Table of Contents

Titel

Impressum

1. Paulchen wird selbständig

2. Pükk

3. Meister Mukk

4. Das Wochenend-Haus

5. Das Privatflugzeug und das Ewige Licht

6. Begegnung mit Zwick-Marie

7. Die Ameisen-Kinderstube

8. Die Kühe der Ameisen

9. Die Erde bewegt sich

10. Räuber

11. Die Jagd

12. Treffen mit Herrn Zirp-Zirp

13. Im Netz der Kreuzspinne

14. Der Kampf der Hirschkäfer

15. Der Überfall

16. Rettet die Königin!

17. Gefangener der Blutroten Raubameisen

18. Die Flucht

19. Puppis Verwandtschaft

20. Die Raubameisen wandern aus

21. Die Siegesfeier

 

 

 

 

Sándor Anna Csikszentmihály

 

 

 

 

 

Paulchen und Zwickmarie - Abenteuer im Ameisenland

 

Aus dem Ungarischen übersetzt von Balázs Gachal-Eölvedy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Sándor Anna Csikszentmihály

Übersetzung ins Deutsche Copyright by: Balázs Gachal-Eölvedy

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2020

Titel der Originalausgabe: „Hangya Pali kalandjai“

ISBN: 9783957537355

 

1.  Paulchen wird selbständig

 

Die Strahlen der aufgehenden Sonne hatten bereits den Tau aufgesaugt. Ab und zu blinkte hier und da in den Blütenkelchen und auf einigen Blättern noch ein dicker Tropfen.

Auf einer Lichtung am Waldrand lag ausgestreckt im Gras Paulchen. Äußerst aufmerksam betrachtete er einen Ameisenhaufen. Ganz reglos verhielt er sich und so leise, dass ihn nicht einmal ein junges Reh bemerkte, das eben aus dem Unterholz geschlüpft war. Es überquerte in aller Ruhe die Lichtung, um an der Quelle zu trinken. Zarte lavendelblaue Schmetterlinge jagten sich verspielt über duftenden Blumen, die sich kokett unter dem Gewicht zufrieden brummender Hummeln im morgendlichen Sonnenschein wiegten. Unten am Fuße der Gräser ging es schon geschäftig zu. Da war ein Krabbeln, Klettern und Hasten von unzähligen kleinen Insekten, alle auf der Suche nach dem 'täglichen Brot'. Dabei musste jedes selbst auf der Hut sein, um nicht ebenfalls von einer listigen Drossel oder Meise geschnappt zu werden. Die saßen nämlich auch schon im Geäst. Einstweilen begrüßten diese sich noch sorglos zwitschernd und pfeifend gegenseitig und auch den neuen Tag, der gerade durch die Wipfel schimmerte und smaragdgrüne Lichtstreifen auf die Lichtung warf.

Paulchen beobachtete eine kleine braune Ameise, wie die sich mit einem toten Käfer, der vielmals größer war als sie selbst, über Halme und Wurzeln hinweg abmühte. Er wollte ihr mit einem Stöckchen helfen, aber die kleine Ameise ließ daraufhin erschrocken von ihrer Beute ab, mit der sie sich bis dahin so mühevoll abgeschleppt hatte. Sie stürzte Hals über Kopf davon.

„Du Dummerchen, ich will dir doch nur helfen!“

Vorsichtig ergriff er die kleine Käferleiche und legte sie vor den Haupteingang des Ameisenhaufens. Nun beobachtete er neugierig das weitere Geschehen.

Da ertönte tief aus dem Wald munteres Kinderlärmen. Dazwischen hörte er aus allen Richtungen seinen Namen rufen:

„Hallo, hallo, Paulchen, komm schon! Wir gehen weiter!“

Anstatt zu antworten sprang Paulchen von seinem Wiesenlager auf und versteckte sich hinter einem dicken Baumstamm. Zwei Buben tauchten zwischen den Büschen auf und suchten angestrengt umherblickend die Lichtung ab.

„Hier ist er nicht!“

„Hallo Paul, wo bist du?“

„Aber ich habe doch genau gesehen, dass er in diese Richtung gelaufen ist.“

„Kann doch sein, dass er mit der Hansi-Gruppe vorausgegangen ist. Wir müssen jetzt jedenfalls los! Komm, der Herr Lehrer ist auch schon aufgebrochen.“

Und sie rannten in den Wald zurück.

Darauf hatte Paulchen nur gewartet. Eilig kehrte er zum Ameisenhaufen zurück.

 

2.  Pükk

 

Der tote Käfer war nicht mehr da. Was war mit ihm geschehen? Wohin war er gebracht worden?

Durch das Eingangstor in den Ameisenbau? Hat ihn vielleicht jemand anderer mitgenommen? Und wo ist die kleine braune Ameise geblieben? Welche könnte es überhaupt sein von den vielen?

Tausend Fragen sprudelten durch Paulchens Kopf, und auf einmal fieberte in ihm nur noch der eine Wunsch: Ganz klein wollte er sein, so winzig, dass er in die Ameisenstadt gelangen könnte. Der Herr Lehrer hatte doch erzählt, dass sie eine Königin haben. Wie süß musste sie sein mit ihrer klitzekleinen goldenen Krone auf dem Haupt. Ihr Thron war wohl nicht größer als eine Erbse. „Oh, wie gerne würde ich die Königin sehen - und ihre Soldaten!“

Irgendetwas kitzelte ihn an der Nase. Er blickte auf. Erstaunt sah er ein kleines Männchen neben sich auf einem Baumstumpf sitzen. Das neckte ihn mit einem Grashalm!

„Es wird Zeit loszumarschieren, Paulchen. Du wirst die anderen sonst nicht mehr einholen!“

Sprachlos und ein wenig erschrocken schaute Paulchen auf das Männchen. Eigentlich gefiel ihm der lustige Kleine, aber ein bisschen Angst hatte er doch.

Da lachte das Männlein:

„Tausendmal Entschuldigung, hab' mich ja noch gar nicht vorgestellt.“

Er hüpfte vom Baumstumpf und verbeugte sich übertrieben spaßig, indem er seinen spitzen Hut in weitem Bogen durch die Luft schwang:

„Pükk, Pükk ist mein Name! Sicher erreichte dich schon die Kunde von uns Waldwichteln.“

„Waldwichtel! Toll! Gerade gestern las ich von euch!“, rief Paulchen strahlend.

„Supertoll“, kicherte Pükk, „und was bitte hast du über uns gelesen?“

„Oh, ziemlich viel - zum Beispiel, dass ihr tief unter der Erde wohnt und euch mit Bergbau befasst. Dann noch, dass ihr übermütigen Bürschchen die Menschen gerne an der Nase rumführt!“

 

 

„Ist das alles? Pah, was ihr schon wisst!“

Das klang abfällig und auch etwas beleidigt.

„Aber das wisst ihr natürlich nicht, dass w i r die köstlichen Mineralien ins Regenwasser mischen, während es durchs Erdreich sickert. Nur deshalb kann es dann als gesundes, erfrischendes Quellwasser ans Tageslicht sprudeln! Vielleicht ist es dir ja bekannt: Regenwasser ohne Mineralien schmeckt nicht gerade besonders.“

Paulchen wurde nachdenklich:

„Ah, wie interessant! Vom Regenwasser weiß ich nur soviel: Die Sonne lässt Wasser auf der Erde verdunsten. In der Höhe kühlt der Dunst ab, weil es entfernt von der Erdoberfläche immer kälter wird. So entstehen Wolken aus gefrorenem Dunst. Wenn die Teilchen in den Wolken zu schwer werden, fallen sie auf die Erde zurück und werden dabei zu Regen.“

Jetzt war Pükk sichtlich beeindruckt:

„So viel weiß ein kleiner Junge heutzutage schon!“

„Und der Regen versickert anschließend im Erdreich“, beendete Paulchen seinen Vortrag um gleich darauf so vor sich hin zu überlegen: „Die Mineralien steigen also nicht mit in die Wolken?“

„Natürlich nicht“, dozierte Pükk, „die sind zu schwer. Nur der Wasserdunst, oft auch als Nebel sichtbar, ist leicht genug.“

„Wie schlau du bist, Pükk!“

Echte Bewunderung klang in Paulchens Stimme.

„Was wahr ist, ist nun mal wahr! Wir Wichtel können zwar keine Flugzeuge und Computer bauen wie ihr Menschen, dafür verstehen wir uns auf Vieles, von dem i h r keine Ahnung habt.“

„Wirklich? Da bin ich jetzt aber neugierig!“

„Wie wäre es zum Beispiel mit 'Zeitanhalten'? Das ist eine Spezialität von uns. Außerdem altern und sterben wir nicht. Wir kennen auch keine Raufereien oder Prügeleien und schon gar nicht, was ihr 'Krieg' nennt. Und...“, Pükks Stimme klang auf einmal geheimnisvoll, „und eine besondere Spezialität von uns ist: Aus Kleinem Großes und aus Großem Kleines machen.“

„Aus Großem Kleines? Wie ... wie soll ich das das verstehen?“

Vor Aufregung stockte Paulchens Atem. „Ist ist das jetzt nicht geschwindelt? Sag ehrlich, ganz ehrlich!“

„Ehrenwort, großes Wichtel-Ehrenwort! Es gibt unter uns einen sehr weisen Meister, der kann, sagen wir mal, einen Ochsen so winzigschrumpeln, dass er am Ende nicht größer ist als, vielleicht, na ja, als eine Ameise.“

„Und, und aus einem Menschen? Kann er da auch soooo etwas Kleines ...?“ Paulchen zeigte es mit Daumen und Zeigefinger.

„Selbstverständlich!“, sagte Pükk mit Nachdruck.

Jetzt konnte Paulchen sich nicht mehr halten: „Pükk, lieber Pükk, ich wünsche mir so sehr, so klein wie eine Ameise zu sein!“

„Ha ha ha ha!“

Der Wichtel lachte so herzhaft, dass ein Eichhörnchen aus dem Geäst über ihnen die gerade aufgeknackte Nuss fallen ließ. „Ha ha ha, was nicht so alles im Kopf eines Menschenbuben herumspukt! Mit so kleinen Beinchen könntest du deine Kameraden niemals mehr einholen!“

„Will ich auch gar nicht“, erwiderte Paulchen eigensinnig. „In den Bau der Ameisen, in den Ameisenstaat möchte ich hinein; ich möchte die Königin sehen.“

Ein erneuter heftiger Lachanfall schüttelte Pükk und er kugelte vom Baumstumpf herab:

„Ha ha ha ha, die Ameisenkönigin, ha ha ha, vielleicht mit einer Krone auf dem Kopf? Womöglich auf einem goldenen Thron mit einem hermelingesäumten Mantel um? Na also, lieber Freund, nichts einfacher als das. Komm, ich führe dich zu Meister Mukk. Er wird dich kleinschrumpfen, dann kannst du den Ameisenbau erkunden.“

Pükk marschierte unverzüglich los, geradewegs in die Richtung, wo der Wald am dichtesten und dunkelsten war. Paulchen folgte beklommenen Herzens, aber in neugieriger Erwartung.

 

3.  Meister Mukk

 

Nach nicht allzu langer Zeit erreichten sie einen uralten, hohlen Baum.

„Da wären wir,“ sagte Pükk.

Er schlüpfte in das Baumloch und winkte Paulchen, er möge ihm folgen. Sie hatten kaum ein, zwei Schritte getan, da dehnte sich die Höhle zu einem langen Gang. Am Ende schimmerte von rechts ein seltsames Licht. Es kam aus einer saalförmig geweiteten Stelle. Rundherum an den Wänden leuchteten tausend und abertausend Johanniskäfer und ihr grünes Licht wurde von einem großen Berg Edelsteinen zehnfach glitzernd zurückgestrahlt. Paulchen bemerkte in dem funkelnden Licht ein seltsames, altes Wurzelmännlein, das Diamanten in moosgepolsterte Erdmulden schlichtete.

„Guten Abend Väterchen Mukk. Habe jemanden mitgebracht, einen Bewunderer deiner Kunst.“

„So,“ bemerkte das Männlein ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Pükk erklärte:

„Das ist Paulchen; er hat großes Interesse…“

„Hauptsächlich an Mathematik und Rechtschreiben“, unterbrach ihn Meister Mukk mit spöttischem Unterton.