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DAS BUCH

Ajahn Brahm ist nicht nur einer der beliebtesten buddhistischen Lehrer unserer Zeit – er ist auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. Wie kein Zweiter versteht er es, die uralten, weisen Lehren des Buddhismus mit modernen, lebensnahen Themen zu verknüpfen.

In seinen wundervollen Erzählungen treffen wir eine lebensmüde Spinne, bürokratische Tyrannen, gütige Geister, erfahren das Geheimnis einer glücklichen Ehe, nehmen an einer Erleuchtungsshow teil und können sogar eine Glückslizenz erwerben. Seite für Seite erschließen sich uns Weisheiten, die uns helfen, achtsamer zu werden und uns selbst und unseren Mitmenschen mit Respekt, Liebe und Toleranz zu begegnen.

DER AUTOR

Ajahn Brahm, geboren 1951 als Peter Betts in London, studierte theoretische Physik an der Universität von Cambridge und ist seit mehr als 30 Jahren buddhistischer Mönch. Neun Jahre lang lebte, studierte und meditierte er in einem thailändischen Waldkloster unter dem Ehrwürdigen Meister Ajahn Chah. Heute ist Ajahn Brahm Abt des Bodhinyana-Klosters in Westaustralien und einer der beliebtesten und bekanntesten buddhistischen Lehrer unserer Zeit. Sein Buch Die Kuh, die weinte wurde weltweit zum Bestseller.

AJAHN BRAHM

Der Elefant, der das Glück vergaß

BUDDHISTISCHE GESCHICHTEN, UM FREUDE IN JEDEM MOMENT ZU FINDEN

Aus dem Englischen übertragen

von Karin Weingart

Lotos

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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2014

unter dem Titel »Don’t Worry, Be Grumpy«

im Verlag Wisdom Publications, Boston, Massachusetts, USA.


Copyright © 2014 by Buddhist Society of Western Australia

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015

by Lotos Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Kristof Kurz

Einbandgestaltung: Christine Klell, Wien,

unter Verwendung eines Motivs von Aliaksei

Herstellung: Helga Schörnig

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-15259-8
V005

www.ansata-integral-lotos.de

INHALT

VORWORT

DER BEHÄLTER UND DIE INHALTE

WAS WIR WIRKLICH WOLLEN

OH SHIT!

PO-SITIVE VERSTÄRKUNG

DER POLITIKER IM BRUNNENSCHACHT

KAMELFRESSE

DER GESPRUNGENE BECHER

DIE FABEL VON DEN ZWEI HÜHNERBAUERN

IHR FOTOALBUM

DIE LÖSCHTASTE DRÜCKEN

GUT? SCHLECHT? WER WEISS DAS SCHON?

DER TAXIFAHRER, DER SICH VERFUHR

KRIMINELLE GIBT ES NICHT

DAS STIGMA PSYCHISCHER ERKRANKUNGEN

DIE ERLAUBNIS ZU STERBEN

EIN BUDDHISTISCHER WITZ

ALTE MÖNCHE LÜGEN NICHT

DER WICHTIGSTE FINGER

DIE ANGST BESCHREIBEN

EIN KÜSSCHEN – UND ALLES IST WIEDER GUT

DAS TSUNAMI-KROKODIL

SCHATZ, WO SIND DIE KINDER?

DIE MAUSEFALLE

WIE MAN EIN LOB ANNIMMT

DIE FÜNFZEHN-SEKUNDEN-REGEL

DIE SANDWICH-METHODE

AM BESTEN 70 PROZENT

SCHRAUBEN SIE IHRE ERWARTUNGEN RUNTER

DREI MEINER UNVERGESSLICHSTEN FEHLLEISTUNGEN

DIE LETZTE FRAGE

DIE VORTEILE, DIE ES HAT, BEI EINER FLUGZEUGEXPLOSION UMS LEBEN ZU KOMMEN

SOLL ICH ODER SOLL ICH NICHT?

FRAGEN SIE DEN HUND

SICH KÜMMERN, NICHT HEILEN

MILCH UND KEKSE

DIE SCHULDGEFÜHLE DES KLINKENPUTZERS

DIE TRAURIGE GESCHICHTE VON DER LEBENSMÜDEN SPINNE

DAS GEHEIMNIS EINER GLÜCKLICHEN EHE

GESEGNETES WASSER

DIE GEFAHREN DER TRUNKENHEIT AM STEUER

HEILIGE SCHEISSE

DIE URSPRÜNGE DES MATERIALISMUS

KIT-CAT

EIN HUNDERETREAT

EINE WUNDERBARE GESCHICHTE VOM ÜBERNATÜRLICHEN

MEINE REISE IN DEN HIMALAJA

JEMAND SIEHT DICH IMMER

WIE EIN SCHÜLER LERNTE, ÜBER BELEIDIGUNGEN ZU LACHEN

VON DEN EXPERTEN LERNEN

ANDEREN ETWAS ZU GEBEN ÜBERWINDET DEPRESSIONEN

DAS TIEFE LOCH

WANN DARF MAN DIE UNWAHRHEIT SAGEN?

WARUM WIR LÜGEN

DIE AFFEN UND DER AFFENGEIST

LASST DIE BANANE LOS

MAMI, ICH GEHE

HINTERM HORIZONT

DER ERSCHROCKENE WASSERBÜFFEL

DER FALL DER VERSCHWUNDENEN HARLEY

AUF DEM FENSTERSIMS

DAS REGAL IM WOHNZIMMER MEINER MUTTER

DIE KATZE

DER GENERAL MIT DEN DISZIPLINIERTESTEN SOLDATEN

DIE MACHT DER FREUNDIN

JEDEN MORGEN ZWANZIG PUSH-UPS

DIE WEISHEIT EINES BÄUCHLEINS

DIE URSACHE VON STRESS

EIN HALBES BLATT PAPIER

GLÜCK GEHABT!

DEN HÄSSLICHEN FROSCH KÜSSEN

WIE MAN NICHT BETEN SOLLTE

DER NÄCHSTE WINTER

DER ELEFANT, DER DAS GLÜCK VERGASS

STIMMEN HÖREN

GEGEN JEDE WAHRSCHEINLICHKEIT

DAS WUNDER

EINE GÖTTLICHE INTERVENTION

DER ALLESWISSER

DIE GESCHICHTE VON DEN ZWEI MANGOBÄUMEN

WIE MAN IN DEN GENUSS EINER MANGO KOMMT

VERBOTENE FRÜCHTE

DER TYRANN

BÜROKRATISCHE TYRANNEN

TYRANNEI IN DER VORSTANDSETAGE

ICH BIN NICHT GUT GENUG

ICH WAR SCHON IMMER GUT GENUG

DER ANRUFBEANTWORTER

SIE HABEN DAS RECHT, NICHT GLÜCKLICH ZU SEIN

DIE GLÜCKSLIZENZ

WIE HOCH IST IHR (MARKT-)WERT?

DIE MACHT DER STILLE

INNERE STILLE

WOHLTÖNENDES SCHNARCHEN

DIE ZWISCHENMOMENTE

MENSCHENWESEN ODER MENSCHENGEHER?

DON’T WORRY, BE HOPEY!

GAST, NICHT EIGENTÜMER

NICHT NUR ACHTSAM, SONDERN GÜTIG ACHTSAM

DER WOHLMEINENDE GELDAUTOMAT

GÜTIGE ACHTSAMKEIT UND STILLE

KEINE ANGST

DER SARG

GÜTIGE GEISTER

DER SCHOTTISCHE NEBEL

VERBEUGEN

DER GOTTESBEGRIFF IM BUDDHISMUS

DIE ERLEUCHTUNGSSHOW

DIE SPEISEKARTE

LIZENZ ZUM GLÜCKLICHSEIN

ÜBER DEN AUTOR

VORWORT

Bananen haben etwas sehr Tiefgründiges. Sie sind so alltäglich, dass wir meinen, nichts an ihnen sei uns unbekannt. Dabei wissen wir nicht einmal, wie man sie richtig schält! Die meisten fangen damit nämlich am Stiel an. Affen dagegen, zweifellos die Experten in Sachen Banane, halten die Frucht am Stiel und schälen sie von der anderen Seite her ab. Versuchen Sie es ruhig einmal, und Sie werden feststellen, dass es nach der »Affenmethode« viel leichter geht.

So ähnlich ist es auch mit den meditierenden buddhistischen Mönchen und Nonnen. Sie sind Experten darin, den Geist von der Schale all der Schwierigkeiten, die ihn umgeben, zu befreien. Deshalb möchte ich Sie herzlich einladen, im Umgang mit den Problemen des Lebens einmal die »Mönchsmethode« auszuprobieren. So wird das Leben viel leichter, ganz ähnlich wie das Bananenschälen.

ANDEREN ETWAS ZU GEBEN ÜBERWINDET DEPRESSIONEN

Wer ehrenamtlich soziale Arbeit leistet, tut das zunächst oft aus dem Wunsch heraus, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Irgendwann aber erkennen die meisten, dass sie viel mehr bekommen als geben. Weil sie nämlich die Erfahrung machen, dass es kein Opfer ist, seine Zeit auf eine gute Sache zu verwenden, sondern eine Investition mit hoher Gewinnrate.

Unter einer Depression leidenden Menschen empfehle ich oft, sich ehrenamtlich in einem Altersheim, einem Krankenhaus oder einer sonstigen karitativen Einrichtung zu engagieren. Denn anderen etwas zu geben gibt ihrem eigenen Leben wieder mehr Bedeutung. Der freiwillige Dienst an der Gemeinschaft bringt ihnen das zurück, was sie verloren haben: Sinnhaftigkeit.

Sobald wir uns sozial engagieren, erhalten wir wohltuendes emotionales Feedback, so wie ich von meinen Freunden mit dem Downsyndrom. Die, denen wir zu helfen glauben, helfen in Wirklichkeit uns. Wir gewinnen an Selbstbewusstsein und fangen an, uns und unser Leben richtig zu mögen.

Dass man dadurch auch reich werden kann, demonstriert folgende kleine Geschichte:

Nach seiner Scheidung ist ein Freund von mir in eine kleinere Wohnung gezogen, die viel zu eng für seinen Hund war. Doch immerhin fand er bei einer netten älteren Dame, die bereits einen Hund derselben Rasse hatte, ein neues Zuhause für das Tier.

Eines Tages rief ihn die ältere Dame völlig verzweifelt an seinem Arbeitsplatz an, um zu fragen, ob er vielleicht so lieb sein könnte, sie abzuholen und in die Stadt zum Arzt zu fahren. Eine andere Beförderungsmöglichkeit hätte sie nicht.

Zu der Zeit war mein Freund als Werbeberater selbstständig und kam finanziell gerade mal so über die Runden. Doch da er sein eigener Chef war, nahm er sich die Zeit und fuhr die Frau zu ihrem Arzttermin. Danach wurde er für sie zu einer Art privatem Taxiunternehmen. Sie zum Zahnarzt oder wohin auch sonst zu kutschieren machte meinem Freund nichts aus, denn er fand Freude daran, ihr zu helfen, und eine willkommene Abwechslung zu seinem Job war es auch.

Eines Tages rief sie wieder an. Diesmal ging es um einen wichtigen Anwaltstermin. Wie üblich holte er sie zu Hause ab, um sie dann in der Stadt vor der Kanzlei abzusetzen. Höflich fragte die alte Dame, ob er vielleicht noch kurz mit reinkommen könne; er tat ihr diesen Gefallen gern. Und dann ernannte sie ihn in Anwesenheit ihres Anwalts zum künftigen Alleinerben eines nicht unbeträchtlichen Vermögens. Wenig später starb sie.

Mein Freund war völlig von den Socken. Er hatte doch nur freundlich sein wollen und Spaß hatte es ihm auch gemacht, sich ein wenig um die alte Dame zu kümmern. Und nun diese Riesenerbschaft! Er fiel aus allen Wolken. Aber so kann es eben gehen, wenn man bereit ist, anderen ein wenig von seiner Zeit zu schenken. Das Mindeste, was dabei herauskommt, ist ein gutes Gefühl. Und manchmal wartet auch noch die eine oder andere zusätzliche Überraschung auf uns!

ÜBER DEN AUTOR

Ajahn Brahmavamso Mahathera (vielen unter dem liebevollen Namen Ajahn Brahm bekannt) wurde am 7. August 1951 als Peter Betts in London geboren. Aus einer Arbeiterfamilie stammend, erhielt er Ende der Sechzigerjahre ein Stipendium für das Studium der theoretischen Physik an der Universität Cambridge. Nach dessen erfolgreichem Abschluss unterrichtete er ein Jahr an einer britischen Highschool, bevor er nach Thailand reiste, um sich vom Ehrenwerten Ajahn Chah Bodhinyana Mahathera zum buddhistischen Mönch ausbilden zu lassen. Bereits in seinen ersten Jahren dort wurde er gebeten, einen englischsprachigen Leitfaden der buddhistischen Ordensregeln – dem Vinaya – zusammenzustellen, der später in vielen Theravada-Klöstern der westlichen Welt zur Grundlage der Mönchsdisziplin wurde.

Die Buddhistische Gesellschaft Westaustraliens (Buddhist Society of Western Australia) lud den Ehrenwerten Brahm nach Perth ein, um Ajahn Jagaro bei seinen Lehrverpflichtungen zu unterstützen. Anfänglich lebten beide in einem alten Haus in Nordperth. Ende 1983 erwarben sie jedoch ein neununddreißig Hektar großes, zum Teil bewaldetes Stück Land in den Hügeln von Serpentine südlich von Perth, aus dem das nach ihrem Lehrer Ajahn Chah Bodhinyana benannte Kloster Bodhinyana werden sollte, das erste dezidiert buddhistische Kloster der südlichen Hemisphäre. Heute stellt es die größte Gemeinschaft von Theravada-buddhistischen Mönchen in Australien dar.

Da das Gelände unbebaut war und in Perth zu jener Zeit weder viele Buddhisten noch ein nennenswertes Spendenaufkommen zu verzeichnen waren, fingen die Mönche, um Geld zu sparen, selbst mit dem Bauen an. Auf diese Weise erlernte Ajahn Brahm die Grundlagen des Klempner- sowie Maurerhandwerks und errichtete viele der heutigen Gebäude mit den eigenen Händen.

1994 nahm Ajahn Jagaro ein Urlaubsjahr und verließ das Kloster anschließend für immer, sodass Ajahn Brahm fortan die alleinige Verantwortung zufiel. Trotz anfänglicher Bedenken stellte er sich dieser Herausforderung mit großem Engagement und wurde aufgrund seiner humorvollen, erbaulichen Art bald auch in andere Teile Australiens sowie nach Südostasien eingeladen, um Lehrveranstaltungen abzuhalten. So sprach er etwa 2002 auf dem International Buddhist Summit in Phnom Penh sowie bei vier Weltkonferenzen über den Buddhismus. Die vierte dieser Zusammenkünfte berief er selbst ein, sie fand im Juni 2006 in Perth statt. All diese Verpflichtungen und die hohe Wertschätzung, die damit einhergeht, konnten ihn jedoch nie davon abhalten, Kranken oder Sterbenden sowohl viel Zeit als auch große Aufmerksamkeit zu widmen. Er kümmert sich um Gefängnisinsassen ebenso wie um Menschen, die an Krebs erkrankt sind oder einfach das Meditieren erlernen wollen, und natürlich nicht zuletzt um seine eigene Mönchssangha im Kloster Bodhinyana.

Gegenwärtig ist er Abt dort sowie geistlicher Direktor der Buddhist Society of Western Australia, spiritueller Berater der Buddhistischen Gesellschaften von Victoria sowie Südaustraliens und Schirmherr der Buddhist Fellowship in Singapur. Zusammen mit Mönchen und Nonnen aller buddhistischen Traditionslinien ist er im Moment mit dem Aufbau der australischen Sangha-Vereinigung (Australian Sangha Association) befasst.

Im Oktober 2004 wurde Ajahn Brahm für seinen Weitblick, seine Führungsstärke und sein soziales Engagement mit der John-Curtin-Medaille der Curtin University ausgezeichnet.

Ajahn Brahm hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem Die Kuh, die weinte, Im stillen Meer des Glücks und Meditation. Kraft und Klarheit für den Geist. Mehr als tausend seiner (englischsprachigen) Dharmavorträge liegen inzwischen zum kostenfreien Download im Audio- oder Videoformat vor. Sie werden jährlich millionenfach angeklickt und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass kaum eine Sekunde vergeht, in der nicht irgendwo auf der Welt ein Lehrvortrag von Ajahn Brahm gesehen oder gehört wird.

WAS WIR WIRKLICH WOLLEN

Eines Morgens wachte der Abt sehr früh auf. Was noch nicht weiter ungewöhnlich war. Geweckt aber hatten ihn Geräusche aus dem nahen Schreinraum. Schritte. Und das war tatsächlich ungewöhnlich, denn um diese Zeit übten die meisten seiner Mönche gewöhnlich einen ganz besonderen Gesang (»Schnarch …«). Also ging er nachschauen.

Im Dunkeln nahm er die Silhouette einer vermummten Gestalt wahr. Ein Einbrecher.

»Was möchtest du denn, mein Freund?«, fragte der Abt liebenswürdig.

»Rück den Schlüssel zur Spendenbüchse raus, Penner«, schrie der Einbrecher und fuchtelte mit einem langen, scharfen Messer herum.

Der Abt sah die Waffe, hatte aber keine Angst. Das Einzige, was er empfand, war Mitgefühl für den jungen Mann.

»Aber sicher«, sagte er und händigte ihm den Schlüssel aus.

Während der Einbrecher mit hektischen Bewegungen das Geld aus der Spendenbüchse nahm, bemerkte der Abt, dass der Mann eine zerrissene Jacke trug und sein Gesicht bleich und ausgemergelt war.

»Mein lieber Junge, wann hast du denn das letzte Mal etwas gegessen?«

»Schnauze!«, bellte ihn der Einbrecher an.

»Im Schrank da sind Lebensmittel. Bedien dich.«

Verwirrt hielt der Einbrecher inne. Die Sorge des Abts um sein Wohlergehen brachte ihn völlig durcheinander. Sicherheitshalber hielt er das Messer weiterhin auf den Abt gerichtet, während er sich mit der anderen Hand eilig das Geld aus der Spendenbüchse und Lebensmittel aus dem Schrank in die Taschen stopfte.

»Und wenn du die Bullen rufst, dann …«, schrie er.

»Warum sollte ich denn die Polizei alarmieren?«, fragte der Abt gelassen. »Die Spenden sind doch gerade dafür da, armen Menschen wie dir zu helfen. Und das Essen habe ich dir selbst angeboten. Was solltest du also gestohlen haben? Geh in Frieden.«

Am nächsten Tag berichtete der Abt den Mönchen und Laien seines Klosters von dem Vorfall. Alle waren sehr stolz auf ihn.

Ein paar Tage später erfuhr der Abt aus der Zeitung, dass der Einbrecher erneut auf frischer Tat ertappt worden war. Diesmal hatte man ihn gefasst und zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt.

Fast genau zehn Jahre später wurde der Abt wieder sehr früh am Morgen von Schritten im Schreinraum geweckt. Er stand auf, um nachzusehen, und ja, Sie haben richtig geraten: Da stand derselbe Einbrecher, um zehn Jahre gealtert, wieder mit einem scharfen Messer neben der Spendenbüchse.

»Erinnerst du dich an mich?«, rief er.

»Aber ja«, seufzte der Abt und griff in seine Tasche. »Hier ist der Schlüssel.«

Da lächelte der Einbrecher, senkte das Messer und sagte freundlich: »Bitte, legen Sie den Schlüssel weg. In all der langen Zeit musste ich immer wieder an Sie denken. In meinem ganzen Leben waren Sie der einzige Mensch, der je nett zu mir war und der sich wirklich für mich interessiert hat. Ja, ich bin tatsächlich wieder hergekommen, um etwas zu klauen. Aber mir ist klar geworden, dass ich beim letzten Mal das Falsche mitgenommen habe. Diesmal bin ich auf etwas anderes aus: auf das Geheimnis Ihrer Güte und Ihres inneren Friedens. Aber im Grunde wollte ich das wohl auch damals schon. Also händigen Sie mir bitte den Schlüssel zu Ihrem Mitgefühl aus und nehmen Sie mich als Ihren Schüler an.«

Bald darauf wurde aus dem Einbrecher ein Mönch. Und der Reichtum, den er binnen Kurzem erwarb, überstieg seine wildesten Träume. Nicht, was Geld betraf, sondern in punkto Güte und innerem Frieden. Das ist es, was wir in Wirklichkeit alle wollen. Und es ist so günstig!

DER BEHÄLTER UND DIE INHALTE

Vor einigen Jahren kam es zu wütenden Protesten, nachdem ein Wärter in Guantanamo Bay beschuldigt wurde, ein heiliges Buch genommen und die Toilette hinuntergespült zu haben.

Am nächsten Tag erhielt ich den Anruf eines Lokalreporters, der einen Artikel über den Skandal schreiben wollte und dafür Vertretern aller größeren Religionen Australiens die Frage stellte, die er auch an mich richtete:

»Ajahn Brahm, was würden Sie tun, wenn jemand ein heiliges Buch des Buddhismus nehmen und es Ihre Toilette runterspülen würde?«

Ohne zu zögern antwortete ich: »Sir, wenn jemand ein heiliges Buch des Buddhismus nehmen und es meine Toilette runterspülen würde, würde ich als Erstes den Klempner anrufen!«

Der Reporter schüttete sich schier aus vor Lachen. Als er sich einigermaßen gefasst hatte, meinte er, das sei die erste vernünftige Antwort gewesen, die er bislang erhalten habe.

Dann sprach ich weiter.

Ich erklärte ihm, dass man vielleicht Buddhastatuen in die Luft jagen, buddhistische Tempel niederbrennen oder sogar buddhistische Mönche und Nonnen töten könne – all das ja. Dass aber jemand den Buddhismus zerstört, würde ich nie zulassen. Spülen Sie meinetwegen eines unserer heiligen Bücher das Klo hinunter; aber ich werde niemals zulassen, dass sie das auch mit Versöhnlichkeit, Friedfertigkeit und Mitgefühl machen.

Das Buch ist nicht die Religion. Ebenso wenig wie die Statue oder das Bauwerk. Das sind nur die »Behälter«.

Was lehrt uns das Buch? Wofür steht die Statue? Welche Eigenschaften sollen die Geistlichen verkörpern? Das sind die »Inhalte«.

Wenn uns der Unterschied zwischen den Behältern und ihrem Inhalt bewusst ist, bleibt der Inhalt, auch wenn der Behälter zerstört wird.

Bücher können wir wieder drucken, wir können neue Tempel und Statuen errichten und sogar neue Mönche und Nonnen ausbilden. Wenn wir aber der Liebe zu anderen und uns selbst verlustig gehen und Gewalt an ihre Stelle tritt, dann wird die ganze Religion die Toilette hinuntergespült.

DER POLITIKER IM BRUNNENSCHACHT

Manchmal kommt es aber auch vor, dass man nicht in den Dreck tritt, sondern damit beworfen wird. Was Sie in einem solchen Fall tun können, erfahren Sie aus der folgenden Geschichte.

Ein bekannter Politiker von zweifelhaftem Ruf ging einmal im Wald spazieren und fiel dabei unversehens in einen verwahrlosten Brunnenschacht. Glücklicherweise enthielt dieser kein Wasser und der Schädel des Politikers war dick genug, dass er keine Verletzungen davontrug. Die Tiefe des Schachts allerdings stellte ein Problem dar. Aus eigener Kraft konnte sich der Politiker nicht daraus befreien. Also rief er um Hilfe. Nun wird man ja nach längerem lauten Schreien in aller Regel bald heiser. Da es sich aber um einen Berufspolitiker mit jahrelanger Erfahrung handelte, nahm er nach drei Stunden erst so richtig Fahrt auf. Irgendwann kam ein Bauer vorbei, der den Lärm hörte und den Politiker auf dem Grund des Schachts entdeckte.

»Hilf mir«, verlangte dieser.

Der Bauer, der ihn gleich erkannt hatte, entgegnete: »Kommt ja gar nicht infrage.«

Der Bauer hasste Politiker und ganz besonders so aalglatte und schmierige wie diesen. Außerdem hatte er den Schacht, der eine Gefahr für die Sicherheit darstellte, schon lange zuschütten wollen. Also holte er sich einen Spaten und fing an, Erde in den Schacht zu schaufeln. Er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: den Politiker verscharren und bei der Gelegenheit gleich noch den Schacht auffüllen.

Als der Politiker merkte, dass er mit Dreck beworfen wurde, war das für ihn zunächst einmal nichts Neues. Doch dann dämmerte ihm, dass der Bauer vorhatte, ihn bei lebendigem Leib zu begraben, und sein Gebrüll nahm eine Qualität an, die er normalerweise nur in Wahlkampfzeiten an den Tag legte.

»Ich verspreche, deine Steuern zu senken! Garantiere, die Zuschüsse für die Bauern zu erhöhen! Deine Kühe bekommen eine kostenlose Krankenversicherung! Vertrau mir!«

Bei den Worten »Vertrau mir« erhöhte der Bauer das Tempo, mit dem er die Erde in den Schacht schaufelte. Der Politiker schrie immer verzweifelter. Dann verstummte er.

Da der Bauer dachte, er hätte den Politiker erfolgreich begraben, begann er etwas langsamer zu arbeiten. Trotzdem war er noch zu beschäftigt, um die Haarsträhne wahrzunehmen, die am oberen Rand des Schachts herausguckte. Während er immer weiterschaufelte, tauchte eine vollständige Frisur auf. Und als er schließlich noch ein bisschen mehr Dreck in den Schacht schüttete, sah er den ganzen Kopf des Politikers. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Jetzt war der Bauer zu schockiert, um noch weiterschaufeln zu können.

Der Politiker hatte beschlossen, nicht länger darüber zu lamentieren, dass er mit Dreck beworfen wurde. Stattdessen hatte er die Erde genommen und sie sich unter die Füße gepackt. Und mit jeder Schaufel, die auf ihn niederging, stand er ein paar Zentimeter höher. Schließlich war er in der Lage, mühelos aus dem Schacht herauszuklettern und sich bei dem Bauern später mit Besuchen der Gesundheits- und Steuerbehörden zu revanchieren.

Und die Moral von der Geschicht’: Wenn das Leben Sie mit Dreck bewirft, dann schütteln Sie ihn ab und treten Sie ihn ordentlich fest. Auf diese Weise werden Sie – buchstäblich – eine immer höhere Position einnehmen.

OH SHIT!

Auf einer Vortragsreise in Nordamerika sprach ich einst über die folgende inspirierende Metapher:

Wenn ihr mal in einen Hundehaufen tretet, dann werdet nicht sauer und streift euch die Schuhe ab, sondern lächelt und geht einfach nach Hause in den Garten. Dort könnt ihr euch die Hundescheiße unter dem Apfelbaum von der Sohle kratzen. Im nächsten Jahr werdet ihr dann mehr, saftigere und süßere Äpfel ernten als je zuvor. Doch beim Biss in diese herrlichen Früchte dürft ihr nie vergessen, dass das, was ihr da zu euch nehmt, in Wirklichkeit Hundekot ist. Nur dass sie sich in der Zwischenzeit in süße, saftige Äpfel verwandelt hat.

Ganz ähnlich ist es mit Lebenskrisen. Auch da tretet ihr sozusagen in einen Hundehaufen. Und statt sauer, verbittert oder depressiv zu werden, nehmt ihr ihn mit nach Hause und vergrabt ihn in eurem Herzen. Nicht lang, und ihr werdet weiser und mitfühlender sein. Aber vergesst nicht: Worum handelt es sich bei all dieser saftigen Weisheit und süßen Liebe in Wirklichkeit? Nur um den verwandelten Hundehaufen des Lebens.

Einige Stunden nachdem ich meinem Publikum diesen großartigen Ratschlag erteilt hatte, bin ich auf einer Raststätte tatsächlich in einen Hundehaufen getreten. Und mein Fahrer, der die brillante Metapher ebenfalls gehört hatte, war nicht bereit, mich wieder ins Auto zu lassen, bevor ich mir nicht auch noch die letzte Spur von der Sandale gekratzt hatte. Mein schönes Hundehaufen-Gleichnis schien ihm buchstäblich am A…llerwertesten vorbeizugehen. Tja, so ist das heute eben. Die meisten Leute leben fernab der Natur in kleinen Wohnungen und haben keinen Garten mehr, in dem sie Mist in Obst verwandeln können.

KAMELFRESSE

Hin und wieder werden sich die Leute über Sie ärgern. Selbst Ihre Lieben. Manche Leute ärgern sich mitunter sogar über den Buddha! Was Sie tun können, wenn Sie den Zorn einer anderen Person auf sich gezogen haben? Die Antwort findet sich in der folgenden Geschichte.

Ein Mann genoss einmal einen freien Nachmittag zu Hause, als seiner Frau, die gerade das Abendessen vorbereitete, auffiel, dass ihr die Eier ausgegangen waren.

»Schatz«, sagte sie zu ihm, »würde es dir etwas ausmachen, auf den Markt zu gehen und mir ein paar Eier zu besorgen?«

»Klar, mach ich«, sagte er bereitwillig.

Der Mann war noch nie auf dem Markt gewesen. Also drückte ihm seine Frau etwas Geld sowie einen Einkaufskorb in die Hand und erklärte ihm den Weg zum Eierstand, der sich mitten auf dem Marktgelände befand.

Kaum hatte der Mann den Markt betreten, kam ein junger Bursche direkt auf ihn zu und rief laut: »Hey, Kamelfresse!«

»Wie bitte?«, gab der Mann zurück. »Wen nennst du hier ›Kamelfresse‹?«

Das stachelte den Burschen aber erst recht an, sodass er den Mann noch aggressiver beschimpfte. »Hey, Arschgesicht! Hast heute Morgen wohl mit Affenpisse gegurgelt? Du stinkst ja fürchterlich!«

In aller Öffentlichkeit, mitten auf dem Markt, derart derb angebrüllt zu werden, war schlimm für den Mann. Er hatte doch gar nichts getan. Das Ganze wurde ihm schließlich so peinlich, dass er voller Ärger kehrtmachte und den Markt so schnell er konnte verließ.

»Du bist ja schon zurück«, sagte seine Frau, als er wieder zu Hause war. »Hast du die Eier?«

»Nein«, schnaubte der Mann. »Und schick mich bloß nie wieder zu diesen unkultivierten, ekligen, unerzogenen Leuten auf diesem Rattenloch von Markt!«

Nun besteht das Geheimnis einer langjährigen Ehe ja darin, dass beide wissen, wie man den Partner nach einem unangenehmen Erlebnis beschwichtigen kann. Also sprach die Frau ihrem Mann gut zu und umsorgte ihn, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Dann fragte sie ihn, wie der Bursche, der ihn so aufgebracht hatte, denn ausgesehen habe.

Der Mann verzog das Gesicht zu einer Grimasse und versuchte sich zwischen neuerlichen Kundgebungen höchster Empörung an einer Beschreibung des Jungen.

»Ach, der!«, sagte seine Frau und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. »Das macht der mit jedem. Weißt du, als Kind ist er mal auf den Kopf gefallen. Dabei hat er einen Hirnschaden erlitten und führt sich seither immer so auf. So ein armer Kerl! Konnte nicht zur Schule gehen! Konnte keine Freunde finden, von einem Job ganz zu schweigen, und die Mädchen interessieren sich auch nicht für ihn. Eine Familie wird er deshalb wohl auch nie gründen können. Verrückt ist er, dieser bedauernswerte Junge. Er beleidigt jeden so wie dich. Das darfst du nicht persönlich nehmen.«

Als ihr Mann das hörte, legte sich seine Empörung und plötzlich empfand er nur noch Mitgefühl für den Burschen.

Seine Frau, der die Veränderung in seiner Stimme nicht entgangen war, sagte: »Schatz, die Eier brauche ich aber immer noch. Meinst du …«

»Sicher doch, mein Schatz«, antwortete er und begab sich erneut auf den Markt.

Sobald der Bursche des Mannes gewahr wurde, schrie er los: »Hey, schaut mal, wer da kommt! Kamelfresse ist wieder da! Haltet euch ja alle die Nase zu – da kommt ein Hundehaufen auf Beinen!«

Diesmal wurde der Mann nicht sauer. Er ging direkt auf den Stand mit den Eiern zu, gefolgt von dem Burschen, der ihm fortwährend Beleidigungen nachschrie.

»Kümmern Sie sich nicht um ihn«, sagte die Verkäuferin am Eierstand, »das macht er mit jedem. Als Kind hatte er einmal einen schweren Unfall.«

»Ja, ich weiß. Der arme Junge!«, seufzte der Mann beim Bezahlen.

Der Bursche ging ihm bis zum Rand des Marktes nach und bedachte ihn dabei mit immer obszöneren Beschimpfungen. Dem Mann aber machte das nicht das Geringste mehr aus. Weil er jetzt ja wusste, dass der Junge verrückt war.

Falls Sie diese Geschichte verstanden haben, können Sie sich, wenn Sie das nächste Mal fürchterlich beschimpft werden oder Ihr Partner sauer auf Sie ist, einfach vorstellen, dass der oder die Betreffende sich gerade böse den Kopf angeschlagen hat und unter einem vorübergehenden Hirnschaden leidet. Denn im Buddhismus spricht man tatsächlich von einer »zeitweiligen geistigen Verwirrung«, wenn jemand zornig wird und andere beleidigt.

Sobald Sie sich klarmachen, dass der Mensch, der Ihnen da gerade mit so unverschämter Aggressivität begegnet, unter vorübergehendem Wahnsinn leidet, werden Sie in der Lage sein, mit Gleichmut und sogar Mitgefühl darauf zu reagieren. »Der arme Kerl!«

DER GESPRUNGENE BECHER

Der Tod eines geliebten Menschen verändert unser ganzes Leben. Selbst wenn Menschen sterben, die wir gar nicht kennen, zum Beispiel bei Naturkatastrophen, hinterlässt das seine Spuren in unserem Denken. Der Tod ist eine Tatsache des Lebens, und wenn wir sie verstehen lernen, lehrt sie uns, besser auf uns aufzupassen.

Vor vielen Jahren, ich lebte zu dieser Zeit noch in Thailand, hielt mein Lehrer Ajahn Chah einmal seinen Keramikbecher hoch.

»Schaut mal«, sagte er zu uns. »Da ist ein Sprung drin.«

Ich schaute mir den Becher genau an, konnte aber keinen Sprung erkennen.

»Im Moment«, fuhr Ajahn Chah fort, »ist der Riss noch unsichtbar. Aber er ist da. Eines Tages wird irgendjemand diesen Becher fallenlassen, dann zeigt sich der Sprung und führt dazu, dass mein Becher zerbricht. Das ist sein Schicksal. Wäre er dagegen aus Plastik«, erklärte mein Lehrer weiter, »hätte er kein solches Schicksal und auch keinen unsichtbaren Sprung. Man könnte ihn fallenlassen, dagegen schlagen oder sogar mit ihm Fußball spielen, er würde trotzdem nicht kaputtgehen. Seine Unzerstörbarkeit könnte euch zu Unachtsamkeit verleiten. Mein Becher aber ist zerbrechlich und