Durch die Uebertragung der Methoden, welche die Physiker seit Jahrhunderten in der Ermittelung der Ursachen der Naturerscheinungen befolgen, auf die Chemie, durch Beachtung von Maß und Gewicht, ist von Lavoisier der Grundstein einer neuen Wissenschaft gelegt worden, welche durch die Pflege ausgezeichneter Männer in außerordentlich kurzer Zeit einen hohen Grad von Vollendung erhalten hat.
Es war die Aufsuchung und das Festhalten aller Bedingungen, die sich zu einer Beobachtung vereinigen müssen, es war die Erkenntniß der richtigeren Grundsätze zu Forschungen, welche die Chemiker vor Irrthümern schützten und sie auf einem ebenso einfachen als sicheren Wege zu Entdeckungen führten, welche in die früher dunkelsten und unbegreiflichsten Naturerscheinungen Licht und Klarheit brachten.
Die nützlichsten Anwendungen auf Künste und Industrie und alle der Chemie verwandten Zweige des Wissens, ergaben sich aus den von ihnen erforschten Gesetzen und dieser Einfluß zeigte sich nicht erst, nachdem die Chemie den erreichbaren Grad von Vollendung erhalten hatte, sondern er machte sich mit jeder einzelnen neuen Erfahrung geltend.
Alle in den anderen Fächern bereits vorhandenen Erfahrungen und Beobachtungen wirkten in ganz gleicher Weise fördernd, auf die Ausbildung und Entwicklung der Chemie zurück, so daß sie eben so viel von der Metallurgie und Industrie empfing, als sie gegeben hatte; indem sie zusammen an Reichthum zunahmen, bildeten sie sich mit und neben einander aus.
Nach der allmäligen Vervollkommnung der Mineralchemie wandten sich die Arbeiten der Chemiker einer andern Richtung zu; aus der Untersuchung der Bestandtheile der Pflanzen und Thiere sind neue und veränderte Ansichten hervorgegangen; das vorliegende Werk ist ein Versuch zu ihrer Anwendung in der Physiologie und Pathologie.
In früheren Zeiten hat man, in vielen Fällen mit großem Erfolg, die aus der Bekanntschaft mit den chemischen Erfahrungen erworbenen Ansichten auf die Zwecke der Heilwissenschaft anzuwenden versucht; ja, die großen Aerzte, welche zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts lebten, waren die ausschließlichen Kenner und Begründer der Chemie; das phlogistische System der Chemie, mit allen seinen Unvollkommenheiten, erschien als die Morgenröthe eines neuen Tages, es war der Sieg der Philosophie über die roheste Experimentirkunst.
Die neuere Chemie hat mit allen ihren Entdeckungen der Physiologie und Pathologie nur unbedeutende Dienste geleistet, und Niemand kann sich über die Ursache dieser Theilnahmlosigkeit täuschen, wer in Erwägung zieht, daß alle in dem Gebiete der anorganischen Chemie erworbenen Erfahrungen, die Kenntniß des Verhaltens der einfachen Körper und ihrer in Laboratorien darstellbaren Verbindungen mit dem lebendigen Thierkörper und dem Verhalten seiner Bestandtheile in keine Art von Beziehung gebracht werden konnten.
Die Physiologie nahm keinen Theil an den Fortschritten der Chemie, weil sie lange Zeit hindurch, zu ihrer eigenen Förderung, nichts von dieser Wissenschaft zu empfangen hatte. Dieser Zustand hat sich seit fünfundzwanzig Jahren geändert; allein auch in der Physiologie sind in dieser Zeit neue Wege und Mittel zu Forschungen in ihrem eigenen Gebiete gewonnen worden, und erst mit der Erschöpfung dieser Quellen von Entdeckungen ließ sich einer neuen Richtung in den Arbeiten der Physiologen entgegensehen. Auch diese Zeit liegt uns nahe, und ein Weiterschreiten auf dem eingeschlagenen Wege würde jetzt das Gebiet der Physiologie, aus dem sich sehr bald fühlbar machenden Mangel an frischen Anhaltspunkten zu Forschungen, nur breiter, aber weder tiefer noch gründlicher machen.
Niemand wird den Muth haben zu behaupten, daß die Ermittelung der Formen und der Bewegungserscheinungen nicht nothwendig oder nützlich wäre, sie muß im Gegentheil als durchaus unentbehrlich zur Erkenntniß der Lebensprocesse angesehen werden; allein sie umfaßt nur eine einzige Klasse von Bedingungen zur Erkenntniß, und diese reichen für sich allein nicht dazu hin.
Die Erforschung der Zwecke und Functionen der einzelnen Organe und ihres gegenseitigen Verbandes im Thierkörper, war in früherer Zeit der Hauptgegenstand der physiologischen Untersuchungen; er ist in der neuern Zeit in den Hintergrund getreten. Die größte Masse aller neueren Entdeckungen hat die vergleichende Anatomie weit mehr als die Physiologie bereichert.
Für die Erkennung der ungleichen Formen und Zustände im gesunden und kranken Organismus geben diese Arbeiten ohne Zweifel die werthvollsten Resultate, allein für eine tiefere Einsicht in das Wesen der vitalen Acte bieten sie keine Aufschlüsse dar.
Durch die genaueste, anatomische Kenntniß der Gebilde kann man zuletzt nicht erfahren, zu welchem Zwecke sie dienen, und mit der mikroskopischen Untersuchung der feinsten Verzweigungen der Gefäßnetze wird man nicht mehr von ihren Verrichtungen wissen, als man über den Gesichtssinn durch das Zählen der Flächen auf dem Auge einer Stubenfliege erfahren hat. Die schönste und erhabenste Aufgabe des menschlichen Geistes, die Erforschung der Gesetze des Lebens, kann nicht gelös’t, sie kann nicht gedacht werden, ohne eine genaue Kenntniß der chemischen Kräfte, der Kräfte nämlich, die nicht in Entfernungen wirken, die in einer ähnlichen Weise zur Aeußerung gelangen, wie die letzten Ursachen, von welchen die Lebenserscheinungen bedingt werden, die sich überall thätig zeigen, wo sich differente Materien berühren.
Die Pathologie versucht noch heutzutage, wiewohl ganz nach dem Muster der phlogistischen Chemiker (der qualitativen Methode), Anwendung von chemischen Erfahrungen zur Beseitigung von Krankheitszuständen zu machen, allein den Ursachen und dem Wesen der Krankheit ist man mit allen diesen zahllosen Versuchen um keinen Schritt näher gekommen.
Ohne bestimmte Fragen zu stellen, hat man Blut, Harn und alle Bestandtheile des gesunden und kranken Organismus mit Alkalien und Säuren und allen Arten von chemischen Reagentien in Berührung gebracht und aus der Kenntniß der vorgegangenen Aenderungen Rückschlüsse auf ihr Verhalten im Körper gemacht.
Auf diesem Wege konnte der Zufall vielleicht zu nützlichen Heilmitteln führen, allein eine rationelle Pathologie kann auf Reactionen nicht begründet, der lebendige Thierkörper kann nicht für ein chemisches Laboratorium angesehen werden.
Bei krankhaften Zuständen, in dessen Folge das Blut eine dickflüssige Beschaffenheit erhält, kann diese nicht durch eine chemische Wirkung auf die in den Blutkanälen circulirende Flüssigkeit dauernd gehoben werden; die Abscheidung von Sedimenten im Harn läßt sich vielleicht durch Alkalien verhindern, ohne daß damit nur entfernt die Krankheitsursache beseitigt sein kann; und wenn man im Typhus unlösliche Ammoniaksalze in den Faeces und eine ähnliche Aenderung der Beschaffenheit der Blutkörperchen beobachtet, so wie sie durch Ammoniakflüssigkeit künstlich im Blute hervorgebracht werden kann, so darf deshalb das im Körper vorhandene Ammoniak nicht als die Ursache, sondern stets nur als der Effect einer Ursache angesehen werden.
So hat die Medizin, nach dem Vorbilde der aristotelischen Philosophie, sich Vorstellungen geschaffen über Ernährung und Blutbildung, man hat die Speisen classificirt in nahrhafte und nichtnahrhafte; aber auf Beobachtungen gestützt, denen die wesentlichsten Erfordernisse zu richtigen Schlüssen mangelten, konnten diese Theorien nicht als Ausdrücke der Wahrheit gelten.
In welcher Klarheit erscheinen uns jetzt die Beziehungen der Speisen zu den Zwecken, zu welchen sie im Thierkörper dienen, seitdem die organische Chemie ihre quantitative Untersuchungsmethode auf ihre Ermittelung in Anwendung brachte!
Wenn eine magere 4 Pfund wiegende Gans in 36 Tagen, während welchen sie mit 24 Pfund Welschkorn (Mays) gemästet worden ist, 5 Pfund über ihr ursprüngliches Gewicht zunimmt und man 31⁄2 Pfund reines Fett aus ihr gewinnt, so kann dieses Fett nicht fertig gebildet in der Nahrung gewesen sein, da diese noch nicht den tausendsten Theil an Fett oder fettähnlichen Materien enthält. Und wenn eine gewisse Anzahl Bienen, deren Gewicht man genau kennt, mit reinem, wachsfreiem Honig gefüttert, für je 20 Theile verbrauchten Honigs einen Theil Wachs liefern, ohne daß sich sonst in ihrem Gesundheitszustande oder in ihrem Gewichte etwas ändert, so kann man über die Erzeugung von Fett in dem Thierkörper aus Zucker nicht im Zweifel sein.
Ganz ähnlich wie bei der Entscheidung der Frage über die Fettbildung, verhält es sich mit der Erforschung des Ursprungs und der Veränderung der Secrete und anderer Erscheinungen im Thierkörper. Von dem Augenblick, wo man anfängt die Antworten auf Fragen, mit Ernst und Gewissenhaftigkeit zu suchen, wo man sich die Mühe nimmt, durch Maß und Gewicht die Beobachtungen festzuhalten und in Gleichungen auszudrücken, ergeben sich die Antworten von selbst.
Durch eine noch so große Anzahl von Beobachtungen, welche nur die eine Seite der Frage erläutern, wird man niemals im Stande sein, das Wesen einer Naturerscheinung in seiner ganzen Bedeutung zu erforschen; sie müssen nothwendig, wenn sie Nutzen schaffen sollen, nach einem ganz bestimmten Zweck und Ziel gerichtet sein, sie müssen einen organischen Zusammenhang besitzen.
Mit Recht schreiben die Physiker und Chemiker ihren Forschungsmethoden den größten Theil des Erfolgs in ihren Arbeiten zu. Jede chemische oder physikalische Arbeit, welche einigermaßen den Stempel der Vollendung an sich trägt, läßt sich im Resultate in wenigen Worten wiedergeben. Allein diese wenigen Worte sind unvergängliche Wahrheiten, zu deren Auffindung zahllose Versuche und Fragen erforderlich waren; die Arbeiten selbst, die mühsamen Versuche und verwickelten Apparate fallen der Vergessenheit anheim, sobald die Wahrheit ermittelt ist; es sind die Leitern, die Schachte und Werkzeuge, welche nicht entbehrt werden konnten, um zu dem reichen Erzgang zu gelangen; es sind die Stollen und Luftzüge, welche die Gruben von Wasser und bösen Wettern frei hielten.
Eine jede, auch die kleinste chemische oder physikalische Arbeit, wenn sie auf Beachtung Ansprüche macht, muß heutzutage diesen Character an sich tragen; aus einer gewissen Anzahl von Beobachtungen muß ein Schluß, gleichgültig ob er viel oder wenig umfaßt, gezogen werden können.
Es kann nur in der Methode, nur in ihrer Untersuchungsweise liegen, daß seit einem halben Jahrhundert in Beziehung auf eine tiefere Einsicht in die Functionen der wichtigsten Organe, der Milz, der Leber und zahlreichen Drüsen, von den Physiologen so wenig neue feststehende Wahrheiten gewonnen worden sind, und sicher wird die unvollkommene Bekanntschaft mit den Forschungsmethoden der Chemie das Haupthinderniß bleiben, was den Fortschritten der Physiologie entgegensteht, der Hauptvorwurf, den sie nicht zu beseitigen vermag.
Die Chemie stand der Physik vor Lavoisier, Scheele und Priestley nicht näher, als heutzutage der Physiologie; sie ist jetzt mit der Physik so innig verschmolzen, daß es schwer halten dürfte, zwischen beiden eine scharfe Grenzlinie zu ziehen; ganz dasselbe Band vereinigt die Chemie mit der Physiologie, und in einem halben Jahrhundert wird man ihre Trennung für ebenso unmöglich halten.
Unsere Fragen und Versuche durchschneiden in unzähligen krummen Linien die grade Linie, die zur Wahrheit führt, es sind die Kreuzungspunkte, die uns die wahre Richtung erkennen lassen; es liegt in der Unvollkommenheit des menschlichen Geistes, daß die krummen Linien gemacht werden müssen. Die Chemiker und Physiker behalten stets ihr Ziel im Auge, dem einen gelingt es, streckenweise den geraden Weg zu verfolgen, allein alle sind auf die Umwege vorbereitet; des Erfolgs ihrer Anstrengungen bei Beharrlichkeit und Ausdauer gewiß, wächst die Begierde und ihr Muth mit den Schwierigkeiten.
Einzelne Beobachtungen ohne Zusammenhang sind auf einer Ebene zerstreute Punkte, die uns nicht gestatten, einen bestimmten Weg zu wählen. In der Chemie hatte man Jahrhunderte lang nichts als diese Punkte, deren Zwischenräume auszufüllen Mittel genug in Anwendung kamen; allein bleibende Entdeckungen, wahre Fortschritte wurden erst dann gemacht, als man ihre Verknüpfung nicht mehr der Phantasie überließ.
Ich habe den Zweck gehabt, die Kreuzungspunkte der Physiologie und Chemie in diesem Buche hervorzuheben und die Stellen anzudeuten, wo beide Wissenschaften gegenseitig in einander greifen. Es enthält eine Sammlung von Aufgaben, so wie sie gegenwärtig von der Chemie gestellt werden, und eine Anzahl von Schlüssen, die nach ihren Regeln aus den vorhandenen Erfahrungen sich ergeben.
Diese Fragen und Aufgaben werden ihre Lösung erhalten, und kein Zweifel kann darüber sein, daß wir alsdann eine neue Physiologie und eine rationelle Pathologie haben werden. Gewiß ist unser Senkblei nicht lang genug, um die Tiefe des Meeres zu messen, allein es verliert deshalb seinen Werth für uns nicht; wenn es uns vorläufig nur hilft, um die Klippen und Sandbänke zu vermeiden, so ist dieser Nutzen groß genug. In der Hand des Physiologen muß die organische Chemie zu einem geistigen Hilfsmittel werden, mit dem er im Stande sein wird, die Ursachen von Erscheinungen zu erforschen, die das leibliche Auge nicht mehr erkennt; und wenn von den Resultaten, die ich in diesem Buche entwickelt oder angedeutet habe, nur ein Einziges eine nützliche Anwendung zuläßt, so halte ich den Zweck, für den es geschrieben ist, für vollkommen erreicht. Der Weg, der dazu geführt hat, wird andere Wege bahnen, und dies betrachte ich als den höchsten Gewinn.
Gießen, im April 1842.
Dr. Justus Liebig.
In dem Thierei, in dem Samen einer Pflanze erkennen wir eine merkwürdige Thätigkeit, eine Ursache der Zunahme an Masse, des Ersatzes an verbrauchtem Stoff, eine Kraft in dem Zustande der Ruhe. Durch äußere Bedingungen, durch die Begattung, durch Gegenwart von Feuchtigkeit und Luft wird der Zustand des statischen Gleichgewichtes dieser Thätigkeit aufgehoben; die in Bewegung übergehende Kraft äußert sich in einer Reihe von Formbildungen, welche, wenn auch zuweilen durch grade Linien eingeschlossen, doch weit entfernt von geometrischen Gestalten sind, so wie wir sie beim krystallisirenden Minerale beobachten. Diese Kraft heißt Lebenskraft.
Die Zunahme an Masse in einer Pflanze wird durch den Akt einer Zersetzung bedingt, die in gewissen Pflanzentheilen durch die Einwirkung des Lichts und der Wärme vor sich geht.
Dieser Zersetzung unterliegen in dem Lebensproceß der Pflanze ausschließlich nur anorganische Materien, und wenn man mit ausgezeichneten Mineralogen die Luft und gewisse andere Gase als Mineralien gelten läßt, so kann man sagen, daß die vegetative Lebensthätigkeit die Verwandlung des Minerals in einen mit Leben begabten Organismus bewirkt, das Mineral wird Theil eines Trägers der Lebenskraft.
Die Zunahme an Masse in einer lebenden Pflanze setzt voraus, daß gewisse Bestandtheile der Nahrung zu Bestandtheilen des Pflanzenkörpers werden, und eine Vergleichung der chemischen Zusammensetzung von beiden, zeigt mit unzweifelhafter Gewißheit, welche von den Bestandtheilen der Nahrung ausgetreten, welche assimilirt worden sind.
Die Beobachtungen der Pflanzenphysiologen und die Untersuchungen der Chemiker, sie haben gegenseitig dazu gedient, um den Beweis zu führen, daß das Wachsthum und die Entwickelung der Pflanze abhängig sind von einer Ausscheidung von Sauerstoff, der sich von den Bestandtheilen ihrer Nahrungsmittel trennt.
Im geraden Gegensatz zu dem Pflanzenleben äußert sich das Thierleben in einer nie aufhörenden Einsaugung und Verbindung des Sauerstoffs der Luft mit gewissen Bestandtheilen des Thierkörpers.
Während kein Theil eines organischen Wesens zur Nahrung einer Pflanze dienen kann, wenn er nicht vorher, in Folge von Fäulniß und Verwesungsprocessen, die Form eines anorganischen Körpers angenommen hat, bedarf der thierische Organismus zu seiner Erhaltung und Entwickelung höher organisirter Atome. Die Nahrungsmittel aller Thiere sind unter allen Umständen Theile von Organismen.
Durch ihre Fähigkeit, den Ort zu wechseln, und im Allgemeinen durch die Sinne unterscheidet sich das Thier von der Pflanze.
Alle diese Thätigkeiten gehen von gewissen Werkzeugen aus, die in der Pflanze fehlen. Die vergleichende Anatomie zeigt, daß die Bewegungs- und Gefühlsäußerungen von gewissen Apparaten abhängig sind, die mit einander in keinem andern Zusammenhange stehen, als daß sie sich in einem gemeinschaftlichen Centrum vereinigen. Die Substanz des Rückenmarks, der Nerven, der Gehirnmaterie sind in ihrer Zusammensetzung und ihrem chemischen Verhalten wesentlich von der Substanz der Zellen, Membranen, Muskeln und der Haut verschieden.
Alles, was im Thierorganismus Bewegung genannt werden kann, geht von den Nervenapparaten aus. Die Bewegungserscheinungen in den Pflanzen, die Saftcirculation, die man in manchen Charen beobachtet hat, das Schließen der Blüthen und Blätter hängt von physikalischen und mechanischen Ursachen ab. Eine Pflanze enthält keine Nerven. Wärme und Licht sind die entfernteren Ursachen der Bewegungen in Pflanzen, in den Thieren erkennen wir in den Nervenapparaten eine Quelle von Kraft, die sich in jedem Zeitmomente ihres Lebens wieder zu erneuern vermag.
Aehnlich wie die Assimilation der Nahrungsmittel in den Pflanzen, ihr ganzer Bildungsproceß, abhängig ist von gewissen äußeren Ursachen, welche die Bewegungen vermitteln, ist die Entwickelung des Thierorganismus bis zu einem gewissen Grade unabhängig von diesen äußeren Ursachen, eben weil er in sich selbst durch ein besonderes System von Apparaten die zu dem Lebensproceß unentbehrliche Kraft der Bewegung erzeugt.
Der Bildungsproceß, die Assimilation, der Uebergang des in Bewegung befindlichen Stoffs in den Zustand der Ruhe geht bei Pflanzen und Thieren in einerlei Weise vor sich, es ist die nämliche Ursache, die in beiden die Zunahme an Masse bedingt, es ist dies das eigentliche vegetative Leben, es äußert sich ohne Bewußtsein.
In der Pflanze giebt sich die vegetative Lebensthätigkeit unter Mitwirkung von äußeren Kräften, in Thieren durch Thätigkeiten kund, die sich in ihrem Organismus erzeugen. Die Verdauung, der Blutumlauf, die Absonderung der Säfte, sie stehen jedenfalls unter der Herrschaft des Nervensystems, allein es ist ein und dieselbe Kraft, welche dem Keim, dem Blatt, der Wurzelfaser die nämlichen wunderbaren Eigenschaften giebt, welche die secernirende Haut, die Drüse besitzen, welche jedes Organ im Thier befähigt, seinen eigenen Funktionen vorzustehen; nur die Ursachen der Bewegungen sind in beiden verschieden.
Während wir in den niedrigsten Thierklassen die Apparate der Bewegung, wie im befruchteten Keim des Thierei’s, in dem sie sich zu allererst entwickeln, nie vermissen, finden wir in höheren Thierklassen besondere Apparate des Gefühls und Empfindens, des Bewußtseins und des höheren geistigen Lebens.
Der Patholog zeigt uns, daß das eigentlich vegetative Leben keineswegs an das Vorhandensein dieser Apparate geknüpft ist, daß der Nutritionsproceß in den Theilen des Körpers, wo diejenigen Nerven gelähmt sind, welche das Gefühl oder die willkürlichen Bewegungen vermitteln, in der nämlichen Form vor sich geht, wie in anderen, in denen sie sich in normalem Zustande befinden, so wie auf der andern Seite die kräftigste Energie des Willens auf die Zusammenziehung des Herzens, auf die Bewegung der Eingeweide und die Secretionsprocesse keinen Einfluß auszuüben vermag.
Die Erscheinungen des höheren geistigen Lebens, sie können auf dem gegenwärtigen Standpunkt der Wissenschaft nicht auf ihre nächsten, viel weniger auf ihre letzten Ursachen zurückgeführt werden, wir wissen weiter nichts davon, als daß sie vorhanden sind; wir schreiben sie einer immateriellen Thätigkeit zu, und zwar insofern ihre Aeußerungen an die Materie sich gebunden finden, einer Kraft, welche durchaus verschieden ist und nichts gemein hat mit der Lebenskraft.
Diese eigenthümliche Kraft übt, wie nicht geleugnet werden kann, einen gewissen Einfluß auf die vegetative Lebensthätigkeit aus, ähnlich wie dies von anderen immateriellen Potenzen, von Licht, Elektricität, Wärme und Magnetismus geschieht, allein dieser Einfluß ist nicht bedingender Art, sondern er äußert sich nur als eine Beschleunigung, Störung oder Verlangsamung der vegetativen Lebensprocesse; auf eine ganz ähnliche Weise übt die vegetative Lebensthätigkeit rückwärts gewisse Wirkungen auf das bewußte geistige Leben aus.
Es sind zwei Kräfte, die sich neben einander in Aktion befinden, allein Bewußtsein und Geist, sie fehlen im Thiere und der lebendigen Pflanze, ohne daß wir in diesen etwas Anderes vermissen, als den Mangel einer besondern Ursache der Steigerung oder Störung; abgesehen davon, gehen alle vitalchemischen Processe im Menschen und Thiere auf einerlei Weise vor sich.
Das unaufhörlich sich erneuernde Streben, die Beziehungen der Psyche zu dem animalischen Leben ermitteln zu wollen, hat von jeher die Fortschritte der Physiologie aufgehalten, es war ein beständiges Heraustreten aus dem Gebiete der Naturforschung in das Reich der phantastischen Gebilde; denn die begeisterten Physiologen, sie waren weit davon entfernt, die Gesetze des rein thierischen Lebens zu kennen. Keiner von ihnen hatte eine klare Vorstellung über den Entwickelungs- und Ernährungsproceß, keiner von der wahren Ursache des Todes. Sie erklärten die verborgensten psychischen Erscheinungen und waren nicht im Stande zu sagen, was Fieber ist und in welcher Weise das Chinin bei seiner Heilung wirkt!
Um die Gesetze der Bewegungen im Thierkörper zu ermitteln, war nur die eine Bedingung, die Kenntniß der Apparate erforscht, welche die Bewegungen vermitteln, aber die Substanz der Organe, die Veränderungen, welche die Nahrungsmittel im lebenden Körper erfahren, ihr Uebergang zu Bestandtheilen der Organe und rückwärts wieder in leblose Verbindungen, der Antheil, den die Atmosphäre an den Lebensprocessen nimmt, alle diese Grundlagen zu weiteren Schlüssen waren noch nicht gegeben.
Was hat die Psyche, was hat Bewußtsein und Geist mit der Entwickelung des menschlichen Fötus, mit der des Fötus im Hühnerei zu schaffen? gewiß nicht mehr als sie Antheil nimmt an der Entwickelung des Samens einer Pflanze! Suchen wir vor der Hand die nicht psychischen Erscheinungen auf ihre letzten Ursachen zurückzuführen, und hüten wir uns vor Schlüssen, ehe wir eine Grundlage haben. Wir kennen genau den Mechanismus des Auges, allein weder die Anatomie, noch Chemie wird uns jemals Aufschluß geben, wie der Lichtstrahl zum Bewußtsein gelangt. Die Naturforschung hat eine bestimmte Grenze, die sie nicht überschreiten darf, sie muß sich stets daran erinnern, daß mit allen Entdeckungen nicht in Erfahrung gebracht werden kann, was Licht, Elektricität und Magnetismus für Dinge sind, eben weil der menschliche Geist nur Vorstellungen hat für Dinge, welche Materialität besitzen. Wir können aber die Gesetze ihres Zustands der Ruhe und der Bewegung erforschen, eben weil sie sich in Erscheinungen äußern. So können zweifellos die Gesetze des Lebens und Alles, was sie stört, befördert oder ändert, erforscht werden, ohne daß man jemals wissen wird, was das Leben ist; so führte die Erforschung der Gesetze des Falles und der Bewegung der Himmelskörper auf eine vorher nie gedachte Vorstellung über ihre Ursache. Diese Vorstellung konnte in ihrer Klarheit nicht entstehen ohne die Kenntniß der Erscheinungen, aus denen sie sich entwickelte: an und für sich ist ja die Schwerkraft, wie das Licht für einen Blindgebornen, ein bloßes Wort.
Die neue Wissenschaft der Physiologie hat die Methode des Aristoteles verlassen, sie erfindet keinen horror vacui, keine Quinta essentia mehr, um den gläubigen Zuhörern Aufschlüsse und Erklärungen von Erscheinungen zu geben, deren eigentlicher Verband mit anderen, deren letzte Ursache nicht ermittelt ist, zum Heil der Wissenschaft, muß man hinzusetzen, und zum Segen für die Menschheit.
Wenn wir festhalten, daß alle Erscheinungen in dem Organismus der Pflanzen und des Thieres einer ganz eigenthümlichen Ursache zugeschrieben werden müssen, welche in ihren Aeußerungen durchaus verschieden ist von allen anderen Ursachen, die Zustandsänderungen oder Bewegungen bedingen, wenn wir die Lebenskraft also gelten lassen für eine für sich bestehende Kraft, so haben wir in den Erscheinungen des organischen Lebens, wie in allen anderen Erscheinungen, welche Kräften zugeschrieben werden müssen, eine Statik (Zustand des Gleichgewichtes, bedingt durch einen Widerstand) und eine Dynamik der Lebenskraft.
Alle Theile des Thierkörpers bilden sich aus einer eigenthümlichen, in seinem Organismus circulirenden Flüssigkeit, in Folge einer, jeder Zelle, jedem Organe oder Theile eines Organs inwohnenden Thätigkeit. Die Physiologie lehrt, daß alle Bestandtheile des Körpers ursprünglich Blut waren, oder daß sie wenigstens den entstehenden Organen durch diese Flüssigkeit zugeführt worden sind.
Die gewöhnlichsten Erfahrungen geben ferner zu erkennen, daß in jedem Momente des Lebens in dem Thierorganismus ein fortdauernder, mehr oder minder beschleunigter Stoffwechsel vor sich geht, daß ein Theil der Gebilde sich zu formlosen Stoffen umsetzt, daß sie ihren Zustand des Lebens verlieren und wieder erneuert werden müssen. Die Physiologie hat entscheidende Gründe genug für die Meinung, daß jede Bewegung, jede Kraftäußerung die Folge einer Umsetzung der Gebilde oder der Substanz derselben ist, daß jede Vorstellung, jeder Affekt Veränderungen in der chemischen Beschaffenheit der abgesonderten Säfte zur Folge hat, daß jeder Gedanke, jede Empfindung von einer Aenderung in der Zusammensetzung der Gehirnsubstanz begleitet ist.
Zur Unterhaltung der Lebenserscheinungen im Thiere gehören gewisse Stoffe, Theile von Organismen, die man Nahrungsmittel nennt; in Folge einer Reihe von Veränderungen dienen sie entweder zur Vermehrung seiner Masse (zur Ernährung), oder zum Ersatze an verbrauchtem Stoff (Reproduktion), oder sie dienen zur Hervorbringung von Kraft.
Wenn wir die Aufnahme von Nahrungsmitteln als die eine Bedingung des Lebens bezeichnen, so ist die zweite eine fortdauernde Einsaugung von Sauerstoff aus der atmosphärischen Luft.
Von dem Standpunkte des Naturforschers aus zeigt sich das Thierleben in einer Reihe von Erscheinungen, deren Zusammenhang und Wiederkehr vermittelt wird durch eine in dem Organismus vorgehende Veränderung, welche die Nahrungsmittel und der eingesaugte atmosphärische Sauerstoff unter der Mitwirkung der Lebenskraft erleiden.
Alle vitalen Thätigkeiten entspringen aus der Wechselwirkung des Sauerstoffs der Luft und der Bestandtheile der Nahrungsmittel.
In der Ernährung und Reproduktion erkennen wir den Uebergang des Stoffs aus dem Zustande der Bewegung in den Zustand der Ruhe (des statischen Gleichgewichts); durch den Einfluß des Nervensystems gelangt dieser Stoff in den Zustand der Bewegung. Die letzten Ursachen dieser Zustände der Lebenskraft sind die chemischen Kräfte.
Die Ursache des Zustandes der Ruhe ist ein Widerstand, welcher bedingt wird durch eine Kraft der Anziehung (Verbindung), welche zwischen den kleinsten Theilchen der Materie wirkt und nur bei unmittelbarer Berührung, oder in unmeßbar kleinen Entfernungen sich thätig zeigt.
Diese besondere Art der Anziehung, man kann ihr natürlich die verschiedensten Namen geben, der Chemiker nennt sie aber Affinität.
Die Bedingung des Zustandes der Bewegung liegt in einer Reihe von Veränderungen, welche die Nahrungsmittel in dem Organismus erleiden, in Folge also von Zersetzungsprocessen, welche die Nahrungsmittel an und für sich, oder die daraus entsprungenen Gebilde, oder Bestandtheile der Organe erleiden.
Der Hauptcharacter des vegetativen Lebens ist ein steter Uebergang des in Bewegung gesetzten Stoffs in den Zustand des statischen Gleichgewichtes. So lange die Pflanze lebt, ist kein Stillstand in der Zunahme bemerklich, kein Theil eines Organs der Pflanze nimmt an Masse ab. Wenn eine Zersetzung erfolgt, so ist sie eine Folge der Assimilation. Eine Pflanze erzeugt in sich selbst keine Kraft der Bewegung, kein Theil ihrer Gebilde verliert, durch eine in ihrem Organismus vorhandene Ursache, den Zustand des Lebens und geht in formlose Verbindungen über, in ihr findet kein Verbrauch statt. Der Verbrauch im Thier ist eine Aenderung des Zustandes und der Zusammensetzung gewisser Bestandtheile des Thierkörpers, er geht mithin vor sich in Folge chemischer Actionen. Der Einfluß der Gifte, der Arzneimittel auf den lebenden thierischen Körper zeigt auf eine evidente Weise, daß der Act der chemischen Zersetzung und Verbindung im Thierkörper, die sich uns in der Form von Lebenserscheinungen zu erkennen geben, daß sie durch ähnlich wirkende chemische Kräfte gesteigert, durch entgegengesetzt wirkende verlangsamt und aufgehoben werden können, daß wir auf jeden Theil eines Organs durch Stoffe, die eine bestimmte chemische Action besitzen, eine Wirkung auszuüben vermögen.
Aehnlich also wie in der geschlossenen galvanischen Säule durch gewisse Veränderungen, welche ein anorganischer Körper, ein Metall, bei seiner Berührung mit einer Säure, erleidet, ein gewisses Etwas für unsere Sinne wahrnehmbar wird, was wir mit einem Strome electrischer Materie bezeichnen, entstehen in Folge von Umsetzungen und Veränderungen von Materien, die früher Theile von Organismen waren, gewisse Bewegungs- und Thätigkeitsäußerungen, die wir Leben nennen.
Der electrische Strom giebt sich uns zu erkennen durch gewisse Erscheinungen der Anziehung und Abstoßung, welche andere, an und für sich bewegungslose, Materien durch ihn empfangen, durch Erscheinungen der Bildung und Zersetzung chemischer Verbindungen, die sich überall äußern, wo der Widerstand die Bewegung nicht aufhebt.
Von diesem Standpunkte allein und von keinem andern aus darf die Chemie die Lebenserscheinungen studiren. Wunder finden wir überall; die Bildung eines Krystalls, eines Octaeders ist nicht minder unbegreiflich, wie die Entstehung eines Blatts oder einer Muskelfaser, und die Entstehung des Zinnobers aus Quecksilber und Schwefel ist ein ebenso großes Räthsel, wie die Bildung eines Auges aus der Substanz des Blutes.
Aufnahme von Nahrungsmitteln und Sauerstoff sind die ersten Bedingungen des thierischen Lebens.
In jedem Zeittheilchen seines Lebens nimmt der Mensch durch die Organe der Respiration Sauerstoff auf; nie ist, so lange das Thier lebt, ein Stillstand bemerklich.
Die Beobachtungen der Physiologen zeigen, daß der Körper eines erwachsenen Menschen, nach 24 Stunden, bei hinlänglicher Nahrung, am Gewicht weder zu- noch abgenommen hat, dennoch ist die Menge von Sauerstoff, die in dieser Zeit in seinen Organismus aufgenommen wurde, höchst beträchtlich.
Nach Lavoisier’s Versuchen werden von einem erwachsenen Manne in einem Jahre 746 Pfd., nach Menzies 837 Pfd. Sauerstoffgas aus der Atmosphäre in seinen Körper aufgenommen, und dennoch finden wir sein Gewicht zu Anfang und Ende des Jahres entweder ganz unverändert, oder die Ab- und Zunahme bewegt sich um wenige Pfunde[E1].
Wo ist, kann man fragen, dieses enorme Gewicht an Sauerstoff hingekommen, was ein Individuum im Verlaufe eines Jahres in sich aufnimmt?
Diese Frage ist mit befriedigender Sicherheit gelös’t; kein Theil des aufgenommenen Sauerstoffs bleibt im Körper, sondern er tritt in der Form einer Kohlenstoff- oder einer Wasserstoffverbindung wieder aus.
Der Kohlenstoff und Wasserstoff von gewissen Bestandtheilen des Thierkörpers haben sich mit dem durch die Haut und Lunge aufgenommenen Sauerstoff verbunden, sie sind als Kohlensäure und Wasserdampf wieder ausgetreten.
Mit jedem Athemzuge, in jedem Lebensmomente trennen sich von dem Thierorganismus gewisse Mengen seiner Bestandtheile, nachdem sie mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft eine Verbindung in dem Körper selbst eingegangen sind.
Wenn wir, um einen Anhaltspunkt zu einer Rechnung zu haben, mit Lavoisier und Seguin annehmen, daß der erwachsene Mensch täglich 65 Loth Sauerstoff (46037 Cubikzoll = 15661 Gran fr. Gew.) in sich aufnimmt, und wir seine Blutmasse zu 24 Pfund, bei einem Wassergehalt von 80 pCt. annehmen, so ergiebt sich aus der bekannten Zusammensetzung des Blutes, daß zu einer völligen Verwandlung des Kohlenstoffs und Wasserstoffs im Blut, in Kohlensäure und Wasser 64103 Gran Sauerstoff nöthig sind, die in 4 Tagen und 5 Stunden in den Körper eines erwachsenen Menschen aufgenommen werden[E2].
Gleichgültig ob der Sauerstoff an die Bestandtheile des Bluts tritt oder an andere kohlen- und wasserstoffreiche Materien im Körper, es kann dem Schlusse nichts entgegengesetzt werden, daß dem menschlichen Körper, welcher 65 Loth Sauerstoff täglich einathmet, in 4 Tagen und 5 Stunden so viel an Kohlenstoff und Wasserstoff in seinen Nahrungsmitteln wieder zugeführt werden muß, als nöthig wäre, 24 Pfund Blut mit diesen Bestandtheilen zu versehen, vorausgesetzt, daß das Gewicht des Körpers sich nicht ändere, daß er seine normale Beschaffenheit behaupten soll.
Diese Zufuhr geschieht durch die Speisen.
Aus der genauen Bestimmung der Kohlenstoffmenge, welche durch die Speisen in den Körper aufgenommen werden, so wie durch die Ausmittelung derjenigen Quantität, welche durch die Faeces und den Urin unverbrannt, oder wenn man will, in einer andern Form, als in der Form einer Sauerstoffverbindung, wieder austritt, ergiebt sich, daß ein erwachsener Mann, im Zustande mäßiger Bewegung, täglich 27,8 Loth Kohlenstoff verzehrt[E3].
Diese 278⁄10 Loth Kohlenstoff entweichen aus Haut und Lunge in der Form von kohlensaurem Gas.
Zur Verwandlung in kohlensaures Gas bedürfen diese 27,8 Loth Kohlenstoff 74 Loth Sauerstoff.
Nach den analytischen Bestimmungen von Boussingault (Annales de chim. et de phys. LXX. 1. S. 136) verzehrt ein Pferd in 24 Stunden 1581⁄4 Loth Kohlenstoff, eine milchgebende Kuh 1411⁄2 Loth[E4].
Die hier angeführten Kohlenstoffmengen sind als Kohlensäure aus ihrem Körper getreten, das Pferd hat in 24 Stunden für die Ueberführung des Kohlenstoffs in Kohlensäure 137⁄32 Pfd. und die Kuh 112⁄3 Pfd. Sauerstoff verbraucht.
Da kein Theil des aufgenommenen Sauerstoffs in einer andern Form als in der einer Kohlenstoff- oder Wasserstoffverbindung wieder aus dem Körper tritt, da ferner bei normalem Gesundheitszustande der ausgetretene Kohlenstoff und Wasserstoff wieder ersetzt wird durch Kohlenstoff und Wasserstoff, den wir in den Speisen zuführen, so ist klar, daß die Menge von Nahrung, welche der thierische Organismus zu seiner Erhaltung bedarf, in geradem Verhältniß steht zu der Menge des aufgenommenen Sauerstoffs.
Zwei Thiere, die in gleichen Zeiten ungleiche Mengen von Sauerstoff durch Haut und Lunge in sich aufnehmen, verzehren in einem ähnlichen Verhältniß ein ungleiches Gewicht von der nämlichen Speise.
In gleichen Zeiten ist der Sauerstoffverbrauch ausdrückbar durch die Anzahl der Athemzüge; es ist klar, daß bei einem und demselben Thiere die Menge der zu genießenden Nahrung wechselt, je nach der Stärke und Anzahl der Athemzüge.
Ein Kind, dessen Respirationswerkzeuge sich in größerer Thätigkeit befinden, muß häufiger und verhältnißmäßig mehr Nahrung zu sich nehmen, als ein Erwachsener, es kann den Hunger weniger leicht ertragen. Ein Vogel stirbt bei Mangel an Nahrung den dritten Tag; eine Schlange, die in einer Stunde, unter einer Glasglocke athmend, kaum so viel Sauerstoff verzehrt, daß die davon erzeugte Kohlensäure wahrnehmbar ist, lebt drei Monate und länger ohne Nahrung.
Im Zustand der Ruhe beträgt die Anzahl der Athemzüge weniger als im Zustand der Bewegung und Arbeit. Die Menge der in beiden Zuständen nothwendigen Nahrung muß in dem nämlichen Verhältniß stehen.
Ein Ueberfluß von Nahrung und Mangel an eingeathmetem Sauerstoff (an Bewegung), so wie starke Bewegung (die zu einem größeren Maaß von Nahrung zwingt) und schwache Verdauungsorgane sind unverträglich mit einander.
Die Menge des Sauerstoffs, welche ein Thier durch die Lunge aufnimmt, ist aber nicht allein abhängig von der Anzahl der Athemzüge, sondern auch von der Temperatur und der Dichtigkeit der eingeathmeten Luft.
Die Brusthöhle eines Thieres hat eine unveränderliche Größe, mit jedem Athemzuge tritt eine gewisse Menge Luft ein, die in Beziehung auf ihr Volumen als gleichbleibend angesehen werden kann. Aber ihr Gewicht und damit das Gewicht des darin enthaltenen Sauerstoffs bleibt sich nicht gleich. In der Wärme dehnt sich die Luft aus, in der Kälte zieht sie sich zusammen. In einem gleichen Volum kalter und warmer Luft haben wir ein ungleiches Gewicht Sauerstoff. Im Sommer enthält die atmosphärische Luft Wassergas, im Winter ist sie trocken; der Raum, den das Wassergas in der warmen Luft einnimmt, wird im Winter durch Luft eingenommen, d. h. sie enthält bei gleichem Volum im Winter mehr Sauerstoff.
Im Sommer und Winter, am Pole und Aequator athmen wir ein gleiches Luftvolumen ein. Die kalte Luft erwärmt sich beim Einathmen in der Luftröhre und den Lungenzellen, und nimmt die Temperatur des Körpers an. Um ein gewisses Sauerstoffvolumen in die Lunge zu bringen, ist im Winter ein geringerer Kraftaufwand nöthig, als im Sommer; für denselben Kraftverbrauch athmet man im Winter mehr Sauerstoff ein.
Es ist einleuchtend, daß wir bei einer gleichen Anzahl von Athemzügen an dem Ufer des Meeres eine größere Menge von Sauerstoff verzehren, als auf Bergen; daß die Menge der austretenden Kohlensäure, so wie das eingesaugte Sauerstoffgas mit dem Barometerstande sich ändert.
Das aufgenommene Sauerstoffgas tritt im Sommer und Winter in ähnlicher Weise verändert wieder aus, wir athmen in niederer Temperatur und höherem Luftdrucke mehr Kohlenstoff aus wie in höherer, und wir müssen in dem nämlichen Verhältniß mehr oder weniger Kohlenstoff in den Speisen genießen, in Schweden mehr wie in Sicilien, in unsern Gegenden im Winter ein ganzes Achtel mehr wie im Sommer.
Selbst wenn wir dem Gewicht nach gleiche Quantitäten Speise in kalten und warmen Gegenden genießen, so hat eine unendliche Weisheit die Einrichtung getroffen, daß diese Speisen höchst ungleich in ihrem Kohlenstoffgehalte sind. Die Früchte, welche der Südländer genießt, enthalten im frischen Zustande nicht über 12 pCt. Kohlenstoff, während der Speck und Thran des Polarländers 66 bis 80 pCt. Kohlenstoff enthalten.
Es ist keine schwere Aufgabe, sich in warmen Gegenden der Mäßigkeit zu befleißigen, oder lange Zeit den Hunger unter dem Aequator zu ertragen, allein Kälte und Hunger reiben in kurzer Zeit den Körper auf.
Die Wechselwirkung der Bestandtheile der Speisen und des durch die Blutcirculation im Körper verbreiteten Sauerstoffs ist die Quelle der thierischen Wärme.
Alle lebenden Wesen, deren Existenz auf einer Einsaugung von Sauerstoff beruht, besitzen eine von der Umgebung unabhängige Wärmequelle.
Diese Wahrheit bezieht sich auf alle Thiere, sie erstreckt sich auf den keimenden Samen, auf die Blüthe der Pflanze und auf die reifende Frucht.
Nur in den Theilen des Thieres, zu welchen arterielles Blut, und durch dieses der in dem Athmungsproceß aufgenommene Sauerstoff gelangen kann, wird Wärme erzeugt. Haare, Wolle, Federn besitzen keine eigenthümliche Temperatur.
Diese höhere Temperatur des Thierkörpers oder, wenn man will, Wärmeausscheidung ist überall und unter allen Umständen die Folge der Verbindung einer brennbaren Substanz mit Sauerstoff.
In welcher Form sich auch der Kohlenstoff mit Sauerstoff verbinden mag, der Akt der Verbindung kann nicht vor sich gehen, ohne von Entwicklung von Wärme begleitet zu seyn, gleichgültig, ob sie langsam oder rasch erfolgt, ob sie in höherer oder niederer Temperatur vor sich geht, stets bleibt die freigewordene Wärmemenge eine unveränderliche Größe.
Der Kohlenstoff der Speisen, der sich im Thierkörper in Kohlensäure verwandelt, muß ebenso viel Wärme entwickeln, als wenn er in der Luft oder im Sauerstoff direct verbrannt worden wäre; der einzige Unterschied ist der, daß die erzeugte Wärmemenge sich auf ungleiche Zeiten vertheilt; in reinem Sauerstoffgas geht die Verbrennung schneller vor sich, die Temperatur ist höher, in der Luft langsamer, die Temperatur ist niedriger, sie hält aber länger an.
Es ist klar, daß mit der Menge des in gleichen Zeiten durch den Athmungsproceß zugeführten Sauerstoffs die Anzahl der freigewordenen Wärmegrade zu- oder abnehmen muß. Thiere, welche rasch und schnell athmen und demzufolge viel Sauerstoff verzehren, besitzen eine höhere Temperatur als andere, die in derselben Zeit, bei gleichem Volum des zu erwärmenden Körpers, weniger in sich aufnehmen; ein Kind mehr (39°) als ein erwachsener Mensch (37,5°), ein Vogel mehr (40-41°) wie ein vierfüßiges Thier (37-38°), wie ein Fisch oder Amphibium, dessen Eigentemperatur sich 11⁄2 bis 2° über das umgebende Medium erhebt[E5]. Alle Thiere sind warmblütig, allein nur bei denen, welche durch Lungen athmen, ist die Eigenwärme ganz unabhängig von der Temperatur der Umgebung.
Die zuverlässigsten Beobachtungen beweisen, daß in allen Klimaten, in der gemäßigten Zone sowohl wie am Aequator oder an den Polen, die Temperatur des Menschen, so wie die aller sogenannten warmblütigen Thiere, niemals wechselt; allein wie verschieden sind die Zustände, in denen sie leben.
Der Thierkörper ist ein erwärmter Körper, der sich zu seiner Umgebung verhält wie alle warmen Körper; er empfängt Wärme, wenn die äußere Temperatur höher, er giebt Wärme ab, wenn sie niedriger ist, als seine eigene Temperatur.
Wir wissen, daß die Schnelligkeit der Abkühlung eines warmen Körpers wächst mit der Differenz seiner eignen Temperatur und der des Mediums, worin er sich befindet, d. h. je kälter die Umgebung ist, in desto kürzerer Zeit kühlt sich der warme Körper ab.
Wie ungleich ist aber der Wärmeverlust, den ein Mensch in Palermo erleidet, wo die äußere Temperatur nahe gleich ist der Temperatur des Körpers, und der eines Menschen, der am Pole lebt, wo die Temperatur 40-50 Grade niedriger ist.
Trotzt diesem so höchst ungleichen Wärmeverlust, zeigt die Erfahrung, daß das Blut des Polarländers keine niedrigere Temperatur besitzt, als das des Südländers, der in einer so verschiedenen Umgebung lebt.
Diese Thatsache ihrer wahren Bedeutung nach anerkannt, beweis’t, daß die nach Außen hin abgegebene Wärme in dem Thierkörper mit großer Schnelligkeit ersetzt wird; im Winter erfolgt diese Erneuerung schneller wie im Sommer, am Pole rascher wie am Aequator.
In verschiedenen Klimaten wechselt nun die Menge des durch die Respiration in den Körper tretenden Sauerstoffs nach der Temperatur der äußern Luft; mit dem Wärmeverlust durch Abkühlung steigt die Menge des eingeathmeten Sauerstoffs; die zur Verbindung mit diesem Sauerstoff nöthige Menge Kohlenstoff oder Wasserstoff, sie muß in einem ähnlichen Verhältniß zunehmen.
Es ist klar, daß der Wärmeersatz bewirkt wird durch die Wechselwirkung der Bestandtheile der Speisen, die sich mit dem eingeathmeten Sauerstoff verbinden. Um einen trivialen aber deswegen nicht minder richtigen Vergleich anzuwenden, verhält sich in dieser Beziehung der Thierkörper, wie ein Ofen, den wir mit Brennmaterial versehen. Gleichgültig, welche Formen die Speisen nach und nach im Körper annehmen, welche Veränderungen sie auch erleiden mögen, die letzte Veränderung, die sie erfahren, ist eine Verwandlung ihres Kohlenstoffs in Kohlensäure, ihres Wasserstoffs in Wasser; der Stickstoff und der unverbrannte Kohlenstoff, sie werden in dem Urin und den festen Excrementen abgeschieden. Um eine constante Temperatur im Ofen zu haben, müssen wir, je nach der äußern Temperatur wechselnd, eine ungleiche Menge von Brennmaterial einschieben.
In Beziehung auf den Thierkörper sind die Speisen das Brennmaterial; bei gehörigem Sauerstoffzutritt erhalten wir die durch ihre Oxydation freiwerdende Wärme. Im Winter, bei Bewegung in kalter Luft, wo die Menge des eingeathmeten Sauerstoffs zunimmt, wächst in dem nämlichen Verhältniß das Bedürfniß nach kohlen- und wasserstoffreichen Nahrungsmitteln, und in Befriedigung dieses Bedürfnisses erhalten wir den wirksamsten Schutz gegen die grimmigste Kälte. Ein Hungernder friert. Jedermann weiß, daß die Raubthiere der nördlichen Klimate an Gefräßigkeit weit den in südlichen Gegenden voranstehen.
In der kalten und temperirten Zone treibt uns die Luft, die ohne Aufhören den Körper zu verzehren strebt, zur Arbeit und Anstrengung, um uns die Mittel zum Widerstande gegen diese Einwirkung zu schaffen, während in heißen Klimaten die Anforderungen zur Herbeischaffung an Speise bei weitem nicht so dringend sind.
Unsere Kleider sind nur Aequivalente für die Speisen; je wärmer wir uns kleiden, desto mehr vermindert sich das Bedürfniß zu essen, eben weil der Wärmeverlust, die Abkühlung und damit der nöthige Ersatz durch Speisen kleiner wird.
Gingen wir nackt wie der Indianer, oder wären wir beim Jagen und Fischen denselben Kältegraden ausgesetzt wie der Samojede, so würden wir 10 Pfund Fisch oder Fleisch und noch obendrein ein Dutzend Talglichter bewältigen können, wie uns warmbekleidete Reisende mit Verwunderung erzählt haben; wir würden dieselbe Menge Branntwein oder Thran ohne Nachtheil genießen können, eben weil ihr Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt dazu dient, um ein Gleichgewicht mit der äußeren Temperatur hervorzubringen.
Die Menge der zu genießenden Speisen richtet sich nach den vorhergehenden Auseinandersetzungen, nach der Anzahl der Athemzüge, nach der Temperatur der Luft, die wir einathmen und nach dem Wärmequantum, was wir nach außen hin abgeben.
Keine isolirte, entgegenstehende Thatsache kann die Wahrheit dieses Naturgesetzes ändern. Ohne der Gesundheit einen vorübergehenden oder bleibenden Nachtheil zuzufügen, kann der Neapolitaner nicht mehr Kohlenstoff und Wasserstoff in den Speisen zu sich nehmen, als er ausathmet, und kein Nordländer kann mehr Kohlenstoff und Wasserstoff ausathmen, als er in den Speisen zu sich genommen hat, wenn nicht im Zustand der Krankheit, oder wenn er hungert, Zustände, die wir näher beleuchten werden.
Der Engländer sieht mit Bedauern seinen Appetit, der ihm einen häufig wiederkehrenden Genuß darbietet, in Jamaica schwinden, und es gelingt ihm in der That, durch Cayennepfeffer und die kräftigsten Reizmittel die nämliche