Kairo, 25. Januar 2011, 25.000 Menschen demonstrieren gegen Mubarak. Sie träumen von der großen Veränderung, doch während in der euphorischen Menge Liebesbeziehungen aufblühen, wird der Bürgerrechtler Khaled vor den Augen aller ermordet. Seine Freundin Dania will ihren Widerstand nicht aufgeben — und sei es gegen den eigenen Vater, den bigotten Geheimdienstchef, der islamische Werte predigt und heimlich Pornos schaut. Al-Aswanis Figuren verkörpern in diesem mitreißenden Buch, das in Ägypten verboten wurde, alle Facetten der Revolution, die für jede von ihnen einen Wendepunkt in ihrem Schicksal bedeutet. Ein unvergessliches Porträt der modernen ägyptischen Gesellschaft.
ALAA AL-ASWANI
DIE REPUBLIK DER TRÄUMER
Roman
Aus dem Arabischen von Markus Lemke
Carl Hanser Verlag
Für meine Frau Taymur
Und meine Kinder Seif, Mu’tazz, May und Nada
Generalmajor Ahmed Alwani braucht keinen Wecker.
Kaum dass der Ruf zum Morgengebet ertönt, wacht er von alleine auf. Mit offenen Augen bleibt er noch eine Weile im Bett liegen und spricht flüsternd die Worte des Gebetsrufs mit, erhebt sich dann und geht ins Bad, vollzieht schnell die rituelle Waschung und kämmt sein (bis auf zwei schmale, parallele graue Streifen, die er an beiden Schläfen hat stehen lassen) sorgfältig schwarz gefärbtes Haar, zieht dann seinen eleganten Trainingsanzug an und begibt sich zur benachbarten Moschee. Der Kommandant seiner Leibwache hat ihn schon mehrfach gedrängt, doch eine Moschee im Inneren seiner Privatvilla einrichten zu lassen, was seinen Schutz merklich erleichtern würde, doch Generalmajor Alwani hat stets abgelehnt, denn er liebt es, unter Leuten zu beten wie ein ganz gewöhnlicher Sterblicher. Zu Fuß überquert er die Straße, umringt von vier Leibwächtern, die mit entsicherter Waffe den Weg sondieren, bereit, jeden Augenblick das Feuer zu eröffnen. Am Portal der Moschee trennen sie sich, zwei bleiben draußen, während die anderen beiden in der Moschee über ihn wachen, da er sein Gebet verrichtet. In diesen leuchtenden, gesegneten Augenblicken verabschiedet sich Generalmajor Alwani in eine andere Welt, wird von einem Gefühl tiefer, aufrichtiger Demut übermannt, sieht weder seine Leibwächter noch die anderen Betenden, denkt nicht an sein Amt, seine Kinder oder Gattin, trägt seine Schuhe unter dem Arm wie jeder andere Beter auch, geht gesenkten Hauptes, bis er eine weit entfernte Ecke erreicht hat, wo er die beiden Gebetsformeln zur Begrüßung der Moschee betet, dann die beiden Rak’a der Morgenpflicht, dann das Gebet der Lobpreisungen und das Bittgebet für die Vergebung, ehe das gemeinschaftliche Gebet beginnt. Trotz des Drängens der anderen Frommen hat es Generalmajor Alwani stets abgelehnt, als ihr Vorbeter zu fungieren, und besteht darauf, sein Gebet in der hintersten Reihe zu verrichten. Demütig hält er den Kopf gesenkt und oft kommen ihm die Tränen, wenn der Imam mit seiner wohlklingenden Stimme die Verse des Korans rezitiert. Das Gebet befreit ihn und gibt ihm das Gefühl, ein neuer Mensch zu sein. Es reinigt seinen Geist und vertreibt die Sorgen, lässt ihn eine innere Ruhe empfinden, als sei das Gebet ein Schluck kühlen Wassers, der ihm gereicht wird in der Gluthitze des Sommers. Die Welt wird unbedeutend in seinen Augen und erscheint ihm weniger wert als ein Mückenflügel. Er wundert sich über den täglichen Kampf der Menschen um Vergünstigungen und Annehmlichkeiten und ihre Gier nach flüchtigen Genüssen. Wozu dieses verbissene Ringen und Konkurrenzdenken, und was nützen all die Verlogenheit, der Neid und die Intrigen? Sind wir nicht alle vergänglich? Werden wir nicht eines Tages für immer in der feuchten Erde ruhen und werden nicht unsere Seelen zu ihrem Schöpfer aufsteigen, der uns für unsere Taten zur Rechenschaft zieht?
Am Jüngsten Tag wird uns weder Ansehen noch Geld nützen, wird uns nichts als das rechtschaffene Tun erretten.
Seit achtundfünfzig Jahren schon lebt Seine Exzellenz, Generalmajor Alwani, gläubig und bekennend, versäumt weder Pflichtgebete noch traditionelle Ritualgebete, unternimmt keinen Schritt im Leben, ehe er sich nicht vergewissert hat, dass dieser nach religiösem Recht auch zulässig ist. Sein Lebtag hat er noch keinen Tropfen Alkohol getrunken oder einen Zug Haschisch inhaliert. Er raucht überhaupt nicht und wohnt keiner Frau bei, außer im eigenen Ehebett. (Abgesehen allein von ein paar unreifen sexuellen Abenteuern in seiner Jugend, für die er Gott noch immer um Vergebung bittet.) Schon zweimal ist er, Gott sei gelobt, nach Mekka gepilgert und hat bereits dreimal die ‘Umra, die kleinere Wallfahrt, dorthin vollzogen, und über seine Wohltätigkeit an den Armen ließe sich lange reden. Zehn ganze Familien leben von monatlichen Zuwendungen, für die er aus eigener Tasche aufkommt. Als einer von ihnen ihm dafür danken will, lächelt General Alwani und flüstert:
»Aber nicht doch, mein Junge. Aus meiner Tasche habe ich dir gar nichts gegeben. Das Geld ist Gottes Gabe und ich bin nur sein Wächter. Doch bitte, Bruder, bezieh mich in dein Gebet mit ein, auf dass Gott mir vergibt.«
Im Gegensatz zu vielen, die in unserem Land eine gehobene Stellung innehaben, zieht es Generalmajor Alwani auch vor, von den Leuten mit dem religiösen Titel »Hagg« angesprochen zu werden, und nicht mit »Herr Generalmajor« oder »Pascha«. Nach dem Gebet kehrt er nach Hause zurück und nimmt wie gewöhnlich im geräumigen Salon auf einem bequemen Sofa Platz, um im Koran zu lesen. Er beginnt mit den beiden letzten Suren des Korans, den Versen der Zuflucht, und einigen weiteren kurzen Suren, liest dann so viel, wie ihm möglich ist, aus der Sure al-Baqara, die ja auch in der Überlieferung über den Propheten erwähnt wird: »Wer sie bei Tage in seinem Haus liest, den wird der Teufel drei Tage nicht heimsuchen.« Nach dem Lobpreis Gottes und der Bitte um Vergebung steigt Generalmajor Alwani die Treppe zu seinem Trakt im zweiten Stock hoch. Dort nimmt er ein heißes Bad, schlüpft dann nackt in den Bademantel und begibt sich in die winzige Küche, um sich eigenhändig sein Frühstück zuzubereiten: Zwei große Löffel von dem vorzüglichen Berghonig, mit dem der jemenitische Botschafter in Kairo ihn regelmäßig bedenkt, dazu eine Scheibe getoastetes Weißbrot, dick belegt mit Schweizer Käse, den er liebt, und zuletzt mehrere Pancakes mit Erdbeeren und Schokoladensauce. Dazu trinkt er einen riesigen Becher Tee mit Milch, gefolgt von einem gesüßten Mokka.
Und was tut der Generalmajor hernach?
Über das Erlaubte zu sprechen ist nicht unstatthaft: Generalmajor Ahmed Alwani gehört zu denen, die sich am Morgen gerne sexuell betätigen, eine Angewohnheit, die vielleicht auf seine vielen Nachtschichten und die Arbeit bis in die frühen Morgenstunden zurückzuführen ist. Schon sitzt er auf der Bettkante, während Hagga Tahani, seine Frau, noch tief und fest schläft. Er streckt die Hand nach der Fernbedienung aus und schaltet einen der Pornokanäle an, stellt die Lautstärke so ein, dass man sie außerhalb des Zimmers nicht hörte. Dann starrt er auf das Treiben auf dem Bildschirm, bis er nicht mehr imstande ist, die Sinnesreizung zu ertragen, streift den Bademantel ab, fällt über seine Frau her, küsst sie verlangend, erkundet ihren gewaltigen Körper und ist überrascht von ihrer sofortigen und erhitzten Reaktion. (Wahrscheinlich hat sie den Film schon unter der Decke mitverfolgt.) Die Rechtschaffenheit unseres Generalmajors Alwani und sein Leben ohne Ausschweifungen, seine militärische Ausbildung und der regelmäßige Sport, das Achten auf eine vollwertige Ernährung — all dies hat ihm (auch ohne Stimulanzien) seine Potenz bewahrt, und während er noch über Szenen aus dem Pornostreifen nachsinnt, turnt und tummelt er sich auf dem Bett, als wäre er höchstens vierzig.
Sicher wird mancher fragen: Wie kann ein gottesfürchtiger Muslim wie Generalmajor Alwani sich Pornos anschauen?
Eine Frage, die nur ein Ignorant stellen kann oder jemand, der missgünstig ist. Gewiss verpönt das religiöse Gesetz den Pornokonsum, doch zählt er nicht zu den schweren Vergehen wie Totschlag, Ehebruch oder der Konsum von Alkohol. Auch mag es gestattet sein, zuweilen etwas Verpöntes zu tun, wenn es den Gläubigen davon abhält, schwere Sünden zu begehen, ganz nach dem Grundsatz »der Zweck heiligt die Mittel«. Kraft seines Amtes als Chef des Inlandsgeheimdienstes hat Generalmajor Alwani tagtäglich mit den schönsten Frauen Ägyptens zu tun, die ihn in Beziehungen locken und seinen Einfluss ausnutzen wollen. Auch stellen ihm ausländische Geheimdienste oft verführerische Frauen in den Weg, um ihn zu erpressen oder Staatsgeheimnisse auszuspionieren. Alles dies sind ernste Gefahren, die ihm da auflauern, und im Kampf gegen die Versuchung berückend hübscher Frauen hat er nur seine verdienstvolle Ehefrau, die Hagga Tahani Talima, die auch schon die fünfzig überschritten hat und deren Gesicht von Falten zerfurcht ist, die aber eine Schönheitsoperation ablehnt, da sie ja im Islam verboten ist. Hagga Tahanis Körper ist wabbelig und hat reichlich Fett angesetzt — mittlerweile wiegt sie einhundertzwanzig Kilo — und ihr einen gewaltigen Bauch beschert, der unmittelbar unter ihren erschöpft herabhängenden Brüsten beginnt und seine größte Ausdehnung am Nabel erfährt, um alsdann nach unten hin abzufallen und so einen Halbkreis zu vollenden. Dieser einzigartige, beinahe männlich anmutende Bauch allein wäre ein Garant, um der Begierde des Generalmajors Alwani endgültig den Garaus zu machen, wären da nicht die Pornofilme. Seinen Freunden hat der Geheimdienstchef einmal anvertraut:
»Wenn du gezwungen wärst, dreißig Jahre lang nur ein Gericht zu essen, dann würdest du verhungern, gäbest du nicht ein paar Gewürze hinzu.«
Das morgendliche Prozedere war vollendet, erst das Gebet und die Lektüre im Koran, dann das Frühstück und die gottgefällige Vereinigung, doch jetzt war es Zeit für die Arbeit. Kaum dass Generalmajor Alwani aus der Tür seiner Villa trat, salutierten die Soldaten seiner Leibwache, und einer von ihnen hastete zu der schwarzen, gepanzerten Mercedeslimousine und riss die Tür auf. Alwani ließ sich auf die Rückbank fallen, und der schwere Wagen setzte sich langsam in Bewegung, flankiert von zwei Begleitfahrzeugen und vier Motorrädern, gesteuert von bewaffneten Offizieren. Von seinem Anwesen bis zum Hauptquartier dauerte die Fahrt eigentlich keine halbe Stunde, doch in der Regel brauchte er mindestens das Doppelte der Zeit, da der Kommandant seiner Leibwache darauf bestand, die Route täglich zu ändern, um einem möglichen Hinterhalt oder Terroranschlag Rechnung zu tragen. Der Generalmajor vertiefte sich in die Berichte, die im Laufe der Nacht angefertigt worden waren, und erteilte telefonisch dringende Instruktionen, und als der Wagen durch das Eingangstor des Gebäudekomplexes rollte, hallte das Kommando »Achtung« über den Hof, gefolgt vom dumpfen Knall der Gewehrkolben, die auf den Boden gestoßen wurden, während ihre Träger salutierten. Der Generalmajor sprang behände aus dem Wagen und erwiderte den Gruß seiner Adjutanten, die am Eingang des Gebäudes auf ihn warteten. Ihre langjährige Zusammenarbeit mit ihm versetzte sie in die Lage, seinen Gesichtsausdruck lesen zu können, weshalb sie gleich registrierten, der Generalmajor war an diesem Morgen ausgesucht schlechter Laune. Finster sah er sie an und sagte:
»Hat der Junge geredet?«
Einer von ihnen antwortete:
»Oberstleutnant Tariq verhört ihn gerade, Effendi.«
Die Verärgerung auf dem Gesicht von Generalmajor Alwani war unverkennbar, und anstatt sich in sein Büro im dritten Stock zu begeben, befahl er dem Aufzugführer, ihn in den Keller zu den Verhörräumen zu fahren. Die feuchte, faulige Luft des Kellergewölbes schlug ihm entgegen und die eisernen Türen öffneten sich ihm mit düsterem Quietschen. Der Generalmajor schritt kräftig aus, erwiderte den militärischen Gruß eines Soldaten nach dem anderen, bis er schließlich einen kleinen Saal betrat, dessen schmale, hoch gelegene Fenster mit Eisenstangen vergittert waren und in dem metallene Gerätschaften verteilt standen, die Arme, Griffe und Räder hatten, sodass man auf den ersten Blick hätte meinen können, es handele sich um Sportgeräte. Ein Mann mit verbundenen Augen hing dort, die Hände mit einem groben Strick gefesselt, baumelnd an einem eisernen Haken, der in der Decke verankert war. Nackt war er bis auf die Unterhose und sein Körper bedeckt von Hämatomen und offenen Wunden, während sein Gesicht angeschwollen war und Augen und Lippen unter geronnenem Blut fast verschwanden. Vor ihm standen vier Verhörgehilfen und hinter einem Schreibtisch saß ein Offizier im Range eines Oberstleutnants, der, als er Generalmajor Alwani sah, aufsprang und salutierte. Der Generalmajor nahm den Offizier beiseite und tauschte sich flüsternd mit ihm aus, ehe beide zu dem gefesselten Mann zurückkehrten, der plötzlich einen Klagelaut von sich gab, als wollte er den neu Eingetroffenen um Mitleid ersuchen. Generalmajor Alwani fragte ihn mit heiserer Stimme:
»Wie heißt du, Junge?«
»Arabi al-Sayyed Shushe.«
»Sprich lauter. Ich höre nichts.«
»Arabi al-Sayyed Shushe.«
»Lauter!«
Jedes Mal wenn Alwani von dem Mann verlangte, lauter zu sprechen, verpasste einer der Gehilfen ihm einen Schlag mit dem Stock. Der Gefolterte schrie immer lauter, bis er plötzlich zu weinen begann. Da erst machte der Generalmajor den Schergen ein Zeichen, mit dem Schlagen aufzuhören, und sagte dann in ruhigem, sachlichem Ton, wie ein Arzt ihn seinen Patienten gegenüber beim Beratungsgespräch bemüht:
»Hör zu, mein lieber Arabi. Willst du zurück nach Hause und zu deinen Kindern, musst du reden. Denn wir werden dich nicht einfach so laufen lassen. Wir werden dich schlagen, bis du verreckst, und dich hier verscharren, und keiner wird wissen, wo du abgeblieben bist.«
Mit tränenerstickter Stimme brüllte der Mann:
»O Pascha, beim allmächtigen Gott, ich weiß gar nichts.«
Worauf der Generalmajor beinahe mitleidig erwiderte:
»Gott ist allmächtig und ich bin betrübt über deine Lage. Sei vernünftig, mein Sohn, anstatt dich selbst ins Unglück zu stürzen.«
»Haben Sie Mitleid mit mir, Pascha!«, keuchte der Mann.
»Hab Mitleid mit dir selbst und rede.«
»Exzellenz, ich weiß doch nichts.«
Das war der Zeitpunkt, an dem Oberstleutnant Tariq spürbar ärgerlich brüllte:
»Beim Leben deiner Mutter, du Hurensohn!«
Was wiederum ein Zeichen sein musste, denn einer der Gehilfen beugte sich nun über einen großen, schwarzen Apparat, der an eine Klimaanlage erinnerte, steckte ein dickes Kabel hinein, das in zwei blanken Metallklammern endete, und befestigte diese an den Hoden des Mannes. Dann drückte er auf einen Knopf an dem Apparat und der Mann erbebte am ganzen Leib und stieß mehrere aufeinanderfolgende, gellende Schreie aus, die durch das Gewölbe hallten. Es folgten noch etliche Stromstöße, bis der Generalmajor mit der Hand ein Zeichen machte und mit einer Stimme wie ein Donner brüllte:
»Wir haben deine Frau Marwa hergebracht. Ich schwöre bei Gott, du Hurensohn, wenn du jetzt nicht redest, werde ich die Soldaten sie vor deinen Augen bespringen lassen.«
»Ihr versündigt euch«, brüllte der Mann.
Alwani warf den Gehilfen einen Blick zu, worauf diese nach draußen hasteten, und als sie wiederkamen, hielten sie mit eisernem Griff eine Frau in einem weiten, zerrissenen Hausgewand, die Haare zerzaust und das Gesicht von Schlägen entstellt. Als sie unter den Hieben der Soldaten erneut aufschrie, erkannte der Gefangene sie an der Stimme und brüllte:
»Lasst mir meine Ehre.«
Doch der Generalmajor bellte:
»Zieht sie aus!«
Die Schergen stürzten sich auf die Frau, und obwohl sie sich mit Heldenmut wehrte, waren die Männer stärker als sie und rissen ihr ihren Dschilbab gänzlich vom Leib, und als ihre Unterwäsche zum Vorschein kam, lachte Alwani und sagte:
»Ja, was haben wir denn da Nettes? Arabi, was hast du nur für ein Glück. Deine Frau trägt immer noch diese Baumwollbustiers die ganz früher mal Mode waren, die Dinger wurden Leibchen genannt.«
Die Anwesenden lachten zum Scherz Seiner Exzellenz, des Generalmajors, und versuchten, sich mit sarkastischen Bemerkungen zu überbieten, bis Alwani vergnügt meinte:
»Nehmt ihr das Teil ab. Welche Form haben denn ihre Brustwarzen, Arabi? Ehrlich gesagt liebe ich die großen, dunklen Nippel.«
Die Soldaten rissen der Frau den BH herunter, worauf diese einen einzigen, langgezogenen Schrei ausstieß.
Der Mann am Haken erbebte und wimmerte:
»Bitte, o Pascha, ich werde reden. Ich werde reden.«
Oberstleutnant Tariq trat nahe an ihn heran und schrie gellend:
»Entweder du redest, du Hurensohn, oder ich lasse meine Männer sie schwängern.«
»Ich werde reden, bei Gott dem Allmächtigen.«
»Bist du Mitglied der Organisation?«
»Ja.«
»Welche Region?«
»In Shubra El Kheima.«
»Und wer ist dein Verbindungsmann?«
»‘Abdelrahman Mutawalli.«
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Generalmajor Alwani entfernte sich ein paar Schritte in Richtung Tür, drehte sich dann um, zeigte mit dem Finger auf Oberstleutnant Tariq und sagte:
»Hättest du seine Frau gleich hergebracht, hättest du dir viel Mühe ersparen können.«
Oberstleutnant Tariq lächelte gequält und erwiderte:
»Unser Herr möge Sie erhalten, Effendi. Jeden Tag lerne ich von Eurer Exzellenz eine neue Lektion.«
Generalmajor Alwani bedachte ihn mit einem väterlichen Blick und sagte:
»Mach eine Aufzeichnung von dem Geständnis und setz deinen Bericht auf. Ich warte in meinem Büro.«
*
Der Mann war als Frau verkleidet und mit einem Niqab bis zur Unkenntlichkeit verschleiert an der Metrostation Dar El Salam aufgegriffen und auf das nächste Polizeirevier gebracht worden, um dann der Anklage vorgeführt zu werden, die ihn bestimmt wieder hätte laufen lassen. Doch eine Überprüfung seiner Fingerabdrücke ergab, dass er unter ganz anderem Namen registriert war, worauf man ihn an den Inlandsgeheimdienst überstellte, wo er schließlich ein vollumfängliches Geständnis ablegte. Sagte, er sei Mitglied einer in mehreren Provinzen operierenden Organisation und dass er den Niqab trage, um so, ohne Verdacht zu wecken, die Familien der Inhaftierten besuchen zu können. Generalmajor Alwani erteilte seinen Offizieren Instruktionen, die Mitglieder der Organisation beschatten zu lassen und tägliche Berichte über gewonnene Informationen zu verfassen. Die ganze Sache war ein weiterer Leistungsnachweis des Nachrichtendienstes und desjenigen, der an seiner Spitze stand, dennoch wirkte Seine Exzellenz, sooft seine Offiziere verstohlen nach ihm blickten, den ganzen Nachmittag über besorgt. So sehr, dass er nach Verrichtung des Nachmittagsgebets von seinem Bürovorsteher verlangte, niemanden mehr zu ihm vorzulassen, da er allein zu sein wünsche. Er legte sich rücklings aufs Sofa und ließ die Gebetskette durch die Finger gleiten, bat Gott, ihn vor Satan, dem Verfluchten, zu bewahren. Doch warum nur empfand er Bedrückung? Gott meinte es doch über alle Maßen gut mit ihm, hatte ihn mit der Süße des Glaubens, der Stärke seines Gehorsams und dem Erfolg in seiner Tätigkeit bedacht. Immerhin hatte der Staatspräsident höchstpersönlich schon mehr als ein Mal während einer Kabinettssitzung die Leistung des Geheimdienstes lobend erwähnt. So etwa im vergangenen Jahr, als es dem Dienst gelungen war, in Alexandria einen Attentatsversuch auf den Präsidenten zu vereiteln und sämtliche Verschwörer zu fassen, da hatte Seine Exzellenz, der Staatspräsident, angeordnet, jeden Offizier des Nachrichtendienstes mit einer stattlichen Belohnung zu bedenken, und hatte Generalmajor Alwani höchstpersönlich in den Präsidentenpalast nach Heliopolis bestellt und ihn beglückwünscht:
»Bravo, Alwani! Ich hatte schon daran gedacht, Sie zum Ministerpräsidenten zu ernennen, wissen Sie. Aber das Problem ist, ich finde niemanden, der Sie mit Ihren Fähigkeiten im Geheimdienst ersetzen könnte.«
Worauf der Generalmajor mit Inbrunst geantwortet hatte:
»Exzellenz, Sie sind der Oberbefehlshaber und ich nur ein einfacher Soldat, dessen Aufgabe ist, Befehle auszuführen. Von Ihnen habe ich gelernt, meinem Land zu dienen, auf welcher Position auch immer.«
Auch hatte Gott dem Generalmajor gute Gesundheit und reichlich Auskommen gewährt, lebte er doch mit seiner Familie in einer Villa im neuen Nobelvorort Tagammu’ al-Khamis auf einer Fläche von fast fünf Hektar, mit Pool, Tennisplätzen und eigener Obstplantage. Zudem besaß Alwani etliche Luxusvillen an der ägyptischen Mittelmeerküste, in Sharm el-Sheikh, in Ain Sukhna am Golf von Suez, in Alexandria und Marsa Matruh, in Hurghada und Luxor, dazu ein 250-Quadratmeterapartment im Pariser Stadtviertel Saint-Germain-des-Prés, eine elegante, zweigeschossige Wohnung mitsamt schönem Garten im Londoner Stadtteil Queens Gate gleich neben dem Hyde Park und ein geräumiges Luxusapartment in Manhattan. Außerdem verfügte er über eine Vielzahl von Bankkonten, die meisten davon außerhalb Ägyptens (für den Fall unvorhergesehen eintretender Ereignisse). Auch die Familie des Generalmajors hatte Gott gesegnet, war doch sein ältester Sohn, ‘Abdelrahman, Richter geworden, Bilal, der mittlere, Offizier bei der Republikanischen Garde, während Dania, die Jüngste, Medizin in Kairo studierte. Seine Frau indes, Hagga Tahani, Gefährtin im täglichen Kampf und Quell seines Glücks, war trotz ihres fortgeschrittenen Alters und ihrer gewaltigen Leibesfülle mit einer Energie gesegnet, die der jüngerer und schlankerer Frauen in nichts nachstand. Zum einen erfüllte sie als Ehefrau das Bedürfnis ihres Mannes nach trauter Zweisamkeit wenigstens zweimal pro Woche, zum anderen hatte sie als Mutter ihre Kinder gehegt und gepflegt, bis diese den sicheren Hafen erreicht hatten. Inzwischen fungierte sie als Vorsitzende von »Beginne!«, einem Verein, der sich um die Unterbringung und Ausbildung von Straßenkindern kümmerte, damit sie zu rechtschaffenen Bürgern würden. Als strenggläubige Muslimin organisierte sie in ihrem Haus Religionsunterricht und sorgte so — dank Gottes Güte — für die fromme Anleitung Vieler. Zudem war Hagga Tahani Eigentümerin des Bauunternehmens »Sesam«, eines der größten in Ägypten. Richtigerweise muss man sagen, die Firma war auf den Namen ihres Bruders, des Hagg Nassir Talima, eingetragen, doch hatte sie sich von ihm eine Verzichtsurkunde geben lassen, die sie im Tresor ihres Schlafzimmers aufbewahrte. Nur ihren Mann hatte sie davon in Kenntnis gesetzt, denn das Leben liegt zwar allein in Gottes Hand, aber keine Seele weiß, was kommen wird. Generalmajor Alwani, das darf man wohl sagen, hatte sein hohes Amt noch niemals missbraucht, um für sich oder seine Familie irgendeinen Vorteil zu erwirken. Wenn zum Beispiel Hagga Tahani ihn unterrichten sollte, ihre Firma bemühe sich um ein bestimmtes Grundstück in einer der Provinzen, würde sich Generalmajor Alwani beeilen, den Provinzialpräsidenten anzurufen und ihm zu sagen:
»Herr Gouverneur, ich habe ein Anliegen.«
»Zu Befehl, Effendi«, würde der Provinzialpräsident bestimmt umgehend erwidern.
Worauf der Generalmajor ohne Umschweife sagen würde:
»Die Firma ›Sesam‹ wird Sie wegen der Zuteilung eines Grundstücks ersuchen. Diese Firma gehört meinem Schwager, dem Hagg Nassir Talima. Mein Anliegen an Sie, werter Herr Gouverneur, ist, dass Sie Hagg Nassir wie jeden anderen Bauunternehmer auch behandeln. Ich bitte Sie, dasselbe Recht, ohne jede Bevorzugung.«
Der Provinzialpräsident würde einen Moment lang schweigen und dann sagen:
»Seine Exzellenz erteilen mir eine Lektion in Sachen Unparteilichkeit und Lauterkeit.«
Worauf der Generalmajor ihn unterbrechen und entschieden behaupten würde:
»Ich bitte Gott um Verzeihung. Ich bin ein einfacher Ägypter und liebe mein Land und als guter Muslim würde ich niemals dulden, dass meinem Volk Unrecht widerfährt.«
Als dann die Zuteilung des fraglichen Grundstücks an »Sesam« erfolgte, empfand Generalmajor Alwani nicht den geringsten Skrupel. Schließlich hatte er den Verantwortlichen ja angerufen und von ihm verlangt, er möge ihn nicht bevorzugt behandeln. Was mehr hätte er tun können?
Und als sein ältester Sohn, ‘Abdelrahman, sich um einen Posten bei der Staatsanwaltschaft bewarb, hatte Generalmajor Alwani umgehend den Justizminister angerufen und von ihm verlangt, er möge seinen Sohn wie alle anderen Anwärter auch behandeln, ohne jede Privilegierung. Trotz allem aber war ‘Abdelrahman erst bei der Staatsanwaltschaft genommen worden und inzwischen Richter an einem Gericht im Süden Kairos. Auch als sein mittlerer Sohn, Bilal, sich um die Aufnahme in die Republikanischen Garden bemühte, hatte der Generalmajor den Verteidigungsminister angerufen und diesen ersucht, die geltenden strikten Auswahlkriterien auch auf seinen Sohn anzuwenden, ohne irgendeine Begünstigung. Dennoch war Bilal in den Republikanischen Garden aufgenommen worden und inzwischen in den Rang eines Majors aufgestiegen. Dergestalt entledigte sich der Generalmajor seiner Schuld vor Unserem Herrn, gepriesen sei Er, der Hocherhabene. Und da ist nichts, was er zu verheimlichen hätte oder dessen er sich schämen müsste. Warum also diese Bedrückung, die er seit dem Morgen empfand?
Tief in seinem Innersten wusste er um den Grund, vermied es aber, daran zu denken. Seine einzige Tochter, Dania, Ihre Hoheit, die Prinzessin, wie er sie nannte. Nachdem er zwei Söhne bekommen und Gott gebeten hatte, er möge ihm eine Tochter schenken, war seine Frau schwanger geworden, hatte aber im fünften Monat eine plötzliche Blutung erlitten und das Kind verloren, was ihr seelisches Gleichgewicht für eine Weile beeinflusst hatte, ehe sie endlich erneut schwanger geworden war und schließlich Dania zur Welt gebracht hatte. Seine Freude war unbeschreiblich gewesen. Er hatte ihr den Namen der Bäume des Paradieses aus dem Heiligen Koran gegeben. Dania ließ ihn Gefühle empfinden, die er zuvor nicht gekannt hatte, als durchlebte er die Vaterschaft zum allerersten Mal. Wer hätte gedacht, dass Generalmajor Alwani seiner Arbeit beim Dienst einen ganzen Tag lang fernbleiben würde, nur um seine Tochter Dania an ihrem ersten Tag in der Vorschulklasse des Collège de la Mère de Dieu zu begleiten. Als er sie an jenem Tag der verantwortlichen Nonne übergab, hatte sein Herz ihm nicht gehorcht und sich geweigert, sie allein in der Vorschule zurückzulassen, weshalb er im Wagen vor dem Collège sitzen blieb, telefonisch die Arbeit kontrollierte und in regelmäßigen Abständen die Nonnen anrief, um sich zu vergewissern, dass es Dania gut ging. Am Nachmittag dann stand der Generalmajor im Garten des Collège und ließ die Schulpforte nicht aus den Augen, bis Dania in der rosafarbenen Vorschuluniform mit den winzigen Karos und dem weißen Kragen auftauchte und ihm wie ein Engel erschien. Sie rief nach ihm, streckte die Arme aus und lief so schnell sie konnte, um sich an seine Brust zu werfen, was unseren Generalmajor beinahe in Tränen ausbrechen ließ. Ob man es glauben mag oder nicht, aber dieser stahlharte Mann, der über das Schicksal ganzer Familien mit nur einem Wort oder auch nur einer Handbewegung entschied, verwandelte sich vor Dania in einen zartbesaiteten Liebhaber, der das Unmögliche vollbrachte, um ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. Jede Nacht, kaum dass er vom Dienst zurückgekehrt war, eilte er in ihr Kinderzimmer, um sie im Schlaf zu betrachten. Lange versenkte er sich in ihre winzigen Fingerspitzen, ihr Näschen, den Mund und das unschuldige Gesicht, ja sogar in ihren Schulranzen und ihre Uniform. Alles, was mit ihr in Verbindung stand, löste in ihm ein tiefes Gefühl von Zärtlichkeit und Erbarmen aus.
Gewiss, wie jeder Vater liebte er auch seine Söhne Bilal und ‘Abdelrahman, aber seine Tochter Dania war der Quell echter Freude in seinem Leben. Es kam vor, dass er mit ihr über irgendetwas Belangloses sprach und ihn plötzlich die Gefühle übermannten und er nicht weitersprechen konnte, sie umarmen und küssen musste. Und Dania hatte ihn nie enttäuscht. Schulisch wie charakterlich ragte sie heraus. Immer war sie Klassenbeste, und nachdem sie am Collège de la Mère de Dieu ihr Reifezeugnis abgelegt hatte, äußerte sie den Wunsch, Medizin zu studieren, worauf Generalmajor Alwani alle Vorbereitungen traf, sie zum Studium nach Cambridge zu schicken. Aber seine Frau, die Hagga Tahani, weinte und flehte, er möge sie nicht der Gesellschaft ihrer einzigen Tochter berauben, bis er am Ende nachgab und Dania einen Studienplatz an der Medizinfakultät der Universität Kairo besorgte. Er kaufte ihr auch einen Mercedes, untersagte ihr jedoch — aus Sorge um sie —, diesen selbst zu fahren, und stellte ihr einen eigenen Fahrer zur Verfügung. Wie gewohnt hütete sich der Generalmajor auch diesmal, seinen Einfluss zu missbrauchen, und rief den Dekan der medizinischen Fakultät vor den Prüfungen extra an, um sich bei diesem zu versichern, dass er Dania nicht etwa eine Sonderbehandlung gewährte. Doch dessen ungeachtet gehörte Dania immer zu den Besten ihres Jahrgangs, bis ihr nur noch ein Jahr bis zum Abschluss blieb. Ihr Vater malte sich bereits seine Freude am Tag ihres Diploms aus und dachte wie immer an den nächsten Schritt: Sollte er ihr eine Praxis in Kairo eröffnen oder sie für die Promotion ins Ausland schicken? Seine Liebe zu Dania war von einem solchen Ausmaß, dass ihn der Gedanke an ihre Hochzeit zunehmend störte.
Wie sollte der Tag kommen, an dem Dania das Haus verließ, um mit einem fremden Mann zusammenzuleben und das Bett mit ihm zu teilen? Wie sollte sie von einem anderen Mann als ihm, Generalmajor Alwani, abhängig sein, der zum Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens würde? Er wusste, so war der Gang des Lebens und dass das Glück einer Frau nicht vollständig war ohne Heirat und Mutterschaft, aber immer öfter fragte er sich: Gab es in Ägypten überhaupt einen jungen Mann, der wert wäre, Danias Ehemann zu sein? Ja, gab es außer ihm selbst auch nur einen Mann, der in der Lage wäre, ihr zu ermöglichen, was das Schicksal für sie vorgesehen hatte? Zwar befahl die einzig wahre Religion der Ehefrau Gehorsam gegenüber ihrem Mann und machte diesen zu ihrem Gebieter, aber wo steckte der Bräutigam, der berechtigt wäre, Danias Gebieter zu sein? Denn sie war so viel niveauvoller als alle die jungen Männer, die er tagein, tagaus sah. Aufrichtig war sie, kannte weder Durchtriebenheit noch Exzentrik wie andere Mädchen, war unerschütterlich in ihrer Frömmigkeit, so sehr, dass sie sich in der zweiten Klasse der Mittelschule selbst auferlegt hatte, den Schleier zu tragen. Gut war sie und rein, vermutete in allen Menschen nur das Gute und bemühte sich, jedem zu helfen, der ihre Hilfe benötigte. Was ihm Sorge bereitete, war, dass Danias Unschuld (die zuweilen an Naivität grenzte) sie zu einer leichten Beute für jeden dahergelaufenen Halunken machte. Wie sehr bereute der Generalmajor, dass er sich von den Tränen seiner Gattin hatte erweichen lassen und Dania nicht zum Studium nach Cambridge geschickt hatte. An der Universität Kairo verkehrte sie jetzt mit den Kindern des Pöbels, die zu ihren Kommilitonen geworden waren, nur weil sie auf der Mittelschule einen achtbaren Notenschnitt erzielt hatten. Jetzt zahlte er für seinen Fehler. Denn er konnte die Realität nicht länger ignorieren. Dania hatte sich verändert. Sie war noch immer sanft und wohlerzogen, aber sie war nicht mehr die gehorsame, im Banne ihres Vaters stehende Tochter, die allem beipflichtete, was er sagte, die seine Ansichten aufsaugte, um sich diese zu eigen zu machen und danach zu handeln. So hatte er einen seiner fähigeren Offiziere damit beauftragt, über Danias Tagesablauf minutiöse Berichte zu schreiben, und am Morgen hatte er gelesen, was ihm den Tag verdorben hatte. Er hatte die Unterredung mit ihr hinausgezögert, um sich selbst Gelegenheit zum Nachdenken zu geben, aber jetzt hielt er es nicht länger aus. Er sprang auf, befahl seinem Bürovorsteher, den Wagen vorfahren zu lassen, und war Minuten später bereits auf dem Weg nach Hause, fest entschlossen, Dania zur Rede zu stellen, was auch immer das Ergebnis sein würde.
Lieber Leser,
Sie werden nie erfahren, wer ich bin, da ich dieses Buch unter einem Pseudonym veröffentlichen werde. Ich bin kein Feigling. Bin, Gott sei gepriesen, von Hause aus durchaus mutig. Die Sache ist, dass wir in einer rückständigen, verlogenen Gesellschaft leben, die Wahnideen liebt, und ich nicht bereit bin, einen Preis für die Dummheit anderer zu zahlen. Mein Leben währt nun schon fünfundfünfzig Jahre, von denen ich die meisten mit intensivem Nachdenken verbracht habe, bis ich zu einigen Erkenntnissen gelangt bin, und es nun meine Pflicht ist, diese zu verkünden und zu belegen. Denn die Thesen, die ich in diesem Buch vorzustellen gedenke, würden in einem respektablen Staat an den Universitäten gelehrt, doch bedauernswerterweise leben wir in Ägypten, wo ernsthaften Denkern und herausragenden Gelehrten keine Achtung entgegengebracht wird und aller Ruhm nur Betrügern und Angebern gilt. Ich werde meine Thesen mit folgender Frage eröffnen: Was ist das Wesen der Beziehung zwischen Mann und Frau hier in Ägypten? Wieso all diese tiefen Blicke, das umschmeichelnde Lächeln, die sehnsüchtigen Berührungen, die leidenschaftlichen Liebesbriefe? Was ist das Ziel der bei Nacht flüsternd geführten Unterredungen und des in trauter Zweisamkeit vereinten Sitzens am Ufer? Warum versteht sich die Frau so meisterhaft darauf, Accessoires anzulegen und Make-up aufzutragen, das ihren Zauber noch verstärkt? Und welchen Zweck haben diese hohen Absätze, die den Körper der Frau erzittern lassen und seine Zartheit noch hervorheben? Wozu all diese Kleider und Hosen, diese Damenkostüme und Röcke? Warum diese unendliche Vielfalt an Modellen und Farben? Und warum tragen selbst viele der verschleierten frommen Damen aufreizend enge Kleider, als wollten sie — ungeachtet der tadelnswürdigen Handlung — den Männern die Vorzüge ihres Körpers offenkundig machen?
Ja, meine Herren,
dieser überwältigende Karneval verfolgt nur ein einziges Ziel: Das Erjagen und Einsperren des Mannes in den Käfig der Ehe. Mit Erreichen der Volljährigkeit leidet der Mann bekanntermaßen unter einer sinnlichen Begierde, die ihn dazu treibt, der Frau nachzustellen, bis er geschlechtlich mit ihr verkehrt und sich vom Druck der männlichen Hormone auf seine Nerven erholt. Auf der anderen Seite wächst die Frau bei uns so auf, dass sie ihr Geschlechtsorgan als ihr verborgenes Juwel betrachtet. Allein in unserem Land beschreiben die Zeitungen eine Tochter, die ihre Jungfräulichkeit verloren hat, als ein Geschöpf, das »das Wertvollste verloren hat, was sie besitzt«.
Aufgemerkt, lieber Leser! Das Wertvollste, was eine junge ägyptische Frau besitzt, ist nicht etwa ihr Verstand oder ihre Menschlichkeit oder sogar ihr Leben. Das Wertvollste, was sie besitzt, ist ihre Jungfräulichkeit! Ebenjenes Häutchen, das ihr Geschlechtsorgan bedeckt, um sicherzustellen, dass es noch nicht benutzt worden ist. Um das Recht zu erwerben, dieses jungfräuliche Organ einzuweihen, stellt der Mann der Frau nach. Und sie kokettiert mit ihm: Verlangt Geschenke und Schmuck, ein Brautgeld, prunkvolle Möbel und eine geräumige Wohnung in einem vornehmen Viertel. Der Mann beugt sich allen ihren Bedingungen, leckt sich die Lippen und träumt davon, die Perle zu kosten, die in der Auster verborgen schlummert. Endlich heiraten sie, es vergehen die ersten Tage, und der Mann findet heraus, dass der geschlechtliche Akt mit seiner Ehefrau nicht, wie er gemeint hat, der Himmel auf Erden ist. In den meisten Fällt muss der Mann überrascht feststellen, dass seine Frau im Bett entweder unbedarft ist oder Ekel vor dem Sex empfindet und diesen als etwas Schmutziges betrachtet, wie das Wasserlassen oder den Stuhlgang. Weshalb sie ihn nur gezwungenermaßen verrichtet wie eine Pflichterfüllung. Vielleicht aber — und das ist das Schlimmste — nutzt die Ehefrau den Sex auch als Druckmittel, als würde sie zu ihrem Mann sagen, »Wenn du meinen Körper genießen willst, musst du mich mit Geschenken überhäufen und mir alles Geld gewähren, das ich verlange, musst mir immer beistehen bei meinen Fehden mit deiner Mutter und deinen Geschwistern«.
Da erst wird der Mann das Ausmaß des Betrugs erkennen: Hat er doch alles bezahlt, was er besitzt, hat von der Perle geträumt, nur um herauszufinden, dass die Auster leer ist. Und noch ehe er die Flucht ergreifen kann, hat die Frau schon geboren. Die Ägypterin ist die schnellste Frau der Welt, wenn es ums Gebären geht. Denn sie setzt die Kinder als wirksame Waffe ein, um den Ehemann zu halten und ihn gefügig zu machen. Das ist die erste Wahrheit, die jeder ägyptische Ehemann kennt (selbst wenn er sie leugnet), aber die zweite Wahrheit ist, dass die Weiblichkeit der ägyptischen Frau im umgekehrten Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Stellung steht. Die Frauen der Oberschicht sind zumeist nichts anderes als falsche kalte Püppchen, Pseudofrauen ohne Leidenschaft und Geist.
Die einfache Frau aus dem Volk ist die einzige vollendet natürliche Frau, die ihre Anlagen nicht durch Affektiertheit verdirbt, die weder die Lügen noch die Tricks der vornehmen Damen kennt, nicht die Heuchelei, die diese mit der Muttermilch aufsaugen. Man schaue sich nur die Gemälde Mahmoud Sa’ids an. Dieser große Künstler wuchs im Palast seines Vaters auf, des ägyptischen Ministerpräsidenten, studierte in Frankreich und war bis zum Alter von fünfzig Jahren als Richter tätig, ehe er sich ganz der Kunst zuwandte. Doch wenn er malte, hatte er immer die einfache Frau aus dem Volk als Modell der Weiblichkeit vor Augen. Die überbordende Weiblichkeit etwa, die uns von seinem Gemälde »Mädchen aus Bahary« entgegentritt, werden die höheren Töchter der Oberschicht niemals kennen. Kurz gesagt, die einfache Frau aus dem Volk ist die wahre Frau, und alles, was über sie hinausgeht, ist verfälscht und künstlich, genau wie der Unterschied zwischen einer echten Rose und einer aus Plastik.
Die dritte Wahrheit indes lautet: Der Zauber der volkstümlichen Frau offenbart sich in seiner schönsten Form, wenn diese einem als Dienerin begegnet, denn dann fügt sich ihrer frischen, sprudelnden Weiblichkeit eine süße Demut hinzu, die sie zusätzlich verlockender macht.
Werter Leser, antworte ehrlich:
Was passiert wohl, wenn Du Deine aristokratische Verlobte zum Abendessen in ein elegantes Restaurant ausführst und ihr dann unvermittelt sagst:
»Dein Körper ist sehr erregend, Liebste. Dein praller Hintern schaukelt beim Gehen wundervoll, und deine üppige Brust bringt mich dazu, mir vorzustellen, wie ich an deinen Brustwarzen sauge, bis sich mein Glied machtvoll aufrichtet und ich hoffe, dich augenblicklich zu heiraten.«
Was wird Deine Verlobte dann tun?
Sie wird mit Sicherheit außer sich sein, wird Dich verfluchen, wird nach Hause eilen und sich weinend in den Schoß ihrer Mutter werfen, wird ihr Schicksal beklagen, das sie an einen verkommenen Mann wie Dich hat geraten lassen, und wahrscheinlich wird sie die Verlobung annullieren. Und ihr Ärger darüber, dass Du ihr Deine sexuellen Phantasien gestanden hast, ist berechtigt. Weil Deiner Verlobten niemals in den Sinn kommen würde, dass, als sie ihr enges Kleid auswählte, ihr Ziel gewesen war, deinen Blick auf die Rundungen ihres Hinterns oder auf ihren imposanten Busen zu lenken. Denn die Regeln des ganzen Theaterstücks schreiben vor, dass Deine Verlobte wie unbeabsichtigt Dein Begehren weckt, während es an Dir ist, deine Erregung zu verbergen und über andere Themen zu sprechen. Der wahre Grund für den Zorn Deiner Verlobten besteht mithin darin, dass Du mit Deiner Ehrlichkeit die Aufführung verdorben hast. Dieselben freimütigen Worte indes würden von Deiner Dienerin höchstwahrscheinlich als Schmeichelei aufgefasst werden. Biegen würde sie sich und mit liebenswerter Liederlichkeit und koketter Dankbarkeit lachen. Fürwahr, Dienerinnen sind unersetzliche Liebhaberinnen für jeden, der es versteht, von ihrem natürlichen, süßen Quell zu trinken.
Jawohl, Herrschaften: »Wer im Leben noch keine Dienerin geliebt hat, weiß nicht, was Liebesglut ist.«
Auch ich wurde, wie die meisten Ehemänner in Ägypten, betrogen. Wenn ich den Geschlechtsakt mit meiner Frau vollzog, hatte ich das Gefühl, als äße ich ein mit Seifenpulver gefülltes Sandwich. So hungrig ich auch gewesen sein mochte — nach dem ersten Bissen reichte es mir. Seit ich die fünfzig erreicht habe, habe ich mehr oder weniger aufgehört, mit meiner Frau zu schlafen. Ich denke, sie dürfte darüber erleichtert gewesen sein, weil sie den Sex wahrlich nicht mag und ihn nur im äußersten Fall zulässt, nachdem alle möglichen Ausreden aufgebraucht sind. In diesem Buch also gedenke ich, meine Erfahrung mit den Dienerinnen auszubreiten, auf dass sie Millionen von Ehemännern, die schweigend leiden, von Nutzen sein möge. Horche auf, erregter und elender Ehemann: »Die Dienerin ist die Lösung!«
Denn was will ein Mann mehr als ein Frauenzimmer, das mit ihm unter einem Dach wohnt und mit dem er sich vergnügen kann, wann immer er will? Das er prompt beschlafen kann, ohne Umgarnen, ohne Zeitvergeudung durch empfindsame Gespräche und erfolglose Verabredungen? Eine echte Frau, die den Wert von Sex zu schätzen weiß, die ihn genießt und sich danach sehnt. Haben nicht unsere Altvorderen bis ins neunzehnte Jahrhundert um des sexuellen Genusses willen Konkubinen gekauft? Hat nicht die rechtmäßige Ehefrau in jener Epoche ihrem Mann eine schöne Konkubine zum Geschenk gemacht und der Ehemann sich für ihr Geschenk erkenntlich erwiesen, indem er die Konkubine beschlief, worauf sein Gemüt beruhigt ward und seine Sorgen verflogen? Auch wenn wir diese Tradition verloren haben, so tröstet das Verhältnis des Ehemanns zur Dienerin doch über die Spannungen im Verhältnis zu seiner Angetrauten hinweg und trägt somit das seine zur Festigung der Familie bei. Naturgemäß bedingt die Dienerin auch Probleme, die aber allesamt lösbar sind. Da wäre zum Beispiel die Rauheit der Hände und Füße, unter der die Dienerin aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen leidet. Diesem Problem lässt sich beikommen, indem Du ihr einen monatlichen Betrag zusteckst, von dem sie sich die entsprechenden Crèmes für weiche und geschmeidige Haut kaufen kann (doch ohne dabei zu übertreiben, damit das Misstrauen Deiner Frau nicht geweckt wird). Ein anderes verbreitetes Problem: Deine geliebte Dienerin überkommt irgendwann eine Freizügigkeit, die sie dazu treibt, Deine Frau zu provozieren und sich ihren Anweisungen zu widersetzen. Dann ist es an Dir, sie vor den Folgen einer fortgesetzten Provokation Deiner Frau zu warnen, denn sollte diese die Verbannung der Dienerin beschließen, wirst du sie nicht mehr schützen können. Auch findet sich nicht selten das Problem der gierigen Dienerin, das aber bei Licht besehen eher geringfügig ist. Denn was Du für Deine bedienstete Geliebte in einem ganzen Jahr aufwendest, gibst Du für Deine Frau in einer einzigen Nacht aus, wenn Du sie zusammen mit ihrer Familie in ein luxuriöses Restaurant ausführst oder ihr eine Halskette oder einen Ring zu ihrem Geburtstag kaufst. Und wenigstens ist das eine Ausgabe, die Dir die Gunst einer wunderbaren Geliebten erhält, die Dich Deinen Kummer mit der Herrin der leeren Auster vergessen lässt. Aber hüte und wappne Dich, denn die Liebe der Dienerinnen erreicht man nicht durch Improvisation, sondern mit Kunst und Wissen, die einer Unterweisung und wohlüberlegter Schritte bedürfen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: