Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein
Vater in der Welt lebte; rufe ich mir aber alles das ins Gedächtnis
zurück, was sie mir schon in meiner frühesten Jugend von ihm
erzählte, so muß ich wohl glauben, daß es ein mit tiefen
Kenntnissen begabter, lebenskluger Mann war. Eben aus diesen
Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter über ihr
früheres Leben, die mir erst später verständlich worden, weiß ich,
daß meine Eltern von einem bequemen Leben, welches sie im Besitz
vieles Reichtums führten, herabsanken in die drückendste, bitterste
Armut und daß mein Vater, einst durch den Satan verlockt zum
verruchten Frevel, eine Todsünde beging, die er, als ihn in späten
Jahren die Gnade Gottes erleuchtete, abbüßen wollte auf einer
Pilgerreise nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten
Preußen. – Auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine
Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, daß diese nicht
unfruchtbar bleiben würde, wie mein Vater befürchtet, und seiner
Dürftigkeit unerachtet war er hoch erfreut, weil nun eine Vision in
Erfüllung gehen sollte, in welcher ihm der heilige Bernardus Trost
und Vergebung der Sünde durch die Geburt eines Sohnes zugesichert
hatte. In der heiligen Linde erkrankte mein Vater, und je weniger
er die vorgeschriebenen beschwerlichen Andachtsübungen seiner
Schwäche unerachtet aussetzen wollte, desto mehr nahm das Übel
Überhand; er starb entsündigt und getröstet in demselben
Augenblick, als ich geboren wurde. – Mit dem ersten Bewußtsein
dämmern in mir die lieblichen Bilder von dem Kloster und von der
herrlichen Kirche in der heiligen Linde auf. Mich umrauscht noch
der dunkle Wald – mich umduften noch die üppig aufgekeimten Gräser,
die bunten Blumen, die meine Wiege waren. Kein giftiges Tier, kein
schädliches Insekt nistet in dem Heiligtum der Gebenedeiten; nicht
das Sumsen einer Fliege, nicht das Zirpen des Heimchens unterbricht
die heilige Stille, in der nur die frommen Gesänge der Priester
erhallen, die, mit den Pilgern goldne Rauchfässer schwingend, aus
denen der Duft des Weihrauchopfers emporsteigt, in langen Zügen
daherziehen. Noch sehe ich mitten in der Kirche den mit Silber
überzogenen Stamm der Linde, auf welche die Engel das wundertätige
Bild der heiligen Jungfrau niedersetzten. Noch lächeln mich die
bunten Gestalten der Engel – der Heiligen – von den Wänden, von,
der Decke der Kirche an! – Die Erzählungen meiner Mutter von dem
wundervollen Kloster, wo ihrem tiefsten Schmerz gnadenreicher Trost
zuteil wurde, sind so in mein Innres gedrungen, daß ich alles
selbst gesehen, selbst erfahren zu haben glaube, unerachtet es
unmöglich ist, daß meine Erinnerung so weit hinausreicht, da meine
Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Stätte verließ. – So ist
es mir, als hätte ich selbst einmal in der öden Kirche die
wunderbare Gestalt eines ernsten Mannes gesehen und es sei eben der
fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit, als eben die Kirche
gebaut, erschien, dessen Sprache niemand verstehen konnte und der
mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das
herrlichste ausmalte, dann aber, als er fertig worden, wieder
verschwand. – So gedenke ich ferner noch eines alten, fremdartig
gekleideten Pilgers mit langem grauen Barte, der mich oft auf den
Armen umhertrug, im Walde allerlei bunte Moose und Steine suchte
und mit mir spielte, unerachtet ich gewiß glaube, daß nur aus der
Beschreibung meiner Mutter sich im Innern sein lebhaftes Bild
erzeugt hat. Er brachte einmal einen fremden, wunderschönen Knaben
mit, der mit mir von gleichem Alter war. Uns herzend und küssend,
saßen wir im Grase, ich schenkte ihm alle meine bunten Steine, und
er wußte damit allerlei Figuren auf dem Erdboden zu ordnen, aber
immer bildete sich daraus zuletzt die Gestalt des Kreuzes. Meine
Mutter saß neben uns auf einer steinernen Bank, und der Alte
schaute, hinter ihr stehend, mit mildem Ernst unsern kindischen
Spielen zu. Da traten einige Jünglinge aus dem Gebüsch, die, nach
ihrer Kleidung und nach ihrem ganzen Wesen zu urteilen, wohl nur
aus Neugierde und Schaulust nach der heiligen Linde gekommen waren.
Einer von ihnen rief, indem er uns gewahr wurde, lachend: "Sieh da!
eine heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!" – Er zog
wirklich Papier und Krayon hervor und schickte sich an, uns zu
zeichnen; da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig:
"Elender Spötter, du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern
brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe; aber deine Werke
werden tot und starr bleiben wie du selbst, und du wirst wie ein
Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner
eignen Armseligkeit." – Die Jünglinge eilten bestürzt von dannen. –
Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter: "Ich habe Euch heute ein
wunderbares Kind gebracht, damit es in Euerm Sohn den Funken der
Liebe entzünde, aber ich muß es wieder von Euch nehmen, und Ihr
werdet es wohl, so wie mich selbst, nicht mehr schauen. Euer Sohn
ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet, aber die Sünde des
Vaters kocht und gärt in seinem Blute, er kann jedoch sich zum
wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen, lasset ihn geistlich
werden!" – Meine Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen,
unauslöschlichen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht
hatten; sie beschloß aber demunerachtet, meiner Neigung durchaus
keinen Zwang anzutun, sondern ruhig abzuwarten, was das Geschick
über mich verhängen und wozu es mich leiten würde, da sie an
irgendeine andere höhere Erziehung, als die sie selbst mir zu geben
imstande war, nicht denken konnte. – Meine Erinnerungen aus
deutlicher, selbst gemachter Erfahrung heben von dem Zeitpunkt an,
als meine Mutter auf der Heimreise in das
Zisterzienser-Nonnenkloster gekommen war, dessen gefürstete
Äbtissin, die meinen Vater gekannt hatte, sie freundlich aufnahm.
Die Zeit von jener Begebenheit mit dem alten Pilger, welche ich in
der Tat aus eigner Anschauung weiß, so daß sie meine Mutter nur
rücksichts der Reden des Malers und des alten Pilgers ergänzt hat,
bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Äbtissin
brachte, macht eine völlige Lücke: nicht die leiseste Ahnung ist
mir davon übriggeblieben. Ich finde mich erst wieder, als die
Mutter meinen Anzug, soviel es ihr nur möglich war, besserte und
ordnete. Sie hatte neue Bänder in der Stadt gekauft, sie verschnitt
mein wildverwachsnes Haar, sie putzte mich mit aller Mühe und
schärfte mir dabei ein, mich ja recht fromm und artig bei der Frau
Äbtissin zu betragen. Endlich stieg ich an der Hand meiner Mutter
die breiten steinernen Treppen herauf und trat in das hohe,
gewölbte, mit heiligen Bildern ausgeschmückte Gemach, in dem wir
die Fürstin fanden. Es war eine große, majestätische schöne Frau,
der die Ordenstracht eine Ehrfurcht einflößende Würde gab. Sie sah
mich mit einem ernsten, bis ins Innerste dringenden Blick an und
frug: "Ist das Euer Sohn?" – Ihre Stimme, ihr ganzes Ansehn –
selbst die fremde Umgebung, das hohe Gemach, die Bilder, alles
wirkte so auf mich, daß ich, von dem Gefühl eines inneren Grauens
ergriffen, bitterlich zu weinen anfing. Da sprach die Fürstin,
indem sie mich milder und gütiger anblickte: "Was ist dir, Kleiner,
fürchtest du dich vor mir? – Wie heißt Euer Sohn, liebe Frau?" –
"Franz", erwiderte meine Mutter, da rief die Fürstin mit der
tiefsten Wehmut: "Franziskus!" und hob mich auf und drückte mich
heftig an sich, aber in dem Augenblick preßte mir ein jäher
Schmerz, den ich am Halse fühlte, einen starken Schrei aus, so daß
die Fürstin erschrocken mich losließ und die durch mein Betragen
ganz bestürzt gewordene Mutter auf mich zusprang, um nur gleich
mich fortzuführen. Die Fürstin ließ das nicht zu; es fand sich, daß
das diamantne Kreuz, welches die Fürstin auf der Brust trug, mich,
indem sie heftig mich an sich drückte, am Halse so stark beschädigt
hatte, daß die Stelle ganz rot und mit Blut unterlaufen war. "Armer
Franz", sprach die Fürstin, "ich habe dir weh getan, aber wir
wollen doch noch gute Freunde werden." – Eine Schwester brachte
Zuckerwerk und süßen Wein, ich ließ mich, jetzt schon dreister
geworden, nicht lange nötigen, sondern naschte tapfer von den
Süßigkeiten, die mir die holde Frau, welche sich gesetzt und mich
auf den Schoß genommen hatte, selbst in den Mund steckte. Als ich
einige Tropfen des süßen Getränks, das mir bis jetzt ganz unbekannt
gewesen, gekostet, kehrte mein munterer Sinn, die besondere
Lebendigkeit, die, nach meiner Mutter Zeugnis, von meiner frühsten
Jugend mir eigen war, zurück.
Ich lachte und schwatzte zum größten Vergnügen der Äbtissin und
der Schwester, die im Zimmer geblieben. Noch ist es mir
unerklärlich, wie meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern,
der Fürstin von den schönen, herrlichen Dingen meines Geburtsortes
zu erzählen, und ich, wie von einer höheren Macht inspiriert, ihr
die schönen Bilder des fremden unbekannten Malers so lebendig, als
habe ich sie im tiefsten Geiste aufgefaßt, beschreiben konnte.
Dabei ging ich ganz ein in die herrlichen Geschichten der Heiligen,
als sei ich mit allen Schriften der Kirche schon bekannt und
vertraut geworden. Die Fürstin, selbst meine Mutter, blickten mich
voll Erstaunen an, aber je mehr ich sprach, desto höher stieg meine
Begeisterung, und als mich endlich die Fürstin frug: "Sage mir,
liebes Kind, woher weißt du denn das alles?" – da antwortete ich,
ohne mich einen Augenblick zu besinnen, daß der schöne wunderbare
Knabe, den einst ein fremder Pilgersmann mitgebracht hätte, mir
alle Bilder in der Kirche erklärt, ja selbst noch manches Bild mit
bunten Steinen gemalt und mir nicht allein den Sinn davon gelöset,
sondern auch noch viele andere heilige Geschichten erzählt
hätte.
Man läutete zur Vesper, die Schwester hatte eine Menge
Zuckerwerk in eine Düte gepackt, die sie mir gab und die ich voller
Vergnügen einsteckte. Die Äbtissin stand auf und sagte zu meiner
Mutter: "Ich sehe Euern Sohn als meinen Zögling an, liebe Frau! und
will von nun an für ihn sorgen." Meine Mutter konnte vor Wehmut
nicht sprechen, sie küßte, heiße Tränen vergießend, die Hände der
Fürstin. Schon wollten wir zur Türe hinaustreten, als die Fürstin
uns nachkam, mich nochmals aufhob, sorgfältig das Kreuz beiseite
schiebend, mich an sich drückte und heftig weinend, so daß die
heißen Tropfen auf meine Stirne fielen, ausrief: "Franziskus! –
Bleibe fromm und gut!" – Ich war im Innersten bewegt und mußte auch
weinen, ohne eigentlich zu wissen warum.
Durch die Unterstützung der Äbtissin gewann der kleine Haushalt
meiner Mutter, die unfern dem Kloster in einer kleinen Meierei
wohnte, bald ein besseres Ansehen. Die Not hatte ein Ende, ich ging
besser gekleidet und genoß den Unterricht des Pfarrers, dem ich
zugleich, wenn er in der Klosterkirche das Amt hielt, als Chorknabe
diente.
Wie umfängt mich noch wie ein seliger Traum die Erinnerung an
jene glückliche Jugendzeit! – Ach, wie ein fernes, herrliches Land,
wo die Freude wohnt und die ungetrübte Heiterkeit des kindlichen
unbefangenen Sinnes, liegt die Heimat weit, weit hinter mir, aber
wenn ich zurückblicke, da gähnt mir die Kluft entgegen, die mich
auf ewig von ihr geschieden. Von heißer Sehnsucht ergriffen,
trachte ich immer mehr und mehr, die Geliebten zu erkennen, die ich
drüben, wie im Purpurschimmer des Frührots wandelnd, erblicke, ich
wähne ihre holden Stimmen zu vernehmen. Ach! – gibt es denn eine
Kluft, über die die Liebe mit starkem Fittich sich nicht
hinwegschwingen könnte. Was ist für die Liebe der Raum, die Zeit! –
Lebt sie nicht im Gedanken, und kennt der denn ein Maß? – Aber
finstre Gestalten steigen auf, und immer dichter und dichter sich
zusammendrängend, immer enger und enger mich einschließend,
versperren sie die Aussicht und befangen meinen Sinn mit den
Drangsalen der Gegenwart, daß selbst die Sehnsucht, welche mich mit
namenlosem wonnevollem Schmerz erfüllte, nun zu tötender, heilloser
Qual wird!
Der Pfarrer war die Güte selbst, er wußte meinen lebhaften Geist
zu fesseln, er wußte seinen Unterricht so nach meiner Sinnesart zu
formen, daß ich Freude daran fand und schnelle Fortschritte machte.
– Meine Mutter liebte ich über alles, aber die Fürstin verehrte ich
wie eine Heilige, und es war ein feierlicher Tag für mich, wenn ich
sie sehen durfte. Jedesmal nahm ich mir vor, mit den neuerworbenen
Kenntnissen recht vor ihr zu leuchten, aber wenn sie kam, wenn sie
freundlich mich anredete, da konnte ich kaum ein Wort
herausbringen, ich mochte nur sie anschauen, nur sie hören. Jedes
ihrer Worte blieb tief in meiner Seele zurück, noch den ganzen Tag
über, wenn ich sie gesprochen, befand ich mich in wunderbarer
feierlicher Stimmung, und ihre Gestalt begleitete mich auf den
Spaziergängen, die ich dann besuchte. – Welches namenlose Gefühl
durchbebte mich, wenn ich, das Rauchfaß schwingend, am Hochaltare
stand und nun die Töne der Orgel von dem Chore herabströmten und,
wie zur brausenden Flut anschwellend, mich fortrissen – wenn ich
dann in dem Hymnus ihre Stimme erkannte, die wie ein leuchtender
Strahl zu mir herabdrang und mein Inneres mit den Ahnungen des
Höchsten – des Heiligsten erfüllte. Aber der herrlichste Tag, auf
den ich mich wochenlang freute, ja, an den ich niemals ohne inneres
Entzücken denken konnte, war das Fest des heiligen Bernardus,
welches, da er der Heilige der Zisterzienser ist, im Kloster durch
einen großen Ablaß auf das feierlichste begangen wurde. Schon den
Tag vorher strömten aus der benachbarten Stadt, so wie aus der
ganzen umliegenden Gegend, eine Menge Menschen herbei und lagerten
sich auf der großen blumichten Wiese, die sich an das Kloster
schloß, so daß das frohe Getümmel Tag und Nacht nicht aufhörte. Ich
erinnere mich nicht, daß die Witterung in der günstigen Jahreszeit
(der Bernardustag fällt in den August) dem Feste jemals ungünstig
gewesen sein sollte. In bunter Mischung sah man hier andächtige
Pilger, Hymnen singend, daherwandeln, dort Bauerbursche sich mit
den geputzten Dirnen jubelnd umhertummeln – Geistliche, die in
frommer Betrachtung, die Hände andächtig gefaltet, in die Wolken
schauen – Bürgerfamilien im Grase gelagert, die die hochgefüllten
Speisekörbe auspacken und ihr Mahl verzehren. Lustiger Gesang,
fromme Lieder, die inbrünstigen Seufzer der Büßenden, das Gelächter
der Fröhlichen, Klagen, Jauchzen, Jubel, Scherze, Gebet erfüllen
wie in wunderbarem, betäubendem Konzert die Lüfte! – Aber sowie die
Glocke des Klosters anschlägt, verhallt das Getöse plötzlich – so
weit das Auge nur reicht, ist alles, in dichte Reihen gedrängt, auf
die Knie gesunken, und nur das dumpfe Murmeln des Gebets
unterbricht die heilige Stille. Der letzte Schlag der Glocke tönt
aus, die bunte Menge strömt wieder durcheinander, und aufs neue
erschallt der nur minutenlang unterbrochene Jubel. – Der Bischof
selbst, welcher in der benachbarten Stadt residiert, hielt an dem
Bernardustage in der Kirche des Klosters, bedient von der untern
Geistlichkeit des Hochstifts, das feierliche Hochamt, und seine
Kapelle führte auf einer Tribüne, die man zur Seite des Hochaltars
errichtet und mit reicher, seltener Hautelisse behängt hatte, die
Musik aus. – Noch jetzt sind die Empfindungen, die damals meine
Brust durchbebten, nicht erstorben, sie leben auf in jugendlicher
Frische, wenn ich mein Gemüt ganz zuwende jener seligen Zeit, die
nur zu schnell verschwunden. Ich gedenke lebhaft eines Gloria,
welches mehrmals ausgeführt wurde, da die Fürstin eben diese
Komposition vor allen ändern liebte. – Wenn der Bischof das Gloria
intoniert hatte und nun die mächtigen Töne des Chors daher
brausten: Gloria in excelsis deo! – war es nicht, als öffne sich
die Wolkenglorie über dem Hochaltar? – ja, als erglühten durch ein
göttliches Wunder die gemalten Cherubim und Seraphim zum Leben und
regten und bewegten die starken Fittiche und schwebten auf und
nieder, Gott lobpreisend mit Gesang und wunderbarem Saitenspiel? –
Ich versank in das hinbrütende Staunen der begeisterten Andacht,
die mich durch glänzende Wolken in das ferne bekannte, heimatliche
Land trug, und in dem duftenden Walde ertönten die holden
Engelsstimmen, und der wunderbare Knabe trat wie aus hohen
Lilienbüschen mir entgegen und frug mich lächelnd: "Wo warst du
denn so lange, Franziskus? – ich habe viele schöne bunte Blumen,
die will ich dir alle schenken, wenn du bei mir bleibst und mich
liebst immerdar."
Nach dem Hochamt hielten die Nonnen, unter dem Vortritt der
Äbtissin, die mit der Inful geschmückt war und den silbernen
Hirtenstab trug, eine feierliche Prozession durch die Gänge des
Klosters und durch die Kirche. Welche Heiligkeit, welche Würde,
welche überirdische Größe strahlte aus jedem Blick der herrlichen
Frau, leitete jede ihrer Bewegungen! Es war die triumphierende
Kirche selbst, die dem frommen, gläubigen Volke Gnade und Segen
verhieß. Ich hätte mich vor ihr in den Staub werfen mögen, wenn ihr
Blick zufällig auf mich fiel. – Nach beendigtem Gottesdienst wurde
die Geistlichkeit sowie die Kapelle des Bischofs in einem großen
Saal des Klosters bewirtet. Mehrere Freunde des Klosters,
Offizianten, Kaufleute aus der Stadt, nahmen an dem Mahle teil, und
ich durfte, weil mich der Konzertmeister des Bischofs liebgewonnen
und gern sich mit mir zu schaffen machte, auch dabeisein. Hatte
sich erst mein Inneres, von heiliger Andacht durchglüht, ganz dem
Oberirdischen zugewendet, so trat jetzt das frohe Leben auf mich
ein und umfing mich mit seinen bunten Bildern. Allerlei lustige
Erzählungen, Spaße und Schwanke wechselten unter dem lauten
Gelächter der Gäste, wobei die Flaschen fleißig geleert wurden, bis
der Abend hereinbrach und die Wagen zur Heimfahrt
bereitstanden.
Sechzehn Jahre war ich alt geworden, als der Pfarrer erklärte,
daß ich nun vorbereitet genug sei, die höheren theologischen
Studien in dem Seminar der benachbarten Stadt zu beginnen: ich
hatte mich nämlich ganz für den geistlichen Stand entschieden, und
dies erfüllte meine Mutter mit der innigsten Freude, da sie
hiedurch die geheimnisvollen Andeutungen des Pilgers, die in
gewisser Art mit der merkwürdigen, mir unbekannten Vision meines
Vaters in Verbindung stehen sollten, erklärt und erfüllt sah. Durch
meinen Entschluß glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt
und von der Qual ewiger Verdammnis errettet. Auch die Fürstin, die
ich jetzt nur im Sprachzimmer sehen konnte, billigte höchlich mein
Vorhaben und wiederholte ihr Versprechen, mich bis zur Erlangung
einer geistlichen Würde mit allem Nötigen zu unterstützen.
Unerachtet die Stadt so nahe lag, daß man von dem Kloster aus die
Türme sehen konnte und nur irgend rüstige Fußgänger von dort her
die heitre, anmutige Gegend des Klosters zu ihren Spaziergängen
wählten, so wurde mir doch der Abschied von meiner guten Mutter,
von der herrlichen Frau, die ich so tief im Gemüte verehrte, sowie
von meinem guten Lehrer recht schwer. Es ist ja auch gewiß, daß dem
Schmerz der Trennung jede Spanne außerhalb dem Kreise der Lieben
der weitesten Entfernung gleich dünkt! – Die Fürstin war auf
besondere Weise bewegt, ihre Stimme zitterte vor Wehmut, als sie
noch salbungsvolle Worte der Ermahnung sprach. Sie schenkte mir
einen zierlichen Rosenkranz und ein kleines Gebetbuch mit sauber
illuminierten Bildern. Dann gab sie mir noch ein
Empfehlungsschreiben an den Prior des Kapuzinerklosters in der
Stadt, den sie mir empfahl gleich aufzusuchen, da er mir in allem
mit Rat und Tat eifrigst beistehen werde.
Gewiß gibt es nicht so leicht eine anmutigere Gegend, als
diejenige ist, in welcher das Kapuzinerkloster dicht vor der Stadt
liegt. Der herrliche Klostergarten mit der Aussicht in die Gebürge
hinein schien mir jedesmal, wenn ich in den langen Alleen wandelte
und bald bei dieser, bald bei jener üppigen Baumgruppe stehenblieb,
in neuer Schönheit zu erglänzen. – Gerade in diesem Garten traf ich
den Prior Leonardus, als ich zum erstenmal das Kloster besuchte, um
mein Empfehlungsschreiben von der Äbtissin abzugeben. – Die dem
Prior eigne Freundlichkeit wurde noch erhöht, als er den Brief las,
und er wußte so viel Anziehendes von der herrlichen Frau, die er
schon in frühen Jahren in Rom kennengelernt, zu sagen, daß er schon
dadurch im ersten Augenblick mich ganz an sich zog. Er war von den
Brüdern umgeben, und man durchblickte bald das ganze Verhältnis des
Priors mit den Mönchen, die ganze klösterliche Einrichtung und
Lebensweise: die Ruhe und Heiterkeit des Geistes, welche sich in
dem Äußerlichen des Priors deutlich aussprach, verbreitete sich
über alle Brüder. Man sah nirgends eine Spur des Mißmuts oder jener
feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst
wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt. Unerachtet der
strengen Ordensregel waren die Andachtsübungen dem Prior Leonardus
mehr Bedürfnis des dem Himmlischen zugewandten Geistes als
asketische Buße für die der menschlichen Natur anklebende Sünde,
und er wußte diesen Sinn der Andacht so in den Brüdern zu
entzünden, daß sich über alles, was sie tun mußten, um der Regel zu
genügen, eine Heiterkeit und Gemütlichkeit ergoß, die in der Tat
ein höheres Sein in der irdischen Beengtheit erzeugte. – Selbst
eine gewisse schickliche Verbindung mit der Welt wußte der Prior
Leonardus herzustellen, die für die Brüder nicht anders als heilsam
sein konnte. Reichliche Spenden, die von allen Seiten dem allgemein
hochgeachteten Kloster dargebracht wurden, machten es möglich, an
gewissen Tagen die Freunde und Beschützer des Klosters in dem
Refektorium zu bewirten. Dann wurde in der Mitte des Speisesaals
eine lange Tafel gedeckt, an deren oberem Ende der Prior Leonardus
bei den Gästen saß. Die Brüder blieben an der schmalen, der Wand
entlang stehenden Tafel und bedienten sich ihres einfachen
Geschirres, der Regel gemäß, während an der Gasttafel alles sauber
und zierlich mit Porzellan und Glas besetzt war. Der Koch des
Klosters wußte vorzüglich auf eine leckere Art Fastenspeisen
zuzubereiten, die den Gästen gar wohl schmeckten. Die Gäste sorgten
für den Wein, und so waren die Mahle im Kapuzinerkloster ein
freundliches, gemütliches Zusammentreten des Profanen mit dem
Geistlichen, welches in wechselseitiger Rückwirkung für das Leben
nicht ohne Nutzen sein konnte. Denn indem die im weltlichen Treiben
Befangenen hinaustraten und eingingen in die Mauern, wo alles das
ihrem Tun schnurstracks entgegengesetzte Leben der Geistlichen
verkündet, mußten sie, von manchem Funken, der in ihre Seele fiel,
aufgeregt, eingestehen, daß auch wohl auf andere Wege als auf dem,
den sie eingeschlagen, Ruhe und Glück zu finden sei, ja, daß
vielleicht der Geist, je mehr er sich über das Irdische erhebe, dem
Menschen schon hienieden ein höheres Sein bereiten könne. Dagegen
gewannen die Mönche an Lebensumsicht und Weisheit, da die Kunde,
welche sie von dem Tun und Treiben der bunten Welt außerhalb ihrer
Mauern erhielten, in ihnen Betrachtungen mancherlei Art erweckte.
Ohne dem Irdischen einen falschen Wert zu verleihen, mußten sie in
der verschiedenen, aus dem Innern bestimmten Lebensweise der
Menschen die Notwendigkeit einer solchen Strahlenbrechung des
geistigen Prinzips, ohne welche alles farb- und glanzlos geblieben
wäre, anerkennen. Über alle hocherhaben rücksichts der geistigen
und wissenschaftlichen Ausbildung, stand von jeher der Prior
Leonardus. Außerdem, daß er allgemein für einen wackern Gelehrten
in der Theologie galt, so, daß er mit Leichtigkeit und Tiefe die
schwierigsten Materien abzuhandeln wußte und sich die Professoren
des Seminars oft bei ihm Rat und Belehrung holten, war er auch
mehr, als man es wohl einem Klostergeistlichen zutrauen kann, für
die Welt ausgebildet. Er sprach mit Fertigkeit und Eleganz das
Italienische und Französische, und seiner besonderen Gewandtheit
wegen hatte man ihn in früherer Zeit zu wichtigen Missionen
gebraucht. Schon damals, als ich ihn kennenlernte, war er
hochbejahrt, aber indem sein weißes Haar von seinem Alter zeugte,
blitzte aus den Augen noch jugendliches Feuer, und das anmutige
Lächeln, welches um seine Lippen schwebte, erhöhte den Ausdruck der
innern Behaglichkeit und Gemütsruhe. Dieselbe Grazie, welche seine
Rede schmückte, herrschte in seinen Bewegungen, und selbst die
unbehülfliche Ordenstracht schmiegte sich wundersam den
wohlgebauten Formen seines Körpers an. Es befand sich kein einziger
unter den Brüdern, den nicht eigne freie Wahl, den nicht sogar das
von der innern geistigen Stimmung erzeugte Bedürfnis in das Kloster
gebracht hätte; aber auch den Unglücklichen, der im Kloster den
Port gesucht hätte, um der Vernichtung zu entgehen, hätte Leonardus
bald getröstet; seine Buße wäre der kurze Übergang zur Ruhe
geworden, und, mit der Welt versöhnt, ohne ihren Tand zu achten,
hätte er, im Irdischen lebend, doch sich bald über das Irdische
erhoben. Diese ungewöhnlichen Tendenzen des Klosterlebens hatte
Leonardus in Italien aufgefaßt, wo der Kultus und mit ihm die ganze
Ansicht des religiösen Lebens heitrer ist als in dem katholischen
Deutschland. So wie bei dem Bau der Kirchen noch die antiken Formen
sich erhielten, so scheint auch ein Strahl aus jener heitern,
lebendigen Zeit des Altertums in das mystische Dunkel des
Christianism gedrungen zu sein und es mit dem wunderbaren Glänze
erhellt zu haben, der sonst die Götter und Helden umstrahlte.
Leonardus gewann mich lieb, er unterrichtete mich im Italienischen
und Französischen, vorzüglich waren es aber die mannigfachen
Bücher, welche er mir in die Hände gab, sowie seine Gespräche, die
meinen Geist auf besondere Weise ausbildeten. Beinahe die ganze
Zeit, welche meine Studien im Seminar mir übrigließen, brachte ich
im Kapuzinerkloster zu, und ich spürte, wie immer mehr meine
Neigung zunahm, mich einkleiden zu lassen. Ich eröffnete dem Prior
meinen Wunsch; ohne mich indessen gerade davon abbringen zu wollen,
riet er mir, wenigstens noch ein paar Jahre zu warten und unter der
Zeit mich mehr als bisher in der Welt umzusehen. So wenig es mir
indessen an anderer Bekanntschaft fehlte, die ich mir vorzüglich
durch den bischöflichen Konzertmeister, welcher mich in der Musik
unterrichtete, erworben, so fühlte ich mich doch in jeder
Gesellschaft und vorzüglich, wenn Frauenzimmer zugegen waren, auf
unangenehme Weise befangen, und dies, sowie überhaupt der Hang zum
kontemplativen Leben, schien meinen innern Beruf zum Kloster zu
entscheiden.
Einst hatte der Prior viel Merkwürdiges mit mir gesprochen über
das profane Leben; er war eingedrungen in die schlüpfrigsten
Materien, die er aber mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit und
Anmut des Ausdrucks zu behandeln wußte, so daß er, alles nur im
mindesten Anstößige vermeidend, doch immer auf den rechten Fleck
traf. Er nahm endlich meine Hand, sah mir scharf ins Auge und frug,
ob ich noch unschuldig sei. – Ich fühlte mich erglühen, denn indem
Leonardus mich so verfänglich frug, sprang ein Bild in den
lebendigsten Farben hervor, welches so lange ganz von mir gewichen.
– Der Konzertmeister hatte eine Schwester, welche gerade nicht
schön genannt zu werden verdiente, aber doch, in der höchsten Blüte
stehend, ein überaus reizendes Mädchen war. Vorzüglich zeichnete
sie ein im reinsten Ebenmaß geformter Wuchs aus; sie hatte die
schönsten Arme, den schönsten Busen in Form und Kolorit, den man
nur sehen kann. – Eines Morgens, als ich zum Konzertmeister gehen
wollte, meines Unterrichts halber, überraschte ich die Schwester im
leichten Morgenanzuge, mit beinahe ganz entblößter Brust; schnell
warf sie zwar das Tuch über, aber doch schon zu viel hatten meine
gierigen Blicke erhascht, ich konnte kein Wort sprechen, nie
gekannte Gefühle regten sich stürmisch in mir und trieben das
glühende Blut durch die Adern, daß hörbar meine Pulse schlugen.
Meine Brust war krampfhaft zusammengepreßt und wollte zerspringen,
ein leiser Seufzer machte mir endlich Luft. Dadurch, daß das
Mädchen ganz unbefangen auf mich zukam, mich bei der Hand faßte und
frug, was mir dann wäre, wurde das Übel wieder ärger, und es war
ein Glück, daß der Konzertmeister in die Stube trat und mich von
der Qual erlöste. Nie hatte ich indessen solche falsche Akkorde
gegriffen, nie so im Gesang detoniert als dasmal. Fromm genug war
ich, am später das Ganze für eine böse Anfechtung des Teufels zu
halten, und ich pries mich nach kurzer Zeit recht glücklich, den
bösen Feind durch die aszetischen Übungen, die ich unternahm, aus
dem Felde geschlagen zu haben. Jetzt bei der verfänglichen Frage
des Priors sah ich des Konzertmeisters Schwester mit entblößtem
Busen vor mir stehen, ich fühlte den warmen Hauch ihres Atems, den
Druck ihrer Hand – meine innere Angst stieg mit jedem Momente.
Leonardus sah mich mit einem gewissen ironischen Lächeln an, vor
dem ich erbebte. Ich konnte seinen Blick nicht ertragen, ich schlug
die Augen nieder, da klopfte mich der Prior auf die glühenden
Wangen und sprach: "Ich sehe, mein Sohn, daß Sie mich gefaßt haben
und daß es noch gut mit Ihnen steht, der Herr bewahre Sie vor der
Verführung der Welt; die Genüsse, die sie Ihnen darbietet, sind von
kurzer Dauer, und man kann wohl behaupten, daß ein Fluch darauf
ruhe, da in dem unbeschreiblichen Ekel, in der vollkommenen
Erschlaffung, in der Stumpfheit für alles Höhere, die sie
hervorbringen, das bessere geistige Prinzip des Menschen
untergeht." – So sehr ich mich mühte, die Frage des Priors und das
Bild, welches dadurch hervorgerufen wurde, zu vergessen, so wollte
es mir doch durchaus nicht gelingen, und war es mir erst geglückt,
in Gegenwart jenes Mädchens unbefangen zu sein, so scheute ich doch
wieder jetzt mehr als jemals ihren Anblick, da mich schon bei dem
Gedanken an sie eine Beklommenheit, eine innere Unruhe überfiel,
die mir um so gefährlicher schien, als zugleich eine unbekannte
wundervolle Sehnsucht und mit ihr eine Lüsternheit sich regte, die
wohl sündlich sein mochte. Ein Abend sollte diesen zweifelhaften
Zustand entscheiden. Der Konzertmeister hatte mich, wie er manchmal
zu tun pflegte, zu einer musikalischen Unterhaltung, die er mit
einigen Freunden veranstaltet, eingeladen. Außer seiner Schwester
waren noch mehrere Frauenzimmer zugegen, und dieses steigerte die
Befangenheit, die mir schon bei der Schwester allein den Atem
versetzte. Sie war sehr reizend gekleidet, sie kam mir schöner als
je vor, es war, als zöge mich eine unsichtbare unwiderstehliche
Gewalt zu ihr hin, und so kam es denn, daß ich, ohne selbst zu
wissen wie, mich immer ihr nahe befand, jeden ihrer Blicke, jedes
ihrer Worte begierig aufhaschte, ja mich so an sie drängte, daß
wenigstens ihr Kleid im Vorbeistreifen mich berühren mußte, welches
mich mit innerer, nie gefühlter Lust erfüllte. Sie schien es zu
bemerken und Wohlgefallen daran zu finden; zuweilen war es mir, als
müßte ich sie wie in toller Liebeswut an mich reißen und inbrünstig
an mich drücken! – Sie hatte lange neben dem Flügel gesessen,
endlich stand sie auf und ließ auf dem Stuhl einen ihrer Handschuhe
liegen, den ergriff ich und drückte ihn im Wahnsinn heftig an den
Mund! – Das sah eins von den Frauenzimmern, die ging zu des
Konzertmeisters Schwester und flüsterte ihr etwas ins Ohr, nun
schauten sie beide auf mich und kicherten und lachten höhnisch! –
Ich war wie vernichtet, ein Eisstrom goß sich durch mein Inneres –
besinnungslos stürzte ich fort ins Kollegium – in meine Zelle. Ich
warf mich wie in toller Verzweiflung auf den Fußboden – glühende
Tränen quollen mir aus den Augen, ich verwünschte – ich verfluchte
das Mädchen – mich selbst – dann betete ich wieder und lachte
dazwischen, wie ein Wahnsinniger! Überall erklangen um mich
Stimmen, die mich verspotteten, verhöhnten; ich war im Begriff,
mich durch das Fenster zu stürzen, zum Glück verhinderten mich die
Eisenstäbe daran, mein Zustand war in der Tat entsetzlich. Erst als
der Morgen anbrach, wurde ich ruhiger, aber fest war ich
entschlossen, sie niemals mehr zu sehen und überhaupt der Welt zu
entsagen. Klarer als jemals stand der Beruf zum eingezogenen
Klosterleben, von dem mich keine Versuchung mehr ablenken sollte,
vor meiner Seele. Sowie ich nur von den gewöhnlichen Studien
loskommen konnte, eilte ich zu dem Prior in das Kapuzinerkloster
und eröffnete ihm, wie ich nun entschlossen sei, mein Noviziat
anzutreten, und auch schon meiner Mutter sowie der Fürstin
Nachricht davon gegeben habe. Leonardus schien über meinen
plötzlichen Eifer verwundert; ohne in mich zu dringen, suchte er
doch auf diese und jene Weise zu erforschen, was mich wohl darauf
gebracht haben könne, nun mit einernmal auf meine Einweihung zum
Klosterleben zu bestehen, denn er ahndete wohl, daß ein besonderes
Ereignis mir den Impuls dazu gegeben haben müsse. Eine innere
Scham, die ich nicht zu überwinden vermochte, hielt mich zurück,
ihm die Wahrheit zu sagen; dagegen erzählte ich ihm mit dem Feuer
der Exaltation, das noch in mir glühte, die wunderbaren
Begebenheiten meiner Kinderjahre, welche alle auf meine Bestimmung
zum Klosterleben hindeuteten. Leonardus hörte mich ruhig an, und
ohne gerade gegen meine Visionen Zweifel vorzubringen, schien er
doch sie nicht sonderlich zu beachten, er äußerte vielmehr, wie das
alles noch sehr wenig für die Echtheit meines Berufs spräche, da
eben hie eine Illusion sehr möglich sei. Oberhaupt pflegte
Leonardus nicht gern von den Visionen der Heiligen, ja selbst von
den Wundern der ersten Verkündiger des Christentums zu sprechen,
und es gab Augenblicke, in denen ich in Versuchung geriet, ihn für
einen heimlichen Zweifler zu halten. Einst erdreistete ich mich, um
ihn zu irgendeiner bestimmten Äußerung zu nötigen, von den
Verächtern des katholischen Glaubens zu sprechen und vorzüglich auf
diejenigen zu schmälen, die im kindischen Obermute alles
Übersinnliche mit dem heillosen Schimpfworte des Aberglaubens
abfertigten. Leonardus sprach sanft lächelnd: "Mein Sohn, der
Unglaube ist der ärgste Aberglaube", und fing ein anderes Gespräch
von fremden, gleichgültigen Dingen an. Erst später durfte ich
eingehen in seine herrliche Gedanken über den mystischen Teil
unserer Religion, der die geheimnisvolle Verbindung unsers
geistigen Prinzips mit höheren Wesen in sich schließt, und mußte
mir denn wohl gestehen, daß Leonardus die Mitteilung alles des
Sublimen, das aus seinem Innersten sich ergoß, mit Recht nur für
die höchste Weihe seiner Schüler aufsparte.
Meine Mutter schrieb mir, wie sie es längst geahnet, daß der
weltgeistliche Stand mir nicht genügen, sondern daß ich das
Klosterleben erwählen werde. Am Medardustage sei ihr der alte
Pilgersmann aus der heiligen Linde erschienen und habe mich im
Ordenskleide der Kapuziner an der Hand geführt. Auch die Fürstin
war mit meinem Vorhaben ganz einverstanden. Beide sah ich noch
einmal vor meiner Einkleidung, welche, da mir meinem innigsten
Wunsche gemäß die Hälfte des Noviziats erlassen wurde, sehr bald
erfolgte. Ich nahm auf Veranlassung der Vision meiner Mutter den
Klosternamen Medardus an.
Das Verhältnis der Brüder untereinander, die innere Einrichtung
rücksichts der Andachtsübungen und der ganzen Lebensweise im
Kloster bewährte sich ganz in der Art, wie sie mir bei dem ersten
Blick erschienen. Die gemütliche Ruhe, die in allem herrschte, goß
den himmlischen Frieden in meine Seele, wie er mich, gleich einem
seligen Traum aus der ersten Zeit meiner frühsten Kinderjahre, im
Kloster der heiligen Linde umschwebte. Während des feierlichen Akts
meiner Einkleidung erblickte ich unter den Zuschauern des
Konzertmeisters Schwester; sie sah ganz schwermütig aus, und ich
glaubte, Tränen in ihren Augen zu erblicken, aber vorüber war die
Zeit der Versuchung, und vielleicht war es frevelnder Stolz auf den
so leicht erfochtenen Sieg, der mir das Lächeln abnötigte, welches
der an meiner Seite wandelnde Bruder Cyrillus bemerkte. "Worüber
erfreuest du dich so, mein Bruder?" frug Cyrillus. "Soll ich denn
nicht froh sein, wenn ich der schnöden Welt und ihrem Tand
entsage?" antwortete ich, aber nicht zu leugnen ist es, daß, indem
ich diese Worte sprach, ein unheimliches Gefühl, plötzlich das
Innerste durchbebend, mich Lügen strafte. – Doch dies war die
letzte Anwandlung irdischer Selbstsucht, nach der jene Ruhe des
Geistes eintrat. Wäre sie nimmer von mir gewichen, aber die Macht
des Feindes ist groß! – Wer mag der Stärke seiner Waffen, wer mag
seiner Wachsamkeit vertrauen, wenn die unterirdischen Mächte
lauern.