Eine Explikation kriminogener Faktoren auf der Grundlage ausgewählter Kriminalitätstheorien im Bezugsrahmen des sozialwissenschaftlichen Diskurses, in der Abgrenzung zur Erwachsenenkriminalität und diesbezüglicher polizeilicher Handlungsmöglichkeiten
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© 2019 Timo Klein
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-2635-5
„Erwachsene beschäftigen sich zu wenig mit den Problemen von Jugendlichen, sondern viel mehr mit den Problemen, die Jugendliche ihnen machen.“
Ute Ingrid Haas (Kriminologin) aus dem Jahr 2008
Die in Form eines Zitats vorangestellte Aussage greift eine Disbalance in der Wahrnehmung und dem Umgang mit jenen Problemfeldern auf, die von jungen Menschen bearbeitet werden. Der angesprochene Ausrichtungsschwerpunkt beschreibt die Gewichtung hin zur Symptombetrachtung, wobei die Äußerung als Apell verstanden auf eine Justierungsnotwendigkeit hinweist, welche durch die Verschiebung der Betrachtungsebene, im Sinne eines eher ursachenbasierten Blickwinkels, zu realisieren ist. Die hier bezeichneten Probleme sind daher als Chiffre eines dichotomen Verständnisses aufzufassen, welches einerseits auf die kriminogenen Faktoren (Ursachen) rekurriert und andererseits mit stärkerer Gewichtung die Symptome in den Blick nimmt, die sich als Ausdruck oder Reaktion auf die Probleme manifestieren und in Form von Jugenddelinquenz oder abweichendem Verhalten wirksam werden.
Die Wahrnehmung der jugendlichen Lebenswelt und die damit verbundenen Problemkreise sind demnach von eminenter Bedeutung. Es dürfte als allgemeingültige Feststellung anzusehen sein, dass die Darstellung eines Themas und dessen Rezeption (Wahrnehmung) zu einem gewissen Teil durch die Medien bestimmt und auch geprägt wird. Christian Scholz (2006, S. 40) kommt diesbezüglich zu nachfolgendem Schluss: „Medien schaffen Wirklichkeit!“ Diese Form der Konstruktion von Wirklichkeit stellt seit Langem den Referenzraum eines breit angelegten wissenschaftlichen Diskurses dar1, der etwa im Bereich der
Kommunikationswissenschaften bzw. sonstiger Sozialwissenschaften zu verorten ist (siehe hierzu auch Schade 2004; Schmidt 1994; Reineck 2018). Einige der nachfolgenden Schlagzeilen bilden einen Ausschnitt des medialen Umgangs mit dem Phänomenbereich der Jugendkriminalität ab:
Jugendliche Intensivtäter immer gefährlicher!
Olaf Wedekind, Bild.de 2017
Eine Generation von Monsterkindern
Kerstin Holm, Frankfurter Allgemeine 2008
Jung und abgebrüht
Florian Fuchs, Süddeutsche Zeitung 2014
Diese Form der Darstellung kann oftmals in Anknüpfung an singuläre Ereignisse - wie etwa öffentlichkeitswirksamer Gewalttaten von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen - festgestellt und somit in ihrer Erscheinung als impulshaft beschrieben werden. Eine solche Erregungstendenz wird einerseits bedeutsam dadurch, dass „drastische Einzelfälle, die von Medien breit aufgegriffen werden, wirkmächtige Effekte auf kriminalpolitische Akteure ausüben können“ (Dollinger und Schabdach 2013, S. 217) und andererseits in Form von öffentlicher Meinungsbildung. Wolfgang Heinz2 (2010, o. S.) kann hier flankierend verstanden werden, da er die diesbezügliche Bedeutung der Medien bereits im Jahr 2010 anlässlich eines Vortrages zur Jugendgewalt mit nachfolgender Feststellung thematisierte: „Was die Mehrzahl von uns über Kriminalität weiß, ist ‚Wissen‘ auf der Grundlage einer selektiven, dramatische Einzelfälle hervorhebenden Berichterstattung in den Massenmedien.“3
Udo Brahnahl (2012, S. 1) greift den Wirkungszusammenhang zwischen Medien und Politik mit der „These vom publizistischpolitischen Verstärkerkreislauf“ auf. Die Grundlage dieses Modells beruhe auf einem Vorwurf von Kriminologen4, die, von einer verfehlten Kriminalpolitik ausgehend, hierfür die etwa durch die Überbetonung von Gewaltdelikten verzerrte mediale Darstellung, verantwortlich machten (vgl. ebd.). Brahnahl kann diesbezüglich eher relativierend eingeordnet werden, da er die Annahme, dass die inhaltliche Ausgestaltung der Kriminalpolitik entscheidend von den Medien geprägt wird, für naiv hält und deshalb eher von wechselseitiger Beeinflussung ausgeht (vgl. ebd. S. 3).
Der zuvor thematisierte Konnex zwischen Ereignis und Berichterstattung legt nahe, dass die Thematik der Jugendkriminalität zwar ereignisspezifisch und demzufolge temporär angesprochen wird, jedoch von grundsätzlichem und dauerhaftem öffentlichen Interesse ist. Zudem kommt eines hinzu, nämlich, dass „Jugendkriminalität […] häufig auch mit Ausländerkriminalität in Verbindung gebracht“ (Heinz 2016, o. S.) wird und daher der Thematik im Diskurs um die Flüchtlings- und Migrationspolitik zunehmend kriminalpolitische Bedeutung zukommt. Den von Albrecht (2010, S. 369) angesprochenen kriminalpolitischen Bedrohungsszenarien ‚Ausländerkriminalität‘, ‚organisierte Kriminalität‘ und ‚Terrorismus‘ könnte in Fortentwicklung des Gedankengangs die Jugendkriminalität als vierte Komponente hinzugefügt werden. Das Produkt des bereits angeklungenen publizistisch-politischen Verstärkerkreislaufs könnte daher die Verschärfung entsprechender Strafvorschriften als direkte kriminalpolitische Folge sein, welche so in rechtstatsächlicher Weise in die Gesellschaft hineinwirkt. „Die Frage nach den Hintergründen und Antriebsfaktoren der neuerlichen Kriminalpolitik und des Umbaus des Strafrechts“ (Sack 2011, S. 85) wird unter anderem auch vor dem Hintergrund des medialen Einflusses diskutiert sowie in diesem Zusammenhang der Begriff des symbolischen Strafrechts angesprochen (vgl. ebd., S. 86). Hierunter ist die Schaffung ineffektiven Rechts zu verstehen, das weniger die Ahndung von Straftaten zum Ziel hat, sondern vielmehr die Reaktions- und Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers unter Beweis stellen soll, um dadurch soziale Effekte wie etwa die Reduktion des Unsicherheitsgefühls in der Bevölkerung zu bewirken (vgl. Heinrich 2017, S. 8).
Die Darstellungsintensität medialer Aufarbeitung evoziert demnach öffentliches Interesse am Themenbereich der Jugendkriminalität.
Öffentlichkeit fungiert zudem als Resonanzraum und Bezugskategorie kriminalpolitischer Betätigung. Aus der beschriebenen Wirkmechanik lässt sich Aktualität und Relevanz ableiten, welche jenes Bearbeitungsinteresse bewirken, dem diese Arbeit nachkommt. Die thematische Präzisierung hinsichtlich einer näheren Untersuchung der kriminogenen Faktoren der Jugendkriminalität und deren etwaige Auswirkungen bzw. Bedeutung in der Erwachsenenkriminalität trägt dem bereits angesprochenen Ungleichgewicht in der Betrachtung von Ursache und Wirkung Rechnung.
Die Betrachtung der polizeilichen Handlungsmöglichkeiten kann insoweit in den Kontext eingepasst werden, als die Polizei insbesondere in den Problembereichen junger Menschen in ihrer Funktion als Institution formeller Kontrolle tätig wird und neben präventiver Arbeit auch im Bereich der Strafverfolgung in Erscheinung tritt. Hierdurch wird Öffentlichkeit generiert und so fügt sich die Polizei als kriminalpolitischer5 Akteur in den beschriebenen publizistisch-politischen Verstärkerkreislauf ein.
Der Phänomenbereich der Jugendkriminalität bietet sowohl durch die phänomenologische6 Varianz als auch aus ätiologischen7 Gesichtspunkten vielfältige Bearbeitungs- und
Untersuchungsmöglichkeiten. Vor dem Hintergrund einer zielgenauen wissenschaftlichen Ausrichtung und der strukturierten Bearbeitung ist daher die Formulierung einer passgenauen Fragestellung notwendig. Diese schließt an die Vorüberlegungen und die Beschäftigung mit der Thematik an und soll die Möglichkeit einer fokussierten Bearbeitung eröffnen, sodass sich der Erkenntnisgewinn gleichermaßen aus der Form der Beantwortung der Fragestellung und aus der Antwort selbst ergibt.
Aus einem Vorverständnis über den Untersuchungsgegenstand der Jugendkriminalität, welches sich gleichermaßen aus Alltagswissen und kriminologischen Vorerkenntnissen des Autors zusammensetzt, werden Familie und Schule als solche Sozialisationsinstanzen angesehen, die maßgebliche Verantwortung für den Entwicklungsverlauf junger Menschen tragen und so auch für den Bereich des abweichenden Verhaltens enorme Relevanz besitzen.
Dieser Zusammenhang soll über die Beantwortung nachfolgender Forschungsfrage konkretisiert werden:
Inwiefern wirken die Sozialisationsinstanzen Familie und Schule kriminogen?
Eine Betrachtungsebene, die neben Familie und Schule als weitere Einflussgröße im vorgenannten Kontext jugendlichen Fehlverhaltens gelten dürfte, stellt das Freizeitverhalten dar. In diesem Bereich wird insbesondere auf die tägliche Mediennutzung rekurriert, weil sich aus Studien8 ergibt, dass die durchschnittliche Mediennutzungszeit jugendlicher Personen mehrere Stunden umfasst und der Medienkonsum daher als direkter Wirkungsfaktor anzusehen sein dürfte. Hierzu soll nachfolgende Fragestellung untersucht werden:
Inwiefern lassen sich dem persönlichen Medienkonsum kriminalitätsbegünstigende Wirkungen zuweisen?
Sowohl die Familie als auch der Medienkonsum wirken in der Regel dauerhaft über einen längeren Zeitraum im Lebenslauf auf junge Menschen ein. Vor diesem Hintergrund wird weitergehend überprüft, inwieweit sich die vermutete kriminogene Wirkung als Jugendkriminalität zeigt und sich diese auf die Erwachsenenkriminalität fortschreiben lässt. Die entsprechende Forschungsfrage lautet daher:
Lässt sich aus den kriminalitätsbegünstigenden Eigenschaften der Familie oder des Medienkonsums hinsichtlich der Jugendkriminalität auf die Erwachsenenkriminalität extrapolieren?
Die Polizei ist bereits im Phänomenbereich der Jugendkriminalität als kriminalpolitischer Akteur adressiert worden. Im Weiteren kommt ihr eine Schlüsselstellung im vorgenannten Kontext zu, da sie direkt und als erkennbarer Exponent staatlicher Autorität in den Problemfeldern junger Menschen aktiv wird. Aus diesem Grund sollen die Aufgabenstellung bzw. die polizeilichen Handlungsmöglichkeiten im Lichte der Untersuchungsergebnisse bewertet werden. Hierzu wird auf die folgende Fragestellung Bezug genommen:
Wie kann die Polizei auf die Kriminalitätsbelastung junger Menschen reagieren?
Die vorliegende Arbeit soll als ein wissenschaftlicher Beitrag verstanden werden, der eine möglichst unverstellte Sicht auf den Topos Jugendkriminalität und insbesondere deren Ursachen ermöglicht und als rationaler wissenschaftlicher Impuls kriminalpolitisch einerseits symbolischem Strafrecht entgegenwirkt und andererseits einen adäquaten bzw. sachgerechten Umgang mit dem Thema befördert. Die Arbeit versteht sich ferner als Hilfsmittel und Instrument, das den Blickwinkel auf den Phänomenbereich der Jugendkriminalität ausweiten und diese als vielschichtiges Problemfeld erfassbar machen soll.
Die Masterarbeit ist als literaturtheoretische Arbeit konzipiert. Die Literaturauswahl ergibt sich aus dem angestrebten Untersuchungsdesign, welches verschiedene Ursachen der Jugendkriminalität kriminologisch bewertet und insbesondere unter Zuhilfenahme der Bezugswissenschaften beleuchtet. Die Gliederung der Arbeit dient als strukturgebendes Grundgerüst der Umsetzung dieses wissenschaftlichen Vorhabens und ist auf die Beantwortung der Fragestellungen im Kontext des Forschungsgegenstands der Jugendkriminalität ausgerichtet. Die einzelnen Kapitel sind in linearer Abfolge und sukzessiv aufeinander aufbauend gruppiert. Hierbei wird dem stofflichen Prinzip gefolgt, welchem bei Pospiech (2017, S. 126f.) ordnungsgebende Funktion bei der Materialauswahl und Überführung in einen wissenschaftlichen Text zugewiesen wird.
Vorliegend ist die Materialorientierung, also die stoffliche Ausrichtung in Abgrenzung zu einem rein chronologischen Aufbau, in eine Gliederungsstruktur eingebettet, bei der in deduktiver9 Vorgehensweise vom Allgemeinen hin zum Speziellen (vgl. ebd., S. 127) im Lichte der Fragestellungen erörtert und argumentiert wird. Diese Formgebung ermöglicht eine Transferleistung, denn dadurch, dass „sie Positionen nicht nur referiert, sondern auch zueinander in Beziehung setzt, diskutiert und in einen Gesamtzusammenhang einordnet, geht die Literaturarbeit über die rein reproduzierende Darstellung hinaus“ (ebd. S. 51).
Dazu sollen unter Einbeziehung des aktuellen Forschungsstandes die rechtlichen, kriminologischen und sozialwissenschaftlichen Anknüpfungs- und Bezugsfelder erhellt werden, um die Jugendkriminalität in ihrer sozialen Dimension sichtbar werden zu lassen. Anhand ausgewählter Kriminalitätstheorien, deren Anwendungskompatibilität und Verknüpfungsmöglichkeit es herauszuarbeiten gilt, sollen unter Anwendung der dargestellten kriminologischen Erkenntnisse kriminogene Faktoren expliziert werden. Der Rekurs auf die Studienlage und die allgemeinen kriminologischen Erkenntnisse erlaubt es Rückschlüsse auf das Entstehen von Jugendkriminalität zu ziehen und einen Abgleich mit der Erwachsenenkriminalität realisierbar zu machen. Die interdisziplinäre Ausrichtung soll dazu führen, dass Wirkungszusammenhänge aufgezeigt und Aussagen zu Entstehungsbedingungen der Kriminalität und Einwirkungsalternativen ermöglich werden. Neben den wesentlichen Sozialisationsinstanzen wird explizit auch der Medienkonsum in den Blick genommen. In diesem Bereich werden besondere Auswirkungen in der Adoleszenzphase vermutet, die durch neuere Medienwirkungsforschung reflektiert und gefasst werden können.
Eine gesellschaftswissenschaftliche Perspektive bietet sich deshalb an. Die Soziologie bietet an diesem Schnittpunkt vielfältige und im Sinne des thematischen Bezugs aufschlussreiche Möglichkeiten. Eine sinnvolle Bezugnahme auf die Jugendkriminalität und der entsprechende Erkenntnisgewinn wird vorliegend über die Anwendung der Sozialraumtheorie bzw. des Habituskonzepts von Pierre Bourdieu sowie der Eliasschen Figurationslehre gewährleistet.
Eine weitere Einordnung erfolgt über kriminalsoziologische Darstellungszusammenhänge und über das Bewusstsein der Jugend als Objekt anthropologischer und biologischer Betrachtung. Aufgrund ihrer Struktur und der wechselbezüglichen Verflechtung mit dem sozialen Nahraum können die kriminogenen Faktoren mit individuellen Problemkreisen korrespondieren, auf diese verstärkend einwirken bzw. genuin als eigenständiger Faktor für Kriminalität anzusehen sein. Aus benanntem Begründungsansatz heraus sollen auch kriminalpsychologische, psychopathologische und entwicklungspsychologische Überlegungen angestellt werden.
Abschließend wird die Aufhellung und Bearbeitung der vorgenannten Aspekte von Jugenddelinquenz dazu genutzt, um diese mit dem Handlungsfeld der Polizei als Institution in Beziehung zu setzen. Es werden dadurch Möglichkeiten der Prävention aufgezeigt, das Spannungsfeld von Jugendkriminalität und polizeilichen Handlungsstrategien ergründet und der Einfluss der Polizei auf die Kriminalitätsentwicklung in der Jugendkriminalität beleuchtet.
Die Arbeit generiert einen wissenschaftlichen Mehrwert dadurch, dass sie aus einem ätiologischen Blickwinkel heraus kriminologische Erkenntnisse, Studienlage und diejenigen Kriminalitätstheorien, die aufgrund ihrer Ausrichtung und der jeweiligen Erklärungslogik sinnvolle Anknüpfungsmöglichkeiten an die Jugendkriminalität versprechen, zusammenfasst, verarbeitet und die hieraus entwickelten Erkenntnisse in einem weiteren Schritt durch die Bezugswissenschaften, etwa in Anwendung bzw. Kontextualisierung soziologischer Theorien oder der Psychologie zentriert und hierbei durch die Nutzung des erzeugten Brennglaseffekts zu tragfähigen bzw. trennscharfen Erkenntnissen gelangt.
Die vorgenannte Methodik ist so ausgerichtet, dass durch die Bearbeitung der Forschungsfragen der Phänomenbereich der Jugendkriminalität eröffnet werden kann. Als Datengrundlage finden kriminalstatistische Daten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik, empirische Daten aus kriminologischen Erhebungen sowie Kriminalitätstheorien kontroll- und lerntheoretischen Zuschnitts Anwendung. Die nachfolgende Darstellung (Abbildung 1) soll die methodische Ausrichtung und die Umsetzung des Forschungsprozesses visualisieren.
Abbildung 1
Im Folgenden sollen nun die wesentlichen Begriffe definiert werden, um den Untersuchungsgegenstand erfassbar zu machen und eindeutige Aussagen treffen zu können.
1 In diesem Kontext wird die Medienwirkungsforschung im Gliederungsunterabschnitt 5.2.3 näher erörtert.
2 Wolfgang Heinz war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Konstanz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehörten u. a. die Jugendkriminalität sowie die Sanktions- und Wirkungsforschung (vgl. Internetpräsenz der Universität Konstanz).
3 Eine Gegenauffassung vertritt Thomas Hestermann, der auf eine Langzeitanalyse in Zusammenarbeit mit der Hochschule Macromedia und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen verweist. Hiernach sei die Annahme einer besonderen medialen Skandalisierung der Jugendkriminalität und hieraus entstehende kriminalpolitische Effekte zumindest in Bezug auf die meistgesehenen Fernsehnachrichten und TV-Boulevardmagazine widerlegt (vgl. Hestermann 2018, S. 67).
4 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde auf die Nennung der weiblichen Sprachform im weiteren Text verzichtet, gleichwohl sind jeweils beide Geschlechter gemeint.
5 „Die Bedeutung kriminalpolitischen Handelns besteht […] in der Wahrnehmung der Aufgabe der […] Verbrechensbekämpfung, wobei sich entsprechende Aktivitäten nicht nur auf die rein repressiven Bereiche beziehen, sondern vor allem auf den Einsatz auch außerstrafrechtlicher präventiver Maßnahmen“ (Schwind 2016, S. 17).
6 In der Kriminologie wird unter dem Begriff der Phänomenologie die Erscheinungsform der Kriminalität verstanden (vgl. Schwind 2016, S. 8).
7 Unter dem kriminologischen Begriff der Ätiologie wird die Ursachenforschung der Kriminalität verstanden (vgl. ebd.).
8 Siehe hierzu die JIM-Studie, die im Abschnitt 5.2.3 näher thematisiert wird.
9 „Der deduktiv vorgehende Theoretiker geht von einem Bezugssystem, einer Theorie aus und lässt sich in seinen Forschungen von den daraus abgeleiteten Implikationen führen.“ (Hecht und Desnizza 2012, S. 50) Diese wissenschaftstheoretische Logik deduktiven Vorgehens wird in vorliegender Arbeit modifiziert. In dieser Arbeit bezieht sich die Deduktion auf den lateinischen Wortsinn der Ableitung, die über die allgemeine Definition der Begrifflichkeiten, der Hinzunahme kriminologischer Erkenntnisse, über Ergebnisse empirischer Forschung sowie verschiedener Kriminalitätstheorien hin zur Explikation kriminogener Faktoren realisiert wird.
Kunz und Singelnstein (2016, S. 7) beschreiben die Kriminalität als „nicht direkt anschaubar oder betastbar“, und verweisen erläuternd darauf, dass sie sich „im common sense des Alltagsverständnisses“ verberge und demzufolge „für eine wissenschaftliche Bestimmung“ die Notwendigkeit der Aufbereitung und Konstruktion gegeben sei (vgl. ebd.). Vorliegend wird diese Konstruktion und Aufbereitung über eine definitorische Beschreibung realisiert und so der Versuch unternommen, die Begrifflichkeit aus dem umgangssprachlichen Alltagsverständnis zu extrahieren und den Bedeutungsgehalt der Kriminalität im Sinne dieser Arbeit freizulegen. Aus der Literatur lässt sich ableiten, dass der Begriff der Kriminalität in der Hauptsache mit der Kategorie des Strafrechts assoziiert wird (siehe hierzu auch Schwind 2016, S. 3). Es muss jedoch mitbedacht werden, dass die Festlegung eines Verhaltens als strafrechtlich relevant, „verhandel- und veränderbar ist und von der jeweiligen Gesellschaft per Gesetzgebungsverfahren, Nicht-Anwendung oder Streichung von Vorschriften […] definiert wird“ (Lüdemann und Ohlemacher 2002, S. 10). Demzufolge kann das Strafrecht durchaus als Momentaufnahme und Bewertungskriterium aktueller kultureller und sozialer Entwicklungen sowie der entsprechenden gesellschaftlichen Übereinkünfte angesehen werden. Nach Schwind (2016, S. 3) umfasst der formelle strafrechtliche Kriminalitätsbegriff diejenigen Handlungen, „die durch ein Strafgesetz mit Strafe bedroht sind“. Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass sich durch Impulse der gesellschaftlichen Fortentwicklung divergierende Positionen, etwa „zwischen dem Rechtsempfinden breiter Bevölkerungsteile und dem aktuell herrschenden Strafrecht oder unterschiedliche Bewertungen einer Straftat bei verschiedenen Tatbeteiligten“ (Suhling und Greve 2010, S. 22), herausbilden können, die eine nähere Deutung des Kriminalitätsbegriffs notwendig machen.
Schwind beschreibt im Wissen um die dem Zeitgeist geschuldete Volatilität strafrechtlicher Bewertungen die Suche „nach einem zeit- und raum- unabhängigen Verbrechensbegriff“ (2016, S. 4), die letztlich in der Definition eines natürlichen Verbrechensbegriffs mündet und in Form der Einengung des strafrechtlichen Verbrechensbegriffs einen Kernbereich von Handlungen umreißt, die unabhängig von kulturellen Eigenbedingungen durch die Jahrhunderte hindurch als verwerflich angesehen wurden10 (vgl. ebd. S. 5). Aus der soziologischen Perspektive hingegen erfährt der formelle Kriminalitätsbegriff eine Ausdehnung hin zu einem materiellen Kriminalitätsbegriff, der über den Kernbereich der Kriminalität und die als strafrechtlich relevant normierten Handlungen hinausgehend, das sozialabweichende bzw.
unerwünschte, jedoch nicht strafwürdige Verhalten mit einschließt (vgl. ebd.). Gleichsam kann von einem kriminologischen Blickwinkel gesprochen werden, da „die Kriminologie einem soziologischen Verbrechensbegriff (Delinquenz, Abweichung), der vom gerade geltenden Strafrecht unabhängig ist“ (Neubacher 2017, S. 25) folgt.
Die nachfolgende Abbildung 2 stellt dies einprägsam dar:
Abbildung 211
Als Leitfaden einer perspektivischen Herangehensweise soll vorliegender Arbeit der kriminalsoziologische Zugang bzw. die Standortbestimmung von Lüdemann und Ohlemacher dienen, wonach es gilt, „den jeweiligen ‚Stand der Dinge‘ zu untersuchen, wie er sich aus kodifizierter und gelebter Sicht darstellt“ (2002, S. 10).
Hieraus ergibt sich für den Bereich der Jugendkriminalität die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtungsperspektive, die einerseits auf strafbewehrte Handlungsweisen rekurriert und andererseits deren Entstehungsbedingungen, die Vorstufen von Kriminalität und abweichendes Verhalten in den Blick nimmt.