Gottfried Keller

Romeo und Julia auf dem Dorfe

Novelle

Gottfried Keller

Romeo und Julia auf dem Dorfe

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962812-72-0

null-papier.de/552

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ro­meo und Ju­lia auf dem Dor­fe

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Romeo und Julia auf dem Dorfe

Die­se Ge­schich­te zu er­zäh­len wür­de eine mü­ßi­ge Nach­ah­mung sein, wenn sie nicht auf ei­nem wirk­li­chen Vor­fall be­ruh­te, zum Be­wei­se, wie tief im Men­schen­le­ben jede je­ner Fa­beln wur­zelt, auf wel­che die großen al­ten Wer­ke ge­baut sind. Die Zahl sol­cher Fa­beln ist mä­ßig; aber stets tre­ten sie in neu­em Ge­wan­de wie­der in die Er­schei­nung und zwin­gen als­dann die Hand, sie fest­zu­hal­ten.

An dem schö­nen Flus­se, der eine hal­be Stun­de ent­fernt an Seld­wyl vor­über­zieht, er­hebt sich eine weit­ge­dehn­te Erd­wel­le und ver­liert sich, sel­ber wohl­be­baut, in der frucht­ba­ren Ebe­ne. Fern an ih­rem Fuße liegt ein Dorf, wel­ches man­che große Bau­ern­hö­fe ent­hält, und über die sanf­te An­hö­he la­gen vor Jah­ren drei präch­ti­ge lan­ge Äcker weit­hin­ge­streckt gleich drei rie­si­gen Bän­dern ne­ben­ein­an­der. An ei­nem son­ni­gen Sep­tem­ber­mor­gen pflüg­ten zwei Bau­ern auf zwei­en die­ser Äcker, und zwar auf je­dem der bei­den äu­ßers­ten; der mitt­le­re schi­en seit lan­gen Jah­ren brach und wüst zu lie­gen, denn er war mit Stei­nen und ho­hem Un­kraut be­deckt, und eine Welt von ge­flü­gel­ten Tier­chen summ­te un­ge­stört über ihm. Die Bau­ern aber, wel­che zu bei­den Sei­ten hin­ter ih­rem Pflu­ge gin­gen, wa­ren lan­ge kno­chi­ge Män­ner von un­ge­fähr vier­zig Jah­ren und ver­kün­de­ten auf den ers­ten Blick den si­chern, gut­be­sorg­ten Bau­ers­mann. Sie tru­gen kur­ze Knie­ho­sen von star­kem Zwil­lich, an dem jede Fal­te ihre un­ver­än­der­li­che Lage hat­te und wie in Stein ge­mei­ßelt aus­sah. Wenn sie, auf ein Hin­der­nis sto­ßend, den Pflug fes­ter fass­ten, so zit­ter­ten die gro­ben Hem­d­är­mel von der leich­ten Er­schüt­te­rung, in­des­sen die wohl­ra­sier­ten Ge­sich­ter ru­hig und auf­merk­sam, aber ein we­nig blin­zelnd in den Son­nen­schein vor sich hin­schau­ten, die Fur­che be­ma­ßen oder auch wohl zu­wei­len sich um­sa­hen, wenn ein fer­nes Geräusch die Stil­le des Lan­des un­ter­brach. Lang­sam und mit ei­ner ge­wis­sen na­tür­li­chen Zier­lich­keit setz­ten sie einen Fuß um den an­dern vor­wärts, und kei­ner sprach ein Wort, au­ßer wenn er etwa dem Knech­te, der die statt­li­chen Pfer­de an­trieb, eine An­wei­sung gab. So gli­chen sie ein­an­der voll­kom­men in ei­ni­ger Ent­fer­nung; denn sie stell­ten die ur­sprüng­li­che Art die­ser Ge­gend dar, und man hät­te sie auf den ers­ten Blick nur dar­an un­ter­schei­den kön­nen, dass der eine den Zip­fel sei­ner wei­ßen Kap­pe nach vorn trug, der an­de­re aber hin­ten im Na­cken hän­gen hat­te. Aber das wech­sel­te zwi­schen ih­nen ab, in­dem sie in der ent­ge­gen­ge­setz­ten Rich­tung pflüg­ten; denn wenn sie oben auf der Höhe zu­sam­men­tra­fen und an­ein­an­der vor­über­ka­men, so schlug dem, wel­cher ge­gen den fri­schen Ost­wind ging, die Zip­fel­kap­pe nach hin­ten über, wäh­rend sie bei dem an­dern, der den Wind im Rücken hat­te, sich nach vor­ne sträub­te. Es gab auch je­des Mal einen mitt­lern Au­gen­blick, wo die schim­mern­den Müt­zen auf­recht in der Luft schwank­ten und wie zwei wei­ße Flam­men gen Him­mel zün­gel­ten. So pflüg­ten bei­de ru­he­voll, und es war schön an­zu­se­hen in der stil­len gol­de­nen Sep­tem­ber­ge­gend, wenn sie so auf der Höhe an­ein­an­der vor­bei­zo­gen, still und lang­sam, und sich mäh­lich von­ein­an­der ent­fern­ten, im­mer wei­ter aus­ein­an­der, bis bei­de wie zwei un­ter­ge­hen­de Gestir­ne hin­ter die Wöl­bung des Hü­gels hin­ab­gin­gen und ver­schwan­den, um eine gute Wei­le dar­auf wie­der zu er­schei­nen. Wenn sie einen Stein in ih­ren Fur­chen fan­den, so war­fen sie den­sel­ben auf den wüs­ten Acker in der Mit­te mit läs­sig kräf­ti­gem Schwun­ge, was aber nur sel­ten ge­sch­ah, da der­sel­be schon fast mit al­len Stei­nen be­las­tet war, wel­che über­haupt auf den Nach­barä­ckern zu fin­den ge­we­sen.

So war der lan­ge Mor­gen zum Teil ver­gan­gen, als von dem Dor­fe her ein klei­nes ar­ti­ges Fuhr­wer­klein sich nä­her­te, wel­ches kaum zu se­hen war, als es be­gann, die ge­lin­de Höhe her­an­zu­kom­men. Das war ein grün­be­mal­tes Kin­der­wä­gel­chen, in wel­chem die Kin­der der bei­den Pflü­ger, ein Kna­be und ein klei­nes Ding von Mäd­chen, ge­mein­schaft­lich den Vor­mit­tag­sim­biss her­an­fuh­ren. Für je­den Teil lag ein schö­nes Brot, in eine Ser­vi­et­te ge­wi­ckelt, eine Kan­ne Wein mit Glä­sern und noch ir­gend­ein Zutät­chen in dem Wa­gen, wel­ches die zärt­li­che Bäue­rin für den flei­ßi­gen Meis­ter mit­ge­sandt, und au­ßer­dem wa­ren da noch ver­packt al­ler­lei selt­sam ge­stal­te­te an­ge­bis­se­ne Äp­fel und Bir­nen, wel­che die Kin­der am Wege auf­ge­le­sen, und eine völ­lig nack­te Pup­pe mit nur ei­nem Bein und ei­nem ver­schmier­ten Ge­sicht, wel­che wie ein Fräu­lein zwi­schen den Bro­ten saß und sich be­hag­lich fah­ren ließ. Dies Fuhr­werk hielt nach man­chem An­stoß und Auf­ent­halt end­lich auf der Höhe im Schat­ten ei­nes jun­gen Lin­den­ge­bü­sches, wel­ches da am Ran­de des Fel­des stand, und nun konn­te man die bei­den Fuhr­leu­te nä­her be­trach­ten. Es war ein Jun­ge von sie­ben Jah­ren und ein Dirn­chen von fün­fen, bei­de ge­sund und mun­ter, und wei­ter war nichts Auf­fäl­li­ges an ih­nen, als dass bei­de sehr hüb­sche Au­gen hat­ten und das Mäd­chen dazu noch eine bräun­li­che Ge­sichts­far­be und ganz krau­se dunkle Haa­re, wel­che ihm ein feu­ri­ges und treu­her­zi­ges An­se­hen ga­ben. Die Pflü­ger wa­ren jetzt auch wie­der oben an­ge­kom­men, steck­ten den Pfer­den et­was Klee vor und lie­ßen die Pflü­ge in der halb­vollen­de­ten Fur­che ste­hen, wäh­rend sie als gute Nach­ba­ren sich zu dem ge­mein­schaft­li­chen Im­biss be­ga­ben und sich da zu­erst be­grüß­ten; denn bis­lang hat­ten sie sich noch nicht ge­spro­chen an die­sem Tage.

Wie nun die Män­ner mit Be­ha­gen ihr Früh­stück ein­nah­men und mit zu­frie­de­nem Wohl­wol­len den Kin­dern mit­teil­ten, die nicht von der Stel­le wi­chen, so­lan­ge ge­ges­sen und ge­trun­ken wur­de, lie­ßen sie ihre Bli­cke in der Nähe und Fer­ne her­um­schwei­fen und sa­hen das Städt­chen räu­che­rig glän­zend in sei­nen Ber­gen lie­gen; denn das reich­li­che Mit­tags­mahl, wel­ches die Seld­wy­ler alle Tage be­rei­te­ten, pfleg­te ein weit­hin schei­nen­des Sil­ber­ge­wölk über ihre Dä­cher em­por­zu­tra­gen, wel­ches la­chend an ih­ren Ber­gen hin­schweb­te.

»Die Lum­pen­hun­de zu Seld­wyl ko­chen wie­der gut!« sag­te Manz, der eine der Bau­ern, und Mar­ti, der an­de­re, er­wi­der­te: »Ges­tern war ei­ner bei mir we­gen des Ackers hier.«

»Aus dem Be­zirks­rat? bei mir ist er auch ge­we­sen!« sag­te Manz. »So? und mein­te wahr­schein­lich auch, du soll­test das Land be­nut­zen und den Her­ren die Pacht zah­len?«

»Ja, bis es sich ent­schie­den habe, wem der Acker ge­hö­re und was mit ihm an­zu­fan­gen sei. Ich habe mich aber be­dankt, das ver­wil­der­te We­sen für einen an­dern her­zu­stel­len, und sag­te, sie soll­ten den Acker nur ver­kau­fen und den Er­trag auf­he­ben, bis sich ein Ei­gen­tü­mer ge­fun­den, was wohl nie ge­sche­hen wird; denn was ein­mal auf der Kanz­lei zu Seld­wyl liegt, hat da gute Wei­le, und über­dem ist die Sa­che schwer zu ent­schei­den. Die Lum­pen möch­ten in­des­sen gar zu gern et­was zu na­schen be­kom­men durch den Pacht­zins, was sie frei­lich mit der Ver­kaufs­s­um­me auch tun könn­ten; al­lein wir wür­den uns hü­ten, die­sel­be zu hoch hin­auf­zu­trei­ben, und wir wüss­ten dann doch, was wir hät­ten und wem das Land ge­hört!«

»Ganz so mei­ne ich auch und habe dem Steck­lein­sprin­ger eine ähn­li­che Ant­wort ge­ge­ben!«

Sie schwie­gen eine Wei­le, dann fing Manz wie­der­um an: »Schad ist es aber doch, dass der gute Bo­den so da­lie­gen muss, es ist nicht zum An­se­hen, das geht nun schon in die zwan­zig Jah­re so, und kei­ne See­le fragt dar­nach; denn hier im Dorf ist nie­mand, der ir­gend­ei­nen An­spruch auf den Acker hat, und nie­mand weiß auch, wo die Kin­der des ver­dor­be­nen Trom­pe­ters hin­ge­kom­men sind.«

»Hm!« sag­te Mar­ti, »das wäre so eine Sa­che! Wenn ich den schwar­zen Gei­ger an­se­he, der sich bald bei den Hei­mat­lo­sen auf­hält, bald in den Dör­fern zum Tanz auf­spielt, so möch­te ich dar­auf schwö­ren, dass er ein En­kel des Trom­pe­ters ist, der frei­lich nicht weiß, dass er noch einen Acker hat. Was täte er aber da­mit? Ei­nen Mo­nat lang sich be­sau­fen und dann nach wie vor! Zu­dem, wer dürf­te da einen Wink ge­ben, da man es doch nicht si­cher wis­sen kann!«

»Da könn­te man eine schö­ne Ge­schich­te an­rich­ten!« ant­wor­te­te Manz, »wir ha­ben so ge­nug zu tun, die­sem Gei­ger das Hei­mats­recht in un­se­rer Ge­mein­de ab­zu­strei­ten, da man uns den Fet­zel fort­wäh­rend auf­hal­sen will. Ha­ben sich sei­ne El­tern ein­mal un­ter die Hei­mat­lo­sen be­ge­ben, so mag er auch da­blei­ben und dem Kes­sel­volk das Gei­ge­lein strei­chen. Wie in al­ler Welt kön­nen wir wis­sen, dass er des Trom­pe­ters Soh­nes­sohn ist? Was mich be­trifft, wenn ich den Al­ten auch in dem dunklen Ge­sicht voll­kom­men zu er­ken­nen glau­be, so sage ich: ir­ren ist mensch­lich, und das ge­rings­te Fetz­chen Pa­pier, ein Stück­lein von ei­nem Tauf­schein wür­de mei­nem Ge­wis­sen bes­ser tun als zehn sünd­haf­te Men­schen­ge­sich­ter!«

»Eia, si­cher­lich!« sag­te Mar­ti, »er sagt zwar, er sei nicht schuld, dass man ihn nicht ge­tauft habe! Aber sol­len wir un­sern Tauf­stein trag­bar ma­chen und in den Wäl­dern her­um­tra­gen? Nein, er steht fest in der Kir­che, und da­für ist die To­ten­bah­re trag­bar, die drau­ßen an der Mau­er hängt. Wir sind schon über­völ­kert im Dorf und brau­chen bald zwei Schul­meis­ter!«

Hie­mit war die Mahl­zeit und das Zwie­ge­spräch der Bau­ern ge­en­det, und sie er­ho­ben sich, den Rest ih­rer heu­ti­gen Vor­mit­tags­ar­beit zu voll­brin­gen. Die bei­den Kin­der hin­ge­gen, wel­che schon den Plan ent­wor­fen hat­ten, mit den Vä­tern nach Hau­se zu zie­hen, zo­gen ihr Fuhr­werk un­ter den Schutz der jun­gen Lin­den und be­ga­ben sich dann auf einen Streif­zug in dem wil­den Acker, da der­sel­be mit sei­nen Un­kräu­tern, Stau­den und Stein­hau­fen eine un­ge­wohn­te und merk­wür­di­ge Wild­nis dar­stell­te. Nach­dem sie in der Mit­te die­ser grü­nen Wild­nis ei­ni­ge Zeit hin­ge­wan­dert, Hand in Hand, und sich dar­an be­lus­tigt, die ver­schlun­ge­nen Hän­de über die ho­hen Dis­tel­stau­den zu schwin­gen, lie­ßen sie sich end­lich im Schat­ten ei­ner sol­chen nie­der, und das Mäd­chen be­gann sei­ne Pup­pe mit den lan­gen Blät­tern des We­ge­krau­tes zu be­klei­den, so­dass sie einen schö­nen grü­nen und aus­ge­zack­ten Rock be­kam; eine ein­sa­me rote Mohn­blu­me, die da noch blüh­te, wur­de ihr als Hau­be über den Kopf ge­zo­gen und mit ei­nem Gra­se fest­ge­bun­den, und nun sah die klei­ne Per­son aus wie eine Zau­ber­frau, be­son­ders nach­dem sie noch ein Hals­band und einen Gür­tel von klei­nen ro­ten Beer­chen er­hal­ten. Dann wur­de sie hoch in die Sten­gel der Dis­tel ge­setzt und eine Wei­le mit ver­ein­ten Bli­cken an­ge­schaut, bis der Kna­be sie ge­nug­sam be­se­hen und mit ei­nem Stei­ne her­un­ter­warf. Da­durch ge­riet aber ihr Putz in Un­ord­nung, und das Mäd­chen ent­klei­de­te sie schleu­nigst, um sie aufs neue zu schmücken; doch als die Pup­pe eben wie­der nackt und bloß war und nur noch der ro­ten Hau­be sich er­freu­e­te, ent­riss der wil­de Jun­ge sei­ner Ge­fähr­tin das Spiel­zeug und warf es hoch in die Luft. Das Mäd­chen sprang kla­gend dar­nach, al­lein der Kna­be fing die Pup­pe zu­erst wie­der auf, warf sie aufs neue em­por, und in­dem das Mäd­chen sie ver­geb­lich zu ha­schen sich be­müh­te, neck­te er es auf die­se Wei­se eine gute Zeit. Un­ter sei­nen Hän­den aber nahm die flie­gen­de Pup­pe Scha­den, und zwar am Knie ih­res ein­zi­gen Bei­nes, all­wo ein klei­nes Loch ei­ni­ge Klei­e­kör­ner durch­si­ckern ließ. Kaum be­merk­te der Pei­ni­ger dies Loch, so ver­hielt er sich mäus­chen­still und war mit of­fe­nem Mun­de eif­rig be­flis­sen, das Loch mit sei­nen Nä­geln zu ver­grö­ßern und dem Ur­sprung der Kleie nach­zu­spü­ren. Sei­ne Stil­le er­schi­en dem ar­men Mäd­chen höchst ver­däch­tig, und es dräng­te sich her­zu und muss­te mit Schre­cken sein bö­ses Be­gin­nen ge­wah­ren. »Sieh mal!« rief er und schlen­ker­te ihr das Bein vor der Nase her­um, dass ihr die Kleie ins Ge­sicht flog, und wie sie dar­nach lan­gen woll­te und schrie und fleh­te, sprang er wie­der fort und ruh­te nicht eher, bis das gan­ze Bein dürr und leer her­ab­hing als eine trau­ri­ge Hül­se. Dann warf er das miss­han­del­te Spiel­zeug hin und stell­te sich höchst frech und gleich­gül­tig, als die Klei­ne sich wei­nend auf die Pup­pe warf und die­sel­be in ihre Schür­ze hüll­te. Sie nahm sie aber wie­der her­vor und be­trach­te­te weh­se­lig die Ärms­te, und als sie das Bein sah, fing sie aber­mals an, laut zu wei­nen, denn das­sel­be hing an dem Rump­fe nicht an­ders denn das Schwänz­chen an ei­nem Mol­che. Als sie gar so un­bän­dig wein­te, ward es dem Mis­se­tä­ter end­lich et­was übel zu­mut, und er stand in Angst und Reue vor der Kla­gen­den, und als sie dies merk­te, hör­te sie plötz­lich auf und schlug ihn ei­ni­ge­mal mit der Pup­pe, und er tat, als ob es ihm weh täte, und schrie »Au!« so na­tür­lich, dass sie zu­frie­den war und nun mit ihm ge­mein­schaft­lich die Zer­stö­rung und Zer­le­gung fort­setz­te. Sie bohr­ten Loch auf Loch in den Mar­ter­leib und lie­ßen al­ler En­den die Kleie ent­strö­men, wel­che sie sorg­fäl­tig auf ei­nem fla­chen Stei­ne zu ei­nem Häuf­chen sam­mel­ten, um­rühr­ten und auf­merk­sam be­trach­te­ten. Das ein­zi­ge Fes­te, was noch an der Pup­pe be­stand, war der Kopf und muss­te jetzt vor­züg­lich die Auf­merk­sam­keit der Kin­der er­re­gen; sie trenn­ten ihn sorg­fäl­tig los von dem aus­ge­quetsch­ten Leich­nam und guck­ten er­staunt in sein hoh­les In­ne­re. Als sie die be­denk­li­che Höh­lung sa­hen und auch die Kleie sa­hen, war es der nächs­te und na­tür­lichs­te Ge­dan­ken­sprung, den Kopf mit der Kleie aus­zu­fül­len, und so wa­ren die Fin­ger­chen der Kin­der nun be­schäf­tigt, um die Wet­te Kleie in den Kopf zu tun, so­dass zum ers­ten Mal in sei­nem Le­ben et­was in ihm steck­te. Der Kna­be moch­te es aber im­mer noch für ein to­tes Wis­sen hal­ten, weil er plötz­lich eine große blaue Flie­ge fing und, die Sum­men­de zwi­schen bei­den hoh­len Hän­den hal­tend, dem Mäd­chen ge­bot, den Kopf von der Kleie zu ent­lee­ren. Hier­auf wur­de die Flie­ge hin­ein­ge­sperrt und das Loch mit Gras ver­stopft. Die Kin­der hiel­ten den Kopf an die Ohren und setz­ten ihn dann fei­er­lich auf einen Stein; da er noch mit der ro­ten Mohn­blu­me be­deckt war, so glich der Tö­nen­de jetzt ei­nem weis­sa­gen­den Haup­te, und die Kin­der lausch­ten in tiefer Stil­le sei­nen Kun­den und Mär­chen, in­des­sen sie sich um­schlun­gen hiel­ten. Aber je­der Pro­phet er­weckt Schre­cken und Un­dank; das we­ni­ge Le­ben in dem dürf­tig ge­form­ten Bil­de er­reg­te die mensch­li­che Grau­sam­keit in den Kin­dern, und es wur­de be­schlos­sen, das Haupt zu be­gra­ben. So mach­ten sie ein Grab und leg­ten den Kopf, ohne die ge­fan­ge­ne Flie­ge um ihre Mei­nung zu be­fra­gen, hin­ein und er­rich­te­ten über dem Gra­be ein an­sehn­li­ches Denk­mal von Feld­stei­nen. Dann emp­fan­den sie ei­ni­ges Grau­en, da sie et­was Ge­form­tes und Be­leb­tes be­gra­ben hat­ten, und ent­fern­ten sich ein gu­tes Stück von der un­heim­li­chen Stät­te. Auf ei­nem ganz mit grü­nen Kräu­tern be­deck­ten Plätz­chen leg­te sich das Dirn­chen auf den Rücken, da es müde war, und be­gann in ein­tö­ni­ger Wei­se ei­ni­ge Wor­te zu sin­gen, im­mer die näm­li­chen, und der Jun­ge kau­er­te da­ne­ben und half, in­dem er nicht wuss­te, ob er auch vollends um­fal­len sol­le, so läs­sig und mü­ßig war er. Die Son­ne schi­en dem sin­gen­den Mäd­chen in den ge­öff­ne­ten Mund, be­leuch­te­te des­sen blen­dend­wei­ße Zähn­chen und durch­schim­mer­te die ro­ten Pur­pur­lip­pen. Der Kna­be sah die Zäh­ne, und dem Mäd­chen den Kopf hal­tend und des­sen Zähn­chen neu­gie­rig un­ter­su­chend, rief er: »Rate, wie vie­le Zäh­ne hat man?« Das Mäd­chen be­sann sich einen Au­gen­blick, als ob es reif­lich nach­zähl­te, und sag­te dann auf Ge­ra­te­wohl: »Hun­dert!«

»Nein, zwei­und­drei­ßig!« rief er, »wart, ich will ein­mal zäh­len!« Da zähl­te er die Zäh­ne des Kin­des, und weil er nicht zwei­und­drei­ßig her­aus­brach­te, so fing er im­mer wie­der von neu­em an. Das Mäd­chen hielt lan­ge still, als aber der eif­ri­ge Zäh­ler nicht zu Ende kam, raff­te es sich auf und rief: »Nun will ich dei­ne zäh­len!« Nun leg­te sich der Bur­sche hin ins Kraut, das Mäd­chen über ihn, um­schlang sei­nen Kopf, er sperr­te das Maul auf, und es zähl­te: Eins, zwei, sie­ben, fünf, zwei, eins; denn die klei­ne Schö­ne konn­te noch nicht zäh­len. Der Jun­ge ver­bes­ser­te sie und gab ihr An­wei­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­