Man habe »das moralische Recht«, dieses Volk »umzubringen«, sagte Heinrich Himmler im Oktober 1943 über den millionenfachen Mord an den Juden. »Wir haben aber nicht das Recht«, fuhr er fort, »uns auch nur mit einem Pelz, einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder sonst etwas zu bereichern.« Tatsächlich hatte Himmler 1939 eine SS-Gerichtsbarkeit geschaffen, die über die »Moral« und die Einhaltung des »Ehrenkodex« der Organisation wachen sollte.

 Ein solcher SS-Richter war Konrad Morgen (1909-1982). Morgen ermittelte gegen hoch-rangige Nationalsozialisten, u. ‌a. gegen Karl Otto Koch, den ehemaligen Kommandanten des Lagers Buchenwald, und gegen Adolf Eichmann, dem er vorwarf, Juwelen unterschlagen zu haben. Sich selbst bezeichnete Morgen als »Gerechtigkeitsfanatiker«.

 Gestützt auf seine Berichte und Briefe aus der Kriegszeit sowie auf seine Aussagen in Nürnberg und beim Frankfurter Auschwitz-Prozess, zeichnen Herlinde Pauer-Studer und J. David Velleman die wichtigsten Stationen in der Karriere des SS-Richters Konrad Morgen nach. Die Biografie dieses ambivalenten Charakters ist zugleich eine Studie in moralischer Komplexität und verdeutlicht die strukturelle Pervertierung von Recht und Moral im »Dritten Reich«.

 

Herlinde Pauer-Studer, geboren 1953, ist Professorin für Philosophie an der Universität Wien. Im Suhrkamp Verlag gab sie zuletzt (zusammen mit Julian Fink) den Band Rechtfertigungen des Unrechts. Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus in Originaltexten heraus (stw 2043).

J. David Velleman, geboren 1952, ist Professor für Philosophie an der New York University.

 

 

Herlinde Pauer-Studer/J. David Velleman

»Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin«

Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen

Suhrkamp

 

 

Die englischsprachige Originalausgabe dieses Buches erschien 2015 unter dem Titel Konrad Morgen. The Conscience of a Nazi Judge bei Palgrave Macmillan (London/New York). Der Text wurde für die deutsche Ausgabe überarbeitet und um die theoretische Einleitung ergänzt; auch das Nachwort wurde für die vorliegende Ausgabe erweitert.

 

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2017.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2017

© Herlinde Pauer-Studer/J. David Velleman 2017

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

Umschlagfoto: Archiv des Fritz Bauer Instituts, NL-04 Konrad Morgen, Box 4

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

eISBN 978-3-518-75097-1

www.suhrkamp.de

Inhalt

 

 

Vorwort

Zeittafel

 

Einleitung: Der rechtstheoretische Kontext

1. Eine Art Ausgangspunkt

2. Morgens Eintritt in die SS

3. Die SS- und Polizeigerichtsbarkeit

4. Kriminelle und Spione

5. Die Charaktertypologie des Kriminellen

6. »Rasse« und »Rassenfrage«

7. Von Krakau nach Buchenwald

8. Karl Otto Koch

9. Von Korruption zu Mord

10. Komplizen des Verbrechens

11. »Legale« Tötungen

12. Die »Endlösung«: Widersprüchliche Narrative

13. »Aktion Erntefest«

14. Auschwitz

15. Adolf Eichmann

16. Die SS-Prozesse in Weimar 1944

17. Eleonore Hodys: Zeugin gegen Rudolf Höß

18. Neuerliche Versetzung nach Krakau und Kriegsende

Nachwort

 

Hauptpersonen

Archivmaterialien und Abkürzungen

Literaturverzeichnis

I. Literatur aus der NS-Zeit

II. Allgemeine Forschungsliteratur

Abbildungsverzeichnis und Nachweise

Personenregister

Sachregister

Vorwort

 

 

Im Mittelpunkt dieses Buches steht eine normative Fallstudie, ihr Gegenstand ist die aktive Laufbahn des SS-Richters Konrad Morgen in den Jahren 1940 bis 1945. Grundlage unserer Darstellung von Morgens Tätigkeit, die tiefen Einblick in die moralisch pervertierten Strukturen des NS-Systems gibt, sind die in Archiven verfügbaren Dokumente zu Konrad Morgen und zur SS- und Polizeigerichtsbarkeit sowie Morgens Aussagen in Verhören und Prozessen nach dem Krieg.[1]

Georg Konrad Morgen (1909-1982) war ausgebildeter Jurist und seit 1933 Mitglied der SS und der NSDAP. Nach einer kurzen Einarbeitung wurde er im Herbst 1940 SS-Richter in der SS- und Polizeigerichtsbarkeit. Von Januar 1941 bis Mai 1942 war Morgen dem SS-Gericht in Krakau zugeteilt, wo er als Untersuchungsrichter auch Fälle von finanzieller Korruption unter hochrangigen SS-Offizieren im besetzten Polen verfolgte. Im Mai 1942 enthob ihn Himmler seines Amtes und versetzte ihn im Dezember 1942 als einfachen Soldaten an die Ostfront. Im Juli 1943 wurde Morgen auf Befehl Himmlers zurückbeordert und mit der Untersuchung von finanziellen Unregelmäßigkeiten in den Konzentrationslagern beauftragt. Sein erster Fall betraf Buchenwald, wo sich Hinweise auf die systematische Ermordung von Häftlingen durch den vormaligen Lagerkommandanten ergaben. Die Untersuchung dieser Verbrechen führte Morgen nach Lublin und schlussendlich nach Auschwitz, wo er sich mit der industriellen Massenvernichtung der Juden konfrontiert sah.

In Überschreitung seines Auftrags klagte Morgen den ehemaligen Kommandanten von Buchenwald, den Lagerarzt von Buchenwald und den Leiter der Gestapo in Auschwitz wegen Mordes an. Er versuchte sogar, einen Haftbefehl gegen Adolf Eichmann zu erwirken. Seine Tätigkeiten gründeten auf SS-internen Ermittlungen gegen fünf KZ-Kommandanten. In einem SS-internen Gerichtsprozess, der im Herbst 1944 in Weimar stattfand, wurde der frühere Kommandant von Buchenwald, Karl Otto Koch, zum Tode verurteilt.[2]

Nach dem Krieg wurde Morgen vom amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC)[3] in Gewahrsam genommen und intensiv verhört. Er sagte als Zeuge in einer Reihe von Kriegsverbrecherprozessen aus: zunächst im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, dann in den Nachfolgeprozessen, ebenfalls in Nürnberg, und schließlich, als er sich nach seiner Entnazifizierung als Anwalt und Notar in Frankfurt am Main niedergelassen hatte, in einer Reihe von Gerichtsverfahren, die in den sechziger Jahren begannen. So war er auch Zeuge im ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963-65). Seine letzte Aussage in einem Verfahren erfolgte 1980, zwei Jahre vor seinem Tod.

Morgen erklärte nach dem Krieg, es sei ihm nicht möglich gewesen, Anklage wegen der Ermordung von Millionen Menschen in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau zu erheben, denn die für die Massenvernichtung verantwortliche Instanz sei Hitler gewesen, dessen Wille und Anordnungen im Führerstaat Gesetzen gleichgekommen seien. Die Ahndung »gewöhnlicher« Morde, also nicht im Rahmen der Befehlskette der NS-Administration angeordneter Tötungen, war, wie Morgen argumentierte, sein einziges Mittel, um etwas gegen das Vernichtungsprogramm zu tun.

Unsere Nachforschungen und die intensive Beschäftigung mit dem Archivmaterial ergaben, dass Morgen seine Tätigkeiten als SS-Richter nach dem Krieg zum größten Teil wahrheitsgemäß schilderte. Mit einigen wenigen Ausnahmen, die wir genau darlegen und diskutieren,[4] decken sich seine Aussagen mit den verfügbaren Archivdokumenten, die nicht nur ihn direkt betreffende Materialien umfassen, sondern auch Dokumente über Personen, mit denen er während des Krieges zu tun hatte.[5] Selbst seine gänzlich unwahrscheinlich klingende Behauptung, er habe versucht, einen Haftbefehl gegen Eichmann zu erwirken, wurde von Eichmann im Prozess in Jerusalem bestätigt.

Wir verstehen unser Buch als »moralische Biografie« – als Studie darüber, wie das moralische Bewusstsein eines Mannes mit einer zutiefst unmoralischen Welt zurechtzukommen versuchte, teils aber daran scheiterte. Nicht immer vermochte Morgen den Herausforderungen angemessen zu begegnen. In unserer Darlegung von Konrad Morgens Tätigkeit als SS-Richter vermeiden wir jede literarische Ausgestaltung der Geschehnisse. Morgens Aussagen und Berichten über diese Ereignisse geben wir jedoch breiten Raum, so dass die Leserinnen und Leser ihn gleichsam sprechend erleben. Ungeachtet der erschreckenden Dimension unserer Fallgeschichte bemühen wir uns um Sachlichkeit. Wir zeichnen nach, wie Morgen über die dramatischen Ereignisse, die er miterlebte, fühlte, dachte und urteilte.

Morgens Geschichte ist auch für die historische Forschung zum Nationalsozialismus interessant.[6] Seine Tätigkeiten sind in Berichten an seine Vorgesetzten, in den Vernehmungen durch die amerikanischen Besatzungsorgane und in seinen Zeugenaussagen in den Kriegsverbrecherprozessen der Nachkriegszeit dokumentiert. Als erfahrener Jurist und Richter sah und beurteilte er den Holocaust aus einer – wenn auch verzerrten – moralischen Perspektive. Er war ein hartnäckiger, ja verbissener Untersuchungsrichter, der selbst gegenüber monströsen Verbrechen nicht zurückwich. Da er selbst nie wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurde, war Morgen als Zeitzeuge wesentlich offener und gesprächsbereiter als jene Täter, über die er nach dem Krieg aussagte.

Morgen erweist sich vielfach als höchst unsensibler und in seinem Urteilsvermögen eingeschränkter Beobachter seiner Umgebung. Nach 1945 unterließ er es allerdings, seine Berichte über Erlebtes dem anzupassen, was die Zuhörerschaft in der Nachkriegsära wusste oder hören wollte. Ob nun aus Ehrlichkeit, aus bloßer Naivität und einem gewissen Geltungsdrang oder infolge nach wie vor unhinterfragter ideologischer Prägung war Morgen doch ein bemerkenswert freimütiger und authentischer Zeuge.

Morgen entzieht sich der Kategorie des aktiven NS-Täters und NS-Verbrechers. Dennoch war er als SS-Offizier und SS-Richter nicht nur Teil des Systems, sondern aktives Mitglied, ja Vollzugsorgan einer Institution des Regimes. Gleichzeitig zwang ihn sein berufliches Rollenverständnis, das gegenüber gewissen Standards der Rechtsstaatlichkeit nicht gänzlich blind war, ein über der SS-Ideologie stehendes Ideal der Gerechtigkeit im Blick zu haben. Morgen war ein ambivalenter und schillernder Charakter – und die Beschäftigung mit ihm ist eine Studie in moralischer Komplexität.

Morgen beschrieb sich selbst einmal als »Gerechtigkeitsfanatiker«. Diese Selbstbeschreibung ist weit weniger positiv, als Morgen sie verstand oder verstehen wollte. Morgen fühlte sich einer spezifischen Form der Gerechtigkeit bedingungslos, ja »fanatisch« verpflichtet, die er sich zurechtgelegt hatte, um seinen komplexen, teils widersprüchlichen normativen Bindungen zu entsprechen. Manchmal leitete ihn sein Gerechtigkeitsempfinden, das Richtige zu tun, doch häufig verfehlte Morgen dieses Ziel. Sein moralisches Bewusstsein war zu selbstbezogen und ideologisch zu verformt, um kritischer Distanz und unparteilicher Reflexion zugänglich zu sein. Letztlich zeigte sich sein Gerechtigkeitsverständnis der systematischen Inhumanität, die ihn umgab, nicht gewachsen.

Der Versuch, ein nuanciertes Bild eines SS-Offiziers zu zeichnen, der so nahe an den Verbrechen des NS-Regimes war wie Morgen, wirft eine höchst sensible Frage auf: Verpflichtet es die Autoren nicht auf eine Perspektive, die inakzeptabel ist? Bedeutet es nicht, so kann man provokant fragen, eine Art Grenzüberschreitung? Doch Charaktere wie Konrad Morgen sind konkrete Individuen, deren eingehende Betrachtung moralisch wichtig ist.

Die Philosophie hat sich in den letzten Jahren zunehmend für moralpsychologische Fragestellungen interessiert. Methodisch beruht der philosophische Zugang allerdings weitgehend auf reinen Vernunftüberlegungen, die auf allgemeine, von den Komplexitäten des sozialen Lebens abstrahierende Grundsätze zielen. Die historische Aufarbeitung bedeutsamer realer Ereignisse und Charaktere leistet hingegen einen konkreten Beitrag zur philosophischen Analyse moralischer Prinzipien unter konkreten und politisch nichtidealen Verhältnissen – im Falle Morgens sind dies die Rahmenbedingungen eines totalitären Staates. Der Blick auf das Deliberieren eines Individuums, das mit einer Katastrophe wie dem Holocaust unmittelbar konfrontiert ist, ermöglicht Einsichten, die über simple Generalisierungen hinausgehen.

Der Fall Konrad Morgen ist schließlich auch für die Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie relevant. Nach wie vor beschäftigt uns die Frage, welche normativen Entwicklungen der Pervertierung des Rechts im Nationalsozialismus Vorschub leisteten. Dieser theoretische Hintergrund, in den Morgens berufliches Wirken eingebettet ist, wird in der Einleitung dargelegt, die der Rekonstruktion von Morgens Laufbahn als SS-Richter vorangestellt ist.

Im Nachwort folgen zusammenfassende Urteile über Morgens Tätigkeit und seinen Charakter und die sich daraus ergebenden Folgerungen für die Moral- und die Rechtsphilosophie. Diese abschließenden Reflexionen umfassen sicherlich nicht alle Einsichten, die Leserinnen und Leser dieses Buches bis dahin gewonnen haben werden.

In den Originalzitaten aus den Vernehmungen Morgens und anderer SS-Offiziere wurde die ursprüngliche alte Rechtschreibung beibehalten. Zu beachten ist allerdings, dass es in den von den Amerikanern in Maschinenschrift angefertigten Protokollen solcher Verhöre Abweichungen von der alten Rechtschreibung gibt, so dass eine gewisse Uneinheitlichkeit in der Schreibweise nicht vermeidbar war. Dies gilt auch für Morgens teils in Maschinenschrift verfasste Berichte und Eingaben an die SS- und Polizeigerichtsbarkeit. 

Wir danken Raphael Gross (Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, Universität Leipzig) und Werner Konitzer (Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main), die uns auf den SS-Richter Konrad Morgen aufmerksam gemacht haben. Raphael Gross' Artikel zu Konrad Morgen (2009) war Anstoß für unsere ersten Reflexionen über die normative Bedeutung dieses Falls. Werner Konitzer hat uns während der verschiedenen Stadien unseres Projektes beraten und hat auch das gesamte Manuskript gelesen und kritisch kommentiert. Dank ergeht auch an folgende Historikerinnen und Historiker für Hilfe und Rat: Norbert Frei, Ian Kershaw, Karin Orth, Barbara Schwindt, Sybille Steinbacher und Rebecca Wittmann.

Für Kommentare zum Manuskript danken wir Sarah Buss, David Dyzenhaus, Hans Petter Graver, Christoph Hanisch, Don Herzog, Veronika Hofer, Martin Kusch, David Owens, Nada Ina Pauer, Nishi Shah, Brian Slattery, Sharon Street, Christopher Theel und Renate Zoitl-Wolfsgruber.

Besonderen Dank schulden wir Christopher Theel. Mit seinem umfassenden historisches Wissen über die SS-Gerichtsbarkeit und seinen Hinweisen bei der Suche nach Archivmaterial im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, im Bundesarchiv Ludwigsburg und im Staatsarchiv Ludwigsburg hat er die Arbeit an diesem Projekt maßgeblich unterstützt.

Wir danken David Dyzenhaus, der im Oktober 2013 eine Diskussion des Buchmanuskripts in seinem Seminar an der Law School der New York University organisierte, und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für wertvolle Rückmeldungen und Kritik. Dank geht auch an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der vom ERC Advanced Research Grant »Distortions of Normativity« im Mai 2011 an der Universität Wien organisierten Konferenz zu »Autorität, Legalität und Legitimität«, die uns gleichfalls wertvolle Rückmeldungen zu ersten, auf der Tagung präsentierten Ergebnissen unserer Forschungen zu Konrad Morgen gaben. Der Fall Morgen konnte auch an Vorträgen an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, der University of Kentucky, der University of South Carolina und am Philosophischen Seminar der Universität Hamburg vorgestellt werden. Wir danken den Teilnehmern dieser Diskussionen für ihre kritischen Fragen, Rückmeldungen und Hinweise.

Unser Dank geht auch an das Lektorat des Suhrkamp Verlags: Eva Gilmer und vor allem Heinrich Geiselberger haben mit einer Vielzahl kritischer Hinweise und Überarbeitungsvorschläge zur Verbesserung des Manuskripts beigetragen.

Folgende Personen standen uns dankenswerterweise bei Archivrecherchen mit Hilfe, Rat und Auskunft zur Verfügung: Kirsten Carter, FDR Library in Hyde Park, NY; Laura Joy, Hartley Library, University of Southampton; Teresa Gray, Jean und Alexander Heard Library der Vanderbilt University; Andreas Grunwald, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde; Dr. Klaus A. Lankheit und Petra Mörtl, Institut für Zeitgeschichte, München; Dr. Peter Klefisch, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; Dr. Johann Zilien, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden; Rebecca L. Collier, US National Archives in College Park, MD; und last but not least, Werner Renz, Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main, wo der Nachlass Morgens aufbewahrt ist.

Dank schulden wir auch Michael Gartler und Christoph Lernpaß für editorische Hilfe, Steven B. Rogers und Simon Gansinger für Assistenz bei Nachforschungen und Alexander Seifert für Hilfe bei der Suche nach Archivmaterial im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde.

Das Buch ist ein Ergebnis der im Rahmen des ERC Advanced Research Grant »Distortions of Normativity« durchgeführten Forschungen. Wir danken dem European Research Council für die Förderung des Projekts und der Universität Wien sowie der New York University für zusätzliche Unterstützung. Dem Zukunftsfonds der Republik Österreich danken wir für die Förderung vorbereitender Arbeiten zu diesem Buch.



[1] Vgl. die Auflistung der Archivmaterialien auf S. 309ff.

[2] Die Exekution Karl Otto Kochs, von 1937 bis 1941 Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald, ist belegt. Die Exekution Hermann Florstedts, der unter Koch Lagerführer in Buchenwald und von November 1942 bis Oktober 1943 Kommandant des Lagers Majdanek war, wird von einem Familienmitglied infrage gestellt (vgl. Lindner 1997). Konrad Morgen gibt an, Florstedt im Herbst 1943 in Lublin verhaftet zu haben; dieser sei angeklagt und exekutiert worden. Der gemeinsam mit Karl Otto Koch im Herbst 1944 vor einem SS-Gericht in Weimar angeklagte SS-Aufseher Martin Sommer, der im selben Gefängnis wie Koch inhaftiert war, stellt in einem von ihm verfassten Bericht fest, er könne bestätigen, dass Hermann Florstedt am 5. April 1945 zusammen mit Karl Otto Koch erschossen wurde (vgl. GMSB, S. 33f.).

[3] Das amerikanische Counter Intelligence Corps, die Spionageabwehr des US-Militärs, hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unter anderem die Aufgabe, in Deutschland nach Kriegsverbrechern zu suchen.

[4] Die bemerkenswerteste Ausnahme ist Morgens Bericht über seine Entdeckung der »Endlösung« im Rahmen seiner Zeugenaussage beim Prozess des Internationalen Militärgerichtshofes gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg im August 1946. Wir diskutieren dies eingehend in Kapitel 12.

[5] Nikolaus Wachsmann schreibt in seinem Buch KL: Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager: »Nach dem Krieg sagte der gewiefte Morgen gegen einige Männer der Lager-SS aus und stellte sich selbst als unermüdlichen Vorkämpfer für Recht und Ordnung dar. Verschiedene Historiker sind auf seine Pose hereingefallen, einige Richter ebenfalls. Doch seine Aussagen nach dem Krieg waren Schutzbehauptungen, durchlöchert von Auslassungen und schamlosen Lügen.« (Wachsmann 2016, S. 447)
Wir teilen diese Beurteilung Morgens, die sich nur auf einen winzigen Ausschnitt der verfügbaren Dokumente stützt, nicht. Wenngleich die Frage berechtigt scheint, ob und wie weit sich Morgen für mehr als nur für Recht und Ordnung in einem systemkonformen Sinn interessierte – eine Frage, der wir unten weiter nachgehen werden –, so ist sein Einsatz für das, was er unter Gerechtigkeit verstand, doch umfassend dokumentiert. Was Morgens Aufrichtigkeit und den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen betrifft, ist zu bedenken, dass sich Wachsmanns Urteil einzig auf Morgens Zeugenaussage beim Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg stützt. Diese Aussage, die wir in Kapitel 12 im Detail diskutieren, enthält in der Tat bedeutsame Verzerrungen und gewisse Unwahrheiten. Diese Zeugenaussage wurde allerdings vor den beinahe drei Jahre dauernden intensiven Vernehmungen Morgens durch die Amerikaner gemacht. Diese weiteren Vernehmungen, in denen Morgen unter Eid aussagte, brachten wesentlich mehr und genauere Informationen ans Licht, Informationen, die Morgen in seinen nachfolgenden Zeugenaussagen bei späteren Kriegsverbrecherprozessen ergänzte und erweiterte. Wie wohl jeder Zeuge formulierte Morgen seine Aussagen gemäß seinen eigenen Interessen und Vorurteilen, doch die Behauptung, Morgens Aussagen seien von »schamlosen Lügen« »durchlöchert« gewesen, entbehrt der Grundlage.
Rebecca Wittman stellt in ihrem Buch Beyond Justice die Frage, ob Morgen in seiner Zeugenaussage beim Auschwitzprozess in Frankfurt am Main wirklich alles sagte, was er wusste. Sie schreibt: »Ich meine, dass Morgen sich nachträglich in einem wesentlich besseren Licht darstellte, vor allem auch, um möglichen Untersuchungen seiner eigenen Aktivitäten zu entgehen. Seine Unwilligkeit, etwas über die konkreten Vergehen auszusagen, die den in Frankfurt Angeklagten angelastet wurden, […] zeigt, dass er gar nicht bereit war, dem Gericht mit spezifischen sachdienlichen Informationen zu dienen.« (Wittmann 2005, S. 166 [Übersetzung H. ‌P.-St.]) Dass sich Morgen in seiner Zeugenaussage in einem vorteilhaften Licht präsentiert, ist offensichtlich. Doch daraus zu schließen, dass er damit versuchte, Ermittlungen zu seinen eigenen Aktivitäten auszuweichen, setzt voraus, dass er während des Krieges in Vorgänge involviert war, die einer Überprüfung nach dem Kriege nicht standgehalten hätten, dass er also etwas zu verbergen hatte. Für eine solche Annahme haben weder Wittmann noch wir irgendwelche Belege. Morgen befand sich von September 1945 bis Mai 1948 in amerikanischer Haft. Und die Amerikaner, die während dieser Zeit seine gesamten Tätigkeiten während des Krieges genau untersuchten, fanden keine Anhaltspunkte, um Morgen anzuklagen. Im Zeugenstand beim Auschwitzprozess in Frankfurt bestätigte Morgen auch die den Angeklagten vorgeworfenen Taten. Was er allerdings nicht lieferte, waren Details über die konkreten Fälle – Namen und Daten der Opfer sowie genaue Angaben über die begangenen Delikte. An diese Einzelheiten, die das Gericht selbstredend gerne von Morgen erfahren hätte, konnte er sich laut seinen eigenen Angaben zwanzig Jahre später nicht mehr erinnern. Anders als Wittmann sind wir nicht der Überzeugung, dass Morgen seine Vergesslichkeit nur vortäuschte.

[6] Unsere Rekonstruktion umfasst nicht Morgens gesamtes Leben, sondern beschränkt sich auf seine Laufbahn als SS-Richter.

Zeittafel

 

 

8. Juni 1909

Konrad (Valentin Georg) Morgen wird in Frankfurt am Main geboren.

1930-33

Konrad Morgen studiert Rechtswissenschaften.

 

1. März 1933

Morgen wird Mitglied der SS (Mitgliedsnummer 124940)

1. April 1933

Morgen wird Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 2536236)[1]

August 1934

Morgen nimmt nicht an der Volksabstimmung teil, mit der Hitlers Übernahme des Amts des Reichspräsidenten nachträglich »legitimiert« werden soll.

12. Mai 1934

Morgen legt die erste juristische Staatsprüfung ab.

1934-38

Morgen absolviert die Referendarausbildung.

20. Februar 1936

Morgen promoviert an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main zum Doktor der Rechte. Er publiziert seine Dissertation Kriegspropaganda und Kriegsverhütung im Verlag Noske (Leipzig).

2. September 1938

Morgen legt die zweite juristische Staatsprüfung ab.

7. März 1939

Morgen wird Assessor am Landgericht Stettin.

30. April 1939

Absetzung Morgens in Stettin. Er beginnt eine Tätigkeit als Rechtsberater bei der Deutschen Arbeitsfront.

1. September 1939

Beginn des Zweiten Weltkriegs; Morgen wird in die Waffen-SS eingezogen und dient beim 12. SS-Regiment in Posen (er wird Sachbearbeiter für Rechtsangelegenheiten).

Herbst 1940

Morgen bewirbt sich bei der SS- und Polizeigerichtsbarkeit in München; Schulung als SS-Richter.

1. Januar 1941

Morgen wird als SS-Hilfsrichter dem SS- und Polizeigericht Krakau zugeteilt.

22. Juni 1941

Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion.

September 1941

Morgen präsentiert seine Untersuchungsergebnisse im Fall Hermann Fegelein.

27. März 1942

Morgen ersucht beim Hauptamt SS-Gericht um Versetzung aus dem Generalgouvernement.

März 1942

Erster Transport von Juden in das Vernichtungslager Belzec.

Mai 1942

Auf Befehl Himmlers wird Morgen aus der SS- und Polizeigerichtsbarkeit entlassen und zum »gemeinen Soldaten« degradiert.

Juli 1942

Morgen befindet sich zur militärischen Ausbildung in Stralsund.

Dezember 1942

Morgen wird zur SS-Division »Wiking«[2] an die Ostfront versetzt.

Mai 1943

Morgen wird von Himmler von der Ostfront zurückbeordert und wieder zur SS- und Polizeigerichtsbarkeit versetzt. Gleichzeitig wird er dem Reichskriminalpolizeiamt in Berlin zugewiesen.

Juni/Juli 1943

Morgen erhält den Auftrag zur Untersuchung von Finanzkorruption im Konzentrationslager Buchenwald.

18./19. August 1943

Letzter Transport von Juden in das Vernichtungslager Treblinka.

24. August 1943

Morgen verhaftet den ehemaligen Kommandanten des KZ Buchenwald, Karl Otto Koch.

(Vermutlich) September 1943

Morgen untersucht eine Hochzeitsfeier von jüdischen Häftlingen im Alten Flughafenlager in Lublin.

14. Oktober 1943

Häftlingsrevolte in Sobibor.

3. November 1943

Erntefest-Massaker in Lublin.

November 1943

Morgen inspiziert das KZ Auschwitz und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Januar 1944

Morgen sucht Odilo Globocnik in Triest auf.

11. April 1944

Morgen verfasst seinen Untersuchungsbericht über Korruption und Morde im KZ Buchenwald.

17. August 1944

Morgen reicht seine Anklageschrift gegen die in Buchenwald verhafteten Personen ein (Karl Otto Koch, Ilse Koch, Lagerarzt Dr. Waldemar Hoven und SS-Aufseher Martin Sommer).

1. ‌- ‌10. September 1944

Erste Verhandlung im Buchenwaldprozess der SS-Gerichtsbarkeit in Schloss Kranichfeld bei Weimar (angeklagt sind das Ehepaar Koch, Hoven und Sommer).

13./14. Oktober 1944

Prozess der SS-Gerichtsbarkeit gegen den Chef der Gestapo in Auschwitz, Maximilian Grabner, in Schloss Kranichfeld bei Weimar.

November 1944

Neuerliche Versetzung Morgens an das SS-Gericht in Krakau.

Dezember 1944

Wiederaufnahme des Buchenwaldprozesses in Weimar.

Januar 1945

Morgen flieht vor der Roten Armee aus Krakau.

September 1945

Morgen meldet sich bei den amerikanischen Besatzungsbehörden in Mannheim-Seckenau und wird in Haft genommen.

7./8. August 1946

Morgen sagt als Zeuge der Verteidigung beim Prozess des Internationalen Militärgerichtshofs gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg aus.

11./12. Juni 1947

Morgen sagt als Zeuge beim Prozess gegen den Erbprinz zu Waldeck und Pyrmont aus (United States vs. Josias Prinz zu Waldeck et al.).

21./22. August 1947

Morgen sagt als Zeuge beim Prozess gegen Oswald Pohl (Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts [WHVA] der SS) aus.

24. März 1948

Morgen sagt als Zeuge im Wilhelmstraßenprozess (»The Ministries Trial«, United States vs. Ernst von Weizsäcker et al.) im Rahmen der Anklage gegen den Chef des Hauptamts SS, Gottlob Berger (Fall XI), aus.

Anfang Mai 1948

Morgen wird aus amerikanischer Haft entlassen und von den deutschen Behörden ins Interniertenlager Kornwestheim überstellt, um sein Entnazifizierungsverfahren abzuwarten.

15. Mai 1948

Morgen stellt den Antrag auf Entlassung aus dem Lager Kornwestheim. Dies wird mit der Auflage gewährt, sich dreimal wöchentlich bei den Behörden zu melden.

24. Juni 1948

Urteil der Spruchkammer des Interniertenlagers Ludwigsburg (Kornwestheim); Morgen wird als »Entlasteter« eingestuft. Dieses Urteil wurde durch das Ministerium für Politische Befreiung aufgehoben. Ein zweites Entnazifizierungsverfahren wird beim Gericht Nordwürttemberg anhängig.

27. September 1948

Morgen heiratet in Frankfurt am Main Maria Wachter, geb. Blank.

18. September 1950

Beschluss der Zentral-Spruchkammer Nordwürttemberg, Morgens Entnazifizierungsverfahren mit Wirksamkeit Mai 1951 abzuschließen.

1951

Morgen arbeitet nach seiner Entnazifizierung als Rechtsanwalt und Notar in Frankfurt am Main.

9. März 1964

Morgen sagt als Zeuge der Anklage im Auschwitzprozess in Frankfurt am Main aus.

19. September 1973

Aussage Morgens (eidesstattliche Vernehmung) im Vorfeld des Majdanek-Prozesses in Düsseldorf.

22. Januar 1980

Majdanek-Prozess in Düsseldorf. Aus gesundheitlichen Gründen tritt Morgen dort nicht persönlich als Zeuge auf, sondern macht seine Aussage in Frankfurt am Main.

4. Februar 1982

Konrad Morgen stirbt in Frankfurt am Main.

 

[1] Diese Angaben beruhen auf Morgens Personalakte im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, siehe PKM. In einem von Konrad Morgen am 15. Juni 1934 im Rahmen seines Ansuchens um die Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung handschriftlich verfassten Lebenslauf wird der 24. April 1933 als Datum seines Eintritts in die NSDAP genannt. In dem Lebenslauf gibt Morgen an, ab April 1933 Dienst bei der »Studenten-SA« geleistet zu haben und dann in die SS eingetreten zu sein ( vgl. HAW [3], Blatt 4). Morgen schreibt, im Juni 1933 von der »Studenten-SA« zur »SS-Studentenschaft« übergetreten zu sein. In den Vernehmungen durch die Amerikaner nach dem Krieg wird der 1. Mai 1933 als Datum des Eintritts in die NSDAP genannt (KMI, 4. September 1946, S. 2). In dem mit 24. Juni 1948 datierten Urteil der Spruchkammer des Interniertenlagers Ludwigsburg (Kornwestheim), in das Konrad Morgen nach der Entlassung aus amerikanischer Haft überstellt wurde, wird der Eintritt in die NSDAP auf den 1. Februar 1933 verlegt und das genaue Datum des Eintritts in die SS bis auf die Jahresangabe 1933 offengelassen (SKV EL 903/3, Bü 2196).

[2] Die SS-Division »Wiking« war eine SS-Panzerdivision, in der neben deutschen Soldaten Freiwillige aus Skandinavien, Belgien und den Niederlanden dienten. Die SS-Standarte »Germania« war Teil dieser Division. Konrad Morgen verwendet in seinen Zeugenaussagen beide Begriffe.