Rebell

Gläserne Stille

Mirjam H. Hüberli

Inhalt

Impressum

Widmung

Karte

Augen.

Prolog

1. Hohles Entsetzen in der gespenstischen Stille

2. Spieglein, Spieglein an der Wand, zeig mir, was ich noch so kann …

3. Luft aus der der Hölle, so schwarz wie Pech

4. Lauerndes Unheil, getarnt mit Masken aus Gold und Silber

5. Von Damen, die damenhaft, aber auch ziemlich dämlich daherkommen

6. Versiegender Glamour und anwachsendes Arschgesicht

7. Wenn man keine Ahnung hat – davon aber verdammt viel

8. Verrenkungen, Superman und andere verborgene Nebensächlichkeiten

9. Was sich so alles unter dem Hosenbund verbirgt

10. Freund oder Feind – das ist hier die Frage

11. Bellende Affen

12. Skizzenstriche, Himmelsrichtungen und drei Punkte

13. Ein sehr intelligentes Möp

14. Meeresrauschen. Meeresstille. Meereszauber.

15. Wirres Geplapper oder wahre Worte?

16. Was, du hast keinen unsichtbar machenden Tarnumhang in deiner Handtasche?

17. Löwengebrüll, Nebelschwaden und Handschellen

18. Wie die Nadel im Heuhaufen

19. Home Sweet Home?

20. Bo – Herz aus Glas

Danke

Über die Autorin

Bücher von Mirjam H. Hüberli

Für Will.

Deren Gedanken manchmal

zu flott über die Lippen gehen

und die trotzdem das Herz

auf dem rechten Fleck trägt.

Du hast es erfasst:

Prinzessinnen retten sich selbst!

Karte

Augen.

Gespiegelt mit Bildern.

Seelen.

Verbunden über Dimensionen.

Spiegel.

Gezeichnet mit Kronen.

Herz.

Verloren zwischen den Welten.

Glück.

Gefangen im gläsernen Nichts.

Prolog

Niven – zu viel, zu wenig, zu schwach

Wer bin ich?

Niven. Sohn der Rebellenanführerin.

Was bin ich?

Nicht mehr als eine verblassende Erinnerung? Als die gequälten Schreie eines Sterbenden?

Zu viele Fragen.

Zu wenig Energie, um ihnen eine Stimme zu geben.

Zu wenig Kraft, um meinen Mund zu öffnen.


Wir hasten über den schmalen Weg Richtung Hütte. In ihrem Innern wird uns eine Treppe sicher in den Untergrund führen. Und zum Rebellenlager.

Sicher?! Im Moment ist es nirgendwo mehr sicher.

Die Explosion kam unerwartet. Unzählige winzige Splitter haben meine Haut aufgeschlitzt, der Knall schmerzt noch immer in den Ohren – sämtliche Sinne in Aufruhr.

Ich bin froh, dass Bo mich stützt und das Kommando übernimmt. Sonst ist das immer mein Part. Ich bin der Ältere von uns beiden. Okay, es sind lediglich ein paar Wochen, die zwischen uns liegen, aber älter bleibt älter. Zudem bin ich der Erfahrenere und vor allem derjenige, der nicht unüberlegt losstürmt.

Zugegebenermaßen macht Bo das alles richtig gut.

Und auch wenn dem nicht so wäre: Ich könnte mich nicht gegen seine Entscheidungen stellen, das Nervengift hat mich zu sehr geschwächt.

Ich keuche auf, weil ein Schmerz meine Brust durchsticht. Es wird nicht weniger. Verflucht, warum werden die Schmerzen nicht weniger?

Willow mustert mich. Ich kann die Sorge an ihren Augen ablesen. Doch sie gilt nicht mir – oder besser gesagt nur indirekt, denn sie sieht in mir meinen Seelenzwilling. Oh ja, ich kann ihre kranke Faszination fast körperlich spüren. Noch besteht Hoffnung, dass er und ich die ganze Sache überleben. Noch …

Krampfhaft beiße ich die Zähne zusammen, um Bo und Willow nicht zu zeigen, wie schlimm es um mich steht, denn ich ahne, dass diese fortwährenden Schmerzen kein gutes Zeichen sind. Sollte sich diese Ahnung bewahrheiten, dann bleibt mir nicht mehr viel Zeit.

Meine Mission ist missglückt. Die Suche nach dem einzigartigen Kronenspiegel, dem Astrum-Portal, blieb ohne Erfolg. Dieses eine Mal jedoch war ich zu unvorsichtig gewesen und habe damit die Preisgabe unseres Verstecks riskiert. Ja, vielleicht trage ich die Verantwortung für die Enttarnung der Rebellen – das könnte ich mir nie verzeihen.

Wieder ein stechender Schmerz in meinem Inneren.

Wenn es mein Schicksal ist, in so jungen Jahren von diesem Planeten zu gehen, werde ich es akzeptieren. Akzeptieren müssen.

Ich bin zu schwach, um mich dagegen zu wehren.

Zu schwach, um dem fucking Schicksal die Stirn zu bieten.

Zu schwach, um gegen irgendwas zu intervenieren.

Dass meine Mutter allein mit Dex zum Winterball des Regenten aufgebrochen ist, passt mir überhaupt nicht. Bisher hatten wir immer einen Plan B in der Hinterhand. Einen Notfallplan, der Mamas Position schützte – sie beschützte. Meistens war Plan B der Kerl mit dem fast identischen Namen. Bo. Aber nun ist Dex zuständig und ich befürchte, dazu ist er nicht in der Lage. Er ist noch nicht lange genug dabei.

In einiger Entfernung mache ich endlich die Umrisse der kleinen Hütte aus und wir bewältigen die letzten Meter schweigend. Ich brauche die Kraft, konzentriere mich auf meinen Körper, gehe Schritt für Schritt und doch knickt mein Bein unter mir weg.

Blitzartig verstärkt sich Bos Griff um meinen Unterarm. Auch wenn er sich oft wie ein ungehobelter Klotz benimmt, auf ihn ist Verlass. Bo ist immer da. Hilft, wo er nur kann. Die Rebellen sind sein Leben. Für ihn gibt es kein Leben davor.

Manchmal glaube ich, es würde manches vereinfachen, wenn dies auch auf uns zuträfe. So bleibt mir nur zu hoffen, dass der Rebell ohne Vorleben auch diesmal wieder alles richten wird.

Wir erreichen die Hütte. Wie immer ist sie nicht verschlossen. Ihre Tarnung verdankt sie ihrer auffällig unauffälligen Optik. Zudem ist das Labyrinth aus wild verzweigten Gängen, das sich unter ihr verbirgt, für einen unerwünschten Eindringling niemals zu bewältigen.

Gestützt von Bo, hechte auch ich zur Treppe und wir tauchen in den Untergrund ab. Ich kenne den Irrgarten mittlerweile so gut, dass ich ihn mit schlafwandlerischer Sicherheit durchqueren kann. Von Vorteil, wenn man (wie jetzt!) mit seinen Gedanken nicht bei der Sache ist.

Sollte es beim Winterball zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall kommen, dann … dann … Ich reibe mir übers Gesicht, um die kaum zu ertragende Beklemmung wegzuwischen. Doch es fällt mir schwer, und das im doppelten Sinne. Allein diese einfache Bewegung verlangt mir viel zu viel Kraft ab. Nicht minder schwer fällt es mir, positiv in die Zukunft zu blicken. Ich bin außer Gefecht gesetzt. Auch Alexia haben wir an die Patrouille verloren. Bo hat mit Willow eigentlich mehr als genug zu tun. Und Mett? Den brauchen wir dringend in der Zentrale. Dringender denn je.

Bleibt also nur noch einer: Dex. Er ist unsere letzte Hoffnung. Unsere einzige Chance. Ja, die einzige Chance für die Rebellenanführerin. Ich flehe inniglich, dass Dex mit seiner Kompetenz das Richtige tut. Dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Zur Stelle ist, wenn Mama ihn braucht, und richtig entscheidet, um die Tarnung vor dem Regime und der Geheimloge aufrechtzuerhalten.

Mein Bauch rumort.

Mama vertraut ihm, wispert meine innere Stimme.

Und obwohl Dex erst vor Kurzem zu uns Rebellen gestoßen ist, um gegen die geheimen Machenschaften der Loge vorzugehen, tue ich es letztlich auch. Ihm vertrauen. Keiner ist näher am Geschehen dran. Keiner bekommt differenzierteres Wissen über die wahre Existenz der Loge. Keiner wird stärker in die intimsten Details involviert. Von wegen: Wir wollen die Menschheit in beiden Welten von tödlichen Krankheiten befreien. Erst durch Dex haben wir von der Existenz der Schriften und der darin enthaltenen Prophezeiung erfahren. Da verstanden wir, was die Geheimloge anstrebt. Es geht um mehr als den perfekten Menschen. Um mehr als das Ausmerzen von Schwäche und Krankheiten. Und mehr als das Begünstigen unserer Stärken.

Um was?

Zeit.

Lebenszeit.

Und Macht.

Wer sie besitzt, beherrscht die Welten.

Es ist so banal, so berechenbar, dass ich mich frage, wie wir das die ganze Zeit über hatten übersehen können. Ist es nicht immer dasselbe?

Für diese Geheimoperation benötigt die Loge allerdings einen Menschen, der in jeder Dimension sichtbar ist und jedes Portal öffnen kann. Womöglich einen Menschen wie Willow? Ich bin mir nicht sicher … Es wäre möglich, dass meine Mutter genau diese Fähigkeit in ihr vermutet. Doch sie hüllt sich diesbezüglich in Schweigen. Ein solcher Mensch ist der Schlüssel und genau an diesem Schlüssel wird im Kreis der Forschung emsig gearbeitet. An der Züchtung des menschlichen Schlüssels. Dem Schlüssel zum Portal der Unendlichkeit.

Nie endende Dimensionen. Nie endendes Leben.

Angeblich existieren weit mehr Dimensionen, als wir es uns vorstellen können. Mindestens jeder Zeitepoche wird eine Dimension zugeordnet, mehr noch: Zeit und Raum existieren gar nicht. Angeblich – und doch unvorstellbar!

Ob jede Dimension eine Spiegelwelt besitzt und wie das mit dem Seelenzwilling aussieht – ich habe keinen Plan. Außerdem sollte ich mich vorerst besser aufs Hier und Jetzt besinnen.

Nachdem wir das Tor zum Lager der Rebellen erreichen, bricht Willow das Schweigen: »Wo findet der Winterball statt?«

Bo hält in der Bewegung inne und zwingt mich gleichfalls zum Stehenbleiben. Er lässt mich los und ich stütze mich an der kalten Steinmauer ab.

»Im Inneren Kreis«, antwortet Bo knapp. Dass er Willow gegenüber immer diese unhöfliche Art an den Tag legt, lässt für mich nur einen Schluss zu. Das Licht, das in seinen Augen tanzt, sobald sie sich in seiner Nähe befindet, verrät es sowieso. Der Rebell hat sein Herz verloren.

»Uh, das klingt ganz nach meinem Geschmack«, entgegnet Willow. Der Sarkasmus rieselt mit ihren Worten von der verdreckten Daunenjacke.

Sie registriert nicht, dass ich sie mustere. Einerseits skeptisch, weil ich sie nur schwer einschätzen kann. Andererseits neugierig, weil ich sie für ihre Ruhe in dieser aussichtlosen Lage bewundere. Ist sie wirklich so stark oder überspielt sie ihre Angst einfach gekonnt?

»Bestimmt ein Kreis mit Tausenden Benimmregeln und ungeschriebenen Gesetzen?«, bohrt sie nach.

Bo reagiert nicht auf ihre Frage und betätigt den Augenscanner.

Nichts passiert. Das Tor bewegt sich keinen Millimeter.

Mein Herz zieht sich zusammen. Gebannt starre ich nach vorn. Warum betätigt Bo denn nicht den manuellen Knopf?

Endlich!

Bo drückt auf den Knopf und das erlösende Klacken ertönt.

Langsam richtet er sich auf, sein Blick gilt jedoch nicht mir. Dieser Ausdruck in seinen Augen und wie er lässig die eine Braue hochzieht – ich verstehe. In Willow hat Bo einen Gegenspieler gefunden, der seiner würdig ist. »Es ist der Kreis mit der Wurzel aller Regeln.«

»Großartig!«, seufzt Willow und ich kann es ihr nachempfinden. Der Innere Kreis: Auf den ersten Blick dem Märchen entsprungen, doch bei genauerem Hinsehen das Diabolischste, was ich kenne.

»Wenn das mal gut geht«, meint Willow. Sie scheint es bereits zu ahnen.

»Wird schon schiefgehen«, grinst Bo.

Typisch Bo! Ohne Nervenkitzel macht diesem Rebell das Leben nur halb so viel Spaß. Schon öffnet er abermals den Mund und beugt sich zu Willow hinunter. »Und vergiss nie: Ich behalte dich im Auge.«

Mehr bekomme ich nicht mit.

Ein höllischer Schmerz durchzuckt mich. Meine Fingerkuppen krallen sich in den rauen Stein. In diesem Augenblick wird mir eine Sache überdeutlich vor Augen geführt. Eine, die mir nicht gefällt, aber nicht zu verdrängen ist … Wie es um meinen Seelenzwilling steht. Das Gegengift hat seine Wirkung in meinem Körper entfaltet und dennoch fehlt mir immer noch jegliche Kraft. Dazu diese unsäglichen Schmerzschübe.

Es sieht nicht gut aus.

Ich spüre es.

Innerhalb eines Wimpernschlags wird das fremde Erdenmädchen zu einem unverzichtbaren Menschen in meinem Leben. Wenn sie mir nicht hilft, bin ich verloren für alle Zeit. Mein Leben liegt in den Händen dieser Fremden.

Der Schmerz verebbt.

Mein Atem wird ruhiger.

»Ist das eine Drohung?«, frage Willow, denn wie Bos Augen durch die Dunkelheit blitzen, strahlt er tatsächlich etwas Bedrohliches aus.

»Nein, Will«, lächelt Bo, bevor wir das Rebellenlager betreten. Und da ist er wieder, dieser Ausdruck in seinem Gesicht. »Das ist ein Versprechen.«

Mein Versprechen sieht anders aus. Ein Versprechen, das unausgesprochen in der Luft und zwischen den Dimensionen schwebt. Es ist endgültiger. Und tödlicher.

Es steht schlecht um Noah.

Und um mich.

Die Zeit drängt …