Um einen »Leitfaden« handelt es sich bei diesen Bändchen nicht. Künstlerbiographien und Bilderbeschreibungen werden nicht gegeben. Der geneigte Leser kann dieses thatsächliche Material in so vielen vortrefflichen Werken finden, daß es mir unnötig schien, es nochmals auszubreiten. Dafür wurde versucht, den »Stil« der verschiedenen Epochen aus der Zeitpsychologie, die Kunstwerke als »menschliche Dokumente« zu deuten. Daß viele Fragen nur gestreift, nicht erschöpft werden konnten, hängt mit dem vorgeschriebenen Umfang des kleinen Buches zusammen. Ein größeres Werk, das fast vollendet in meinem Schreibtisch liegt, enthält, was der Kundige hier vermissen wird.
Muther.
Noch weit folgenreicher wurde nach einer anderen Seite das Auftreten des Franziskus. Er vertiefte nicht allein durch seine Predigten das Empfindungsleben und schuf so den Boden für jene lyrisch-empfindsame Malerei, die in Köln und Siena blühte. Indem er an die Stelle des dogmatischen den persönlichen Christus setzte, wie seine irdische Lebensarbeit ihn als Menschen neben anderen Menschen zeigte, führte er auch die Christuslegende als neuen Stoff der Kunst zu. Ein Epos war gegeben, das auch vom Maler erzählt werden konnte. Und namentlich: das eigene Leben des Heiligen mit all seinen Entbehrungen und wunderbaren Geschehnissen reizte zur Darstellung. In epischer Breite, in großen monumentalen Bildern sollte geschildert werden, was Franz erlebt und gethan.
An Wandflächen fehlte es nicht, denn die Gotik in Italien war eine andere als im Norden. Das Princip war, weite Binnenräume mit wenig Stützen durch große Bogen zu überspannen. Und da diese ungegliederten Flächen von selbst zur Dekoration mit Wandgemälden aufforderten, trat die Freskomalerei als tonangebender Faktor in das italienische Kunstschaffen ein.
Für die Franziskuslegende gab es keine altgeheiligte Tradition. Nachdem jahrhundertelang die Künstler, einer dem anderen folgend, sich darauf beschränkt hatten, die Kultusbilder Christi und der Maria zu schaffen, an denen jede Bewegung, jede Gewandfalte durch kirchliche Satzung bestimmt war, hatten sie bei diesem neuen Thema plötzlich Freiheit. Alle Scenen waren – nach den Erzählungen der Mönche oder der Lebensbeschreibung des Bonaventura – gänzlich neu zu gestalten. Statt ruhiger Gnadenbilder mußten bewegte Vorgänge, Handlungen, Ereignisse geschildert werden. Zur Bewältigung solcher Dinge reichte Gefühlsschwärmerei, reichte mystische Versenkung nicht aus. Eine große männliche Gestaltungskraft, ein freies Schaffensvermögen, ein gewisser Realismus war nötig. Daß an Stelle der ewig gleichbleibenden himmlischen Gestalten zum erstenmal ein realer, beinahe zeitgenössischer Stoff in den Darstellungkreis trat, bedeutete einen vollständigen Bruch mit der mittelalterlichen Tradition. Es ist daher kein Zufall, daß zur Lösung dieser Aufgabe eine Stadt berufen war, die mit gar keiner Ueberlieferung zu brechen hatte, da sie während des Mittelalters stumm beiseite gestanden: nicht das ewige Rom, das stolze Venedig oder das mächtige Pisa, sondern das junge Florenz, das damals neu und frisch, mit unverbrauchter Kraft, in die Kultur und Kunst Italiens eintrat. Hatte Siena, die stille Bergstadt, und Köln, das heilige Köln, den mystischen Idealen des Trecento den zartesten Ausdruck gegeben, so tritt der große Giotto diesen Lyrikern als Epiker, den Mystikern als der Realist des 14. Jahrhunderts zur Seite.
In der Grabkirche des Heiligen, San Francesco in Assisi, verdiente er sich die Sporen. Giovanni Cimabue, dem die Dekoration übertragen war, hatte ihn, den früheren Hirtenbuben, nebst anderen Gesellen mit sich genommen und überließ ihm zur selbständigen Ausführung die Bilder aus der Franziskuslegende, die die Wände der Oberkirche überziehen. Giotto malte sie. Und nachdem er an dem neuen Thema seine Kraft geübt, an der Hand des zeitgenössischen Stoffes sich von den Fesseln des Byzantinismus befreit, sah er auch das Alte mit modernem Auge. Auf die Franziskuslegende folgte die Neugestaltung des Lebens Christi, das er in Padua, in der Kirche der Arena, erzählte. Nachdem er dann noch in der Unterkirche von Assisi die drei Gelübde des Franziskanerordens: Armut, Gehorsam und Keuschheit sowie die Glorie des Franziskus gemalt und in den verschiedensten anderen Städten – in Rom, Ravenna, Rimini und Neapel umfangreiche (heute zerstörte) Werke geschaffen, kehrte er 1334 nach Florenz zurück, wo er zum Baumeister des Domes und des Campanile ernannt wurde und auch als Maler – in der eben vollendeten Franziskanerkirche Santa Croce – noch eine ausgedehnte Thätigkeit entfaltete. Drei Jahre nach seiner Rückkehr, am 8. Januar 1337 erfolgte sein Tod. Boccaccio schrieb über ihn im Dekamerone: »Giotto war ein solches Genie, daß nichts in der Natur war, was er nicht so abgebildet hätte, daß es nicht nur der Sache ähnlich, sondern diese selbst zu sein schien.« Und Polizian läßt ihn in seiner Grabschrift sagen: Ille ego sum, per quem natura, extincta revixit.
Ein solches Lob, dem Naturalisten Giotto gespendet, wird dem modernen Auge sehr übertrieben scheinen. Wer mit realistischem, dem Stil späterer Epochen entlehnten Maßstab an Giottos Werke herantritt, findet keinen Eingang in die Werkstatt seines Geistes.
Wohl überrascht er, wenn es Außergewöhnliches, Erotisches zu schildern gilt, zuweilen durch ganz modernen Naturalismus. Unter dem Gefolge der heiligen drei Könige in der Kirche von Assisi sind wunderbare Exemplare mongolischer Rasse, mit eingedrückter Nase, gelber Hautfarbe und ebenholzschwarzem Haar. Ebenso fallen die Nubierköpfe in der Kirche Santa Croce durch ethnographische Treue auf. Doch daß sie auffallen, zeigt, wie vereinzelt solche Dinge bei Giotto sind. Auch er hat, wie alle früheren, einen durchgehenden Typus: jene harten, wie aus Holz geschnitzten unpersönlichen Gesichter mit den vorstehenden Backenknochen, den mandelförmigen Augen und der gradlinigen, sogenannten griechischen Nase.
Das Nackte zu studieren lag noch nicht im Sinne der Zeit. Wo unbekleidete Figuren gegeben werden, wie in der Taufe Christi oder in den Kreuzigungsbildern, ist daher die Zeichnung ganz allgemein.
Was das Kostüm anlangt, hat er in einzelnen Fällen, wie aus dem Bild der Anbetung der Könige, zeitgenössische Moden verwendet. Doch nur bei Figuren, die er in Gegensatz zu den Gestalten des spezifisch christlichen Glaubenskreises setzen will. Für die Heiligen behält er die feierliche Idealtracht bei, die das Mittelalter von der Antike übernommen hatte. Sie tragen Toga, Tunika und Sandalen. Der Kopf bleibt unbedeckt.
Wie in der Darstellung des Menschen, ist er als Tiermaler von Naturtreue weit entfernt. Der Hühnerhund, der auf einem der Paduaer Fresken an Sankt Joachim aufspringt, der Esel, auf dem ebenda der heilige Joseph reitet, und die drei Kamele auf dem Bilde der Anbetung der Könige in Assisi sind an naturalistischer Durchbildung wohl das Hervorragendste, was Giotto auf dem Gebiet der Tierdarstellung leistete. Die Schafe, die der frühere Hirtenjunge hätte kennen müssen, sind wenig korrekt gezeichnet. Das Pferd bleibt für ihn eine unverstandene Maschine.
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Noch befremdlicher wirken seine Hintergrunde. All diese Baulichkeiten, in ihren Einzelheiten naturwahr, bilden als Ganzes doch keinen realistischen Hintergrund. Viel zu klein, sind sie weder perspektivisch richtig gezeichnet noch stehen sie in richtigem Verhältnis zu den Menschen. Diese sind oft größer als die Häuser, in denen sie wohnen. Ebenso bewegt er sich als Landschafter in den primitivsten Bahnen. Die Natur setzt sich gewöhnlich aus wunderlich gezackten, kahlen Felsen zusammen, auf denen hier und da ein Stamm wächst, der auch wieder als einzige Bekleidung höchstens ein Dutzend wie aus Blech geformte Blätter hat. Die malerischen Elemente der Landschaft, Flüsse, Thäler, Hügel und Wälder, ihre ernste und heitere Vegetation kamen für ihn so wenig wie für andere Meister des Trecento in Frage. »Wenn du Gebirge in einer guten Weise entwerfen willst, die natürlich scheinen, so wähle große Steine aus, rauh und unpoliert, und zeichne sie nach der Natur.« Diese Vorschrift Cenninis ist ein bezeichnendes Dokument für die Naturauffassung einer Epoche, der noch der Baum den Wald, der Stein das Gebirge bedeutete.
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Selbst das Kolorit Giottos, so sehr es in seiner lichten Haltung von den preciös barbarischen Farben der Byzantiner abweicht, ist weit entfernt der Wirklichkeit zu folgen. Wie er die Pferde zuweilen rot, die Bäume blau malt, ist auch eine Bezeichnung der Stoffe, aus denen die Dinge bestehen, ein Unterschied in der Behandlung der Architektur, der Gewänder und des Fleisches weder erreicht noch versucht.
Doch man darf, um die Bedeutung eines Künstlers festzustellen, ihn nie mit Späterem, nur mit Früherem vergleichen. Da imponiert schon die Erweiterung des Stoffgebietes, die sich durch Giotto vollzog. Die byzantinische Kunst hatte nur die regelhafte, für Ewigkeiten festgemauerte Ruhe des Göttlichen dargestellt, es in hieratischer Starrheit, über Zeit und Raum erhaben vor Augen geführt. Bewegte Scenen darzustellen, war nur nebenher und schüchtern versucht. Giotto als erster giebt der Kunst die Wendung zur Aktion, schildert nicht Ruhiges, sondern Bewegtes, nicht Zeitloses, sondern Geschehen. Indem er an die Stelle der repräsentierenden Andachtsbilder ganze Epen, ganze Dramen setzte, wurde er der erste Historiker der christlichen Kunst.
Und hält man fest daran, immer nur an Früheres, nicht an Späteres zu denken, wird auch sofort ersichtlich, welche Summe technischer Ausdrucksmittel Giotto erst schaffen mußte, um diesen neuen Stil zu begründen. Die Figuren sind nicht naturalistisch durchgebildet, aber er als erster weiß menschliche Gestalten in voller Bewegung darzustellen. Die Tiere sind nicht gut gezeichnet, aber er als erster öffnet seine Fresken den Vertretern des Tierreichs, von den Vierfüßlern bis zu den Vögeln, die der Predigt des Franziskus lauschen. Seine Landschaften sind noch symbolisch, trotzdem war es ein jäher Ruck, mit dem er die Gestalten aus der byzantinischen Raumlosigkeit in eine bestimmte örtliche Umgebung setzte, sie auf der Erde in der freien Natur, auf den Straßen und Plätzen der Städte zu neuem, lebensvollen Wirken vereinte.
Schließlich erklärt sich vieles, was gegen die Naturwahrheit zu verstoßen scheint, nicht aus mangelndem Können, sondern aus den stilistischen Anforderungen des großen Stils. In der souveränen Sicherheit, mit der er die Gesetze des Monumentalstils feststellte, liegt seine eigentliche unsterbliche Größe. Giotto wußte noch, was spätere Maler vergaßen, daß es gar nicht Aufgabe der Wandmalerei ist, naturalistische Wirkungen in Form und Farbe zu erstreben, sondern daß sie nur ihren Zweck erfüllt, wenn sie in den Grenzen rein schmückender Flächendekoration sich hält. Aus diesem Grunde ist er noch für unsere Zeit, für Puvis de Chavannes und andere, der starke Anknüpfungspunkt geworden. Nachdem die jahrhundertelange, auf den Realismus gerichtete Entwicklung ihren Abschluß gefunden, trat desto mehr hervor, daß Giotto vor sechs Jahrhunderten schon das besaß, was wir heute wieder erstreben. Sein ganzes Schaffen wurde nicht durch naturalistische sondern durch dekorative Gesichtspunkte bestimmt. Gerade indem er der monumentalen Wirkung zuliebe vieles von der Naturwahrheit, die auch er hätte erreichen können, opferte, ergriff er im Kern die Aufgabe raumschmückender Kunst.
Sein Geheimnis liegt in dem großen Zug der Linien, in der klaren Anordnung der Gruppen, in der strengen Unterordnung aller Einzelheiten. Damit kein kleinliches Detail den Linienfluß stört, wählt er Typen, die an Gesicht und Gestalt einfach und mäßig sind. Damit die Klarheit der Erzählung nicht leidet, vermeidet er alle malerischen Füllfiguren, beschränkt sich darauf, in lakonischer Kürze den geistigen Gehalt des Themas in künstlerische Anschauung umzusetzen. Da sich die hohe Getragenheit des Monumentalstils nicht mit jähen Wendungen und unsicheren Gesten verträgt, bildet er sich eine feststehende Gebärdensprache, die wie die Schriftsprache für die gleichen Dinge immer die gleichen Worte benutzt, und so dem Betrachter sofort beibringt, was die Figuren sagen. Ein signifikanter Blick, eine leichte Bewegung der Hand und des Körpers, der die lose herabhängenden Gewänder willig folgen, müssen genügen, die Bedeutung der dargestellten Person, die Regungen ihres Seelenlebens zum Ausdruck zu bringen. Da er die Wandmalerei lediglich als Flächendekoration auffaßt, vermeidet er alle plastischen, auf die Illusion von Körperlichkeit ausgehenden Wirkungen, arbeitet in demselben Stil wie die Japaner, bei denen ebenfalls die Menschen weder Rundung haben noch Schatten werfen. Auch die Farbe muß sich dem dekorativen Zwecke unterordnen. Daher trägt er kein Bedenken, bewußt von der Wirklichkeit abzuweichen, wenn eine naturwahre Farbe die helle Gesamtharmonie, den bleichen Gobelinton der Bilder zerstören würde. Die Stilisierung der Landschaft ergab sich als weitere Folge. Sie durfte nicht selbständig auftreten, nur die Begleitung zu den großen Hauptlinien der Figuren bilden. Darum hält er sie in den einfachsten Formen. Auch Giotto wußte, daß in so kleinen Häusern keine Menschen leben können, daß Pflanzen und Bäume nicht so symmetrisch wachsen, daß Felsen nicht so treppenförmig abgestuft oder so nadelförmig spitz sind. Aber er malt sie so, weil jede naturalistische Durchbildung ihn von seinem Ziel entfernt hätte. Denn hätte er die Häuser größer gegeben, so wären seine Bilder statt Monumentalmalereien Architekturstücke und historische Genrebilder im Stil Gentile Bellinis geworden. Hätte er die Felsen nicht so abgetreppt, nicht so schroff gradlinig gezeichnet, wäre er nicht im stande gewesen die Pläne so scharf zu sondern, die verschiedenen Ereignisse so deutlich zu trennen. Hätte er die Bäume naturalistisch durchgeführt, so hätte sich nicht nur eine Dissonanz mit den mäßig gradlinigen Figuren ergeben, es wäre auch der Eindruck der Feierlichkeit verloren gegangen, den sie gerade in ihrer Stilisierung machen. Nur indem er auf alles Kleinliche, auf alle naturalistischen Einzelheiten verzichtete und die Natur vereinfachte, um sie noch elementarer sprechen zu lassen, konnte er seinen Werken die feste Geschlossenheit, jene sakramentale Würde geben, die dem Thema sowohl wie dem Stil dekorativer Kunst entspricht.
Und der Begründer dieses Stils konnte nur ein so klarer männlicher Geist wie Giotto werden. Es ist eine geschichtliche oder besser eine psychologische Merkwürdigkeit, daß inmitten dieser gefühlseligen Generation ein Mann lebte, der gar nichts vom Mystiker hat. Man braucht, um diesen Zug seines Charakters zu erkennen, nur seine Madonnenbilder zu betrachten. Von der Zartheit und mystischen Innerlichkeit der Sienesen und Kölner sind diese Werke weit entfernt. Eine gewisse Nüchternheit, ungraziöse Härte und poesielose Sachlichkeit haftet ihnen an. Statt wie die andern nach ätherischer Holdseligkeit zu streben, trägt er realistisch-genrehafte Züge in das Thema hinein. Das Kind steckt den Finger in den Mund, spielt mit einem Vogel, ist im Begriff der Mutter auf den Schoß zu klettern. Auch die paar Züge, die aus seinem Leben bekannt sind, deuten seine Doppelstellung an. Er verherrlicht die Franziskanergelübde, verwahrt sich aber ausdrücklich dagegen, daß für ihn selbst Armut das Ziel des Strebens bedeute. Er ist Maler, bewegt sich aber mit gleichem Erfolg in der materiellsten aller Künste, die gar keine Empfindung, nur handwerkliche Tüchtigkeit und mathematische Berechnung voraussetzt: in der Baukunst. Er malt Mystisches, gilt aber seinen Zeitgenossen als sehr verständiger Mann, dessen moderne Anschauungen und kaustische Witze seltsam kontrastieren mit dem Wesen des Heiligen, als dessen Verherrlicher ihn die Kunstgeschichte feiert. Dem entspricht seine Kunst. Man ersieht aus ihr, wie aus den Werken der Sienesen, welche Tiefe des Gefühlslebens durch Franziskus erschlossen war. Alle Regungen des menschlichen Herzens, Zorn und Demut, Liebe und Haß, Mut und Entsagung hat er meisterhaft interpretiert. Aber er thut es ohne mystische Traumseligkeit, in verständiger Sachlichkeit. Seine Kunst ist klar und durchsichtig, spricht in knappen, lapidaren Sätzen wie ein mathematischer Beweis. Kein Schwärmer, aber ein positiver exakter Geist, kein Träumer, aber ein gewaltiger Arbeiter von gesunder, breitausgreifender Männlichkeit, hat er auf ein Jahrhundert hinaus die Bahnen der italienischen Kunst bestimmt.
Allein der Umstand, daß die Tafelmalerei, die bisher eine sehr bescheidene Rolle gespielt, jetzt tonangebender Faktor im Kunstbetrieb wurde, ist für den Umschwung des Gefühlslebens bezeichnend. Bei der Mosaikmalerei waren künstlerische Fortschritte und ein Beseelung der Gestalten schon durch die Entstehungsart der Werke ausgeschlossen. Der Maler konnte nicht unmittelbar sich aussprechen, denn er fertigte nur den Karton, wonach Handwerker das Mosaikbild bestellten. Jetzt tritt an die Stelle dieses unpersönlichen Stils, in dessen kaltem Material jede Empfindung versteinerte, eine neue Technik, die dem Meister gestattet, seine Gedanken ohne fremde Vermittlung niederzuschreiben, in flüssigen Pinselstrichen auch feinere Empfindungsnuancen zum Ausdruck zu bringen.
Trotzdem hat sich die Wandlung keineswegs schnell vollzogen. So sehr sich die Kunst bemühte, dem neuen Zeitgeist zu folgen, stand sie doch unter dem Bann einer tausendjährigen Tradition. Das byzantinische Schema herrscht zunächst noch vor. Nur ganz allmählich macht man sich frei. Die neue Empfindung sprengt die überkommenen Formen.
In der älteren Kunst war Maria gewöhnlich allein, mit betend erhobenen Armen, dargestellt worden. Seltener war das Thema der Madonna mit dem kleinen Christus, obwohl nach der Legende schon der Evangelist Lukas ein solches Bild malte. Aber auch dann wahrt Maria ihre hoheitvolle Starrheit. In steifer Vorderansicht sitzt sie, die willen- und gefühllose Trägerin des Gottessohnes, der – mehr ein verkleinerter Mann, ein Miniaturheros, als ein Kind – gravitätisch in ihrem Schoße steht, in der einen Hand als Zeichen seines Lehramtes die Schriftrolle haltend, mit der anderen feierlich den Segen erteilend.
Die ältesten Tafelbilder sind in nichts von diesen Mosaiken verschieden. Teils um an den Metallglanz des früheren Altarschmucks zu erinnern – bis zum 12. Jahrhundert war es Sitte gewesen, die Altäre lediglich mit kostbaren, aus Metall gearbeiteten Reliquiarien zu zieren –, teils wegen der Nachbarschaft der Mosaiken oder Glasgemälde mußten die Bilder einen möglichst glänzenden Eindruck machen. Die Figuren heben sich daher wie auf den Mosaiken von Goldgrund ab. Rot, Blau, Gold ist die durchgehende Note. Auch die Gestalten selbst haben die ernste Feierlichkeit byzantinischer Typen. Der Kopf der Madonna mit den großen geschlitzten Augen und der langen, spitzen Nase, die gleichgültige Art, wie sie mit ihren überlangen, knochigen Händen das Kind hält, ist hier und dort die gleiche. Dieses hat ebenfalls die greisenhaften Züge der byzantinischen Christkinder. Von irgend welcher Neuerung, einem gesteigerten Gefühlsleben ist nicht die Rede.
Erst mit dem Schlusse des 13. Jahrhunderts, in den Werken des florentinischen Malers Cimabue macht sich eine Aenderung bemerkbar. Der Jesusknabe wird kindlicher, freundlicher. Eine leichte Neigung des Hauptes der Madonna sagt, daß sie die Gebete der Menschen hört, ihnen Hilfe und gnädige Verzeihung erwirken kann. Anmut und Weichheit, ein menschliches Rühren beginnt die mürrisch harten Züge zu beseelen. In diesem Sinne schrieb Vasari, es sei durch Cimabue »mehr Liebe« in die Kunst gekommen.
Noch zarter als Toskana hat die stille Bergstadt Siena das Madonnenideal der Mystiker verkörpert. Die Sienesen sind die erste Lyriker der neuern Kunst. Wie sie einerseits ihren Bildern etwas Zierliches, Sauberes, eine Pracht der Farbe und der Vergoldung geben, die an Byzanz gemahnt, spiegelt sich andererseits in ihren Werken auch die ganze weiche Gefühlsseligkeit wieder, die erst durch Franziskus in die Welt gekommen. Betonte die byzantinische Kunst das Greisenhafte, so herrscht hier das Jugendliche, Liebliche, Graziöse. War dort alles starr und steif, so herrscht hier schlanke, biegsame Anmut. Es ist, als seien die steinernen Wölbungen der Kirchen plötzlich durchsichtig geworden, und man schaute hinauf in den wirklichen Himmel, wo zarte, ätherische Wesen, singend und den Höchsten preisend, in ewiger Jugend dahinleben und liebeverwandt zum Menschen herniederbücken.
Duccio, in der großen Madonna des Domes, gab die erste Anregung. Diese Maria ist nicht mehr streng und würdevoll, sie ist huldvoll und mild. Es ist, als hätte sie Mitleid mit der sehnenden Seele des Gläubigen, denn eine leise, träumerische Wehmut verklärt ihre Züge. Auch ihr Verhältnis zum Kind wird anders; nicht mehr als gleichgültige Gottesträgerin fühlt sie sich, sondern als zärtliche Mutter. Ambruogio Lorenzetti, der stille Poet, hat sie gemalt, wie sie innig ihre Wangen an die des Kindes schmiegt, hat sie dargestellt, wie sie ihrem Knaben die Nahrung reicht: mütterlich und doch magdhaft, stolz und doch schüchtern.
Ein ähnlicher Fortschritt von der Starrheit zur Seelenmalerei läßt sich bei allen Stoffen verfolgen. Nicht an den Hauptfiguren allein. Denn um die psychische Wirkung zu steigern, fügt man gern Engel und Heilige bei, in deren Freude und Trauer die Stimmung des Hauptvorganges harmonisch ausklingt. Früher verlief bei der Himmelfahrt Maria alles in frostiger Steifheit. Jetzt strahlt Dankbarkeit und himmlische Sehnsucht aus Marias Augen. Engel singen und musizieren. Jubelnde Festfreude durchwogt die Bilder. Bei der Krönung Maria wurde früher nichts anderes dargestellt, als daß Christus, steif dasitzend, der ebenso bewegungslosen Maria eine Krone aufs Haupt setzt. Jetzt kreuzt sie demütig schwärmerisch die Arme, und der Heiland segnet sie. Heilige und musizierende Engel folgen in freudigem Erstaunen dem Vorgang. Wird die Verkündigung dargestellt, so bemüht man sich, die schüchterne Befangenheit Marias, den kindlichen Eifer des Gottesboten auszudrücken. Selbst die Krucifixe, früher Schreckbilder mit ihren plumpen, schwarzen Konturen und dem ungeschlachten, grünlich gefärbten Leib, bekommen eine weihevolle, still wehmütige Stimmung. Stumme Ergebung spricht aus den Augen des Erlösers. Klagend oder in melancholischem Sinnen stehen die Freunde da. Einer preßt die Hände an die Brust, ein anderer hebt sie in staunender Verehrung. Ein dritter bedeckt sein Gesicht und weint heiße Thränen. –
Die gleiche Entwicklung erfolgte im 14. Jahrhundert in Deutschland. Ja, die Ideale der Mystiker fanden hier vielleicht die reinste Verkörperung, weil träumerische Empfindungsseligkeit noch mehr im deutschen Gemüt als im Charakter des Italieners liegt.
Auch in Deutschland waren vorher – namentlich in Westfalen – nur Altarwerke von starr musivischem Stil entstanden. Die Haltung ist steif, der Ausdruck leblos. Eine streng stilisierte Zeichnung begrenzt die Formen. Die Augen, die Nasen, die Bärte, die Gewandfalten, die Flügel der Engel – alles macht, obwohl mit dem Pinsel gezeichnet, mehr den Eindruck, als sei es aus Steinwürfeln zusammengesetzt.
Darüber kam auch die Prager und Nürnberger Schule nicht weit hinaus. In Prag, das durch Karl IV. ein künstlerischer Mittelpunkt geworden war, arbeitete ein Meister Theodorich, der den specifisch mittelalterlichen Stil zu höchster Vollendung ausprägte. Alle seine Gestalten sind von finsterer Majestät und ernster Erhabenheit; die Köpfe mächtig, die Augen drohend, die Gewänder feierlich nach Art des musivischen Stils geordnet. Die Nürnberger möchten wohl dem neuen Zeitgeist folgen. Ihre Werke sind weicher als die der Prager, aber hausbacken und verständig. Die ernste Großartigkeit mittelalterlichen Stiles ist verloren gegangen, und den Ideen von hingebender Gottesminne, wie sie Franziskus erschlossen, vermochte man in der fleißigen Handelsstadt doch nicht ehrlich sich hinzugeben.
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Köln, das heilige, von der Poesie uralter Geschichte umflossene Köln, wo im Laufe des Mittelalters der größte aller Dome entstand, ward auch für die Malerei das deutsche Assisi. Hier lebten im 14. Jahrhundert die großen Mystiker Albertus Magnus, Meister Eckardt, Tauler von Straßburg und Suso, Apostel der gleichen Lehre, die in Italien Franziskus verkündete. In Suso namentlich fand der seraphische Heilige einen wahlverwandten Nachfolger. Sein ganzes Leben ist ein ewiger Minnekampf, seine Verehrung der Madonna von fast sinnlicher Liebesglut. Herzlieb nennt er sie, bittet, daß sie seine Herrin werden möchte, weil sein junges, mildes Herz ohne Liebe nicht sein könne. Nach ihr sehnt er sich nachts und grüßt sie morgens. In der Maienzeit, wenn die Burschen ihren Mädchen Lieder singen, bringt auch er der Gebenedeiten sein Lied dar. Körperlich glaubt er sie vor sich zu sehen, in langem, weißem Gewand, einen Rosenkranz im goldblonden Haar; vernimmt Gesänge, als ob Aeolsharfen klängen. Die Bilder sind in die Malerei übersetzte mystische Visionen, blumenzarte, ätherische Träume frommer, erdentrückter Schwärmer. War Maria bisher eine ernste, erhabene Königin, so erscheint sie jetzt als holdselige Jungfrau im Liebreiz der Jugend, wie eine Prinzessin von einem Hofstaat sittiger Ehrenfräulein umgeben. Kleine Idyllen von sehr viel Zartheit treten an die Stelle des hoheitvollen Monumentalstils von früher.
Als der Begründer dieser neuen Richtung wurde bis vor Kurzem Meister Wilhelm genannt. Doch geht aus den datierten Monumenten hervor, daß in den Jahren 1358 bis 1372, als Wilhelm von Herle arbeitete, sich die kölnische Malerei noch in durchaus mittelalterlichen Bahnen bewegte. Die hart gezeichneten Figuren mit den eckigen Bewegungen und den plumpen Händen ähneln in nichts den schmächtigen Wesen mit der weich geschwungenen Haltung, die so typisch für die kölnische Schule sind. Der Schöpfer dieses neuen Stils wurde erst Hermann Wynrich von Wesel, der nach Wilhelm von Herles Tod dessen Werkstatt übernahm und dann von 1390–1413 das Kölner Kunstleben beherrschte. Von ihm, nicht von Meister Wilhelm rührt der berühmte Marienaltar her, der besonders deutlich das Erwachen der neuen Anschauungen zeigt.
Die Bilder sind nicht sämtlich von einer Hand. Die derben Passionsscenen der oberen Reihe scheinen die Arbeit eines Gesellen zu sein, der in der älteren Weise arbeitete. Wynrich malte die sechs mittleren Tafeln, worin die Kindheit Jesu in entzückender Frische erzählt wird. Auch er selbst hatte, wenn er später an bewegte, leidenschaftliche Vorgänge sich wagte, wenig Erfolg. Nur wo es um stille Madonnen, um milde Weiblichkeit sich handelt, ist seine frauenhaft zarte, lyrische Kunst am Platz. Der schmale, gebrechliche Leib seiner Jungfrauen, umflossen von wallenden Gewändern, tritt gänzlich zurück vor dem Eindruck der sanften, braunen Augen, aus denen die Sehnsucht nach dem Jenseits, die Sehnsucht nach dem himmlischen Bräutigam strahlt. Sinnend neigt sich das Köpfchen zur Seite. Schmal sind die Schultern, flach ist die Brust. In seinen ätherischen weißen Händen endigen die schwachen mageren Arme. Selbst die Männer, obwohl sie Bärte tragen, haben nichts von kraftvoller Männlichkeit. Sie blicken schüchtern und demütig, träumerisch wie Kinder in die Welt. Man denkt an die Lehren der Mystiker, die in einem gesunden Körper das schwerste Hindernis auf dem Wege zur Seligkeit sahen. Man erkennt aber auch, daß aus dieser Unterordnung des Körperlichen unter das Seelische alle Vorzüge dieser Kunst sich ergeben. Nur indem Wynrich alles Körperliche so zurücktreten ließ, vermochte er den Gefühlsausdruck, nach dem er strebte, so rein und ungetrübt zu geben. Die typische Aehnlichkeit der Gestalten, das feine Oval der Köpfchen, die gebrechliche Schlankheit der Körper – es dient dazu, in eine ferne Welt zu entrücken, wo alles anmutig und schön ist, die Gefühle zart und fein, in ein Paradies, wo keine Roheit, kein Mißton die große Harmonie, die himmlische Sphärenmusik stört.
Daß selbst die Landschaft zuweilen herangezogen wird, um die Paradiesesstimmung der Bilder zu steigern, ist ebenfalls den Lehren der Mystiker zu danken. Wie in Italien Franziskus, hatte in Deutschland Suso die Natur vom Fluche der Mönchstheologie befreit. Blumen, besonders Rosen, Paradiesgärten, in denen Madonna wandelt, kommen häufig in seinen Visionen vor. Er beschreibt das Paradies als eine schöne Au, wo Lilien und Rosen, Veilchen und Maiblumen duften, wo Stieglitze und Nachtigallen Tag und Nacht in herrlichen Weisen singen. Darum liebt es auch Wynrich, die Madonna im Freien darzustellen, auf blumigem Rasen, von zarten Jungfrauen begleitet. Bald kniet neben ihr die heilige Katharina, die sich mit dem Christkind verlobt, bald Agnes, die mit dem Lämmlein spielt. Andere lesen vor aus kostbaren Büchern, musizieren, pflücken Blumen, unterweisen das Christkind im Zitherspiel. Auch Ritter, schlank wie Mädchen, gesellen sich hinzu, um mit den Fräulein sittige Unterhaltung zu pflegen. Ringsum sproßt und grünt es, duftet und blüht es. In Werken der Art fand das Mittelalter der deutschen Kunst sein Ende. Es ist der letzte Klang aus jener Welt der reinen Harmonien, die Franziskus und Suso erschlossen hatten.
Nachdem Giotto der Malerei die Zunge gelöst, begann in ganz Italien eine ungeheure Thätigkeit. In Florenz bot die Kirche Santa Croce, wo Giotto seine letzten Bilder geschaffen, auch den Jüngeren ein reiches Arbeitsfeld. Gleichzeitig erhielt die Kirche Santa Maria Novella ihre Ausstattung. Siena, das lyrisch mystische Siena folgte ebenfalls dem episch gewordenen Zeitgeist, ließ seinen Palazzo publico mit Fresken dekorieren. In Pisa, der schlafenden, toten Stadt, enthält das Camposanto eine der gewaltigsten Bilderreihen mittelalterlicher Kunst. In Padua, wo Giottos Werk in der Arena den Sinn für monumentale Kunst geweckt, erprobten in der Kirche Sant Antonio und in der Kapelle San Giorgio nun auch einheimische Künstler ihre Kräfte.
Die hauptsächlichsten Namen sind: für Florenz Taddeo Gaddi, Giottino, Maso di Banco, Giovanni da Milano, Andrea Orcagna, Agnolo Gaddi, Antonio Veneziano, Francesco da Volterra und Spinello Aretino – für Siena: Simone Martino, Lippo Memmi, Pietro und Ambruogio Lorenzetti – für Padua: Altichiero da Zevio und Jacopo d'Avanzo. Pisa, das ein Hauptsitz der Plastik war, hatte außer Francesco Traini keine einheimischen Maler sondern rief auswärtige zur Erledigung der großen Arbeiten herbei.
Zunächst fand, nachdem Giotto mit dem Christusleben, der Franziskus- und Johanneslegende vorausgegangen, nun die ganze Bibel, die ganze Heiligenlegende Bearbeitung. Die Geschehnisse des Alten wie des Neuen Testamentes und die Erzählungen der Legenda aurea wurden in demselben episch anschaulichen Stil geschildert, in dem die Predigten des Franziskus gehalten waren.
Dann trat der Dominikanerorden als mächtiger Faktor in das Kunstleben ein. Den Bettelmönchen, schlichten Männern des Volkes, gesellten sich die gelehrten Advokaten der Kirche, die Vertreter jenes Ordens, der seine Hauptaufgabe in der wissenschaftlichen Formulierung und strengen Aufrechterhaltung der reinen Kirchenlehre sah. Diesem starr gelehrten, streng scholastischen Geist entspricht die Kunst, die unter dem Schutze des Dominikanertums sich entfaltete. Während in den Franziskanerbildern nur ausnahmsweise Allegorien vorkommen, gewöhnlich der schlichte Legendenton gewahrt ist, handelte es sich hier darum, in lehrhaften allegorischen Darstellungen das System und die Moral des heiligen Thomas von Aquino, des scholastischen Dominikanerfürsten zu verherrlichen. Und erstaunlich ist, mit welch heiligem Ernst die Maler versuchten, auch diese ganz abstrakten, sinnlich kaum zu packenden Dinge in die Sprache der Kunst zu übertragen. In der berühmten Glorie des heiligen Thomas von Francesco Traini sollte die geistige Einwirkung, die der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und seinerseits auf die Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Traini thut es durch ein kompliziertes System von Strahlen, die auf Thomas fallen und von ihm ausgehen. In dem Freskencyklus der spanischen Kapelle in Santa Maria Novella war die kulturgeschichtliche Bedeutung des Dominikanerordens, sein wissenschaftliches System und strenges Hüteramt der Wahrheit darzustellen. Man sieht also um den Thron des Statthalters Christi Hunde ( Domini canes) gelagert, wie sie des Rufes harren, sich auf die Wölfe (die Ketzer) zu stürzen; weiter Mönche, wie sie predigen, und sündige Seelen, die durch die Geistlichen bekehrt, ins himmlische Jenseits eingehen. Wie hier die praktische ist auf dem andern Bild die wissenschaftliche Thätigkeit des Ordens dargestellt. Der heilige Thomas sitzt auf gotischem Thron, zu dessen Füßen die überwundenen Ketzer Arius, Averroes und Sabellius kauern. Dann folgen, durch Frauengestalten personifiziert, die weltlichen und geistlichen Wissenschaften. Eine der Gestalten, mit Erdkugel und Schwert soll die Majestät, eine andere mit Pfeil und Bogen die Schrecken des Krieges, eine dritte mit der Orgel die Musik bedeuten. Männliche Gestalten sind noch als Vertreter der allegorischen Begriffe beigegeben.
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Die ähnlichen politischen Allegorien, wie sie in Gerichts- und Ratsälen üblich wurden, sind auf den größten dichterischen Genius der Zeit, auf Dante zurückzuführen. Nachdem dieser das Ideal des Staatslebens definiert, konnte Ambruogio Lorenzetti von Siena seine Wandbilder des Palazzo publico malen, die halb sittenbildlich, halb allegorisch die Segnungen des guten, die Schrecken des schlechten Regimentes vorführen.
Teils auf Dante, teils auf die Lehren der beiden Mönchsorden gehen auch die symbolisch visionären Stoffe zurück, die neben den Allegorien aufkamen. Denn in dem Hinweis auf das Jüngste Gericht, auf Paradies und Hölle sahen diese Prediger das wirksamste Mittel die Gemüter zu erschüttern. Ein Bruder Giacomino da Verona beschreibt das Paradies als einen himmlischen Königshof. Die Patriarchen und Propheten, in grüne, weiße und blaue Gewänder gehüllt, die Apostel auf goldenen und silbernen Thronen, die Märtyrer, rote Rosen im Haar, scharen sich um den Ewigen, in nie getrübter Freude dahinlebend. Zur Seite Christi thront Maria, schön wie eine Blume, von den Engeln durch Harfenspiel und jubelnde Hymnen geehrt. Die Hölle wird als eine Stadt der Unterwelt beschrieben. Giftige Gewässer fließen durch sie hin. Ein Himmel von Metall überwölbt sie. Mit großen Stöcken hauen die Teufel auf ihre Opfer ein. Feuer sprüht aus ihrem Munde; wie die Wölfe heulen, wie die Hunde bellen sie. Dann gab Dante in der Divina commedia diesen Ideen die klassische Form. Nicht bloß die Gliederung des Jenseits in Hölle, Fegfeuer und Paradies, auch die Art der Verteilung und Abwägung der Strafen erhielt durch ihn die dogmatische Fassung.
Die Künstler folgten, indem sie den typischen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes, wie sie schon früher üblich waren, ebenfalls umfangreiche Schilderungen des Paradieses und der Hölle zur Seite stellten. Namentlich Orcagna und der große Unbekannte des Pisaner Camposanto ragen durch Werke dieser Art hervor. Während in den byzantinischen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes alles in lebloser Steifheit verlief, herrscht hier seelische Bewegung. Christus ist leidenschaftlich erregt, die Madonna Fürbitterin der Menschheit. Die Apostel folgen in angstvoller Spannung dem Vorgang. – Die Hölle ist als Durchschnitt eines unterirdischen Gebirges gedacht, dessen Felswände die verschiedenen Klassen der Sünder trennen. Satans Schreckgestalt nimmt die Mitte ein. Unter ihm lodern Flammen. Alle Arten von Martern erfüllen den Schreckensraum. – Von Jubel und Seligkeit ist das Paradies durchwogt. Gerade indem Orcagna hier jede Bewegung meidet, nur jugendliche Köpfe und strahlende Augen malt, die in leuchtendem Glanz auf den Betrachter blicken, erreicht er überirdische Wirkung: selbst der gewaltige Akt des Gerichtes kann die Seligen in ihrem himmlischen Frieden nicht stören.
Die Todesallegorien bilden gleichsam die Einleitung zu diesen Darstellungen des Jenseits. Hungersnot und Krieg hatte damals die Völker heimgesucht. Die Pest hatte ihren Triumphzug durch Europa gehalten. Man glaubte sich von Gottes Strafgericht verfolgt, hatte die Wahrheit der alten Lehre kennen gelernt, daß der Mensch jederzeit gerüstet sein müsse, vor den Richterstuhl des Höchsten zu treten. So entstand damals das Gedicht von den drei Toten, die den drei Lebenden in den Weg treten mit der ernsten Mahnung: »Was ihr seid das waren wir, was wir sind das werdet ihr«. Jacopone dichtete seine Lieder, worin er den Allgleichmacher Tod als die fürchterliche Macht besang, die plötzlich und tückisch ins blühende Leben eingreift. Das Gegenstück zu diesen Gedichten bildet der Trionfo della morte des Camposanto, von allen symbolischen Darstellungen des 14. Jahrhunderts wohl die bedeutendste. Denn nicht nur in der großartigen Gestaltung der Idee, auch an Naturbeobachtung geht dieser Meister über das Niveau der Schule hinaus. Hatte Giotto sich als Landschafter auf nackte Felsen beschränkt, so wird hier zum erstenmal die Natur im Schmucke der Vegetation gegeben. Ebenso imponiert die realistische Kühnheit, mit der er die zurückscheuenden Pferde oder bei der Bettlergruppe die Verkrüppelungen und Verstümmelungen malt.
Ueberhaupt sind gewisse stilistische Fortschritte, die über Giotto hinaus gemacht wurden, auch in manchen anderen Werken bemerkbar. Orcagna und die Sienesen ergänzen ihn in der psychologischen Analyse. Hatte Giotto starke Empfindungen in dramatischer Deutlichkeit interpretiert, so malt Orcagna auch feinere leise Gefühle, die verschwiegen ein halbes Traumleben führen. Ebenso halten die Sienesen auch im Fresko an ihrer heimischen Empfindung fest und gehen dadurch psychisch über Giotto hinaus. Statt des energischen Ausdrucks des Altmeisters herrscht bei ihnen mehr weiche Träumerei, statt ernster Leidenschaft milde Lieblichkeit, statt pathetischer Dramatik lyrisch empfindsame Zartheit.
Durch seine realistischen Hintergründe fällt der Meister auf, der die Fresken der Capella Spagnuoli schuf. Er zeichnet das einemal einen Garten mit Obstbäumen und bevölkert ihn mit jungen Leuten, die Früchte pflücken oder sich im Schatten ergehen. Das anderemal giebt er die Kathedrale von Florenz genau so, wie sie von den zeitgenössischen Architekten geplant war. Noch weiter gehen nach der realistischen Seite die Paduaner. Hatte Giotto in einfachem Reliefstil die Figuren nebeneinander gestellt, so versuchen die Paduaner schwierigere perspektivische Probleme. Die Bauwerke des Hintergrundes sind korrekter in den Größenverhältnissen, die entfernten Gestalten perspektivisch richtiger verkleinert. Auch die Charaktere sind individueller, mehr porträtartig gefaßt, die Tiere ebensogut wie die Menschen beobachtet. Namentlich die Wiederkäuer, den ruhigen langsamen Schritt der Ochsen haben sie in verblüffender Weise gezeichnet. Selbst das Nackte ist, wo es bei Martyrien darzustellen war, mit einer gewissen Naturkenntnis gegeben.
Von einer eigentlichen Entwicklung in realistischem Sinn läßt sich gleichwohl nicht sprechen. Wenn von einem Schüler Giottos, einem gewissen Stefano berichtet wird, er sei wegen seines naturalistischen Stils »Affe der Natur« genannt worden, so ist dieser Notiz ebenso bedingter Wert beizumessen wie dem Urteil, das Boccaccio über Giottos Naturalismus fällt. Richtiger kennzeichnet Dantes Commentator Benvenuto da Imola die Lage, wenn er zu den Versen Dantes, daß Giotto in der Malerei das Feld behaupte, noch 1376, also 40 Jahre nach Giottos Tod die Anmerkung macht: »Und wohlgemerkt, er behauptet es noch immer, da seitdem kein Größerer gekommen«. Wie während des Mittelalters der byzantinische, herrschte während des 14. Jahrhunderts der Giottostil. In der Erweiterung des Stoffgebietes, nicht in der Vermehrung des von Giotto angehäuften technischen Kapitals bestand die Entwicklung. Die Formen, die der Altmeister geschaffen, dienen den Malern dazu, nun den ganzen Gedankengehalt der Zeit in bildliche Anschauung umzusetzen. An die dunkelsten Allegorien, die phantastischsten Vorstellungen vom Jenseits, die Bearbeitung der gelehrtesten Kirchendogmen treten sie heran, wollen in das ABC der Form, wie es Giotto festgestellt, gleich die Unendlichkeit weltbewegender Ideen legen. An der technischen Vervollkommnung dieser Formen arbeiten Wenige. Die ganze Malerei war – wie in unserem Jahrhundert zur Zeit des Cornelius – das Produkt einer vorwiegend litterarischen Epoche, als die großen Denker und Dichter, Dante und Petrarka, die Geister beherrschten und auch den Künstler veranlaßten, sich nicht als Maler, sondern als Dichter seiner Werke zu fühlen.
Außerhalb des stillen Klosters von San Marco bot eine Stadt wie Florenz keinen Raum für Mystik. Schon daß Fiesole, der Dominikaner war, nicht Scholastisches, sondern Mystisches malte, ist ein gewisser fortschrittlicher Zug, der auffällt. Florenz war der Boden, aus dem im 14. Jahrhundert die männlich-sachliche Kunst Giottos wuchs. So brachte es auch jetzt einen Künstler hervor, der zu Fiesole sich ebenso verhält, wie im 14. Jahrhundert der monumentale ernste Giotto zu den träumerisch weichen Sienesen. Giotto wiedergeboren und an dem Punkte einsetzend, wo damals der Tod seine Weiterentwicklung abschnitt – das ergiebt Masaccio. Masolino und er leiten die Giottoschule ins 15. Jahrhundert herüber.
Masolino hängt schon äußerlich – durch sein Schülerverhältnis zu Starnina – mit der Giottoschule zusammen.
Ein lebhafteres Wirklichkeitsgefühl, weniger Härte in den Köpfen und weniger Steifheit in den Bewegungen unterscheidet allein seine Fresken in San Elemente in Rom von den Werken anderer Giottisten. Die Figuren haben etwas unschuldig Reines, die ganze Art der Erzählung fällt durch ihre Einfachheit und Natürlichkeit auf.
1423 wurde er in die Malergilde von Florenz aufgenommen und erhielt den Auftrag, die im Jahre 1422 geweihte Kapelle der Brancacci mit Fresken aus der Legende des heiligen Petrus zu schmücken. An der Wand rechts hat er hier ein größeres Bild, das die Heilung des Lahmen und die Erweckung der Tabea vereinigt, am Pilaster rechts den Sündenfall, an der Fensterwand die Predigt Petri gemalt. Auch aus diesen Werken spricht ein Künstler, der aus der Giottoschule hervorgegangen, deren Stil leise zu verändern und zu beleben sucht. Im Hauptbild schreiten neben der ideal gekleideten Apostelgruppe zwei Florentiner in kokettem Modekostüm über die Straße. Das Verhältnis der Figuren zu den Baulichkeiten ist perspektivisch richtiger als bei Giotto. Das Nackte bei Adam und Eva ist eingehender als in früheren Werken behandelt.
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In seinen späteren Bildern hat er noch energischer nach Lebhaftigkeit des Ausdrucks und frischer, episodenreicher Schilderung gestrebt. Namentlich die Fresken aus der Geschichte Johannes des Täufers, die er 1428–35 im Baptisterium von Castiglione d'Olona malte, sind voll von lebendigen pikanten Zügen. Die Köpfe der Männer sind zum Teil Porträts. Bei den Frauen, die in Giottos Werken etwas Mürrisches, Hartes haben, tritt ein zartes Schönheitsgefühl, ein feiner Sinn für weltliche Anmut zu Tage. In dem Bilde der Taufe des Johannes hat er die nackten Körper der Täuflinge, selbst in schwierigen Stellungen, mit verblüffender Sicherheit gezeichnet. Rechnet man dazu die modernen Kostüme, diese kuriosen Mützen und kurzen Mäntelchen, diese Schleppen und prächtigen Stoffe, so hat man einen Künstler, der fast ganz mit dem Geschmack des Trecento gebrochen. Nur die starre, aus nackten Felsen zusammengesetzte Landschaft folgt noch dem alten Stil.
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Als Masolino 1425, einem Rufe nach Ungarn folgend, die Arbeit in der Brancaccikapelle abbrach, trat Masaccio in die Lücke ein, fügte am Pilaster links die Vertreibung aus dem Paradies, an der Altarwand die Almosenspende und den Krankenbesuch des Petrus, an die Wand links das Wunder vom Zollgroschen und die Auferweckung des Königssohnes hinzu. Und Masaccio wird nun als der eigentliche Begründer des neuen Stils gefeiert. Ob mit Recht?
Wohl enthalten auch seine Bilder eine Fülle neuer Elemente. Gegenüber diesem fliehenden Paar, dem der Engel mit gezücktem Schwerte folgt, scheinen noch Masolinos Akte ungeschickte Schemen. Auf dem Zinsgroschenbilde wurde der Petrus am Ufer, der sein Obergewand abgeworfen hat und zu dem Fische sich bückt, so daß ihm das Blut in den Kopf steigt, wegen seiner realistischen Natürlichkeit schon von Vasari hervorgehoben. Auf dem Bilde der Auferweckung des Königssohnes war die Figur des knieenden Jünglings wegen der sicheren Bewältigung des Nackten früh ein Gegenstand der Bewunderung und des Nachzeichnens. Wirken Masolinos Baulichkeiten noch mühsam konstruiert, so ist bei Masaccio ungezwungen das harmonische Verhältnis von Menschen und Räumlichkeit erreicht. Hatte Masolino als Jünger Cenninis noch an der starren Baumkuchenform der Felsen festgehalten, so werden bei Masaccio zum erstenmal die ruhigen Berglinien des Arnothales gegeben. Auch der Unterschied der Farbe verdient Beachtung. Bei Masolino hat sie noch den heiter rosigen Gesamtton, den Giotto liebte. Masaccio giebt ihr eine kräftigere Haltung, die nicht mehr den Eindruck gebleichter Gobelins, sondern den der Naturwahrheit erstrebt. Selbst ein äußerliches Merkmal pflegt als Kennzeichen seines Realismus betont zu werden: die Behandlung des Nimbus. Während im früheren Stil, noch bei Masolino der Heiligenschein als unbeweglicher Kreis den Kopf der Figuren umgiebt, behandelt der Realist Masaccio ihn als wirkliche Scheibe, die wagerecht über dem Kopfe schwebend alle Bewegungen der Figuren mitmacht.
Die Frage ist nur, ob in diesen Dingen Masaccios Größe liegt, ob seine Werke als Paradigmen des Renaissancestils benutzt werden dürfen. Episodische Details, zeitgenössische Moden und Bildnisköpfe, wie sie so zahlreich schon bei Masolino vorkommen, werden mit Recht als Neuerungen des Quattrocento verzeichnet. Masaccio hat davon nichts. Der Gebrauch, den er von Bildnissen macht, ist sehr beschränkt. Kaum daß er sein eigenes Porträt unter den Aposteln anbringt.. Im übrigen ist er weit von aller wörtlichen Uebersetzung des Modells entfernt: er veredelt, idealisiert, erhebt das Individuelle zum Majestätischen. Auch das zeitgenössische Kostüm erscheint selten, ist auf die Zuschauer, die Menschen beschränkt, während die Heiligen nach wie vor die antike Toga tragen, deren Faltenwurf er in einfacher Großartigkeit gestaltet. Sittenbildliche Episoden, augenfällige perspektivische Kraftleistungen kommen nicht vor. Er versteht wohl schwierige Probleme zu lösen, aber vermeidet sie lieber, um durch nichts die ruhig große Harmonie zu stören. Selbst als Landschafter bleibt er allen naturalistischen Einzelheiten fern, begnügt sich mit ernsten, majestätischen Linien.
Masaccios Größe liegt nicht in seinem Realismus. Sie liegt in der abgeklärten Ruhe, der grandiosen Einfachheit, dem stilvoll feierlichen Zug seiner Werke. Es ist, mit mehr zeichnerischem Können verbunden, noch immer der heroische Stil, wie ihn hundert Jahre vorher Giotto geschaffen hatte. Und wie er hundert Jahre später von neuem geboren wurde. Denn es ist kein Zufall, daß die Meister des Cinquecento gerade Masaccio zu ihrem Führer erkoren. Als damals die Reaktion gegen den naturfreudigen, in Einzelheiten schwelgenden Realismus des Quattrocento begann, strömten die jungen Maler in der Brancaccikapelle wie in einer Universität zusammen. Hier erhielt Michelangelo von Torregiani den berühmten Faustschlag, der seine Nase platt drückte. Hier fertigte Rafael jene Kopien, die er später in seinen römischen Bildern verwendete. Auch sie bewunderten in Masaccio nicht den Realisten. Sie bewunderten dasjenige, was er von Giotto in die neue Zeit herüber gerettet hatte: die hohe Getragenheit, die feierliche Monumentalität seines Stils.
Parallel mit Masaccio geht in dieser Hinsicht ein nordischer Meister, der wie ein ernster Patriarch aus einem versinkenden Zeitalter in eine neue Epoche hereinlebt: Hubert van Eyck. Dieselbe Bedeutung wie für die italienische Kunst die Brancaccifresken, haben für die nordische die Monumentalfiguren des Genter Altarwerks.
Wie Masaccio steht Hubert von Eyck als Techniker auf dem Boden der neuen Zeit. Namentlich ein