Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH
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Print: | ISBN 978-3-7910-4991-5 | Bestell-Nr. 12015-0001 |
ePub: | ISBN 978-3-7910-4994-6 | Bestell-Nr. 12015-0100 |
ePDF: | ISBN 978-3-7910-4995-3 | Bestell-Nr. 12015-0150 |
Heinz-Josef Hockmann und Friedrich Thießen (Hrsg.)
Grundlagen des Investmentbanking
1. Auflage, November 2020
© 2020 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
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Produktmanagement: Kühn, Alexander
Lektorat: Fleischer, Adelheid
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Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
Ein Unternehmen der Haufe Group
Investmentbanking ist ein schillernder Begriff, der aus dem Bankgeschäft einerseits nicht mehr wegzudenken ist, andererseits nach wie vor polarisiert. Über Inhalt und Wesen des Investmentbanking gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Häufig wird dieses allein mit Investmentbanken in Verbindung gebracht, obwohl es auch in Universalbanken stattfindet. Dann wieder wird Investmentbanking mit dem Kapitalmarktgeschäft insgesamt gleichgesetzt. Beide Ansichten haben etwas für sich.
Umfangreiche Literatur existiert zu einzelnen Bereichen des Investmentbanking. Aber Gesamtdarstellungen mit Lehrbuchcharakter fehlen. Wir möchten diese Lücke mit diesem Lehrbuch schließen. Das Autorenteam stellt mit dem Werk ein Lehrbuch vor, das die reale Welt des Investmentbanking in den Vordergrund rückt. Das Buch ist primär nach den Geschäftsarten im Investmentbanking gegliedert. Definitionen, methodische Fragestellungen, Produkte sowie theoretische, mathematische und rechtliche Grundlagen werden jeweils dort behandelt, wo sie für eine Geschäftsart wichtig sind. Um größere Überschneidungen und Mehrfachdarstellungen zu vermeiden, wurden einige Aspekte »vor die Klammer« gezogen und einführend zusammenhängend behandelt.
Von anderen Büchern unterscheidet sich dieses einführende Lehrbuch insbesondere dadurch, dass eine größere Zahl von Autoren aus Theorie und Praxis zu den weit gefächerten Themen des Investmentbanking aus ihrer jeweils spezialisierten Sicht beigetragen haben. Dennoch handelt es sich nicht um eine lose, unzusammenhängende Folge von Beiträgen wie in einem Sammelwerk. Vielmehr musste der Spagat gemacht werden zwischen möglichst großer Authentizität und Individualität in den spezialisierten Teildisziplinen und dem Zusammenhalt des Gesamtwerkes. Wir haben diesen Schritt gewagt, um möglichst nahe an die Realität des Investmentbanking heranzukommen.
Nachdem das Vorgängerwerk – Investmentbanking – in 3 Auflagen erschienen ist, haben wir nunmehr eine Aufteilung in ein Lehrbuch mit allgemeinen und übergreifenden Fragestellungen und ein darauf aufbauendes Fachbuch mit speziellen Geschäftsaktivitäten von Investmentbanken vorgenommen. Im vorliegenden Lehrbuch finden sich übergreifende Grundlagen des Investmentbanking, die sich nicht einzelnen Geschäftsarten zuordnen lassen. Es folgen Beratungs- und Finanzierungsgeschäfte, die auf klassischen Investmentbanking-Aktivitäten basieren. Abgeschlossen wird der erste Band durch finanzierungszentrierte Beratungsaktivitäten.
Aus dem früheren Werk sind einige Beiträge übernommen und umfassend überarbeitet worden. Einige Beiträge sind herausgenommen, andere sind zusätzlich aufgenommen [6]worden. Dies diente allein der Aktualisierung und dem Heranführen an das tägliche Investmentbanking.
Dem Autorenteam ist bewusst, dass das Werk unvollkommen bleiben muss. Die Komplexität des Investmentbanking erlaubt es nicht, alle Geschäftsarten und alle Facetten mit der gleichen Tiefe zu behandeln. So wünscht sich der eine Leser eine intensivere mathematische Durchdringung der Probleme; ein anderer legt Wert auf die rechtlichen Grundlagen; der dritte erwartet eine stärkere theoretische Fundierung; der vierte Leser will verständlicherweise mehr über den Einsatz der IT wissen und der fünfte erhofft sich mehr Informationen über Usancen und Gewohnheiten an den hier nicht behandelten Segmenten der Wertpapiermärkte. All diese Wünsche sind berechtigt, können aber verständlicherweise nicht gleichermaßen berücksichtigt werden. Da das Investmentbanking ein dynamisches und lebendiges Geschäft ist, werden wir uns bemühen, diese Veränderungen gemeinsam mit dem Füllen von Lücken in weiteren Fassungen dieses Lehrbuches gerecht zu werden.
Bei einem solchen komplexen Werk ist einer Vielzahl von Beteiligten Dank auszusprechen. Neben dem Autorenteam, das bereits genannt wurde, ist insbesondere dem Verlag mit Alexander Kühn als verantwortlichem Produktmanager und Adelheid Fleischer für die didaktische Aufbereitung des Textes zu danken. Frau Uta Martin von der TU Chemnitz leistete unverzichtbare Koordinierungsarbeit.
Dr. Heinz J. Hockmann | Frankfurt, August 2020 |
Prof. Dr. Friedrich Thießen | Chemnitz, August 2020 |
Abb. 2.1: | Das Ende der großen Investmentbanken |
Abb. 3.1: | Organisationsstruktur von Goldman Sachs |
Abb. 3.2: | Organisationsstruktur der Bank of America |
Abb. 3.3: | Erträge im Investmentbanking (2003–2018), absolute Skala, in Mrd. USD |
Abb. 3.4: | Erträge im Investmentbanking (2003–2018), relative Skala, in Prozent |
Abb. 3.5: | Erträge im Investmentbanking (2018), in Prozent |
Abb. 3.6: | Durchschnittliche Eigenkapitalrenditen im Investmentbanking (2005–2018), in Prozent |
Abb. 3.7: | Eigenkapitalrenditen der einzelnen Geschäftsfelder von JP Morgan Chase, getrennt nach Subperioden, in Prozent |
Abb. 3.8: | Bilanzaktiva der wesentlichen Geschäftsbereiche, in Millionen CHF |
Abb. 3.9: | Rangliste des klassischen Investmentbankings in 2018 |
Abb. 3.10: | Rangliste des klassischen Investmentbankings für Asien-Pazifik in 2018 |
Abb. 5.1: | Mögliche Kursreaktionen auf preisrelevante, positive Information |
Abb. 5.2: | Bewertungsfunktion |
Abb. 6.1: | Die Struktur des europäischen Systems für Finanzaufsicht |
Abb. 6.2: | ESA-Behörden |
Abb. 6.3: | Befugnisse der ESAs |
Abb. 7.1: | Verzinsung der Einlagefazilität der Europäischen Zentralbank |
Abb. 7.2: | Varianten von Zinsstrukturkurven |
Abb. 9.1: | M & A-Beratungsdienstleistungen einer Investmentbank |
Abb. 9.2: | League Tables M & A-Transaktionen |
Abb. 9.3: | Ablauf eines M & A-Auktionsverfahrens |
Abb. 9.4: | Beteiligungsschwellen und Aktionärsrechte |
Abb. 9.5: | Detaillierte Darstellung des Ablaufs eines Übernahmeverfahrens |
Abb. 9.6: | Detaillierte Gliederung eines Defence-Handbuchs |
Abb. 9.7: | Bewertung aus Käufersicht |
Abb. 9.8: | Zusammenfassende Darstellung einer Unternehmensbewertung (das »Fussballfeld«) |
Abb. 9.9: | Ausgewählte Einflussfaktoren auf eine Unternehmensbewertung |
Abb. 9.10: | Überleitung des Enterprise-Value auf den Equity Value |
Abb. 9.11: | Beispiel Börsenmultiplikatoren |
Abb. 9.12: | Beispiel Transaktionsmultiplikatoren |
Abb. 9.13: | Funktionsweise DCF-Bewertung – Entity-Methode |
Abb. 9.14: | Bewertungskalkulation bei einem LBO mit geplanter Haltedauer von fünf Jahren |
Abb. 10.1: | Kapitalbeteiligungsgesellschaften und ihre Stellung |
Abb. 10.2: | Ablauf der Beteiligungsfinanzierung |
Abb. 10.3: | Elemente des Beteiligungsentscheidungsprozesses |
[14]Abb. 10.4: | Übersicht über entscheidungsrelevante Erfolgskriterien des wirtschaftlichen Umfeldes des Beteiligungsunternehmens |
Abb. 12.1: | Anteil der Fremdfinanzierungsarten im europäischen LBO-Finanzierungsmarkt 2006–2019 |
Abb. 12.2: | Covenant-lite-Volumen in Europa 2007–2019 |
Abb. 13.1: | Die Herkunft der wichtigsten Kapitalgeber in Westeuropa mit syndizierten Krediten von 2014 – 2018, Daten: Refinitiv |
Abb. 13. 2: | Die Herkunft der wichtigsten Kapitalnehmer im westeuropäischen Kreditgeschäft mit syndizierten Krediten, Daten: Refinitiv |
Abb. 13.3: | Die wichtigsten Verwendungszwecke der Kreditmittel im westeuropäischen syndizierten Kreditgeschäft |
Abb. 13.4: | Anteil an Konsortialkrediten für Unternehmen abhängig von den Laufzeiten |
Abb. 13.5: | Primär- und Sekundärmarkt |
Abb. 13.6: | Geldfluss: Kreditnehmer – Agent – Bank |
Abb. 13.7: | Schematischer Verlauf des Preiszyklus von Konsortialkrediten |
Abb. 14.1: | Struktur der Projektfinanzierung |
Abb. 14.2: | Grundformen der Finanzierung nach der Art der Bonitätsgrundlage |
Abb. 14.3: | Getrennte Rollen von Investment und Commercial Banks bei der Projektfinanzierung |
Abb. 14.4: | Projektfinanzierung und Zahlungsströme |
Abb. 14.5: | Mandatstypen und Einzelaufgaben |
Abb. 14.6: | Standardstruktur einer Projektfinanzierung nach Beteiligten |
Abb. 14.7: | Risikomindernde Wirkung von ECAs am Beispiel eines Kraftwerkprojekts |
Abb. 14.8: | Eigentümerstruktur des Eurotunnel-Projektes |
LERNZIELE
Eine eindeutige Definition des Investmentbankings existiert leider nicht. Die Vielfalt und die ständigen Veränderungen der Tätigkeiten im Investmentbanking finden auch ihren Niederschlag in einem breiten Spektrum möglicher Definitionen. So trifft eine alte Charakterisierung wie »investment banking is what investment banks do« zwar den Kern dieser Problematik, ist dadurch aber auch wenig operabel. Diese Charakterisierung deutet darauf hin, wie schillernd dieser Bereich des Finanzgeschäftes sein kann, wie er ständigen Wandlungen unterliegt und wie schwierig es ist, ihn einzugrenzen.
Etwas weniger philosophisch ist die Aussage eines Bankers, der sagte: »Investmentbanking ist doch nichts anderes als eine Verbindung von Corporate Finance mit Trade – Investmentbanking ist die Schnittmenge.« Ganz in diesem Sinne fassen große Universalbanken wie die Deutsche Bank oder die BNP verschiedene Geschäftsbereiche wie Corporate Finance, Handelsabteilungen und Großkundenbetreuung, die man zum Investmentbanking zählen könnte, unter Begriffen wie »Corporate & Investment Bank« oder »Corporates and Markets« zusammen. Andere Häuser wie z. B. die UBS stellen das Geschäft weiterhin unter der Überschrift »Investment Bank« neben die anderen geschäftlichen Aktivitäten für Corporate Clients.
Es fehlt allerdings auch eine umfassende Theorie zur Existenz und zum Inhalt des Investmentbankings. Manche Lehrbücher verzichten vollständig auf eine Definition dieses Bereichs. Einige Definitionen beschreiben in einem Negativansatz diejenigen Aktivitäten als Investmentbanking, die nicht als kommerzielles Bankgeschäft beschrieben werden können (Iannotta, 2010, S. 1). Andere Definitionen ergänzen diese Sichtweise und sehen [18]Investmentbanken neben ihrer Funktion als Finanzintermediär auch in ihrer Rolle der Informationsgewinnung und Informationsweitergabe, um die Preisbildung insbesondere an den Wertpapiermärkten zu ermöglichen (Morrison/Wilhelm, 2007, S. 3). Die meisten Definitionen ergehen sich indessen in einer enumerativen Aufzählung verschiedener Aktivitäten, insbesondere an den Wertpapiermärkten, die dem Praxisgebrauch folgend zum Investmentbanking gezählt werden.
Eine interessante Vorgehensweise unterscheidet zwischen einer institutionellen Definition, die auf das amerikanische Trennbanksystem zurückgeht, wobei zwischen Instituten unterschieden wird, die ausschließlich Einlagen- und Kreditgeschäft betreiben (Commercial Bank, kommerzielle Bank), und denjenigen Instituten, die im Wertpapiergeschäft tätig sind (Investmentbank). In einer funktionalen Definition werden hingegen unter Investmentbanking verschiedene kapitalmarktorientierte Dienstleistungen verstanden, die im Gegensatz zum kommerziellen Bankgeschäft insbesondere Provisionserträge generieren (Wertschulte, 2001, S. 1158).
Dieser Ansatz lehnt sich an die Unterscheidung von direkter und indirekter Finanzintermediation an (z. B. Kidwell et. al., 1997, S. 593 sowie Mishkin, 2007, S. 24, 35). Im Rahmen der indirekten Finanzierung tritt ein Intermediär zwischen den Kapitalgeber (Einleger) und den Kapitalnehmer (Kreditnehmer), wobei der Charakter der dabei abgeschlossenen Finanzkontrakte verändert wird (»Transformationsleistung«). Wir sprechen hierbei vom Commercial Banking. Bei der direkten Finanzierung werden Kapitalüberlassungsverträge hingegen unmittelbar zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer geschlossen. Dieser Weg führt regelmäßig über Finanzmärkte. Die Funktion der Finanzintermediäre, die diesen Prozess unterstützen, wird als Investmentbanking bezeichnet.
Etymologisch kreist der Begriff Investmentbanking um den Tatbestand des »Investments«. Darunter verstand man Ende des 19. Jahrhunderts den aufkommenden Trend, langfristige Vermögensanlageentscheidungen nach systematischen Regeln und Prinzipien zu treffen (Quittner, 1930; Quittner/Palyi, 1932). Man grenzte das prinzipienbasierte längerfristige »Investment« von der kurzfristigen rein meinungsbasierten »Speculation« ab. Es begann eine Suche nach Regeln für die langfristige Anlage.
Die ersten Institutionen, welche sich der systematischen langfristigen Vermögensanlage widmeten, waren Vermögensverwalter, die den Begriff des »Investments« aufgriffen und sich »Investment Trusts« nannten. Sie entstanden nach Vorläufern in Holland zuerst in England, später auch in den USA. Um diese, aber auch um die sich entwickelnden Wertpapiermärkte herum, bildete sich mehr und mehr eine Industrie von Dienstleistern, welche Leistungen erbrachten, die nötig sind, um Vermögen und Wertpapiere langfristig zu steuern. Dazu gehörten z. B. Brokerleistungen, die Besorgung von Wertpapieremissionen oder der Handel von Wertpapieren an Sekundärmärkten. Auch hier kam es üblicherweise zu einer direkten Beziehung zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern.
[19]Als Geburtsstunde von Investmentbanken gilt allgemein der Moment, in welchem Finanzintermediäre zum ersten Mal auf eigenes Risiko ganze Emissionen von Wertpapieren übernahmen, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen (s. u. Kapitel Geschichte des Investmentbankings). Die Investmentbanken agierten in dieser Rolle nicht wie der Trust als unmittelbarer Dienstleister für den Vermögensbesitzer, sondern erbrachten Leistungen auf eigene Rechnung und eigenes Risiko. In diesem Sinne kann man eine erste Definition versuchen:
Investmentbanken sind Unternehmen, welche auf eigene Rechnung und eigenes Risiko Finanzdienstleistungen am Finanzmarkt erbringen, soweit dazu handelbare Finanzinstrumente nötig sind.
Diese Kerntätigkeit der frühen Investmentbanken wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts ergänzt um neue Geschäftsbereiche wie Mergers & Acquisitions, Unternehmensrestrukturierungen und andere Corporate Finance-Aktivitäten, die keinen direkten Bezug zu den Finanzmärkten hatten. Teilweise erbringen Investmentbanken ihre Dienste als reine Beratungsleistungen, sodass ihr Kapitaleinsatz sehr begrenzt ist. In dieser Rolle ähneln Investmentbanken den Merchant Banks angelsächsischer Prägung, die aus Handelshäusern (Merchants) hervorgingen und neben der klassischen Handelsfinanzierung verschiedene Beratungs- und Finanzierungstätigkeiten wahrnahmen, die wir heute dem Investmentbanking zuordnen.
Die Beschränkung auf handelbare Finanzinstrumente in dieser Definition rechtfertigt sich auch aus dem Grund, dass sich Investmentbanken am Kredit- und Einlagenmarkt (den wichtigsten Märkten für nicht handelbare Finanzinstrumente) bereits historisch nicht engagiert haben. Hier dominiert das als Commercial Bank (oder kommerzielle Bank) bezeichnete traditionelle Einlage- und Kreditinstitut. Es nimmt Einlagen entgegen, betreibt das Zahlungsverkehrsgeschäft und leiht die Gelder in Kreditform wieder aus. Die Attraktion der Investmentbanken ist das Geschäft rund um handelbare Finanzinstrumente inklusive Beratungsleistungen. Eine wesentliche Rolle bei dieser Entwicklung spielten die Regulierungen in den USA, welche seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts Investmentbanken das Einlagen- und Kreditgeschäft und Commercial Banks das Wertpapiergeschäft verboten (s. u. Kapitel Geschichte des Investmentbankings). Auf diese Weise wurde zwangsläufig das Geschäft mit handelbaren Finanzprodukten zum Kern der Geschäfte der Investmentbanken.
Die heutige Praxis wird unter anderem dadurch kompliziert, dass wir eine Vermischung vormals getrennter Bereiche vorfinden. Investmentbanking-Leistungen werden auch von anderen Marktteilnehmern, insbesondere großen internationalen kommerziellen Banken, erbracht. Es ist daher angebracht, zwischen Investmentbanking als Funktion und Investmentbanken als den Trägern dieser Dienstleistungen zu unterscheiden.
[20]Während es im angelsächsischen Raum aufgrund des Trennbanksystems lange eine deutliche Trennung zwischen Investmentbanking und Commercial Banking gab, haben sich heute diese Grenzen praktisch aufgelöst. Fast alle Investmentbanken ergänzen ihre wertpapierbezogenen Aktivitäten mit Kreditgeschäften, durch die sich Synergien ergeben. Das Geschäft der Vermögensverwaltung (Asset Management) ist mittlerweile auch zu einem festen Bestandteil im Portfolio von Investmentbanken geworden; sie sind also in die Tätigkeit der früheren Investment Trusts eingedrungen. Für diese Erweiterungen in angrenzende Geschäftsfelder gibt es praktisch keine zusammenfassende Systematik oder Regel außer der, dass sich Synergien zum Kerngeschäft ergeben. Daraus resultiert auch der oben zitierte Satz »investment banking is what investment banks do«.
Gemeinsames Merkmal der meisten Investmentbanken ist, dass sie als Finanzintermediäre für Großkunden, Regierungen und andere Finanzintermediäre auftreten, wobei Letztere als Kunden gleichzeitig ihre Produkte vertreiben, üblicherweise nicht an den Retailmarkt gehen, sofern es sich nicht um Brokergeschäfte handelt.
Wir definieren deshalb folgendermaßen:
Investmentbanken sind Unternehmen, deren Tätigkeitsschwerpunkt die Erbringung von Finanzdienstleistungen am verbrieften Kapitalmarkt sowie Beratungsleistungen bei Finanzdienstleistungen für Großkunden, Regierungen und andere Finanzintermediäre ist.
Die Probleme der Abgrenzung des Investmentbankings in der Praxis haben auch etwas mit dem sich gewandelten Erscheinungsbild zu tun. Vor der Subprimekrise verfügte das Investmentbanking über ein hohes Ansehen. Investmentbanken waren durch ein großes Beziehungsgeflecht gekennzeichnet, durch mannigfaltige Relationship-Aktivitäten zum Wohle ihrer Kunden; sie galten als besonders agile, erfindungsreiche Institutionen, die für jedes Problem ihrer Kunden eine attraktive Lösung parat hatten. Viele Finanzdienstleister wandten den Begriff der Investmentbank auf sich selbst an und stellten ihre Zugehörigkeit zu diesem Banktyp bewusst heraus, selbst wenn ihr Leistungsspektrum dem nicht unbedingt entsprach. Mittlerweile werden die reinen Investmentbanking-Leistungen nicht mehr als solche in den Vordergrund gestellt. Das Image der Investmentbanker hat durch die Exzesse und Krisen gelitten. Die Tätigkeiten werden unter Oberbegriffen wie »Corporates and Markets« bei Banken mit einem breiteren Leistungsspektrum als Dienstleistungen für Großkunden subsumiert. Die reinen Investmentbanken passen gleichzeitig ihre Geschäftsmodelle an neue regulatorische Anforderungen an (siehe Beitrag Geschäftsaktivitäten und Marktüberblick).
Betrachten Sie abschließend noch einmal die Gliederung dieses Buches und des ergänzenden Fachbuches. Sie erkennen in den Kapiteln zu den Geschäftsfeldern die Kernleistungen der Investmentbanken bei Beratungsaktivitäten, im verbrieften Kapitalmarktgeschäft (Emissionen und Sekundärmarkt) sowie die ergänzenden Geschäftsfelder z. B. im [21]syndizierten Kreditgeschäft, im Handel mit Rohstoffen und anderen Alternative Investments sowie im Asset Management.
Finanztransaktionen sind Geschäfte, die die Weitergabe monetärer Dispositionsmöglichkeiten zum Ziel haben. Darunter versteht man Wirtschaftsgüter, die in Geldgrößen denominiert sind, die also bei Fälligkeit Anspruch auf Bargeld oder Sichtguthaben gewähren.
Monetäre Dispositionsmöglichkeiten können sein:
Als Kapital bezeichnet man monetäre Dispositionsmöglichkeiten, die für längere Fristen gewährt werden. Im Unterschied zu Kapital gewährt Realkapital keinen Anspruch auf Bargeld und Sichtguthaben. Beispiele dafür sind Immobilien, Maschinen, Waren oder Vorprodukte. Wie wir oben bereits ausgeführt haben, finden die Funktionen des Investmentbankings auf Finanzmärkten statt.
Der Finanzmarkt wird vielfach in Teilmärkte unterteilt. Hier werden einige häufig genannte Varianten vorgestellt. Solche Einteilungen können aufgrund der permanenten Weiterentwicklung der Märkte nicht auf Dauer Bestand haben. Kategorisierungen verlieren ihren Wert, wenn sich zu viele Marktkomponenten nicht mehr eindeutig einem Teilmarkt zuordnen lassen oder wenn hinter einer Unterteilung kein ökonomisches Problem mehr liegt.
Kriterium | Bezeichnung der Teilmärkte | Ausprägung des Kriteriums | Abgrenzungsprobleme |
Fristigkeit | Geldmarkt | Kurzfristig (bis 1 Jahr) | Trennzeitpunkt willkürlich zunehmend und ökonomisch ohne Bedeutung |
Kreditmarkt | Mittelfristig (>1–4 Jahre) | ||
Kapitalmarkt | Längerfristig (>4 Jahre) | ||
Verbriefung | Kreditmarkt | Unverbrieft | Zuordnungsfragen; z. B. stückeloser oder GmbH-Rechtehandel Anteile |
Kapitalmarkt | Verbrieft | ||
[22]Ort des Handels | Nationaler Markt Euromarkt Xenomarkt Offshoremarkt | Ort des Handels relativ zu den Domizilen oder – beim Kriterium Euromarkt – den Heimatwährungen der Vertragspartner2 | Durch internationale Marktliberalisierungen und ‑vereinheitlichungen zunehmend ohne Bedeutung |
Wertpapierherkunft | Primärmarkt (Emissionsmarkt) | Eine Wertpapiergattung wird erstmals in den Markt eingeführt. | keine |
Sekundärmarkt (Zirkulationsmarkt) | Wertpapiere einer bereits eingeführten Gattung werden weiterverkauft. | ||
Börsengebundenheit | Organisierter Markt | Handel erfolgt an Börsen | Zuordnung z. B. elektronischer Handelssysteme |
OTC-Markt (Over The Counter-Markt) | Handel erfolgt außerhalb von Börsen | ||
Rechtsstellung der Investoren | Eigenkapitalmarkt | Eigentümer | Zuordnung von Zwitter- oder Hybridprodukten |
Fremdkapitalmarkt | Gläubiger |
Tab. 1.1: Der Finanzmarkt und seine Teilmärkte
Der für uns insbesondere relevante Wertpapiermarkt umfasst den Teil des Finanzmarktes, an dem die Vermittlung von monetären Dispositionsmöglichkeiten in verbriefter Form koordiniert wird.
Ein Wertpapier ist eine Urkunde, die ein privates Vermögensrecht zum Inhalt hat, das ohne Urkunde nicht geltend gemacht werden kann. Der Käufer eines Wertpapiers wird auch als Investor bezeichnet. Dieser ist also ein Anbieter von monetären Dispositionsmöglichkeiten in verbriefter Form. Der Emittent ist der Nachfrager von monetären Dispositionsmöglichkeiten in verbriefter Form am Primärmarkt, wobei Nachfrager in unverbriefter Form am Primärmarkt der Kreditnehmer ist.
In Kapitel 1.2 wurden die verbriefte und die unverbriefte Form des Finanzgeschäftes unterschieden. Tatsächlich sind die Unterschiede in vielen Punkten nicht groß, weshalb das (wertpapierorientierte) Investmentbanking und das (kreditorientierte) Commercial [23]Banking viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Denken Sie an die Prüfung der Rückzahlungswahrscheinlichkeit einer Verpflichtung, die Sicherheitenbestellung oder Tilgungsformen bei Wertpapieren und bei Krediten. Die wichtigste Differenz besteht in dem unterschiedlichen Grad, in dem verbrieftes und unverbrieftes Kapital handelbar sind. Die Handelbarkeit bedingt die Existenz von Märkten. Diese wiederum eröffnen dem Umgang mit monetären Dispositionsmöglichkeiten vorteilhafte Optionen. Hier einige Beispiele:
Märkte schaffen Transparenz und ermöglichen Innovationen.
Märkte verringern auch Transaktionskosten.
Die Märkte für verbriefte und unverbriefte Finanzinstrumente befinden sich in einem permanenten Wettbewerb. Investmentbanker und kommerzielle Banken suchen in Konkurrenz zueinander diejenige Lösung, die am besten zu den Anforderungen der Kunden passt. Finanzinstrumente, die spezielle Kundenanforderungen erfüllen (wie z. B. die Absicherung von Kreditrisiken durch Credit Default Swaps), können allerdings auch ein Eigenleben entwickeln und durch die Investmentbanker zu spekulativen Zwecken einge[24]setzt werden. Derartige Exzesse tragen dann regelmäßig zu Finanzkrisen bei. Der einzelne Investmentbanker kann noch so geschickt und virtuos versuchen, das Marktgeschehen zu seinem Vorteil zu nutzen, an den Gesetzmäßigkeiten kommt er nicht vorbei. Das musste auch Michael Milken, der Erfinder des »Junk-Bond-Marktes« erfahren, der mit einer genialen Strategie, die ihn als intimen Kenner der Gesetze eines Marktes auswies, Millionen verdiente und hinterher im Gefängnis landete, weil er zuerst die ökonomischen, dann die legalen Möglichkeiten dieses Marktes überschritten hatte.
Iannotta, G. (2010): Investment Banking. A Guide to Underwriting and Advisory Services, Heidelberg u. a.
Kidwell, D./Peterson, R./Blackwell, D. (1997): Financial Institutions, Markets, and Money, Fort Worth u. a.
Kidwell, D. S. et al. (2017): Financial Institutions, Markets, and Money, 12. Aufl., Hoboken, New Jersey.
Mishkin, F. (2007): The Economics of Money, Banking, and Financial Markets, 8. Aufl., Boston u. a.
Morrison, A./Wilhelm, W. (2007): Investment Banking. Institutions, Politics, and Law, Oxford, New York.
Quittner, P. (1930): Investment: Moderne Prinzipien der Vermögensanlage, Berlin.
Quittner, P./Palyi, M. (1932): Investment, in: Enzyklopädisches Lexikon für das Geld-, Bank- und Börsenwesen, Frankfurt am Main.
Reuther, M. (2012): Investmentbanking – integraler Bestandteil und Ideenschmiede des Firmenkundengeschäfts, in: ZfgK, Jg. 65, S. 20–23.
Rudolph, B. (1999): Kapitalmarkt: Grundlagen, in: Enzyklopädisches Lexikon des Geld-, Bank- und Börsenwesens, Frankfurt am Main.
Wertschulte, J. (2001): Investment Banking, in: Handwörterbuch des Bank- und Finanzwesens, S. 1158–1168, Stuttgart.
1 Autoren: Heinz J. Hockmann und Friedrich Thießen.
2 Anmerkung: Der Euromarkt hat nichts mit der Währung Euro zu tun. Er ist viel älter. Er entstand, als man in London diverse Finanzgeschäftsarten wie Geldanlagen und Kreditaufnahmen in USD tätigen konnte. Ein Euromarkt in diesem Sinne ist ein Markt, an dem Finanzgeschäfte in einer anderen Währung als der Heimatwährung des Marktes (geographisch gesehen) getätigt werden.
LERNZIELE
Banken oder Organisationen mit Bankcharakter haben bereits mehrere Jahrhunderte existiert, bevor eine klare Trennung zwischen den Banken bestand, die sich auf Geschäfte konzentrierten, die wir heute dem Investmentbanking zuordnen, und denjenigen, die primär kommerzielle Bankgeschäfte betrieben.
Direkte Vorläufer des modernen Investmentbankings kann man im späten europäischen Mittelalter und der frühen Neuzeit lokalisieren. Die Templer gewährten Kredite an Kreuzritter u. a., indem sie Schuldscheine aufkauften. Spezialisierte Finanzdienstleister, die vor allem in den oberitalienischen Stadtstaaten domizilierten, waren in dieser Zeit im Schuldscheinhandel tätig oder nahmen diese ins eigene Portefeuille, um sie bei Fälligkeit zu präsentieren.
Eine breite Palette von Finanzdienstleistungen wurde vor dem Aufkommen einer organisierten Bankstruktur von den Kaufmannshäusern in Europa erbracht. Die bekanntesten sind die Medici in Florenz und die Fugger in Augsburg, beide im ausgehenden 15. Jahrhundert. Diese waren grundsätzlich als Partnerschaft mit persönlicher Haftung organisiert. Der Umfang ihrer bankähnlichen Aktivitäten umfasste die mit dem eigentlichen Handelsgeschäft verbundenen Warenkredite einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Zahlungsverkehrsfunktionen sowie die Ausstellung und Diskontierung von Wech[26]seln. Die Übernahme der Garantiefunktion für ausgegebene Schuldscheine und Wechsel ermöglichte im nächsten Schritt den Einsatz von Papiergeld.
Voraussetzung für das Investmentbanking ist die Existenz von Kapitalmärkten. Diese ist wiederum eng mit der Entwicklung der Banken und Börsen als den die Kapitalmärkte tragenden Institutionen verbunden. Bereits im 13. Jahrhundert fanden erste Kaufmannsversammlungen mit Börsencharakter in Oberitalien statt. In derselben Zeitspanne kam es in Brügge zu regelmäßigen Treffen der Geld- und Wechselhändler vor dem Haus der Patrizierfamilie »van der Burse«, wodurch die Börse ihren Namen erhielt.
Organisierte Kapitalmarkttransaktionen gab es in Deutschland seit dem Mittelalter, als Rentenanleihen zur Finanzierung der Städte ausgegeben wurden. Während in der Zeit davor Anleihen unkündbar waren und Rückzahlungen vom Willen des jeweilig Herrschenden (= Emittenten) abhingen, wurden erste tilgbare Anleihen ab 1240 in Lübeck und 1270 in Hamburg ausgegeben. Mitte des 16. Jahrhunderts wurden dann die Emission und der Handel von »Renten« in standardisierter und damit handelbarer Form üblich.
Die Anfänge des Wertpapierhandels an den Börsen sind in diesem Zusammenhang vergleichsweise jungen Datums. Mitte des 16. Jahrhunderts begann der eigentliche Börsenhandel in Brügge und Antwerpen, Mitte des 17. Jahrhunderts wurde Amsterdam zu einer bedeutenden Börse. Weitere Börsenplätze in Europa folgten: Augsburg (1540), Nürnberg (1540) und Köln (1553), bevor die auch heute noch existierenden Börsen in Hamburg (1558) und Frankfurt (1585) und schließlich London (1773) ihre Aktivitäten aufnahmen. Da diese Zusammenkünfte an Börsen vielfältiger Natur waren und sich nicht auf Wertpapierhandel beschränkten, lässt sich der Beginn des organisierten Handels in standardisierten Wertpapieren häufig nicht von anderen Zusammenkünften der Kaufleute unterscheiden.
Kaufleute und nicht organisierte Banken (Privatbanken) haben anfänglich Bankfunktionen wahrgenommen. Bargeldzahlungen erfolgten gegen Wechsel (Bills of Exchange), die wiederum von anderen Kaufleuten mit einem Abschlag angekauft, d. h. diskontiert wurden. Größere Kaufleute übernahmen im Laufe der Zeit dabei die Funktion eines Discount Houses und kauften systematisch Wechsel an.
Die Reputation des Ausstellers der Bills of Exchange war für die Diskontierbarkeit entscheidend. Dabei erfolgte die Beurteilung der Kreditwürdigkeit der lokalen Händler durch international tätige Händler mit entsprechender Marktkenntnis. Die Kenntnis und Beurteilung des Kreditnehmers sowie die Übertragung der eigenen Einschätzung auf die Beurteilung durch andere Marktteilnehmer wurden zu wesentlichen Faktoren der Kreditwürdigkeitsprüfung. Der Händler, der Trade Merchant, wurde auf diese Weise zur Merchant [27]Bank. Diese Merchant Banks übernahmen dann weitere Funktionen mit Bankcharakter, wie Tätigkeiten der Handelsfinanzierung (Trade Finance) und Garantiefunktionen durch die Ausgabe von Letters of Credit.
Eine weitere Voraussetzung für die Entwicklung des Investmentbankings war die Weiterentwicklung des Handelsrechts. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde die ständige Einmischung des Staates in frei ausgehandelte Verträge beendet, wodurch wesentliche Grundlagen für die Entwicklung des Investmentbankings gelegt wurden. Die Entfaltung der Loan Contractors zu echten Finanzintermediären und damit die Geburtsstunde des Investmentbankings kann an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden.
PRAXISBEISPIEL
Die englische Treasury will zur Finanzierung ihrer Aktivitäten Wertpapiere (anfänglich eher Schuldscheine mit Kreditcharakter und keine handelbaren Wertpapiere moderner Prägung) ausgeben. Sie führt hierzu Verhandlungen mit finanziell potenten Personen in der City, die jeweils einen Teil der Emission (also des Kredits) übernehmen würden. Diese Individuen, die Loan Contractors, suchen wiederum die Unterstützung anderer Anleger, die dann gemeinsam eine »Liste« bilden. Hinzu kommen »Treasury Lists« mit Peers, Abgeordneten und sonstigen Vertretern der Regierung. Die Zahlungen für die Emission erfolgen in Tranchen.
Das rudimentäre System des 18. Jahrhunderts der Bildung von Listen für öffentliche Schuldtitel zeigt bereits viele Ausprägungen des modernen Underwritings von Wertpapieren:
Bereits in dieser Zeit arbeiteten die Loan Contractors in der Form zusammen, dass sie sich über die ursprünglichen Listen zu Syndikaten oder Konsortien zusammenschlossen, um die erforderlichen Beträge aufzubringen und die Risiken aus der Zeichnung zu teilen. Es kam auf diese Weise zunächst zur Bündelung der Contractors und Sub-Contractors, bevor diese wiederum die Endanleger bedienten; diese Syndikate verhandelten die Details der Kredite. Die Mitglieder der ersten Syndikate mussten die Verantwortung für die zeitgerechte Bereitstellung der gezeichneten Beträge übernehmen. Schließlich wurde die Verantwortung der Syndikate bis auf die Stabilisierung der Sekundärmärkte ausgedehnt.
[28]Die eigentliche Geburtsstunde des Investmentbankings wird in dem Moment gesehen, von dem an es keinen Wettbewerb mehr zwischen individuellen Anlegern und Spekulanten sowie den Loan Contractors um eine einzelne Emission mehr gab und alle Emissionen über die Loan Contractors geleitet wurden.
»Investmentbanking exists when ultimate investors abandon to professional middlemen the original market for new subscriptions«, schreibt Redlich (1968, S. 326).
Eine Handvoll bedeutender Investmenthäuser dominierte zu dieser Zeit den Fluss des Langfristkapitals in öffentliche Emissionen. Außerhalb des Oligopols der großen Investmentbanken gab es heftigen Wettbewerb unter den kleineren Marktteilnehmern, die in die großen Syndikate aufgenommen werden wollten. In der Folge kam es auch zum intensiven Wettbewerb an der Spitze der Syndikate, die durch neue Marktteilnehmer und insbesondere durch immer neue Allianzen herausgefordert wurden.
Die Bildung von echten Syndikaten erfolgte um 1820. Da die Gewinne aus Kauf und anschließendem Verkauf von Emissionen sehr attraktiv waren, kam es darauf an, Disziplin innerhalb dieser Syndikate sicherzustellen. Die Objekte der Syndikate, d. h. die Finanzinstrumente, waren allerdings noch nicht so vielschichtig, es handelte sich allein um die Beteiligung an Krediten und Schuldverschreibungen. Diese waren weitgehend standardisiert und variierten lediglich nach Laufzeit, Zinssatz und Risiko. Kreditnehmer waren Staaten und nachgeordnete staatliche Einheiten mit prognostizierbarem und wiederkehrendem Kapitalbedarf. Der Wettbewerb auf der Kreditnehmerseite war weniger ausgeprägt, da diese sich nicht zu Gruppen zusammenschlossen und aufgrund der notwendigen Diskretion auf vertraulichen und schnellen Zugang zum Kapitalmarkt angewiesen waren.
Wie auch heutzutage kam als weitere Achillesferse eine zunehmende Kapitalknappheit hinzu. Die großen Investmentbanken gingen dazu über, im Falle von zusätzlichem Kapitalbedarf, Wertpapiere aus dem Eigenbestand zu veräußern oder zu beleihen. Diese neue Form der Kapitalbeschaffung machte sie aber verletzlich und abhängig von Spekulanten. Maßnahmen zur Stabilisierung der Sekundärmärkte, die erstmals von Rothschild angewandt wurden, haben erst den starken Kapitalmarktbezug der Investmentbanken ermöglicht.