Impressum

Waldtraut Lewin

Der Sohn des Adlers, des Müllmanns und der hässlichsten Frau der Welt
Ein Märchen vom Eis und vom Feuer

ISBN 978-3-86394-314-1 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien 1981 bei
Verlag Neues Leben, Berlin

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
Foto: Andrea Grosz
 

© 2012 EDITION digital®
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Erstes Hauptstück von der merkwürdigen Empfängnis und Geburt des Sohnes, den Gaben des Adlers, der Harmonie der Sphären und der stillestehenden Zeit

Bevor seine Mutter ihn empfing, war sie die hässlichste Frau, die man sich denken kann. Sie war so hässlich, dass sich die Leute auf der Straße bis zu den Knien bogen vor Staunen über ihre Hässlichkeit. Sie hatte eine Haut wie ein Nilpferd, Zähne wie ein Waldeber, Haare, die wie Schilfhalme aussahen, und ihre Augen tränten, und an ihren Händen wuchsen graue Krallen. Aber ihr Herz war wie ein süßer Mandelkern in ihr.

Der Ruhm ihrer Hässlichkeit und ihres süßen Herzens ging in großen Wellen von ihr aus und lockte viele Männer an, denn ein so hässliches Weib zu besitzen ist eine große Ehre. Allen, die um sie warben, blieb bei ihrem Anblick fast das Herz stehen vor Beklommenheit und Entsetzen, aber dies Entsetzen wandelte sich alsbald in eine wilde Entschlossenheit, sie zu haben, und es war, als verfüge sie im Winkel ihrer grauen verschwimmenden Augen über mehr Bannkraft als ein großer Magnet, der so stark ist, dass er das Eisen aus den Schiffen zieht, und sie gehen unter.

Da sie keinen der Freier erhörte, aber auch keinen abwies, zog der Schwarm von Liebhabern ständig hinter ihr her wie ein Königsgefolge. Der eine schleppte ihre abgetragene Handtasche, der zweite ihren Sonnenschirm aus roter verschlissener Seide, der dritte ihren Regenschirm aus schwarzer Baumwolle, der vierte eine Standuhr, damit sie stets wisse, welche Stunde geschlagen habe, der fünfte zwei Zimmerlinden in Töpfen aus Majolika, falls sie im Grünen ausruhen wollte.

Der sechste bat sie flehentlich, ein Schleppkleid anzuziehn, damit er ihr die Schleppe tragen dürfe, aber trotz ihrer Güte ließ sie sich nicht dazu bewegen, etwas so Unmodernes wie ein Schleppkleid anzulegen. So musste dieser Freier nutzlos hinter ihr herlaufen und weinte oft, weil er ihr nicht dienen konnte.

Eines Tages im Februar stieg das Thermometer auf golden, ein Taubenpärchen hackte gegen die Fensterscheibe, und die Krokusse im Rasen sprangen mit jenem Geräusch auf, das von Küssen herrührte.

Sie verspürte den heftigen Wunsch, auf der Straße vor einem Café zu sitzen und einen Eisbecher mit Rosenblättern und Pfefferminz zu essen und lief so schnell los, dass ihr fast die Absätze von den Schuhen flogen und die Freier kaum zu folgen vermochten.

Als sie mit ihren sechs Verehrern schließlich in der Sonne saß, standen die Leute im Halbkreis, um sie zu sehen. Touristen machten Fotos von ihr, um sie zu Hause ihren staunenden Kindern zu zeigen, und zwei Naturforscher stritten sich, ob ihre Haare wirklich welke Schilfhalme seien oder nur so wirkten. Mehrmals musste der sechste Freier, glücklich darüber, etwas tun zu können, die Menge bitten, so viel Platz zu lassen, dass die Sonne durchkomme.

Sie rührte in ihrem Eisbecher mit Rosenblättern und Pfefferminz und hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Die Standuhr schlug Mittag und einen Schlag darüber hinaus. Ein großer Schatten fiel auf ihre Hand.

Aufblickend, gewahrte sie einen riesigen Adler mit dunkelbraunem Gefieder, dessen gebogener Schnabel auf sie gerichtet zu sein schien. Ihr Herz klopfte stürmisch. Die Krallen des Vogels waren ihren Fingernägeln verwandt, und die gefühllosen Adleraugen glänzten.

Sie brach überstürzt auf und zahlte mit einer Muschel. Der Adler gab ihr ein Stück das Geleit, man hörte das gewaltige Rauschen seiner Schwingen noch drei Straßenzüge weiter, so dass der Magistrat annahm, der Staudamm sei gebrochen, und Vorkehrungen zur Rettung der Stadt traf.

Unterwegs, in der quirlenden Menge, die sie umgab, traf sie das Orangerot des Müllwagens wie eine Botschaft. Der Müllfahrer trug eine Mütze aus vielerlei Fellen, aber hauptsächlich vom Kaninchen. Die Haut seiner Hände und seines Angesichts war gelb vor Asche, aber als er die Hand hob, sich den Schweiß abzuwischen, entblößte er einen gemeißelten Arm mit Adersträngen. Seine unförmigen Handschuhe hingen ihm müßig an der Hüfte.

Die hässlichste Frau der Welt trat auf ihn zu, und während ihr süßes Herz zu leuchten begann, sagte sie: "Ich glaube, ich liebe dich."

Weil der Müllwagen lärmte wie ein Wachhund, musste sie ihre Worte wiederholen.

Der Müllfahrer besah sie von oben nach unten, darauf von unten nach oben, brach in Gelächter aus und wandte sich ab.

Die hässlichste Frau der Welt begann zu weinen. Ihre Tränen flossen wie der Regen, und alle Freier zogen ihre gestickten Taschentücher, sie zu trocknen, aber so ein Tuch war im Nu nass. Nur der sechste Freier hatte zwei Reservetücher, weil er selbst so oft weinen musste.

So zogen sie dem Müllwagen hinterher von Straße zu Straße, erst der Müllmann, dann die hässlichste Frau der Welt und ihre Verehrer, zuletzt die Schaulustigen.

Als das achte Taschentuch vollgeweint war, trat die hässlichste Frau wiederum auf den Müllfahrer zu und wiederholte ihre Worte.

Darauf sagte er: "Olles Monster" und andere Worte und spuckte aus.

Sie fiel in Ohnmacht.

Die Freier trugen sie nach Haus, wobei der, welcher sonst leer ausging, ihren Kopf mit den Schilfhaaren halten durfte und sehr glücklich war.

In ihrem Bett öffnete sie die Augen, die vom Weinen wie Mooskissen waren, blickte einmal in die Runde und versank in einer neuerlichen Ohnmacht.

Drei Ärzte wurden zu ihr gerufen, die sich ebenfalls stracks in ihre Nilpferdhaut und den trüben Schimmer ihres Schilfhaares verliebten. Sie kamen, wenn auch widerstrebend, zu der Erkenntnis, dass nur die Liebe des Müllmanns ihre Krankheit heilen könne, andernfalls müsse sie sterben.

Die sechs Freier steckten die Köpfe zusammen, dass es aussah, als sei es ein Kopf. Dann ergriffen sie ihre Hüte und sagten mit tonloser Stimme, dass sie bereit seien, der hässlichsten Frau die Liebe des Müllmanns zu verschaffen, denn ehe sie stürbe, wollten sie verzichten.

Die Ärzte nickten, zogen ihre Uhren, die an Ketten über den Bäuchen hingen, fühlten der Kranken den Puls und fuhren dann mit Blaulicht davon, um sofort das Telefon abzustellen, sich auf ihre Couch zu legen, eine Schlaftablette zu nehmen und von der hässlichsten Frau der Welt zu träumen.

Die Freier indes luden den Müllmann zum Bier ein. Nach dem fünften Bier fand er die hässlichste Frau auch nicht schlimmer als manche andere, nach dem zehnten hatte er eingesehen, dass es eine große Ehre sei, von ihr geliebt zu werden, und nach dem fünfzehnten erklärte er sich unter gewissen Bedingungen bereit, sich mit ihr auf ein Laken zu legen. Dies ließen sich die Freier schriftlich geben und zogen triumphierend ab.

Auf die Nachricht hin seufzte die hässlichste Frau der Welt tief auf und erhob sich von ihrem Bett. Noch während sie die Füße baumeln ließ, verlangte sie nach einem Butterbrot und einem gekochten Ei.

Die Freier gingen von ihr, halb erleichtert, halb betrübt, so dass sie mit einem Bein im Rinnstein und mit dem anderen auf dem Trottoir dahinhumpelten.

Die Nacht brach mit Schneefällen herein. Als die hässlichste Frau das Fenster öffnete, landete der große dunkelbraune Adler direkt auf dem Sims, wetzte den Schnabel am Holz und sah sie mit seinen gefühllosen Augen an. Dann begann er in ihr zu sprechen: "Ich, Beherrscher der Vögel und König der Luft, habe dich erkoren. Wenn du mir deine Zustimmung gibst, entführe ich dich augenblicklich auf meinen Horst, der liegt hundert Meilen weit über den Wolken. Dort ist es sehr kalt von der Höhe und sehr heiß von der Sonnennähe, und die Luft da ist rein wie der Schnee. Wenn sich die Wolken verziehen, was sie dreimal im Jahr tun, kannst du die ganze Welt überblicken und wirst dich wundern, wie klein sie von dort oben erscheint. Außerdem schenke ich dir Zaubermächte und langes Leben."

"Ach", entgegnete sie, "das ist ja recht schön, aber ich liebe den Müllmann."

"Das werden wir schon noch sehen, wen du liebst", sagte der Adler. "Dreimal werde ich von dir gehen, wenn du mich wegschickst, aber nach dem dritten Mal komme ich nicht wieder."

"So schicke ich dich jetzt das erste Mal weg", sagte sie.

Der Adler breitete seine Schwingen, auf denen der Schnee lastete wie Mehl auf einem Brot, brachte die Bäume des Gartens zum Rauschen und Beugen und flog ohne ein weiteres Wort davon.

Die hässlichste Frau schloss das Fenster und ging zu Bett.

 

Am nächsten Morgen erinnerte sich der Müllmann jedoch an nichts und schwor bei der Hydraulik seines Wagens, niemandem etwas versprochen zu haben. Die Freier rangen die Hände, die hässlichste Frau fiel erneut in Ohnmacht, und der wortbrüchige Abfallkutscher begab sich pfeifend an seine Arbeit.

Es währte aber kaum drei Stunden, da schickte er ein Telegramm auf rosa Papier, bei dessen Anblick sich die hässlichste Frau sogleich erholte, denn ihr süßes Mandelkernherz wusste, was darin stand, noch ehe sie es erbrochen hatte.

Tatsächlich war der Müllmann zu neuen Verhandlungen bereit. In der Kneipe erzählte er den Freiern nach dem fünften Bier, dass die Hydraulik seines Wagens aus rätselhaften Gründen versagt habe, so dass alle Mülltonnen der Stadt unentleert am Wegrand stehen blieben und ihr Inhalt überquoll wie Baumwolle aus einer gesprungenen Schote. Nach dem zehnten Bier gestand er im Flüsterton, ein großes Biest von Vogel habe ihn umkreist und mit dem Luftzug seiner Flügelschläge den Unrat aufgewühlt, auch habe er Angst gehabt, das Tier wolle nach ihm hacken. Nach dem fünfzehnten Bier gab er einem schnell hinzugezogenen Notar zu Protokoll, die hässlichste Frau der Welt vor dem nächsten Neumond auf seiner Müllkippe empfangen zu wollen, aber nur in Anwesenheit der Freier und nur ein einziges Mal.

Gemeinsam mit den Freiern zog er vor das Haus der Frau und pfiff auf den Fingern, und auf diesen Pfiff hin erschien sie sogleich am Fenster, als habe man sie an einer Schnur gezogen.

Der Müllmann besah sie eine Weile schweigend, dann sagte er: "Ich habe zwar fünfzehn Biere getrunken, aber so viel sehe ich doch noch, dass das eine ungewöhnlich hässliche Krücke ist."

"Sie ist die hässlichste Frau der Welt!", riefen die Freier, und der Müllmann erwiderte: "Na gut, von mir aus. Wollen's hinter uns bringen. Ich erwarte sie morgen zwischen Sonnenuntergang und Mondaufgang auf der Müllkippe, dort zwischen den Autowracks und den Knochen."

Nun begannen die Verehrer eifrig im Hundertjährigen Kalender zu studieren, wann wohl Sonnenuntergang und Mondaufgang sein würden. Sie legten die Zeit genau fest und beauftragten den Küster der städtischen Kirche, zu diesem Zeitpunkt, damit man wisse, woran man sei, die Glocken zu läuten, und zwar fünf Minuten vorher, dabei und fünf Minuten hinterher. Bei einem Astrologen erkundigten sie sich nach den Konstellationen der Stunde, aber dieser erkannte nur Gewölk und unordentliche Planetenflirts, unmögliche Ereignisse am Himmel, und gab kopfschüttelnd auf.

Der sechste Freier aber, der sie ja besonders liebte, ging auf einen Markt und kaufte einen Teppich aus Seide und Wolle, doppelt gewirkt, mit mancherlei Blumen und Tieren, und sechs Laternen von Horn und ein Duftwasser aus Reicharabien.

Die hässlichste Frau der Welt indes saß den ganzen Tag und legte die Hände in den Schoß, betrachtete die Krallen an ihren schuppigen Fingern und vergoss ein paar Tränen.

Als sie aus dem Haus trat, um zur Müllhalde zu gehen, begann ein sanfter Regen. Die Freier standen aufgereiht vorm Haus und weinten. In den Händen trugen sie die bereits entzündeten Laternen. "O weh", sagte sie, "jetzt habt ihr nur Laternen und keinen meiner Schirme." Aber da erbebte die Luft, und der Adler kreiste über ihr, und mit seinen mächtigen Schwingen fing er die Regentropfen auf.

Sowie sie die letzten Häuser der Stadt hinter sich hatten, war der Himmel so grau, dass man weder Sonne noch Mond erkennen konnte, und es regnete stärker. "Nun haben wir die Standuhr vergessen", sagte sie, "und wissen nicht, ob wir pünktlich sein werden." Da begannen die Glocken zu läuten.

Als sie die Müllhalde betraten, sagte sie: "Was für ein trübseliger und vergessener Ort ist das doch! Ach, hätten wir meine Zimmerlinden, so könnte ich im Grünen sein!" Da breitete der sechste Freier den Teppich aus, versprengte das Duftwasser, das sogleich den Kampf aufnahm mit den stinkenden Wolken der Müllkippe, und lud sie kniend ein, Platz zu nehmen.

Kaum waren sie mit all diesen Vorbereitungen fertig, da erschien der Müllmann und roch nach Schnaps. Er nahm seine Kaninchenfellmütze ab und enthüllte sein lockiges Haar, auf dem keinerlei Staub haftete, und als er die hässlichste Frau der Welt so sitzen sah, inmitten von Düften, auf einem Teppich aus Seide und Wolle, doppelt gewirkt, flankiert von den sechs Freiern und den sechs Laternen und den Taschentüchern, und zu ihren Häupten der Adler, brach er in Gelächter aus. Gleichzeitig aber stieg eine Wärme, die auch eine Kälte sein konnte, aus der Mitte seines Leibes auf bis in die Wurzeln seines Lockenhaares, seine Fingerspitzen wurden elektrisch und sprühten Funken, seine Zähne schmerzten, und er sagte: "Verdammt, was ist denn nun los?" Und wie von einem Strudel erfasst, wurde er zu der hässlichsten Frau der Welt hingezogen, das machte ihr süßes Herz. Und er legte sich zu ihr auf den Teppich, während die Freier die Laternen hielten und abgewandten Gesichts weinten und der Adler unbeweglich über ihnen schwebte. Währenddessen läuteten die Glocken.

Als die Glocken zum dritten Mal läuteten, sagte der Müllmann: "Nun muss ich fortgehen und den Müll in einer anderen Stadt fahren, denn ich kann hier nicht mehr sein. Ich würde immer den Teppich hier sehen und die Düfte riechen und diesen gottverfluchten Vogel über mir spüren, und ich könnte sie nie vergessen, die hässlichste Frau der Welt. Ich will sie aber vergessen." Er bedeckte sich mit der Mütze aus Kaninchenfell und lief davon, ohne zu grüßen.

Die Freier öffneten die Kappen der Laternen, und Regen und Tränen löschten die Flammen darinnen aus. Darauf nahmen auch sie Abschied von der hässlichsten Frau, der sie nur hatten dienen dürfen, aber nicht sie lieben. Und sie zogen ein jeder in seine Heimat und blieben Junggesellen bis an ihr Lebensende, gingen nur in schwarzen Anzügen aus und entzündeten einmal im Jahr, am Tag des Müllmanns, eine Laterne zum Angedenken an ihre selbstlose Hingabe.

Der Adler aber geleitete die Frau nach Haus. Nur der Teppich und die Düfte blieben zurück, bis neuer Müll darüber geschüttet wurde.

 

Als die hässlichste Frau der Welt ihr Haus betreten wollte, zögerte sie, wandte sich halb über die Schulter zurück und fragte den Adler: "Was willst du noch?"

Der Adler sagte: "Du bist schwanger, und dein Kind ist von mir."

Sie erwiderte: "Ich bin schwanger, wenn du meinst, und das Kind ist von dem Müllmann."

"Gleichviel", entgegnete der Adler, "abgesehen davon, dass du es nicht verstehst. Du bist schwanger und meine erwählte Braut. Komm mit mir über die Wolken, damit ich dich hüte."

Sie sah ihn an und sprach: "Du bist ein wundervoller Vogel, aber ich schicke dich fort."

"Nun komme ich noch einmal, dann nie wieder." Und er streckte den Hals vor, rüttelte seine Flügel, dass der Regen von ihnen floss wie von den Felsenklippen des Wasserfalls im Stadtpark, und stieg glänzend auf in die Nacht.

"Nun bin ich allein", sagte die hässlichste Frau der Welt zu sich selber. Sie zog sich die Kleider vom Leibe und legte sich nackt zu Bett, frierend und müde.

Als sie in der Nacht erwachte, fühlte sie, wie die Haut ihres Bauches, sonst grau und rissig, sich plötzlich samtweich und glatt anfühlte. Mit einem Lachen schlief sie wieder ein.

Im ersten Monat ihrer Schwangerschaft wurde ihr Bauch so schön wie ein Gefäß aus Elfenbein, das einem warm und kühl zugleich in der Hand liegt. Ihr Nabel duftete wie eine Honigwabe, und die sanften Adern dicht unter der Haut pulsierten wie kleine Flüsse. Oft meinte sie, ein geheimes Leuchten unter ihrem Rock wahrzunehmen, als wenn eine Lampe im Innern eines Berges brennt.

Sie wusch sich mit klarem Wasser, trank Tee von Zitronenblüten und aß Zuckerbrot mit Kardamom und das Fleisch zarter Meerestiere. Die Tage wurden länger, und es regnete weiterhin viel.

Im dritten Monat hatte sich die Glätte der Haut auf ihren ganzen Körper ausgebreitet, gleich einem wuchernden Moosteppich. Sie konnte zusehen, wie die Krallen ihrer Fingernägel herauswuchsen. Nachdem sie sie abgeschnitten hatte, war der Nagel so rosig und schön gewölbt wie ein Blumenblatt.

Ihre Haare begannen sich beim Kämmen um den Kamm zu ringeln wie dunkle Schlänglein und umgaben ihren Kopf wie ein Nest.

Am Tage, als sich das Kind zum ersten Mal in ihrem Leib regte und sanft mit den Zehen des linken Fußes gegen ihr Zwerchfell stieß, so dass sie herzlich lachen musste, hörten ihre Augen für immer auf zu tränen und nahmen die Farbe von Seewasser an und die Form von Venusmuscheln.

Nach alldem wunderte es sie nicht, als sie eines Morgens erwachte und die Eberzähne aus ihrem Gesicht verschwunden waren. Vorm Spiegel fand sie sich als die vollendete Lieblichkeit, schnürte ihre Kleider mit Bändern zurück, den schönen Bauch der Welt zu zeigen, und ging viel aus.

Kein Menschenschwarm begleitete sie mehr. Höchstens von Zeit zu Zeit sagte ein Einheimischer zu einem Fremden: "Sieh einmal, das war einst die hässlichste Frau der Welt, eine der größten Attraktionen dieser Stadt. Nun ist sie eine hübsche Person wie alle anderen, und schwanger dazu. Schade."

Aber das rührte sie nicht. Nachts spürte sie manchmal, wie ein weicher Sog ihr Herz aus Mandelkern in den Leib zu ziehen schien. Sie wusste dann, dass ihr Kind von ihr zehrte, und ertrug lächelnd den seltsamen Schmerz.

Einmal, während sie leise vor sich hin sang, antwortete ihr in ihrem Innern ein feines Stimmchen, nicht lauter als das Zirpen einer Grille. Sie glaubte sich verhört zu haben, lauschte und sang noch einmal. Wieder kam die Antwort, und das Stimmchen wiederholte die Melodie so rein, als täte es dergleichen seit der Zeit, in der die Dämmerung noch jung war. Später, im achten Monat der Schwangerschaft, sang es oft allein wundersame Weisen vor sich hin, die es aus dem Urquell des Lebens mitgebracht hatte, und die ehemals hässlichste Frau der Welt dachte dann, dass so vielleicht die Harmonie der Sterne klinge und hörte zu, ohne zu atmen.

Im neunten Monat zeigten sich keinerlei Anzeichen einer bevorstehenden Geburt, und die Ärzte schoben die Brillen auf die Stirn und blätterten in ihren dicken, in blaue Pappe eingebundenen Büchern. Der Leib der schönen Hässlichen wölbte sich wie ein Berg in der Landschaft, sie konnte unter ihrer Last kaum mehr laufen, und ihr Herz schwand dahin.

Die Zeit verging. Bei Anbruch des neuen Jahres zuckten die Ärzte die Schultern und wandten sich bekannteren Dingen wie Milzbrand, Pest und Ohrenkrebs zu. Reichliche Schneefälle überschütteten die Straßen, und das Kind der Frau wuchs und sang in den Nächten. Sie konnte inzwischen ihr Haus nicht mehr verlassen, weil sie nicht durch die Tür passte, aber manche, die sie am Fenster erblickten, meinten, sie sei überirdisch schön und auf bestem Wege, auf andere Art berühmt zu werden.

Als ein Jahr herum war, seit sie den Müllmann das erste Mal gesehen hatte, kamen die weisen Frauen zu ihr, ohne dass man sie geladen hätte. Sie befühlten ihren Bauch, streichelten ihn von Nord nach Süd und von Süd nach Nord, legten das Ohr daran und hielten Eisenpendel an Goldketten oder Ringe an roten Bändern darüber, aber auch sie wussten keinen Rat, soviel sie auch die grauen Köpfe zusammensteckten und ratschlagten.

Bald konnte sie auch ihr Zimmer nicht mehr verlassen und lag da auf einem Berg von Flocken, Watte und Fellkissen, und die Bürger der Stadt umsorgten sie und brachten ihr Essen und Trinken. Es schien ihr, als würde der ständig wachsende Bauch sie erdrücken, und wenn sie den Schlägen ihres Herzens lauschte, hörte sie die kaum noch, denn es war schon ganz aufgezehrt und nur noch so dünn wie eine Fischblase. Trotzdem lachte sie oft und sang in den Nächten Duett mit ihrem Kind, die zweite Stimme zu den Weisen, die es ertönen ließ.

Erwartung