Zuallererst gestehe ich, dass dieses Buch ein totales Plagiat ist.
Ich bin schon seit vielen Jahren ein Fan von Webcomics. Leser meiner früheren Bücher, die Bun-Bun gegoogelt haben, wissen, wie sehr ich Sluggy Freelance mag.
Und jetzt sehen Sie sich mal Schlock Mercenary an: www.schlockmercenary.com. Nur zu. Ich warte so lange.
Ganz laaaange. Weil Schlock seit dem Juli 2000 friedlich unter der Feder eines gewissen Howard Tayler, bon vivant und eine wichtige Persönlichkeit von Salt Lake City (nicht) dahingezockelt ist. Und im Gegensatz zu manchen Webcomics (und manchen Autoren, die hier ungenannt bleiben sollen) hat Howard es geschafft, fokussiert zu bleiben und regelmäßig erstaunliche Geschichten zu liefern. Jeden. Einzelnen. Tag. Die Leute sagen immer, ich würde viel schreiben, aber ich habe echt keine Ahnung, wie er das schafft. Es ist wie Voodoo. Eine Krankheit? Eine Verletzung? Nichts hat Howard aufhalten können, und ich kann nur hoffen, dass das auch weiterhin so bleibt. Möge ihm ewiges Leben beschert sein.
Nun mag ich zwar Schlock und Tagons Toughs, aber was mich als Schriftsteller wirklich fasziniert hat, war die Zeit des ersten Kontakts, worauf er nur oberflächlich eingeht. Was würde passieren, wenn plötzlich eine Rasse von Aliens ein Tor zu anderen Welten in unser Sonnensystem schieben würde? Und Howard hat sich auch nicht ganz klar darüber ausgelassen, was unmittelbar danach passiert ist. »Eine Welt« auf einen Schlag ist nach meiner Ansicht recht unwahrscheinlich.
Und noch etwas mag ich an Schlock: In den goldenen Tagen der Science-Fiction waren die Leute bereit, groß zu denken. Seit wir Probleme dabei bekommen haben, von diesem Brocken Lehm wegzukommen, sind die Schriftsteller anscheinend der Ansicht, dass wir klein denken müssen. Howard (und ich) sind da anderer Ansicht. Der Weltraum ist so riesig, dass es einem den Verstand raubt, und dann ist er auch noch gewaltig und ordentlich und beängstigend und sauber und riesengroß. Die Hauptperson in seinem Buch ist jemand, der vielleicht wegen seiner Kleinwüchsigkeit der Ansicht ist, dass »Cheops nicht ehrgeizig genug war«. Dies hier ist ein Buch, in dem es um grandiose Visionen geht. Zum Teufel mit Mikrosatelliten. Man gebe mir gewaltige Flotten brüllender Raumschiffe! Man gebe mir die Vision, Welten zu terraformen! Man gebe mir Schlachten, bei denen sich ein Mensch seiner winzigen, kleinen kosmischen Belanglosigkeit bewusst wird, und man gebe mir handelnde Personen, die das mit einem Achselzucken abtun und erklären »Ja, aber wir haben diese Kriegsmaschinen geschaffen, wer ist also wirklich größer?«
Und wenn mir das sonst keiner aus der Science-Fiction Zunft im erdnahen Raum und in naher Zukunft liefert, nun, verdammt nochmal, dann muss ich es eben selbst schreiben!
Und dann gefällt mir an Schlock noch, dass Howard keine Angst davor hat, sich einfach in den Bereich der Science-Fiction hineinzustürzen, wo es um Science geht, also um Naturwissenschaft. Und deshalb dürfen Sie in dieser Science-Fiction mit einem gewissen Maß an Naturwissenschaft rechnen. Sie werden schon darüber hinwegkommen.
Dies ist kein Buch für Leute, die »das Andere« liefern. Da gibt es keine »originellen« Konzepte dazu, wie Bewohner anderer Welten aussehen könnten. Das Hübsche an Schlock ist unter anderem, dass die Aliens einfach Leute sind. Nicht besonders gut oder schlecht, nicht besonders großspurig oder kriecherisch, nicht besonders anderweltlerisch. Einfach Leute. Und das gilt auch für Howards Menschen. Sie haben sich nicht in etwas verwandelt, was keiner mehr erkennt. Es sind einfach Leute, die ihre Arbeit tun. (Soweit das Tagons Toughs betrifft, besteht die darin, Lebewesen umzubringen und Sachen zu zerschlagen und dafür so viel Geld zu kassieren, wie sie herauspressen können.) Und in diesem Buch und den anderen, von denen ich hoffe, dass sie auf dieses hier folgen werden, werden Sie genau das bekommen. Leute, die Leute sind, und Aliens, die nicht sehr viel anders sind.
Ist das ein Vorläufer zu Schlock? Das liegt bei Howard; ich spiele hier mit seiner Erlaubnis einfach irgendwie in seinem Universum herum. Und ich habe jeden Augenblick Spaß dabei.
Und die zweite Danksagung, genauso wichtig wie die erste, gilt den Leuten, die mir bei diesem Roman geholfen haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass man in puncto Naturwissenschaft keine Fehler machen sollte, wenn man Science-Fiction schreiben will. Passen Sie nur auf, dass ich nicht anfange, mich über Leute aufzuregen, die glauben, sie könnten Science-Fiction schreiben, und keine Ahnung von den Grundlagen der Chemie, der Physik oder der Astronomie haben. (M. Night Shyamalan fällt mir da ein.) Bedauerlicherweise sind auch meine eigenen Kenntnisse in allen drei Disziplinen recht beschränkt. Im Gegensatz zu Robert Heinlein bin ich kein Ingenieur. Und auch kein Astrophysiker wie David Brin.
Wenn ich deshalb große, verrückte Weltraumideen bekomme, brauche ich Hilfe. Massenhaft Hilfe. In den Vorpal-Blade-Büchern liefert die in sehr talentierter Weise Dr. Travis Taylor, Ph. D. Leider hat Doc im Augenblick aber sehr viel zu tun und dazu noch seine eigenen Projekte. Und deshalb musste ich mir bei anderen Unterstützung holen. Am erwähnenswertesten unter den vielen Leuten, die zu diesem Roman beigetragen haben, sind sicherlich Bullet Gibson und seine reizende Frau Belinda. Die beiden haben ein sehr ungehobeltes Manuskript in die Hand genommen und ohne jede Unterstützung, außer meinem Dank, nicht nur die vielen Probleme von Masse, Volumen und Geschwindigkeit, sondern auch meine (zahlreichen) grammatikalischen Fehler ausgebügelt.
John Ringo war Spezialist bei der US-Army, Meeresbiologe und ist Autor zahlreicher Science-Fiction-Romane sowie der weltweit erfolgreichen Military-SF-Serien Die Nanokriege und Invasion.
Die Starfire trieb zwischen den Überresten der Schlacht. Sie machte so langsame Fahrt, dass man den Eindruck haben konnte, sie sei auch nur ein Brocken Schrott. Aus den Lautsprechern tönte »Per L’Eternita«, und Tyler hielt einen Schwenker mit hundertjährigem Cognac und eine kubanische Zigarre in der Hand.
Paws und Myrmidons stocherten zwischen den zerfetzten Schiffen herum, suchten nach Überlebenden und brachten den Schrott in Positionen, wo er besser zu bewältigen war. Bergungsmannschaften erforschten, was noch zu gebrauchen und was ebenso gut für die Fabber eingeschmolzen werden konnte.
Tyler hatte die Nachrichten nach einem kurzen Blick auf den Bildschirm abgeschaltet. Zum ersten Mal war die Erde unversehrt aus einer Schlacht hervorgegangen, und die Menschenmassen, die nie den Fuß in den Weltraum setzen würden, tanzten auf den Straßen. Ein paar Augenblicke lang gab es nichts als Lob für die Troy und den SAPL und sogar für LFD. Das ärgerte ihn. Nur allzu bald würde der Mob wieder nach Blut schreien. Ein Mob war und blieb ein Mob, ob man sie nun Hooligans oder Aktivisten oder Experten nannte. Sie alle folgten nur der neuesten Mode, der letzten Stimmung. Sie sahen nie in die Zukunft. Und sie hatten Angst vor dem Himmel dort draußen.
Troy hatte den Beschuss, dem sie ausgesetzt war, locker weggesteckt, und wenn sie auch ihre Kampffähigkeit verloren hatte, so war das nur eine Problem bis zum Abschluss von Phase eins. Aber wenn der Feind all die Tausende von Geschossen auf die Erde abgefeuert hätte, wären einige davon, nein, viele davon, durch die Verteidigungsanlagen gekommen. Senator Gullick hatte Recht. Die Verteidigungsanlagen der Erde befanden sich auf der falschen Seite des Tors.
Zwanzigtausend Tonnen Osmium. Aber das war nur eine Frage der Infrastruktur.
Er drückte seine Zigarre aus.
»Pilot. Kurs auf das Tor setzen. Zielort Wolf 359.«
»Aye, Sir.«
Zeit, die Nachtwölfe zu besuchen.
Gewöhnlich ist dies die Stelle, an der der Autor etwas über den einen oder anderen Teil seines Romans sagt. Wo die Idee ihren Ursprung nahm (übrigens keine Drogen) oder wie der Roman entstanden ist.
In diesem Fall wird es eine ganz persönliche Erklärung sein. Ist schließlich mein Buch, also kann ich mir das leisten. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann Tante Joan und Onkel Charles in mein Leben getreten sind. Sie tauchten einfach auf einer von Moms Partys im Iran auf und gehörten dann die nächsten zwei Jahre mit dazu. Nach dem Iran habe ich sie nur noch selten gesehen, einmal in England auf einer meiner Reisen, und das einzige Mal, als sie in den Staaten waren und ich zur rechten Zeit auch da war.
Aber außer meinen Eltern und meiner Horde von Brüdern und Schwestern kenne ich keine zwei Menschen, die mehr Einfluss auf mein Leben hatten.
Tante Joan war, ehe sie geheiratet hatte, eine von den Typen gewesen, wie man sie heutzutage nur in einem Agatha-Christie-Roman findet. Sie hatte sich auf ein Leben als Barfrau und Bedienung eingelassen und schien keine Probleme damit zu haben. Ebenso wenig wie sie damit Probleme hatte, in einer kosmopolitischen Stadt mit Akademikern zusammen zu sein. Sie nahm das Leben so wie es kam, und ob sie oben oder unten war, schien ihr nie etwas auszumachen. Von allen Romanfiguren, über die ich gelesen habe, scheint mir Nanny Ogg, die »Mutter« der drei Hexen in Pratchetts »Scheibenwelt«, Tante Joan am ähnlichsten zu sein. Sie besaß dieselbe ständig gelebte Lebensfreude: »Und schenk mir nach, sei so nett!« Wenn ich an Tante Joan denke, kann ich mich an kein einziges Mal erinnern, wo sie bedrückt oder deprimiert gewesen wäre, nur immer kurz davor, zu lachen.
Was ich von Tante Joan gelernt habe:
Serviere von links, räume von rechts ab. Mit Ausnahme von Getränken, die werden immer von rechts serviert und abgeräumt.
Wie man sein Essen auf die umgedrehte Gabel bringt, wenn man sie in der linken Hand hält. »Und die Erbsen immer zerdrücken!«
Wie man richtig mit Löffel und Gabel Salat serviert. (Ein wenig ist das so, als wenn man Essstäbchen benutzen würde. Nämlich umgekehrt.)
Wie man richtig Bier eingießt. (»Nee! Das Glas kippen, sonst bekommst du nur Schaum!«)
Eis, Scotch, Soda. Die Reihenfolge ist wichtig.
Wie man einen Teppichverkäufer herunterhandelt.
Wie man mit einem iranischen Taxifahrer spricht.
Wie man knickst.
Wie man sein Bett macht. (Das half mir, als ich zum Militär kam.)
Ma’am wird Mum ausgesprochen.
Und am allermeisten, und das, was ich ständig vergesse:
Das Leben ist kurz, du musst jede Sekunde genießen.
Ich trinke selten, aber bei meiner nächsten Veranstaltung habe ich vor, ein Glas Guinness auf Tante Joan zu heben. Du fehlst mir seit Jahren, Tante Joan, aber ich glaube, ich werde damit leben müssen, dass du mir weiterhin fehlst.
John Ringo
Chattanooga, TN
August 2009
– ENDE –
Man sagt, die größten Veränderungen in der Wissenschaft würden dann eintreten, wenn irgendein Forscher sagt: »Hmm, das ist seltsam.« Für Beziehungen gilt dasselbe: »Das ist aber nicht meine Lippenstiftfarbe …« – oder im Krieg: »Das ist eine eigenartige Staubwolke …«, etc.
Aber in diesem Fall geht es um die Wissenschaft. Und um Beziehungen. Und um Krieg.
Und die Dinge sind einfach gigantisch groß und schwer zu erfassen, weil der Weltraum eben so ist.
»Hmm, das ist seltsam.«
»Was?«
Chris Greenstein war trotz seines Namens ein schlaksiger, gut aussehender blonder Mann, den die meisten Leute irrtümlicherweise für einen besonders blassen Surfertyp hielten. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass er die Damenwelt sehr beeindruckte – bis er den Mund aufmachte. Und deshalb gab er sich in der Öffentlichkeit einfach als groß, blond und dämlich. Und stumm. Er besaß ein Diplom in Aeronautik und einen Doktortitel in Astrophysik. Ersteres hätte ihm einen gut bezahlten Job eintragen können, wenn er nicht bei jedem Bewerbungsgespräch in irgendeinen Fettnapf getreten wäre. Der zweite Titel lief normalerweise auf eine schlecht bezahlte Akademikerkarriere mit einem Nebenjob bei McDonald’s hinaus. Mit der Uni hatte er dasselbe Problem wie mit der freien Wirtschaft.
Chris war Manager der dritten Schicht im Datencenter von Skywatch. Skywatch war eine unterfinanzierte und von niemandem beachtete Ansammlung von Computerfreaks, Sonderlingen und Doktoren der Astronomie, die anderswo keinen Job finden konnten und die sich der sehr wichtigen und sehr wenig verstandenen Aufgabe widmeten, den Himmel nach irgendwelchem Zeug abzusuchen, das vielleicht den Weltuntergang herbeiführen könnte. Am gefährlichsten waren Kometen, die sich, obwohl sie im Wesentlichen die Konsistenz von Speiseeis hatten, sehr schnell bewegten und im Allgemeinen sehr groß waren. Und wenn eine Kugel Speiseeis von der Größe der Insel Manhattan auf einen Planeten trifft und sich dabei schneller bewegt als alles, was die Menschheit herstellen kann, dann gibt das nicht bloß einen Knall. Sie verwandelt sich dann in eine Feuerkugel, die sich nur darin von einer Atombombe unterscheidet, dass sie keine Strahlung freigibt. Stattdessen stößt sie Plasma, gewaltige Mengen von herumfliegendem brennendem Gestein und heißen Gasen aus. Über einen ganzen Kontinent. Und dann bekommt die Welt oder zumindest die Biosphäre mehr oder weniger den großen blauen Bildschirm des Todes, wird resettet und fängt mit irgendwelchen Krokodilen und ein oder zwei Nagetieren wieder von vorne an.
Ein Komet hat die Dinosaurier umgebracht. Die meisten Leute bei Skywatch verdienten nicht viel mehr als den Mindestlohn. Macht einen nachdenklich.
Skywatch benutzte alles, was schnell, billig und einfach zu kriegen war, um nach »Zeug« Ausschau zu halten. Sie hatten Datenspeicher, in denen all die wirklich riesigen Mengen von Zeug enthalten waren, also Kometen, Asteroiden, kleinere Monde, Felsen und allgemeiner Schutt, die das Sonnensystem füllten. Gelegentlich meldete sich jemand bei ihnen, der glaubte, die nächste Apokalypse entdeckt zu haben. Auffinden, identifizieren, Kurs auf die Erde? Ja/nein? Neu? Ja/nein? Das meiste lief automatisch ab. Das meiste besorgten andere Leute: Im Wesentlichen jeder, der ein Teleskop besaß, angefangen bei Amateuren, die es in ihrem Hinterhof stehen hatten, bis zu dem Team, das das Hubble betrieb – sie alle waren Teil von Skywatch. Aber fünfunddreißig Leute (darunter zwei Frauen) wurden dafür bezahlt (nicht viel mehr als Mindestlohn), zu sortieren und auszufiltern und die Drecksarbeit für die anderen zu machen.
Chris kaute ständig an seinen Nägeln. Die meisten Leute, die längere Zeit für Skywatch tätig waren, entwickelten irgendeinen Tick. Sie wussten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass zu ihren Lebzeiten »The Big One« eintrat, wesentlich geringer war, als fünfzehnmal nacheinander den Haupttreffer in der Lotterie zu gewinnen. Und selbst dass es irgendwo, wo es etwas ausmachen würde, zu einem »Little Bang« kam, war unwahrscheinlich. Oder dass irgendwo an einer wichtigen Stelle ein kohlehaltiger Asteroid mit der Wirkung einer 25-Megatonnen-Atombombe einschlug. Die Welt besteht zu einem Siebtel aus Ozeanen, und selbst die Landflächen sind verblüffend leer.
Aber tagaus, tagein mit der Gewissheit zu leben, dass Schicksal der Welt in den Händen zu halten, setzt einem allmählich zu. Die meisten Leute blieben höchstens fünf Jahre bei Skywatch, allein schon wegen der miesen Bezahlung. Chris hatte als Filtertechniker dort angefangen (»Ja, das ist ein Asteroid. Er ist bereits kategorisiert. Danke …«). Das war vor sechs Jahren gewesen. Sein Ablaufdatum war schon lange vorbei, und sein blondes Haar fing an, grau zu werden.
»Das ist eine Spur. Aber eine höchst seltsame Spur. Der Algorithmus sagt, dass das eine Fehlanzeige ist.«
Die Art und Weise, wie man Asteroiden und Kometen entdeckt, hat mit der Art und Weise zu tun, wie man Sterne betrachtet. Je mehr Sternenlicht gesammelt wird, umso kräftiger ist das Bild. Früher machte man das, indem man eine Fotoplatte an ein Teleskop hängte, das langsam über den Nachthimmel wanderte und die winzige Streuung von Photonen aufnahm, die von dem fernen Stern ausgingen. Die Computer haben das nur in dem Punkt verändert, dass sie das Bild präziser auflösen, es falten, es um seine Achse drehen und verstümmeln können, und dass anstelle einer Fotoplatte ein CCD-Chip verwendet wird.
Wenn man das Teleskop auf einen Stern gerichtet hat und sich etwas über das Sichtfeld bewegt, erzeugt das eine Spur. Asteroiden und Kometen sind näher bei uns als Sterne, und wenn sie sich quer über den Sichtwinkel bewegen, erzeugen sie eine solche Spur. Wenn sie sich auf einen zubewegen, erzeugen sie eine kleine Spur, wenn sie quer über das Sichtfeld fliegen, eine große. Der Winkel der Sonne ist wichtig. Ebenso die Größe des Objekts. Etc.
Ernsthafte Forscher hatten keine Zeit für Spuren. Aber jede Spur könnte wichtig sein, also schickten sie sie zu Skywatch, wo Server alle Daten der Spur in ihre Bestandteile zerlegten und schließlich meldeten, ob es sich um eine bereits identifizierte Spur, eine neue Spur, eine »schlimme neue Spur« etc. handelte. In diesem Fall meinten die Server, sie sei »seltsam«.
»Definiere seltsam«, sagte Chris und rief die Daten auf. Skywatch-Leute sahen sich selten Bilder an. Was er sah, war eine Menge Ziffern, die für den Uneingeweihten einfach nur eine gewaltige Masse rätselhafter Zahlen wäre. Für Chris erzeugte die Ziffernmasse sofort ein Bild des fraglichen Objekts. Und die Ziffern waren sehr seltsam. »Lass mal. Albedo null Komma dreiundsiebzig? Perfekter Kreis? Durchmesser zehn Komma eins vier acht Kilometer? Frage: ringförmig? Geschwindigkeit …? Das ist kein Fehler, das ist ein Witz. Wo kam das her?«
»Max Planck. Von Calar Alto. Das ist das Problem. Die Deutschen …«
Calar Alto war ein aus mehreren mächtigen Teleskopen bestehender Komplex in Andalusien. Ein Gemeinschaftsprojekt der spanischen und der deutschen Regierung. Den deutschen Teil betrieb das Max-Planck-Institut für Astronomie, und obwohl die Anlage in Spanien stand, leistete Max Planck in Calar Alto die meiste Arbeit.
»Die sind nicht gerade dafür berühmt, Witze zu machen«, sagte Chris. Er sah sich erneut Winkel und Flugbahn an und zuckte die Achseln. Das Unangenehme an der Arbeit für Skywatch war, dass man sich Sorgen um »The Big One« machte. Das Angenehme war, dass es niemals einen akuten Katastrophenfall gab. Alles, was sie entdeckten, würde vermutlich lange Zeit brauchen, um zur Erde zu kommen. »Markieren und kategorisieren. Es befindet sich auf keiner Bahn zur Erde. Der Winkel passt nicht, die Geschwindigkeit ist völlig falsch. Bitten Sie Calar, die sollen, wenn sie mal Zeit haben, eine weitere Aufnahme machen. Und wir behalten das Ding besser im Auge, denn bei der Geschwindigkeit wird es in ein paar Jahren quer durchs ganze Sonnensystem schießen, und wenn es etwas trifft, dann wird das echt cool.«
»Weißt du, wie das aussieht?«
»Klar. Wie ein Heiligenschein.«
Chris griff benommen nach seinem Telefon und blickte auf die Nummer auf dem Display.
»Hallo?«
»Chris? Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe. Ich bin’s, Jon. Könnten Sie heute ein wenig früher reinkommen? Wir haben eine Leitungsbesprechung.«
»Was gibt’s denn?« Chris setzte sich auf und rieb sich die Augen. Jon Marin war der Direktor von Skywatch. Er wusste, dass das Gehalt seiner Abteilungsleiter nicht hoch genug war, um sie mitten in der Nacht aufwecken zu dürfen.
»Es geht um das Ding mit dem Heiligenschein, es hat eine … Anomalie gegeben. Wir besprechen das, wenn Sie hier sind. Wir haben um vier eine Videokonferenz mit Calar. Bitte versuchen Sie, da zu sein.«
»Ja, Sir«, sagte Chris. Er sah auf die Uhr und seufzte. Dann würde er eben aufstehen, der Tag war ohnehin schon im Eimer.
»Guten Tag, Dr. Heinsch …«
Trotz seines Namens sah Jon Marin aus wie der Inbegriff eines New Yorker Juden und klang auch so. Was er auch war. Sein erster Doktortitel stammte von der NYU, der nächste von der MIT, anschließend war er nach Stanford gegangen. Sein Bruder war Staranwalt in New York und verdiente jedes Jahr einen siebenstelligen Betrag. Seine Mutter ließ ihn das nie vergessen. Er versuchte immer wieder, ihr klarzumachen, dass er schließlich ein Doktor sei, aber das half nichts.
»Dr. Marin, Dr. Eisenbart, Dr. Fickle, Dr. Greenstein …«
»Doktor.« – »Doktor.« – »Doktor.« – »Doktor.«
»Als Erstentdecker haben wir das Objekt den Gudram-Ring getauft. Das muss natürlich noch bestätigt werden. Aber es gibt da eine Anomalie, mit der wir nicht klarkommen. Wir hatten einen Beobachtungszyklus, in dem unsere Geräte auf diesen Himmelsabschnitt gerichtet waren, aber als wir versuchten, den Ring zu finden, war er anscheinend verschwunden.«
»Verschwunden?«, sagte Chris. »Wie kann etwas, das zehn Kilometer groß ist, verschwinden?«
»Das haben wir uns auch gefragt«, erwiderte Dr. Heinsch ruhig. »Ich habe mir die Genehmigung beschafft, einen Durchlauf dafür einzusetzen. Ich habe drei volle Durchläufe gebraucht.«
»Ein Durchlauf kostet etwa …?«, wollte Dr. Marin wissen.
»Eine Million Euro. Aber etwas, das einmal da war und jetzt nicht mehr? Wir hielten den Aufwand für angemessen. Und wir hatten Recht. Schließlich haben wir das Objekt gefunden. Hier sind die neuen Daten.«
Die Astronomen beugten sich vor und sahen sich die Messwerte einen Augenblick lang an.
»Es ist langsamer geworden«, sagte Chris nach einer Weile. Schließlich fand er einen Fingernagel, der noch nicht ganz abgeknabbert war, und fing an, daran zu kauen. »War da … das Objekt hatte doch nichts, was eine Gravitationsanomalie verursachen könnte. Es kommt von außerhalb der Ebene der Ekliptik.«
Das meiste »Zeug« im inneren Sonnensystem bewegte sich auf einer einigermaßen flachen Ebene, die man als die »Ekliptikebene« bezeichnet. Erde, Mars, der Asteroidengürtel wurden alle geformt, als die Sonne eine flache Scheibe war. Die äußeren Schichten sind abgekühlt und zu Planeten erstarrt, und dann hat sich das Leben geformt, und da sind wir jetzt. Wir sind alle aus dem Stoff, aus dem die Sterne sind.
Wenn der Ring entlang der Ekliptik hereingekommen wäre, hätte er vielleicht einen Mond oder einen Planeten passiert, was zu einer Änderung seiner Geschwindigkeit geführt hätte, etwas, das man als »Delta-v« bezeichnete. Aber »oben« im Sonnensystem gab es keine Planeten, und das Objekt befand sich innerhalb der Oort-Wolke.
»Korrekt«, sagte Dr. Heinsch wie zu einem besonders intelligenten Kind. Aus der Sicht »echter« Wissenschaftler, forschten, die, die es können, während die, die es nicht können, lehren. Und wer weder forschen noch lehren kann, arbeitet für Skywatch.
»Sind diese Daten bestätigt?«, fragte Dr. Marin sehr vorsichtig. Skywatch kam gewöhnlich nur dann in die Nachrichten, wenn sie »Der Himmel stürzt ein!« brüllten. Da sich diese Prophezeiung bisher kein einziges Mal bewahrheitet hatte, waren sie sehr vorsichtig geworden. Und diesmal stürzte der Himmel nicht ein. Diesmal …
»Absolut«, sagte Dr. Heinsch. »Aber wir haben sie Ihnen als Rohdaten geschickt. Und dann haben wir die russischen, japanischen und italienischen Institute informiert.«
»Ja«, sagte Dr. Marin und nickte. »Ich denke, wir müssen sehr vorsichtig mit dieser Sache umgehen, solange sie nicht in allen Details bestätigt ist …«
»Das ist ein Raumfahrzeug!«, platzte Chris heraus.
»Wir müssen sehr vorsichtig sein«, sagte Dr. Marin, drehte sich halb herum und funkelte Chris an.
»Aber es bremst!« Chris deutete auf den Bildschirm. »Beim gegenwärtigen Delta-v wird es irgendwo in der Nähe der Erde zum Stillstand kommen!«
»Anscheinend ist die Flugbahn auf den Erde/Sonne-Lagrange-Punkt L2 gerichtet«, sagte Dr. Heinsch und nickte. »Die Frage ist natürlich, was es dann machen wird.«
»Wir brauchen eine definitive Bestätigung, dass das so ist, ehe wir irgendetwas unternehmen«, sagte Dr. Marin.
»Ich bin sicher, dass wir die schnell bekommen werden. Ich würde vorschlagen, dass Sie mit Palomar Verbindung aufnehmen und deren Meinung hören. Guten Tag, meine Herren Doktoren.«
Für die großen Teleskope der wichtigsten Länder der Erde wird die Planung für solche Aufnahmen Monate, manchmal sogar Jahre im Voraus festgelegt. Die Teleskope kosten ja auch eine Menge Geld.
Während in jener Nacht die Schattengrenze um den Globus wanderte, wurden alle Terminplanungen dieser Art auf unbestimmte Zeit ausgesetzt, und Dutzende von Teleskopen richteten sich auf einen sehr kleinen Abschnitt des Himmels.
Es gab natürlich ein gewaltiges Geschrei bei den »echten« Forschern. Denen, die Staatsgelder hatten, beispielsweise um die Sauerstofferzeugung von Mira-Sternen zu studieren, die natürlich wesentlich wichtiger waren als alles andere, das möglicherweise passieren konnte, ganz besonders bei diesen Pfuschern von Skyw… EIN WAS?
Und dann erfuhr es die Presse.
»Der Gudram-Ring hat eine stationäre Position am Lagrange-Punkt L2 eingenommen«, brummte Dr. Heinsch und sah auf seine Notizen. »Die Position ist nicht völlig stabil, aber anscheinend besitzt der Ring eine Art Stabilisierungssystem. Da er imstande war, ein Delta-v einzuhalten, um beim Einflug in das Sonnensystem abzubremsen, ist diese Fähigkeit offenkundig vorhanden. Der L2-Punkt erzeugt jedoch eine stabile gravitatorische Interaktion zwischen Erde und Sonne, deshalb sind dort auch so viele Weltraumteleskope platziert. Der Energieoutput für die Stabilisierung ist demzufolge gering. Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir keine Ahnung, welche Methode der Ring benutzt oder welchen Zweck er erfüllt. Fragen?«
»Wozu dient der Ring?«, fragte der erste Reporter.
»Ich wiederhole, wir haben bezüglich der Methode keine Ahnung, wir wissen nicht, wie er funktioniert oder was er bezweckt, und wissen nicht, weshalb er hier ist. Im Augenblick ist er ebenso rätselhaft wie der Monolith aus 2001: Odyssee im Weltraum …«
»Büro des Präsidenten. Falls Sie eine Nachricht für den Präsidenten der Vereinigten Staaten hinterlassen wollen, drücken Sie bitte die 1. Für den Vizepräsidenten drücken Sie bitte die 2. Für die First Lady drücken Sie die 3 …«
Die Telefonzentrale für die allgemeine Kontaktnummer für das Weiße Haus befand sich nicht im Weißen Haus. Sie befand sich in einem unauffälligen Bürogebäude in Reston, Virginia. Dort nahmen siebzig Call-Center-Mitarbeiter, vorzugsweise weiblichen Geschlechts, Anrufe von gewöhnlichen Bürgern, die den Präsidenten sprechen wollten, entgegen.
In der Frühzeit des Telefons wurden alle Anrufe abgehört, Aufzeichnungen wurden gemacht und täglich zusammengetragen und geortet. Dazu brauchte man eine Menge Leute, die sich die Notizen ansahen und sich überlegten, was sie bedeuteten. Aber es gab allgemeine Grundmuster. Die Anrufe lagen auf einer Dreierskala. »Ich liebe den Präsidenten so sehr, dass ich sein Sperma möchte.« – »Der Präsident ist ein Idiot.« – »Der Präsident wird am Freitag um vier Uhr Nachmittag sterben.« Also gab es Standardformulare. Dann kamen die Computer. Und Nummernspeicher. Und Stimmerkennung. Und automatische Stimmsynthese. Und Weiterleitungen und …
Die Arbeit der siebzig Leute bestand im Wesentlichen darin, die Sache den Computern zu überlassen.
Aber wenn man Weiterleitung richtig benutzte, konnte man auch an einen lebenden Menschen geraten.
»Büro des Präsidenten.«
»Das ist kein Witzanruf«, sagte eine Roboterstimme. »Dieses System kann normalerweise die Nummernerkennung nicht blockieren. Bitte sehen Sie sich die Nummer auf dem Display an.«
Die Mitarbeiterin sah auf ihr Display und runzelte die Stirn. Sie sah eine willkürliche Folge von Ziffern.
»Sich in das Weiße Haus einzuhacken ist strafbar und …«
»Bitte kontaktieren Sie Ihre Geheimdienstagenturen und lassen Sie sich bestätigen, dass dieser Anruf von einem Satelliten kommt und nicht von einer Quelle auf dem Boden. Wir sind die Grtul, die Leute des Rings. Wir kommen in Frieden. In fünf Tagen, an Ihrem Donnerstag, um zwölf Uhr Mittag nach Greenwich-Zeit, werden wir Ihren Präsidenten über eine besser gesicherte Leitung anrufen. Die Zeit sollte ihm ausreichen, um sich den Termin freizuhalten. Es wird ein Konferenzgespräch mit einigen Ihrer wichtigeren Staatsoberhäupter sein, mit denen wir bereits entweder Verbindung aufgenommen haben oder dies noch tun werden. Bitte stellen Sie sicher, dass Ihr Präsident über diesen Anruf informiert wird. Danke. Wiedersehen.«
»Also … wissen wir, über welche sichere Leitung sie anrufen?«, fragte der Präsident.
Der Secure Room im Weißen Haus war wie die meisten Räume im Weißen Haus klein. Und verglichen mit anderen sicheren Räumen nicht besonders sicher. Es hatte mehrere Nachbesserungen gegeben, aber wenn man es mit einem Betonkeller in einem Anfang des 18. Jahrhunderts erbauten Gebäude aus Kalkstein zu tun hat, ist da nicht viel zu machen. Die Vereinigten Stabschefs zogen den Tank im Pentagon unbedingt vor.
»Wir sind bereit, ganz gleich, woher der Anruf kommt, Mr. President«, sagte der Stabschef. Der Raum war praktisch bis an die Grenze seiner Kapazität gefüllt, weil niemand wusste, wozu die Besprechung dienen sollte. Das Außenministerium, das Verteidigungsministerium, die Vereinigten Stabschefs, die NSA, die DNI, sogar das Schatzamt und das Wirtschaftsministerium hatten sich hineingedrängt. Aus dem »Kern«-Kabinett waren bis auf das Innenministerium fast alle vertreten. Zu seinem eigenen Erstaunen hatte es sogar der Direktor der NASA geschafft, einen Platz zu bekommen.
»Niemand außer mir redet«, sagte der Präsident, in dem Augenblick, in dem das Telefon klingelte. Er atmete tief durch und drückte den Knopf für den Lautsprecher. »Präsident der Vereinigten Staaten.«
»Warten … warten … anwesend sind die Präsidenten der Vereinigten Staaten und Russlands, die Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Japans, Chinas, Indiens, Brasiliens. Jeder von Ihnen hat Mitarbeiter bei sich. Wir werden keine Fragen beantworten. Wir sind die Grtul. Wir kommen in Frieden. Der Ring an Ihrem Himmel ist ein Tor zu anderen Welten. Wir stellen diese Ringe her und bringen sie in Sternsysteme. Die Benutzung des Rings ist kostenpflichtig. Der Zahlungstarif wird Ihnen übermittelt werden. Im Umkreis von dreihunderttausend Kilometern um den Ring sind keine feindlichen Energiesysteme zulässig, die imstande sein könnten, den Ring zu beschädigen. Jeder, der den Tarif bezahlt, darf den Ring benutzen.
In sieben Tagen werden wir eine allgemeine Rundfunksendung zum Thema des Rings an die Leute auf Ihrem Planeten ausstrahlen. Damit haben Sie hinreichend Zeit, eigene Erklärungen abzugeben und eine Panik zu verhindern.
Sie verfügen über ein verteiltes Informationssystem. Wir werden auf diesem Informationssystem ein Dokument erstellen, das Sie mit sämtlichen Regeln, Plänen und Regularien des Rings vertraut macht. Wir werden eine Liste von Antworten auf Fragen beifügen. In den letzten neunzig Millionen Jahren hat man uns die meisten denkbaren Fragen gestellt. Wir werden jetzt die drei häufigsten Fragen beantworten, die immer gestellt werden, und dann dieses Gespräch beenden.
Wenn wir sagen: ›Jeder darf den Ring benutzen‹, bedeutet das, dass eine andere Spezies ihn benutzen kann, um in Ihr Sonnensystem einzutreten? Ja. Bedeutet das, dass feindliche oder freundliche Kräfte ihn nutzen können? Ja. Ist es Ihnen erlaubt, den Ring zu blockieren? Nein. Wiedersehen.«
»Verdammt«, sagte der Präsident, als das Telefon verstummte. »Das waren meine wichtigsten Fragen. NASA? Ihre Meinung?«
»Die Frage, ob es feindliches Spezies auf einem hinreichend hohen Niveau geben kann, um durch den interstellaren Raum zu reisen, ist äußerst philosophisch«, sagte der Direktor. »Die dazu nötige Energie macht das Überleben einer von Natur aus feindseligen Spezies schwierig. Wenn man ein Weltraumfahrzeug herstellen kann, das imstande ist, innerhalb vernünftiger Zeit dreihunderttausend Meilen zurückzulegen, kann man eine Welt mehr oder weniger vernichten. Zumindest ihre Biosphäre. Feindliche Spezies werden daher im Laufe der Zeit dazu neigen, sich selbst auszulöschen.«
»Eine höchst philosophische These«, sagte der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs. »Aber die Tatsache, dass die Grtul feindselige Spezies erwähnen und feindselige Aktionen in der Nähe des Rings verbieten, bedeutet wahrscheinlich, dass Sie Unrecht haben. Und wie meine Leute mir sagen, können wir nicht einmal an dieses Ding ran.«
»Wir können schon hin«, sagte der Direktor. »Wir arbeiten an einem Vorschlag für ein bemanntes Raumfahrzeug, das zu dieser Reise imstande ist.«
»Zeit und Budget?«, fragte der Präsident und verzog das Gesicht.
»Etwa fünf Jahre und … na ja, am Budget arbeiten wir noch.«
»Unter oder über einer Milliarde?«, wollte der Nationale Sicherheitsberater wissen.
»Oh, unter. Wahrscheinlich.«
(Vorläufige Studien für zum Beginn einer provisorischen Entwicklungsphase nötige Studien für die Angebotsphase eines potenziellen Schiffs, um den Gundram-Ring zu erreichen, ohne in ihn einzutreten, sind von der NASA abgeschlossen worden. Kosten: 976 Millionen $.)
Der Britische Premierminister nahm den Hörer seines Telefons ab, ohne hinzusehen. Es war der Klingelton seiner Sekretärin.
»Ja, Janice?«
»Mein Name lautet tatsächlich Andrilae Rirgo von den Glatun. Ich bin der Kapitän eines Forschungsschiffs, das gerade Ihren Grtul-Ring verlassen hat. Wir kommen in Frieden und sind an Handelsbeziehungen interessiert.«
Der Premierminister sah zuerst den Telefonhörer, dann das Telefon selbst an, dessen Display eine willkürliche Folge von Ziffern anzeigte. Während er noch dabei war, den Schock zu verarbeiten, öffnete sich die Tür und seine Sekretärin fuchtelte erregt mit den Armen. Er konnte von ihren Lippen »Toraustritt« ablesen. Die recht deutlichen Handbewegungen, ganz zu schweigen sein letztes Gespräch, halfen. Er nickte ihr zu und wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu.
»Also, äh … Mr. … Rirgo, sagten Sie? Die Erde heißt Sie willkommen.«
»Wir haben also wirklich gar nichts, was die haben wollen?«, fragte der Präsident.
»Nein, Sir«, erwiderte der Wirtschaftsminister. »Die Computerchips, die sie uns anbieten, sind um Jahrhunderte weiter fortgeschritten als alles, was wir hier produzieren. Gewaltige Speicherkapazität und fast unendliche Parallelverarbeitung. Und sie lassen sich nahtlos in die terrestrischen Systeme integrieren. Irgendwie. Unsere IT-Experten kratzen sich ständig am Kopf, um sich das zu erklären. Aber jetzt liegt ziemlich auf der Hand, wie sie es schaffen, einfach in unsere Systeme einzudringen. Diese Chips sind eher Virus als Computer. Aber was sie in erster Linie haben wollen, sind Edelmetalle. Speziell die Platingruppe, die ja ziemlich selten ist. Und Gold.«
»Bauen wir das ab?«, wollte der Präsident wissen.
»Na ja, in kleinen Mengen«, sagte der Innenminister. »In Kanada gibt es mehr. Zum größten Teil extrahieren wir es beim Nickel- und Kupferbergbau. Die größten Vorkommen befinden sich in Südafrika und Russland.«
»Verdammt.«
»Ich will hoffen, dass das auch wirklich wichtig ist«, schimpfte der Präsident, als er den Kontrollraum betrat. Der Secret Service hatte ihn praktisch aus einem Gespräch mit dem saudischen Botschafter gerissen.
»Wir hatten einen Toraustritt«, sagte der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs auf einem Bildschirm.
»Die hatten wir im letzten Jahr doch alle paar Monate«, gab der Präsident zu bedenken. »Hauptsächlich Trampfrachter, wie ich vermute. Natürlich ohne damit unseren Glatun-Freunden zu nahe treten zu wollen.«
Es war schnell offenkundig geworden, dass selbst Kapitäne von Trampfrachtern sich Zugang zu jeglicher Art elektronischer Übertragung verschaffen konnten. Das hatte weniger mit den äußerst fortschrittlichen Chips zu tun, die sie gegen riesige Mengen von Schwermetallen oder allen möglichen sonstigen Dingen tauschten, die für sie Wert zu haben schienen, als mit ihren Softwaresystemen und ihrer Implanttechnik. Sämtliche Bemühungen, ihre Informationstechnologie nachzuahmen, waren bis zur Stunde erfolglos verlaufen. Nach Aussage der meisten Experten betrug der technologische Rückstand der Menschen auf die gegenwärtigen Glatun-Technologie wenigstens fünfhundert Jahre.
»Keine Glatun. Das Schiff sieht aus wie ein Kriegsschiff und reagiert nicht auf unsere Standardanrufe.«
»Ist es … groß?«, fragte der Präsident. Er war hauptsächlich wegen seines innenpolitischen Programms gewählt worden und nicht sonderlich mit internationalen Angelegenheiten vertraut, geschweige denn mit interstellaren.
»Es ist ziemlich gleichgültig, wie groß es ist, Mr. President«, erwiderte der Admiral von Space Command. »Wir bekommen die Konstruktionsunterlagen des reaktionslosen Antriebs der Glatun und ihrer Energiesysteme immer noch nicht. Also sitzen wir auf dem Boden fest. Wenn es ein Kriegsschiff ist, wird es Orbitalposition halten können. Und auf Orbitalposition hat man die ganze Welt zu Füßen.«
»Oh.«
»Die gesamten Vorräte an Edelmetallen«, berichtete der Außenminister. »In privatem wie in Firmen- oder Regierungsbesitz. Wir dürfen genügend Goldvorräte behalten, um die Computerindustrie in Gang zu halten. Wir haben darauf hingewiesen, dass uns das bei der Förderung leistungsfähiger machen würde. Das Argument haben sie akzeptiert, aber Palladium, das anscheinend für Festplattenlaufwerke wichtig ist, muss ihnen übergeben werden. Das gilt für sämtliche Regierungen der Welt. Oder unsere Städte bekommen das ab, was sie mit Mexiko City, Shanghai und Kairo gemacht haben. Also, her mit dem Zeug, dann verzichten die Horvath darauf, den Rest der Welt mit Atombomben zu erledigen.«
»Technisch gesehen, waren das keine Atombomben«, gab SpaceCom zu bedenken. »Das waren kinetische Energiewaffen. Die praktische Auswirkung ist ähnlich, aber Gott sei Dank wenigstens ohne Fallout.«
»Warum diese drei?«, fragte der Präsident. »Haben sie das gesagt?«
»Nein, Sir«, erwiderte SpaceCom. »Aber wenn Sie je eine Nachtaufnahme der Welt gesehen haben, dann liegt das ziemlich auf der Hand. Sie haben die drei herausgepickt, die am auffälligsten sind. Da wir uns hier in einem abgeschirmten Raum befinden, weise ich darauf hin, dass sie damit eine ziemlich ungeschickte Wahl getroffen haben. Ich glaube, sie sind nicht besonders gut über den Planeten informiert. Ist nicht so wichtig, aber immerhin ein potenzieller Schwachpunkt. Das sind keine Götter.«
»Richtig«, pflichtete der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs ihm bei. »Aber wir können nicht gegen sie kämpfen. Unsere Empfehlung ist, dass wir den Tribut bezahlen und versuchen, die Glatun dazu zu bewegen, sich einzuschalten. Wir können nicht gegen sie kämpfen.«
»Dann werden wir sie also hier landen lassen?«, fragte der Präsident. »Wenn ja, dann schafft das ein größeres Sicherheitsproblem.«
»Bis jetzt haben wir die Horvath noch nicht einmal zu sehen bekommen«, sagte die Außenministerin. »Alle Gespräche waren entweder elektronisch oder mit ihren Robotern. Und was die Frage angeht, wo sie landen …« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Minister für Wirtschaft und Inneres.
»Wir und Kanada werden das Wenige, was wir produzieren, nach Südafrika schicken, das die Übergabe vornehmen wird«, sagte Wirtschaft. »Es wird nur Landungen in Südafrika und Russland geben. Und nur zur Übernahme von raffinierten Metallen. Anscheinend wollen sie die Erde weiter in Betrieb lassen, damit wir weiterhin ihre Laderäume füllen können. Nicht dass wir das könnten; die Produktionsmenge der ganzen Welt beläuft sich nur auf ein paar Dutzend Tonnen im Jahr.«
SpaceCom wirkte einen Augenblick lang leicht irritiert, wahrscheinlich weil sein Adjutant ihn angetippt hatte, dann knurrte er: »Ich kapiere einfach nicht, weshalb die das Zeug von den Planeten holen«, sagte er dann. »Nach Aussage meiner Experten findet man diese Metalle hauptsächlich in Asteroiden. Wir haben im ganzen Sonnensystem verstreut eine Unmenge Asteroiden. Der Großteil von dem, was wir abbauen, stammt von Asteroiden, die irgendwann in grauer Vorzeit auf die Erde gestürzt sind. Weshalb bauen die das Zeug nicht einfach im Asteroidengürtel ab?«
»Vermutlich weil sie dort keine Sklaven haben, die das für sie tun«, sagte der Präsident trocken.
»Es kommt darauf an, was Ihre Welt als Realpolitik bezeichnet«, sagte der Glatun-Vertreter höflich. Er war ein Zweibeiner, gut eineinhalb Meter groß, mit blauer Haut, roten Augen, einem annähernd schweineähnlichen Kopf, einer vorstehenden Schnauze und einer weißen über seinen Rücken verlaufenden Pelzmähne. Für das Gespräch, das in Diplomatensprache »informell und unverbindlich« war, hatte er eine informelle Tunika angelegt. Das war die Art von Gesprächen, in denen stets die wirklich ernsthaften, verbindlichen Entscheidungen getroffen wurden.
»Wir haben die Horvath aufgefordert, sich von den Orbitalpositionen Ihrer Welt zu entfernen, aber die Horvath haben unsere Aufforderungen ignoriert. Da die Erde für sie eine sehr gute Eroberung und im Vergleich zu Horvath relativ reich an Schwermetallen ist, werden sie, falls es nicht zu einer bewaffneten Konfrontation oder möglicherweise einem Handelsembargo kommt, nicht wieder abziehen. Da die Erde im Grunde für die Glatun-Föderation wenig oder gar keinen Wert besitzt und wir über hinreichende Vorräte an strategische Metallen verfügen und beide Alternativen für uns negative Aspekte haben, müssen wir bedauerlicherweise erklären, dass wir in diesem Disput neutral bleiben.«
»Wir haben … einen umfangreichen Asteroidengürtel«, sagte die Unterstaatssekretärin für interstellare Angelegenheiten und legte damit ihr einziges Verhandlungsargument auf den Tisch. »Wir vermuten, dass dort umfangreiche Vorkommen in der Platingruppe vorhanden sind.«
»Dafür sollten Sie dankbar sein«, erwiderte der Glatun. »Die Bodenschätze der meisten bewohnten Sonnensysteme sind abgebaut. Jedoch halten uns unsere Gesetze und auch lange Erfahrung davon ab, Bodenschätze aus Ihrem Asteroidengürtel abzubauen, solange es keine zentralisierte oder zumindest effektiv souveräne Systemregierung gibt. Die Horvath erfüllen diese Definition, die Vereinigten Staaten von Amerika erfüllen sie nicht. Und die UN ganz sicher auch nicht. Die Horvath haben ebenfalls den Asteroidengürtel angeboten. Sie sollten in gleicher Weise dafür dankbar sein, dass wir dieses Angebot abgelehnt haben. Der Asteroidenbergbau steckt voll gewaltiger Probleme. Er erfordert ziemlich große Laser und Fabber und ist treibstoff- und energieintensiv. Damit es sich für ein Glatun-Unternehmen lohnen würde, in dieses System zu investieren, wären sehr langfristige Pachtverträge erforderlich. In der augenblicklichen Sicherheitslage und politischen Situation würde die Glatun-Föderation solche juristisch bindenden Verträge nicht zulassen.«
»Wir sind also auf uns allein gestellt«, sagte die Unterstaatssekretärin für Interstellare Angelegenheiten und wurde damit entschieden informell. »Wir haben sechzehn Millionen Tote, drei Großstädte liegen in Schutt und Asche, und Sie sind neutral?«
»Da wir hier offen miteinander reden …«, sagte der Glatun. »Die Entscheidung unserer maßgebenden Politiker lautet, dass die Erde schlicht und einfach zu unbekannt und unauffällig ist, um das Risiko einzugehen, in einer kleineren Auseinandersetzung unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Realität ist, dass die Horvath, die technisch nicht viel weiter fortgeschritten sind als die Erde, wahrscheinlich abziehen würden, wenn auch nur ein einziger Glatun-Zerstörer in das System einfliegen und sie dazu auffordern würde. Falls sie das freilich nicht tun würden und es zu Kampfhandlungen käme oder gar zum Verlust von Glatun-Leben, würde das zu Fragen im Parlament führen, zu KI-Anfragen, und die Presse würde natürlich durchdrehen. Leichter und sicherer ist es, nichts zu tun. Solange die Erde nicht in der Glatun-Föderation zu einem heißeren Thema oder in irgendeiner Weise strategisch wichtig wird – ja, Sie sind auf sich allein gestellt.«