Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Keeping Dreams Playlist

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

Epilog

Danksagung

Nachwort

Die Autorin

Die Romane von Anna Savas bei LYX

Impressum

Anna Savas

Keeping Dreams

Roman

Zu diesem Buch

Nach einem schlimmen Sturz beim Training muss Lily ihren Traum von einer Karriere als Balletttänzerin für immer begraben. Als sie auch noch erfährt, dass ihr Freund sie mit ihrer besten Freundin betrügt, will sie so weit weg von New York wie nur möglich. Um herauszufinden, wie es für sie weiter-gehen soll, wechselt sie an die 900 Meilen entfernte Faerfax University. Den Neustart und das Zusammenleben mit ihrem Mitbewohner Julian hat sie sich allerdings anders vorgestellt. Bei dem Fotografiestudenten scheinen die Frauen ein und aus zu gehen – was Lily an alles erinnert, was sie eigentlich hinter sich lassen wollte. Und Julian ist genauso wenig begeistert von seiner neuen Mitbewohnerin und ihrer permanenten schlechten Laune. Dass sie ausgerechnet dann auch noch für ein Uni-Projekt zusammenarbeiten müssen, macht es nicht besser! Aber je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto stärker fühlen sie sich zueinander hingezogen und verstehen, dass sie sich in ihrer Art, niemanden zu nah an sich heranzulassen, ähnlicher sind, als sie dachten. Nur einander können sie sich langsam öffnen, aber reicht das aus, um wieder von ganzem Herzen vertrauen zu können?

Für Vivien

Ich weiß nicht, wie ich jemals wieder ein Buch ohne dich
schreiben soll. Zum Glück muss ich das auch nicht.

Danke für alles.

Julian gehört jetzt ganz offiziell dir.

Keeping Dreams
Playlist

I Can’t Fall in Love Without You – Zara Larsson

Into the Unknown – Panic! At the Disco

D. R. E. A. M. – Jonny Craig

Ghost – Jacob Lee

Giants – Dermot Kennedy

Something Just Like This – The Chainsmokers, Coldplay

The Greatest Show – Panic! At the Disco

Without Fear – Dermot Kennedy

Let You Down – NF

Use Somebody – Kings of Leon

ily (i love you baby) – Surf Mesa, Emilee

Before You Go – Lewis Capaldi

Lose Somebody – Kygo, OneRepublic

Some Say – Nea

Hurricane – Tommee Profitt, Fleurie

Wildest Dreams – Taylor Swift

Where Does the Good Go – Tegan and Sara

Up – Olly Murs, Demi Lovato

You Don’t Know Me – Suzan & Freek

Moondust – Jaymes Young

1. KAPITEL

Lily

Das war’s also.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich in der Tür meines Zimmers stand und den Raum betrachtete, mit dem ich die letzten zehn Jahre meines Lebens immer das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit verbunden hatte. Es war nur noch ein Hauch des Mädchens zu spüren, das ich mal gewesen war.

Das Zimmer war jetzt so … unpersönlich. Mit weißen Wänden, weißen Möbeln und dunkelblauer Bettwäsche. Sämtliche Bilder waren schon vor Monaten verschwunden, ich hatte sie in einem Anfall von Wut und Trauer von den Wänden gerissen und aus dem Fenster geworfen. Das klirrende Geräusch von zerspringendem Glas war seltsam befriedigend gewesen.

Ich hatte diesen Augenblick nie bereut. Es hatte sich gut angefühlt und war ein erster Schritt gewesen. Ein erster Schritt fort von meinem alten Ich, meinen Träumen und fort von diesem Zimmer.

Trotzdem tat es irgendwo in einem kleinen Winkel meines Herzens weh. Immerhin hatte ich meine gesamte Jugend in diesen vier Wänden verbracht, hatte mit meinen Schwestern und meinen Freundinnen auf dem Bett gesessen und kichernd über Jungs und das Tanzen gequatscht, über unsere Hoffnungen und Träume. Diese Zeiten waren wohl endgültig vorbei.

Ich spürte den Kloß in meinem Hals ganz deutlich, spürte, wie er mir für einen Moment den Atem nahm und mir Tränen in die Augen trieb. Bitterkeit erfüllte mich bei dem Gedanken an Keira und Amy, nur kurz, aber sie war da, und sie würde wohl auch nie wieder verschwinden.

Dann war der Moment vorbei. Tief durchatmend straffte ich die Schultern und zog die Tür hinter mir energisch zu.

Mein altes Leben war vorbei. Ich war aus diesem Zimmer herausgewachsen, war aus allem herausgewachsen, was mich mein Leben lang geprägt hatte.

Und ich hasste es wie die Pest. Denn ich hatte diese Entscheidung nicht freiwillig getroffen, ich wollte mich nicht verändern. Allerdings hatte ich keine andere Wahl. Ich musste gehen, sonst würde ich am Ende doch noch zerbrechen. Ich konnte nicht hierbleiben, ohne wahnsinnig zu werden. Ohne am Ende die Menschen, die ich liebte, und mich selbst zu hassen.

Gott, war das melodramatisch. Aber – so ungerne ich das zugab – es war die Wahrheit. Und das passte mir noch weniger als die Melodramatik an sich.

»Lily, bist du so weit?« Dads tiefe Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich schnappte mir meine Tasche, die im Flur auf dem Boden lag, und lief die Treppe hinunter.

»Bin so weit«, antwortete ich so entschieden wie möglich, obwohl eine nachdrückliche Stimme in meinem Inneren schrie, dass ich ganz und gar nicht so weit war.

Dad warf mir einen zweifelnden Blick zu, den ich nur mit Mühe ignorieren konnte. Er war fast zweieinhalb Köpfe größer als ich und mit den breiten Schultern und dem Vollbart das Paradebeispiel eines Footballspielers. Inzwischen spielte er zwar nicht mehr selbst, arbeitete dafür aber als Coach für das Footballteam der Columbia, die Columbia Lions. Anfangs war er schwer enttäuscht gewesen, dass ich mich nicht für seine Uni entschieden hatte, doch mittlerweile hatte er sich damit abgefunden.

»Bist du sicher?«, wollte er wissen und zog die dichten dunklen Augenbrauen hoch. Fast wäre ich eingeknickt. Weil er mich so gut kannte. Er wusste genau, dass ich eigentlich nicht so weit war. Vor Jahren hatte er an demselben Punkt gestanden wie ich jetzt. Auf eine andere Weise, aber er wusste, wie schwer es mir fiel, weiterzumachen. Ein anderes Leben zu leben als das, das ich geplant hatte.

»Ja, bin ich. Ich weiß, was ich tue, Dad.« Meine Stimme klang schärfer als beabsichtigt, doch wir hatten dieses Gespräch schon viel zu oft geführt, und ich durfte jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Entschlossen schob ich mich an ihm vorbei und ging ins Wohnzimmer.

Noch fünf Minuten. Dann war ich weg.

Endlich.

Vier Köpfe drehten sich zu mir um, zwei waren dunkelhaarig wie Dad, zwei genauso blond wie ich. So blond, wie ich vor ein paar Monaten noch gewesen war. Inzwischen waren meine Haare roségold, ein armseliger Versuch, mich selbst neu zu erfinden.

Unwillkürlich drückte ich den Rücken durch, als ich dem wütenden Blick meiner Schwester Rose begegnete. Wir waren Zwillinge und sahen uns so ähnlich, dass wir nicht selten verwechselt wurden, obwohl sie ein Stück größer war als ich. Ihr Lächeln glich mehr dem von Dad als dem von Mom, und ihre Augen waren grün, nicht blau, aber das war es auch schon. Sonst sahen wir vollkommen gleich aus. Bis vor einigen Monaten war sie meine beste Freundin gewesen. Bevor meine Träume zerbrochen waren. Seitdem gelang es mir kaum noch, sie anzusehen. Sie war ich, und ich war sie, und das war unerträglich.

Ich wusste, dass sie mir diesen Schritt jetzt nie verzeihen würde, und ich konnte sie verstehen. Aber es gab für mich keine andere Möglichkeit.

»Willst du wirklich gehen?« Ivy, mit fünfzehn Jahren die jüngste von uns Matson-Schwestern, verzog unglücklich das Gesicht und wickelte sich eine Strähne ihrer braunen Locken um den Zeigefinger. Sie war die Einzige, die immer noch versuchte, mich zum Bleiben zu überreden.

»Jetzt lass es einfach, Ivy. Wenn sie unbedingt wegwill, soll sie doch abhauen!«, fauchte Rose, sprang auf und stolzierte an mir vorbei.

Die Anmut, mit der sie sich bewegte, fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Als sie sich an mir vorbeischob, stieß sie mit ihrer Schulter hart gegen meine. Ich zuckte zusammen, doch sie würdigte mich keines Blickes und schwebte beinah lautlos die Treppe hoch. Einen Augenblick später fiel eine Tür mit einem Knall ins Schloss.

Kurz war ich versucht, ihr hinterherzulaufen, blieb dann aber doch stehen. Es würde nichts nützen. Ich konnte ihr nicht sagen, was sie hören wollte. Ich wusste seit Monaten nicht mehr, was ich ihr sagen sollte. Und ich wusste, dass es ihr mit mir genauso ging.

Seufzend erhob Mom sich vom Sofa und trat auf mich zu. Sie strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte, doch es wirkte gezwungen. In ihren blauen Augen lag tiefe Sorge. »Du meldest dich, wenn du angekommen bist, ja?«

»Mach ich.« Da war er wieder, der Kloß in meinem Hals. Ich musste hier raus. Ganz dringend.

»Bist du sicher, dass wir dich nicht begleiten sollen? Ich hätte dir so gerne alles gezeigt.«

Ich musste mich bemühen, nicht das Gesicht zu verziehen. Dass ich an Moms altes College gehen würde, hätte ich mir noch vor einem Jahr nicht mal im Traum vorstellen können. Und jetzt … tja, jetzt sah die Realität anders aus als vor einem Jahr. Mir war klar, dass es nicht fair war, sie auszuschließen, und dass ich sie damit verletzte. Mom hätte vermutlich alles dafür gegeben, mich nach Faerfax zu begleiten. Aber ich konnte und wollte sie nicht dabeihaben. Die letzten Monate waren an uns allen nicht spurlos vorbeigegangen.

»Ich weiß, aber ich muss das allein machen, Mom«, gab ich zurück, schaffte es jedoch nicht, sie anzusehen.

Eilig verabschiedete ich mich von ihr und trat dann zu Magnolia und Ivy. Magnolia war sechzehn, und wie so oft stand sie auch in diesem Moment zwischen Ivy und Rose. Einerseits war sie sauer auf mich, weil ich sie alle verlassen würde, andererseits hatte sie mich schon mehrfach zum Bleiben zu überreden versucht.

Manchmal fragte ich mich, warum alle so ein Drama aus der Sache machten, mich eingeschlossen. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, wäre ich im letzten September schon weg gewesen. Gut, ich wäre in der Stadt geblieben. Ausgezogen wäre ich aber so oder so.

»Passt auf euch auf!«, sagte ich leise, um zu verbergen, wie erstickt meine Stimme auf einmal klang.

»Du auch.« In Ivys großen braunen Augen glitzerten Tränen.

Ich wuschelte ihr durch die Haare und zwang mich zu einem Lächeln. »Mach ich.«

Maggies Umarmung war so fest, dass meine Rippen ein protestierendes Knacken von sich gaben. »Rose wird mich dafür hassen, aber sie wird es bereuen, wenn ich es dir nicht auftrage, also: Schick uns ganz viele Bilder von den heißen Collegetypen, die sich um dich reißen werden«, trug sie mir auf, als sie mich wieder losließ.

»Magnolia!« Mom bemühte sich um einen tadelnden Ton, doch ihre Mundwinkel zuckten, und wir kannten sie alle gut genug, um zu wissen, dass sie sich ihr Lachen kaum verkneifen konnte.

Maggie zuckte mit den Schultern, einen unschuldigen Ausdruck auf dem Gesicht, den ihr absolut niemand abkaufte. »Was denn? Irgendwas Gutes muss es doch haben, dass Lily so weit wegzieht. Künstler sind heiß. Und Dad nimmt uns ja nie mit, damit wir uns seine Spieler angucken können.«

»Vielleicht weil du dich auf Jungen in deinem Alter konzentrieren solltest«, schaltete Dad sich aus dem Flur ein und trat hinter mich. Er klang amüsiert, aber ich wusste ganz genau, dass er seit Monaten ein besonderes Auge auf Magnolia hatte. Sie steckte tiefer in der Pubertät als jede andere von uns. Manchmal tat er mir echt leid. Vier Töchter großzuziehen musste wirklich anstrengend sein. Noch dazu, wenn die vier vom Alter so dicht beieinander waren wie wir.

»Ja, ja, aber die sind wahnsinnig uninteressant, Dad. Ich bin siebzehn, in nicht einmal zwei Jahren gehe ich auch aufs College. Und dann …« Sie ließ den Satz offen, ein diebisches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, und Dad verzog gequält das Gesicht.

»Darüber werde ich erst nachdenken, wenn es so weit ist.«

Maggie kicherte. »Also, du denkst an die Fotos, Lily?«

»Ich schau mal, was sich da machen lässt«, gab ich zurück, und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Magnolias hübschem Gesicht aus. Ich wusste genau, dass es ihr nicht um die Fotos ging, sondern darum, dass ich jemanden kennenlernte. Jemanden, der gut zu mir war. Sie hatte keine Ahnung, dass ich den Teufel tun und irgendein männliches Wesen an dieser Uni näher an mich heranlassen würde als nötig.

Für den Bruchteil einer Sekunde wanderten meine Gedanken zu Luis, doch bevor die Wut in meinem Inneren, gegen die ich seit Monaten ankämpfte, erneut hochkochen konnte, legte Dad mir seine große, warme Hand auf die Schulter.

»Wir müssen jetzt echt mal los, sonst verpasst du deinen Flug.«

Ich nickte, warf meiner Familie ein letztes Lächeln zu und folgte ihm nach draußen. Der Himmel war von grauen Wolken verhangen, und mein Atem verpuffte in kleinen weißen Wölkchen vor meinem Mund. Der Januar in Brooklyn Heights war so eisig kalt wie immer. Gedankenverloren lief ich die Treppe unseres typischen schokoladenbraunen Reihenhauses herunter und stieß einen erschrockenen Schrei aus, als ich auf der letzten Stufe ausrutschte und umknickte. Ein kurzer stechender Schmerz fuhr mir durch den Knöchel, und ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich, als ich versuchte, mein Gleichgewicht wiederzufinden.

Gott, bitte nicht.

»Lily, alles okay?« Besorgt griff Dad nach meinem Arm, und ich musste mich zwingen, seine Hand nicht abzuschütteln. Wann würden sie endlich alle aufhören, mich ständig mit Samthandschuhen anzufassen? Probehalber machte ich einen Schritt nach vorn und seufzte erleichtert. Ich war nicht schon wieder kaputtgegangen.

»Alles gut. Nichts passiert.«

»Sicher?«

»Ganz sicher. Mir geht’s gut.«

Dad zögerte kurz, dann nickte er und ließ mich endlich los. Tief durchatmend stieg ich ins Auto, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.

Ich war frei. Endlich.

Jetzt konnte ich wieder versuchen zu leben.

Faerfax war klein. Schön, aber wirklich klein. Zumindest kam es mir im Vergleich zu New York so vor. Allerdings ließ sich keine Stadt so richtig mit New York vergleichen, da konnten sich so viele niedliche Geschäfte, Cafés und Restaurants aneinanderreihen, wie sie wollten.

Ich hatte auf dem Weg zur Faerfax University nur ein paar kurze Blicke auf die Stadt erhaschen können, weil ich zu sehr darauf konzentriert war, mich nicht zu verfahren – mein Orientierungssinn war miserabel, und ich war ohne Navi vollkommen aufgeschmissen. Trotzdem hatte ich genug gesehen, um mich darüber zu wundern, wie eine Stadt, die laut Google immerhin mehr als hunderttausend Einwohner haben sollte, so idyllisch wirken konnte. So niedlich und klein, obwohl sie offensichtlich nicht so winzig war, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mochte.

Ein nervöses Ziehen breitete sich in mir aus, als ich mit dem Schlüssel zu meinem neuen Leben von der Univerwaltung über den Campus Richtung Wohnheime lief. Mein Koffer lag noch im Mietwagen, der Rest meiner Sachen würde in den nächsten Tagen ankommen.

Am liebsten wäre ich ja in eine kleine Wohnung außerhalb des Campus gezogen, aber da hatten meine Eltern nicht mitgespielt. Nach allem, was während der vergangenen Monate passiert war, wollte Mom auf keinen Fall, dass ich allein wohnte, und egal, wie oft ich ihr erklärt hatte, dass sie sich umsonst Sorgen machte, ließ sie sich in dieser Hinsicht nicht erweichen. Sie war mehr als bereit, mich nach Faerfax ziehen zu lassen, doch für eine eigene Wohnung würden sie und Dad nicht zahlen. Also blieb mir nur das Wohnheim. Ich wusste ganz genau, was Mom damit bezweckte. Sie wollte, dass ich mich wieder unters Volk mischte, wie sie es nannte – mich nicht länger einigelte. Sie hoffte wohl, ich würde mich mit meiner Mitbewohnerin anfreunden, nachdem ich das letzte halbe Jahr meine angeblichen Freundinnen aus meinem Leben gestrichen hatte. Allerdings hatte ich nicht vor, diese Hoffnung zu erfüllen.

Seufzend ließ ich den Traum von einer eigenen Wohnung los und sah mich um. Unzählige Studenten schlenderten über den Hauptplatz des Campus. Die Erstsemester waren ziemlich deutlich an großen Koffern, aufgeregten Gesichtern und wehmütig dreinblickenden Eltern zu erkennen.

Ein Stich fuhr mir durchs Herz, und plötzlich wünschte ich mir, dass meine Eltern mich doch begleitet hätten. Energisch schüttelte ich den Gedanken ab. Ich war neunzehn und durchaus in der Lage, meinen ersten Tag an der Uni allein durchzustehen.

Vier Stockwerke später war ich mir da nicht mehr so sicher. Zögernd blieb ich vor der Nummer 417 stehen.

Mein Gott, das war lächerlich. Es gab keinen Grund, nervös zu sein. Ich würde gleich meine Mitbewohnerin kennenlernen, die hoffentlich so unsympathisch war, dass ich gar nicht erst in Versuchung geriet, mich mit ihr anzufreunden. Und dann würde ich mich ins Studium stürzen und die nächsten vier Jahre hinter mich bringen.

Ich warf einen Blick auf den Zettel in meiner Hand, auf dem neben meiner Zimmernummer auch der Name meiner Mitbewohnerin notiert war. Julia Lowe. Klang irgendwie … nett.

Tja, das hatte auf Keira und Amy auch zugetroffen, und wie sich herausgestellt hatte, waren die beiden alles andere als nett gewesen. Außerdem … Was sagte ein Name schon über eine Person aus? Und warum zerbrach ich mir über so etwas den Kopf, anstatt einfach reinzugehen und mir ein Bild von dieser Julia zu machen?

Mit einem Schnauben steckte ich den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür zu meinem neuen Zuhause. Nach drei Schritten blieb ich verblüfft stehen.

Okaaaay. Ich hatte gewusst, dass es an der Faerfax University keine einfachen Studentenzimmer, sondern Wohnungen gab, aber so groß hatte ich sie mir nicht vorgestellt.

Es gab ein geräumiges Wohnzimmer mit angrenzender Wohnküche, von der drei Türen abgingen. Zwei standen offen und gaben den Blick auf das Badezimmer sowie ein leeres Schlafzimmer frei. Im ersten Moment war nur ein Bett zu erkennen, auf dem nicht einmal eine Decke oder ein Kissen lagen. Großartig, also musste ich heute noch shoppen gehen. Die dritte Tür war geschlossen, aber wenn man halbwegs in der Lage war, eins und eins zusammenzuzählen, sollte man erahnen können, wer das dahinterliegende Zimmer bewohnte. Ich ging mal schwer davon aus, dass es Julia Lowe war.

Ein großes schwarzes Sofa vor einem überdimensionalen Flachbildfernseher besetzte das Zentrum des Wohnzimmers. Das Bücherregal an der Wand neben dem Fenster war beinahe leer, und ich glaubte schon, dass Julia wohl auch gerade erst eingezogen war, als ich mich umdrehte und die Fotos entdeckte. Sie hingen mit kleinen hölzernen Wäscheklammern an langen Schnüren, die quer über die Wand neben der Eingangstür gespannt waren.

Ich hatte zwar keine Ahnung von Fotografie, aber selbst mir fiel auf, dass diese Bilder gut waren. Richtig gut. Neugierig trat ich einen Schritt darauf zu, doch bevor ich sie genauer betrachten konnte, hörte ich ein helles Lachen, das schnell näher kam.

Ertappt wich ich ein paar Schritte zurück, gerade rechtzeitig, denn einen Augenblick später stolperte ein kicherndes dunkelhaariges Mädchen in die Wohnung, dicht gefolgt von einem breit grinsenden Typen, der vor Selbstbewusstsein nur so zu strotzen schien.

Die beiden hielten abrupt inne, als sie mich bemerkten, und das Gesicht des Mädchens verdüsterte sich. Sie war hübsch mit ihren schulterlangen braunen Haaren, den braunen Augen und der schlanken Figur. Doch der ungehaltene Ausdruck in ihren Augen und die schmollend vorgeschobene Unterlippe standen ihr nicht.

Gut, Julia wollte ihre neue Mitbewohnerin offensichtlich ebenso wenig zur Freundin haben wie ich.

Mein Blick huschte zu dem Typen, dessen Grinsen einem charmanten Lächeln gewichen war. Er sah gut aus, verdammt gut sogar. Das braune Haar fiel ihm wirr in die Stirn, das leuchtende Grün seiner Augen war sogar aus einigen Metern Entfernung deutlich zu erkennen.

Wer hatte bitte so grüne Augen?

Mein Gesicht begann zu glühen, als ich merkte, dass mein Blick an seinen Augen klebte, und ich sah hastig weg. Allerdings kam ich nicht weit. Mein Gott, war der Typ raumeinnehmend. Er war groß, und obwohl er einen grauen Mantel trug, war ich mir sicher, dass er darunter ein Sixpack und beeindruckende Armmuskeln verbarg.

Wer auch immer dieser Typ war, er schien genau die Art Kerl zu sein, der wahnsinnig viel Wert auf sein Äußeres legte und ein Mädchen nach dem anderen abschleppte. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht.

Solche Männer kannte ich zur Genüge.

»Jules, wer ist das?«, fragte Julia und warf dem Typen einen vorwurfsvollen Blick zu.

Jules? Moment mal …

»Ich schätze, du bist Lily, oder? Ich bin Julian, dein Mitbewohner.« Der Schönling schob sich an dem Mädchen, das offensichtlich nicht Julia war, vorbei und streckte mir eine Hand entgegen.

Einen Moment lang konnte ich seine Hand nur ungläubig anstarren. Dann erinnerte ich mich daran, dass Mom mich zu einer höflichen jungen Frau erzogen hatte, und ergriff sie. Sie fühlte sich weich und angenehm warm an.

»Du wohnst hier?«, fragte ich krächzend und ließ ihn schnell wieder los. Meine Gedanken rasten. Das konnte nicht sein. Ich sollte eine Mitbewohnerin bekommen. Ich wollte eine Mitbewohnerin und keinen … Julian.

»Ja, ich wohne hier. Hast du etwa jemand anderen erwartet?« Ein amüsierter Unterton schwang in seiner Stimme mit.

»Ehrlich gesagt, ja«, gab ich verdrossen zurück und verschränkte reflexartig die Arme vor der Brust.

So viel dann zu meinem Plan, mich so weit wie möglich von allen männlichen Wesen an dieser Uni fernzuhalten.

2. KAPITEL

Julian

Ich musterte Lily und verfluchte Cole einmal mehr dafür, dass er so kurzfristig ausgezogen war. Es waren doch nur noch eineinhalb Jahre. Hätte er die drei Semester nicht noch hier bei mir wohnen können?

»Wen hast du denn erwartet?«, fragte ich neugierig. Sie war ein ganzes Stück kleiner als ich, und dem Ausdruck auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, passte es ihr gar nicht, dass sie zu mir aufsehen musste. Es fiel mir schwer, mein amüsiertes Grinsen zurückzuhalten, aber ich hatte die starke Befürchtung, dass sie das nicht genauso lustig fand wie ich. Ich wusste nicht, warum, doch irgendwie wurde ich den Eindruck nicht los, als würde sie nicht besonders oft lachen.

»Ein Mädchen«, gab sie trocken zurück und hielt mir ein Blatt Papier hin. Ich nahm es entgegen, und als mein Blick auf den Namen fiel, der unter der Zimmernummer stand, musste ich doch grinsen. Julia Lowe.

Tja, ich war kein Mädchen.

»Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.«

Lily seufzte und zuckte ergeben mit den Schultern. »Ich werd’s überleben.«

Die meisten anderen hätten aus der Sache einen Witz gemacht, Lily dagegen klang einfach nur resigniert. Meine Augenbrauen hoben sich ganz von selbst. Sie schien tatsächlich nicht besonders glücklich darüber zu sein, mich als neuen Mitbewohner bekommen zu haben. In ihren blauen Augen lag ein kühler, distanzierter Ausdruck, den ich nicht recht deuten konnte.

»Alles andere wäre auch zu schade.« Ich schenkte Lily mein charmantestes Lächeln. Normalerweise reichte das, um ein Mädchen von mir zu überzeugen – nicht, dass ich es in ihrem Fall darauf anlegte, aber es schadete schließlich nicht, die Grenzen auszutesten. Lily wirkte jedoch nicht im Mindesten beeindruckt, sondern zog nur eine Augenbraue hoch.

Hm. Das war … ungewöhnlich.

Irgendwas an Lily irritierte mich, ich bekam jedoch nicht zu fassen, was es war. Es war nicht ihre offensichtlich schlechte Laune, auch wenn ich sie nicht nachvollziehen konnte. Auch nicht die rosafarbenen Haare. Bunte Haare hatte ich an der Uni schon oft gesehen, auch wenn sie zu ihr nicht ganz zu passen schienen. Aber nein, ihre Frisur war es nicht. Ich ließ meinen Blick an ihrem Körper hinabgleiten, doch obwohl ihr Mantel offen war, ließ sich ihre Figur dank des weit geschnittenen Pullis nicht einmal erahnen.

Schade.

»Suchst du was?« Der Spott in Lilys Stimme war nicht zu überhören.

Langsam hob ich den Kopf, bis ich schließlich wieder bei ihrem Gesicht landete. Es war pure Provokation. Ich wusste das und sie vermutlich auch.

Ich sollte mich nicht so verhalten, erst recht nicht bei meiner neuen Mitbewohnerin, aber ich konnte nicht anders. Provokation lag mir, und so wie Lily mich ansah, war sie durchaus bereit, sich provozieren zu lassen. Ihrem wütenden Blick nach zu urteilen, allerdings nicht auf die Weise, die mir vorschweben würde, wäre sie nicht gerade dabei, in meine Wohnung einzuziehen.

Sie war hübsch, wäre mit ihrem herzförmigen Gesicht, den großen hellblauen Kulleraugen und den vollen Lippen sogar ziemlich niedlich gewesen, würde sie nicht so grimmig gucken.

Verdammt, Cole, du schuldest mir was!

Jeden anderen hätte ich für einen absoluten Vollidioten gehalten, wenn er nur drei Semester vor dem Abschluss aus einer der heiß begehrten Wohnheimwohnungen ausgezogen wäre. Aber meinen besten Freund, der vor knapp einer Woche mit seiner Freundin Tessa zusammengezogen war, konnte ich verstehen. Die beiden waren so glücklich miteinander, und nach allem, was sie durchgemacht hatten, verdienten sie es mehr als jeder andere, den ich kannte.

Sie wussten, dass ich mich für sie freute, und verdammt, das tat ich. Trotzdem hätte ich Cole gerne als Mitbewohner behalten. Erst recht, wenn dieser kleine Sonnenschein vor mir tatsächlich seine Nachfolgerin war. Dass daran nicht der geringste Zweifel bestand, bewies der Zettel in meiner Hand ziemlich eindeutig.

Ich setzte gerade zu einer wenig unschuldigen Antwort an, als Ava mich daran erinnerte, dass ich gerade ein ganz anderes Problem hatte.

»Juuuuuuules!«, nörgelte sie, und ich zuckte zusammen. Sie stand direkt neben mir, und ich hatte sie für ein paar Minuten trotzdem vollkommen vergessen.

Ups.

»Sorry. Lily, das ist Ava. Ava, Lily«, stellte ich die beiden einander vor, obwohl ich ganz genau wusste, dass es nicht das war, was Ava wollte.

Ava schenkte Lily ein schmallippiges Lächeln, winkte ihr halbherzig zu und verschränkte dann die Arme vor der Brust, ohne etwas zu erwidern. Sie schmollte, und das ging mir jetzt schon tierisch auf die Nerven.

Es war gerade mal unser zweites Treffen, und die Eifersucht, die Ava gerade ins Gesicht geschrieben stand, war für mich Grund genug, dass es kein drittes geben würde. Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie Lily und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf und ab.

Ich setzte zu einer Entschuldigung an, als das Klingeln eines Handys die Stille, die zunehmend unangenehmer wurde, durchbrach. Gott sei Dank. Ich hatte nämlich keine Ahnung, bei welcher von beiden ich mich entschuldigen wollte. Eigentlich sollten sie sich entschuldigen. Alle beide. Schließlich waren sie diejenigen mit der schlechten Laune, nicht ich.

»Sorry, das ist meins«, sagte Lily, klang dabei aber ganz und gar nicht so, als würde es ihr leidtun. Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche und verschwand so schnell in ihrem Zimmer, dass ich ihr nur verdutzt hinterherstarren konnte. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.

»Also … Wo waren wir stehen geblieben?« Avas Finger wanderten meinen Oberkörper hinauf, mit einem verführerischen Blinzeln sah sie mich an. Doch die Berührung löste absolut gar nichts in mir aus.

»Ich glaube –«

Dieses Mal war es mein Handy, das klingelte. Kurz war ich versucht, den Anruf einfach zu ignorieren, aber vielleicht waren es Sarah, Jenny oder Dad. Und die drei waren die Einzigen, die ich niemals ignorierte.

»Tut mir leid, ich muss da drangehen.« Ich warf Ava einen kurzen, entschuldigenden Blick zu, mit den Gedanken war ich jedoch schon bei dem Drama, das unweigerlich auf mich zusteuerte.

Fünfzehnjährige Zwillingsschwestern zu haben war verflucht anstrengend, ganz gleich, wie sehr ich die beiden liebte.

Doch als ich einen Blick auf mein Smartphone warf, blinkte mir Dads Name entgegen.

Mist.

Ich zögerte. Mit Dad zu reden war das Letzte, was ich jetzt wollte. Nicht, nachdem die letzten Telefonate so schwierig gewesen waren. Aber ich wusste auch, dass ich ihn nicht wegdrücken konnte. Konnte ich nie. Egal, wie sehr ich es wollte.

»Ist das echt so wichtig?« Ava klang zunehmend genervt.

»Ja, ist es«, antwortete ich seufzend und nahm das Gespräch entgegen. »Hi, Dad.« Mit einem unguten Gefühl im Bauch trat ich ans Fenster, während Ava sich mit einem aufgebrachten Schnauben aufs Sofa fallen ließ.

»Hast du kurz Zeit?« Dad begrüßte mich nicht mal, aber das überraschte mich nicht. Sätze wie Hallo, Julian und Wie geht’s dir? gehörten nicht unbedingt zu seinem Repertoire.

Nein, eigentlich hatte ich keine Zeit. Eigentlich hatte ich gerade ganz andere Dinge geplant. Sehr viel spaßigere Dinge. Aber wem wollte ich hier was vormachen? Das mit Ava hatte sich ohnehin erledigt.

Ich seufzte ergeben. »Klar, was gibt’s?«

»Ich würde gerne etwas mit dir besprechen.«

Ich verkniff mir den Kommentar, dass er sonst wohl nicht angerufen hätte. Bissige Bemerkungen brachten mich jetzt auch nicht weiter.

»Okay. Was ist denn los?«

»Ich habe überlegt, mit den Mädchen zurück nach Faerfax zu ziehen. Damit wir alle wieder mehr Zeit miteinander verbringen können. Als Familie.«

Ich erstarrte.

Nein.

Einfach Nein.

NEIN! NEIN! NEIN!

»Was?«, brachte ich krächzend hervor. Auf einmal war mir kotzübel. Das konnte er unmöglich ernst meinen. Aber ich musste nicht mal fragen, um zu wissen, dass Dad es todernst meinte.

»Ich weiß, dass dich das vermutlich überraschen wird, aber ich habe lange darüber nachgedacht, und ich glaube, es ist das Beste für uns alle.«

Bullshit. Es war vielleicht das Beste für ihn. Für Sarah, Jenny und mich nicht. Ganz besonders nicht für mich. Wahrscheinlich nicht mal für ihn. Ich wollte nicht wissen, was eine Rückkehr nach Faerfax mit seiner emotionalen Verfassung anstellte. Wir waren schließlich nicht umsonst weggezogen, nachdem Mom uns verlassen hatte. Es war zwölf Jahre her, aber Dad war immer noch nicht darüber hinweg. Ich zweifelte schon lange daran, dass er diesen Punkt je erreichen würde. Erst recht nicht, wenn er hierher zurückkehrte.

»Was sagen Jen und Sarah dazu?« Meine Stimme klang kalt, tonlos. Aber etwas anderes brachte ich gerade einfach nicht fertig.

Ich fuhr erschrocken zusammen, als die Wohnungstür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass ich mir zumindest um Ava keine Gedanken mehr machen musste.

»Die beiden freuen sich schon, wieder in deiner Nähe zu sein«, antwortete Dad und lenkte meine Gedanken von Ava zurück zu den wirklich wichtigen Dingen. Dad klang viel zu fröhlich. Aufgesetzt und völlig falsch. »Wir haben gerade erst darüber gesprochen.«

Das erklärte zumindest, warum bisher keine der beiden versucht hatte, mich zu erreichen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie von der Idee besonders begeistert waren. Sie hatten in Faerfax die ersten drei Jahre ihres Lebens verbracht, doch sie kannten die Stadt nicht, und ich wusste, wie wohl sie sich in Chicago fühlten.

»Aber …« Vergeblich suchte ich nach den richtigen Worten. Wie sollte ich ihm klarmachen, dass ich sie nicht hierhaben wollte? Keinen von ihnen. Ich hatte so lange um meinen Freiraum gekämpft, ich konnte ihn unmöglich wieder aufgeben. Ganz abgesehen davon, dass ich selbst nicht ewig hierbleiben würde. Ich würde die Welt zwar niemals so erkunden, wie ich es mir wünschte – das konnte ich meinen Schwestern einfach nicht antun –, aber ausgerechnet jetzt extra hierherzuziehen, damit wir mehr Zeit miteinander hatten, war trotzdem blödsinnig. Bis zu meinem Abschluss waren es keine zwei Jahre mehr. Und danach … Wer wusste schon, was danach passieren würde. »Wann?«

»Ich hatte an Juli gedacht. Die Zwillinge sollen das Schuljahr noch in Chicago beenden.«

Mein Herz machte einen erleichterten Satz. Okay, so blieb mir ein halbes Jahr Zeit, ihn irgendwie und möglichst unauffällig davon zu überzeugen, dass das eine totale Schnapsidee war.

Immerhin etwas. Aber es war nicht genug. Ganz und gar nicht. Es fühlte sich an, als hätte er mir mit seinen Worten ein tonnenschweres Gewicht auf die Schultern gelegt.

»Dad, ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Ich rieb mir die Schläfe, als es hinter meiner Stirn zu pochen begann.

»Du musst erst mal gar nichts sagen, Jules. Aber wir freuen uns, alle sehr bald wieder bei dir zu sein. Ich hoffe, du freust dich auch.«

Gequält verzog ich das Gesicht. Dad setzte mich immer unter Druck. Er machte das nicht mit Absicht, er konnte nur einfach nicht anders. Er war daran gewöhnt. Und ich war daran gewöhnt, nachzugeben. Dennoch konnte ich nicht sagen, dass ich mich darüber freute. Ich log viel, und ich war gut darin, aber dieses Mal brachte ich die Lüge nicht über die Lippen.

»Hör mal, Dad, ich muss los. Wir sprechen wann anders darüber, ja?«

Ich musste hier raus. Raus aus dieser Wohnung. Ich brauchte frische Luft, musste mich abreagieren. Ich bebte am ganzen Körper, brüllende Wut loderte in mir auf, aber ich konnte sie nicht rauslassen. Konnte es einfach nicht, egal, wie sehr ich es hasste, nachzugeben. Weil es um meine Familie ging. Und ich hatte mir geschworen, meine Familie niemals zu enttäuschen.

Fuck!

Fuckfuckfuck!

»Alles klar, dann hab noch einen schönen Tag, Julian.« Ich legte auf, ohne mich zu verabschieden. Sonst hätte ich womöglich noch etwas gesagt, das ich bitter bereut hätte.

3. KAPITEL

Lily

Mit halbem Ohr bekam ich mit, wie Julian die Wohnung verließ. Er knallte die Tür so heftig hinter sich zu, dass ich glaubte, das Beben bis in mein Zimmer zu spüren. Was eigentlich völliger Quatsch war, trotzdem fühlte es sich für den Bruchteil einer Sekunde an, als würde der Boden vibrieren.

Wow. Da hatte aber jemand gute Laune. Ob die liebreizende Ava ihm wohl doch noch eine Abfuhr erteilt hatte? Bei dem Gedanken daran, wie böse sie mich angeschaut hatte, als uns allen klar geworden war, dass ich Julians neue Mitbewohnerin war, musste ich grinsen. Meinetwegen brauchte sie sich allerdings keine Sorgen zu machen. Julian war nicht mein Typ. Definitiv nicht.

Egal wie heiß er aussah mit diesen grünen Augen und dem schiefen Grinsen und …

»Lily, ist wirklich alles in Ordnung?« Moms Stimme holte mich unsanft zurück ins Hier und Jetzt. Mein Gesicht begann zu glühen, und ich war unendlich froh, dass sie nicht auf einem ihrer dämlichen Videotelefonate bestanden hatte. Das hätte mir gerade noch gefehlt.

Ich sollte nicht über Julian nachdenken, aber ich kam nicht dagegen an. Ich kannte Typen wie ihn, Aufreißer, die jede Nacht ein anderes Mädchen mit nach Hause nahmen und keine Ahnung davon hatten, wie feste Beziehungen funktionierten. Luis war genauso ein Typ gewesen. Ich hatte mich trotzdem in ihn verliebt und war naiv genug gewesen, zu glauben, dass er das Gleiche für mich empfand und sich für mich änderte.

Spoileralarm! Hatte er nicht.

Ich hatte so absolut keinen Bedarf an jemandem wie ihn in meinem Leben. Ich hatte keinen Bedarf an egal welchen Typen in meinem Leben. Oder Menschen im Allgemeinen.

»Lily?«

»Ja, Mom. Es ist alles in Ordnung. Ehrlich, ich komme klar. Ich muss jetzt nur noch mal los, einen Target suchen, sonst darf ich heute Nacht ohne Kissen und Bettdecke schlafen.«

Vorher würde ich allerdings noch mal bei der Verwaltung vorbeischauen – die in der ersten Woche glücklicherweise bis sechs Uhr geöffnet hatte, um alle Erstsemester zu versorgen – und nachfragen, wie zum Teufel es sein konnte, dass ich mit einem Kerl in eine Wohnung gesteckt worden war. Ich hatte gar nicht gewusst, dass das überhaupt möglich war. Mom erst recht nicht. Der Gedanke, dass ich meine Wohnung nicht mit einem netten Mädchen, sondern einem Typen teilte, der sich wahrscheinlich gut als Unterwäschemodel machen würde, brächte sie vermutlich um den Verstand. Sie würde augenblicklich Dad davon erzählen. Und welche Folgen das hätte, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Ich würde die Angelegenheit mit der Verwaltung klären, dann ein neues Zimmer zugeteilt bekommen, und meine überfürsorglichen Eltern mussten nie davon erfahren.

»Okay, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Aber wenn irgendetwas sein sollte …«

»Melde ich mich«, beendete ich ihren Satz und unterdrückte ein Stöhnen. »Mir geht’s gut, Mom. Ernsthaft. Du musst dir keine Sorgen um mich machen, versprochen! Ich ruf dich morgen an. Hab dich lieb.«

»Ich dich auch, Lil.«

Mit einem tiefen Seufzen legte ich auf. Ich hätte mich jetzt am liebsten auf mein Bett geworfen, mich unter meiner Decke verkrochen und den Rest des Tages verschlafen.

Nur war das leider nicht drin.

Darum griff ich nach meiner Handtasche, versicherte mich, dass ich den Wohnungsschlüssel wieder eingesteckt hatte, und verließ das Wohnheim. Als ich nach draußen trat, dämmerte es bereits, obwohl es noch gar nicht so spät war, erst kurz nach halb fünf.

Vereinzelt spendeten Laternen Licht, doch viel nützte das nicht. Noch ein paar Minuten und es würde wahrscheinlich so dunkel sein, dass man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Okay, das war vermutlich ein kleines bisschen übertrieben, trotzdem war Faerfax kein Vergleich zu New York. Die Stadt, die niemals schläft. Die niemals dunkel war. Die auf gar keinen Fall jemals so dunkel sein konnte, wie diese Stadt mitten im Nirgendwo von Illinois.

Sehnsucht durchfuhr mich, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob ich wohl die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich hätte an die NYU gehen können, vielleicht sogar an die Columbia, wenn Dad ein gutes Wort für mich eingelegt hätte. Stattdessen hatte ich mich in einem Anfall von was auch immer dazu hinreißen lassen, der Faerfax University zuzusagen.

Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich daran dachte, wie ungläubig Mom mich angeschaut hatte, als ich meiner Familie meine Entscheidung mitgeteilt hatte, ausgerechnet an Moms altes College gehen zu wollen.

Dann erinnerte ich mich jedoch daran, dass ich mich vor allem für Faerfax entschieden hatte, weil es knapp neunhundert Meilen von New York entfernt war, und mein Lächeln erlosch.

New York war wunderschön, das stimmte. Laut, schmutzig, hell und dennoch wunderschön. Doch ich war dort auch zerbrochen. Und ich war hergekommen, damit ich endlich heilen konnte, weit weg von meiner Familie. Weit weg von Rosie.

Hier würde ich nicht nur daran denken, was ich verloren hatte. Hier konnte ich nach vorne sehen.

Hoffentlich.

Als ich anderthalb Stunden später mit schmerzenden Armen in die Wohnung zurückkehrte, herrschte dort Totenstille. Ich hielt kurz inne, lauschte, ob Julian vielleicht in seinem Zimmer war, doch er schien nicht da zu sein.

Aufstöhnend ließ ich meinen Koffer auf den Boden fallen. Eine Sekunde später folgten die beiden überdimensionalen Baumwolltaschen, in die ich nicht nur ein Kissen und eine Decke, sondern auch allerlei Deko gestopft hatte. Ich hatte noch nicht einmal die halbe Strecke vom Parkplatz zum Wohnheim zurückgelegt, als ich gemerkt hatte, wie schwer mein Gepäck war, auch wenn mein Koffer Rollen besaß, sodass ich ihn hinter mir herziehen konnte. Trotzdem war das Teil verdammt schwer. Aber umzukehren, einen Teil davon wieder im Mietwagen zu verstauen und mich dann ein zweites Mal auf den Weg zu machen, kam gar nicht infrage.

Meine schmerzenden Schultern waren jetzt der Preis für meine Faulheit.

Mom hatte mich zu dem Mietwagen überredet. Ich hatte eigentlich mit einem Taxi vom Flughafen hierherfahren wollen, aber sie hatte auf den Mietwagen bestanden, als hätte sie geahnt, dass ich ihn noch brauchen würde. Vielleicht war es so eine Art mütterlicher Instinkt gewesen oder so. Glücklicherweise konnte ich den Wagen auch problemlos bei einer Filiale in Faerfax abgeben. Mom hatte mal wieder an alles gedacht. Wie immer.

Ich hatte es gerade geschafft, meinen Koffer mit Mühe und Not in mein Zimmer zu bugsieren – ehrlich, das Teil war mit jedem Meter schwerer geworden –, als es an der Tür klopfte.

Mit schnellen Schritten lief ich durchs Wohnzimmer und sah mich einen Moment später einem zierlichen Mädchen mit schwarzen, kinnlangen Haaren gegenüber. Sie war etwa so groß wie ich, also ziemlich klein.

»Oh«, machte sie und blickte mich aus großen braunen Augen überrascht an. »Du bist nicht Julian.«

»Nein. Bin ich nicht«, bestätigte ich und musterte sie neugierig. Sie war sogar noch hübscher als Ava, was vor allem an dem fröhlichen Leuchten in ihren Augen und dem sanften Lächeln lag, das sich jetzt auf ihrem Gesicht ausbreitete. Trotzdem war nicht zu leugnen, dass Julian offensichtlich auf einen ganz bestimmten Typ Frau stand.

Wow. Ich hatte bisher keine fünf Sätze mit ihm gewechselt, aber das wusste ich schon.

Das Mädchen streckte mir eine Hand entgegen, ihr Lächeln wurde breiter. »Du musst Julians neue Mitbewohnerin sein, oder? Ich bin Cassidy.«

»Lily«, stellte ich mich perplex vor und schüttelte kurz ihre Hand. Ja, sie war ganz anders als Ava. Und auch wenn ich mir geschworen hatte, mich nicht nur von Männern fernzuhalten, sondern mir hier auch keine Freunde zu suchen, konnte ich sie unmöglich in ihr Verderben rennen lassen. Andererseits würde uns das auch noch lange nicht zu Freundinnen machen.

»Hör mal, keine Ahnung, ob du weißt, was für ein Typ Julian ist, aber es ist noch keine zwei Stunden her, da war er mit einem anderen Mädchen hier.« Ich warf ihr einen vielsagenden Blick zu, und Cassidy verzog irritiert das Gesicht. Dann weiteten sich ihre Augen, als sie begriff, worauf ich hinauswollte. Ich machte mich auf Wut und Tränen gefasst, stattdessen begann sie schallend zu lachen.

»Du denkst, ich hätte was mit Julian?« Sie schnappte nach Luft. »Oh Gott, nein! Wir sind nur Freunde, ganz ehrlich!« Kichernd wischte sie sich Lachtränen aus den Augen, während mir das Blut in die Wangen schoss.

Klasse. Tag eins, und ich hatte mich schon ein zweites Mal total zum Affen gemacht.

»Oh. Tut mir leid, ich dachte …« Verlegen brach ich ab und wünschte, ich hätte nichts gesagt. Dann hätte ich mir diese peinliche Szene erspart.

Doch anstatt darauf herumzureiten, wie sehr ich mich geirrt hatte, deutete Cassidy hinter mich, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, und wechselte das Thema. »Brauchst du Hilfe?«

Ich folgte ihrem Blick und stellte fest, dass Kissen, Decke und Deko sich verselbstständigt und auf dem Wohnzimmerboden ausgebreitet hatten. Die Tüten waren ihnen wohl zu eng gewesen.

Ich seufzte lautlos. Der Tag wurde von Minute zu Minute immer besser.

»Also? Brauchst du Hilfe?« Cassidy sah mich mit hochgezogenen Brauen fragend an, ihre Augen blitzten gutmütig, und eine Sekunde lang war ich versucht, ihr Angebot anzunehmen. Dann erinnerte ich mich wieder daran, dass ich bisher keine guten Erfahrungen mit anderen Mädchen gemacht hatte, und schüttelte den Kopf.

»Nein, danke, ich komme schon klar.«

»Okay«, gab sie unbekümmert zurück und zuckte mit den Schultern. »Aber wenn du was brauchst, sag einfach Bescheid. Wir sehen uns in Zukunft bestimmt öfter.«

Da hatte sie vermutlich sogar recht, denn das Gespräch mit der Dame in der Univerwaltung war leider ziemlich unergiebig gewesen. Ich würde kein neues Zimmer bekommen. Ich knirschte mit den Zähnen, als ich daran zurückdachte, wie sie gelacht hatte, als ich ihr mein Problem geschildert hatte. Ihr »Miss Matson, bei uns läuft alles ein bisschen anders als an anderen Universitäten. Wir gehen nämlich schwer davon aus, dass sie alt genug und in der Lage sind, mit einem männlichen Mitbewohner zurechtzukommen« klang mir immer noch in den Ohren. Und alles nur, weil ich mich erst in letzter Sekunde für die Faerfax University und ein Zimmer im Wohnheim entschieden hatte. Ausgerechnet in Julians Wohnung war das letzte freie Zimmer gewesen. Sein Mitbewohner war wohl erst vor Kurzem ausgezogen. Sie hatte lächelnd gemeint, ich hätte großes Glück gehabt, da die Wohnheimzimmer eigentlich immer alle sofort weg waren, sobald eines frei wurde. Ich bezweifelte stark, dass das tatsächlich was mit Glück zu tun hatte. Eher mit miesem Karma oder so.

»Bestimmt«, antwortete ich krächzend und war mir nicht sicher, ob mir die Vorstellung, Cassidy öfter zu begegnen, besonders gut gefiel, ganz egal, wie nett sie auf Anhieb wirkte.

Cassidy nickte, als wüsste sie, was in meinem Kopf vor sich ging, wandte sich ab, hielt dann aber noch einmal inne und schenkte mir ein warmes Lächeln. »Willkommen in Faerfax.«

Ich kam nicht dazu, etwas zu antworten. Sie wirbelte herum und verschwand. Völlig verblüfft blieb ich in der offenen Tür stehen. Wo war ich denn hier gelandet?

Kopfschüttelnd schloss ich die Tür, schnappte mir auf dem Weg in mein Zimmer Kissen und Decke und warf sie auf mein Bett. Die Kerzen und Lichterketten, an denen ich nicht hatte vorbeigehen können, landeten einen Moment später wieder in der Tüte. Dekorieren würde ich erst, wenn mein restliches Zeug angekommen war.

Jetzt würde ich nur schnell mein Bett beziehen, dann heiß duschen und mich anschließend unter meiner Decke verkriechen, um endlich die achte Staffel Suits weiterzugucken. Auch wenn ich gar nicht viel gemacht hatte, war der Tag unerwartet anstrengend gewesen.

Voller Vorfreude öffnete ich meinen Koffer und erstarrte, als ich sah, was ganz obenauf lag.

Mein Herz setzte einen Schlag aus, während das Blut in meinen Ohren zu rauschen begann. Meine Hände zitterten, als ich sie nach den Spitzenschuhen ausstreckte.

Sie waren noch neu, gerade erst eingetanzt. Ich hatte sie erst drei Tage getragen, bevor ich den Unfall gehabt hatte.

Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf. Luis, dessen Hände fest um meine Taille lagen. Der Bühnenboden unter mir, das Gefühl zu fliegen, das mich bei einer Hebefigur jedes Mal durchströmte. Ich spürte wieder die Spannung in jedem einzelnen Muskel, spürte die Freude in jeder Faser meines Körpers, weil ich das tat, was ich liebte. Dann ein Stolpern und ein entsetzlicher Schmerz, der durch meinen Fuß fuhr, als ich unsanft auf dem Boden aufkam. Ein Geräusch, ähnlich einem Peitschenhieb, war über die Bühne gehallt, dicht gefolgt von meinem spitzen Schrei.

Ich merkte erst, dass ich angefangen hatte zu weinen, als ich erstickt aufschluchzte.

Ein Moment. Nur ein Moment und alles war kaputtgegangen.

Mein Herz tat weh. Mein Körper tat weh. Einfach alles tat weh. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich, wieder diesen grauenhaften Schmerz in meinem Bein zu spüren, als die Achillessehne gerissen war. Aber dieser Schmerz war schon vor Wochen verschwunden. Der Schmerz über einen zerplatzten Traum hingegen war geblieben.

Meine Finger krallten sich so fest um die Spitzenschuhe, dass es schmerzte. Ich wusste genau, wer sie in meinen Koffer gelegt hatte. Rose.

Wut stieg in mir auf. Wut auf meine Schwester, die mir mein Versagen unter die Nase reiben musste. Die noch eine Chance hatte, diesen Traum selbst zu leben, obwohl es nie nur ihr Traum gewesen war, sondern unserer. Wir hatten uns gemeinsam für das Ballett entschieden. Wir hatten gemeinsam geträumt. Jetzt wusste ich nicht mal mehr, wie es sich anfühlte zu träumen. Und Rose … Sie hatte alles und ich gar nichts mehr.

»Hey, alles okay?«

Erschrocken fuhr ich herum, die verfluchten Schuhe immer noch in der Hand, als könnte ich sie nie wieder loslassen.

Julian stand in der Tür, betrachtete mich mit gerunzelter Stirn und Sorge in den Augen.

»Raus hier!«, fauchte ich.

»Was?« Die Sorge verschwand, stattdessen trat Ungläubigkeit in seinen Blick.

»Raus hier!« Meine Stimme war zwei Oktaven in die Höhe geschossen. Ich sprang auf und baute mich wütend vor ihm auf. Es war mir egal, dass er mir nichts getan hatte. Dass er nur höflich war. Es war mir auch egal, dass ich mich unmöglich benahm. Ich wollte einfach nur, dass er verschwand.

Beschwichtigend hob Julian beide Hände. »Ich wollte nur –«

»Jetzt hau endlich ab!«, schrie ich ihn an und warf die Spitzenschuhe mit voller Wucht in die Ecke neben der Zimmertür. Mit einem dumpfen Knall fielen sie zu Boden. Julian zuckte zusammen, dann wirbelte er ohne ein weiteres Wort herum und ließ mich allein.

Kraftlos sackte ich auf dem Boden zusammen. Mein Neuanfang war jetzt schon eine absolute Katastrophe.

Ich war eine absolute Katastrophe.