Hacke, Jens; Pohlig, Matthias

Theorie in der Geschichtswissenschaft

 

 

 

 

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E-Book ISBN: 978-3-593-40464-6

|7|Einleitung: Was bedeutet Theorie für die Praxis des Historikers?

Matthias Pohlig und Jens Hacke

 

Dass sich Historikerinnen und Historiker mit Theoriefragen beschäftigen, ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die ›Zunft‹, wie sich die standesbewussten Geschichtswissenschaftler gern bezeichnen, hat nicht nur Spezialisten für Historiographiegeschichte und für theoretische Fragen hervorgebracht (z.B. Reinhart Koselleck, Jörn Rüsen oder Ernst Schulin), sondern es ist zur begrüßenswerten Normalität geworden, dass die Beschäftigung mit theoretischen Fragen bis in die Alltagsarbeit des Fachs reicht. Sie gehört essentiell zum Beruf des Historikers,1 und durch die Beschäftigung mit Theorie kann der einzelne Fachvertreter Resonanz und – günstigen Falles – Respekt und Reputation über sein Spezialgebiet hinaus erlangen.2 Kaum eine Ausgabe einer angesehenen historischen Fachzeitschrift erscheint ohne dezidiert theorieinteressierte Aufsätze. Schon dies reicht als Beleg dafür, in welch manchmal beeindruckender Weise Historiker die Theorieangebote der geisteswissenschaftlichen Nachbardisziplinen rezipieren. Es scheint also gut bestellt um das Reflexionsniveau geschichtstheoretischer Fragen, denn auf grundsätzlicher Ebene kann man sich auch hervorragend zur Propädeutik des Faches und zu allgemeinen erkenntnistheoretischen Fragen, die die Geschichte betreffen, informieren.

Trotzdem bleibt bei dieser Flut von Literatur zum Thema ein Unbehagen. Nicht selten entsteht der Eindruck, dass »der Alltag des Historikers und die historische Theorie« relativ unvermittelt nebeneinander stehen, wie Christian Meier bereits in einem Aufsatz vor gut drei Jahrzehnten beklagt. Meier wirft darin einige Fragen auf, die sich für jeden Geschichtsstudenten, Doktoranden und Habilitanden immer noch quälend stellen: Man solle sich, so Meier, »sehr genau darüber klar werden, was eigentlich die historische Praxis an Theorie braucht,|8| was für eine Theorie sie braucht und wie diese Theorie erarbeitet werden kann«.3 Heute lassen sich diese Fragen wiederholen und variieren: Was kann Theorie für die Geschichte bedeuten? Was machen Historiker, wenn sie vorgeben, theoriegeleitet zu arbeiten oder eine Theorie anzuwenden?

Diese Fragen sind absichtlich in aller Naivität gestellt, denn im Bereich des Theoriegebrauchs oder auch der ›Theorieanwendung‹ in der Geschichtswissenschaft bleiben nicht wenige Probleme ungeklärt. Diese sind durch die jüngste, die fünfte theoretische Grundlagendiskussion4 des Fachs zwischen Sozial- und Kulturgeschichte in den 90er Jahren kaum angegangen und noch weniger beantwortet worden. Es geht im Folgenden nicht darum, in dieser speziellen Debatte (oder in einer der anderen vier) Stellung zu beziehen; die hier interessierenden Probleme sind letztlich allen Debattenteilnehmern gemeinsam. Wenn auf diese und andere Debatten eingegangen wird, dann im Sinne exemplarischer Illustration.5

Die Geschichte sei theoriebedürftig, ihre Theoriedefizite behinderten ihre Wissenschaftlichkeit, so lautete der Befund in den 1970er Jahren. Was dies hieß, schien lange Zeit klar: Der Blick auf theoretisch avancierte Nachbarwissenschaften sollte die Selbstbeschränkung der Historie auf Quelleninterpretation aufheben und den Blick weiten. Mit der Etablierung der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte, die sich von traditionellen theoretischen, methodischen und damit (so die Vermutung) implizit politischen Positionen der Geschichtswissenschaft abzugrenzen suchte, begannen die fachlichen Theoriediskussionen im eigentlichen Sinne. Der Gegner war ebenfalls klar markiert: Er trat auf in Gestalt des Historismus bzw. Neohistorismus (Nipperdey, Lübbe, Golo Mann), der sich lediglich auf den vorwissenschaftlichen und vortheoretischen Common sense, beruhend auf Kenntnissen und Erfahrungen, beschränkte und auf die Narrativität und Individualität von ›Geschichten‹ Wert legte. Schon das provokative Beharren des Neohistorismus auf einer »Theorieunfähigkeit der Geschichte«6 bezeichnete |9|das Dilemma, das im Gebrauch des Begriffs Theorie selbst begründet liegt. Der Widerstand gegen eine theoretisch begründete Gesetzmäßigkeit des historischen Prozesses – eine eher geschichtsphilosophische Kategorie – führte zuweilen seitens des Neohistorismus zu einer überzogen wirkenden Verdammung des Theoriebegriffs insgesamt: Theorie wurde tendenziell mit Marxismus bzw. Geschichtsphilosophie gleichgesetzt. Hier wurde Poppers Klage über »Das Elend des Historizismus« wirksam. Gleichzeitig entstand bei den Advokaten der modernen Historischen Sozialwissenschaft eine hektische Betriebsamkeit, um für die Historie die lange entbehrte Theorie bereitzustellen.7 Die Theoriebegeisterung trieb hier bisweilen naive Blüten; teilweise konnte schon der Anschluss an eine übergreifende These aus dem Arsenal der Modernisierungstheorie, des Marxismus oder natürlich der Soziologie Webers progressiv das Theoriebewusstsein des Historikers nachweisen.

Ebenfalls in den 1970er Jahren fanden aber Debatten zum Theoriegebrauch in der Geschichtswissenschaft statt, die weitaus vielschichtiger geführt wurden, als es heute manchmal wirken mag.8 »Theorien in der Praxis des Historikers« heißt ein Sammelband, der vor 30 Jahren erschien.9 Nun scheinen sich sowohl das Reservoir an Theorien, auf die Historiker zugreifen, als auch die Praxis des Historikers seitdem durchaus verändert zu haben: Grund genug, um noch einmal in die Debatte einzusteigen. Schon in der Schlussdiskussion des genannten Bandes, dem leider keine tief greifenden Diskussionen mehr gefolgt sind, bemerkte Wolfgang Mommsen, »daß über die Frage der Anwendung theoretischer Konzepte und Modelle auf geschichtliche Fragestellungen noch erhebliche Unklarheiten und Unsicherheiten bestehen.«10 Dies scheint heute nicht anders zu sein; und die Maxime, dass jede Zeit ihre Geschichte selbst zu schreiben hat, hat auch in dieser Hinsicht ihre Aktualität behalten.11

|10|Im Folgenden soll in drei Schritten der Fragehorizont dieses Bandes beschrieben werden: Erstens zeigen Erfahrungen aus der akademischen Praxis den Hiatus, der sich oftmals zwischen Theorierezeption und Praxis des Historikers auftut. In einem zweiten Schritt wird die Frage gestellt, welche Bedeutungsnuancen der Begriff der Theorie für den Historiker besitzt. Drittens werden einige Leitfragen formuliert, an denen sich die Beiträger dieses Bandes abgearbeitet haben.

Ausgangserfahrungen in der akademischen Praxis

Heute ist die Situation eine ganz andere als in den 70er Jahren. Um sie zu skizzieren, reicht eine Erinnerung an einige Erfahrungen aus Lektüre und Studium, die jeder Historiker macht:

 

Diskurshegemonie

Die Geschichte als theoriegeleitete Wissenschaft aufzufassen, ist heute eine orthodoxe Position. Die sozialgeschichtlichen Neuerer der 1970er Jahre haben die Diskurshegemonie längst gewonnen; dass die Praxis häufig anders aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Die Kämpfe zwischen Theorieaffinität und Theoriefeindlichkeit werden heute nicht mehr geführt – jedenfalls nicht offen. Die Opposition ist nicht mehr Ereignis oder Struktur bzw. Theorie oder Erzählung: Viele der von Historisten noch perhorreszierten (soziologischen) Theoriebegriffe wie Struktur, Funktion, soziale Mobilität, Patronage etc. sind heute gängige Beschreibungsbegriffe des Historikers.12 Dies ist durchaus positiv einzuschätzen und soll gar nicht weiter in Frage gestellt werden. Trotzdem gibt es ein ungewisses Unbehagen in der Frage: Was nützt Theorie für die Geschichte? Dabei kann es nicht darum gehen, die vor-sozialgeschichtliche Theoriefeindlichkeit wiederzubeleben; es sollte aber gerade nach der jüngsten Theoriedebatte, die in dieser Hinsicht kaum mehr gebracht hat als Absichtserklärungen, eine neue Reflexion auf das Verhältnis von Theorie und Praxis einsetzen.

 

|11|Abgrenzung von theoretischer und praktischer Ebene in der Arbeit des Historikers

Die historischen Fachbereiche in Deutschland bieten neben den üblichen thematisch ausgerichteten Veranstaltungen in wechselnder Konjunktur immer wieder auch Kurse zur Geschichtstheorie an. Dort werden dann je nach Mode Texte von Foucault und Geertz, Bourdieu, Habermas, Luhmann, vielleicht sogar Simmel, Freud und Derrida, unbedingt und immer aber von Weber gelesen und diskutiert (den man dann konjunkturbedingt als Struktur- oder Handlungstheoretiker rekonstruiert). In diesen Seminaren wird aber selten oder nie die Frage verhandelt, wie man eigentlich praktisch von der Ebene der Theorie zur historischen Arbeit kommt, an welcher Stelle und auf welche Weise welche theoretischen Elemente sinnvollerweise ins Spiel kommen, kurz: warum es sich für den Historiker (abgesehen von immer begrüßenswerter Ausweitung seiner Bildung) überhaupt lohnt, Theorie zur Kenntnis zu nehmen.

Liest man Einführungen in die Geschichtswissenschaft, bietet sich im Wesentlichen dasselbe Bild: Es gibt Theorieteile und Empirieteile. Theorieteile bestehen in der Regel aus Interpretationen von Theorien (Weber für Historiker, Luhmann für Historiker etc.): Wie man dann praktisch von dort ausgeht, wird eigentlich immer offen gelassen.13 Dies scheint symptomatisch zu sein.

 

Theorie als deduktiver Rahmen oder als kontingente Ergänzung?

Eine weit verbreitete Auffassung lautet, dass man ohne eine gewisse, wenn auch häufig implizit bleibende theoretische Grundorientierung erkenntnistheoretisch nicht in der Lage ist, sich der Empirie überhaupt zu nähern. Begriffe und Theorien scheinen am Anfang der Forschung zu stehen. Allerdings ließe sich dies mit Erfahrungen aus der Praxis in Zweifel ziehen. Zu oft erlebt der Historiker, dass er – ganz untheoretisch – von bestimmten Themen fasziniert wird. Der Weg von einer empirischen Materie zu einer Fragestellung und von dort zur theoretischen Einhegung des Problems wird kaum rekonstruiert.14 Muss also tatsächlich am |12|Anfang die Theorie stehen? Oder geht es in diesem Fall noch gar nicht um ein theoriegeleitetes Suchen, sondern eher um die individuelle Orientierung an der Weberschen ›Kulturbedeutung‹, die das Interesse des Historikers hervorruft?

Theorie als intellektueller Zierrat

Das berüchtigte Theoretikerzitat im Vorwort scheint wiederum symptomatisch zu sein. Unabhängig davon, ob eine Berufung auf Marx, Adorno oder Foucault zu Beginn steht: Dieser eher hagiographisch-autoritätsstiftende Umgang mit Theorie wird allgemein belächelt und beklagt. Und dennoch: Ist Theorie jemals mehr als die schmückende Aufbereitung einer historischen Beschreibung oder Erzählung mit theoretischen Begriffen oder soziologisch-ethnologischem Instrumentarium? Dann gerät die Theorie in letzter Instanz zu einer Verkaufsstrategie. Oder arbeiten Historiker tatsächlich mit Theorie, und wenn ja: wie? Der Weg der Theorie, die dann operationalisiert wird, um als Methode einen Zugriff auf Empirie zu erlauben, ist ein Weg, der selten beschrieben worden ist, und wenn doch, dann wiederum selbst so theoretisch, dass man es sich als Praxis kaum vorstellen kann.

Der Status von Theorie

Diese kurze Darstellung von Ausgangserfahrungen in der akademischen Praxis zeigt bereits an: Es werden ganz unterschiedliche Fragen berührt, wenn Theorie und Geschichte miteinander in Relation gesetzt werden. Geschichtstheorie, Theorie der Geschichte, Theoriegeschichte, Theorie und Geschichte – dies sind mögliche Kombinationen und Relationen, die erhebliche Bedeutungsdifferenzen anzeigen. Sie reichen von der Geschichtsphilosophie und universalhistorischen Abstraktionsbemühungen, von der Unterlegung einer Großthese für ein Forschungsthema bis hin zu Methodenfragen, in denen die Vorgehens- und Arbeitsweise des Historikers unter Zuhilfenahme von Thesen und Techniken aus |13|den sozial-, kultur-, und sprachwissenschaftlichen Nachbarwissenschaften problematisiert werden. Die Frage nach dem Status der Theorie war für die Geschichtswissenschaften allerdings oft mit der Relevanzfrage des eigenen Fachs (Wozu Geschichte?) verbunden. Unter Geschichtstheorie ist deswegen auch stets die selbstreflexive Vergewisserung der Historiker über Nutzen, Nachteil und Standort der Geschichte innerhalb der Human-, Sozial-, Kultur-, und Geisteswissenschaften rubriziert worden. Der in den 1970er Jahren noch artikulierte Zweifel am Sinn und an der Existenzberechtigung des eigenen Faches ist mittlerweile einem neuen Selbstbewusstsein gewichen. »Im Blick zurück entstehen die Dinge« (Tocotronic) – dieser Satz kann auch als Rechtfertigung historischer Forschung allgemeine Zustimmung beanspruchen. Doch nicht nur das: In den letzten zwanzig Jahren hat sich überdies eine breite Beschäftigung mit der öffentlich-gesellschaftlichen Bedeutung von Geschichtsbildern, Mythen und Geschichtspolitik etabliert. In Absetzung von diesen eher kulturalistisch geprägten Themenfeldern ist der Glaube an die Geschichtsschreibung klassisch sozial und politikgeschichtlichen Zuschnitts seinerseits gestärkt worden. Von Verunsicherung und Selbstzweifel findet sich keine Spur mehr. Unausgesprochen scheint das Vertrauen in den Methodenpluralismus trotz des anerkannten Relativismus historischer Erkenntnis in eine neue Form des Objektivitätsglaubens zu münden. Nicht anders ist die Zuversicht zu erklären, mit der die Historiker heute die mythenzerstörende Kraft einer Geschichtswissenschaft preisen, die kulturellpolitische Kontrollfunktion besitze und daher aufklärend wirke. Der Historiker als Mythopoet vom Schlage Treitschkes – diese Rolle scheint ein für alle Male der Vergangenheit anzugehören. Dennoch ist auch in dieser Hinsicht Vorsicht angebracht: So sind die nationalgeschichtlichen Deutungen selten frei von teleologischen Elementen, wie ein Blick auf den Abschied vom deutschen Sonderweg hin zu den Läuterungserzählungen der Bundesrepublik belegt.15

Die Theoriediskussionen haben durch die Methodenvielfalt etwas von ihrer Dringlichkeit verloren und damit ihre Grundsätzlichkeit eingebüßt. Es scheint allgemein akzeptiert, dass kein Forschungsparadigma einen hegemonialen Anspruch verwirklichen kann. Eine Extensivierung der theoretischen Bemühungen muss deshalb nicht zwingend mit einer Intensivierung der Anstrengungen einhergehen, die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis in der Alltagsarbeit des Historikers zu beantworten. Um diese allgemeine Frage erneut in den Mittelpunkt zu rücken, ist zunächst einmal ein vorsichtiger Umgang mit dem Theoriebegriff selbst notwendig. Was genau ist eigentlich Theorie?16 Dies |14|scheint selbst in der Soziologie, der lange einflussreichsten Nachbarwissenschaft für Historiker, umstritten. In einer klassischen Darstellung ist zu lesen: »Eine Theorie ist nichts – sie ist keine Theorie, wenn sie keine Erklärung ist«.17 Ein jüngerer Soziologe kommentiert dies folgendermaßen: »Das klingt so, als sei irgendwo festgelegt, was mit ›Theorie‹ zu bezeichnen ist«.18

Theorie kann dem Historiker – so vielleicht ein vorsichtiger Definitionsversuch – auf verschiedene Weise seinen Gegenstandsbereich strukturieren helfen und Abstraktionsmöglichkeiten erschließen, um seine Forschungen zu kontextualisieren, zu deuten, vergleichbar zu machen und zu kommunizieren.19 Offenbar wird in diesem Definitionsversuch aber auf unterschiedliche Ebenen der Methode, der Darstellung, der Interpretation abgezielt. Analytisch kann man mindestens vier Ebenen unterscheiden, die in der Praxis alle eine mehr oder minder gewichtige Bedeutung besitzen.20

 

Theorie als Geschichtsphilosophie

Unter dieses Rubrum können die bekannten Großentwürfe von Hegel, Marx, Spengler etc. gefasst werden, deren »Geschichtsschau«/Geschichtsdenken Historiker zu gewissen Zeiten inspiriert hat. Gleiches gilt selbstredend für die Zerstörer der Geschichtsphilosophie wie Nietzsche, Burckhardt oder Heidegger. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass nach dem weithin diagnostizierten Ende der Geschichtsphilosophie und insbesondere nach dem intellektuellen Bankrott neomarxistischer Spätkapitalismustheoreme dieses Verständnis von Theorie für die historiographische Praxis an Bedeutung verloren hat. Trotzdem tritt im |15|Zuge neuer universalhistorischer, globalisierungsinspirierter und transnationaler Bemühungen der Geschichtswissenschaft dieses umfassende Verständnis von Theorie wieder in neuem Gewand auf. Die Frage nach dem Grand Design stellt sich thematisch und theoretisch, wenn es um die normative Grundlegung einer Geschichtsschreibung geht, die eine Entwicklung hin zu höherstufigen Integrationsmodellen politischer Art (EU, UNO) und die Herausbildung einer ›Weltgesellschaft‹ reflektiert.21

 

Theorie als geschichtsgesetzliche Entwicklung bzw. idealtypisches historisches Phänomen

Häufig gilt bereits die Übernahme einer bestimmten These für einen anderen Zusammenhang als theoriegeleitetes Arbeiten. Häufigster Lieferant dürfte Max Weber sein: Bürokratisierung, Rationalisierung, Protestantische Ethik, Herrschaftstypen, Charisma – dies alles sind Entwicklungsthesen und Modelle, die der Historiker als Paradigmen für seine Arbeit nutzen kann. Für die Kulturgeschichte dürften Foucault (Archäologie des Wissens, Genealogie der Macht, Gouvernementalität) und Bourdieu (Habitus) ähnliche Bedeutung gewonnen haben. Postmoderne Theorie (Lyotard etc.) oder etwa Agambens Auffassung von der das 20. Jahrhundert dominierenden biopolitischen Herrschaftspraxis durch das Lager können Thesen von Historikern stimulieren. Diese Liste von Inspirationsthesen ließe sich beliebig erweitern. Es kann sich natürlich auch um Thesen anderer Historiker handeln, die für den eigenen Forschungsgegenstand angepasst oder modifiziert werden. In diesem Sinne ist auch die Kulturgeschichte der 90er Jahre keineswegs theorielos, wie manche Historiker der Vorgängergeneration vermuten (dieser Vorwurf träfe eher auf Alltags- und Mikrogeschichte der 80er Jahre zu). Sie hat sich durch eine theoretische Umorientierung (von Marx zu Geertz, Bourdieu und Foucault; immer aber auch von Weber zu Weber) neue Fragen, neue Themen und neue Leitbegrifflichkeiten erschlossen.22 Dies ist zweifellos ein großer Gewinn, beantwortet aber die Frage nach der Praxis der Theorie sicher nicht erschöpfend. Entscheidend für die hier skizzierte Bedeutung von Theorie ist folgendes: Die Theorie scheint in diesem Fall allein als Blickwinkelveränderung zu funktionieren; eine neue, unorthodoxe These inspiriert |16|den Historiker, die Quellen unter anderen inhaltlichen Gesichtspunkten als bisher zu interpretieren. Theorie bestimmt hier nicht die Methode, sondern allein die Deutung. Sie weitet den engen Horizont des Historikers und kann eventuell zur Vergleichbarkeit von Problemen in verschiedenen Epochen und Gesellschaften führen.

 

Theorie als methodischer Schlüssel

Dies ist der Bereich, der unmittelbare Fragen für die Praxis des Historikers aufwirft. Jede Einleitung einer historischen Arbeit muss sich darum bemühen, Vorgehensweise und Methodik ›theoretisch zu klären‹. So selbstverständlich dies klingen mag, so schwierig erscheint es, den Nachweis für die Umsetzung des jeweiligen theoretischen Arbeitsprogramms in seiner Stringenz und Abgeschlossenheit zu erbringen. Der theoretische Rahmen einer Arbeit dient häufig dazu, allerlei Kenntnisse über das bereits Vorliegende im jeweiligen Forschungsfeld auszubreiten, dies zu kritisieren, um die Lücke für das eigene Vorhaben zu markieren, und schließlich Themen- und Problembereiche auszugrenzen, um die man sich nicht kümmern könne. Oftmals ist aber mit »Theoriefragen der Geschichtswissenschaft« schlicht die methodische Reflexion auf die benutzten Begriffe und das Verhältnis von Geschichtsforschung und -schreibung gemeint. In diesem Zusammenhang ist es wieder Weber, der mit seinem Idealtypenmodell und seinem Objektivitäts-Aufsatz als Stichwortgeber dient, ohne dass der Historiker eigens Weber-Exegese betreiben müsste.23 Im Endprodukt, der historischen Studie, kommt diese Art von Theorie dann oft gar nicht mehr vor. Es bleibt daher häufig offen, inwiefern diese begrifflichen Klärungen den Umgang mit den Quellen inhaltlich und methodisch strukturieren. Gerade das sensible Feld der Hermeneutik und der historischen Quelleninterpretation lässt das quellenkritisch abgewogene Argument bisweilen hinter Lesarten zurücktreten, die durch die politisch oder kulturell bedingte Perspektive des Historikers geprägt bleiben.

Etwas anders verhält es sich mit dem expliziteren Verweis auf Theorien. Hier haben sich in den letzten 40 Jahren die turns in großer Geschwindigkeit abgelöst,24 ohne doch das Problem des Verhältnisses von Theorie und Praxis angemessen lösen zu können. Der Rekurs auf avancierte Theorien von Nachbarwissenschaften hängt mit der Erscheinung der Präfix-Geschichten zusammen: Beruft sich der Historiker auf Foucault oder Bourdieu, so verortet er sich im Rahmen der Kulturgeschichte, in deren weiten Feldern dann wiederum theoretische |17|Differenzierungen und die Option für ein bevorzugtes Vokabular notwendig werden. Mit Freud wurde die Psychohistorie innerhalb der biographischen Geschichtsschreibung angereichert; verschiedene ethnographische und kulturwissenschaftliche Theorieverweise begründeten eine Eigenständigkeit der Mentalitätsgeschichte etc. Es ist allerdings oft kaum zu erkennen, ob sich aus der durch Theorieanzeige bewirkten Distinktion nachvollziehbare Konsequenzen für die Arbeitsweise des Historikers ergeben. Worin genau besteht also die »Theoriebedürftigkeit der Forschungspraxis«25 ?

Das Instrumentarium des Historikers ist – bei genauerem Hinsehen – meist konventioneller, als es die theoretischen Absichtserklärungen vermuten lassen. Schwerlich lässt sich die Arbeitsweise der Oral History oder die statistischen Kompetenzen des Sozialhistorikers mit seinen Datenerhebungsverfahren als ›Theorie für Historiker‹ verstehen. Ebenso fraglich ist, ob die marxistische, keynesianische oder neoliberale Orientierung eines Wirtschaftshistorikers bereits einen relevanten Theorieaspekt besitzt, der sich nicht nur in politischen Urteilen, sondern in der Methodik abzeichnet. Und: Bedeuten Analogieschlüsse zu Luhmanns Systemtheorie bereits ein reflektiertes theoretisches Bewusstsein? Selbst wenn Theorie für den Historiker nicht gleichbedeutend mit nomologischem Wissen ist, stellt sich doch die Frage, ob eine Theorie so angelegt ist, dass sie sich empirisch verifizieren oder falsifizieren lässt. Sollte diese Art von Umgang mit einem Set von Aussagen Grund genug sein, von einer Theorie zu sprechen?26

 

Theorie als Abkürzung und als Stichwortgeber

In vielen Fällen hat Theorie offenbar die Funktion, empirisches Wissen in kondensierter Form darzubieten. Der Begriff der funktionalen Differenzierung etwa ruft beim Leser seine Luhmann-Kenntnisse wach, vor allem aber erspart er eine längere Darstellung. Damit ist Theorie praktisch: Sie bietet die Möglichkeiten, als eine Chiffre für Kenntnisse (nämlich z.B. die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 500 Jahre) herangezogen zu werden.

Den oben angedeuteten Möglichkeiten, das Verhältnis zwischen Geschichte und Theorie zu beschreiben – Geschichtstheorie, Theorie der Geschichte, Theoriegeschichte, Theorie und Geschichte – soll also in diesem Band versuchsweise die Frage nach der Nützlichkeit von Theorie für die praktische Arbeit des Historikers an die Seite gestellt werden.

|18|Leitfragen

Um dieses unübersichtliche Feld zu ordnen, ist es hilfreich, noch einmal einige grundlegende Fragen zu formulieren, die als Fragehorizont für die nachfolgenden Aufsätze dienen.

 

Brauchen wir Theorie?

In der Debatte zwischen Hans-Ulrich Wehler und Golo Mann bemerkte letzterer: »Die Historie ist eine Kunst, die auf Kenntnissen beruht, und weiter ist sie gar nichts.«27 Abgesehen einmal von der Bestimmung als Kunst, sind die Kenntnisse, die Golo Mann meint, ungefähr so zu fassen: Natürlich muss der Wirtschaftshistoriker sich mit ökonomischen Prozessen auskennen. Sonst würde er sich ja auch gar nicht mit Wirtschaftsgeschichte befassen. Aber braucht er eine ›Theorie‹, um eine ›Analyse‹ vorzunehmen? Oder eher eine breite historische, soziologische und ökonomische Bildung? Oder ist dies dasselbe?28 Der Vorwurf gegen theorielose Historiker ist stets, dass sie mit impliziten statt expliziten Vorannahmen arbeiteten. Dies ist sicher richtig: Beispielsweise sind Rankes Vorstellungen von Entwicklung oder Nation zweifellos theoretisch-abstrakte Konstrukte – im Sinne der Theoriedefinition Kockas, Theorien seien Begriffssysteme, die »die sich nicht hinreichend aus den Quellen ergeben, nicht aus diesen abgeleitet werden können«.29 Woher kommen allerdings diese Vorannahmen? Sind sie mehr als politisch-kulturelle Vorlieben – und wäre dann die Theorie eines Historikers nichts anderes als sein persönliches Glaubensbekenntnis? Hans-Ulrich Wehler etwa schreibt: »Explizite Theorieverwendung erleichtert es, gewisse Gefahren zu vermeiden, die aus der Historiographie bekannt sind«.30 Gemeint ist damit: An die Stelle der impliziten Theorie des Historismus, dass große Individuen Geschichte machen, sollte man die explizite Theorie der Wirkmächtigkeit anonymer Strukturen setzen. Aber ist diese Feststellung selber schon eine theoretische Aussage, oder nicht doch eher ein aus Empirie und Common sense gewonnenes |19|Credo? Inwieweit sind theoretische Vorannahmen kontingent, inwieweit sind sie begründbar oder – um einen Lieblingsausdruck der sozialgeschichtlichen Generation zu gebrauchen – methodisch kontrollierbar? Auf der anderen Seite: Was machen theorielose Historiker eigentlich, und wie machen sie es?

Recht aufschlussreich, aber auch etwas verwirrend sind die Aussagen, die im opus magnum der theoriegeleiteten Geschichtswissenschaft zu diesem Punkt fallen. Nicht um der Polemik, sondern um der Klarheit willen kann man zuspitzen: Hans-Ulrich Wehlers theoretische Leitidee – Arbeit, Herrschaft und Sprache seien die fundamentalen, »in einem prinzipiellen Sinn jede Gesellschaft erst formierenden« Kategorien, die darüber hinaus relativ autonom voneinander existieren31 – erscheint zunächst einmal als eine Glaubensaussage.32 In einer interessanten Fußnote präzisiert Wehler: Die theoretischen Annahmen des Historikers seien nicht apriorische Setzungen, sondern stünden im Zusammenhang der Geschichtsschreibungs-Tradition, der eigenen Biographie und Schwerpunktsetzung, »die bestimmte Vorentscheidungen darüber begünstigen, welche Probleme zur Zeit wichtiger wirken als andere«; auch spielten erkenntnisleitende Interessen und der Forschungsstand eine Rolle. »Der gesamte Kontext, in dem sich diese Auswahl abspielt [. ..] kann jedoch nicht reproduziert, geschweige denn belegt werden. Und der ›innere Monolog‹ an theoretischen Erwägungen, der die Entstehung dieser Arbeit begleitet, braucht ebenso wenig vor dem Leser wiederholt zu werden.« Es reichen »einige wesentliche Voraussetzungen«; im Laufe des Buchs werde das »Amalgam aus Entscheidungen, Fragestellungen und Kenntnissen, aus Problemwahl und Interessen hoffentlich deutlicher werden«.33 Die Überlegenheit der Theoriegeleitetheit erweise sich dementsprechend – so die Argumentationsfigur – in der Praxis der Darstellung: »The proof of the pudding is in the eating.« Damit ist die Frage nach der Nützlichkeit von Theorie für die praktische Arbeit aufgeworfen.

 

Wofür brauchen wir Theorie?

Auf welcher Ebene kommt Theorie ins Spiel? Es scheint unterschiedliche systematische Orte zu geben, an denen Theorieelemente eine Rolle spielen könnten: die Wahl und der Zuschnitt eines zu bearbeitenden Themas (Zeitraum, Quellenumfang, Forschungsgegenstand), die Festlegung und Bildung relevanter Begriffe, die Konstruktion von Typen und Modellen, die Erklärung historischer |20|Prozesse. Ist Theorie dann im Wortsinn Anschauung, also eine Beschreibung, die das, was der Historiker beschreiben möchte, nur abstrakter beschreibt? Ist es die höhere Anschlussfähigkeit und Vergleichbarkeit mit anderen Fällen und Wissenschaften, die die neuere Hitler-Biographik dazu geführt hat, den Begriff des Charisma einzuführen – statt einfach zu sagen: »Die Leute waren begeistert von Hitler«? Oder ist es darüber hinaus mehr, nämlich Erklärung, was Theorie leisten kann und soll? Ist Theorie eher ein Stichwortgeber, der den Historiker auf bestimmte Themen oder Methoden lenkt? Eine Leiter, die man fallenlassen kann, nachdem man auf ihr hinaufgestiegen ist?

 

Wie sieht es in der Praxis aus?

Wie operationalisiert man Theorie? Winfried Schulze definiert folgendermaßen: »Ein operationalisierter Begriff ist also ein Begriff, der in bestimmte in einer Forschungsoperation beobachtbare Teilaussagen übersetzt worden ist, der somit erst für eine empirische Überprüfung aufbereitet worden ist.«34 Woran erkennt man aber, dass die Operationalisierung gelungen ist? Was heißt: ›theoriegeleitete Analyse‹35 ? Und warum sollen bestimmte Theoretiker angeblich notorisch besser zu operationalisieren sein – der Bourdieu der mittleren Reichweite besser als der Luhmann der abstrakten Höhenflüge36 ? Stellt sich nicht auf der hier interessierenden Ebene das Problem für beide – für alle – Theoretiker in derselben Weise? Wie weit darf schließlich der Theorieeklektizismus gehen, ohne die Theorie oder die Praxis zu desavouieren?

In dieser Perspektive scheinen die Fragen nach Struktur- oder Handlungstheorie, nach Soziologie, Ethnologie oder Linguistik als präferiertem Theoriepool und auch die nach Kultur- und Sozialgeschichte erst einmal irrelevant zu sein. In welchem Verhältnis steht Theorie zur Methode?37 Und, ebenso wichtig: In welchem Verhältnis stehen die Theorien, mit denen sich Historiker in ihrer Forschungspraxis befassen, zu den ganz unterschiedlichen Geschichtstheorien etwa eines Droysen oder eines Rüsen, aber auch zur Geschichtsphilosophie, |21|die sich ja auch durch Abstraktheit, die Zuhilfenahme bestimmter Grundannahmen und (mehr oder minder) Weglassung von Empirie auszeichnet?

 

Abstraktionsgrad der Theorie: ›Historische Theorien‹

Geht man davon aus, dass jede soziologische oder ethnologische Theorie immer schon ein bestimmtes Maß von empirischem Wissen in sich aufgenommen hat – weil sie sonst überhaupt nicht hätte formuliert werden können,38 stellt sich die Frage nach dem Abstraktionsgrad einer Theorie und ihrem Nutzen für die Forschungspraxis. Pragmatisch kann man wohl unterscheiden zwischen der Theoriebildung unter Historikern und Sozialwissenschaftlern: Historiker stellen Theorien auf, »deren Aussagen zeitlich bestimmt sind«, theoretische Sozialwissenschaft solche, »deren Gültigkeit zeitlich nicht begrenzt ist«.39 Damit erweisen sich »Theorie und Geschichte [. ..] als die Endpunkte einer Strecke, zwischen denen der Aspekt des Sozialwissenschaftlers verschoben werden kann.«40 Und doch: Ganz von der Hand zu weisen ist der Eindruck nicht, dass eine Theorie am besten für den Zeitraum passt, in dem oder für den sie konstruiert wurde.41 Wie abstrakt sollen Theorien für die Geschichtswissenschaft also sein: Sollen sie einen sehr hohen Abstraktionsgrad besitzen wie die Konzepte Habitus oder Gender oder eher einen zeitlichen Index wie die Modernisierungstheorie oder Max Webers Protestantismusthese?42

Ein Diskussionsstrang der 70er Jahre, der sich mit diesen Problemen befasst, ist in bemerkenswertem Maße in Vergessenheit geraten: Damals wurde vielfach die Meinung vertreten, Historiker könnten nicht einfach »soziologische Theorien übernehmen und ihrem Material aufpfropfen; sie müssen vielmehr theoretische Anregungen aufnehmen und selber historische Theorien entwickeln«.43 Die historische Theorie habe »außerhalb ihres Anwendungsbereichs überhaupt keinen |22|Sinn« und könne »stets nur unter Bezug auf denselben formuliert werden«.44 Gegenstandsbezogene Theorien dieser Art (also nicht nur Anwendungen anderer Theorien auf die Geschichte, nicht nur Operationalisierung, sondern eigene Theoriebildung) scheinen bis heute kaum zu existieren – oder sie verstecken sich hinter Common-sense-Aussagen. Wie könnte eine Revitalisierung dieses vergessenen Konzepts der historischen Theorie aussehen?

Nach 40 Jahren, die von so umfassenden Theoriediskussionen und so schnell wechselnden Theoriekonjunkturen (Neomarxismus, Gesellschaftsgeschichte, Linguistic Turn, Alltagsgeschichte, Kulturgeschichte etc.) geprägt worden waren wie nie zuvor, ist es an der Zeit, die Frage nach dem Verhältnis von Geschichte und Theorie zu bilanzieren – und zwar unter dem praktischen Gesichtspunkt der Anwendbarkeit, also des Nutzens und des Nachteils für den Historiker. Die jeweils angetretenen Theorieprogramme müssen sich der Frage nach ihrer Durchführung stellen. Natürlich können im vorliegenden Band nicht alle aufgeworfenen Fragen erschöpfend beantwortet werden. Auch positionieren sich die Autoren des Bandes durchaus unterschiedlich zur Frage des Theoriegebrauchs und des Nutzens der Theorie. Insgesamt ist es aber gelungen, sowohl eine ganze Reihe unterschiedlicher theoretischer und methodischer Ansätze zu integrieren als auch zahlreiche verschiedene historische Beispiele einzubeziehen. Die Aufsätze sind entweder als metahistorische Essays über den Nutzen unterschiedlicher Theorien angelegt oder als Fallstudien konzipiert, in denen am konkreten Forschungsbeispiel die Frage nach dem Nutzen bestimmter Theorieangebote durchgespielt werden. Die angesprochenen Theorieangebote reichen dabei von hermeneutischen und diskursanalytischen Theorien über die Textphilologie, die Ethnologie, die Religionswissenschaft, die Medientheorie bis hin zur ›Praxeologie‹, zur Ideen- und Begriffsgeschichte. Auch die als Beispiele verwandten historischen Themen sind breit gestreut; die Exemplifizierungen stammen aus dem Mittelalter, der Frühen Neuzeit und der Neuesten Geschichte. Dass sich hierbei allenthalben Lücken ergeben, versteht sich von selbst; in diesem Sinne kann der Band nicht mehr sein als ein erster Versuch oder auch: ein Experiment, dem Verhältnis von Theorie und Geschichte im Hinblick auf die Praxis des Historikers nachzugehen. Ihn als primär theorieskeptisch oder polemisch zu verstehen, was vielleicht für manchen Leser nahe liegen mag, verfehlte seine Intention und seine Stoßrichtung.

Der Historiker ist wahrscheinlich schon deshalb theoriebedürftig, um sich einmal von der Kärrnerarbeit in Archiven und Bibliotheken zu erholen. Theorieproduktion als Entspannungsübung, Reflexion über Theorie als Abstandsgewinnung |23|vom Alltäglichen und als Möglichkeit der interdisziplinären Kommunikation: Hier liegen nicht zuletzt ganz praktische Gründe für den Historiker, sich mit Theorie zu beschäftigen.

Am Ende bleibt den Herausgebern die schöne Pflicht, Dank zu sagen: Wir danken den Herausgebern der Publikationsreihe des Sonderforschungsbereichs 640 ›Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel‹, den Herren Professoren Jörg Baberowski, Vincent Houben, Hartmut Kaelble und Jürgen Schriewer, für die Aufnahme des Bandes in die Reihe. Unser Dank geht zugleich an die Autoren des Sammelbandes für die gute Zusammenarbeit. Außerdem danken wir Eva Hausteiner, Susanne Kirchhoff und Saskia Kühn für die tatkräftige Hilfe bei der Redaktion des Bandes sowie Felix Herrmann für die problemlose und zügige Erstellung der Druckvorlage.

 

Berlin, im September 2007

Jens Hacke, Matthias Pohlig