Biehl, Brigitte
Business is Showbusiness
Wie Topmanager sich vor Publikum inszenieren
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ISBN der Printausgabe: 978-3-593-38472-6
E-Book ISBN: 978-3-593-40396-0
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Dank
Einleitung
Über die Inszenierung
Theaterwissenschaft, Public Relations und die Inszenierung von Wirklichkeit
Methodik und Aufbau
Über die Veranstaltungen und ihre Auswahl
I Der Held im Theater
Der verkörpernde Darsteller im dramatischen Theater
Der distanzierte Darsteller im epischen Theater
Der authentische Performer im postdramatischen Theater
II Der Held zwischen Theater und Management
Unternehmenskommunikation und Events
Personalisierung
Publikumsgruppen
Aktionäre
Journalisten
Analysten und institutionelle Investoren
III Inszenierungsanalyse
»Spielweise« – Wie treten Manager auf
Personalisierung und Kompromissbildung
Techniken der Eindrucksteuerung und die Authentizitätsfrage
Szenographie
Ort
Räumlichkeiten mit Produktdemonstrationen und Büfett
Die Bühne
Position des Redners
Rednerpulte für die Aktionäre
Requisiten und Dekoration
Licht und Musik
Bühnenbild
Körpersprache
Kleidung
Gestik und Haltung
Blickkontakt und Redestil
Mimik und Attraktivität
Stimme
Rhetorik
Dramaturgie der Reden
Persönliche Aussagen und Abweichungen vom Redemanuskript
Humor und Selbstironie
Applaus
Darstellung von Erfolgen und Misserfolgen
Bildhafte Sprache
Strategien in Frage- und Antwortrunden
Dramaturgie der Antworten
Längere Ausweichmanöver
Kurze Repliken und Witzeleien
Wie sich Antworten verweigern lassen
Freundliche Abwehrstrategien auf Angriffe
Umgang mit Unterstellungen
Die Beantwortung von Fragen im Stile des Advocatus Diaboli
Resümee
Literatur
Quellen der Veranstaltungen
Anmerkungen
An dieser Stelle möchte ich allen herzlich danken, die mich bei dieser Promotion besonders unterstützt haben. An vorderster Stelle Prof. Dr. Hans-Thies Lehmann, der mit großer Offenheit und ermunterndem Interesse diese interdisziplinäre theaterwissenschaftliche Untersuchung der Welt der Wirtschaft begleitet hat, und ebenso Prof. Dr. Ulrike Röttger von der Public Relations-Seite. Ich danke Dr. Colin Clark für den Austausch über Konversationsanalyse und englische Investorenveranstaltungen. Manfred Piwinger ist für mich seit langem ein fördernder und engagierter Gesprächspartner über Investorenkommunikation. Mein großer Dank für Gespräche und Materialien gilt Henry Mathews, dem Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionäre, der sich als »schlechtes Gewissen« auf der Wirtschaftsbühne eingemischt und über drei Jahre hinweg bis zu seinem überraschenden und auch für mich schmerzhaften Tod 2006 mit Humor, Herz und hartnäckigen Anmerkungen meine Arbeit begleitet hat. Ich bedanke mich bei Hans-Martin Buhlmann von VIP, Verein institutionelle Privatanleger, und COF, Club of Florence, Institute for Good Corporate Governance, für die Unterstützung. Die Malerin Verena Landau hat durch ihre faszinierende Beschäftigung mit Aktionärstreffen auch meinen Blick um künstlerische Möglichkeiten erweitert und Bilder für dieses Buch zur Verfügung gestellt. Gefreut habe ich mich sehr über die Gespräche mit Prof. Res Ingold von Ingold Airlines. Ich danke den Redenschreibern, Organisatoren und Pressereferenten, die mir Interviews gegeben haben. Ein großes Dankeschön für die ehrlichen Anmerkungen möchte ich an Oliver Wiesinger, Diana Teschler, Christopher Bade, Ben Reichardt, Dr. Christian Dahmen, Alexander Missal und Christian Stockmar richten. Diese Arbeit entstand mit Förderung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ein besonderer Dank gilt meiner Familie: Jutta Biehl, Bruno Biehl, Hildegard Füller (†), Dr. Helmut Füller und Dr. Stefan Füller.
Die ganze Welt ist eine Bühne und auch die Welt der Wirtschaft ist ein Schauplatz zur Selbstinszenierung. Theatralisierung durchzieht das ganze gesellschaftliche Leben und zunehmend auch die Geschäftswelt. Ihre Darbietungen machen sich die Gesetze und Techniken des Showbusiness zu Nutze. Sie bieten Personen, Emotionen und Versprechungen, um Investoren, Medien, Analysten und nicht zuletzt die Öffentlichkeit und Kunden zu beeinflussen, Reputation aufzubauen und Vertrauen zu schaffen. Diese weichen Faktoren werden zu Kapital, das sich hoch verzinst und besonders schwer wiegt, und so hängt die effiziente Wirtschaftsleistung von der wirkungsvollen Selbstinszenierung ab – Business is Showbusiness.
Die Metapher von der Wirtschaftsbühne zeigt sich prägnant im buchstäblichen Sinne bei den Auftritten von Topmanagern: Gefühlige Leitmotive wie »Leistung aus Leidenschaft.« oder »A Passion to Perform.« prangen über den Brettern, die am Tag einer Veranstaltung der Deutschen Bank die Wirtschaftswelt bedeuten. Konzernchef Josef Ackermann steht wie jeder andere Vorstandsvorsitzende stellvertretend für das Unternehmen und will eine passionierte Performance bieten, überzeugend Rede und gekonnt Antwort stehen. Banker, Airliner und Autobauer müssen nicht nur Planer, sondern auch Selbstdarsteller sein. Die Ackermänner, Mayrhubers und Schrempps versuchen in den Rollen der »Kostenkiller« oder »Mister Shareholder Value« schon äußerlich zu verkörpern, was sie selbst ihrem Konzern zugute halten: Da glänzt das weiße Einstecktuch als Symbol der Finanzelite, ein gebräunter Teint soll jugendlichen Unternehmergeist signalisieren und der passende Vortragsstil kann auf das »Benzin im Blut« verweisen.
Das Verkaufspotenzial bei Auftritten ist hoch, denn der Zuschauer kann sich persönlich ein Bild vom Vorstand machen. Wann wird er einem Manager eher vertrauen: Wenn er ihn direkt erlebt hat und dieser gar eine Frage souverän beantworten konnte – oder nach einem Blick auf das retuschierte |9|Foto im Geschäftsbericht? Wenn die Darbietung gefällt, kann der Auftritt das Ansehen und damit auch die Wertentwicklung des Unternehmens beeinflussen.
Überzeugend aufzutreten und bittschön »authentisch« zu bleiben ist aber nicht einfach. Sich zu präsentieren bedeutet immer, sich zu exponieren. Das Publikum kann interagieren und stellt kritische Fragen, Medien und Investoren wollen wissen, wo die Scheinwelt von Kompetenz und Heldentum endet. Zudem gibt es trotz dramaturgischer Bemühungen wie dem ehrfürchtig hohen Podium lachhafte Pannen: Auf dem Bühnenbild hantiert ein überlebensgroßer Jongleur mit Tennisbällen und die »Leidenschaft« verpufft, wenn die trockene Stimme von Bildertrümmern wie der »überstandenen Ertragsdelle« kündet. Je tiefer der Blick in die Rhetorik, desto weniger Verantwortungsbewusstsein lassen manche Verhaltensweisen zwischen schön Reden und Schönreden vermuten: Personal wird trocken »abgebaut«, wirtschaftliche Misserfolge klein geredet, dafür wird das »Produktfeuerwerk« gepriesen. So hat die Kunst der Selbstdarstellung bei Managern einen Gipfel erreicht. Aber beileibe noch nicht den höchsten.
Veranstaltungen von großen Unternehmen ähneln Inszenierungen im Theater. Durch den gezielten Einsatz von Licht, Bühnenbildern und Rhetorik versuchen die börsennotierten Konzerne, ihr Publikum aus Investoren und Journalisten zu beeindrucken und Vertrauen in sich und den Konzernerfolg aufzubauen. Diese Studie wird auf Auftrittstechniken aufmerksam machen und sie erklären und untersucht dafür aus dem Blickwinkel der interdisziplinären Theaterwissenschaft, der Performance Studies, die Auftritte von Vorstandsvorsitzenden (CEOs)1 der Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) »als Performance« oder »als Inszenierung«. Sie werden mit einem angepassten Katalog der Inszenierungsanalyse nach Patrice Pavis2 deskriptiv erfasst und mit der Theatersemiotik und Performancetheorie analysiert. Die Inszenierungsanalyse beschreibt die Wirkung der Spielweise der Auftretenden, Faktoren wie die Szenographie einschließlich Bühnenkonzeption, Bühnenbild und Licht, die Kleidung, die Körpersprache einschließlich Gestik und Mimik, die Rhetorik der Reden und die Dramaturgie der Antworten auf Fragen aus dem Publikum. Die Szenen werden unter dem Stichwort Personalisierung daraufhin untersucht|10|, ob und wie sie den Firmenchef besonders hervorheben. Mit Jahreshauptversammlungen hauptsächlich für Aktionäre, Bilanzpressekonferenzen für Journalisten und Analystenkonferenzen für Analysten und institutionelle Investoren wurden drei Arten von Veranstaltungen gewählt, um übergreifende ästhetische Prinzipien deutlich zu machen und unterschiedliche Kommunikationsstile zu zeigen. Um die Wirkung zu erklären bietet die vorliegende Arbeit auch eine große Zahl von bereichernden Hinweisen, Parallelen, historischen und assoziativen Verknüpfungen der Inszenierung der Manager mit Theaterästhetik und Theatergeschichte.
Das Theater ist Referenzpunkt dieser Untersuchung, weil die Auftritte einen Show-Charakter besitzen und formal Inszenierungen im Theater ähneln. So haben die Erkenntnisse eine Anzahl praktischer Implikationen, die die Ausrichtung von Events betreffen und der beruflichen Praxis nutzen. Die Untersuchung soll aber kein bloßer Ratgeber sein, sondern unseren Blick erweitern und uns bei fortschreitender Theatralisierung und Ästhetisierung von Wirtschaft auf Unterschiede zwischen Theater, Kunst und der Disziplin des Managements und seiner Kommunikation aufmerksam machen. Das Theater erinnert uns nämlich daran, dass es eine Kulturleistung ist, sich mit verschiedenen Masken in Szene setzen zu können, und beliefert die Wirtschaftswelt zu Recht mit Metaphern wie der von der Finanzbühne. Umso aufschlussreicher, dass diese Parallele dort endet, wo die Kunst nicht nur verhüllt, sondern die Welt des Scheines auch entlarvt um Interpretationsmöglichkeiten zu eröffnen – ohne das Publikum in seiner Meinung beeinflussen zu wollen. Auf diesen Unterschied werde ich in einem kleinen Plädoyer für die Theaterkunst des Öfteren hinweisen und will damit am aktuellen Beispiel der Selbstinszenierung der Wirtschaft und in Zeiten, in denen Darstellungstechniken zur Wertschöpfung ökonomisiert werden, das Potential und die Notwendigkeit der Theaterwissenschaft als interdisziplinäre kulturwissenschaftliche Forschung veranschaulichen.
Dabei verfolgt das Buch einen weiteren wesentlichen Zusammenhang: In einem Zeitalter, in dem Bilder und Inszenierungen immer entscheidender werden und Theatralisierung alle Lebensbereiche durchdringt, nähern sich Theater und Wirklichkeit immer mehr an. Das postdramatische Theater hat diese Entwicklung von der Illusion auf der Bühne hin zur performativen Darstellung realer Ereignisse bereits vollzogen. Auch die Wirtschaftswelt kann ohne Mittel des Theaters wie Spiel und Ästhetik nicht mehr funktionieren. Marken und Reputation prägen den Erfolg von Unternehmen und haben nur noch wenig mit der produktionsorientierten |11|Wertschöpfung des Industriezeitalters gemeinsam. Die Personalisierung von wirtschaftlichen Zusammenhängen bringt es zudem mit sich, dass Vorstandschefs in den Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung von Unternehmen rücken. Doch wie erfolgreich setzen Manager, die alles andere als geschulte Schauspieler sind, das Instrument der Selbstinszenierung ein? Diese Untersuchung zwischen Theater, Public Relations und Management zeigt nicht nur die Fehler und Fortschritte, sondern problematisiert auch Überzeugungsrhetorik, Wettbewerbsideologie und missglückte Verkaufsstrategien und versteht sich damit als kritischer, erhellender Beitrag zum aktuellen Wirtschaftstheater.
Selbstinszenierungen mit dramaturgischen Tricks sind anthropologische Parameter. Es ist historisch zweifellos nicht neu, dass gesellschaftliches Handeln inszeniert wird. Man denke an das volksnahe und hemdsärmlige Auftreten von Politikern im Wahlkampf, die pompöse Inszenierung von Geistlichen und selbst an die schwarze Brille des »Intellektuellen«. Alle Menschen, auch Manager, wollen ihr Handeln für andere ins rechte Licht rücken. Ob nun jemand wirklich »seriös« ist, sieht man ihm nicht automatisch an, er muss es zeigen, er muss es sich sozusagen anmerken lassen. Der Soziologe Erving Goffman hatte in seiner grundlegenden Analyse das Prinzip der alltäglichen Selbstdarstellung als Performance beschrieben: »Eine ›Darstellung‹ (performance) kann als die Gesamttätigkeit eines bestimmten Teilnehmers an einer bestimmten Situation definiert werden, die dazu dient, die anderen Teilnehmer in irgendeiner Weise zu beeinflussen.«3 Auch der Philosoph Gracián hatte in seinem berühmten Handorakel das Prinzip ähnlich zutreffend umrissen:
»Tun und sehen lassen: Die Dinge gelten nicht für das, was sie sind, sondern für das, was sie scheinen. Wert haben und ihn zu zeigen verstehen, heißt zweimal Wert haben. Was nicht gesehen wird, ist, als ob es nicht wäre. Das Recht selbst kann seine Achtung nicht erhalten, wenn es nicht auch als Recht erscheint. Viel größer ist die Zahl der Getäuschten als die der Einsichtigen. Der Betrug herrscht vor, und |12|man beurteilt die Dinge von außen; viele aber sind weit verschieden von dem, was sie scheinen.«4
Auch hier wird auf die dunkle, manipulative Seite jeder Selbstdarstellung angespielt, aber im Vordergrund steht zunächst einmal, dass Selbstinszenierung bedeutet, mit theatralischen Mitteln zu kommunizieren.
Ein Auftritt kann etwas sichtbar machen, beispielsweise wird die Wahrheit ohne Schminke oft nicht erkannt, und deshalb muss auch die »seriöse« Kleidung nicht verkleiden, sondern kann der jeweiligen Persönlichkeit helfen, sich anderen gegenüber auszudrücken und verständlich zu machen. So kann man für die wahrnehmungsrelevanten Bestandteile eines Auftritts besser das neutrale Eigenschaftswort »theatral« verwenden, denn »theatralisch« wird im Sprachgebrauch zu Unrecht oft abwertend benutzt, wenn dabei lediglich an eine Darstellung wie im Illusionstheater gedacht wird oder an übertriebenes oder täuschendes Verhalten.
Das tägliche Schauspiel wird im Alltag, von der Wissenschaft und auch im Theater selbst – in Shakespeares Worten: »Die ganze Welt ist eine Bühne« – mit der Theatermetapher beschrieben. Dieser Topos vom Welttheater, theatrum mundi, entspricht der seit der Antike bestehenden Vorstellung, in der alles Handeln als ein vorüberziehendes Schauspiel begriffen wird, wobei der Mensch seine vom Schicksal bestimmte, beziehungsweise von Gott auferlegte Rolle unter seinen Augen bis zum Ende spielte. Das Leben wird als Schauspiel bezeichnet, weil es vergänglich ist, und die Welt als Bühne, weil sie nur Schein ist. Das Theater kann eine »perfekte Repräsentation der Welt«5 sein, weil es mit dem menschlichen Leben die Attribute Vergänglichkeit und Scheinhaftigkeit gemeinsam hat. Die Metapher hat eine weitreichende anthropologische Ausstrahlung und die Motive vom Menschen als Marionette Gottes, als Spielball des Zufalls, als »Lebenskünstler« oder als selbstbestimmte »vernünftige« Existenz auf der Weltbühne werden in der philosophischen Argumentationslinie von Platon über Shakespeare, Büchner, Schopenhauer und Brecht weitergeführt und durchgespielt.6
Diese Untersuchung beschreibt mit der Formel »Business is Showbusiness« ein zeitgemäßes verweltlichtes Theatergleichnis. Nicht nur Manager müssen gekonnt vor anderen auftreten, sondern jeder Einzelne muss sich |13|zunehmend selbst darstellen. Auf der Wirtschaftsbühne ist die Figur des sich selbst verwirklichenden Arbeitssubjekts zum zentralen Leitbild geworden. Es entsteht ein performativer Leistungsbegriff, bei dem es nicht nur auf die Fähigkeiten im operativen Geschäft ankommt, sondern auf gekonnte Selbstvermarktung unter den disziplinierenden Blicken der anderen. Hier muss eine Art »Leistung aus Leidenschaft« inszeniert werden, wie sie die Manager postulieren wenn sie selbst stets vorgeben, die Firma sei nicht ihr »Job«, sondern ihre »Leidenschaft«7 . Kritiker beschreiben mit dem Begriff »appellative Subjektivierung von Arbeit«8 , dass hier ein Zwang besteht: Normative Erwartungen der Beschäftigten hinsichtlich befriedigender und sinnvoll erfahrener Tätigkeit werden ihrerseits normativ erwartet und gerade in Dienstleistungsberufen durch entsprechende Sozialtechniken wie Feedbacks und permanente Verhaltensbewertung aktiviert. Bloße Signale der Arbeitseuphorie und die Präsentation von Teamgeist und Einsatzbereitschaft werden als Leistungsqualitäten in sich bewertet, während unauffälliges Wirken eine materielle und symbolische Abwertung zur Folge hat.9 Arbeitnehmer haben selbst die Wichtigkeit von Inszenierung erkannt und sagen, dass Äußerlichkeiten für den beruflichen Erfolg so entscheidend wie nie sind: Mittlerweile stuft fast ein Drittel die Erscheinung als wichtig ein, vor 20 Jahren waren es nur 6 Prozent, besonders ernst ist das in Berufen mit Kundenkontakt wie Public Relations.10
Das zeitgemäße Inszenierungsgleichnis ist durchzogen von einer Leistungsforderung, welche dem Subjekt nahe legt, es sei für seinen Erfolg selbst verantwortlich und folglich selbst schuld an seinem Misserfolg – ein anderes Menschenbild, als es beispielsweise die antike Tragödie mit dem Motiv des bestimmenden Schicksals ausdrückt. Das heute herrschende Konzept ist aber eine Leistungslüge, die die dahinter liegende Dramaturgie und den eigentlichen Zusammenhang zwischen Erfolg und Leistung verschleiert. Nicht jeder ist erfolgreich, auch wenn viel Leistung und Leidenschaft dahinter stehen. Schon der Markt mit dem Börsenhandel fördert trotz aller Leistungsorientierung einen leistungslosen oder passiven Erfolg, denn Spekulationsgewinne sind häufig Zufall, manchmal auch Insidergeschäfte |14|und Betrug. Auch zeigt der Blick auf die privilegierten Macht- und Herrschaftsetagen das Paradox neoliberaler Leistungsideologie. Hier sitzt eine andere Form der »Ich-AG«, die sich in den Augen vieler Kritiker trotz Wohlverhaltenscodices Aktienoptionen und Millionengehälter zuschustert. Ihr Erfolg ist nach Bourdieus kritischer Untersuchung durch klassenspezifischen Habitus, von Sprache bis Dress- und Verhaltenscodes, entstanden.11 Bluffen bei der Selbstinszenierung durch Training an Selbstdarstellungsratgebern trägt nur anfangs durch die Okkupation von Verhaltensweisen zu einer Demokratisierung des öffentlichen Lebens bei, stößt aber an seine Grenzen. Der Habitus ist anerzogen, für Spitzenkarrieren ist die soziale Herkunft ausschlaggebend, nicht die individuelle Leistung oder Selbstdarstellung, vor allem Topmanager stammen zum Großteil aus gehobenen Schichten.12 Gerade Männer mit Vätern aus leitenden Positionen profitieren anders als Frauen stark von gesellschaftlichen Netzwerken.13 Zudem können viel weniger Frauen als Männer angeben, die äußere Erscheinung hätte ihnen zum Erfolg verholfen.14 So scheint das gängige Rollenmodell des Erfolgstypen auf dieser Wirtschaftsbühne in vieler Hinsicht diskriminierend zu sein, wie die Untersuchung an vielen beachtenswerten Stellen verdeutlichen wird.
Wenn wir nun den Inszenierungsbegriff als Schlüsselbegriff dieser kulturwissenschaftlichen Untersuchung näher betrachten wollen, müssen wir bei seinem Ursprung, der Welt des Theaters beginnen. Zunächst einmal lautete die im 19. Jahrhundert geprägte Sichtweise von Dramaturgie: »›In die Szene zu setzen‹ heißt, ein dramatisches Werk vollständig zur Anschauung bringen, um durch äußere Mittel die Intention des Dichters zu ergänzen und die Wirkung des Dramas zu verstärken.«15 Die Bestimmung des Begriffs änderte sich, als das Inszenieren selbst als künstlerische Tätigkeit verstanden wurde. Edward Gordon Craig beschreibt Anfang des 20. Jahrhunderts die Kunst des Theaters als eine Gesamtheit der Elemente von Schauspielkunst, Szenengestaltung und Rhythmus, die ausgewählt und kombiniert werden.16 Für die neuere Forschung zur Performance, in der Handlungen nicht wie auf der dramatischen Bühne fingiert, sondern real |15|vollzogen werden, ist der hier enthaltene Gedanke fast selbstverständlich geworden, dass es keine einzige und richtige Interpretation eines Werkes geben kann. Es geht um die gesamte sinnlich erfahrbare Situation der Aufführung mit ihrer einzigartigen Atmosphäre, einschließlich der Körperlichkeit des Auftretenden, der verbalen und nonverbalen Ausdrucksformen, von der gesprochenen Rhetorik bis zur Beleuchtung der Szene – Elemente, die nicht nur im Theater zu finden sind, sondern auch die Wirkung der Manager ausmachen und welche die vorliegende Untersuchung beschreibt. Die Inszenierung als ästhetisch organisierte Interaktion bringt etwas Neues hervor, einen einzigartigen Moment, und lässt sich definieren als: »Vorgang der Planung, Erprobung und Festlegung von Strategien, nach denen die Materialität der Aufführung performativ hervorgebracht werden soll.«17 Inszenierung und Selbstinszenierung lässt sich nicht nur verstehen als das Festlegen von Strategien vor dem Auftritt, sondern vor allem als die handelnde, performative Tätigkeit in der jeweiligen Situation vor Zuschauern, wobei der Auftretende eine Selbstvorstellung ausspielt und bei den Zuschauern wie auch immer geartete Eindrücke hervorruft.
Das Besondere an einem Auftritt ist, dass jede Live-Inszenierung theatrale Kommunikation und damit ein Spezialfall von Kommunikation ist. Das Hervorbringen von Zeichen und deren Interpretation verläuft auf der Bühne als semiotischem Raum parallel und gleichzeitig, der Rezipient bildet sich seinen Eindruck vom Auftretenden, hier vom Vorstand, mit eigenen Assoziationsregeln, abhängig davon, was er gerade wahrnimmt. Selbst die Gesichtsregungen und die Stimmlage des Redners werden vom oftmals skeptischen Publikum nach Anzeichen von Gefühlen und Unsicherheiten abgesucht. Jedes der vielen von Szenographie, Sprache und Bewegung ausgehenden Zeichen erzeugt – oftmals unterbewusst und kaum messbar – Bedeutung.
Was auf einer Bühne und bei Veranstaltungen mit Investoren und der Presse geschieht, wird sich nie wieder genau in derselben Form ereignen und genauso wahrgenommen werden, ist unwiederholbar und flüchtig, transitorisch. Dafür besitzt diese Situation eine besondere Faszination, Hans Ulrich Gumbrecht beispielsweise spricht von einer »Produktion von Präsenz«18 . Personen werden in Reichweite gerückt und Interaktion wird möglich. Sich zu präsentieren bedeutet nämlich auch immer, sich zu exponieren und jeder Auftretende bringt nicht nur seinen Redetext auf die |16|Bühne, sondern zusätzlich Zugang zu sich selbst und eine engagierte Verpflichtung zur Situation an sich.
Die gemeinsame Anwesenheit und Körperlichkeit beeinflusst die Wahrnehmung, weil sie eine gewisse Atmosphäre entstehen lässt und auch der Vergewisserung des Dargestellten dient. Die Atmosphäre ist nach Böhme das, was man empfindet, die affektive Betroffenheit durch das Wahrgenommene.19 Der Zusammenhang zwischen Umgebungen und Befindlichkeiten wird schon beim Betreten eines Raumes deutlich: Man wird durch dessen Gestaltung und Beleuchtung gestimmt, »berührt« von der Konstellation der Menschen und fühlt Stimmungen. Das ist auch das Besondere bei Unternehmensveranstaltungen, denn eine Rede im Internet wirkt ortsunabhängig und ist schnell gelesen, eine Hochglanzbroschüre aus der Unternehmenskommunikation ist flott betrachtet, ein Eindruck oder ein »Gefühl« von oder »Feeling« für die Authentizität und Überzeugung, mit der der CEO dahinter steht oder nicht, lässt sich nur persönlich gewinnen. Wann wird ein Entscheidungsträger einem Manager eher vertrauen: Nachdem er ihn erlebt hat oder nachdem er das überarbeitete Foto im Geschäftsbericht gemustert hat?
Die Theaterwissenschaft spricht auch vom so genannten Performance-Text, den man untersucht, um eine solche vielschichtige Aufführung und nicht vollständig kontrollierbare Situation zu beschreiben, die sich durch »notwendige Kopräsenz von Produktion und Rezeption, Akteuren und Aufnehmenden«20 kennzeichnet. Dieses Konzept überdacht den so genannten Inszenierungstext, der durch szenische Interpretation lesbar wird und beispielsweise die Raumkonzeption und das Bühnenbild erfasst, und den so genannten linguistischen Text, der die Rhetorik der Reden umfasst. Der Performance-Text enthält die Gesamtsituation. Deutlich wird: Wer mit zitternder Stimme seine noch so visionären Worte verliest kann sich selbst widersprechen und ebenso kann das Publikum kritische Fragen stellen und sich aus der negativ aufgeladenen oder angespannten Atmosphäre einen persönlichen Eindruck bilden, der ganz anders ist als von der Unternehmenskommunikation vorgesehen.
Die Produktionsseite kann ihren Teil dazu beitragen, eine gute oder beeindruckende Atmosphäre zu produzieren. Dazu gehört ein sorgfältiges Arrangement der Schauplätze und eine ordentlich erstellte Rede – Tätigkeiten|17|, die sich nach Böhme als »ästhetische Arbeit«21 begreifen lassen, weil es bei ihnen darum geht, Dingen und Menschen ein Aussehen zu geben und sie ins rechte Licht zu rücken. Ästhetische Arbeit ist damit nicht nur eine Domäne des Theaters oder der Kunst im Allgemeinen, sondern in diesem theatralischen Zeitalter eine Aufgabe für Innenarchitekten, Modeleute, Werber, Designer, Fachleute im Marketing, und im Falle der hier betrachteten Firmentreffen besonders für Fachleute im Bereich Public Relations und Investor Relations.
Inszenierung ist offensichtlich legitim, aber die Kritik an den Auftritten verzichtet im Sinne des negativ besetzten Verständnisses von »inszenieren« nicht auf den Hinweis, dass der Schein trügen kann. Das Misstrauen an Selbstdarstellern, anderorts gern als »Blender« oder »Politiker« bezeichnet, ist nicht unbegründet. Selbstdarstellung ist niemals neutral, sondern immer zielorientiert, verstärkt manche Faktoren und vernachlässigt andere. Das verdeutlicht beispielsweise Theaterregisseur und -theoretiker Richard Schechner, indem er eine Weltkarte »als Performance« betrachtet. Die Karte bietet einen Weg, die runde Erde in flacher Form darzustellen und dafür muss entschieden werden, ob eine flächentreue Darstellungsform gewählt wird oder die bei Kolonialmächten beliebte winkeltreue Mercator-Darstellung, die nördliche Gebiete größer wirken lässt. Es kann auch festgelegt werden, welche Nation im Zentrum steht und welche am Rand, und damit variiert die so genannte Realität abhängig von der Intention.22 Auch eine Unternehmenskommunikation inszeniert zuträgliche Szenarien, wenn sie den Konzern in einem guten Licht erscheinen lassen will. Eine ältere Definition von der Selbstdarstellung von Unternehmen als Konstruktion »wünschenswerter Wirklichkeiten«23 passt hier durchaus. Wobei der Diskurs auch seine Grenzen hat, ein Unternehmen, das am Rande seiner Existenz steht, lässt sich kaum dauerhaft ins Leben zurück inszenieren.
Der Unterschied zwischen den beiden hier zu durchquerenden Feldern besteht also nicht darin, dass man meint, ein Auftritt im Bereich Wirtschaft und Management hätte den Anspruch der Realität und im Theater pauschal den der Illusion, denn in neueren und neuesten, auch postdramatischen Theaterformen werden nicht unbedingt fiktive Rollen gespielt. Auftritte von Managern lassen sich gemäß obiger Erklärung als ästhetische Arbeit begreifen, sind aber ein Zerrspiegel von Kunst. Eine künstlerische Theaterästhetik |18|zeigt widersprüchliche Situationen und schwankende Protagonisten, um Interpretationsmöglichkeiten zu eröffnen und für sozio-politische Diskrepanzen zu sensibilisieren. Sie will nicht verhüllen sondern enthüllen. Künstlerische Verständigung will keinen Profit machen, strebt nicht nach Effizienz, sondern nach sozialer Wirksamkeit.24 Sie ist, wie ästhetische oder »schöne Kunst« nach Kant, für sich selbst zweckmäßig, ohne Zweck. Das Ziel der Kommunikation von Unternehmen hingegen ist nicht, mit Auftritten ein Ereignis zu veranstalten, sondern dieses ist nur ein Zweck zum Erreichen des Ziels. Beispielsweise soll Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und in die Qualität des Managements aufgebaut werden, um Unternehmens- und Aktienwert zu steigern.25 Die Events oszillieren zwischen Wirksamkeit und Nützlichkeit, sie besitzen Züge theatraler Unterhaltung und wollen Vertrauen aufbauen, Wert schaffen und Machtansprüche legitimieren. Die Atmosphäre bei Veranstaltungen ist zwar ein Resultat ästhetischer Arbeit, soll aber das Publikum einstimmen auf die richtige Vertrauenshaltung und ist damit nicht handlungsentlastend, was man wiederum einem autonomen, bildenden Kunstwerk zuschreiben kann.26 Theater als Kunst stellt im Gegensatz zum Selbstverkauf die Welt des Scheines nicht nur dar, sondern im selben Zuge auch bloß. Diese Erfahrung ist auch in der simplen aber liebenswerten Formel gebündelt: »Vorhang zu und alle Fragen offen.«
Kritiker betonen die dunkle Seite der kommunikativen Wertschöpfung, um die sich die PR mit ihrer Inszenierungsarbeit bemüht. Der Philosoph Gernot Böhme bezeichnet die ästhetische Arbeit am Realen im »kapitalistischen Fest« in seiner Fortführung der kritischen Theorie als Ausdruck der fortgeschrittenen ästhetischen Ökonomie, in der es um die Inszenierung der Waren und Selbstinszenierung der Menschen geht. Der dabei entstehende »Inszenierungswert« befriedigt nicht nur Bedürfnisse, sondern lässt ein ständig steigendes Begehren entstehen und bildet so die Basis für immer neue Ausbeutung.27 Ähnlich ist das Konzept des Spektakels, das sich |19|nach Debord als »Selbstporträt der Macht«28 verstehen lässt, als ununterbrochener lobpreisender Monolog der Geschäftswelt über sich selbst, in dem Form und Inhalt die Mechanismen von Konsum und ausbeuterischer Produktion rationalisierend rechtfertigen. Dabei geht es darum, Widersprüche und Fehler auszublenden, Einfluss und Macht zu behalten.
Die gesamte Wirtschaftswelt besitzt einen durchweg inszenatorischen Charakter, sie ist, wie auch Victor Turner festgestellt hat, voll von sozialen Dramen, die sich an Bildwelten, Verlaufsformen und ideologischen Mustern bedienen, die das ästhetische Drama bereitstellt.29 Neben symbolischen Beschreibungen wie von Bulle und Bär für die Finanzmarktlagen gibt es hier das »dramatische Opfer«, dort den »Weißen Ritter«, der unverhofft in der spannenden »Übernahmeschlacht« auftaucht und ein Unternehmen vor der hässlichen »Heuschrecke« rettet. Tatsächlich leben PR-Inszenierungen allgemein von Symbolen und damit von Vereinfachungen.30 Man kann annehmen, dass auch die Presse mit ihren Marktberichten und die Analysten mit ihren Kaufempfehlungen ausdrucksfähige Bilder und Geschichten produzieren, um den Mythos Markt lebendig und faszinierend zu halten. Diese visuellen und emotionalen Informationen polstern die als real empfundene und handlungsleitende Wirtschaftswirklichkeit. Besonders in schwierigen Börsenzeiten verlangen die Anleger neue Versprechen und beruhigende Symbole, anstatt einmal nachzurechnen.31
In Hinblick auf die Unternehmensveranstaltungen kann man vor dem Hintergrund der nicht neutralen Selbstdarstellungsthese und der zitierten Literatur davon ausgehen, dass Konzerne nicht nur ihr Publikum vor Ort beeindrucken wollen und schon damit nicht dem eigenen Postulat von der Aussprache mit den Investoren als »fairem Dialog«32 entsprechen. Vielmehr liegt nahe, dass die Inszenierungsversuche von Managern größere Kreise in der ganzen Gesellschaft ansprechen und beeinflussen, indem sie sich auf stillschweigend vorausgesetzte Prämissen wie einen positiven Rendite- und Shareholder Value-Gedanken stützen, auf bekannte Codes und deren Lösungen zurückgreifen und ein bestimmtes Weltbild festigen wollen. Dieser Unterschied zwischen Kunst und Management gilt auch im Kleinen für die Person des Wirtschaftsdarstellers, dem Techniken der |20|reflektierten Abstandnahme von den eigenen Leidenschaften beim Vortrag und Tricks der Selbstkontrolle genauso vertraut sind, oder sein sollten, wie dem Schauspieler. Jenem bieten sie aber die Möglichkeit, fremde und ungewohnte Rollen des Menschseins zu erproben, sich und andere in den Vorstellungen nicht nur zu bestärken, sondern zu verunsichern. Während der Manager eine krampfhaft selbstsichere Maske aufsetzt, um für das Publikum sowohl erträglich als auch bestätigend zu wirken. Das Spiel ist ohne Tiefgang, die Differenzen zwischen den Manager-Typen sind nicht groß, der Selbstdarsteller ist eben kein Verwandlungskünstler, sondern bleibt Ideologe.
Die interdisziplinäre Theaterwissenschaft und die Performance Studies untersuchen den Theatervorgang im weitesten Sinn jenseits eines eingeschränkten Kunstbegriffs als Inszenierung. Vorgänge der Interaktion und Kommunikation, Darstellung und Selbstdarstellung lassen sich als soziales und ästhetisches Handeln, als Rollenspiele, Nachahmungs- und Identifikationsprozesse beschreiben, gesellschaftliches Tun ist sozio-symbolische Praxis.33 Die Konzepte des Theaters, darunter die Vorstellung von sozialen Akteuren, ihr Rollenspiel, das Proben von Handlungen, die Wichtigkeit von Gesten und Kleidung lassen sich zur Analyse sozialer Interaktion im öffentlichen Leben und auch im Geschäftsalltag anwenden. Prozesse der Theatralisierung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gruppen, die ihr Selbstbild dar- und ausstellen, lassen sich als kulturelle Performance, Cultural Performance, begreifen.
Die Untersuchung der Manager-Auftritte schließt sich an diese Tradition und auch an die Forschung zum postdramatischen Theater an, die in eben diese Richtung geht. Eine nonfiktionale Darstellung wie beim Veranstaltungsauftritt ist von Interesse für die heutige Theaterwissenschaft, denn in Performance und im postdramatischen Theater werden Handlungen nicht wie im Illusionstheater fingiert, sondern real vollzogen und die Realität |21|des Akteurs, seine Präsenz und seine Ausstrahlung sind für diese Form der Darstellung maßgeblich.34 Theater war immer ein soziales Kommunikationsereignis und die Situation an sich tritt deutlich im postdramatischen Theater hervor, sobald kein Drama mehr aufgeführt wird, sondern die Anwesenden einen Moment aus Bewegung, Text, Musik oder Stille teilen. Untersuchungsgegenstand der Theaterwissenschaft wie der Performance Studies wird das persönliche Treffen und das »Event«, bei dem Produktions- und Rezeptionsseite, Bühne und Publikum, nicht mehr strikt getrennt sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen. Eben dieses situative Ereignismoment ist neben der formalen Ähnlichkeit besonders zum klassischen Theater und dem Gebrauch von Inszenierungstechniken die zweite Brücke, warum sich die Investorentreffen aus der Perspektive der Theaterwissenschaft beschreiben lassen.
Eine systematische Untersuchung von Vorstandsauftritten als Performance zwischen Theater und Management fehlt bisher. Die Theaterwissenschaft tut sich hier etwas schwerer als mit anderen Veranstaltungen. Obwohl das Theater selbst schon immer und auch in seinen neuesten Formen die Wirtschaft als Thema entdeckt hat. Es zeigt die Elite des globalen Kapitalismus, mal als polemische Karikatur, ein andermal die Manager als herzlose Maschinen. Einige Beispiele von vielen sind das Aufsehen erregende Theaterstück McKinsey kommt von Rolf Hochhuth, Unter Eis, in dem sich Falk Richter mit dem Effizienzdenken von amerikanisch geprägten Unternehmensberatungen auseinandersetzt, und Stücke von René Pollesch, die einen unhaltbaren Neoliberalismus kritisieren. Videokünstler Chris Kondek gewinnt in seiner ersten Regiearbeit Dead Cat Bounce der Börse eine belehrende Theatralität ab: Die Eintrittsgelder der Zuschauer werden live in Aktien angelegt und der Börsenhandel offenbart eine genuin dramatische Struktur, wenn das Publikum die Höhen und Niederungen der jeweiligen Kurse auf den Leinwänden gespannt verfolgt. Doch der Weg aus den prosaischen Niederungen der Wirtschaft auf die künstlerische Bühne ist keine Einbahnstraße, sondern wesentlich stärker in die andere Richtung befahren. Die Unternehmen nutzen die Techniken des Theaters, um sich selbst zu inszenieren und der skeptischen Öffentlichkeit ein möglichst positives Bild zu vermitteln. Gerade weil das Theater ökonomisiert wird, sollte sich die Theaterwissenschaft mit einem kritischen Beitrag beteiligen, um nicht zuletzt die Unterschiede zwischen Theater und Management |22|zu betonen und die Eigenheiten, Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Kunst nicht vergessen zu lassen.
Bisher steht im Blickfeld der Theaterwissenschaft neben künstlerischen Aufführungen die Ästhetik von sozialen Darstellungen des Alltagslebens wie Festivals, Spiele, politische Auftritte und Demonstrationen, Zeremonien und Vorträge. Dieses Feld ist interdisziplinär und wird nicht nur wie vom zu Anfang zitierten Erving Goffman unter dem Titel »Wir alle spielen Theater« als strategische Selbstdarstellung im Alltag dargestellt, sondern häufig in Bezug auf die Politik. In der deutschen Forschung wird in immer neuen Anläufen die These vertreten, dass die Form der Inszenierung in der Gesellschaft an Bedeutung gewinnt. Darstellerische Qualitäten sollen über den politischen Erfolg entscheiden, ohne sie würden Leistungen nicht sichtbar. Seit Mitte der neunziger Jahre wird auf einen Wandel im alltäglichen Inszenierungsgeschehen hingewiesen: Nicht nur die Darstellung von Politik verändert sich, sondern ihre Prozesse selbst verändern sich. Thomas Meyer spricht von einer Transformation des Politischen und benutzt das Theater nicht nur als Metapher für das politische Gemeinwesen, sondern stellt es als ihr Werkzeug dar.35 Auch die Arbeiten von Lothar Laux36 über die Selbstdarstellung von Politikern aus der Persönlichkeitspsychologie wollen den Blick schärfen für die normativen und symbolischen Qualitäten dieses Metiers, thematisieren Personalisierung und Dramatisierung des Geschehens und schildern die Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Mitbestimmung. Diese Arbeiten deuten Inszenierung ebenfalls nicht als plumpe Täuschung, aber sie legen ihren Schwerpunkt nicht auf die Performativität von Live-Auftritten und ziehen keinen Vergleich zum Theater als künstlerischer Praxis, wie diese Untersuchung. Sie basieren zudem auf einer anderen Materialauswahl, greifen auf verschiedenste Quellen zurück, benutzen Zeitungsartikel, Redeausschnitte und Eindrücke aus Fernsehinterviews. Die Datenbasis der vorliegenden Studie enthält Besuche der Aufführungen, Videomitschnitte und Redemanuskripte der Firmenchefs. Die Methodik orientiert sich an konversationsanalytischer Forschung, die solche Audio- oder Videoaufzeichnungen transkribiert, um sowohl Gespräche in institutionellen Umgebungen als auch wiederum diese Phänomene selbst zu beschreiben, wie Auftritte von Politikern,37 Gerichtsverhandlungen,38 Frage-Antwort-Interaktionen in alltäglichen |23|Situationen, 39 Verkaufssituationen40 und Fernseh-Interviews.41 Wohlgemerkt keine Manager-Auftritte.
Die Studie sieht sich aufgrund ihres Gegenstands auch als ein Beitrag zur Forschung der Public Relations, die sich nicht als Absatz förderndes Instrument aus der Perspektive der Betriebswirtschaft versteht, sondern in ihrer gesellschaftlichen Funktion als Kommunikationspolitik, die die Organisationsinteressen nach außen legitimieren will.42 PR ist das Management der Kommunikation zwischen Organisationen und Bezugsgruppen und sie organisiert die hier untersuchten Veranstaltungen zusammen mit dem Spezialbereich der Kapitalmarkt- und Investorenkommunikation Investor Relations (IR) und vermarktet auch die Topmanager nach außen. Diese müssen, ähnlich wie Politiker, nicht mehr nur Entscheidungen durchsetzen, sondern mit zunehmendem öffentlichen Rechtfertigungsdruck Medien, Anleger und Analysten, Angestellte und die Öffentlichkeit überzeugen. Manager müssen auch gute Selbstdarsteller sein.
Gerade persönliche Auftritte sind gefragt, denn die Financial Community will sich einen subjektiven Eindruck von der Qualität des Managements bilden und andere Erkenntnisse gewinnen als durch das Studium von Geschäftsberichten. 43 Die Kommunikationswissenschaftler Altemppen, Röttger und Bentele geben zu bedenken, dass beispielsweise Veranstaltungen wie Pressekonferenzen ein persönliches Beziehungsgeflecht zwischen Journalismus und PR konstituieren, das »weitaus intensivere Induktionen aufweist als die Pressemitteilungen, ja, häufig gerade konstitutiv ist für erfolgreiche Pressearbeit«44 . Gerade diese »Wirklichkeit der Kommunikationspraxis« hält, so die Autoren, neue Dimensionen bereit, die der wissenschaftlichen Analyse und Bewertung bedürfen. Diese Situation wird in der vorliegenden Untersuchung mithilfe der Inszenierungsanalyse geschildert. Beide Disziplinen, Theaterwissenschaft und PR treffen sich, wo sie die spezifischen ästhetischen Möglichkeiten von Kommunikation |24|bei Veranstaltungen als Inszenierung von Wirklichkeit betrachten und sich auf die Situation von Auftritten als Wirklichkeit der Inszenierung konzentrieren.
Die Untersuchung von Kommunikation wird zunehmend relevant. Momentan befinden wir uns, wie bereits mit dem Stichwort Theatralisierung angemerkt, in einem Umbruch wirtschaftlicher Wertschöpfung. Bis dato hing der Firmenwert hauptsächlich von fassbaren Vermögensgegenständen ab, einschließlich Produktionsanlagen oder Waren. Mittlerweile machen Markenwerte oftmals einen Großteil des Unternehmenswerts aus und mit neuen Rechnungslegungsstandards müssen immaterielle Vermögensgegenstände in die Bilanz eingestellt werden.45 Auch in Bewertungsmethoden fließen solche schwer berechenbaren Größen wie Unternehmenskultur und Kundenbindung neuerdings mit ein, darunter auch die Reputation des CEO selbst.46 Forschung und Praxis reagieren und die IR wird beispielsweise von Piwinger als »Inszenierungsstrategie«47 definiert, die mit Symbolen arbeitet und eingesetzt wird, um Phänomenen wie der Firmenbewertung im Finanzmarktgeschehen Rechnung zu tragen. Sie ist auch dafür zuständig, unsichtbare aber zukunftsträchtige und damit viel Geld werte Faktoren wie die Motivation der Mitarbeiter und die Kompetenz des CEO darzustellen. Hier geht es wie in der gesamten Unternehmenskommunikation nicht mehr nur um Gegenstände, denen eine Aura verliehen wird, sondern um Menschen wie Manager und Mitarbeiter, die wie Dinge vermarktet werden. Hier wird von personenbezogener Öffentlichkeitsarbeit48 gesprochen, Kommunikationsberatungen unterstreichen, dass der Ruf von Repräsentanten den Marktwert beeinflusst, Mitarbeiter |25|motiviert, Kunden bringt, kurz und knapp: zu barer Münze wird, im Falle von Topmanagern zum so genannten »CEO Capital«49 .
Im Fluss dieser von jeder Forschungsrichtung anerkannten und wahrgenommenen Theatralisierung der Wirtschaft liegt es also nahe, die Inszenierungsmethoden und Praktiken der Geschäftswelt mit Methoden der Theaterwissenschaft zu untersuchen, um das Feld um interdisziplinäre Einsichten zu erweitern und eine kritische Debatte anzustoßen. Das geschieht hier mit und innerhalb der ausführlichen Diskussion der Auftritte.
Die Wirkung der Live-Situation mit ihren speziellen Eigenheiten, ihrer besonderen Atmosphäre und Vielfalt and Zeichen, die in den voran gegangenen Erläuterungen geschildert wurden, kann mit einer theaterwissenschaftlichen Inszenierungsanalyse beschrieben werden. Die Untersuchung basiert auf einem angepassten Katalog zur Inszenierungsanalyse, den der französische Theatertheoretiker und Forscher auf dem Gebiet der Semiotik, Patrice Pavis, nach umfassender Arbeit mit Regisseuren und Dramaturgen bereits in den achtziger Jahren entworfen hatte, der aber noch nie auf Auftritte von Managern angewendet worden ist.
Der Katalog zur Inszenierungsanalyse trägt der Tatsache Rechnung, dass die gesamte Atmosphäre in der Situation der Aufführung mit ihrer Vielzahl von Elementen die Wahrnehmung der Anwesenden beeinflusst. Um die Wirkung zu beschreiben, zerlegt der Katalog die unter dem Begriff Theatralität zusammenfassbare Vielfalt unterschiedlicher visueller und akustischer Zeichensysteme in szenischen und performativen Vorgängen – Bühnenaufbau, Licht, Körpersprache, Reden und viele weitere – in kleine Sinneinheiten. Pavis spricht davon, dass das Zusammenspiel aller Teile in der Inszenierung, mise en scène, durch einen gegenläufigen Dekonstruktionsprozess, »mise en pièce(s)«50 , lesbar gemacht wird.
Mit dem Katalog wurden diese einzelnen Kategorien nach dem Besuch der Veranstaltungen und Sichtung der Materialen und Videomitschnitte bearbeitet um einen Überblick über die charakteristischen Inszenierungsmethoden zu bekommen. Hinzu kamen Erkenntnisse, die sich mithilfe der |26|konversationsanalytischen Untersuchung der eigens erstellten Abschriften der Videoaufzeichnungen, so genannten Transkripten51 der tatsächlich gehaltenen Reden, gewinnen ließen. Miteinbezogen wurden für die Inszenierungsanalyse auch Hinweise, aus denen man entnehmen konnte, dass die Auftritte gewisse Wirkungen hervorgerufen haben. Dazu gehören direkte wörtliche Bewertungen des Gesehenen von Seiten des Publikums in den Fragerunden, Kritik am Bühnenbild, Gelächter über die Farbe der Vorstandskrawatte, Applaus oder gar Buhrufe während der Rede, sowie Anzeichen von Nervosität wie Selbstinvolvierungen, Stottern, ausgreifende Gesten auf der Bühne – eigentlich jede performative Handlung, die als Reaktion auf eine wie auch immer geartete Atmosphäre zu sehen ist. Die Beobachtungen wurden mit anderen Zuschauern wie Privatanlegern, Aktionärsschützern, Journalisten und Analysten geteilt und diskutiert sowie auch mit Organisatoren der Veranstaltungen, Redenschreibern, Pressesprechern und beauftragten Dienstleistern für Beleuchtung und Aufbau.
Der Katalog zur Inszenierungsanalyse ist keine Theorie, sondern ein Werkzeug. Es hängt vom theoretischen Hintergrund ab, wie gut er funktioniert. Diese Untersuchung greift für eine Interpretation der Inszenierungsmethoden auf die Theaterwissenschaft zurück, die theatergeschichtliche Entwicklungen, Genres, Inszenierungen und dramaturgische Methoden im sozialen, politischen und künstlerischen Kontext kennt, einschätzt und vergleicht, und eine Vielzahl an rezeptionsästhetischen und philosophischen sowie kulturwissenschaftlichen Theorien und Fragestellungen umfasst. Die Beobachtungen, die mithilfe des Katalogs zur Inszenierungsanalyse gewonnen wurden, ließen sich mit diesem breiten theoretischen |27|Hintergrund umfassend interpretieren und diskutieren und so konnte eine generelle Ästhetik der Manager-Auftritte herausgearbeitet werden.
Die Untersuchung gliedert sich in folgende Teile. In Teil I Der Held im Theater wird der interdisziplinäre Ansatz verortet, indem die Entwicklung vom dramatischen zum postdramatischen Theater geschildert wird, in dem keine Illusion dargestellt, sondern reale Handlungen vollzogen werden. Die grundlegenden Unterschiede zur Managementdarstellung werden erklärt, indem gezeigt wird, wie die Autoren, Regisseure und Performer ihre Helden52 als schwankende Subjekte in Szene setzen, um das Publikum aufzurütteln und nicht zu bestätigen, und dabei auch den Zwang zur gekonnten Selbstvermarktung im zeitgemäßen Berufsleben kritisieren.
Im Teil II Der Held zwischen Theater und Management wird die Theatralisierung der Unternehmenskommunikation einschließlich Personalisierung geschildert und die Wichtigkeit von persönlichen Veranstaltungen vor den verschiedenen Zielgruppen wie Aktionären, Journalisten und Analysten.
Der Teil III Inszenierungsanalyse beschreibt die Veranstaltungen im Detail. Im Kapitel Spielweise werden zunächst die Grundlagen der Darstellung erläutert. Die Möglichkeiten und Grenzen von starker Personalisierung und abwägender Kompromissbildung werden diskutiert, auch die Authentizitätsfrage. Im Kapitel Szenographie wird zunächst die Relevanz des Veranstaltungsorts beschrieben und dann wird der szenische Text deskriptiv erfasst, darunter die Organisation der Räumlichkeiten mit Produktpräsentationen und dem stets beliebten Büfett, gefolgt von Bühnen, Rednerpulten und Licht. Kapitel Körpersprache beschreibt die Kleidung und Wichtigkeit der performativen Elemente wie Gestik und Haltung. Das Kapitel Stimme erläutert die Wirkung der auditiven und paralinguistischen Zeichen wie Betonung und Dialekt auf den wahrgenommenen Inhalt der Rede. Das Kapitel Rhetorik 53Strategien in Frage- und Antwortrunden dar. Es wird gezeigt wie Vorstände mit Unverständnis, kritischen Fragen und Unterstellungen umgehen, antworten und auch ausweichen.
Resümee