Vorwort

Das Aufeinandertreffen von Achilleus und der Amazonenkönigin Penthesileia im Rahmen des Trojanischen Krieges findet in den Posthomerica des Quintus von Smyrna (4. Jh. n. Chr.) seine ausführliche narrative Darstellung. Die Episode verfügte bereits in archaischer und klassische Zeit über einen bemerkenswerten Bekanntheitsgrad, wodurch sie letztendlich auch ihre Aufnahme in die antike Bildkunst erfuhr. Die beiden Protagonisten gelangten unter anderem in der Bildhauerei anhand von Rundskulpturen und Reliefs zur Abbildung, vermochten aber insbesondere in die Vasenmalerei Einzug zu halten, wobei sich gerade in dieser Kunstgattung eine gewisse Motivvielfalt entwickeln konnte.

Das Hauptaugenmerk des vorliegenden Buches ist auf die verschiedenen Darstellungsformen der beiden mythologischen Gestalten gerichtet, welche einzelne Etappen der Achilleus-Penthesileia-Episode widerspiegeln. Neben dem Auftreten der Amazonenkönigin am Kriegsschauplatz und dem erstmaligen Zusammentreffen von Achilleus und Penthesileia auf dem Schlachtfeld findet vor allem das Niederstrecken der weiblichen Kriegerin durch den Peliden seine breite ikonografische Reflexion. Auch das in Form der berühmten Stützpose zum Ausdruck gelangende Betrauern der einstigen Kontrahentin und das Wegtragen des Leichnams der Amazone aus dem Kriegsgetümmel wurde auf Vasen zum Teil sehr eindrucksvoll in Szene gesetzt.

Die Monografie liefert zunächst einen kurzen Überblick über die beiden im Mittelpunkt stehenden mythologischen Gestalten, ehe sie im Detail auf die Achilleus-Penthesileia-Episode im Rahmen des Trojanischen Krieges eingeht. Dabei finden die Ausführungen des oben genannten Quintus von Smyrna ihre umfangreiche Nutzung. Im Hauptteil des Buches gelangen die unterschiedlichen Motive dieser Episode, welche auf Vasen verschiedener Kunstepochen realisiert wurden, zur ausführlichen Untersuchung. Ziel ist hier im Wesentlichen eine Systematisierung der einzelnen Darstellungsformen. Die jeweiligen Motive werden in weiterer Folge unter Heranziehung zahlreicher Bildbeispiele noch näher erläutert.

Das Buch versteht sich keineswegs nur als Speziallektüre für Forschende in Archäologie und Alter Geschichte, welche mit der antiken griechischen Keramikkunst vertraut sind, sondern wendet sich auch an jenen Leserkreis, der über ein allgemeines Interesse an der griechischen Mythologie und der darin immer wieder auftretenden Amazonenerzählung verfügt.

Robert Sturm, Herbst 2020

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
    • 1.1 Das Leben des Achilleus
    • 1.2 Das Leben der Penthesileia
    • 1.3 Der Werdegang der antiken Vasenmalerei
  2. Der Achilleus-Penthesileia-Mythos
    • 2.1 Penthesileias Ankunft in Troja und Zug in den Krieg
    • 2.2 Der Zweikampf zwischen Achilleus und Penthesileia
    • 2.3 Achilleus und die tote Penthesileia
  3. Achilleus und Penthesileia in der griechischen Vasenmalerei
    • 3.1 Wichtige Bildmotive innerhalb des Achilleus-Penthesileia-Mythos
    • 3.2 Beispiele zu den einzelnen Bildmotiven
      • Motiv 1: Penthesileias Zug in die Schlacht
      • Motiv 2: Kampf Amazonen gegen Griechen
      • Motiv 3: Zweikampf Achilleus ‒ Penthesileia
      • Motiv 4: Tod Penthesileias ‒ Stütztopos
      • Motiv 5: Achilleus trägt Penthesileia vom Schlachtfeld
  4. Schlussbemerkungen

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1 Einleitung

1.1 Das Leben des Achilleus

Achilleus (Ἀχιλλεύς) gilt als einer der Haupthelden der Ilias und wurde vielerorts als Gott verehrt, was durch zahlreiche Kultstätten in Lakonien, in der Elis, in Korinth, in Böotien, in Thessalien und in Epiros bezeugt wird. Selbst in Unteritalien, im griechischen Osten und am Pontos vermochte man sich der Ausstrahlung des Heros nicht zu entziehen, weshalb man ihm zu Ehren etliche Heiligtümer errichtete.1

Zur Etymologie des Heldennamen nimmt Escher in seinem Artikel ausführlich Stellung.2 Grundsätzlich wird dort die Auffassung vertreten, dass Achilleus als Kurzform von Achilogonos (Ἀχιλóγονος) gedeutet werden kann, was so viel wie der „Schlangensohn“ bedeutet und auf die vorzugsweise Verwandlung der Mutter Thetis in eine Schlange anspielt. Von anderer Seite wird Achilleus als Koseform von Achaios (Ἀχαιός) interpretiert, wohingegen eine dritte Gruppe von Altertumsforschern den Namen im Zusammenhang mit einer Wassergottheit (vgl. Acheloos) zu sehen glaubt. Hier ist allerdings einschränkend festzuhalten, dass bei der Sagengestalt außer der Abstammung von Thetis und dem Kampf gegen Skamandros nichts an einen mit Wasser assoziierten Gott zu erinnern vermag.

Wenn man sich in weiterer Folge der Abstammung des Achilleus zuwendet, so kann man Peleus, den Herrscher der Myrmidonen in der Phthia, als dessen Vater identifizieren. Der Stammbaum des griechischen Heros führt über Peleus, Aiakos und Aigina bis zum Göttervater Zeus zurück (Abb. 1). Als Mutter des Achilleus kann nach der am weitesten verbreiteten Sage die Nereide Thetis angesehen werden, welche ihren Sohn unsterblich zu machen gedenkt und ihn deshalb mit Ambrosia salbt. Darüber hinaus taucht sie ihn bei Nacht in Feuer oder siedendes Wasser ein, wird jedoch bei dieser Handlung von ihrem Ehemann überrascht. Nachdem ihr der Sohn vom aufgebrachten Peleus entrissen worden ist, kehrt Thetis voller Betrübnis zu den Nereiden zurück. Dieser Handlungsstrang kann schon dem alten griechischen Epos Aigimios entnommen werden.3 Das berühmte Motiv der Achillesferse tritt erst wesentlich später in der Achilleis des Statius und in den Fabeln des Hyginus auf.4 Hier wird davon berichtet, dass Thetis ihren Sohn in die Styx taucht, um diesen unverwundbar zu machen. Die Ferse aber, an der sie ihn hält, wird bei diesem Vorgang nicht benetzt, wodurch eine vulnerable Stelle zurückbleibt, die dem Peliden später zum Verhängnis werden soll. Peleus bestimmt den Kentauren Chiron zum Lehrer seines Sohnes. Dabei wird Achilleus unter anderem in die Kriegskunst, die Heilkunde und die Musik eingewiesen. Als Jüngling kehrt er schließlich zu seinem Vater zurück.5

Abbildung 1. — Stammbaum der Peliden mit der
Rückführung des Achilleus auf die Zeustochter Aigina.

In der Ilias gelangt keine derart enge Beziehung zwischen Achilleus und Chiron zur Darstellung; vielmehr ist dort davon die Rede, dass Peleus seinen noch des Kampfes unerfahrenen Sohn gemeinsam mit Phoinix zu Agamemnon geschickt habe. Dort sollte jener in die Künste des Redens und Handelns eingeschult werden.6 In einer anderen Überlieferung wird der junge Achilleus von seiner Mutter bei Ausbruch des Trojanischen Krieges nach Skyros geschickt, um dort verkleidet unter den Töchtern des Lykomedes zu verharren. Aus seiner Verbindung mit Deidameia geht der Sohn Pyrrhos (Neoptolemos) hervor, der sich in der Spätphase des Krieges zwischen Griechen und Trojanern als würdiger Nachfolger seines Vaters erweisen soll.7 Erst der von Kalchas nach Skyros entsandte Odysseus vermag Achilleus durch eine List zu entdecken und ihn für die Kriegshandlungen zu rekrutieren. Gemäß den Ausführungen des Plutarch (Thes. 34) tritt Achilleus im Erwachsenenalter als Eroberer der Insel Skyros auf, um an Lykomedes, welcher den Tod des Theseus zu verantworten hat, Rache zu üben. Nachdem er sich mit dem Herrscher des Eilandes versöhnt hat, nimmt er dessen Tochter Deidameia zur Frau. In die Periode der Skyrosokkupation fallen auch der Triumph des Achilleus über Alexandros (Paris) am Spercheios, der Vorstoß gegen Poimandros von Tanagra und das Werben um Helena bei Tyndareos.8

Nachdem Nestor und Odysseus nach Phthia gekommen sind, fällt es ihnen nicht sehr schwer, Achilleus zur Teilnahme am Zug gegen Troja zu bewegen.9 Unter Begleitung von Patroklos und dem hochbetagten Phoinix zieht der Heros mit 50 Schiffen in den Krieg, wobei er gemäß den Kypria mit den Achaiern zunächst in Teuthranien (Mysien) landet. Dort zeichnet er für die Verwundung und Heilung des Telephos verantwortlich. Die Rückfahrt in die Heimat gestaltet sich äußerst stürmisch, beinhaltet jedoch auch die bereits erwähnte Eroberung der Insel Skyros und die Vermählung mit Deidameia.10 Nachdem sich die Flotte bei

Aulis gesammelt hat, wird Iphigeneia dorthin gelockt, da man ihr fälschlicherweise die Verlobung mit Achilleus vorgebracht hat.11 Als weitere vor dem eigentlichen Krieg stattfindende Episoden gelten die Tötung des Tenes auf Tenedos und ein erstes Zerwürfnis mit Agamemnon aufgrund einer verspäteten Einladung zum Mahl.12

Die ersten neun Jahre des Trojanischen Krieges verlaufen für Achilleus eher unspektakulär, wobei vor allem die Geschichten von Kyknos, Troilos und Lykaon im Vordergrund stehen.13 Nach Vermittlung von Thetis und Aphrodite erlebt der Pelide eine geheimnisvolle Begegnung mit Helena.14 Innerhalb der langen Zeitspanne des Aufenthalts der Griechen in der Troas werden unter der Führung des Achilleus zahlreiche Beutezüge sowie ein Skythenzug durchgeführt, welche die Eroberung etlicher kleinasiatischer Städte zur Folge haben.15

Die Ereignisse der Ilias konzentrieren sich auf die beiden Priesterinnen Chryseis und Briseis, welche einen schweren Konflikt zwischen Achilleus auf der einen Seite und Agamemnon auf der anderen hervorrufen. Unter Vermittlung der Göttin Athene kann der Streit schließlich beigelegt werden, wobei sich der Pelide jedoch in sein Zelt zurückzieht, den Verlust seiner Geliebten beklagt und fortan dem Kampf auf dem Schlachtfeld fernbleibt. Nach etlichen unglücklichen Kriegshandlungen der Achaier werden Phoinix, Aias, Odysseus sowie Odios und Eurybates zu Achilleus entsandt, um diesen auf Geheiß des Agamemnon zur Rückkehr in den Kampf zu bewegen. Trotz zahlreicher verlockender Angebote vermag man den Peliden jedoch nicht zur Wiederaufnahme der kriegerischen Tätigkeiten zu überreden.16

Als sich am nächsten Tag die Ereignisse überstürzen und die Griechen in tiefste Bedrängnis geraten, tritt Nestor an Patroklos mit der Bitte heran, dass jener entweder Achilleus umstimmen oder aber in dessen Rüstung den Achaiern beistehen möge.17 Patroklos erhält schließlich die Erlaubnis zum Anlegen der achilleischen Rüstung und vermag durch diesen Ansporn die Troer bis zu den Stadtmauern zurückzudrängen, wo er jedoch von Hektor niedergestreckt und seiner Bewaffnung beraubt wird. Nachdem Achilleus vom Tod seines Gefährten in Kenntnis gesetzt worden ist, bricht er in laute Klagen aus. Mit Unterstützung der Athene gelingt ihm der Abtransport des toten Patroklos vom Schlachtfeld. Die Bestattung seines einstigen Freundes verweigert er solange, bis er die Waffen und das Haupt des Hektor in seinen Händen hält.18

Nachdem Achilleus mit einer neuen, von Hephaistos geschmiedeten Rüstung ausgestattet worden ist und von den Achaiern seine Geliebte Briseis zurückerhalten hat, erfährt er durch Athene eine Stärkung mit Nektar und Ambrosia. Am nächsten Tag zieht er mit seinem Wagenlenker Automedon und den beiden un19