil bar jeder intellektuellen Verstiegenheit.«
Martin Scherer, Focus
Wilhelm Schmid, geboren 1953, lebt in Berlin. Er ist einer der erfolgreichsten philosophischen Publizisten in Deutschland und hält mit immensem Erfolg zahlreiche Vorträge, zudem lehrt er als Privatdozent in Erfurt und Tiflis.
Schönes Leben?
Einführung
in die Lebenskunst
Suhrkamp
Umschlagabbildung:
Paul Klee. Übermut, 1939, 1251 (PQu II).
Öl und Kleisterfarben auf Packpapier auf Jute über Keilrahmen; original Rahmenleisten; 100 x 130 cm.
Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, Inv. Nr. B 36.
© VG Bild-Kunst, Bonn 2005
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015
Der vorliegende Text folgt der 4. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 3664.
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.
Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-74382-9
www.suhrkamp.de
Vorwort
»Exkursion in die Philosophie«:
Edward Hoppers Bild
Warten auf das Leben und die Suche nach einer neuen Lebenskunst
Einige Grundfragen der Lebenskunst und das finale Argument
Arbeit der Sorge:
Das Netz der Gewohnheiten knüpfen
Aufhebung der Sorge:
Die Lüste genießen
Anstoß zur Sorge:
Vom Sinn der Schmerzen
Äußerste Sorge:
Vom Leben mit dem Tod
Grundlegende Technik:
Die Zeit gebrauchen
Experimentelle Technik:
Auf den Versuch hin leben
Technik des Umgangs mit Affekten:
Kunst des Zorns
Technik des Umgangs mit Widersprüchen:
Kunst der Ironie
Technik der Umkehrung:
Negativ denken
Aussetzen von Lebenskunst:
Melancholie
Einsetzen von Lebenskunst:
Gelassenheit
Der Lebensstil des ökologischen Selbst
Lebenskunst im Cyberspace
Fitness? Wellness? Gesundheit als Lebenskunst
Die Wiederkehr der Heiterkeit:
Zur Rehabilitierung eines philosophischen Begriffs
Der Weg zum Glück und die Kunst, dem Leben Sinn zu geben
Das Ziel der Lebenskunst:
Sich ein schönes Leben machen
Textnachweis
Ist das Leben, das wir leben, unser »eigenes«? Es wird bestimmt von Faktoren, auf die wir doch kaum Einfluss haben, von Mächten, die nach Belieben mit uns umzuspringen scheinen. Gleichwohl wird dieses Leben zu unserem eigenen – spätestens am letzten Tag. Nur wir selbst werden es zu Ende bringen, wer oder was auch immer es bestimmt haben mag. Wir allein sind – vor uns selbst – für dieses Leben verantwortlich, niemand sonst wird, schon gar am ultimativen Punkt, diese Verantwortung übernehmen. Lebenskunst ist die Ernsthaftigkeit des Versuchs, aus diesem Grund sich das Leben beizeiten selbst anzueignen und vielleicht sogar ein »schönes Leben« daraus zu machen. Einige Ideen und Kunstgriffe dazu finden sich hier.
Fern davon, »leicht« zu sein, ist die Lebenskunst die Arbeit an der eigenen Autonomie, auch die Hilfestellung hierzu für Andere. Dass Lebenskunst von manchen leichthin für »etwas Oberflächliches« gehalten wird, ist auf den Umstand zurückzuführen, dass sie in moderner Zeit kein Gegenstand ernsthafter Reflexion mehr war. Eigentlich ist Lebenskunst jedoch »etwas Philosophisches«, schon das Wort selbst entstammt der Philosophie und war bereits in antiker Zeit im Gebrauch. Der Versuch zur Erneuerung einer »Philosophie der Lebenskunst«1 knüpft daran an; dass dies auf einiges Interesse in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft gestoßen ist (eine unerwartet integrative Wirkung der Lebenskunst), ist zweifellos der Situation der Zeit geschuldet: Das Ende der Ideologien, das Ende der mit ihnen verbundenen Träume, sozialistischen wie kapitalistischen, das Ende der allzu optimistischen Utopien, die mit Wissenschaft und Technik in der Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts verbunden waren, wirft die Menschen in ungeahntem Maße auf sich selbst zurück. Nichts und niemand, so ahnen sie, wird jemals die perfekte Welt schaffen, in der das Leben unproblematisch ist; Ideologien und Utopien haben eher neue Probleme herbeigeführt, mit denen viele nicht mehr zu leben verstehen. Und selbst wenn es dereinst gelänge, eine »ideale« Gesellschaft zu schaffen – woher der naive Glaube, der Lebensvollzug verstünde sich dann quasi von selbst?
Das Bemühen um eine Neubegründung der Lebenskunst ist der Versuch zu einer Antwort darauf. Wichtig sind jedoch die Vorzeichen dafür: nicht normativ vorzugehen, Normen und allgemeine Verbindlichkeiten schaffend, sondern optativ, Optionen und Möglichkeiten eröffnend. Unter diesen Vorzeichen sind die Vorschläge zu lesen, die hier gemacht werden: Es handelt sich also nicht etwa, wie in der früheren Geschichte der Philosophie, um eine inhaltliche Festlegung der Lebenskunst, sondern um das Aufzeigen von Bedingungen und Möglichkeiten hierzu. Nicht nur die Wahl der Lebenskunst selbst, sondern auch die Wahl und Einübung einzelner Künste des Lebens obliegt dem jeweiligen Subjekt der Lebenskunst. Die systematische Grundlegung dazu findet sich im genannten, umfassend ausgearbeiteten Ansatz zu einer Philosophie der Lebenskunst, etwa was die zentrale Frage der Wahl oder die Aufklärung von Strukturen, insbesondere Machtstrukturen betrifft, durch deren Kenntnis Spielräume der Wahl erst entstehen können. Dort wird die politische Dimension diskutiert, die aus der Lebenskunst mehr macht als die Pflege privater Gärten; eine lange Erörterung gilt der Frage, was unter dem »Subjekt« der Lebenskunst verstanden werden kann und welche Rolle dessen Beziehungen zu Anderen spielen. Auch eine Fülle von Nachweisen und weiterführender Literatur ist dort zu finden.
Der ersten Annäherung und dem besseren Überblick aber dient die vorliegende Einführung in die Lebenskunst. Das Buch unternimmt, der »Philosophie der Lebenskunst« folgend, eine »Exkursion in die Philosophie« anhand eines Bildes des Malers Edward Hopper, einen Ausflug also in jenen Raum des Denkens, in dem die Frage nach dem Leben gestellt werden kann, um die Antwort zu suchen, die das Lebenkönnen wieder ermöglicht. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der praktischen Seite möglicher Antworten, auf der Ausarbeitung von Künsten im Umgang mit Gewohnheiten, Lüsten, Schmerzen, Zorn, Zeit und Tod, Künsten der Ironie, des »Negativdenkens« und der Gelassenheit. Mit dem Entwurf zu einer ökologischen Lebenskunst wird auf die entscheidende Herausforderung der Zeit, mit einer »Lebenskunst im Cyberspace« auf die Internetisierung der Existenz zu antworten versucht. Ausgewählte Abschnitte aus der »Philosophie der Lebenskunst« hierzu werden um neuere Reflexionen über Gesundheit, Heiterkeit, Glück und die Frage nach Sinn ergänzt.
Zur Kunst in der Lebenskunst, zum »gekonnten Leben« und zur bewussten Lebensführung kann das philosophische Nachdenken einen Beitrag leisten. Philosophisch ist die Suche nach Gründen und Begründungen, die Klärung von Begriffen, das Ausfindigmachen von Strukturen und grundlegenden Zusammenhängen, das Durchdenken von Bedingungen und das Auseinanderlegen von Möglichkeiten. In diesem Sinne kann die Philosophie Hilfestellung bieten bei der Aufklärung einer Lebenssituation; sie verhilft dazu, besser zu verstehen, was geschieht, welche Möglichkeiten ein Individuum hat oder nicht hat. Die wichtigste Lebenshilfe wird auf der Ebene des Denkens geleistet, denn allzu häufig sind wir nicht etwa das Opfer äußerer, anonymer Mächte oder innerer, psychischer Strukturen, sondern Opfer eines Denkens, das uns über eine Sache dies und nichts anderes denken lässt. Das Denken kann Haltung und Verhalten beeinflussen und aus Engpässen befreien.
Und was kann »schönes Leben« in diesem Zusammenhang bedeuten? Wie beim Begriff der Lebenskunst selbst, handelt es sich beim »schönen Leben« um einen vergessenen Begriff der antiken Ethik und Ästhetik, der erneut in die Debatte eingeführt werden soll, um über das allzu unkritisch gedachte »gute« oder gar »gelingende Leben« hinauszukommen. Der Begriff des »schönen Lebens« zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Texte; ihn ins Zentrum zu rücken, ist das wichtigste Anliegen des Buches. In der Geschichte der Philosophie, bei Platon ebenso wie bei Diogenes oder Epikur und den Stoikern, war dies eine geläufige Formel: »schön zu leben« (kalos zen). Einer, der sagte, er tauge nicht zur Philosophie, erhielt von Diogenes umgehend zur Antwort: »Wozu also lebst du, wenn du dich nicht darum sorgst, schön zu leben?« Sich um ein schönes Leben zu sorgen: damit ist gemeint, das Leben nicht einfach nur dahinzuleben, dem Gesetz der Trägheit folgend, sondern in die Existenz einzugreifen und sie bewusst zum Gegenstand einer Ausarbeitung zu machen. In der Tradition des Humanismus spielte diese Idee des schönen Lebens eine tragende Rolle. Gedacht ist die philosophisch reflektierte Lebenskunst vor diesem Hintergrund nicht als eine Schönwetter-Lebenskunst, die ein Luxusgut für diejenigen sein könnte, die sonst schon alles haben. Vielmehr als eine existenzielle Lebenskunst, für die jegliche Ethik mit der Haltung und dem Verhalten des Individuums selbst beginnt, um am eigenen Leben und, gemeinsam mit Anderen, am gesellschaftlichen Zusammenleben zu arbeiten.
Ein Ausschnitt aus dem Alltag zweier Menschen: Ein grübelnder Mann, die Stirn in Falten gelegt und mit strengen Bügelfalten in den Hosenbeinen, sinnt angestrengt über etwas nach. Er ist nicht allein, nicht zu übersehen ist die halb entblößte Frau hinter ihm, hingestreckt auf eine Liege, an deren Rand er sitzt, und abgewandt von ihm, ihr Gesicht ist nicht sichtbar. Die quer übers Kopfkissen hingegossenen Haare könnten verraten, dass sie sich abrupt von ihm weggedreht hat, und sie macht nicht die geringsten Anstalten, sich ihm wieder zuzuwenden. Auch er schenkt ihr keinen Blick, er bleibt am Rand der Liege sitzen, in sich zusammengesunken und etwas verkrampft, eine Gestalt der Ratlosigkeit. Unklar bleibt das Verhältnis zwischen beiden, unklar, ob es um dieses Verhältnis geht, unklar, ob es noch ein Verhältnis gibt, unklar erst recht, welchen Sinn in diesem Bild von 1959 die »Exkursion in die Philosophie« haben soll.
Offenkundig kommt es nicht auf die Verteilung der Geschlechterrollen an; dass sie austauschbar sind, zeigte Edward Hopper schon zehn Jahre früher, als er 1949 eine ähnliche Szene malte und mit einem weniger rätselhaften Titel versah: »Summer in the City«. Hinter der vordergründigen Alltäglichkeit verbirgt sich eine viel sagende, in keiner Weise eindeutige Situation. »Sie wissen ja«, sagte er, »welche Fülle von Gedanken und Impulsen in ein Werk eingehen«. Nicht die Verteilung der Rollen, nicht die Besonderheit des Verhältnisses, sondern die Beispielhaftigkeit der Situation ist von Interesse: Beispielhaft für die Ratlosigkeit in bestimmten Situationen des Lebens, für den Stillstand des Lebens in dem Moment, in dem etwas, vielleicht alles, in Frage steht; beispielhaft auch dafür, dass diese Ratlosigkeit, dieses Infragestehen vorzugsweise dort zu erfahren ist, wo es um die Dinge der Liebe zu gehen scheint.
Eine erste Annäherung unter diesem Aspekt könnte das Bild als eine Einführung in die Philosophie erweisen, denn für die Philosophie, wie sie einst in Platons »Symposion« vorgestellt worden war, stellt diese Lebenssituation, die Suche nach einer Kunst des Umgangs mit den Dingen der Liebe, eine wichtige Fragestellung dar.2 Das Bild brächte dann den Augenblick der Philosophie zum Ausdruck, den Augenblick danach, das Einsetzen der Reflexion, das Leben mit der schmerzlichen Distanz zum Anderen, das Denken in der Leere der entschwundenen Lust, das unerbittliche Fragen nach dem Grund. Eine Entzauberung der Welt hat stattgefunden, und die banale Wirklichkeit macht sich breit. Der Faden ist gerissen, der dem Leben Sinn verliehen hatte, und es erscheint höchst ungewiss, ob es ein Leben danach wird noch geben können. Neben der unmittelbaren Erfahrung der Sinnlichkeit und dem Traum von der Vereinigung ist dies eben die komplementäre Erfahrung der Liebe, ihr immer wiederkehrendesVerhängnis: Sofern die unendliche Seligkeit erfahren worden ist, wird der Sturz zurück in die Sterblichkeit nur umso fühlbarer, denn es ist der Sturz aus der Ewigkeit zurück in die Zeit. Und selbst wenn die Seligkeit nur vor Augen gestanden hat, sind die Folgen nicht minder schmerzlich: Aus der Ewigkeit verbannt zu bleiben, dem Gesetz der Zeit auch nicht für einen Augenblick entfliehen zu können. Das Individuum findet sich zurückgeworfen auf sich selbst, zwischen den Ruinen der Repräsentation, in den Trümmern der Welt seiner Vorstellungen, in denen das Einssein mit dem Anderen so große Bedeutung hatte. Wer aber einen schönen Traum geträumt hat, mag in der Realität nicht mehr leben.
Edward Hopper, Exkursion in die Philosophie
(Excursion into Philosophy), 1959.
Öl auf Leinwand, 76,2 x 101,6 cm.
Sammlung Richard M. Cohen.
Platon zufolge sollte das Individuum sich von der unmittelbar sinnlichen Erfahrung abwenden, um der Idee der »wahren Schönheit« sich zuzuwenden, die nie enttäuschend sein würde. So versucht es wohl auch der Protagonist, der die »Exkursion in die Philosophie« unternimmt. Seine Haltung ist beinahe die des Denkers von Rodin, der über dem Höllentor brütet. Die Sorge zerfurcht seine Stirn. Die sinnliche Schönheit, die hinter ihm liegt, hat er verraten oder sie hat ihn verlassen. Welches Buch hat der Mann da aufgeschlagen? Es scheint unwichtig zu sein, denn er hat es bereits wieder aus der Hand gelegt. Sollte es ein Buch der Philosophie gewesen sein, so hilft ihm deren große Weisheit in dieser Situation wohl auch nicht weiter. Oder er hat dem Buch eine wichtige Anregung entnommen und sinnt weiter darüber nach. Jedenfalls liest er nicht mehr in dem Buch, und wenn Hopper selbst es nicht verraten hätte, würden wir nie erfahren, ob es sich eher um Platons »Symposion« oder um ein anderes Werk handelt, das vom Garten der Lüste und vom Projekt der Philosophie erzählt, wie etwa Marquis de Sades »Justine«, worin die Fackel der Philosophie entflammt und das Denken immer wieder neu entzündet wird am lodernden Feuer der Lüste: Diese Bücher repräsentieren die Spannweite des erotischen Diskurses in der abendländischen Philosophie, einig nur darin, dass die Frage des Umgangs mit den Lüsten grundlegend ist für die Philosophie. Von den beiden Optionen – Abwendung von der Unmittelbarkeit der Lüste, Träumen von phantastischen Lüsten – wählt der Mann, der am Rand der Liege sitzt, die erstere; er habe, verrät der Maler, Platon »ziemlich spät in seinem Leben gelesen«. Um einen Triumph der Philosophie handelt es sich in jedem Fall.
Das Bild ist im doppelten Sinne herausgeschnitten aus dem Alltag des Mannes und der Frau. Links das Bild im Bild, abgeschnitten, rechts das Fenster, weit offen, abgeschnitten. Kein Zweifel, Hopper, den man gerne einen »Realisten« nennt, kannte den Impressionisten Degas, der mit derlei Techniken arbeitete, sehr gut. Was er herausgeschnitten hat, ist eine Episode des Paares am hellichten Tag, eine Szene der ebenso gemeinsamen wie einsamen Existenz. In der Zimmerecke spielt sich das ab, es gibt kein Außen dazu. Das grelle Sonnenlicht, das durchs geöffnete Fenster hereinbricht, um sich wie ein Teppich vor die Füße des Mannes zu legen, wirkt wie ein Hohn angesichts der düsteren Atmosphäre im Inneren. Hoppers bittere Ironie: Der Mann stiert auf diesen Lichtteppich, dieses Abbild der »wahren Schönheit«, als säße er nach dem mühsamen Aufstieg zu ihr am obersten Ende der Stufenleiter, wie dies Diotima in Platons »Symposion« schildert. Aber dieser Flecken aus Licht ist nicht das Licht selbst. So bleibt er der Wahrheit fremd genau in dem Moment, in dem er sie am nötigsten hätte, dem Moment nämlich, in dem das Gelage zu Ende ist. Es herrscht Ruhe, tödliche Ruhe, wie in den meisten Bildern von Hopper. Es spielt sich nichts ab – Hoppers spezifische Form des menschlichen Stilllebens, High Noon, stillgestelltes Leben, das etwas Suggestives an sich hat. Ein Schweigen, das ein Schrei ist, eine machtvolle Ohnmacht. Da gibt es keine Dialektik mehr, nur Tragik, stumme Tragik, die geradezu strukturell zu nennen ist, wenn sie auch im banalen, zeitgenössischen Gewand daherkommt.
Exemplarisch festgehalten ist der Moment des Innehaltens, das Innehalten als Moment der Philosophie, der Reflexion, verkörpert von der sitzenden und sinnenden Gestalt, eine Darstellung des Denkens im seitlich einfallenden Licht, die in der Geschichte der Kunst zur Metapher der Philosophie geworden ist. Man kann bemängeln, dass die Darstellung den männlichen Protagonisten privilegiert. Aber auch die Frau hält inne, sie verbirgt ihr Gesicht. Die antike Philosophie legt bereits Zeugnis ab von dieser merkwürdigen Haltung des Innehaltens: Sokrates, der zum Symposion geht, bleibt plötzlich stehen, irgendetwas beschäftigt ihn, er will es durchdenken und kommt erst später nach. Ähnlich der Protagonist in Hoppers Bild, der sein Symposion vielleicht schon hinter sich hat und über die Erfahrungen nachdenkt, die er gemacht hat. Das Buch der großen Weisheit legt er zur Seite und beginnt selbst Fragen zu stellen, denn darin besteht die Exkursion in die Philosophie: Was habe ich gemacht und vielleicht falsch gemacht? Warum ist es so gekommen, wie es nun ist? Wie kann ich mit der Situation zurechtkommen? Wie kann das Leben gelebt, wie geändert werden? Die Exkursion in die Philosophie ist das anfängliche Nachdenken über das, was ist und was geschehen ist, aber auch das sorgsame Vorbereiten der Reise in den weit vorausliegenden Raum, um ihn zu erforschen und zu erschließen. Das ist der Sinn der Exkursion: Das Danach ist zugleich ein Davor – zwar nach einer Erfahrung, aber immer schon vor einer anderen.
Natürlich kann man fragen, ob das mit Hoppers eigenen Erfahrungen zu tun hat. Warum gerade dieses Motiv? Er wisse nicht genau, warum er dieses oder jenes Sujet wähle, sagte er, aber es gehe ihm bei seinen Motiven darum, dass sie am besten für die Wiedergabe seiner inneren Erfahrungen geeignet seien. Das Motiv des Paares sowie die fragwürdige Lebenssituation, in die man durch die Erfahrung der Liebe gerät und die doch nur exemplarisch für die Erfahrung des Lebens steht, scheinen ihn fasziniert zu haben. Aufschlussreich ist es, wenn man seinem »Hang zum Romantischen« nachgeht: Der Traum vom Einssein erweist sich dann für ihn als grundlegend, als ebenso grundlegend jedoch auch die Enttäuschung. So wird das Bild zur Metapher des Eros und des Lebens und rückt deren widersprüchlichen Charakter ins Licht; es gerät jedoch auch zur Manifestation der Frage, wie sich damit leben lässt. Die Widersprüchlichkeit und die Lebensfrage treffen gerade diesen Maler ins Herz, der so sentimental von der Liebe denkt. Ausgerechnet er muss ein Bild malen, das die Lüge der Liebe entlarvt, denn die Aufhebung der Distanz zwischen zweien, wie sie die romantische Liebe verspricht, gelingt nicht. Wenn schon nicht zwischen zweien, wie sollte sie dann im Raum der Gesellschaft gelingen?
Das Bemühen um eine Harmonie, die den Einzelnen gleichsam auf zarten Händen durchs Leben tragen würde, ist vergebens. Stattdessen ist jeder zurückverwiesen auf sich selbst, während er sich im Anderen zu vergessen hoffte. Bei wem soll ich leben, wenn nicht bei mir selbst? In einer tragischen Kultur gibt es ein Bewusstsein von der Unmöglichkeit des Einsseins. Die moderne Kultur aber hat dieses Bewusstsein auszulöschen versucht. Nun irren die Individuen orientierungslos durch den Raum: So erklärt sich ihre Einsamkeit, diese zentrale Erfahrung der modernen Gesellschaft. Mochte Hopper die Sache mit der Einsamkeit auch für »überstrapaziert« halten, so kannte er doch ihre Erfahrung und bejahte sie in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit – man findet bei ihm die Hymne auf die Einsamkeit ebenso wie die Entsetzlichkeit ihrer Erfahrung. Er registriert die stumme, unaufhebbare Distanz zum Anderen, das Phänomen des stillgestellten Menschen, der eingeschlossen bleibt in seine Endlichkeit, die wie eine Ewigkeit erscheint. Wenn die Erfahrung der Distanz zum Anderen der eigentliche Anfang der Philosophie ist, um wieviel mehr das abwesende Antlitz, das abgewandte Gesicht! Die Individuen sind sich fremd, und sie bleiben es, das ist die Bedingung ihrer Existenz; ja mehr noch, sie werden sich umso fremder, je näher sie sich sind. Und die Entfremdung reicht noch tiefer – denn auch das einzelne Individuum selbst ist sich fremd, und es bleibt fremd gegenüber der Wahrheit, der es sich zuwendet in seiner Verzweiflung. Die Entfremdung ist grundlegend und ebenso schmerzlich wie unhintergehbar. Sie ist eingekleidet in ein modernes Gewand, aber von ihr handeln schon die antiken Tragödien. Von ihr erneut zu sprechen, ist ein Schlag ins Gesicht der Zeit, die dem Gott der universellen Kommunikation und Kopulation huldigt. Ist Hopper also ein Pessimist? »Ein Pessimist? Ich glaube schon«, sagt er. »Ich bin nicht stolz darauf.«
Es mag sich um eine Tragödie handeln, aber sie ist von einer Komödie nicht zuverlässig zu unterscheiden. Eines der letzten Bilder von Hopper, das er 1965, zwei Jahre vor seinem Tod malt, zeigt »Zwei Komödianten«. Sie stehen auf der Bühne, die Vorstellung ist vorbei, und sie verbeugen sich vor dem Publikum. Hopper hat sich selbst und seine Frau, die mit ihm die Komödie der Existenz durchlebte, hier dargestellt, um stilgerecht seinen Abschied zu nehmen; schließlich hatte er schon den gemeinsamen Auftritt auf der Bühne des Lebens im Bild festgehalten (»Ein Paar auf der Bühne«, ca. 1917-20). Der Tod triumphiert über die Lächerlichkeiten des Daseins, über die tragische Entfremdung ebenso wie über den komischen Versuch zu ihrer Aufhebung. Hopper übt sich noch ein letztes Mal im Blick von Außen auf die Inszenierung der eigenen Existenz; ein Blick, der eigentlich ein Element der Orientierung im Leben ist. Die Komik liegt darin, dass die Individuen gewöhnlich erst in dem Augenblick ihre Existenz von Außen sehen, in dem sie abtreten von der Bühne des Lebens.
Die »Exkursion in die Philosophie« erfolgt genau in dem Moment, in dem die Existenz in Frage steht. Das Denken entfaltet sich angesichts des Abgrunds an Verzweiflung, der sich auftut. Es ist die Exkursion in jenen eigenartigen Raum, der Philosophie genannt wird; ein Raum, in dem die Frage nach dem Leben gestellt werden kann, um die Antwort zu suchen, die das Lebenkönnen wieder ermöglicht. Die Frage »Was soll ich tun?« hat hier keinen moralischen, sondern einen existenziellen Sinn und zielt auf eine Kunst der Existenz. Die Kunst könnte darin bestehen, mit der Fragwürdigkeit und Abgründigkeit zu leben und den davon herrührenden Schmerz nicht zu leugnen. Die Exkursion, die Suche nach dem weiteren Weg, ist dabei zuallererst eine Inversion, eine Rückwendung des Selbst auf sich, eine Zurückfaltung, sichtbar geradezu in der Beugung des Körpers, der Krümmung des Rückens bei dem in sich zusammengesunkenen, grübelnden Menschen.
Wenngleich die fragwürdige Erfahrung das Individuum massiv bedrängt, so ist sie doch keine singuläre Erscheinung im leeren Raum; vielmehr werden durch sie hindurch strukturelle Gegebenheiten sichtbar, die eine ganze Zeit und die in ihr möglichen Erfahrungen bestimmen können – das macht es so schwierig, eine Antwort darauf zu finden. Vielleicht hat der Protagonist in Hoppers Bild auch aus diesem Grund Platons Buch zur Seite gelegt und grübelt nun auf eigene Faust: Weil die Antike eine Antwort auf die Probleme der Gegenwart nicht bieten kann. Wenn er den Bedingungen seiner Erfahrung nachgeht, um neue Möglichkeiten des Lebens zu finden, könnte er auf die strukturellen Probleme stoßen, die signifikant für die Kultur der Moderne sind, jedoch auch andere Kulturen auf die eine oder andere Weise affizieren. Die Moderne ist die Epoche, die wie keine andere das Begehren nach Lust mit dem Leben identifiziert hat, ohne doch eine Kunst des Umgangs mit den Lüsten auszubilden. Sie hat den Traum vom universellen Glück genährt, vom guten Leben, das mit dem Wohlstand gleichgesetzt wird, vom Einssein der Einzelnen in einer Gemeinschaft, von der Aufhebung der Widersprüche, um nur noch für die Lust zu leben; ein wirkliches Arkadien, ein einziger Schauplatz des glückseligen Lebens: Das ist der Traum, den die bürgerliche, wie auch, als sie noch existierte, die sozialistische Welt geträumt hat. In jenem Moment aber, in dem die Widersprüche aus dem Leben fortgeschafft sind, wird der Grundwiderspruch erst sichtbar: Dass das Leben, das auf solche Weise gelebt wird, tot ist.
Die Menschen in den Bildern von Hopper haben es vorgezogen, allen Widersprüchen aus dem Weg zu gehen, allem Negativen, allen Schwierigkeiten des Lebens den Zutritt zu ihren Räumen zu verweigern. Nun aber sind sie dem Leben selbst aus den Weg gegangen und spüren es nicht mehr. Man kann nicht einmal sagen, dass sie das Leben suchen – eine solche Suche findet man allenfalls noch bei denen, die die »Exkursion in die Philosophie« unternehmen, die anderen aber verharren einfach und warten auf das Leben, denkwürdige Monumente der Leere. Sie sitzen unbewegt da, stehen da, im Innenraum, im Außen, und richten ihre Gesichter vergeblich in die Sonne. Ihr Inneres ist implodiert und hat aus ihren Augen das Leuchten eliminiert. Vielleicht sind sie auf der Suche nach dem Glück gewesen und haben es verfehlt, vielleicht haben sie es gefunden und müssen erfahren, dass es leer ist, dass es nichts ist. Da stehen und sitzen sie nun »sinnentleert im Wartesaal des Lebens«, wie dies beschrieben worden ist; den Blick in die Ferne gerichtet, »als spiele sich dort das eigentliche Leben ab«. Sich der Sonne zuzuwenden, können sie sich leisten, dafür sind sie wohlhabend geworden, und man hatte ihnen versprochen, dass dies das wahre Leben sein würde, der auf Dauer gestellte Lebensgenuss. Aber nun stehen sie vor dem Nichts. Die Leere hat sich eingegraben in ihre erstarrten Gesichtszüge, hat ihre Augen ausgehöhlt, ihre äußerlich voluminösen Körper ausgemergelt. Das äußere Licht ist es nicht, das sie von innen her zum Leuchten brächte; es wird von den Sinnen gar nicht aufgenommen. Viele Bilder Hoppers sind getragen von der Inszenierung dieses sinnlosen Sonnenlichts.
Es liegt mehr Wichtigkeit, als man glaubt, in der Betonung, dass es sich um einen »amerikanischen Realismus« handelt. Nicht so sehr, weil zu Beginn des 20. Jahrhunderts die amerikanische Kunstkritik von der Idee besessen war, dass es eine eigenständige nationale Kunst geben müsse, die die Schönheit von Wolkenkratzern und die Verbundenheit mit amerikanischer Erde, kurz das irdische kapitalistische Glück darzustellen wüsste. Sondern weil in dieser traditionslosen amerikanischen Kultur die Probleme der Moderne – die Verschränkung der Hoffnung auf das Glück mit dem Versuch zu dessen technischer Realisierung, die Verwechslung des guten Lebens mit der Hohlheit des Wohlstands – deutlicher sichtbar werden mussten als anderswo. 1926 fand ein Kritiker das Bild »Sunday« von Hopper unzweifelhaft amerikanisch: Ein Mann sitzt einsam in einer verlassenen Straße vor den Hauswänden, ein Bild der Tristesse (der Kritiker sah »Humor« darin), mit dem Hopper seinen Stil und sein Sujet gefunden hatte und auf bemerkenswerte Weise der Bewegung der Neuen Sachlichkeit und des Kritischen Realismus sehr nahe war.
Hopper treibt, wie schon Degas, den er bewundert, seinen Realismus bis zur Grausamkeit. In kaum einem Bild hat er dies drastischer vorgeführt als in dem berühmten »House by the Railroad« von 1925, einem Programmbild: Ein typisch amerikanisches Haus ist zu sehen, das der Bewegung für eine amerikanische Ästhetik gewiss Genüge getan hätte. Aber es wird in Augenhöhe des Betrachters von Eisenbahnschienen durchschnitten, eine wirkliche nature morte der modernen Existenz, ein Sinnbild des bürgerlichen Glücks, das zerschnitten wird, und zwar von der Dynamik, die ihm selbst zugrunde liegt. Gottverlassen steht das Haus im Nichts jenseits der Schienen, abgeschnitten vom Leben, das es darum herum einmal gegeben haben mag, und dafür nicht einmal angeschlossen an den eisernen Kommunikationsstrang. Hopper wusste zu demonstrieren, was er unter amerikanischem Realismus verstand; auf ähnlich drastische Weise sind die Beziehungen zwischen den Menschen in seinen Bildern zertrennt.
Amerika aber ist nur die Metapher der Moderne. Kalt zu sein, ohne Seele, wird den Menschen der Moderne nachgesagt; »Kälte« ist der Begriff, mit dem die Welt der Moderne charakterisiert wird von jenem Philosophen, der im 20. Jahrhundert eine parallele Existenz zu Hopper führt, Theodor W. Adorno: Die Kälte wird bei ihm zum Grundprinzip der bürgerlichen Subjektivität, zur sinnlichen Erfahrung einer Gesellschaft isolierter und einander gleichgültiger Subjekte, die in ihrer Selbsterhaltung ihren einzigen Lebenszweck finden. Es ist für ihn die Erfahrung der Negativität, und seine einzige Hoffnung ist, dass sie eine andere Idee von Individualität hervortreiben wird, die sich weder in der Absperrung, noch in der Aufhebung des Selbst in der Gemeinschaft erschöpft. Es ist nur eine Idee geblieben. In der Moderne leben die Individuen weiterhin nur für sich selbst und träumen zugleich vom Einssein mit Anderen, mit einem geringeren Anspruch will sich keiner zufrieden geben. Also leben die Menschen enttäuscht, allein mit ihrem Glück, das keines ist, unfähig zum Leben mit Anderen, das immerzu scheitert, da es dem Kriterium des Einsseins nicht genügt. Ein eigenes Verständnis dessen, was es heißt zu leben, das Leben zu führen und sich aufs Leben zu verstehen, haben sie nie gewonnen. Hoppers Individuen sind Kinder der Moderne, zu Stein erstarrt in der endlosen Dauer des Augenblicks: Leben können sie nicht, sterben wollen sie nicht. Sofern die Unsterblichkeit ein Traum des modernen Menschen ist – hier ist sie realisiert: Ein Alptraum. In diesen leeren Räumen wird kein Schatten zurückbleiben, wenn die Menschen verschwinden; so stillgestellt, wie ihr Leben ist, so unmerklich werden sie nicht mehr da sein, niemand wird weinen um sie, und sie wissen es.
Wenn sie hofften, das Leben in den gesicherten Räumen ihres Eigentums zu genießen, so machen sie nun die Erfahrung der zynischen Ironie dieser Ideologie: Dass sie im selben Maße, wie sie äußeren Besitz gewinnen, den Besitz ihrer selbst verlieren. Ein Lebenkönnen vermittelt die simple Bewegung ins Licht noch nicht, denn es besteht in einer Anstrengung, deren Mühen diese Individuen längst als lästig abgelegt haben. Sie repräsentieren das leere Leben, das Leben ohne Sorge, ohne Tod, und es erweist sich als nichtig. Die Zeit, in der die Sorge sich entfalten könnte, scheint aufgehoben in diesen Bildern, und das ist nur konsequent, denn es ist der Horizont des Künftigen und der Veränderung, in dem Leben sich abspielt, hier aber gibt es nur Gegenwart und es verändert sich nichts. Diese Menschen verharren völlig in ihrer Identität, sie sind ihrem ewigen Gleichsein ausgeliefert, nie werden sie Andere sein, nie werden sie einem Anderen begegnen, auch wenn sie nebeneinander liegen und ineinander kriechen. Selbst in der Wärme der Sonne bleiben sie kalt.
Mitten in der Kultur der Moderne, der Kultur der rasenden Zeit, breitet sich der Raum aus, der leer ist – der Raum ohne Zeit. Hopper malt Räume, in denen unentwegt gewartet wird, Warten auf das Leben, Warten auf die Zeit, die das Leben bringt, und die niemals kommt, weil sie im leeren Raum verschwunden ist. Sieben Uhr morgens, »Seven A. M.« (1948), nichts bewegt sich an der Ecke der Straße oder im angrenzenden Wald, alle Gegenstände sind an ihrem Platz, alles ist sauber und rein, auch das Sonnenlicht ist ungetrübt, niemand wird dieses Stillleben durchqueren, es wird immer sieben Uhr morgens sein, die Welt noch in Ordnung, und die Ordnung wird niemals in Frage gestellt werden, denn die Infragestellung und Neubestimmung: Das wäre Veränderung, das wäre vergehende Zeit. Die Zeit aber ist sichtbar aufgehoben in diesem Bild.
michist