§ 1. Die Grundgesetze.
I. Das physiologische Grundgesetz. Der Entstehung unserer Gesichtswahrnehmungen liegt folgende Tatsache zugrunde. Das Auge besitzt die Fähigkeit, die Richtung zu empfinden, aus der die auf der Netzhaut einen Sehreiz auslösenden Lichtstrahlen kommen. Diese Fähigkeit ist die wesentlichste Grundlage aller zeichnerischen Darstellung. Physiologisch ist sie folgendermaßen bedingt.1
Fig 1 |
1. Alle von einem Punkt P in das Auge eintretenden Lichtstrahlen vereinigen sich, nachdem sie durch die lichtbrechenden Medien hindurchgegangen sind, in einem Punkt Pn der Netzhaut (Fig. 1)2, und zwar geht der Strahl PPn ungebrochen durch das Auge hindurch. Dieser Strahl kann daher als geometrischer Repräsentant aller übrigen Strahlen gelten; seine Richtung ist es, die das Auge empfindet. Man bezeichnet ihn auch als den von P kommenden Sehstrahl.
Fig 2 |
2. Alle Sehstrahlen, die von irgendwelchen Punkten P,Q,R... eines Körpers Σ ins Auge gelangen, gehen durch einen festen Punkt K des Auges, der auf seiner optischen Achse liegt und Knotenpunkt heißt (Fig. 2). Sie bilden also einen Teil eines Strahlenbündels mit dem Mittelpunkt K.3 Das auf der Netzhaut erzeugte, aus den Punkten Pn,Qn,Rn,... bestehende Netzhautbild Σn des Körpers Σ ist daher geometrisch als Schnitt der Netzhaut mit den Strahlen dieses Bündels zu bezeichnen.
Hieraus ergibt sich bereits diejenige grundlegende geometrische Tatsache, der jede zeichnerische oder räumliche Abbildung Σ' eines Gegenstandes Σ zu genügen hat, wenn sie im Auge dasselbe Netzhautbild entstehen lassen soll, wie der Körper Σ selbst. Aus 1. folgt nämlich (Fig. 2), daß wenn P' ein lichtaussendender Punkt auf dem Sehstrahl PPn ist, der zu P' gehörige Sehstrahl mit PPn identisch ist. Um also ein Abbild Σ' herzustellen, das im Auge die gleichen Lichtempfindungen erzeugt, wie der Gegenstand Σ selbst, würde es an sich genügen, jeden Punkt P von Σ durch irgend einen Punkt P' des von P ausgehenden Sehstrahls PPn zu ersetzen. Handelt es sich insbesondere um ein ebenes Bild, was hier zunächst allein in Frage kommt, so ist der Bildpunkt P' als Schnittpunkt des Sehstrahles PPn mit der Bildebene zu wählen. Da nun gemäß 2. alle Sehstrahlen einem Strahlenbündel mit dem Mittelpunkt K angehören, so ist das in der Bildebene entstehende Abbild Σ' genauer als ihr Schnitt mit den Strahlen des ebengenannten Strahlenbündels zu definieren. Also folgt:
I. Das Netzhautbild Σn und das ebene Bild Σ' sind als Schnitte eines und desselben Strahlenbündels mit der Netzhaut und der Bildebene anzusehen; der Mittelpunkt dieses Strahlenbündels liegt im Knotenpunkt des Auges.
Die ebengenannten physiologischen Tatsachen stellen allerdings nur eine Annäherung an den wirklichen Sachverhalt dar; überdies sind sie für die Beurteilung und die richtige Deutung der Gesichtseindrücke nicht allein maßgebend.4 Die zeichnerischen Abbilder werden daher nur solche Sinneswahrnehmungen auslösen können, die den durch die Gegenstände selbst vermittelten mehr oder weniger nahe kommen. Das Auge ist aber ein höchst akkommodationsfähiges Organ. Wenn es auch den Unterschied zwischen Bild und Gegenstand jederzeit erkennt, ist doch seine Kunst, aus einem Bild die wirklichen Eigenschaften des dargestellten Gegenstandes zu entnehmen, erstaunlich.5 Andererseits ist das Auge für gewisse Dinge auch ein strenger Richter. Abweichungen von der Symmetrie und der Gesetzmäßigkeit einfacher Formen wie Kreis, Ellipse usw. wird es sofort störend empfinden. überhaupt soll man das Auge als den obersten Richter für die Beurteilung eines Bildes ansehen, und Korrekturen, die von ihm verlangt werden, auch dann ausführen, wenn man eine den geometrischen Vorschriften entsprechende Zeichnung hergestellt hat.
Das Auge stellt sich besonders leicht auf unendliche Sehweite ein, also so, als ob sich der Gegenstand in unendlicher Entfernung befindet. Physiologisch beruht dies darauf, daß diese Einstellung der Ruhelage des Auges entspricht. Andererseits nähern sich die von einem Gegenstand Σ ausgehenden Lichtstrahlen um so mehr dem Parallelismus, je weiter er vom Auge entfernt ist. Dies bewirkt, daß Bilder, die man auf Grund der Annahme paralleler Sehstrahlen herstellt, vom Auge ebenfalls leicht aufgefaßt werden. Diese Darstellung zeichnet sich überdies durch Einfachheit aus und ist daher von besonderer Wichtigkeit.
Fig 3 |
II. Das geometrische Grundgesetz. Wir nehmen jetzt an, daß auf einer Ebene β, die wir uns vertikal denken wollen, auf die vorstehend genannte Art ein Bild hergestellt werden soll. Wir haben dazu jeden Sehstrahl, der von einem Punkt P des Körpers Σ ins Auge eintritt, mit der Bildebene β zum Schnitt zu bringen, und wollen den so entstehenden Schnittpunkt wieder durch P' bezeichnen. Das geometrische Grundgesetz besagt nun, daßjeder Geraden g des Gegenstandes Σ eine Bildgerade g' des Bildes Σ' entspricht; genauer allen Punkten A,B,C... von Σ, die auf einer Geraden g enthalten sind, solche Bildpunkte A',B',C'..., die auf einer Geraden g' enthalten sind (Fig. 3). Die Sehstrahlen, die von den Punkten A,B,C... der Geraden g ins Auge gelangen, liegen nämlich sämtlich in einer Ebene, und zwar in derjenigen, die g mit dem Punkt K verbindet; ihr Schnitt mit der Ebene β liefert die Bildgerade g'. Auf ihr liegen also auch die Punkte A',B',C'....
Wir treffen noch einige Festsetzungen. Zunächst kann die Tatsache außer Betracht bleiben, daß wir es mit Sehstrahlen zu tun haben; wir fassen also diese Strahlen in ihrer geometrischen Bedeutung als gerade Linien auf und stellen sie uns überdies als unbegrenzt vor. Ebenso ersetzen wir auch die Bildebene β für die Ableitung der weiteren geometrischen Gesetze durch eine unbegrenzte Ebene. Den im Auge liegenden Knotenpunkt K, also den Scheitel unseres Strahlenbündels, nennen wir von nun an S0, bezeichnen die auf der Ebene β entstehende Figur Σ' auch als Projektion des Gegenstandes Σ auf β, und nennen den Strahl PS0, der durch seinen Schnitt mit β die Projektion P' des Punktes P liefert, den projizierenden Strahl des Punktes P. Der Punkt S0, durch den alle projizierenden Strahlen gehen, heißt Zentrum der Projektion, und Σ' deshalb auch Zentralprojektion.6
Wird die Zeichnung insbesondere so angefertigt, als ob sich das Auge in unendlicher Entfernung befindet, so daß also alle Sehstrahlen einander parallel werden, so sprechen wir von einer Parallelprojektion. Sie heißt orthogonal, wenn die projizierenden Strahlen auf der Bildebene senkrecht stehen, sonst schief.
III. Das zeichnerische Grundgesetz. Dieses Gesetz stellt eine Art allgemeiner Vorschrift auf, nach der man das Bild eines Punktes oder einer Geraden von Σ in der Ebene β herzustellen pflegt. Sie zerfällt in zwei Teile.
1. Das Bild einer Geraden g, die zwei Punkte A und B enthält, bestimmen wir so, daß wir die Bildpunkte A' und B' zeichnen und die Gerade g' ziehen, die beide verbindet. 2. Analog bestimmen wir das Bild P' eines Punktes P in der Weise, daß wir uns durch P zwei Geraden a und b legen und ihre Bildgeraden a' und b' zeichnen. Deren Schnittpunkt ist der Bildpunkt P' von P.
Wir bestimmen also die Gerade als Verbindungslinie zweier Punkte und den Punkt als Schnittpunkt zweier Geraden.
Fig 4 |
Freilich liegt in der vorstehenden Vorschrift zunächst ein Zirkel. Praktisch schwindet er dadurch, daß wir lernen werden, die Punkte A und B und die Geraden a und b in bestimmter geeigneter Weise so anzunehmen, daß die Vorschrift ausführbar wird. Hier beschränke ich mich auf folgende vorläufige Bemerkungen:
Unter den Punkten, durch die wir eine Gerade g räumlich bestimmen können, gibt es zwei, die sich am natürlichsten darbieten, und die wir deshalb als ausgezeichnete Punkte ansehen können. Der eine ist der Punkt, in dem sie die Bildebene durchdringt, der andere ist ihr sogenannter unendlichferner Punkt7 (Fig. 4). Der erste Punkt wird auch Spur oder Spurpunkt der Geraden g genannt; wir bezeichnen ihn durch G'. Offenbar fällt er mit seinem Bildpunkt zusammen. Man sieht zugleich, daß hierin eine Eigenschaft aller Punkte der Bildebene zutage tritt. Es besteht also der Satz:
II. Jeder Punkt der Bildebene fällt mit seinem Bildpunkt zusammen.
Um den Bildpunkt des unendlichfernen Punktes G∞ von g zu konstruieren, haben wir zunächst die Gerade S0G∞ zu ziehen, also durch S0 eine Parallele zu g zu legen, und dann ihren Schnitt mit der Bildebene β zu bestimmen. Dieser Schnittpunkt ist der Bildpunkt G'∞. Wir wollen ihn kürzer durch G bezeichnen und ihn den Fluchtpunkt der Geraden g nennen.8 Der Fluchtpunkt einer Geraden ist also derjenige Punkt der Bildebene β, der dem unendlichfernen Punkt dieser Geraden entspricht. Auf seine zeichnerische Bestimmung kommen wir noch näher zurück.
Ich schließe mit einer Bemerkung, die die Herstellung der Figuren betrifft.
Um die räumliche Wirkung zu erhöhen, zeichnet man die Bilder zweier windschiefer Geraden am besten so, daß sie sich nicht schneiden. Vielmehr soll die hintere Gerade (vom beschauenden Auge aus gedacht) an der Stelle des geometrischen Schnittpunktes etwas unterbrochen sein. Gerade dies bewirkt, daß das Auge sie als eine zusammenhängende, aber hinter der anderen liegende Gerade auffaßt. Diese Zeichnungsart trägt außerordentlich zur körperlichen Wirkung der Bilder bei, wie man an den einzelnen Figuren erkennt.9
§ 2. Die allgemeinen Gesetze für die zeichnerische Darstellung ebener Gebilde.
Wir behandeln zunächst die Herstellung der Bilder von ebenen Figuren. Insbesondere wollen wir uns die gegebene Figur Σ in einer horizontalen Ebene γ liegend denken, die wir zur Fixierung der Begriffe mit dem Fußboden zusammenfallen lassen und Grundebene nennen. Die Bildebene, die wir uns, wie bereits erwähnt, vertikal denken, heiße wieder β. Endlich denken wir uns das Auge S0 vor der Bildebene β befindlich; die Figur Σ, von der auf β ein Bild zu zeichnen ist, befindet sich dann naturgemäß hinter der Bildebene.
Die Schnittlinie von γ und β soll Achse oder Grundlinie heißen; wir bezeichnen sie durch a. Da sie eine Gerade von β ist, so fällt sie (§ 1, II) mit ihrer Bildgeraden Punkt für Punkt zusammen.
Wir beweisen nun zunächst den folgenden Satz:
I. Die Fluchtpunkte aller Geraden von γ liegen auf einer zur Grundlinie parallelen Geraden, dem sogenannten Horizont.
Fig 5 |
Zum Beweise ziehen wir in der Ebene γ irgendeine Gerade g und konstruieren ihren Fluchtpunkt.10 Gemäß § 1 erhalten wir ihn, indem wir durch S0 die Parallele zu g legen und deren Schnitt G mit der Bildebene β bestimmen. (Fig. 5) Diese Parallele liegt, welches auch die Gerade g sein mag, in derjenigen Ebene η0 die durch S0 parallel zur Grundebene γ geht, und die wir Augenebene nennen. Daher liegt G auf der Schnittlinie dieser Ebene η0 mit β, womit der Satz bewiesen ist.
Die so bestimmte Gerade nennen wir den Horizont und bezeichnen ihn durch h. Seiner Definition gemäß ist er Ort der Bildpunkte aller unendlichfernen Punkte von γ. Deren Gesamtheit bezeichnet die Sprache als Horizont; als dessen Bildgerade heißt h ebenfalls Horizont.
Aus der Definition des Fluchtpunktes folgt unmittelbar, daß alle parallelen Geraden g,g1,g2... denselben Fluchtpunkt haben; für jede von ihnen ergibt er sich als Schnittpunkt von β mit dem nämlichen durch S0 gezogenen Strahl. Also folgt:
II. Jeder Schar paralleler Geraden g,g1,g2... der Grundebene entsprechen in der Bildebene Geraden g',g'1,g'2..., die durch einen und denselben Punkt des Horizontes gehen.
Fig 6 |
Unter den Scharen paralleler Geraden von γ nehmen vier eine bevorzugte Stellung ein; die zur Bildebene normalen Geraden, die beiden Scharen, die mit ihr einen Winkel von 45o einschließen, und die zu ihr parallelen Geraden.
Für die zu β normalen Geraden n erhalten wir den Fluchtpunkt, indem wir von S0 ein Lot auf β fällen. (Fig. 6) Der Fußpunkt N ist der Fluchtpunkt; er heißt Augenpunkt.
Die Fluchtpunkte der gegen β unter 45o geneigten Geraden l und r seien L und R. Sie heißen Distanzpunkte. Ihrer Definition gemäß bilden nämlich S0L und S0R mit β je einen Winkel von 45o, folglich ist
S0N = NL = NR.
|
(1) |
Fig 7 |
Die beiden Punkte L und R bestimmen daher die Entfernung des Auges von der Bildebene; hierauf beruht es, daß die Richtungen l und r praktisch wie theoretisch als bevorzugte Richtungen aufzufassen sind.
Ist endlich p eine Gerade von γ, die zur Bildebene, also auch zur Grundlinie a parallel ist, so gilt dies auch für die Bildgerade p'. Für diese Geraden besteht deshalb eine einfache metrische Eigenschaft, die sich in folgenden Sätzen ausdrückt (Fig. 7).
1. Ist B der Halbierungspunkt der Strecke AC, so ist auch B' der Halbierungspunkt von A'C'.
2. Sind A, B, C irgend drei Punkte von p, und A', B', C' deren Bildpunkte, so ist
AB : BC : CA = A'B' : B'C' : C'A'.
|
(2) |
Beides folgt unmittelbar aus dem bekannten Satz, daß irgend drei durch denselben Punkt gehende Geraden von zwei sie kreuzenden Parallelen nach demselben Verhältnis geschnitten werden. Der Satz 1. ist übrigens nur ein Spezialfall von 2.
Ist in der Bildebene außer den Distanzpunkten L und R auch die Grundlinie a gegeben, so ist damit nicht allein die Entfernung des Auges von der Bildebene, sondern auch seine Höhe über der Grundebene bestimmt, und zwar können a, L und R beliebig angenommen werden. Damit ist alsdann die Lage des Auges im Raume durch zeichnerische Bestimmungsstücke festgelegt.
Um die Entfernung des Auges von der Bildebene zu bestimmen, kann man übrigens statt L und R die Fluchtpunkte E und F irgend zweier Geraden e und f von bekannter Richtung auf dem Horizont h beliebig annehmen. Zieht man nämlich in der Augenebene η0 durch E die Parallele zu e und durch F die Parallele zu f, so gehen beide Parallelen durch S0 und bestimmen damit wieder die Lage des Auges zur Bildebene.11
§ 3. Die praktischen Regeln der zeichnerischen Darstellung.
Eine Figur von γ, von der wir in β ein Bild herstellen sollen, muß geometrisch oder zeichnerisch gegeben sein; am besten auf demjenigen Blatt, auf dem wir die Zeichnung wirklich ausführen. Hierzu drehen wir die Ebene γ um die Grundlinie a als Achse so lange, bis sie in die Ebene β hineinfällt, und zwar unter dasjenige Stück von β, auf dem das Bild entstehen soll. Beide Ebenen sind so auf demselben Zeichnungsblatt vereinigt.
Fig 8 |
Durch diesen Kunstgriff wird die zeichnerische Herstellung des Bildes außerordentlich erleichtert. Um nämlich zu einem Punkt P von γ den Bildpunkt P' zu konstruieren, lege man (Fig. 8) gemäß dem zeichnerischen Grundgesetz von § 1 durch P je eine Gerade l und r12 , und bestimme P' als den Schnittpunkt der Bildgeraden l' und r'. Diese beiden Bildgeraden lassen sich unmittelbar zeichnen. Ist nämlich L' der Schnitt von l mit a, so ist L' der Spurpunkt von l, seine Verbindung mit dem Fluchtpunkt L liefert also die Bildgerade l'. Ebenso erhalten wir die Bildgerade r', wenn wir den Punkt R mit dem Schnittpunkt R' von r und a verbinden.
In dem Vorstehenden ist die Hauptregel des praktischen Zeichnens enthalten. Hat man in γ insbesondere eine Figur, die irgendwie aus Punkten und deren Verbindungslinien besteht, so wird man in der angegebenen Weise zunächst die Bildpunkte zeichnen, und dann die Verbindungslinien ziehen. Im übrigen wird man jedes Hilfsmittel, das eine Vereinfachung der Zeichnung gestattet, und jeden hierzu führenden Kunstgriff gern benutzen. Ich mache besonders auf folgende Tatsachen aufmerksam:
1. In erster Linie empfiehlt sich die Benutzung solcher Geraden von γ, die der Grundlinie parallel sind; denn ihre Bildgeraden sind gemäß § 2 ebenfalls zur Grundlinie parallel.
2. Enthält die Figur Σ eine Reihe paralleler Geraden g, g1, g2... (Fig. 5), so wird man zunächst zu einer, z. B. zu g, die Bildgerade g' bestimmen; in ihrem Schnittpunkt mit dem Horizont h hat man dann sofort den Fluchtpunkt G dieser Geradenschar, und damit einen Punkt, durch den alle Bildgeraden g'1, g'2... hindurchgehen.
3. Hat man es mit einer Figur Σ zu tun, die zwei ausgezeichnete Richtungen hat, die übrigens beliebige Neigung gegen die Grundlinie a haben können, so vereinfacht man sich die Zeichnung, indem man von vornherein deren Fluchtpunkte statt L und R auf A als gegeben annimmt.13
4. Man beachte, daß die Wahl der Fluchtpunkte die Entfernung des Auges von der Bildebene bestimmt. Da man einem Gegenstand, von dem man einen guten Gesichtseindruck erhalten will, nicht zu nahe stehen darf, so wird man, um gute Bilder zu erzielen, die Fluchtpunkte demgemäß annehmen müssen. Erfahrungsgemäß ist es zweckmäßig, die Distanz L N gleich der doppelten Höhe oder Breite des Gegenstandes anzunehmen.14
5. Um möglichst genaue Bilder zu erhalten, empfiehlt es sich, zeichnerische Überbestimmungen zu benutzen. Um z. B. zu einem Punkt P den Bildpunkt P' zu bestimmen, kann man P als gemeinsamen Punkt von drei durch ihn gehenden Geraden betrachten und zu ihnen die Bildgeraden zeichnen; ist die Zeichnung vollkommen, so werden sie alle drei durch einen Punkt gehen.15 Die Genauigkeit der Zeichnung wird auch dadurch erhöht, daß man zunächst solche Punkte bevorzugt, in denen eine Symmetrie oder eine sonstige Regelmäßigkeit der Figur zum Ausdruck kommt, wie dies bereits in § 1 erörtert wurde.
Nach den vorstehenden Regeln sind die folgenden Aufgaben behandelt worden, bei denen wir außer a im allgemeinen L und R als gegeben angenommen haben.
Fig 9 |
1. Den Fluchtpunkt einer Geraden g zu zeichnen. (Fig. 9) Ist P ein Punkt von g, so lege man durch P die Geraden l und r, konstruiere ihre Bildgeraden l' und r', und verbinde ihren Schnittpunkt P' mit dem Spurpunkt G', in dem g die Achse a trifft. Diese Verbindungslinie schneidet den Horizont h im Fluchtpunkt G.
2. Das Bild einer quadratischen Teilung zu zeichnen, deren Linien senkrecht und parallel zur Achse verlaufen. (Fig. 10) Die Diagonalen unserer Teilung sind lauter Linien l und r; jeder Teilungspunkt ist also ein Schnittpunkt je zweier solcher Geraden. Damit sind die Bildpunkte unmittelbar bestimmbar, und ebenso deren Verbindungslinien.
Fig 10 |
Hier kann man auch die zur Achse senkrechten Linien n und ihren Fluchtpunkt N statt der Linien l oder r benutzen. Vor allem aber ist zu beachten, daß jeder zur Achse parallelen Geraden der Grundebene eine zur Achse parallele Gerade der Bildebene entspricht.
3. In γ ist eine reguläre sechseckige Teilung gegeben; man soll ihr Bild zeichnen. (Fig. 11) Da die Sechseckteilung stets zwei bevorzugte Scharen paralleler Linien enthält, die nicht zugleich der Achse parallel sind, wird man am besten tun, deren Fluchtpunkte als gegeben anzunehmen, und mit ihnen zu operieren, wie es Figur 11 erkennen läßt. Auch hier wird man von vornherein suchen, die Zeichnung öfters durch Überbestimmung zu kontrollieren, zumal wenn die Teilung Parallelen zur Achse enthält.
4. Analog kann man die Zeichnung anderer Figuren ausführen. Als Beispiele eignen sich besonders quadratische oder rechteckige Teilungen, sowie irgendwelche mittels regelmäßiger Teilungen hergestellte Muster.
Ich schließe mit folgender Bemerkung. Bereits in § 1 wurde erwähnt, daß eine an der Hand der geometrischen Vorschriften, ausgeführte Zeichnung erhebliche Ungenauigkeiten aufweisen kann. Die Quelle solcher Ungenauigkeiten liegt zum Teil darin, daß die zeichnerisch herzustellenden Punkte vielfach nur durch Vermittlung einer ganzen Reihe von Linien (Geraden oder Kreisen) gewonnen werden. Dadurch können sich die Fehler addieren. Sie können besonders dann sehr stark werden, wenn man Punkte als Schnittpunkte von Geraden bestimmt, die einen kleinen Winkel einschließen. Dies ist daher stets zu vermeiden.16
Fig 11 |
§ 4. Die Grundgesetze der Perspektiven Beziehung.
Wir stellen uns jetzt die Aufgabe, den allgemeinen geometrischen Inhalt der vorstehenden Ausführungen in kürze zu entwickeln. Dazu lassen wir die Vorstellung fallen, daß die eine Ebene Grundebene, die andere Ebene Bildebene war, betrachten beide Ebenen als geometrisch gleichwertig und bezeichnen sie insofern durch ε und ε'. Zu ihnen fügen wir wieder einen außerhalb von ihnen liegenden Punkt S0 (Fig. 12).
Fig 12 |
Ein durch den Punkt S0 gelegter Strahl p0 trifft die Ebenen. ε und ε' in zwei Punkten, die wieder P und P' heißen sollen, ebenso wird eine durch S0 gelegte Ebene γ0 die Ebenen ε und ε' in je einer Geraden g und g' schneiden. Gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch der Geometrie ordnen wir die Punkte P und P' und ebenso die Geraden g und g' einander zu, nennen sie entsprechende Elemente beider Ebenen, und sagen, daß die Ebenen ε und ε' sind; den Punkt 0Zentrum