Über dieses Buch:

Sachsen im späten 8. Jahrhundert. Auf der Suche nach einem verschwundenen Missionar müssen Odo und Lupus in jenes gefährliche Land reisen, das erst vor kurzem von ihrem Dienstherrn erobert wurde, dem Frankenkönig Karl. Zunächst bekommen es die beiden wackeren Männer in einer Herberge mit einer Gruppe von Gauklern zu tun, bei denen es sich möglicherweise um Diebe handelt – doch schon bald fordern zwei dreiste Morde ihren Spürsinn heraus. Odo und Lupus ahnen noch nicht, dass sie es mit einem besonders gefährlichen Schurken zu tun haben – einem, der von hohem Ansehen ist und skrupellos jede Situation zu seinen Gunsten wendet …

»Da Odo und Lupus ihr Handwerk mit einer gehörigen Portion Zynismus versüßen, macht es auch dem zeitgenössischen Leser umso mehr Spaß, dem Treiben der zwei zuzuschauen.« Stadtmagazin Heilbronn/Ludwigsburg

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES, DIE EHRLOSE HERZOGIN und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: Demetrias Rache; Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie; Dritter Roman: Pater Diabolus; Vierter Roman: Die Witwe; Fünfter Roman: Pilger und Mörder; Sechster Roman: Tödliche Brautnacht; Siebter Roman: Giftpilze; Achter Roman: Familienfehde

DIE MEROWINGER

Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums; Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren; Dritter Roman: Familiengruft; Vierter Roman: Zorn der Götter; Fünfter Roman: Chlodwigs Vermächtnis; Sechster Roman: Tödliches Erbe; Siebter Roman: Dritte Flucht; Achter Roman: Mörderpaar; Neunter Roman: Zwei Todfeindinnen; Zehnter Roman: Die Liebenden von Rouen; Elfter Roman: Der Heimatlose; Zwölfter Roman: Rebellion der Nonnen; Dreizehnter Roman: Die Treulosen; diese Serie gibt es auch als Sammelband mit über 2.100 Seiten unter dem Titel DAS DUNKLE LIED VON MACHT UND BLUT.

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN
Erster Roman: Der Waffensohn; Zweiter Roman: Der Pokal des Alboin; Dritter Roman: Die Verschwörung; Vierter Roman: Die Tragödie von Ravenna; diese Serie gibt es auch als Sammelband unter dem Titel DAS HERZ EINER KÖNIGIN.

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

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eBook-Neuausgabe Mai 2013

Copyright © der Originalausgabe 1995 Bleicher Verlag, Gerlingen

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95520-255-2

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Robert Gordian

Saxnot stirbt nie

Odo und Lupus, Kommissare Karls des Großen: Zweiter Roman

dotbooks.

Am Ende dieses eBooks finden Sie ein Personenverzeichnis und in einem Glossar zahlreiche Wort- und Sacherklärungen.

Kapitel 1

Grüße und Heil dem lieben Volbertus, Prior im Kloster N., von seinem treuen Vetter Lupus!

Die Feder sträubt sich, Dir dieses Abenteuer zu schildern, das Odo und ich, die Kommissare des mächtigen Königs Karl, im Lande der Sachsen erlebt haben. Kaum glauben wirst Du, dass so Schreckliches geschehen, dass sich so abgrundtiefe Verderbtheit menschlicher Seelen bemächtigen konnte. Knapp sind wir mit dem Leben davongekommen. Nur außergewöhnlichen Umständen ist es zu danken, dass wir jetzt nicht als Leichen in einem sächsischen Moor liegen.

Wie Du weißt, lieber Vetter, hat König Karl, den schon viele den Großen nennen, uns hergesandt, um bei den Sachsen für Recht und Ordnung zu sorgen. Sie gehören ja nun nach langen, blutigen Kämpfen zu unserem Frankenreich, denn seit der Reichsversammlung von Lippspringe im Jahre des Herrn 782 gilt auch bei ihnen unsere Grafschaftsverfassung. Leider hat sich hier in den sechs Jahren, die seither vergangen sind, nur wenig zum Guten gewendet. Viele Sachsen hängen an ihrem alten Irrglauben, beten Wodan, Donar und Saxnot an und betrachten uns christliche Franken als Räuber und Eroberer. Andere, vor allem die Edelinge, wie sich hier die Mitglieder des Adels nennen, haben sich auf die Seite der Franken geschlagen und berauben und knechten die eigenen Stammesgenossen. Wie viele große und kleine Untaten werden täglich auf beiden Seiten verübt! Der Herr Karl hat extra für die Sachsen ein strenges capitulare de partibus Saxonae erlassen, das die härtesten Sondergesetze enthält, die jemals im Frankenreich in Kraft waren. Genützt hat es wenig. Die Unordnung ist nur schlimmer geworden. Kannst Du Dir vorstellen, wie es ist, als Richter in ein Dir fremdes Gebiet, zu Dir feindlich gesinnten Menschen zu reisen?

Doch wozu klage ich! Hatte ich mich, als die Mandatsgebiete verteilt wurden, in denen wir Königsboten tätig werden sollten, nicht sogar freiwillig für die sächsischen Gaue gemeldet? Ich wollte Theofried finden, den irischen Mönch, der in dieser Gegend verschollen war. Erinnerst du dich an ihn, den unerschrockenen Glaubensstreiter? Du hast ihn doch auch einmal kennen gelernt. Er war ein Einzelgänger, ein Außenseiter unter den Missionaren unseres christlichen Glaubens. Er hatte sich aufgemacht, bevor noch das Land in Missionssprengel aufgeteilt war. Allein, nur von wenigen Getreuen begleitet, die sein glühender Eifer mitriss, hatte er es gewagt, in diese schaurigen Sümpfe und Urwälder einzudringen.

»Wer unschuldig ist, der lebt sicher!«, pflegte er Salomo zu zitieren. »Die Jahre der Gottlosen werden verkürzt, die Furcht vor dem Herrn aber mehret die Tage.«

Ich sehe ihn noch vor mir, wie er hier in Fulda von uns Abschied nahm: hochgewachsen, doch klapperdürr, mit seinem blassen, ausgezehrten Gesicht und den vom Wachen und Studieren geröteten, immer strengen, starren, von innen glühenden Augen. Der Nordwind blies heftig, ließ seine langen, roten Haare flattern und blähte seine Kutte. Ein letztes Mal sprach er zu uns. Seine heisere, raue Stimme kämpfte gegen das Sausen und Brausen. Ich weiß nicht mehr, was er sagte. Ich erinnere mich nur, dass ich gerührt auf seinen Mund blickte. Ganz vorn, sowohl oben als auch unten, fehlten ihm Zähne, jeweils der zweite und dritte rechts. Heidnische Fäuste hatten sie ausgeschlagen. Wie alt mochte er damals sein? Dreiundzwanzig Jahre vielleicht.

Zum Abschied umarmte er uns unter Tränen und segnete uns. Dann warf er den Sack mit seinen Habseligkeiten über die Schulter und ging davon. Seine Gefährten folgten ihm. Es waren drei biedere, wenn auch ganz unwissende junge Mönche, die ihn verehrten und ihn beschützen wollten. Sie trugen handfeste Knüppel bei sich, die sie an Stricken unter den Kutten befestigt hatten, damit er es nicht merkte. Denn jede Gewalt war ihm zuwider.

Ihre Füße patschten durch den Schlamm des Flussufers und sie mussten sich gegen den Wind stemmen. Hinter einer Gruppe von Weidenbäumen, die sich hin- und her bogen, als schüttelten sie die Köpfe über so viel verwegenen Mut, verschwanden die vier.

Sie wurden nie wiedergesehen. Man fand nicht die geringste Spur von ihnen, obwohl unsere Heere danach mehrmals das sächsische Land durchstreiften und allmählich auch Gesandtschaften, Kaufmannszüge und Gruppen von Klerikern und Mönchen folgten. Wer immer sich nach ihnen erkundigte, erhielt keine Antwort. Elf Jahre waren sie nun verschwunden – eine Ewigkeit in unserer Zeit, in der so oft und so schnell gestorben wird.

So hatte ich, offen gestanden, wenig Hoffnung, den langen Iren wiederzusehen. Dennoch war ich natürlich entschlossen, die Verpflichtung, die ich in Gegenwart unseres Herrn Königs und so vieler bedeutender Männer übernommen hatte, treu zu erfüllen. Wann immer ich auf eine Spur oder einen Hinweis stoßen sollte, ich würde ihr folgen. Wenn es sein musste, bis in die Hölle. Doch so weit brauchte ich gar nicht vorzudringen. Es genügte schon, dass ich bis in die Vorhölle kam. Dies war eine Grafschaft zwischen Weser und Aller.

Es war der dritte Tag, nachdem wir die sehr unscharfe Grenze zwischen dem fränkischen Austrien und den sächsischen Gauen überschritten hatten. Gegen Abend wollten wir das Gut eines Grafen Volz erreichen, das in unserem Itinerar als besonders gastliche Stätte empfohlen war.

Wir hatten zwei Nächte in elenden, schmutzigen Herbergen verbracht, Seite an Seite mit den Wirtsleuten und ihrem Vieh, weniger schlafend als halb betäubt vom Gestank und von Wanzenstichen. Nun freuten wir uns, an einen Ort zu kommen, wo uns, wie wir hofften, Ruhe, ein gutes Mahl und ein wenig Bequemlichkeit erwarteten.

Am Ufer der Weser zogen wir nordwärts. Rechts war der graue Strom, der reichlich Wasser führte. Wir haben hier einen regnerischen Sommer und auch an diesem Tag erlebten wir mehrere Wolkenbrüche. Der elende Trampelpfad, dem wir folgten, war völlig aufgeweicht. Wir mussten unsere Reittiere führen, deren Hufe nur mühsam Halt fanden. An manchen Stellen sanken wir bis zu den Waden ein. War der Weg überhaupt nicht mehr passierbar, wurden Äxte und Messer gezückt und wir kämpften uns seitlich durch das Unterholz. So verrann kostbare Zeit.

Der Grafensitz liegt auf der anderen Seite des Flusses, etwa vier bis fünf Meilen östlich. Nach Auskunft eines Händlers, der uns mit seinem Treck entgegen kam, sollten wir gegen Mittag eine Herberge erreichen, deren Wirt uns mit dem Fährboot hinüber bringen würde. Doch es war bereits spät am Nachmittag, als wir endlich zwischen den Bäumen das langgestreckte, niedrige Haus erblickten.

Unten am Wasser bewegten sich Leute. Wir erkannten nicht gleich, was vorging, weil uns die Sicht durch Buschwerk versperrt war. Dann sahen wir, dass Männer ein Boot zu Wasser ließen. Sie stießen es in Stromrichtung vorwärts. Ein rauer Zuruf ertönte. Sie sprangen hinein und begannen, aus Leibeskräften zu rudern.

»Zum Teufel!«, rief Odo. »Das ist die Fähre! Wir müssen sie aufhalten. Sonst wird es für heute zu spät!«

Er rannte hinunter zum Wasser, schwenkte die Arme und brüllte: »Zurück!«

Aber das Boot war schon von der Strömung erfasst und trieb rasch zur Mitte des Flusses. Es war ein langes, flaches Boot mit hoch aufragendem Vordersteven. Der bärtige Fährmann stemmte sich gegen das Steuerruder, um nicht allzu weit abgetrieben zu werden. Dabei schrie er etwas, das wegen des starken Windes nicht zu verstehen war, und deutete zum anderen Ufer. Dort wartete ein bunter Haufen von Männern, Frauen, Kindern und Tieren.

Odo war wütend und zog sein Schwert.

»Hol über, Kerl! Das ist ein Befehl im Namen des Königs! Willst du, dass ich dich auf diese Klinge spieße?«

Auch ich war inzwischen zum Ufer hinunter gestapft.

»Was schreist du noch?«, rief ich. »Es ist zu spät. Wenn sie zurück sind, wird es dämmern. Wie sollen wir dann noch da drüben vier oder fünf Meilen hinter uns bringen?«

»Das schaffen wir, Vater! Ich hab keine Lust, zum dritten Mal in einer stinkenden Herberge zu nächtigen. Wir setzen heute noch über, aber vorher werde ich diesem Schuft von Fährmann, der es wagt, den Befehl eines Königsboten …«

Er verschluckte die Drohung und schwieg überrascht. Aus dem Hause war eine Frau getreten, rotwangig, rund, mit blonden Löckchen, einen rasch übergeworfenen Umhang um die Schultern, den sie im Gehen mit einer Fibel befestigte. Ihre Röcke raffend, unter denen sie Strümpfe und Schuhe mit glänzenden Schnallen trug, eilte sie uns geschäftig entgegen

»Heil Euch, edler Herr! Und auch Euch, Vater!«, sagte sie, indem sie ganz unbefangen vor uns stehen blieb und von einem zum anderen blickte. »Gewiss seid Ihr müde von der Reise und sehnt Euch nach einem trockenen Plätzchen. Tretet ins Haus ein! An einer guten Mahlzeit soll es nicht fehlen. Auch Eure Tiere wird man versorgen. Erweist uns die Ehre und folgt mir!«

Die Frau hielt diese kurze Ansprache in der eigentümlichen Art, mit der sich die Sachsen in der lingua theotisca ausdrücken. Am ersten Tag verstand ich fast gar nichts. Als gebürtiger Ostfranke und als Fuldaer Mönch hatte ich allerdings oft mit Sachsen zu tun gehabt und konnte mich schnell wieder an ihre Sprache gewöhnen. Odo, der Westfranke, hatte auch jetzt noch seine Schwierigkeiten. Doch war natürlich nicht schwer zu erraten, was uns die hübsche Wirtin anbot. Eifrig stimmte er allem zu, was sie sagte, wobei er sie wohlgefällig musterte.

»Wollten wir nicht heute noch weiter?«, wandte ich spöttisch ein.

»Wo denkst du hin?«, rief Odo. »Wie sollten wir jetzt noch drei bis vier Meilen schaffen! Es wird ja bald Nacht!«

So riefen wir unsere Begleiter und durchschritten nacheinander die niedrige Tür der Schänke: Odo, der sich tief bücken musste; dann ich, der ich mühelos aufrecht hindurch kam; Rouhfaz, unser fadendünner, glatzköpfiger Diener und Schreiber; Fulk, der schweigsame alte Krieger, der unseren Wachtrupp befehligt; schließlich seine drei Männer, brave, etwas einfältige, aber waffentüchtige Burschen.

Wir wurden angenehm überrascht. Das Haus war erst vor kurzem erbaut worden, alles wirkte neu und sauber. Die mächtigen Firstsäulen in der Mitte waren vom Rauch noch kaum geschwärzt. Rund um den Herd standen gescheuerte Tische und Bänke, der Boden war sorgsam mit Häcksel bestreut, an den Wänden sah man blank poliertes Geschirr und Gerät. In langer Reihe hingen an eisernen Haken Schinken und Würste zum Räuchern von der Decke. Ein paar Hunde strichen umher, doch Pferde, Kühe, Schweine, Hühner und Gänse, in dieser Gegend meist Hausgenossen der Menschen, hatten anscheinend keinen Zutritt. Unsere Tiere wurden von Knechten hinter das Haus geführt, wo ich Stallgebäude und Speicher gesehen hatte.

Nichts Angenehmeres gibt es, als nach einem Tag voller Widrigkeiten in ein gastliches Haus zu kommen. Wir ließen uns auf den Bänken nieder, legten das Schuhwerk ab und streckten die nassen Füße zur Herdflamme hin. Im Kessel brodelte eine Fleischsuppe. Mägde füllten Krüge mit Bier. Eine fröhliche Unterhaltung begann. Odo scherzte mit der Wirtin, der das sichtlich nicht unangenehm war.

»Weißt du, an wen sie mich erinnert?«, sagte er augenzwinkernd.

»An Petrissa, vermute ich. Deine letzte Eroberung, auch eine Schankwirtin.«

»Ach, schweig, die habe ich schon vergessen. Diese erinnert mich an meine Braut, Prinzessin Rotrud! Die Augen, die Lippen, die blonden Löckchen … Natürlich kann man die beiden so wenig miteinander vergleichen wie ein Gänseblümchen mit einer Rose. Aber im Augenblick heißt es bescheiden sein. Solange der Rosengarten des Alten unseren Blicken entzogen ist …«

»Versuch lieber nicht, dort einzudringen«, sagte ich seufzend. »Du weißt doch, er gibt seine Töchter nicht her.«

»Ich halte um Rotrud an, sobald wir zurück sind!«

»Du wirst nur bei ihm in Ungnade fallen.«

Odo lachte.

»In Ungnade? Aber das bin ich doch längst! Würde ich sonst mit dir sauertöpfischem Kuttenträger durch diese Einöde ziehen? Nun, ich werde dem Alten nichts nachtragen … vorausgesetzt, er gibt mir nach unserer Rückkehr die Grafschaft, die ich beanspruchen kann. Vergiss nicht, ich bin ein Nachkomme Chlodwigs, des Reichsgründers!«

Ich schwieg dazu lieber. Was sollte ich antworten? Es war sinnlos, ihn von seinem hohen Ross herunterholen zu wollen. Er glaubte nun einmal fest daran, zu den höchsten Ämtern und zum Schwiegersohn des Königs berufen zu sein. Dass er ein Merowinger ist, ein später Spross des alten Königsgeschlechts, wäre immerhin möglich. Doch wenn es stimmt, wird dann unser Herr Karl, dessen Vater den letzten Merowinger vom Thron stieß und in ein Kloster steckte, auf seine Erhebung Wert legen? Kaum. Und Odo weiß das natürlich. Trotzdem trägt er seine Nase, dieses prächtige Stück, so hoch, dass ich fürchte, er wird eines Tages ein Loch übersehen und hineinfallen.

Kapitel 2

Wie ich vorausgesagt hatte, dämmerte es, als die Fähre zurückkam. Gleich darauf stürmte unter Geschrei jener bunte Haufen herein, den wir am anderen Ufer bemerkt hatten. Mit der Gemütlichkeit war es aus.

Es handelte sich um eine Gauklertruppe – dieselbe, die sich uns nach der Rheinüberquerung ein paar Tagereisen lang angeschlossen hatte, dann aber, als uns der Tod des Zentgrafen und seiner Tochter aufhielt, weitergezogen war.

Man kennt dieses Volk von allen Märkten und Festplätzen: ein paar junge Kerle mit Trommeln und Pfeifen, ein zierliches Mädchen, das auf dem Seil tanzt, ein fetter Kraftmensch, ein Krüppel, ein Zwerg, eine bucklige Alte. Wozu alle aufführen? Mit den Kindern waren es an die zwanzig, mit dem Papagei, dem Tanzbären, einem todkranken Äffchen, das noch am selben Abend eingehen sollte, und anderem possierlichem Viehzeug doppelt so viele. Der große Raum war augenblicklich gefüllt. Ungeniert warfen die Ankömmlinge ihre durchnässten Kleider ab. Sie grüßten uns lärmend in verschiedenen Sprachen und zwängten sich neben uns auf die Bänke um das Feuer.

Was blieb uns übrig als zusammenzurücken! Odo zog seine Stiefel an, erhob sich schnaufend und ging beiseite. Sein Blick sagte alles: Wie konnte der Schuft von einem Fährmann uns abweisen, um dieses Pack herüberzuholen? Denn wahrhaftig, diese Gesellschaft war lästig! Kaum saßen sie, sprangen sie wieder auf, um sich mit Näpfen und Löffeln zu versorgen. Dann drängte alles an den Herd. Ein kleiner, hagerer Kerl mit einem Froschmaul, der seinen neuen Fischotterpelz nicht abgelegt hatte, dafür jedoch seine Hose, tauchte eine Kelle in den Kessel und gab Suppe aus. Unter Geschnatter und Gezänk kämpfte jeder um seinen Anteil, wobei das meiste verschüttet wurde. Der Hagere, den sie Tullius riefen, schrie am lautesten. Er schien der Anführer der Truppe zu sein, was er auf plumpe Weise herauskehrte. Dem einen verweigerte er das Essen, dem anderen spuckte er in den Napf und das bucklige Weib schlug er mit der Kelle. Es war abstoßend.

Das Benehmen der Gaukler verwunderte mich noch mehr als es mich empörte. Im Allgemeinen verhalten sich Spielleute eher unauffällig, sie machen nur Lärm, wenn sie ihre Kunststücke vorführen. Da sie immer gewärtig sein müssen, geprügelt, verjagt, eingesperrt oder sogar aus nichtigem Anlass (und meist folgenlos für die Täter) getötet zu werden, besitzen sie die Tugend der Vorsicht. Wenn man sie überhaupt irgendwo einlässt, drängen sie sich scheu in Ecken herum und vermeiden Zusammenstöße. Auch diese hatten sich an den gemeinsamen Reisetagen bescheiden am Ende des Zuges gehalten, hatten Aufmerksamkeit vermieden. Jetzt aber taten sie seltsamerweise das Gegenteil. Sie waren so übermütig und unverschämt, dass man sich fragte, was dahinter steckte. Es musste dafür einen Grund geben.

Durch einen Zwischenfall wurden wir klüger.

Die hereinstürmenden Gaukler hatten die Männer unseres Wachtrupps zunächst erheitert. Einfache Burschen, die sie waren, hatten die drei sich mit den Ellbogen angestoßen und über den Zwerg, den Buckel, den kranken Affen gelacht. Doch bald fühlten sie sich belästigt. Dass sich solche Geschöpfe an ihre Seite drängten, johlten, plärrten, sich kratzten und ihnen ins Gesicht lachten, kränkte ihre Würde. Dass die Kerle und ihre Weiber vor aller Augen Hosen und Röcke fallen ließen, verletzte ihr Sittlichkeitsgefühl.

Ihre Mienen verfinsterten sich. Sie blickten zu Fulk hinüber, ihrem Anführer. Der saß etwas abseits auf einem Hocker und nahm von Zeit zu Zeit aus seinem altertümlichen Trinkhorn einen Schluck Bier. Äußerlich gab er sich gelassen, doch sah man auch ihm die verhaltene Wut an. Aber er wagte nichts zu tun, solange Odo und ich zu allem schwiegen.

Odo ging schließlich hinaus, um nach den Pferden zu sehen. Ich tat so, als bemerkte ich nichts. Die Spielleute kamen aus unserem Mandatsgebiet, von der anderen Seite der Weser. Wozu sie durch Strenge einschüchtern, dachte ich. Je ungezwungener sie sich fühlten, desto mehr erfuhr man vielleicht von ihnen. Trotz des spärlichen Lichts zog ich mein kleines breviarium hervor und murmelte ein Gebet zur Vesper.

Plötzlich heulte jemand auf.

Tullius hatte einem der Gaukler eine Kelle Suppe ins Gesicht geschüttet. Dabei hatte auch einer unserer Männer, der in der Nähe saß, ein paar Spritzer der heißen Flüssigkeit abbekommen. Nun konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er sprang auf die Beine und zog sein Kurzschwert. Die flache Klinge sauste auf Tullius´ Schulter herab. Der Gaukler kreischte vor Schmerz. Doch gleich besann er sich seiner Geschicklichkeit. Rasch duckte er sich und der zweite Streich ging daneben. Er traf den kupfernen Suppenkessel, der unter Gepolter vom Herd kippte. Der Rest der Suppe versickerte im häckselbestreuten Boden.

Nun waren die Elemente entfesselt. Das Geschrei seiner Leute ermunterte Tullius. Mit einem gewaltigen Hüpfer war er im Rücken seines Angreifers. Er reckte sich hoch zu dessen Ohr, sperrte sein Froschmaul auf und quakte etwas hinein, halb Rülpser, halb Hohnlachen.

Unser Mann fuhr herum und hob wieder das Schwert. Tullius sprang zwei Schritte zurück. Er starrte gebannt auf den erhobenen Arm mit der Waffe und plötzlich begann er zu zittern. Die Hände, die Schultern, der Kopf, die Beine … alles geriet in Bewegung. Unser Mann erschrak. War der Mensch krank? Er wagte nun nicht mehr zuzuschlagen, der Arm mit dem Schwert sank herab.

Doch das Zittern hörte nicht auf, es wurde schlimmer und ging in Schütteln über. Gleichzeitig in ein heftiges Würgen. Der Gaukler schnitt schreckliche Grimassen und schien sich erbrechen zu wollen. Feuerrot war sein Kopf, er presste die Hände auf das Gesicht. Die Augen traten ihm aus den Höhlen.

Jetzt rang er die Arme und riss das Maul auf. Er formte die Lippen zu einem »O«. Man sah in der Tiefe des Schlunds etwas blinken. Noch ein letzter Schüttelkrampf und es kam herauf und füllte das kreisrunde Loch aus.

Es war ein Goldstück. Ein byzantinischer Solidus!

Die Gaukler bogen sich vor Vergnügen. Unsere drei Wachmänner glotzten verblüfft. Nur Fulk in seiner Ecke grinste verächtlich. Er war viel herumgekommen und kannte den Trick.

Einmal eröffnet, ging die Vorstellung weiter. Tullius umkreiste unsere Männer mit stelzenden Schritten. Er ruckte mit dem Kopf wie ein Huhn und schlug mit den Armen, als seien es Flügel. Unverhofft blieb er stehen und riss erschrocken die Augen auf. Mit einem Sprung war er auf dem Tisch und begann, aufgeregt zu gackern. Nun bückte er sich und hob den Pelz. Seine magere, ungewaschene, nackte Kehrseite kam zum Vorschein. Und da zog er auch schon, immerfort gackernd, aus deren Mitte ein zweites Goldstück hervor. Und gleich darauf noch ein drittes.

Diesmal waren es Mancusen. Arabische Denare!

Die Gesellschaft geriet außer Rand und Band. Tullius schied abwechselnd vorn und hinten Goldstücke aus. Jedes Mal erhob sich unter den Gauklern Jubelgeschrei.

Waren die Münzen echt? Und wenn … wie viele waren es? Das ließ sich schwer feststellen, weil Tullius sie immer gleich wieder in seinem Pelz verschwinden ließ. Doch hatte ich mindestens sechs gezählt. Sollte es möglich sein, dass diese Gauklergesellschaft über tausend fränkische Denare besaß? War es das Gold, das sie verwirrte und übermütig machte? Aber wie hatten sie es verdient?

Diese Frage schien ich mir nicht allein zu stellen. Vom Beifall seiner Leute angespornt, machte Tullius weiter und merkte nicht, dass sich ein breiter Schatten zwischen ihn und das verglimmende Herdfeuer schob. Wieder gackerte er und bückte sich. Als er nun aber hinter sich langte, um das Goldstück hervorzuzaubern, schloss sich eine Faust um sein Handgelenk.

Sein Arm wurde heftig nach oben gerissen. Er stürzte vornüber. Die Münze entfiel seiner Hand.

Es war der Fährmann, der sie auffing. Er tat es mit der Linken, während er mit der Rechten noch immer das Handgelenk des Gauklers umklammerte.

»Du bist mir noch den Lohn schuldig, Kerl!«, sagte er.

Aus der Nähe sah ich nun, dass der Hausherr ein gedrungener, starker Bursche war, mit fliehender Stirn und flinken Augen. Sein dichter Bart ließ ihn älter erscheinen, als er wohl war. Seine Aussprache war fränkisch, er musste vom mittleren Rhein stammen.

»Lass ihn los, Bozo, tu ihm nicht weh!«, rief die Hausfrau.

Der Mann gab Tullius noch einen Stoß, so dass er vom Tisch stürzte. Aber der Gaukler war geschmeidig genug, um nicht hart zu fallen. Schon hatte er sich wieder aufgerappelt.

»Gebt den Mancusus wieder!«, heulte er. »Ist zuviel! So viel könnt Ihr nicht von uns verlangen!«

»Warum bist du so geizig?«, höhnte Bozo. »Wie man sieht, legst du Mancusen wie Eier. Du hast doch noch mehr davon. Her damit!«

Ein Entsetzensschrei kam aus den Mündern der Gaukler.

»Herunter mit dem Pelz!«, befahl Bozo. Er winkte ein paar Knechten. Sie stürzten sich auf Tullius und es nützte ihm nichts, dass er sich ihnen zu entwinden suchte, um sich schlug und sie gegen die Beine trat. Sie zerrten ihm den Fischotterpelz von den Schultern. Nackt und jämmerlich stand er da.

»Zieh deine Hose an, du schamloser Strolch!«, befahl der Hausherr. »Und du, Frau, nimm den Pelz und sieh nach! Bin gespannt, wieviel sie gestohlen haben.«

Unter den Gauklern erhob sich Protest. Durcheinanderredend beteuerten sie, dass es sich um ehrlich verdientes Geld handelte. Einem der Musikanten, der ihn bedrängte, stieß Bozo die Faust vor die Brust. Der magere Bursche krümmte sich.

Mir schien, dass es nötig war einzugreifen. Wenn die Gaukler das Geld gestohlen hatten, konnte dies festgestellt werden, ohne ihnen Gewalt anzutun. Ich wollte aufstehen, aber da legte sich mir von hinten eine Hand auf die Schulter und drückte mich auf die Bank zurück. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Odo wieder hereingekommen war.

»Warte noch!«, sagte er leise.

»Aber können wir das mit ansehen?«

»Warum nicht? So wird der Abend noch kurzweilig. Ich glaube nämlich, es kommt noch besser!«

Acht Goldstücke brachte die Untersuchung des Pelzes hervor. Matt schimmernd lagen sie auf dem Tisch.

»Sieh einmal an, das lohnt sich ja!«, rief Bozo. »Ich wusste doch gleich, das ist eine Diebesbande! Die ehrenwerten Herren mögen entschuldigen«, wandte er sich an uns, »dass ich vorhin dieses dringenden Geschäfts wegen nicht umkehren konnte. Der Lümmel dort war so dreist, mir mit dem Gold vom anderen Ufer aus Zeichen zu geben. Natürlich wusste ich gleich Bescheid. Die Bande schnappst du dir, dachte ich, ehe sie es sich anders überlegen. Es war meine Pflicht, ich bin hier so etwas wie ein Zentgraf, vertrete die Obrigkeit. Wie ich höre, hat meine Frau Euch bewirtet. Wart Ihr zufrieden? Auch das Nachtlager wird Euren Ansprüchen genügen. Ihr seid hier auf einer fränkischen Insel in diesem elenden Sachsen. Davon gibt es nicht viele. Lasst es Euch also wohl sein! Morgen früh werde ich Euch sicher ans andere Ufer bringen.«

Bozo fragte nicht einmal nach unseren Namen. Wir sahen aus wie beliebige Reisende, die abends erschöpft und von Wind und Wetter gebeutelt um ein Herdfeuer hockten. Er blickte auch keinen von uns genauer an, nicht einmal Odo, der allerdings in einer dunklen Ecke saß und sich halb abgewandt hatte.

Ich gab dem Wirt durch ein Handzeichen zu verstehen, dass wir seinen Worten zustimmten. Der Mann war zwar grob und nicht sehr vertrauenerweckend, doch gehörte er zu den unternehmenden Franken, die den Mut hatten, sich hier niederzulassen. Solche mussten wir als unsere Verbündeten ansehen.

Bozo wandte sich wieder den Gauklern zu. Die acht Goldmünzen in Reichweite vor sich, ließ er sich breit auf einer Bank nieder.

»Und nun sollen unsere Gäste mal sehen«, verkündete er, »wie wir mit solchem Gesindel fertig werden. Jetzt gibt es ein Recht in diesem barbarischen Land. Das habt ihr wohl nicht erwartet, ihr Schufte?«

Ringsum war es still geworden. Nur aus der Ecke, wo die Wärter mit dem Getier hockten, grunzte und krächzte es hin und wieder. Als seien sie aus einem Rausch erwacht, standen die Spielleute trübsinnig, mit verschreckten Mienen herum. Zu sitzen wagte jetzt niemand mehr. Verstohlen hatten sie ihre noch feuchten Kleidungsstücke zusammengesucht und sich bedeckt. Sie bereuten jetzt wohl ihren Leichtsinn. Das Wort »Obrigkeit« hatte sie zur Besinnung gebracht.

»Du … das Huhn, das Mancusen legt … hierher!«

Tullius, jetzt mit einer durchlöcherten Hose bekleidet, kam näher. Er war der Einzige, der keine Demut zeigte, sondern eher feindselig und herausfordernd blickte. Vorgebeugt, wie zum Sprung bereit stand er da, das breite Froschmaul halb offen.

»Wo habt ihr das Gold her, Kerl?«

»Verdient!«

»Wo denn verdient?«

»Überall auf der Welt.«

»Wen habt ihr bestohlen?«

»Herr Jesus Christus! Niemand bestohlen!«

»Vorgestern seid ihr über den Fluss. Ich selbst habe euch hinüber gebracht. Warum kommt ihr zurück?«

»Nichts los da. Arme Leute in Sachsen. Wollen nichts geben für Possen.«

»Als ihr übergesetzt seid, habt ihr kein Gold gehabt.«

»Doch, hatten wir. Zeigen nicht jedem.«

»Heute habt ihr es gezeigt.«

»Schlechtes Wetter. Fluss gefährlich. Aber Fährleute kommen, wenn Gold sehen.«

»Und warum hast du das Huhn mit den goldenen Eiern gemacht?«

»Hab geübt. Neuer Trick. Gaukler muss immer Neues machen.«

»Woher kommt ihr?«

»Pompaelo.«

»Und wohin wollt ihr?«

»Pompaelo.«

»Habt es wohl verdammt eilig dorthin.«

»Ja, eilig. Hier trauriges Land, immer nur Wolken und Regen. Gaukler will blauen Himmel sehen.«

»Aber nur noch mit einem Auge!«, rief Bozo und schlug zur Bekräftigung mit der Faust auf den Tisch. »Ihr Schufte habt dieses Gold stibitzt. Wem? Dem Herrn Grafen? Oder dem edlen Herrn Gozbert? Weiter könnt ihr ja nicht gekommen sein. Vielleicht habt ihr es auch dem Kaufmann Ratbold genommen. Ein hergelaufener Lump, der stiehlt, verliert ein Auge! So steht es im Kapitular des Herrn Königs. Du da … du hast nur noch eins, hast schon früher gestohlen, dir wird die Nase abgeschnitten! Schuldig sind nur die Männer, die Frauen, Kinder und Zwerge sind freigesprochen. Das Gold ist beschlagnahmt. Schweikert! Hug! Die Kerle fesseln. Morgen wird das Urteil vollstreckt. Dann könnt ihr weiterziehen in euer dreckiges Pompa … Pampa …oder wohin ihr wollt. Dankt Gott und mir, euerm Richter! Einäugig werdet ihr Schufte noch komischer sein!«

Er lachte selbstgefällig und blickte Beifall heischend zu uns herüber. Knechte stürzten mit Stricken herbei. Wieder war es nur Tullius, der sich wehrte. Die anderen Männer der Truppe ließen sich fast ohne Widerstand binden. Ein paar Flüche in der Sprache ihrer spanischen Heimat waren ihr ganzer Protest. Die Weiber heulten, die Kinder plärrten.

Die bucklige Alte schrie: »Fluch über dich, Tullius! Hast Gott betrogen in seinem Hause! Wirst uns alle verderben! Alle!«

»Was höre ich da?«, rief Bozo. »Gott betrogen? In seinem Hause? So war es also, jetzt ist es heraus. Eine Kirche habt ihr bestohlen, ihr Heiden!«

»Nicht Kirche bestohlen!«, keuchte Tullius, dem die Stricke den schmalen Brustkorb einschnürten.

Bozo erhob sich mit triumphierender Miene.

»Wie gut, dass ich das noch erfahre! Eine Kirche bestehlen … das ist etwas anderes. Dafür werdet ihr hängen! So will es in Sachsen das Gesetz. Dafür hängen hier sogar edle Herren!«

»Nein!«, schrie Tullius. »Nicht Kirche bestohlen! Graf hat uns gegeben … Mancusen und Solidi.«

Bozo stieß ein höhnisches Lachen aus.

»Der Graf? Der Herr Volz? Der hätte euch Schnorrern Gold gegeben? Hat man je so freche Lügen gehört?« Bozo drehte sich um. »Was sagt Ihr dazu, edle Herren? Dafür werden sie zusätzlich Peitschenhiebe beziehen. Damit sie begreifen, wo sie sind!«

Er trat näher, beugte sich vor uns nieder und dämpfte vertraulich die Stimme.

»Dieses Gesindel hat wahrscheinlich geglaubt, dass hier in Sachsen noch alles beim Alten ist. Heidnische Gräuel, Unzucht, Gesetzlosigkeit. Hat nicht damit gerechnet, dass der Herr König Karl inzwischen gerechte Richter eingesetzt hat.«

»Hör mal, Freundchen«, sagte Odo ebenso leise und packte plötzlich den Hausherrn am Bart. »Beschmutze mir nicht den Namen des Königs! Sonst lernst du gleich einen Richter kennen, den er hier eingesetzt hat. Und dann könnte es dir passieren, dass du selber hängst … da oben, an deinem eigenen Dachbalken!«

Bozo war so betroffen, dass er im ersten Augenblick fast erstarrte.

»Was fällt Euch ein?«, stieß er dann hervor, wobei er versuchte, den Bart aus Odos Faust zu zerren.

»Erkennst du mich nicht? Sieh mich an!«

Der Wirt riss die Augen auf und zwinkerte vor Überraschung.

»Seid Ihr es, Herr Odo?«

»Ich bin es, du hast ein gutes Gedächtnis. Aber auch ich habe eins!« zischte Odo, indem er den Bart noch fester packte.

»Verzeiht, ich habe Euch nicht erkannt«, stammelte Bozo. »Lasst mich doch los! Was werft Ihr mir vor?«

»Dass du dir das Richteramt anmaßt.«

»Das ist nicht wahr, ich bin befugt …«

»Und dass du Leute verurteilst, die nichts getan haben.«

»Nichts getan? Und die Goldstücke?«

»Die würden sie kaum gezeigt haben, wenn sie sie in der Nähe gestohlen hätten. Erinnere dich! Bist du etwa auf den Pferden, die du früher im Marstall gestohlen hast, unter den Augen des Königs spazieren geritten?«

»Ich hätte unserm Herrn König Pferde … Wie kommt Ihr darauf, Herr Odo?«

»Weil ich mal eines von deinem Helfershelfer gekauft habe. Was mich teuer zu stehen kam. Den Namen Gozbert habe ich gerade gehört. Ist es derselbe?«

»Er ist es …«

»Das wird ja ein frohes Wiedersehen!«

»Gewiss, aber lasst bitte meinen Bart los. Wie stehe ich vor meinen Leuten da … und vor diesem Pack?«

Odo tat ihm jetzt den Gefallen.

Den Wortwechsel hatte außer mir niemand mitbekommen. Aber natürlich hatten alle gesehen, wie demütigend der Gast den Hausherrn behandelt hatte. Die Gaukler begriffen, dass ihre Sache noch nicht aussichtslos war. Sie warfen Tullius ermunternde Blicke zu. Und obwohl seine Arme an den Körper gefesselt waren, stieß der magere Kerl einen Knecht, der ihn festhielt, beiseite und stürzte vor uns auf die Knie.

»Hohe Herren, Erbarmen! Wir sind unschuldig, alle! Haben Mancusen und Solidi ehrlich verdient! Graf Volz hat offene Hand … ist barmherzig … sieht kleine Kinder … arme Tiere … die müssen verhungern, weil Gaukler hier niemand will sehen. Wir waren glücklich, wollten nach Hause … nach Pompaelo. Konnten Hybris nicht zügeln, haben hohe Herren belästigt. Mögen hohe Herren verzeihen! Erbarmen, Gnade …«