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Inhaltsverzeichnis
 
Widmung
 
Kapitel 1 – Sammeln Sie die Herzen?
Gemeinsam sind wir stark – oder etwa nicht?
Muss ich mich ändern, damit sich etwas verändert?
Bewusst fühlen, wie geht das?
Die guten ins Töpfchen – und die schlechten …?
 
Kapitel 2 – Denken, bewerten, ausleben – oder unterdrücken?
Erlebnis: Der Betrachter sieht, was ich denke
Bewertet und in eine Schublade gesteckt
Schwärmende Gedanken
Ich verstehe, doch was habe ich davon?
Ich bin nun mal ein emotionaler Mensch
Der rationale Verstand – Möchtegernchef oder Freund und Helfer?
Drama, Drama, Drama
 
Kapitel 3 – Fühlen für Anfänger
Freies Spiel mit der Zwangsjacke der Gedanken
Ich kann nicht anders – oder doch?
Wieso nicht mal was Neues?
Widerspenstige Gefühle?
Gefühlte Temperatur: heiß
Die »bösen« Worte: Projektion, Verdrängung und Erwartung
Schenk deiner Sehnsucht ein Lächeln
Ich fühl mich super – und genieße es!
Bitte keine Hirngrütze!
Keine Zeit zum Fühlen
Das Flüstern der Gefühle
Das Lotterleben der Gefühle
Das Geheimnis des freundlichen Trübsinns
Die Heimkehr
 
Kapitel 4 – Der Kopf lernt mit
Spirituelle Fallen
Bilderbuchbeziehungen
Vom Überspringen der Gefühle
Die Himmelfahrt unserer Probleme
Die Anspannungsstrategie des Körpers
Fühlen ist keine Arbeit
Die Liste der »unerledigten« Gefühle
Liebenswerte Angsthasen
Die Zeit der »weißen Flächen«
Das klare Nein – ein Ja zu mir
Verrück dich doch mal!
Was nun?
Was ich will
 
Kapitel 5 – Es menschelt sehr
Fühlbar? – Dankbar!
Geduld ist Gold
Erwarte das Beste
Helfen? – Aber gern!
Fähnchen im Wind
Fehler sind menschlich
»Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt«
Der Kartonkrimi
Die Kehrseite der Medaille
Keine Angst vor »schlechten« Gefühlen
Die Leute, die »Gesellschaft« und andere Phantome
Intim sein, aber mit wem?
 
Kapitel 6 – Leben in Hülle und Fülle
Erlebnis: Freundschaft mit dem Atem
Schnaufend durch Dick und Dünn
Fühlen beflügelt
Lass dich anschauen
Zeig dich, wie du bist
Schmerz lass nach!
Nicht schlappmachen!
Bin ich zu Hause?
Ich will nicht nett sein
Das Ende vom Anfang
 
Copyright

Whisper words of wisdom: Let it be.
Beatles

Für meine Mutter

Jeder will glücklich sein. Diejenigen, die entdeckt haben, wie man glücklich ist – und es werden immer mehr – sagen, es sei so einfach, dass es oft übersehen wird. Es ist uns zu unspektakulär. Wir suchen lieber nach etwas Kompliziertem oder machen das Glück von der Erfüllung unserer Wünsche abhängig. Selbst glückliche Menschen schweben nicht ständig grinsend wie die Honigkuchenpferde durch die Gegend. Auch sie werden von Herausforderungen nicht verschont. Doch sie nehmen die Hürden, wie sie kommen. Es muss also etwas geben, das mich zufrieden und frei macht, und zwar unabhängig davon, ob das Leben mir ständig Glücksmomente beschert oder mich auch durch einige Täler wandern lässt.
Ich wurde neugierig und suchte sehnsüchtig nach einem Rezept für diese Art von Glück. Meine Sehnsucht zeigte mir Werkzeuge, die uns allen jederzeit und überall zur Verfügung stehen und die wir nutzen können, um ein Leben zu führen, in dem wir weder auf den Höhenflügen der Freude entwurzelt werden noch in Panik geraten, wenn wir schwere Zeiten durchmachen und Abgründe kennen lernen müssen. Bei diesen Werkzeugen handelt es sich um unsere Gefühle. Sie begleiten uns auf der Reise zu uns selbst, zeigen uns Wege in die Freiheit und bieten uns ihre ehrlich gemeinte Freundschaft an. Lassen wir uns endlich drauf ein!

1
Sammeln Sie die Herzen?
Ich stehe an der Kasse des Supermarkts am Bahnhof. Vor mir eine lange Schlange. Ungeduldig ist nicht der richtige Ausdruck für meine Stimmung, eher mies gelaunt. Es geht einfach nicht voran und ich habe es eilig. Muss zum Zug und will nur eine einzige Flasche Wasser bezahlen. Die anderen Leute haben ihre Wägen voll.
»Storno!« höre ich über den Lautsprecher. Ach du meine Güte. Das muss eine Auszubildende sein, die sich nicht auskennt mit der Kasse. Auf jeden Fall geht jetzt gar nichts mehr voran. »Das kann dauern« sagt jemand vor mir. Die Schlange wird immer länger, aber was hinter mir passiert, interessiert mich ja nicht. Nach mir die Sintflut!
Ein Verkäufer kommt, es wird an der Kasse herumgefuchtelt. Ich bin versucht, meine Flasche Wasser heimlich irgendwo abzulegen und zu flüchten. Aber da habe ich schon im Vorfeld ein schlechtes Gewissen, weil man das nicht macht und ich es nicht ertragen könnte, wenn mich jemand dabei beobachtet. Ich müsste sie schon wieder da hinstellen, wo ich sie hergeholt habe. Aber das wäre zu weit weg. Genauso gut kann ich weiter in der Schlage warten. In achtzehn Minuten geht mein Zug. Wenn ich in sechs Minuten drankomme, schaffe ich ihn noch.
»Darf ich kurz vor, ich hab nur das?« fragt eine Frau mit einem Schokoriegel in der Hand. Sie tut genau das, was ich nie wagen würde. Und ehe ich mich versehe, hat sie sich vor mich gestellt und lässt mich auf ihren breiten, kariert gemusterten Rücken glotzen. Ich platze fast vor Wut. In mir tobt ein Hurrikan von der Brust bis zum Bauch. Ich lasse mir zu viel gefallen. Ich würde mich nie trauen, mich vorzudrängeln. Die Leute haben keinen Respekt, die Welt ist ungerecht. Und ich habe nicht mal den Mut, mich dagegen zu wehren, obwohl es gerechtfertigt wäre! Ich bin zu gutmütig. Kein Wunder, dass andere besser durchs Leben kommen als ich. Ich bin vom Leben benachteiligt, sogar im Supermarkt. Ich bin ein Versager! In elf Minuten geht mein Zug.
Nach einer Weile, sagen wir einer Ewigkeit, komme ich endlich dran. Der jungen Kassiererin steht der Schweiß auf der Stirn. Als ich genauer hinsehe, bemerke ich, dass sie zittert. Aber sie lässt sich nichts anmerken. Sie ruft ins Mikrofon: »Zweite Kasse bitte.« Jetzt, wo ich dran bin, stürzen alle zur zweiten Kasse. Hinter mir ist gähnende Leere und alles geht schneller. Ich will mich gerade wieder aufregen – Wieso hat sie erst jetzt jemanden zur zweiten Kasse gerufen? – da sehe ich, wie sie mich ansieht und ihr holprig eine Frage über die Lippen kommt: »Sammeln Sie die Herzen?« Sie reißt ein kleines, selbstklebendes Sammelherz von der Rolle, für das man, wenn man genug davon hat und ein paar Euro zuzahlt, ein Kochtopf- oder Messerset bekommt. Es ist ihr peinlich, mich das fragen zu müssen. Ich spüre plötzlich eine große Sympathie für diese junge Frau. »Stressig, was?« sage ich.
»Mein erster Arbeitstag« murmelt sie und senkt den Blick auf das Sammelherz. Auf einmal sehe ich die ganze Situation mit anderen Augen. Ruhe nach dem Sturm. Ich werde den Zug schaffen und stehe vor einer Verkäuferin, die mich fragen muss, ob ich die Herzen sammle. »Nein, ich sammle die Herzen nicht«, antworte ich und mein eigenes Herz wird ganz groß. Ich lächle sie an. Sie korrigiert sich: »Oh. Die kriegt man auch erst ab einem Einkaufswert von fünf Euro, Entschuldigung.« Jetzt grinst sie mich verschmitzt an und ich sage: »Macht nichts.« Ich gehe beschwingt zum Zug, singe leise zum Takt meiner Schritte: Sammeln Sie die Herzen, sammeln Sie die Herzen … Ob ich mir wohl mal ein neues Kochtopfset leisten sollte?
 
Können wir uns unsere Stimmungen aussuchen? Oder sind wir ihnen ausgeliefert? Wie kommt es, dass wir mal so, mal so fühlen? Der Mensch ist unberechenbar! Gefühle beflügeln uns, machen uns wahnsinnig, sie motivieren uns, bringen uns zum Lachen, sie rühren uns, entflammen in uns Leidenschaft, lassen uns in Mitgefühl baden, sie quälen uns, stürzen uns von einer Krise in die nächste, sie lassen uns zweifeln und verzweifeln, sie lassen uns lieben, machen uns glücklich und unglücklich. Selbst wenn wir uns als pragmatisch oder unemotional bezeichnen würden, sind wir voll von ihnen, denn sie haben unzählige Gesichter. Wenn sie sich gut anfühlen, möchten wir sie so lang wie möglich behalten. Wenn sie uns schlecht fühlen lassen, wollen wir sie so schnell wie möglich loswerden. Sie machen uns zu dem einzigartigen Menschen, der wir sind, und es sieht so aus, als ob sie unser gesamtes Leben bestimmen. Sie verlassen uns nie, stehen uns zur Seite, um uns sicher durch den Lebensdschungel zu navigieren. So gesehen, könnten wir sie eigentlich als Freunde ansehen. Aber behandeln wir unsere Gefühle auch freundschaftlich? Erlauben wir uns überhaupt, sie zu fühlen?
Als ich anfing, mir solche Fragen zu stellen, hatte ich schon alles Mögliche ausprobiert. Ich hatte Therapeuten aufgesucht, Selbsthilfe-Bücher gelesen, positiv und negativ gedacht und mir die Welt rosarot zu reden versucht. Ich hatte wochenlang geschwiegen, um meine wahre innere Stimme zu hören. Ich hatte meditiert und dann wieder nicht. Später habe ich spirituelle Lehrer aufgesucht, denen ich immer noch unendlich dankbar bin. Ich habe mein Glück im Scheinwerferlicht des Erfolgs gesucht und gefunden. Und dann habe ich festgestellt, wie vergänglich dieses Glück ist. Nichts konnte mich komplett glücklich machen. Immer fehlte etwas, aber ich wusste nicht was …

Gemeinsam sind wir stark – oder etwa nicht?

Wann immer ich Probleme hatte, suchte ich das Gespräch mit Freunden und war froh, wenn ich erfuhr, dass es ihnen genauso ging wie mir. Auch sie kannten Einsamkeit, Trauer, Leere, Verzweiflung. Auch ihnen war das Gefühl, nicht dazu zu gehören oder ungerecht behandelt zu werden, nicht fremd. Wenn ich der Ansicht war, dass jemand meine Empfindungen und Beobachtungen teilte, dass mein Gegenüber »genauso fühlte wie ich«, war ich vorübergehend zufrieden. Dass ich mich gemeinsam mit jemandem über die Ungerechtigkeit des Lebens beschweren konnte, gab mir Halt. Ich fühlte mich verstanden und nicht mehr allein.
Auf diese Weise hielt ich mich permanent in einer Art »Unzufriedenheitsspirale«. Es war, als säße ein uniformiertes Beschwerdemännchen in meinem Kopf, das pflichtbewusst alles aufzählte, was in meinem Leben nicht gut war. Und wenn wirklich mal alles gut war, machte es freiwillig Überstunden und suchte und fand ein paar neue Probleme. Irgendeinen Grund, unzufrieden zu sein, gibt es immer. Und in den Köpfen der anderen sitzen genau die gleichen Beschwerdemännchen, die ebenfalls Überstunden machen, bis sie genügend Gründe gefunden haben, reichlich Trübsal zu blasen: »Wieso habe ich nur eine Wohnung und kein Haus?« – »Ich habe immer Pech mit meinen Männern!« – »Ich werde zu schlecht bezahlt, obwohl ich so viel ackere.« – »Ich bin zu dick.« – »Ich bin vom Leben benachteiligt.« Manchmal ist die Botschaft des Beschwerdemannes im Kopf so subtil, dass wir nicht einmal hören, was er uns zuflüstert. Wir fühlen uns einfach grundlos ungut. Spätestens dann stellen sich auch körperliche Symptome ein, die unseren Zustand noch unterstreichen: Herzklopfen, Magendrücken, ein zugeschnürter Hals, ein hohles Gefühl im Bauch. Wir fühlen uns, als läge ein Stein auf unserer Brust, als trügen wir eine Rüstung um den Brustkorb oder ein schweres Paket auf den Schultern – und das jahrelang. Wir werden von Fressanfällen oder Appetitlosigkeit gequält, von aggressiver Unruhe, Konzentrationsschwäche und vielem mehr. In der Unzufriedenheitsspirale wird jedes Problem so lange wiedergekäut, bis sich ein anderes Problem findet, das noch besser dafür sorgt, dass man nicht auf die Idee kommt, irgendwann aus dem Kreislauf des Leidens auszusteigen. Im Notfall kann man sich ja immer noch darüber beklagen, dass das alte Problem viel besser war als das neue, an das man sich erst noch gewöhnen muss.
Unser Denken scheint auf das Finden von Fehlern und Mängeln programmiert. Ohne geht es offenbar nicht. Da kann man nichts machen, denken wir und trösten uns damit, dass es anderen auch so geht. Gemeinsam sind wir stark, selbst auf die Gefahr hin, dass es uns allen schlecht geht. Das ist auch der Grund, warum so viele Menschen die Tendenz haben, sich mit denen zusammenzutun, die auf eine ähnlich jammervolle Geschichte zurückblicken. Man ist weitgehend einer Meinung, muss sich mit nichts konfrontieren, was man nicht sehen möchte, und kann sich in aller Ruhe weiter beklagen.
Das läuft in der Regel so lange gut, bis es dem anderen plötzlich aus unerfindlichen Gründen besser geht als einem selbst und man das Gefühl hat: Der hat was kapiert, was ich offenbar nicht mitgekriegt habe. Vielleicht hat jener den Beschwerdemann in seinem Gehirn spontan an die Luft gesetzt oder ihm die Lizenz zum Beschweren entzogen. Auf jeden Fall hat man plötzlich kein gemeinsames Leid mehr, das man teilen könnte, und dann fehlt einem was. Nicht selten brechen Beziehungen an dem Punkt auseinander, wo man sich nicht mehr gegenseitig in seinem Unglück bestätigt.
Während ich mich einerseits oft besser fühlte, wenn ich mit Freunden über meine Probleme sprach, hatte ich andererseits mindestens ebenso häufig den Eindruck, dass sie überhaupt nicht verstehen konnten, was ich fühlte, so anschaulich ich auch davon berichtete. Es war, als lebte ich in einer Welt, die meinem jeweiligen Gegenüber völlig fremd war und deren Landkarte niemand lesen konnte. Umgekehrt war es wohl auch so, dass ich das, was meine Freunde mir beschrieben, nur so weit verstand, wie ich es durch die Brille meiner eigenen Wahrnehmung aufnehmen und verarbeiten konnte. Ich konnte gar nicht wissen, wie es ihnen wirklich geht und wie sich das, was sie mir zu beschreiben versuchten, für sie anfühlte.
Wie es im Innern eines anderen Menschen wirklich aussieht, weiß keiner. Man ist ja schon froh, wenn jemand etwas »Ähnliches« kennt und man sich mutig darauf einigen kann, dass man das Gleiche meint, auch wenn es dafür nicht den geringsten Beweis gibt.
Ich persönlich kam irgendwann zu dem Schluss, dass keiner einen anderen wirklich verstehen kann und es einem Lottogewinn gleicht, wenn man an jemanden gerät, der einen zumindest nicht permanent missversteht. Mit den Gefühlen ist es genauso. Kann ich wissen, wie ein anderer seine Traurigkeit wahrnimmt? Niemals. Fazit: Letztendlich bin ich immer allein mit dem, was ich denke und empfinde.

Muss ich mich ändern, damit sich etwas verändert?

Ich sah mich also auf mich selbst zurückgeworfen mit all meinen Stimmungen, die zwischen Fröhlichkeit und latenter Unzufriedenheit hin und her schwankten und sich manchmal sogar zu regelrechten Depressionen ausweiteten. Heute würde ich sagen, dass ich zu jener Zeit meilenweit von mir selbst entfernt war. Ich war getrieben von einer Unruhe, die kein Innehalten zuließ. Ständig befürchtete ich, das Leben da draußen zu verpassen, konnte aber auch nicht daran teilnehmen, weil ich viel zu unruhig war. Ich war in einem Teufelskreis gefangen. Irgendwann half auch kein Telefonat mit vertrauten Freunden mehr, keine Therapie, kein äußerer Erfolg, kein positives Denken, keine Tarotkarte. Nicht mal Beten konnte mich mehr erlösen. All das waren zwar Hilfen und sie konnten mir sogar kurzfristig Erleichterung verschaffen, aber letztlich ähnelten sie einem Pflaster, das man auf eine verschmutzte Wunde klebt, ohne diese vorher zu reinigen. Meine Stimmungen vermochten sie nicht langfristig zu verändern. Doch genau das war mein wichtigstes Bestreben: Ich wollte mich ändern, und zwar so, dass es mir gut ging. Heute weiß ich: Man muss sich nicht ändern, damit sich etwas verändert.
Allmählich stellte sich eine Frage, die mir für dieses Überlebensexperiment als sehr wichtig erschien: Wie kann ich mit mir selbst in dauerhaftem Frieden sein, egal, was in meinem Leben geschieht? Ich wollte so gern aufhören, mich selbst und andere zu verurteilen und zu bekämpfen. Meine Unzufriedenheit verhinderte nämlich, dass ich das Leben führen konnte, das ich leben wollte. Ich kam einfach nicht dazu, glücklich zu sein, weil die Unzufriedenheit stets zwischen mir und meinem Glück stand. Immer gab es irgendetwas, das mir nicht gelingen wollte. Immer hatte ich, was ich nicht wollte, und sehnte mich nach etwas, das ich nicht hatte. Selbst der Erfolg, der sich einstellte, war nicht der richtige Erfolg.
Und dabei ist es so einfach: Es gibt nämlich gar kein »Jetzt hab ich’s aber geschafft«. Das mag für ergebnisfixierte Menschen enttäuschend klingen. Es gibt nämlich keinen Wettbewerb zu gewinnen und kein Ziel zu erreichen. Dafür ist es aber auch nicht anstrengend und kostet nichts. Vielmehr sind wir alle jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde aufgefordert, aufmerksam zu sein, bei uns zu bleiben, hinzuschauen – und zu fühlen. Und je mehr ich hinschaue und fühle, umso wohler fühle ich mich in meiner Haut.
 
Unsere Gefühle wollen vor allem gesehen und richtig verstanden werden. Sie fordern Mitgefühl. Sie wollen aus dem Kerker der Verdrängung frei gelassen und in den Alltag eingeladen werden. Unsere Gefühle wollen da sein dürfen. Und wenn wir sie da sein lassen und uns nicht dafür verurteilen, dass wir sie haben, sind sie bereits integriert. Wir müssen sie weder unterdrücken noch müssen wir ihnen gezwungenermaßen nachgeben und uns zu ihrem Spielball machen. Gefühle wollen Freundschaft mit dem, der sie fühlt, und zwar für immer. Wenn dies der Fall ist, kommt stets genau der Impuls, der uns das Richtige tun lässt und die Lösung für die jeweilige Situation hervorbringen kann.
Dann stellt sich jener Frieden ein, der nicht unbedingt eine Veränderung im Außen braucht, aber sehr wohl eine Änderung bewirken kann. Das ist dann eine Veränderung, die uns voll und ganz entspricht.
Gefühle wollen geliebt werden, und zwar ausnahmslos. Und wenn wir es schaffen, sie wirklich alle zu lieben, merken wir sehr schnell, was richtig und falsch für uns ist. Doch wie schafft man es, seine Gefühle zu lieben?

Bewusst fühlen, wie geht das?

Bislang haben wir unsere Gefühle miserabel behandelt. Wie jemand, der sich – unfähig, ein Frühstücksei zuzubereiten – trotzig beschwert: »Ich habe dieses Ei mindestens eine Stunde lang gekocht und es ist immer noch nicht weich.« Genauso kochen wir unsere Gefühle hart und verstehen nur selten etwas von ihrer wahren Natur.
Wir fühlen immer irgendetwas. Selbst, wenn wir nichts fühlen, fühlen wir, dass wir nichts fühlen. Aber wie geht dieses Fühlen vonstatten? Und wie können wir bewusster fühlen?
Wenn ich meine Hand aus Versehen auf eine heiße Herdplatte gelegt habe, ziehe ich sie sofort wieder weg, weil es heiß ist. Das fühle ich unmittelbar. Der Zusatz aus der Verstandesregion, »weil ich keine Verbrennungen haben will«, ist überflüssig. Wenn die Herdplatte sich aber langsam erwärmt, während meine Hand darauf liegt, muss ich genau hinspüren, um festzustellen, bis wohin es noch angenehm ist und ab wann es unangenehm wird. Da braucht es mehr Aufmerksamkeit. Geht es noch oder wird es mir zu heiß? Ich muss mein »Denken« förmlich in die Handfläche verschieben. Ich muss mit den Poren denken, mit der Haut. Ich öffne die Poren, indem ich sie entspanne. Dann kann ich die Empfindung hereinlassen.
002

Erlebnis: Sinnliche Reise zu den Dingen

Lege die Hand auf eine Tischplatte. Wie fühlt sie sich an? Rau? Kalt oder glatt? Hölzern, gläsern? Spüre es in der Handfläche, in den Fingern. Denke nicht darüber nach. Gib deinen Poren die Erlaubnis sich zu öffnen und die Empfindung, die da ist, entgegenzunehmen. Lass sie spüren. Vielleicht wollen sie zuerst nicht spüren. Dann hilft es nicht zu befehlen. Viel besser ist es zu entspannen.
Achte darauf, wie sich dein Empfinden ändert. Wenn du die Hand entspannst, kann es sein, dass sich der restliche Körper gleich mit entspannt. Er nutzt die seltene Gelegenheit! Interessiere dich dafür, wie deine Hand etwas wahrnimmt. Sie tut das, seit du lebst. Urteile nicht über das, was du gerade tust. Höre nicht auf den Besserwisser im Kopf und gestatte dir den Luxus, einmal auf andere Weise in Kontakt mit deinem eigenen Fühlen zu kommen.
Berühre einen anderen Gegenstand: ein Wasserglas, einen Stift, ein Buch, ein Stück Brot. Oder halte deine Hand unter fließendes Wasser und genieße es, während das Wasser darüber rinnt. Schenke dieser Empfindung deine wohlwollende Zuwendung. Spüre, wie deine Fingerspitzen wahrnehmen. Merkst du, wie sensibel und feinsinnig dieses Hinspüren ist? So funktioniert der ganze Körper. Er hat die Fähigkeit, alles zu fühlen und auszukosten, wenn wir es ihm erlauben. Gestatte dir, im Laufe des Tages immer mal wieder eine »sinnliche Reise« zu den Dingen zu machen, die du berührst, indem du sie mit freundlicher Aufmerksamkeit fühlst. So bekommst du mit der Zeit einen fühlbaren Zugang zu deinem Körper.
003
Leider gehen wir so gut wie nie mit dieser offenen, freundlichen Aufmerksamkeit durchs Leben, sondern verschließen uns eher, weil wir uns vor Angriffen schützen wollen. Wir befinden uns zum Beispiel im Gespräch mit Leuten. Jemand gibt ein Stichwort, und plötzlich fühlen wir etwas, das uns unangenehm ist – wir fühlen uns eingeschüchtert, vielleicht misstrauisch oder provoziert. Wir nehmen zunächst nur einen Anflug dieses Gefühls wahr, und schon meldet sich der denkende Kollege in unserem Kopf und will diese Situation für uns retten. Er sagt beispielsweise, dass wir uns zu angreifbar machen mit dieser Schüchternheit. Und wenn das einer mitkriegt, könnte es gefährlich werden. Er ist der Meinung, wir sollten das Gefühl tunlichst verstecken und so tun, als wäre nichts. Er ermutigt uns sogar, dieses Gefühl zu überspielen und möglichst schnell mit einer ganz grandiosen Replik aufzuwarten. Er meint, so könnten wir punkten. Dann sei das Gegenüber beeindruckt von uns und alles sei wieder paletti. Wir befolgen seine Ratschläge, und das schüchterne oder misstrauische Gefühl ist weg – auf Nimmerwiedersehen, wie wir glauben.
Genau das Gleiche machen wir mit den angenehmen Gefühlen. Freude steigt in uns auf, doch statt sie voll und ganz zu genießen, geht unser kritisches Denken sofort dazwischen und findet Gründe, wieso wir uns zurückhalten sollten: »Freu dich nicht zu früh! Hochmut kommt vor dem Fall!« Und schon sind die Schotten wieder dicht und unsere Lebensfreude ist entsprechend gedämpft. »Macht nichts!«, sagt unser kritischer Mann im Kopf, »Es ist besser, sich zurückzuhalten. Man weiß nie, wie es ausgeht. Ich will dich nur davor bewahren, dass du später enttäuscht bist.«
Wenn ich darüber nachdenke, ob das, was ich fühle, richtig oder falsch ist, kann ich nicht fühlen, weil ich durch mein Denken abgelenkt bin. Das heißt nun nicht, dass wir unsere Gedanken unterdrücken oder gar auslöschen sollten. Die Gedanken dürfen da sein, aber ich halte nicht an ihnen fest, indem ich sie allzu wichtig nehme und ihnen meine gesamte Aufmerksamkeit schenke. »Das ist langweilig. Ich weiß es besser. Ich sollte eigentlich was andres machen.« Der kritisch denkende Kollege im Oberstübchen hat immer was zu sagen. Das ist okay! Aber nicht, wenn wir es nicht wollen. Ich bin der Boss, nicht mein Denken.
Unser denkender Kollege im Kopf darf jetzt mal etwas Neues ausprobieren. Natürlich wird er heftig dagegen rebellieren, aber wir sagen ihm: »Junge, du hast bis jetzt immer den Chef gespielt. Jetzt machen wir es mal andersrum. Das ist mehr als gerecht.« Dazu fällt ihm vor Schreck erst mal nichts ein. Solche Worte kennt er von uns nicht. Wir nutzen seine Sprachlosigkeit, um unsere Aufmerksamkeit von ihm abzuwenden. Wir sagen ihm höflich, dass er mal pausieren darf. Er darf ruhig weiter denken, aber bitte draußen im Garten. Wir hören ihm nicht mehr zu, sondern achten mehr und mehr auf die Empfindung beispielsweise in unserer Hand. Anfangs fühlt sie sich vielleicht nach »nichts« an, aber nach kurzer Zeit wird sie »lebendig«. Sie kribbelt, sie pulsiert. Sie hat eine bestimmte Temperatur, sie nimmt etwas wahr. Ich fühle meine Hautoberfläche, die Arme, die Beine, die Füße, den Bauch, die Brust, den Rücken, den Hals, den Kopf. Wie fühlt es sich an, die Hautoberfläche wahrzunehmen? Kann ich damit sein? Ich werde empfindsam für meinen Körper, der mich so selbstverständlich am Leben hält. Mit dem freundlichen Empfinden für mich selbst kann ich in meiner Vorstellung in das Körperinnere gelangen.
004

Erlebnis: dem Körper einen Besuch abstatten

Sitze oder liege bequem an einem Ort, wo du ungestört bist. Schließe die Augen und gönne dir eine kleine Erkundungsreise in dein Körperinneres. Lass dein gewohntes Denken und Analysieren draußen und wende dich dir selbst zu. Wo zieht es dich mit deiner Aufmerksamkeit hin? Fühlst du Spannungen in deinem Körper? Verkrampfungen? Geh mit deinen inneren Augen dort hin. Diese Anspannungen wolltest du bislang immer loswerden und vermeiden. Schenke ihnen heute deine wohlwollende Zuwendung, indem du direkt dort hinspürst. Verweile mit deinem wärmenden Blick bei dieser Empfindung und erlaube ihr da zu sein. Sie hört vielleicht zum ersten Mal, dass sie willkommen ist. Spüre, wie sich diese Stelle durch deine liebevolle Aufmerksamkeit ein wenig beruhigt. Atme langsam und ruhig in diese Empfindung, als wolltest du ihr helfen sich zu entspannen. Wie fühlt es sich jetzt im Moment an? Lass deine Hautoberfläche los.
Besuche auch andere Regionen deines Körpers: die Arme, den Bauch, die Herzgegend und fühle, wie sich dein Herz von innen anfühlt. Geht das? Betrachte es mit liebendem Blick. Merkst du, wie es sich entspannt und deine Zuwendung freudig entgegennimmt? Geh so auch zu deinen Lungen und umwehe sie in deiner Vorstellung mit deinem befreienden Atem. Spüre, wie sie im Inneren aufatmen. Wie fühlt sich deine Leber an, wie dein Magen? Deine Nieren, deine Blase, deine Geschlechtsorgane, deine Verdauungsorgane? Du musst nicht einmal wissen, wo genau welches Organ sitzt. Es reicht, wenn du deinen inneren Raum liebevoll erwanderst und dir erlaubst, das zu fühlen, was da gefühlt werden möchte. Gehe zu den Bereichen, zu denen es dich hinzieht. Verweile an den Stellen, die deine Aufmerksamkeit brauchen. Stell dir vor, dass du dein Wohlwollen und deine Freundlichkeit dorthin strömen lässt. Ruhe dich dort aus, solange du willst, mit allem, was du empfindest. Dann recke und strecke dich, atme ein paar Mal tief ein und auf und öffne langsam die Augen.
005
Während ich mein Körperinneres fühle, achte ich nicht auf die vorbeirasenden Gedanken, die weiterhin nach meiner Aufmerksamkeit heischen. Ich könnte zum Beispiel sagen: »Hallo, ihr lieben Gedanken, ihr habt sicher wichtige Dinge zu sagen. Ich komme nachher zu euch zurück. Entspannt euch, ich muss mal eben was fühlen. Das könnte selbst für euch interessant werden.« Du wirst sehen, dass sich die Gedanken mit der Zeit an diese Art der Ansprache gewöhnen. Sie kommen aber auch damit klar, dass man ihnen wortlos die Aufmerksamkeit entzieht.
Wir dürfen dem Körper ruhig erlauben, unsere Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, wo sie gerade am nötigsten gebraucht wird. Am Anfang spielt er seine Rolle als Reiseführer vielleicht noch etwas zögerlich, aber unsere Zuwendung wird ihn ermutigen. Kann ich einfach sein mit diesem Fühlen, das vielleicht im Augenblick keine sonderlichen Regungen auslöst? Was passiert, wenn ich mich ein wenig tiefer in den Körper begebe? Wo zieht es mich hin mit meiner Aufmerksamkeit?
In die Brustregion zum Beispiel … Wenn ich dort verweile und weiter ruhig atme, fühlt es sich ein wenig schwer an. Eigenartig. Ich stelle fest, dass es dort ein wenig düster ist, als läge ein kleines Gewicht auf diesem Bereich. Jetzt fühlt es sich an wie ein Stein. Ich weiß nicht, wo er herkommt, dieser Stein, aber ich lasse ihn da sein, mit seinem ganzen Gewicht. Ich atme weiter und wende mich diesem Stein liebevoll zu. Ich lasse dem Empfinden, das auftaucht, alle Freiheit. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass ein kühler oder warmer Windhauch diese Empfindung zärtlich umweht. Oder ich nehme die Empfindung, den Stein, in meiner Vorstellung liebevoll in die Arme wie ein Kind, das getröstet werden möchte. Ich bleibe einfach bei dem, was sich gerade wie auch immer anfühlt, und werde dabei immer freundlicher. Ich erlaube dieser Empfindung, da zu bleiben. Ich gebe ihr Platz in meiner Brust, will sie nicht loswerden, halte sie aber auch nicht fest. Ich bin ganz geduldig und bei der Sache. Es kann sein, dass sich dieses Gefühl der Schwere – das ich hier als Beispiel nehme – allmählich verändert, dass es leichter wird. Ich bleibe einfach weiter dabei.
Es könnte aber auch sein, dass plötzlich Traurigkeit auftaucht oder ein anderes Empfinden, das gar nicht benannt werden kann und auch völlig unerwartet kommt, weil es bisher verschüttet war. Dann »beatme« ich dieses Gefühl, wie auch immer es jetzt ist, ganz leicht und mit voller Aufmerksamkeit. Ich merke, wie sich etwas beruhigt, wie ich wacher werde, durchlässiger … Lebenstauglicher womöglich?
Im Nachhinein sucht der denkende Kollege im Kopf alle möglichen plausiblen Erklärungen für das, was ich da gefühlt habe. Wo kommt es her? Was hat es zu bedeuten? Er will am liebsten gleich Schlüsse für die Zukunft daraus ziehen und ein Verhaltensprogramm daraus ableiten. Aber das ist nicht nötig. Wichtig ist, dass ich gefühlt habe, was da war.
Der ganze Körper, den ich bewohne, wird mehr »ich.« In diesem freundschaftlichen Empfinden komme ich bei mir an. Es stärkt mich von innen und macht mich präsent im Außen.
Präsenz ist für einen Schauspieler das tägliche Brot und manche, vor allem Berufsanfänger, missverstehen Präsenz als etwas, was sie tun sollen: »Sei präsent!« Präsenz kann man nicht machen. Präsent kann man nur sein, und es bedeutet, »da« zu sein, wo man gerade ist. Ein präsenter Schauspieler hat einen Teil seiner Aufmerksamkeit immer bei sich, in seinem Körper, bei seinen Empfindungen. Er lebt auf der Bühne oder vor der Kamera nicht vom Kopf aus, sondern ganzkörperlich. Er hat »alle seine Sinne beisammen«, selbst wenn er einen Verrückten spielt. Die Augen sind wach, selbst wenn er einen Schläfrigen spielt, der gleich vom Stuhl kippt. Ein guter Mime weiß, was er tut, während die Rolle, die er spielt, nicht weiß, was als Nächstes kommt. Wo Präsentsein für einen Schauspieler aus beruflichen Gründen unerlässlich ist, ist es für uns andere eine wunderbare Chance, uns lebendiger wahrzunehmen und unsere Lebensqualität zu verbessern.
Wir sind im Körper präsent, wenn wir bemerken, wie unser Körper reagiert. Wir spüren, was er braucht und was ihm guttut. Manchmal will er nur einen freundlichen inneren Blick aus dem Augenwinkel, um uns dann zu signalisieren: »Alles okay, bin für dich da.« Es ist inspirierend, diesen Körper zu bewohnen und zu fühlen, weil wir in ihm leben und lieben. Die Alternative wäre, dass wir ihn bis zu unserem letzten Tag mit uns herumschleppen, ihm zürnen, wenn er schlappmacht, und ihn am Ende nicht einmal näher kennen gelernt haben. Das wäre schade, wo er doch unser engster Freund ist, der uns niemals die Partnerschaft kündigt.

Die guten ins Töpfchen – und die schlechten …?

»Gute« Gefühle wollen wir alle haben, »schlechte« eher nicht. Also bedienen wir uns verschiedener Methoden, um die sogenannten »schlechten« Gefühle möglichst schnell zu entsorgen. Die meisten dieser Entsorgungsmethoden scheinen zunächst auch durchaus zu funktionieren: Die »schlechten« Gefühle sind erst mal weg. Wie schön! Leider merken wir im Eifer des Gefechts meist gar nicht, was wir da tun: Wir verdrängen die unangenehmen Gefühle und glauben, sie dann nicht mehr fühlen zu müssen. Oft glauben wir sogar, »schlechte« Gefühle könnten allein dadurch zum Verschwinden gebracht werden, dass wir uns einer Sache widmen, die spannender ist als das Fühlen dessen, was gerade gefühlt werden will.
Verdrängen kann natürlich auch sinnvoll und nützlich sein. Es leistet uns zum Beispiel gute Dienste, wenn es darum geht, unser Überleben zu sichern und Krisen zu bewältigen. Es ist ein Schutzmechanismus, ohne den wir viele einschneidende Ereignisse und Veränderungen gar nicht bewerkstelligen könnten. Als eine Art »Überlebenspolizei« kann es uns mit zielsicherem Instinkt um die Hürden manövrieren, die das Leben uns in den Weg stellt. Wenn wir auf unser bisheriges Leben zurückblicken, werden wir sicher alle feststellen, dass es bislang durchaus notwendig und sinnvoll war, nicht so ganz genau auf all das zu schauen, was wir da von uns weggeschoben haben. Es gibt also keinen Grund, diesen Schutzmechanismus zu verteufeln, nur weil es uns jetzt möglich ist, die Augen ein wenig weiter aufzumachen und die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind und waren. Und doch haben wir erst jetzt Gelegenheit, diesen Mechanismus, auf den wir bislang keinen Einfluss zu haben glaubten, zu entmystifizieren und Meister unseres Lebens zu werden.
Auf Dauer bringt uns das Verdrängen nämlich nicht weiter, denn verdrängte Gefühle sind wie Stehaufmännchen. Resistent gegenüber jeder Taktik sie loszuwerden, tauchen sie bei der nächsten Gelegenheit mit dem gleichen oder einem ähnlichen Gesicht wieder auf und machen dann meist noch vehementer auf sich aufmerksam: »Hallo, hier ist dein Gefühl von Leistungsdruck. Kennst du mich noch? Du hast mich doch eben erst abwimmeln wollen, als du dich so bequem vor den Fernseher gefläzt hast. Aber wie du siehst, bin ich immer noch da. Ich habe gewartet, bis der Spielfilm aus ist.«
Gefühle wollen nicht, dass man sie loswird, sondern, dass man sie sieht.
Deshalb funktioniert »positives Denken« nicht. Es funktioniert nicht, weil vor dem, was wir gern positiv sehen würden, eine Barriere aus verdrängten oder nicht gesehenen Gefühlen steht. Die verhindert, dass wir das, was wir gern positiv erfahren würden, auch wirklich so erfahren können. Es ist nur ein isoliertes Spiel innerhalb der Gehirnwindungen und berührt nicht unser Innerstes.
 
Johannes fristet schon seit Jahren ein trauriges Single-Dasein. Nach außen hin tut er, als ginge es ihm bestens und setzt sein freundlichstes Lächeln auf. Nicht selten auch, um sich mögliche spontane weibliche Bekanntschaften nicht zu verscherzen. Ja, er will eine Frau. Sie muss nicht mal aussehen wie Angelina Jolie, nein, das würde ihn überfordern. Johannes ist bescheiden. Er will eine, die ihn so liebt, wie er ist, und die sich nicht davon abschrecken lässt, dass er jede Woche »Wer wird Millionär?« im Fernsehen guckt. Er will eine, die mit ihm in Urlaub fährt. Die ihm auch mal ein Hemd bügelt. Das dürfte nicht zu viel verlangt sein. Wenn doch, wäre er sogar bereit, weiterhin selbst zu bügeln. Sie sollte begehrenswert sein und gern über seine Witze lachen. Nun hat Johannes die Technik des erfolgreichen Wünschens und Visualisierens kennengelernt. Er hat Bücher gelesen und Seminare besucht, deren Seminarleiter aussahen, als wären ihre Wünsche bis in alle Ewigkeit im Voraus erfüllt worden. Er visualisiert seine Traumfrau und sagt: »Ich habe eine wunderbare Freundin, die mich liebt.« Er fühlt sich wohl bei diesem Gedanken, sieht die Freundin schon vor sich, lässt den Wunsch ins Universum entschwinden und vertraut darauf, dass er in Erfüllung geht. So weit, so gut. Sein Freund unterstützt ihn: »Johannes, du hast jetzt wirklich mal eine richtig gute Frau verdient!« Und beide nicken synchron. Nun weiß Johannes eines nicht: Er ist unbewusst fest davon überzeugt, dass er eine solche Liebe – die Mischung aus Angelina Jolie und der etwas fülligen Bedienung mit der süßen Zahnlücke aus dem Café – gar nicht verdient hat. Er sagt zwar zehnmal täglich »Ich bin es wert, geliebt zu werden« und glaubt es auch. Sogar sein Therapeut und seine Mutter glauben es. Dennoch hat er die unbewusste Einstellung: »Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden.« Und diese Einstellung arbeitet konsequent gegen die Erfüllung seines Wunsches. Das weiß er aber nicht, weil er nur seinen wohl formulierten Gedanken über sich glaubt. Er fühlt nicht in sich hinein – er denkt! Und er denkt, dass er fühlt! Damit ist er sich und seinen eigenen Empfindungen fremd. Die Mischung aus Angelina und der süßen Zahnlückenbedienung rückt in weite Ferne.
Während er sich in die Vorstellung hineinsteigert, wie toll es in Zukunft sein wird, wenn die Traumfrau erst da ist, fühlt er sogar, wie es dann sein wird. Er schwärmt seinem Freund vor: »Ich mache alles richtig, ich fühle sie schon. Ich fühle, wie es sich anfühlt, wenn sie da ist!« Dabei kümmert er sich aber nicht um sein altes Gefühl in seinem Inneren, das ihm sagen will: »Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden.« Dieses Gefühl wird so lange inkognito durch sein Leben spazieren und ihn in seinem Bestreben sabotieren, bis er es endlich spürt und liebevoll in die Arme nimmt. Bis dahin wird sich sein Wunsch wahrscheinlich nicht erwartungsgemäß erfüllen, weil der Weg zu dem, was er sich wünscht, blockiert ist. Bis dahin wird er immer wieder resignieren und die »blöden Weiber« beschuldigen, die nicht merken, was für einen toleranten, liebevollen, humorvollen und leidenschaftlichen Partner sie sich mit ihm durch die Lappen gehen lassen.
Wir haben keine Garantie dafür, dass unsere Wünsche in Erfüllung gehen. Aber wenn es sein soll und sie sich erfüllen, dann nur, weil wir es ganz und gar wollen, mit jeder Zelle sozusagen. Wir wünschen dann nicht nur mit dem Kopf, der ja lediglich als Übersetzer unseres wahren Bestrebens fungiert. So ein Wunsch fühlt sich an, als sei er gar kein Wunsch mehr, sondern bereits in Erfüllung gegangen. Da nagt kein Zweifel, da sind keine Rechtfertigungen oder Erklärungen mehr nötig. Im Grunde ist es auch kein Wunsch mehr, sondern bereits Tatsache, weil die Dinge einfach ohne Anstrengung von allein passieren. Mühelos. Wenn wir mit dem ganzen Körper »wünschen«, können unsere Wünsche Wirklichkeit werden – und nur dann, nicht etwa, wenn der intelligente Denkapparat in unserem Kopf es allein für richtig hält. Der weiß nämlich meist gar nicht, was das Beste für uns ist. Wünsche werden zu Wirklichkeit, wenn wir »im Fluss« sind: wenn der Kopf sich mit dem Bauch gut angefreundet hat. Wer im Fluss ist, will nichts anderes, als das, was er hat. Weil es nichts gibt, was sich besser anfühlen könnte, als komplett einverstanden mit sich selbst zu sein.
Oft habe ich mit Freunden das Spiel gemacht, in dem jeder erzählt, was er sich wünscht. Ich sagte dann zum Beispiel: »Ich wünsche mir eine mehrstöckige Villa am Starnberger See mit direktem Zugang zum Wasser.«
»Wie fühlt sich das an?«, wurde ich gefragt.
»Super!«
Meine Mitspieler schauten mich zweifelnd an: »Glauben wir dir nicht.«
»Doch, doch, das hätte ich gern. Und eine Haushälterin dazu.«
»Glauben wir dir noch weniger.«
Als ich in mich hineinspürte, konnte ich es fühlen: Mein Wunsch war nicht in völliger Übereinstimmung mit mir und meinem Körper. Etwas sträubte sich dagegen, aber es war so fein, dass ich es nur als leichte Anspannung spürte. Ich stellte fest, dass ich eigentlich keine Lust darauf hatte, dass eine fremde Person mir mein Essen kocht, und ich wollte mich auch nicht ständig um irgendwelche reparaturbedürftigen Zäune oder Überwachungskameras kümmern müssen, die mir sicherstellen sollten, dass meine tolle Villa einbruchsicher ist. Die Wahrheit war: Nur mein Denken wollte, dass ich mir die Villa wünsche!
Man sieht es einem Menschen an, ob sein Wunsch für ihn stimmt oder nicht. Wenn er stimmt, sagt der ganze Körper mit jeder einzelnen Zelle »ja« und die Augen strahlen. Dann geht von dem betreffenden Menschen ein Selbstverständnis aus, das keinen Zweifel aufkommen lässt. Der Körper lügt nie. Und wir bekommen immer das, was wir brauchen, weil wir bewusst oder unbewusst danach verlangen. Wenn uns das nicht gefällt, brauchen wir uns bloß unsere Meinungen, Urteile und Überzeugungen anzusehen.

2
Denken, bewerten, ausleben – oder unterdrücken?
Seit ich mein Auto besaß, quietschten selbst bei starkem Regen die Scheibenwischer. Es störte mich gewaltig. Ich brachte das Auto in die Werkstatt, wo die Wischerblätter erneuert wurden. Doch als ich das Fahrzeug abholte, quietschten sie immer noch. Sogar noch mehr. Sie schrammten über die Scheibe, dass sich das Gummi verbog. Wenn ich das Radio beim Fahren laut stellte, hörte ich es zwar kaum, aber ich fahre nun mal gern ohne Musik und fühlte mich nun praktisch gezwungen, bei Regen die Boxen dröhnen zu lassen, damit ich vom Lärm der quietschenden Wischer verschont blieb. Irgendwann half auch die laute Musik nicht mehr. Das Geholpere der defekten Scheibenwischer bohrte sich so penetrant in meine Ohren, dass mir Hören und Sehen verging. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte, als sich der Beschwerde-Kollege in meinem Kopf zu Wort meldete und der Autowerkstatt die Schuld zuschob: »Die haben die Wischer kaputt gemacht!« Es ging noch weiter: »Ich werde schlecht behandelt! Die respektieren mich nicht! Ich muss denen die Meinung sagen.« Und schließlich: »Immer habe ich Probleme mit dem Auto!«
Mittlerweile atmete ich so schwer, als hätte man mir einen Pflasterstein auf die Brust gelegt, während die Scheibenwischer in aller Unschuld weiter vor sich hin quäkten. Ich brodelte innerlich und malte mir aus, wie lange es nun wieder dauern würde, dieses Dilemma zu beheben. Als ich wieder in der Werkstatt vorstellig wurde, regnete es nicht mehr. Ich wollte den Mangel am Scheibenwischer demonstrieren, aber mit Scheibenwischwasser und selbst auf trockener Scheibe liefen die Wischerblätter einwandfrei hin und her, als mache es ihnen Spaß, mich zum Narren zu halten. Der Automechaniker sah mich fragend an. Ich interpretierte einen kleinen Vorwurf in seinen Blick und kam mir vor wie eine Lügnerin, als ich trotzig sagte: »Das war aber vorhin anders!« Sofort schaltete sich der Kollege in meinem Kopf zu und steuerte eine Idee bei: »Der glaubt, ich bin eine gelangweilte Frau, die sich gern mal Abwechslung in einer Autowerkstatt sucht, weil sie sonst nichts zu tun hat.« Das schien mir glaubwürdig. Sofort wurde mein Tonfall leicht aggressiv und der Automechaniker behandelte mich tatsächlich ein wenig so, als sei ich nicht ganz normal. Er versprach, nach dem Rechten zu sehen. Stunden später holte ich mein Auto wieder ab und man versicherte mir, der Schaden sei nun behoben. Doch beim nächsten Regen knarrte und holperte der Wischer erneut. Da schlich sich der irrwitzige Verdacht bei mir ein, dass die Leute von der Werkstatt vielleicht gar nichts an meinem Fahrzeug unternommen hatten! Wahrscheinlich hatten sie mich die ganze Zeit angelogen. Ich befürchtete nun, man würde mir wieder nicht glauben, wenn ich noch einmal mit dem gleichen Problem ankäme. Und wie peinlich das dann wäre, weil quietschende Scheibenwischblätter eigentlich ja gar kein »richtiges« Problem sind, im Gegensatz zu einer defekten Bremse. Die Aufregung gipfelte darin, dass ich inzwischen schon selbst das Gefühl hatte, als würde ich mir das Wischergeräusch nur einbilden, obwohl es ganz deutlich zu hören war. Ich demonstrierte es einer Freundin, um ganz sicher zu gehen. Sie sagte: »Ja, es quietscht abscheulich.« Als ich ein weiteres Mal zur Werkstatt fuhr, sagten sie mir, ich müsse dann kommen, wenn es regnet. Im Moment könne man das Problem nicht finden. Ich nickte, aber eigentlich explodierte ich fast. Wegen eines Scheibenwischerproblems musste ich nun meine gesamte Wochenplanung umstellen – falls es regnen sollte! Ich kreiste komplett in der Unzufriedenheitsspirale, die für mich noch eine Umdrehung extra einschob, damit es sich auch lohnte.
Irgendwann sagte ich mir: »Nun mach mal halblang. Stopp! Ist das überhaupt wahr, was ich da denke?« – und beschloss, aus der mich immer weiter treibenden Gedankenkette auszusteigen.
 
Das Aussteigen aus der Gedankenkette ist der erste Schritt zu einer enormen Verbesserung eines jeden Zustandes, in dem wir uns nicht wohl fühlen und mit dem wir zu kämpfen haben. Wir glauben den an uns zerrenden Gedanken einfach nicht mehr! In der oben beschriebenen Situation versuchte ich, mich selbst zu sehen: wie ich aus Angst vor Unglaubwürdigkeit und Ablehnung unter Druck stand, wie hilflos ich darin war und mich deshalb verpflichtet fühlte, mich zu wehren, ja, um mich zu schlagen, damit die Gerechtigkeit siegen konnte. Weil ich prophylaktisch an Ungerechtigkeit glaubte. Ich sah eindeutig, wie wütend ich war und wie genervt. Ich stieg aus diesen Gedanken aus und beobachtete von »außen« das wild gewordene Karussell in meinem Kopf. Aus der Gedankenkette auszusteigen, bringt enorme Erleichterung. Die gesamte Situation erscheint in einem anderen, helleren Licht. Wir regen uns nicht mehr auf, müssen uns nicht mehr rechtfertigen, sind entspannter und sagen und tun nur das, was zu sagen und zu tun ist. Dem nervenaufreibenden Drama – sei es groß oder klein – wird die Grundlage genommen, die einzig und allein in dem festen Glauben daran besteht, dass diese Gedanken wahr sind.
Damit dies überhaupt geschehen kann, müssen wir jedoch zunächst auf die Idee kommen, unsere Gedanken zu hinterfragen: »Ist das wirklich so? Vielleicht war es früher einmal so, aber entspricht es immer noch der Realität? Vielleicht gäbe es eine andere Sichtweise, die mich weniger aufregen würde, die ich aber gar nicht zulasse, weil ich nicht daran gewöhnt bin.«
Wir hören auf unsere eigenen Gedanken, als seien sie der Garant für die Wirklichkeit. Wir folgen ihnen wie ein Hund seinem Herrchen, lassen uns von ihnen bestimmen und wundern uns dann, wieso wir nicht glücklich sind. Wir haben dem kritisch analysierenden Kollegen in unserem Kopf eine Führungsposition gegeben, in der er vollkommen überfordert ist.
Es wird Zeit, dass wir selbst die Kontrolle über unser Denken übernehmen und der Chef unseres Lebens werden. Dann können wir mitten in einer belastenden Situation jederzeit eine andere Haltung einnehmen, die uns die Dinge sofort mit ganz anderen Augen sehen lässt.
006

Erlebnis: Der Betrachter sieht, was ich denke

Setze dich an einem Ort, wo du ungestört bist, bequem hin. Beschließe, dich jetzt nur um dich selbst zu kümmern. Beobachte deinen Atem, wie er ruhig ein- und ausströmt. Er lässt dich nie allein. Atme mehrmals ganz entspannt ein und aus. Wenn du dich um etwas sorgst, wenn dir etwas Kummer bereitet, schenke diesen quälenden Gedanken deine Aufmerksamkeit. Denkst du immerzu das gleiche? Bemerke, dass sie in dir kreisen wie eine alte Schallplatte. Oder springen deine Gedanken von einem Thema zum andern? Siehst du, wie wichtig sie dir erscheinen? Stelle fest, dass du diese Gedanken als wirklich empfindest. Du kennst sie schon lange und bist ihnen stets treu gefolgt, weil du geglaubt hast, sie helfen dir. Sie hielten dich in der Abwärtsspirale der Unzufriedenheit. Merkst du, dass es immer die gleichen Unruhe stiftenden Gedanken sind, die sich hier im Kreis drehen? Jetzt siehst du sie mit anderen Augen und merkst, dass du bislang immer »gedacht worden bist.«
Deine Grübelroutine sucht nach einer Lösung und lässt dich nicht in Ruhe. Jetzt kannst du sehen, dass du denkst. Du wirst zum aufmerksamen Betrachter deiner Gedanken. Beurteile sie nicht. Erlaube ihnen, so zu sein, wie sie sind. Atme langsam und ruhig weiter. Genieße die Tatsache, dass du dich beim Denken betrachtest. Merkst du, wie leicht das ist? Vielleicht kannst du erkennen, dass du dich schon ganz lange von deinen herummäkelnden Gedanken hast bestimmen lassen. Betrachte dich liebevoll und stelle sanft fest, dass du diesen zweifelnden oder urteilenden Gedanken immer Glauben geschenkt hast. Und während du das feststellst, wird dir auch klar, dass du jederzeit zum Betrachter werden kannst, der die laufende Maschinerie in deinem Kopf beobachtet. So verändert sich die alte Denkroutine und verliert ihre Macht über dich. Als Betrachter bist du frei. Als Betrachter hast du einen klaren Blick – wie ein Adler, der im frei schwebenden Flug das weite Feld überschaut. Als Betrachter urteilst du nicht, weder über dich selbst noch über andere. Wohlwollend blickst du auf alles, was du in dir wahrnimmst. Entspannung und Wohlbehagen stellen sich ein, weil du deine Gedanken so sein lässt, wie sie sind. Du erkennst, dass du nicht deine ausufernden Gedanken bist. Du kannst sie beobachten und freundlich auf sie schauen, als stündest du neben ihnen. Du bist der Zeuge deines Denkens, doch nicht der Denker.
007

Bewertet und in eine Schublade gesteckt

Der Betrachter in uns sieht, was wir denken: sämtliche Mutmaßungen und alles, womit wir uns selbst verurteilen, unsere ganze Ratlosigkeit. Er sieht aber auch die Urteile, die wir über andere fällen, weil sie unserer Meinung nach etwas verbockt haben und eigentlich dafür bezahlen müssten. Es liegt jedoch nicht in seinem Interesse, in Richtig und Falsch einzuteilen oder zu bewerten. Er ist einfach nur da, steht uns zur Seite und sieht die Dinge, wie sie sind, als würde er sich einen Film ansehen: »Aha, das geschieht gerade!« Er zieht keine Schlüsse daraus. Er ist unparteiisch.
In unserem Alltag ist meist genau das Gegenteil angesagt: »Bilde dir eine Meinung! Beziehe Stellung. Finde die Vor- und Nachteile. Argumentiere, sonst wirst du über den Tisch gezogen.« Wir halten das Bewerten für lebenswichtig. Wenn wir keine Stellung beziehen, so glauben wir, seien wir rückgratlose Nichtswisser. Das bringt uns manchmal sogar dazu, irgendeine Haltung einzunehmen, die uns gar nicht entspricht.