Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige

Roman

Saga

I

Über Pommerellen wehte um das dreizehnte Jahrhundert die Lehre von einem gütigen Erlöser kaum als ein ganz feiner Duft. Gleichsam, als ob in den slawischen Heiden des Netzebruchs bis weit über Danzig und Oliva hinaus irgendwo ein Weihrauchkessel geschwungen würde, und der zarte Ruch verginge nun fast unmerklich in dem starken Harzgedünst der endlosen Kiefern- und Tannenwaldungen. Die deutschen Ansiedler allein, die Herzog Swantopolk, der Gewaltige, in sein Land berufen, damit sie hier die Lust zu geregelter Arbeit verbreiteten, oder den zugleich dumpfen und genusssüchtigen Ureinwohnern etwas von ihrer Andacht für allerlei Kunst und Wissenschaften mitteilten, sie spürten in ihren aufnahmefähigen Sinnen das ewig Aufrüttelnde und Verantwortungsvolle der ihnen gepredigten Offenbarung, und es ging darum ein gross Wundern unter ihnen, weil der Herrscher, der sie hierher verpflanzt, wohl Klöster gründete, heilige Stätten beschenkte und mit dem Papst und seinen Legaten spitzfindige Streitschriften wechselte, im übrigen aber den Kirchenbann, der den Unbotmässigen beinahe alljährlich ereilte, mit einem brummigen, fast wohlgefälligen Lachen hinzunehmen pflegte, ohne an das dadurch gefährdete Seelenheil seiner Untertanen auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden. Ja, dem Nuntius Wilhelm von Modena hatte der skrupellose Fürst auf solcherlei Vorhaltung beim Schmause einmal unter einem kaum versteckten Grinsen geantwortet: „Was willst du, Hochwürdiger? Der Gott des Bauern sitzt im Magen. Ich füttere ihn, er wird satt und ist mir deshalb gewogen.“

Da hatte der Legat den Becher niedergesetzt, sich auf die Zunge gebissen, und hinter seiner braunen Römerstirn war der Verdacht aufgestiegen, der Leibhaftige selbst gäbe ihm dies schreckliche Gastmahl.

Der Leibhaftige!

Es konnte einem wohl auch in der Gegenwart Swantopolks bange werden, und wenn seine Landeskinder und Leibeigenen nur von fern den untersetzten Mann in seinem byzantinisch bunten Prunkrock erblickten, wenn sie das kurzgeschorene, pechschwarze Haar ihres Gebieters wahrnahmen, wie es dreieckig und spitz, gleich einem Satansmützchen, in die Stirn schnitt, wenn sie die fischartig glotzenden und schief gegen die Geiernase gestellten Augen spürend auf sich gerichtet fühlten, dann fielen sie nieder, bargen ihre Stirnen in den Staub und liessen ihren Herrn demütig über sich fortschreiten, dazu murmelnd: „Pane, erbarme dich unser.“

Der Gefürchtete aber strich sich bei solcher Anbetung gelassen und unter einem kargen Lächeln den langen schwarzen Ringelbart und beruhigte die Erschütterten durch den Trost: „Du Kot unter meinen Füssen, lege dich über die Pfützen, damit ich trocken hinüber gelange.“

Und dann zog er die goldbesetzte Knute aus seinem Gürtel, um einen lässigen Hieb gegen die Schultern eines besonders kräftigen Kerls zu führen, worauf der Betroffene ein dankbar beglücktes Stöhnen vernehmen liess.

So führte Herzog Swantopolk, den Papst Innozenz IV. in seinen Geheimbriefen „den Bösen“ nannte, ein gar vertrauliches Regiment, und in den Kanzleien des Vatikans sowie in der Hochmeisterei seines ärgsten Feindes, des deutschen Ritterordens, zerbrach man sich die Köpfe, wie es möglich sei, dass ein solches, von keinem Strahl des Guten getroffenes Menschenkind dennoch, und sei es auch unter Anwendung der abscheulichsten Mittel, wie Treubruch, Fälschung, Mord und bedenkenloser Heidengreuel, seine Länder zu Blüte bringen und seinen Untertanen in Wohlstand und Gesittung helfen konnte.

Merkwürdig, Swantopolk, der Gewaltige — Swantopolk der Böse, die Wage schwankte in der Hand der Geschichtschreiber.


Es war an einem windigen Herbstmorgen.

In seiner Schlafkammer auf der festen Burg Nakel hockte der Herzog auf seiner Bettlade und schaukelte sich, samt dem ganzen Gestell, das nach Kriegsbrauch zwischen zwei breiten Ledergurten hing, in kurzen Stössen hin und her. Die nackten, haarigen Beine hielt er fest auf den Estrich gestemmt, und je lebhafter er sich wiegte, desto höher schien seine üble Laune zu steigen. Heftig riss er sich an dem schwarzen Bart, der ihm noch wirr und ungeordnet über die Brust zottelte, zuweilen aber spie er auch, unbekümmert um den Besuch, obwohl dieser nach Hofgewohnheit schon lange vor ihm auf den Knien lag, in einer pfeifenden Entladung an die Wand.

„O, über das niederträchtige Schwein zu Gnesen,“ schrie er, dabei in Wut ausbrechend, und schlug sich schallend aufs Knie, „die verlauste Kutte will also nur unter solch jämmerlichen Bedingungen zwischen uns und diesen verdreckten Ordensrittern vermitteln? Hi, hi — hui, hui —“, er pfiff und fauchte wie ein in die Enge getriebener Luchs, und über die schiefgestellten Augen lief ein merkwürdiges Schielen. „Kennt mich schon, der faule Bauch, weiss, was er von mir zu halten hat!“ Damit verbeugte sich der halbnackte Mann plötzlich nach einer unbestimmten Richtung, und während er einen Zipfel seiner Wolldecke ergriff, küsste er den Fetzen so schmatzend, als ob er sich in Wahrheit verehrungsvoll über die erzbischöfliche Tunika im fernen Gnesen beuge: „Hilf mir, du heiliger Mann, hilf mir. Bin nur eine arme, verlassene Kreatur. Lahm und wund geschlagen, wie dein Christus! Wozu also Misstrauen, du frommer Born, gegen solch einen Müden und Gehorsamen? Fürchte dich nicht, meine es redlich, so treu und hingebend, wie ein Mägdelein, wenn du ihm zur Firmung das Gnadenwasser über das Näslein spritzst — hui, hui.“

Mit der ganzen Leidenschaft slawischer Beseelung war dieses Schauspielerstückchen dargestellt, und wenn der einzige Zuhörer, den jene verbissen komische Leistung fand, nicht gar ein so nachdenklicher, ernster Mann gewesen wäre, dann hätte der Kniende gewiss ein Zeichen höfischen Beifalls gespendet. So aber mochte der Kastellana) Frisko von Gabune allmählich doch zu eindringlich das Schmerzhafte seiner Lage empfinden, denn er rückte auf den gelben Fichtendielen geräuschvoll hin und her, bis der Herzog das Aufstreifen seiner schwarzen Beinlinge unterbrach, um seinem Edlen mit einem Fussstoss einen niedrigen Schemel hinzuschieben.

„Sitz nieder, Gabune,“ lud er ihn mit einer halb schleudernden, halb malerischen Handbewegung ein, und dann schlürfte er geduckt bis an einen Stuhl, auf dem eine irdene Schüssel voll Wasser harrte, und begann sein Antlitz sowie den entblössten Oberkörper der morgendlichen Waschung zu unterziehen.

„Purr,“ schnaufte er dabei, während er die Feuchtigkeit unbekümmert von sich abschüttelte, „diese schleckernde Sau, dieses gärende Weinfass traut uns mithin nicht? Und mein Sohn Mestwin soll weiter Geisel bei den diebischen Deutschrittern bleiben? War es nicht so?“

„Du sagst es, Herr,“ nickte der Kastellan, und sein bartloses Haupt neigte sich ermüdet bis auf die Halsberge seines eisernen Ringelhemdes, denn der Unterhändler Swantopolks hatte sich noch nicht Zeit genommen, ein weicheres Gewand aufzustreifen, „dies ist die erste der drei Bedingungen. Sodann aber verlangt die Kurie von Gnesen, da deine Zuverlässigkeit, wie das Kapitel meint, nicht über alle Zweifel erhaben sei — verzeih,“ unterbrach er sich, als sein Gebieter den nassen Bart aufgebracht in zwei Hälften teilte, „dein Bote wiederholt nur, was man ihm aufgetragen — deshalb verlangt der erzbischöfliche Stuhl noch einen weiteren Geisel von dir — —“

„Noch einen?“ schrie der Halbnackte.

„Ja, ausgewählt aus den Grossen deiner Umgebung. Und zu dritt sollst du, um deine Unterwerfung unter den allein seligmachenden Glauben von neuem sichtbarlich zu beweisen, in der Nähe deines Hoflagers dem heiligen Christophorus eine Kapelle errichten.“

„Ei, ei,“ knurrte Swantopolk, der sich ein Hemd aus grobem Leinen aufstreifte, „mehr nicht? Zierlich haben sich dies die geistlichen Friedensstifter ausgedacht.“

Er strich mit seinem wiegenden Gang und auf den roten Halbschuhen aus Korduanleder witternd und schnaubend durch die enge Holzkammer, und zuweilen hieb er mit der Faust gegen die Wandbohlen, als ob er dadurch das drückend enge Gehege der geistlichen Plackereien zertrümmern könnte. Endlich verharrte er an dem Ausguck, schob ein Brett beiseite und eröffnete sich so einen Rundblick auf den dicht unter ihm liegenden Burghof, wo sich um einen zweirädrigen Reisekarren allerlei Volk zusammengerottet hatte.

Der Fürst schnob die regenfeuchte Luft ein, dann heftete er, aufmerksam geworden, seine schiefen Geieraugen auf das junge Weib, das auf dem Brett des Wagens sitzend, ihre Blicke schon lange um das Fenster des herzoglichen Schlafraumes herumirren liess. Kaum aber hatte die Weissgewandete den gespenstisch ausgezehrten Kopf des Mannes im Hemd entdeckt, da liess sie verschüchtert ihr Haupt auf die Brust sinken, und voll Scheu und ohne einen Gruss zu wagen, suchte sie ihre ganze Gestalt unter der schützenden Decke des Reifenplanes zu bergen.

Der Herzog aber riss sich staunend den Bart.

„Sage mir, Gabune,“ winkte er den Kastellan emsig heran, „komm — komm näher, mein Lieber, ich täusche mich wohl nicht, es sind doch deine Spiessknechte, so um den Karren herum Wacht halten? Wer aber ist das Weib auf dem Ruhesitz?“

Jetzt warf auch der Ritter im Kettenpanzer einen raschen Blick auf das Gefährt, trat jedoch gleich darauf von dem Ausguck zurück. Fast schien es, als sei er bemüht, die Aufmerksamkeit seines Herrn von der Gruppe auf dem Hof abzulenken.

„Dies, Herr,“ erwiderte er an sich haltend, während er sich sein langes, düsterblondes Haar glättete, „ist eine Österreicherin. Die Schwester des Feldhauptmanns von Lichtenstein, der uns schon einmal die Schärfe seines Schwertes kosten liess. Und dazu mein Ehgemahl und ein frommes Weib.“

Über die hohlen Wangen Swantopolks ging ein Zucken: „Ei, Frisko,“ rief er neugierig und zugleich ein wenig spöttisch, „solch köstlicher Bettschatz eignet dir? Und hast ihn mir noch niemals gezeigt?“ Damit griff er in den Ringelpanzer seines Vasallen und schüttelte die feinen eisernen Ketten hin und her, dass sich ein metallisches Geräusch vernehmen liess. „Sieh — sieh — hast also schon heimlich deinen eigenen Frieden mit den Bundesgenossen unserer Feinde gemacht?“ lachte er heiser. „Weshalb schliesst du mich davon aus?“

Da grub sich eine schwere Falte in die Stirn des Herrn Frisko von Gabune. Die Lüge wollte nicht über die Lippen des redlichen Mannes, auch schien ihm des gnädigen Scherzes bereits genug. Das, was er aber dachte, lautete ungefähr so: „Ist dein Hof, Herzog Swantopolk, keine Stätte für ehrbare Weiber. Achtest keines Menschen Recht noch Besitztum, sondern gehört dir alles, was deine Laune anspringt. Hast du doch selbst unserem Erlöser eine Brautb) gestohlen und wälzest dich mit ihr auf sündendampfendem Lager, bis dein Hunger gestillt.“ Laut aber entgegnete der Kastellan mit einer schroffen abschliessenden Würde: „Deine Schlachten und Beutezüge, Herr, haben uns bis jetzt wenig Gelegenheit geboten, an Heim und Herd zu denken. Deshalb lebte mein Weib Adelheid lange Zeit in Naumburg, wo ihr Bruder die Probstei verwaltet — —“

„Ah,“ unterbrach der Herzog, der unablässig den Bart durch die gekrallten Finger gleiten liess, und nickte zustimmend, als ob er sich sehr befriedigt fühle: „im Schatten der Kirche, du Vorsichtiger.“

„Wohl, Herr,“ schloss der Gabune, indem er eine aufsteigende Gereiztheit mühsam unterdrückte, „und heute erst ist sie mir entgegengezogen, um mich bei meiner Rückkehr zu begrüssen.“

„So ist es recht,“ lobte der gespannt Lauschende und warf sich sorglos sein langes buntes Oberkleid über, worauf er es an den Hüften durch einen reich gestickten Gürtel schloss. „Ach, wie freut es mich,“ fuhr er mit seinem geschmeidig singenden Tonfall fort und knickte zu einer Art Verbeugung zusammen, „wenn es meinen verdienten Edlen besser ergeht, als mir armem Witwer.“ Er zwinkerte betrübt mit seinen schiefen Augen und liess die buschigen Brauen trauervoll sinken. Dann erkundigte er sich in seiner Gnade weiter: „Hast du auch Kindlein, Gabune?“

Es klang so vollendet wohlwollend, dass der breitschultrige Vasall, obwohl er am liebsten von diesem Gespräch abgekommen wäre, nicht umhin konnte, unter einem tiefen Atemzug zu bestätigen: „Gott sei Preis und Dank, Herr, mein Weib schenkte mir einen Buben und ein Mägdlein. Der Bursch klettert trotz seiner zehn Jahre bereits auf mein Streitross. Und die Dirn lernt eben zu Füssen ihrer Mutter die Nadel führen. — Sie sieht noch nicht über den Tisch,“ setzte er voll gutmütiger Spötterei hinzu. Und es drängte sich zwischen der knappen Rede ein solch beglückter Vaterstolz hervor, dass er ganz unwillkürlich noch anfügen musste: „Die beiden sind mein grösster Schatz.“

Unrastig hatte der Herzog an dem Brett des Ausguckes hin und her geschoben. Denn seine Beobachtung teilte sich noch immer zwischen seinem Gast und dem Karren dort draussen, unter dessen Zeltdach sich die schlanke, blonde Frauengestalt durchaus nicht mehr zeigen wollte. Endlich aber musste der Fürst des vergeblichen Lauerns überdrüssig sein, mit einem knurrenden Laut der Enttäuschung warf er den Ausguck zu, und während er sich das schwarze dreieckige Samtmützchen prall über den Schädel zog, schritt er wortlos und sich hochmütig wiegend in das nebenanliegende kreisrunde Spitzbogenzimmer, es seinem Lehnsmann überlassend, ihm zu folgen oder nicht. Der Gabune aber, der sich noch nicht entlassen sah, hielt es für geraten, seinen Gebieter zu begleiten.

In dem kahlen, weissgetünchten Raum liess sich der Herzog hinter dem derben Eichentisch nieder, um unter lautem Schlürfen seinen Mehlbrei zu löffeln, der seinen Morgenimbiss bildete. Ausserdem lag noch ein Laib schwarzen Brotes neben dem Napf, und nur eine silberne Schale voll Äpfel und Birnen zeugte davon, dass hier ein Mächtiger sein Frühmahl genoss.

In ehrerbietiger Entfernung schaute der Gabune diesem behaglichen Schmause zu. Auch hatte er keine Einladung erhalten, sich gleichfalls niederzulassen. Und es verstrich geraume Zeit, bevor sich Swantopolk daran erinnerte, dass noch ein anderer den Freuden der fürstlichen Sättigung beiwohne. Erst, nachdem er sich zur Reinigung verschiedene Male den Bart gestrichen, zwinkerten seine grünlichen Augen über den Löffel hinweg und fingen an, den schweigsamen Kastellan zu suchen.

„Wahrhaftig,“ begann er in seinem halb slawischen Singsang, und er tat so, als ob er vor kaum einem Herzschlag das letzte Wort an seinen Getreuen gerichtet, „bist ein seliger Mann, Frisko. Hast ein köstlich Weib und blühende Kindlein, während dein Landesherr — — hm“ — er zerschnitt eine Birne und saugte gierig an ihrem süssen Fleisch, „das Herz könnte einem bluten, denn sieh, mein Ehgemahl, das wir geehrt und geliebt, wie lange modert es schon unter den Steinfliesen der Kapelle. Das Weibsvolk aber, das uns seitdem auf unserer Burg Gesellschaft leistet, ich weiss es wohl, es ist ein unflätig, schmutzig Gezücht, ja, ich gräme mich, weil es euch Sittsamen oder gar den frommen Priestern oft Anlass zum Ärgernis bietet.“

Er schnitt eine neue Birne an und schlug seine langen Zähne hinein. Dann kniff er, wie bewältigt, die Augen zu und leckte das süsse Fruchtwasser emsig von seinen Lippen.

„Ach, Gabune,“ setzte er die uneingeforderte Beichte fort, obwohl sein müder und bestaubter Zuhörer durch eine schlecht beherrschte Handbewegung ein deutliches Zeichen von Zweifel und Ungläubigkeit merken liess, „mein Fleisch ist schwach — nichts von Widerstand gegen die Lockungen der Üppigkeit wohnt in mir, ich leugne es nicht. Stürz’ ich mich doch immer und immer wieder in die Wollust, wie in ein erregend Bad. Misericordia dei, sie weiss vielleicht, was mich treibt. Aber auch du Vertrauter meiner Sorgen sollst es wissen, ich will mir alle Mühe geben, mein giftstrotzend Herz zu bezähmen. Ja, ja, ja, das will ich. Und vor allen Dingen, ich mag die Leiden meiner durch den Krieg, durch Feuer und Plünderung beinahe aufgezehrten Untertanen auch nicht mehr um einen einzigen Tag verlängern.“

Gesättigt und angenehm erwärmt durch den demütigen Klang dieser wieder sehr eindrucksvoll dargestellten Zerknirschung, streckte sich der Untersetzte lang in seinem Armsessel aus, faltete die Hände über seinem schwammigen Leib, und der Blick aus seinen verkniffenen Augen verlor sich, Entwürfe spinnend, in dem Spitzbogenwerk der Decke.

„Friede—Friede soll werden,“ sprach er jetzt sehr klar und bestimmt. „Gabune, ich nehme also den Gnesener Vorschlag an. Hörst du? Mein Sohn Mestwin — Gott straf’ mich, ich hab’ mich schon drei Jahre nicht mehr an seinem Anblick gelabt — —“ hier furchte doch eine ungezügelte Bösartigkeit seine Stirn, um freilich schattenhaft schnell wieder zu verschwinden, — „er mag weiter am Tisch des Hochmeisters das Brot der Verbannung essen. Die Kapelle des heiligen Christophorus will ich bauen.“ — Geschäftsmässig verneigte sich der Liegende ein wenig und schlug ein Kreuz. „Sage mir, Frisko, wer war übrigens dieser Heilige?“

Der Kastellan zuckte die Achseln. „Ich weiss es nicht,“ gestand er offenherzig.

„Schadet auch nichts,“ beruhigte sein Herr, nachlässig mit der Hand winkend, „die Pfaffen werden es wissen. Und zudem, Lehm und Holz sind hier wohlfeil. Ach, aber nun zum dritten Punkte.“ Er seufzte. „So will ich denn auch das Schwerste und Unerträglichste erfüllen und abermals einen Grossen meiner Umgebung den Deutschrittern ausliefern. Aber sage du mir, mein Wackerster und Bester, wen soll ich erwählen? Wen soll ich von der Heimat und seinen Lieben trennen?“

Weit öffnete der Gabune seine blauen Augen. Er war es ungewohnt, so rückhaltlos von seinem Gebieter anerkannt zu werden, hatte doch seine rauhe Zuverlässigkeit, die keine Schleichpfade wandeln konnte, bisher nur selten dies gleichgestimmte Wohlgefallen des Ränkespinners auf dem Thron geweckt. Auch jetzt hockte Swantopolk so aufmerksam und hellhörig auf seinem Sessel, dass es den Kastellan durchfuhr, das gnädige Wesen des Bösen möchte am Ende darauf abzielen, die schwere Entscheidung auf seinen Dienstmann abzubürden. Auf etwas Schlimmeres bereitete sich der Redliche überhaupt nicht vor.

Bestürzt verneigte er sich.

„Gott verhüte es,“ sprach er abwehrend und im Ton bedrohter Lauterkeit, „hier mag und darf ich dir nicht raten, Herr. Du weisst, keine Wunde ist mir zu tief, dass ich sie nicht meinem Eid zuliebe hinnehmen möchte — aber die Tränen und Seufzer der Verlassenen könnten mir den Schlaf rauben. Nein“ — widerstandsfähig richtete er sich auf — „hier, mein grossmächtiger Fürst, muss deine Weisheit allein erkennen.“

Auf diesen Ausbruch eines sich sträubenden Gewissens nistete sich Swantopolk noch tiefer in seinen Sessel zurück, und ein verborgenes Lächeln schlich um seine scharfen Lippen.

„Ei, sieh da,“ murmelte er, indem er sich überlegend den Bart strich, „so soll ich denn wieder allein der Diener des Schwarzen sein. Vor ihm fürchten sich meine Tapferen. Wahrlich, du hast recht, Frisko, es ist nicht leicht, seinen Nächsten Tränen zu erpressen. Und nun gar Tropfen aus schönen Weiberaugen. Schlimm, beinahe unmöglich — — “

Warum aber stachen die grünen Katzensterne dabei so auffordernd und lauernd auf dem ebenen Antlitz seines Zuhörers herum, als wollten sie förmlich ein jähes Erraten aus dem Unbeweglichen hervorlocken? Und den Mann im eisernen Kettenhemd packte wirklich eine schreckhafte Ahnung kommenden Unheils. Umstrickt von einer Beklommenheit, die er nicht mehr meistern konnte, verneigte er sich zum Abschied, obwohl nichts in dem Benehmen des Fürsten darauf hindeutete, dass die Unterredung schon beendet sei.

Wiederum lächelte der Herzog nachsichtig.

„Ja, ja, geh nur, Gabune,“ sprach er sanft, und es schien, als ob er tief versteckten Dingen nachgrüble, „eile, du Glücklicher, zu deiner Bettfreude und deinen Sprösslingen. Was weiss der Staub von den Schmerzen der im Blitz Wohnenden? Gehe hin, und wenn du dich paarst, wenn du dich in dem weissen unberührten Schnee heiligst, dann denke — ich bitte dich — auch an den Aussätzigen unter dem unzüchtigen Weibsvolk.“

Er stützte den Geierkopf in die Hand und flüsterte losgerissen von dem Bisherigen: „Ein Mann müsste es sein, der nie log, einer, der den Umgang mit den pfäffischen Rittern kennt, ein Tugendhafter, der auch mir Vertrauen einflösst. Wo, wo finde ich den?“

Da schloss der Gabune in unerklärlicher Pein die Tür.


Es war am Nachmittage desselben Tages.

Der Wind spielte nur noch lässig in den lang aufgeschossenen Pappeln, die den weiten Gutshof von Ellernslöh im Kreise umgrenzten. Dicht bis an den trägen Strom der Netze schob sich hinter den letzten Scheunen und Wirtschaftshäusern eine saftige, hochbestandene Wiese hinan, und an ihrem äussersten Rande, fast schon am Flussufer, ersetzten ein paar Haselnussgänge sowie eine buschige Laube all den bunten Blumenschmuck, den die karge Gartenkunst in diesen halbslawischen Landen noch nicht auszustreuen vermochte. Dafür aber hatte sich der Abendhimmel in roter und goldener Wollust entzündet, und ein sinnend Gemüt hätte meinen können, dass sich dort droben das sanfte Zueinanderstreben, die Vermählung einer göttlichen Harmonie verkläre.

Etwas Ähnliches fühlte wohl auch die junge blonde Frau, als sie jetzt, auf einer derben Holzbank sitzend, ein wenig scheu und von der Seite ihren Gatten betrachtete, und es geschah gewiss nicht zufällig, dass ihr Leib einen fast unmerklichen Widerstand zeigte, so oft Herr Frisko von Gabune seinen Arm um ihre Hüfte zu schlingen suchte.

Scham hing über ihr, die keusche Befangenheit einer der ehelichen Zärtlichkeit Entfremdeten, denn nach vier Jahren klösterlicher Zurückgezogenheit und Entbehrung weilte sie zum erstenmal wieder neben ihrem Herrn. Und da sie eine von jenen war, in denen die herbe Jungfrauenschaft nie erstirbt, so stieg ihr jetzt ein widerspruchsvoller Zweifel auf, wie sie das Werben des wettergebräunten Mannes neben sich erwidern könnte, ja es deuchte ihr schier unfasslich, dass sie dem halb Unbekannten die beiden Kinder verdanken sollte, die eben unter Jauchzen und Lärmen den blumentrunkenen Schmetterlingen auf der Wiese nachsprangen.

Ein Kampf war in ihr, ein Hinneigen und Zurückstreben, und sie bebte heimlich, wenn sie sich all die Verschwiegenheiten zurückrief, die doch einst zwischen ihr und ihrem Schützer nach langer Überwindung gewaltet.

Und nun wollte sich all dies Vergessene und Verblasste wiederholen?

Leise zitterte ihre kühle Hand in der seinen, und sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder fürchten sollte.

Der Zurückgekehrte aber, als ob er etwas von dem Unausgesprochenen geahnt hätte, streichelte sacht die ihm überlassene Frauenhand, und wie von ungefähr begann er Nahes und Fernes vor seiner wiedergewonnenen Gefährtin auszubreiten. Erlebnisse und Dahingeschwundenes, Hoffnungen und allerlei Dinge des Alltags, alles in der schlichten Überzeugung, dass dies die rechte Strasse sei, auf der sich so eng Verbundene treffen und wieder aneinanderschliessen müssten.

Da erfuhr denn die gespannt und leidenschaftlich Horchende von all den Fährnissen, die der ruhige Mann auf den ewigen, immer wieder aufs neue anhebenden Kriegsfahrten gegen die heidnischen Preussen oder die Ordensritter erduldet hatte. Da empfing sie Kunde von der mühseligen Kolonistenarbeit, die man in dem jungerblühenden Gemeinwesen von Danzig und Oliva geleistet, es belichtete sich ihr ein Bild von der sachten Mühe der Versöhnung und Bekehrung, und sie schüttelte bedenklich das feine Haupt, da der Eheherr ihr etwas von den listigen Verhandlungen Swantopolks offenbarte, von den gebrochenen Bündnissen und dem Beugen alten Rechtes, das der Herzog zu seinem Nutz und Frommen ausriss, gleich Büscheln ausgedörrten Grases. Aber als Herr Frisko sich nun auch an das schwere geistige Ringen zu Gnesen erinnerte, als er eine Andeutung über die Zwiesprach mit seinem Gebieter fallen liess, und wie er den Hinterhältigen in verdächtigem Grübeln über den neu auszuliefernden Geisel verlassen, da belebte sich die kühle Hand in der seinen, und zum erstenmal regte sich in dem blonden Weibe das so lang verdeckte Bewusstsein von Zusammengehörigkeit, und eine heiss anspringende Sorge fasste sie, ihr lang herbeigewünschtes Besitztum könnte ihr wieder entschwinden. Plötzlich rötete sich ihr bleiches Antlitz, und sich voll zu ihm wendend, legte sie ihre Hand suchend und schützend auf das weisse Linnen über der Brust des Mannes.

Dem begann das Herz unter dem sanften Druck schneller zu hämmern.

„Jetzt bleibst du bei uns?“ hastete sie in banger Forderung hervor, und das stählerne Blau ihrer Augen, das so sehr unbewegten Seen glich, färbte sich dunkler. „Wenn deinem Herrn ein Herz in der Brust schlägt, so kann es nicht sein Wille sein, dass die Deinen in Witwen- und Waisentrauer vergehen.“

Die kaum verborgene Leidenschaft, mit der sie sprach, zog den Kastellan näher an sein schönes Weib; erwärmt und voll gesparter Wünsche legte er den Arm um ihren Nacken, und jetzt, jetzt hatte sie sich von ihren unerklärlichen Hemmnissen befreit, und ihr Leib schmiegte sich suchend und schutzflehend an die starken Glieder des Mannes, so wie es eines guten und hingebenden Weibes Art ist.

Eine Weile verharrten sie so, jeder die Nähe des anderen als eine Verheissung, als die Erfüllung lang umschwebender Träume spürend. Der weiche Wind, der in den Binsen des Ufers wühlte, die Schmetterlinge in ihrer ungestillten Jagd, und die goldenen Wolken, während sie in der Purpurglut zerflossen, sie alle waren eingefangen in derselben zärtlichen Melodie. Ein Frieden und Verstehen zitterte durch den sinkenden Abend.

Eine Weile blieben die Gatten den Kümmernissen und Sorgen der Erde entrückt, jeder bereit, sich dem andern zulieb in Trost und Zufriedenheit aufzulösen, dann aber entzog sich der Gabune der sanften Umarmung ein wenig und sprach hart und ungläubig vor sich hin: „Nein, diesem Bösen schlägt kein Herz in der Brust. Sieh, du armes Kind, ich fürchte, es ist der Schwarze selbst, der dort droben in der düsteren Burg unser Schicksal lenkt.“

Betroffen, verängstigt von dem finsteren und trotz aller Qual sich bescheidenden Ton ihres Eheherrn, rückte die Blonde von dem Manne fort, jedoch nur, um gleich darauf in aufflammender Empörung die beiden Hände des Heimgekehrten zu umspannen. Wunderlich, aus dieser Ruhigen, vom Klosterfrieden Umsponnenen, schlug in der Stunde, da sie ihr unbedeutend Frauenglück bedroht wähnte, unnachgiebig und lodernd der helle Aufruhr empor. Mit heisser Stimme und blitzenden Augen wehrte sie sich: „Sag, Gabune, gestehe Geliebter, du bist selbst der Erwählte deines Herrn. Warum verheimlichst du es noch länger? Und du willst es klaglos, ohne Gegenwehr geschehen lassen? O, sprich die Wahrheit, verbirg mir nichts, du willst deine Genossen nicht zusammenrufen, deine Knechte nicht wappnen, und nicht alles aufbieten, um dich deinen unmündigen Kindern zu erhalten? Schau —“ und sie rief mit hellem, schreckgepeitschtem Klang die Namen ihrer Kleinen, damit sie die Munteren am Knie ihres Erzeugers sammle. „Heila, Sambor, kommt, sprecht zu eurem Vater, auf dass eure Unschuld ihm abringe, was das Bitten seines Weibes nicht erreichen kann. Vielleicht legt er für sein eigen Blut jene hassenswerte Untertänigkeit vor dem Bösen ab, die uns alle noch elend machen wird.“

Dicht und eng hatte sie die Kinder vor den Kastellan hingeschoben; der aber, getroffen von den blauen und schwarzen Sternen der Verständnislosen, die ungewiss zu dem halbfremden Mann in die Höhe starrten, er fing plötzlich die beiden zarten Köpfe in seinen Fäusten ein, und dumpf und grollend entrang es sich ihm: „Halt ein, Weib — alles, was rechtens ist, will ich für euch tun! Alles!“

Die Blonde verzog die Stirn: „Nur was rechtens?“ klagte sie, „nicht auch Unrecht, Frisko? — Nicht auch Unrecht?“

Ihre lebhafte südländische Abkunft verriet sich, die Österreicherin regte sich, der Liebe und geruhiges Leben höher galt als Gesetz und beschworene Abhängigkeit. Ihr Ehegemahl aber mass sie mit einem dunklen, grüblerischen Blick. Noch herrschte auf diesen öden Landstrecken nur ein Unumstössliches, der Wille des Tyrannen. Dem Thronenden gehörte allein, was auf jenen dämmrigen Fluren an verlorener Menschensaat ausgestreut war; wie einem Gott überlieferten sich ihm die zagen Seelen, gleichviel ob er schwarze oder weisse Lose auswarf, und nur ein Verbrechen gab es, ein nie zu sühnendes — Ungehorsam. Deshalb schüttelte der Gabune finster und beinahe verletzt das Haupt. Seine Ehre schien ihm angetastet von der leichtblütigen Auffassung seines Weibes, und er schauderte vor dem ihm zugemuteten Wortbruch, durch den er die ruhige Sicherheit seines Wesens, sein Eigenstes und Tiefstes eingebüsst hätte.

„Lass das,“ verwies er ernst, und seine Brauen schnürten sich enger. „Ihr Weiber wisst nicht, worauf wir Männer stehen. Auch Verdienst und Recht sind eine gute Waffe, und diese allein ziemt es gegen den Herrn zu gebrauchen.“ Langsam strich er sich über die Augen, als müsse er von dort etwas Trübendes, die Aussicht Hemmendes fortwischen. Dann aber ordnete er mit seiner gewohnten Fassung an: „Lass die Kleinen zum Schlummer legen, Adelheid, denn ich wünsche dir noch etwas geheim und ohne Zeugen anzuvertrauen.“

Und nachdem eine Wärterin die Kinder fortgeführt, griff er abermals nach der Hand seiner Gattin und bettete sich ihre schlanken Finger noch einmal auf die Brust.

„Höre, Adelheid,“ begann er endlich nach einem tiefen Atemzug, und das begierig lauschende Weib begriff, wie schwer der Wortkarge mit seinem Geständnis ringen mochte, „so gewiss ich mich durch Sturm und Not, in Hitze und Frost nach diesem Tag und nach deiner Nähe gesehnt habe, so gewiss ist es, dass unser Schicksal nicht uns gehört! Du und ich, und alle um uns herum, wir werden als Tropfen von der gemeinsamen Quelle fortgesprüht, und wir ahnen nicht, welcher Wind uns trägt. Nur eines bleibt uns, Adelheid, das Letzte, Höchste, und darin sind wir dem, was uns treibt, überlegen. Wir können zu diesem unserem Leib, sobald er auf Schande gebettet werden soll, sprechen: Höre auf und zerfalle!“

Heftig bewegt riss der Gabune hier sein Weib an sich, und als er die schlanken Glieder der lang Entbehrten an den seinen spürte, als die vollen Arme sich ungestüm um seinen Nacken schlangen, flüsterte er der Hingegebenen stockend, heiss, gleich einer Liebesforderung ins Ohr: „Hast du mich verstanden?“

Da sprach die in seine Umarmung Verlorene stark und klar und doch wie in höchster Wollust zitternd vor sich hin: „Ich höre auf, sobald ich nicht mehr dein sein darf.“

„So komm,“ sagte der Kastellan und erhob sich, zwischen Ehrfurcht und einer überrauschenden Freude schwankend, „so schenke mir denn das Beste meines Schicksals, das ich nicht mehr erwarten kann.“

Schon ruhte sie aufgehoben in seinen Armen, und Schritt vor Schritt trug der Starke sein Besitztum, das sich verdämmernd an seiner Brust versteckte, durch die einsame Wiese, er durchmass den menschenleeren Hof, und während ihm seine Last nur immer anmutiger und begehrenswerter dünkte, schwanden unter der Entführten die steinernen Stufen der Treppe hinweg, und ehe sie noch aus diesem Spannen, Schwellen und Fluten der Jugend emportauchen wollte, da hatte sie bereits das einsame Zimmer aufgenommen, der kahle Holzraum mit dem gewaltigen Bettgestell. Aufatmend, überglüht sandte das hochzeitliche Weib noch einen verlöschenden Blick auf die stummen Zeugen ihres Unterliegens, sie grüsste noch den Purpurstrahl, der durch die Fensterluke über die holprige Diele kroch, dann, noch immer in den Armen des Gatten, hob sie die Lippen und Besinnungslosigkeit tanzte über ihr.

Aber, siehe da, hart und ungebeugt blieb der Nacken des Mannes. Der bartlose Mund konnte kein liebend Wort mehr formen, und seine ganze Gestalt schien von Starrheit gelähmt. Allmählich begriff auch das schon dem Traum überlieferte Weib die Seltsamkeit dieses Zögerns. Erstaunt, verständnislos schlug sie die Augen auf, bis sie endlich, aus dem schönen Taumel zurückkehrend, die schnöde Klarheit für die Gewöhnlichkeit aller Dinge gewann.

Da stand der Geliebte, dessen Sehnsucht nicht über sie hereinbrechen wollte, und streckte den Arm stumm in finsterer Gelassenheit nach der Fensterluke aus. Draussen auf der Landstrasse wieherte es von Rossen, Waffen klirrten, und der Lärm einer reisigen Schar schwoll durch den Abend.

„Er ist da, der Böse,“ sagte der Kastellan unbewegt.

Verängstigt, benommen entglitt ihm das Weib.

An die Bohlen der Tür wurde geklopft, hart und kurz, und gleich darauf neigte sich im Dämmer des Flurs eine untersetzte, graulockige Kriegergestalt. Die warf beide Arme vor, als sie sich anbetend und verehrungsvoll vor dem Schlossherrn bückte. Ein langer struppiger Schnurrbart hing dem Gewappneten unter der aufgestülpten Nase, und auf dem schmutziggelben Wappenrock war der rote Greif des Herzogs gestickt.

„Du bist es, Jakob Pantak?“ rief der Kastellan, vor dem Hauptmann zurückweichend, denn diese faltige, ewig in Unterwürfigkeit und Demut greinende Fratze galt als der gefährlichste Bluthund Swantopolks, der nur ausgeschickt wurde, wenn sich die schwärzesten Anschläge des Bösen verkörpern wollten.

„Erhalte mir deine Gnade, du Mächtiger und Freund des Herzogs,“ sagte der Alte, vor der Schwelle nochmals zusammensinkend, und zog sich in Hochachtung ersterbend die kegelförmige Eisenkappe vom Haupt. „Auch dein schön Ehgemahl möge mir verzeihen, denn der Tag neigt sich, und ich dringe in ihre Schlafstätte.“

Damit erhob er abermals die Rechte, um sie tief vor der weissen Frauengestalt sinken zu lassen, als wolle er ihr Erbarmen ganz besonders erflehen. Die stand aufgerichtet, bleich wie der Stoff ihres Gewandes und hielt die Hände schützend über dem geöffneten Brustlatz gekreuzt.

„Was bringst du, Pantak?“ stiess derweil der Kastellan rauh hervor, ohne auf die demütigen Anstalten des Eindringlings achten zu wollen. „Was bringst du?“

„Gnade über Gnade,“ hauchte der Hauptmann, mit gekrümmten Knien näher schleichend, und in den Kerben und Falten seines ledernen Antlitzes versteckte sich ein seltsam Grinsen, da er nun des gewaltigen Bettgestelles ansichtig wurde, „unser Herr und Fürst, den der Allmächtige mit jeder Tugend geschmückt, er hat dich, Frisko von Gabune, aus allem Volk erwählt, damit du an seiner Statt bei unseren Feinden als Pfand für sein heilig Wort gelten mögest.“

Da stiess Adelheid einen schrillen Ruf aus, sank nieder und wühlte ihre Stirn in die Kissen des Lagers. Ihr Eheherr aber, obwohl er die Fesseln seines unentrinnbaren Geschickes bereits fest um seine Knöchel spürte, er raffte noch einmal den Schild des Rechtes auf und versuchte, sich hinter dieser zerbrechlichen Wehr zu schirmen.

„Herzog Swantopolk muss sich irren,“ brachte er heiser vor Grauen und verhöhnter Redlichkeit hervor, „weiss er doch ebenso gut wie ich, dass das Erzbistum einen Grossen des Hoflagers verlangt — ich aber bin nur einer der Geringen im Dienst unseres Herrn!“

„Eben, eben,“ nickte der Bluthund zustimmend, und seine verkniffenen grauen Augen schwammen in Bewunderung, „aber unser Herr hat deine Gaben, die dich so weit über uns andere erhöhen, rechtzeitig erkannt. Hier, du Mächtiger, Redlicher und Gebenedeiter, erfasse nun auch du, wie der fromme Fürst deinen Dienst zu belohnen wünscht.“

Vorsichtig, mit spitzen Fingern langte der Alte hinter sich, und nachdem er von einem der Knechte einen langen blauen Samtmantel empfangen, der ebenfalls auf der Vorseite mit zwei grossen roten Greifen bestickt war, näherte er sich ehrfürchtig und hing dem Verstummten das Prunkstück beflissen um die Schultern. Gleich darauf aber sank er vor dem so Geschmückten blitzschnell in die Knie.

„Heil dir, Graf von Gabune,“ schmolz seine fette, singende Stimme, und er neigte seine Stirn fast bis zur Erde, „wohl auch mir, weil ich als der erste deine neue Würde begrüssen darf. Wie stehst du da, Herrlicher?! Das Licht der Sonne und des Mondes leuchten zugleich aus deinen Zügen. Keiner wird, wie du, deinem Fürsten und unserem armen, elenden Volke wieder Vertrauen und Achtung werben. Keiner! Lass mich deine Hand küssen, Graf von Gabune!“

Noch auf den Knien schleppte sich der Hauptmann heran und drückte seine wulstigen Lippen auf die schlaff herabhängende Rechte des Kastellans. Unbeweglich war dieser an seinem Platz festgewurzelt, niemand konnte erspähen, was sich hinter der gefalteten Stirn an schnellen, unheilgewissen Gedanken kreuzte, und nur sein Blick ruhte verdüstert und doch voll schmerzlichen Verlangens auf dem weissen Nacken seines Weibes, der in die Kissen eingesenkt lag, wie in die Höhlung eines Henkerblockes.

„Wieviel Zeit gewährt mir der Herzog noch?“ fragte der Gabune endlich, sich gewaltsam ermannend.

Der Pantak zuckte die Achseln. Dann deutete er entschuldigend durch die Fensterluke: „Du siehst, edler Graf,“ bedauerte er voll nutzloser Gutmütigkeit, „dein Gefolge hält bereits auf der Strasse. Mir ist befohlen, dich ohne Aufschub an den Hof zu leiten.“

„Gut, gut.“ Der Graf nickte. „Ich sehe, es eilt,“ sprach er in herber Fassung, „so gilt es denn Abschied nehmen.“

Mit einem raschen Griff zog er sein Weib empor, und als sie nun vor ihm stand, als die Augen der beiden Menschen sich in dringendem Ernste das Letzte, Unverbrüchlichste aus der Seele lasen, da senkte der Gabune die Hand auf die Schulter der Frau und im Ton einer eisernen, felsenharten Überzeugung sprach er in sie hinein, in den innersten Bezirk ihres Wesens: „Es ist ein Gelöbnis zwischen uns, Adelheid.“

Das steinerne Gesicht des Weibes zuckte, der tiefste, ihr selbst unbekannte Abgrund ihres Seins erleuchtete sich, und ihren Blick fest und voll hoffnungslosen Begehrens in den des Scheidenden verstrickt, sagte sie feierlich und beinahe in heiss lodernder Drohung: „Es gilt bis ans Ende.“

Ihre Hände lösten sich, keine Umarmung schmiedete die beiden über Zeit und Schicksal Verbundenen noch einmal aneinander, mit einem stummen Neigen des Hauptes schritt der so schimmernd mit dem blauen Prunkmantel Geschmückte über die Schwelle des heimlichen Raumes, ungeweiht, ungetröstet, in das Dunkel des Künftigen.