Maja von Vogel

Spuk am See

Kosmos

Umschlagillustration von Ina Biber, München

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© 2008, 2011 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-13179-4

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Frühjahrsputz im Hauptquartier

»Aufräumen ist echt das Letzte!« Missmutig starrte Franzi auf den Inhalt des silbernen Bürocontainers, den sie gerade auf dem Boden ausgeleert hatte. Dort lagen bunt durcheinander mehrere Kugelschreiber, Papier, eine große Lupe, zwei Taschenlampen, Maries Einbrecher-Set mit Dietrich und Gummihandschuhen, eine angebrochene Packung Schokoladenkekse und jede Menge anderer Krimskrams.

»Find ich auch.« Marie versuchte gerade, mit einem Besen ein paar Spinnweben über der Tür des Pferdeschuppens zu entfernen. Staub rieselte auf ihre langen, blond glänzenden Haare hinab, und sie zog eine Grimasse. »Diese Spinnweben sind wirklich ekelhaft!«

Kim warf ihren Freundinnen einen spöttischen Blick zu. »Jetzt stellt euch doch nicht so an! Ein bisschen putzen und aufräumen hat noch niemandem geschadet. Und es wird wirklich höchste Zeit. Wenn wir den Frühjahrsputz noch länger aufschieben, versinken wir irgendwann im Dreck.« Sie bearbeitete energisch die völlig verschmutzte Fensterscheibe mit einem feuchten Lappen. Dann wischte sie den Staub von der Fensterbank. »Na, also! Ist doch gleich viel heller hier drinnen«, stellte sie zufrieden fest.

Kim war der unordentliche und nicht gerade saubere Pferdeschuppen schon länger ein Dorn im Auge. Seit Kim, Franzi und Marie den Schuppen vor einiger Zeit als Hauptquartier für ihren Detektivclub hergerichtet hatten, war hier nicht mehr anständig geputzt worden. Kein Wunder – die drei !!! waren schließlich voll und ganz mit ihrer Detektivarbeit beschäftigt gewesen. Sie hatten bereits viele knifflige und gefährliche Fälle gelöst, worauf sie sehr stolz waren. Nicht nur Schmuggler, Grabräuber und Einbrecher waren ihnen ins Netz gegangen, sie hatten auch schon mit einem skrupellosen Handy-Erpresser und einer nervenaufreibenden Pferde-Entführung zu tun gehabt. Das Sauberhalten ihres Hauptquartiers war dabei leider etwas zu kurz gekommen. Kim hatte mit Engelszungen auf ihre Freundinnen einreden müssen, um sie davon zu überzeugen, dass ein Frühjahrsputz dringend nötig war. Heute hatte sie es endlich geschafft. Es war Freitagnachmittag, draußen fiel ein sanfter Frühlingsregen, und es war weit und breit kein neuer Fall in Sicht. Die idealen Bedingungen für eine ausgiebige Putzaktion.

»Ich hab echt keine Lust mehr.« Franzi seufzte. »Wollen wir nicht lieber ins Wohnzimmer gehen und eine DVD gucken?« »Kommt nicht infrage«, sagte Kim energisch. »Erst räumen wir zu Ende auf.« Sie wischte den Tisch ab, an dem die drei !!! immer ihre Besprechungen abhielten, und ging zu der alten Pferdekutsche mit dem Verdeck zum Zuklappen hinüber, die in der hinteren Ecke des Schuppens stand. Die Mädchen hatten sie blau angemalt und mit kleinen, bunten Ausrufezeichen versehen. Hierhin zogen sie sich zurück, wenn sie etwas sehr Geheimes bereden mussten. Die Kutsche war alt und wunderschön – aber leider völlig verstaubt.

Marie hatte inzwischen alle Spinnweben entfernt und begann nun damit, den Boden zu fegen. Sofort wirbelte jede Menge Staub auf, und Franzi, die immer noch neben dem Bürocontainer hockte, bekam einen Hustenanfall.

»He, was soll das?«, schimpfte sie. »Willst du mich umbringen? Ich krieg noch eine Staublunge, wenn du so weitermachst!« Marie fegte ungerührt weiter. »Du könntest ruhig ein bisschen mithelfen, statt nur herumzujammern. Dann sind wir schneller fertig und können uns endlich wichtigeren Dingen widmen.«

»Zum Beispiel Fingernägel lackieren und Augenbrauen zupfen?«, bemerkte Franzi spitz. Sie zog Marie gerne damit auf, dass sie immer perfekt gestylt durch die Gegend lief. Selbst zur Putzaktion war sie mit frisch gewaschenen Haaren und himbeerrotem Kussmund erschienen. Sie trug eine enge Röhrenjeans, die ihre langen Beine betonte, dazu eine grüne Bluse mit aufwendiger Stickerei und silberne Ballerinas. Sie sah eher aus, als hätte sie ein Date mit ihrem Liebsten – und nicht mit einem alten Besen und ein paar Spinnweben.

Ehe Marie etwas erwidern konnte, schaltete sich Kim ein. »Seht mal, was ich gefunden habe!« Sie steckte den Kopf aus der Kutsche und hielt einen kleinen Pinsel hoch.

»Der Pinsel gehört doch in unser Fingerabdruck-Set!«, stellte Franzi überrascht fest. »Ich hab ihn vor einer Weile überall gesucht. Wie kommt der denn in die Kutsche?«

Kim zuckte mit den Schultern und warf Franzi den Pinsel zu. »Keine Ahnung. Da seht ihr’s – beim Putzen kommt alles Mögliche wieder zutage.«

Eine Stunde später war das Hauptquartier kaum wiederzuerkennen. Der Boden sah aus wie geleckt, auf der Kutsche lag kein einziges Staubkorn mehr, und die Schubladen des Bürocontainers waren ordentlich eingeräumt. Kim hatte Franzi dabei geholfen, die gesamte Detektivausrüstung zu sortieren und übersichtlich auf die Schubladen zu verteilen. Nun waren die Utensilien sofort griffbereit und warteten auf ihren nächsten Einsatz. Die drei !!! besaßen nicht nur Taschenlampen, eine Lupe, Gips für Fuß- und Reifenspuren und ein Fingerabdruck-Set, mit dem sie sämtliche Fingerabdrücke an einem Tatort sichern konnten. Sie hatten sich auch eine Digitalkamera und ein Aufnahmegerät angeschafft, das sich im Lauf ihrer Ermittlungen schon mehrmals als sehr nützlich erwiesen hatte.

»Mann, bin ich fertig!« Franzi wischte sich die staubigen Hände an ihrer auch nicht mehr ganz sauberen Jeans ab und plumpste auf einen der drei Stühle, die um den Tisch herum standen.

»Aber die Arbeit hat sich gelohnt, das müsst ihr zugeben.« Kim ließ ihren Blick zufrieden durch das saubere und aufgeräumte Hauptquartier wandern. Sie hatte sogar den bunten Flickenteppich ausgeklopft, der unter dem Tisch lag, und eine gelbe Primel auf die Fensterbank gestellt.

»Stimmt.« Marie nickte. »Jetzt ist es wieder richtig gemütlich hier.«

»Schade nur, dass wir noch keinen neuen Fall haben«, sagte Franzi. »Als ich die Detektivausrüstung durchgesehen habe, hab ich richtig Lust gekriegt, mal wieder Fingerabdrücke zu nehmen oder einen Verdächtigen zu beschatten …«

In diesem Moment öffnete sich die Schuppentür, und Franzi verstummte augenblicklich. Frau Winkler betrat den Pferdeschuppen. Sie trug ein großes Tablett, auf dem eine Kanne Tee, drei Becher und ein großer Kirschkuchen standen.

»Mensch, Mama, kannst du nicht anklopfen?« Franzi warf ihrer Mutter einen ärgerlichen Blick zu.

»Tut mir leid, aber ich hatte gerade keine Hand frei«, entschuldigte sich Frau Winkler.

Kim sprang auf. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Sie nahm Franzis Mutter das Tablett ab und stellte es auf dem Tisch. »Hmm, der Kuchen duftet ja köstlich!« Frau Winkler backte den besten Kirschkuchen der ganzen Stadt, das wusste Kim aus Erfahrung. Ihr lief bereits beim Anblick der prallen, mit Puderzucker bestäubten Kirschen das Wasser im Mund zusammen. Kim war eine echte Naschkatze. Sie liebte alles, was süß war. Neben Kuchen waren das hauptsächlich Schokolade und Gummibärchen. Aber auch zu Waffeln mit heißen Kirschen, Keksen und Kakao Spezial mit Vanillearoma sagte sie nicht nein. Leider wirkte sich ihre Vorliebe nicht gerade günstig auf ihre Figur aus. Von Maries durchtrainiertem Waschbrettbauch konnte sie nur träumen. Marie ging allerdings auch regelmäßig zum Aerobic, joggte mindestens zweimal die Woche und machte morgens immer dreißig Situps für ihre Bauchmuskulatur. Franzi verbrannte jede Menge Kalorien beim Skaten und Reiten. Außerdem war sie sowieso ein eher zierlicher Typ und kein guter Esser – was Kim überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Essen war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen und kam gleich hinter lesen, Kriminalfälle lösen und mit Marie und Franzi abhängen. Vor einer Weile hatte Kim beschlossen, ihren Hüftspeck einfach zu ignorieren, solange ihre Lieblingsjeans noch passte. Als Kopf der drei !!! brauchte sie nun mal jede Menge Nervennahrung. Schließlich war sie für das Detektivtagebuch zuständig, in dem sie den Fortgang der Ermittlungen sorgfältig notierte. Und bei jedem neuen Fall musste sie wieder ihre berühmte Kombinationsgabe unter Beweis stellen. Schade, dass man beim Nachdenken nicht genauso viele Kalorien verbrannte wie beim Joggen!

»Habt ihr Lust auf Kuchen?«, fragte Frau Winkler.

»Und ob!«, antwortete Kim wie aus der Pistole geschossen. Auch Franzi und Marie nickten.

Frau Winkler verteilte die Kuchenstücke auf drei Teller. Dann sah sie sich erstaunt im Pferdeschuppen um. »Hier sieht es ja wieder richtig sauber aus! Habt ihr etwa geputzt?«

Kim nickte stolz. »Wir haben heute einen großen Frühjahrsputz veranstaltet.«

»Na, das hat sich aber gelohnt!« Frau Winkler lächelte den drei !!! anerkennend zu. »Dann will ich mal nicht länger stören. Ihr habt bestimmt wichtige Dinge zu besprechen.« Sie zwinkerte vielsagend, bevor sie den Pferdeschuppen wieder verließ.

Franzi verdrehte die Augen. »Manchmal tut Mama so, als wären wir fünf Jahre alt und würden noch im Sandkasten spielen. Echt ätzend!«

»Lass sie doch«, nuschelte Kim mit vollem Mund. »Immer noch besser als meine Mutter. Sie macht sich ständig Sorgen und mischt sich überall ein. Das nervt viel mehr.« Kim schluckte ihren Kuchen hinunter, bevor sie weitersprach. »Was macht ihr eigentlich am Wochenende?«

»Ich wollte vielleicht mit Fiona reiten gehen«, erzählte Franzi. »Wir haben schon so lange keinen Ausritt mehr zusammen gemacht, und morgen soll das Wetter endlich besser werden.« Fionas Eltern gehörte ein Ponyhof am anderen Ende der Stadt. Sie ging in Franzis und Kims Parallelklasse, und die drei !!! hatten sie bei ihrem letzten Fall kennengelernt. Fiona war, genau wie Franzi, total verrückt nach Pferden, und die beiden ritten hin und wieder gemeinsam aus.

Marie nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Ich mach morgen einen Beauty-Tag. Ganzkörperpeeling, Gesichtsmaske, Schaumbad, Haarkur – das volle Programm. Ich werde mich so richtig schön verwöhnen.«

Franzi grinste. »Kommt Holger zufällig am Wochenende vorbei?«

Maries Wangen nahmen eine zartrosa Färbung an. »Wie kommst du denn darauf?«

Franzi zuckte mit den Schultern. »War nur so ein Gedanke.« »Na ja, ich bin tatsächlich am Sonntag mit Holger verabredet«, gab Marie zu.

»Wie schön!« Kim lächelte. »Ich find’s echt bewundernswert, wie ihr mit eurer Fernbeziehung klarkommt. Ich würde es nicht aushalten, Michi nur an den Wochenenden zu sehen.« Maries Freund Holger wohnte in Billershausen, einem kleinen Ort, der ungefähr fünfundzwanzig Kilometer entfernt war. Marie hatte ihn kennengelernt, als die drei !!! in den Herbstferien Franzis Großmutter besucht hatten – und es bei der Gelegenheit mit einer unheimlichen Hexe zu tun bekamen.

»Na ja, so einfach ist das auch nicht.« Marie starrte nachdenklich in ihre Teetasse. »Manchmal nervt die Entfernung ganz schön. Mit dem Bus braucht man eine halbe Ewigkeit, weil er an jeder Milchkanne hält. Außerdem fährt er sonntags nur alle zwei Stunden. Und mit dem Fahrrad ist es auch eine ganz schöne Tour. Vor allem, wenn es regnet, so wie in letzter Zeit immer, und man Gegenwind hat.«

»Kann ich mir vorstellen.« Kim zog eine Grimasse. »Ich finde Fahrradfahren ja ohne Gegenwind schon anstrengend genug.« Marie seufzte. »Letzte Woche hab ich mich richtig mit Holger gezofft. Eigentlich wollte ich nach Billershausen fahren. Aber ich hab blöderweise den Bus verpasst. Es hat total gegossen, und ich hatte echt keine Lust, mich aufs Fahrrad zu schwingen. Darum hab ich Holger gefragt, ob er nicht zu mir kommen will. Er war nicht gerade begeistert, hat aber schließlich nachgegeben. Als er mit dem Fahrrad ankam, war er klitschnass und musste ständig niesen. Er hat die ganze Woche mit Erkältung im Bett gelegen – und jetzt gibt er mir die Schuld daran. Ist das nicht ungerecht?«

»Allerdings.« Kim nickte. »Es war schließlich seine Entscheidung, bei Regen zu dir zu fahren. Es hat ihn niemand gezwungen.«

»Eben!«, rief Marie. »Das hab ich ihm auch gesagt. Aber er sieht das natürlich anders.« Marie trank ihren Tee aus und stellte die Tasse auf den Tisch zurück. »Darum bin ich echt froh, dass wir uns Sonntag sehen. Dann können wir uns endlich in Ruhe aussprechen. Am Telefon funktioniert das irgendwie nicht so richtig.«

»Klingt ganz schön anstrengend.« Franzi fuhr sich durch ihre kurzen, roten Haare, die strubbelig vom Kopf abstanden. »Ich bin echt froh, dass ich wieder Single bin. Ich kann machen, was ich will, und bin niemandem Rechenschaft schuldig.«

»Triffst du dich denn noch mit Benni?«, wollte Kim wissen. Benni war Franzis Exfreund. Sie hatte sich vor Kurzem von ihm getrennt, weil ihre Gefühle für ihn in letzter Zeit ziemlich abgekühlt waren. Außerdem hatte er furchtbar geklammert und Franzi mit seinen ständigen Liebesbeweisen die Luft zum Atmen genommen.

Franzi nickte. »Wir gehen regelmäßig zusammen skaten. Wir sind jetzt wieder richtig gute Freunde – so wie früher.«

»Und das klappt?«, fragte Marie skeptisch.

»Es funktioniert super.« Franzi biss zufrieden in ihren Kirschkuchen. »Wir haben jede Menge Spaß zusammen, aber ohne den ganzen Beziehungs-Nervkram. Es war die beste Entscheidung meines Lebens, mit Benni Schluss zu machen.«

»Wenigstens ist Kim immer noch glücklich mit Michi.« Marie warf ihrer Freundin einen neidvollen Blick zu. »Ihr zwei seid echt das perfekte Paar.«

Kim wurde rot. Marie hatte recht. Sie war nun schon über drei Monate mit Michi, ihrer großen Liebe, zusammen, und immer noch wahnsinnig verliebt in ihn. Wenn sie nur an ihn dachte, fing ihr Herz schon an, Purzelbäume zu schlagen – so wie jetzt. »Michi und ich sind Sonntagabend verabredet.« Kim lächelte selig. »Ich freue mich schon wahnsinnig darauf. Wir haben nämlich etwas total Romantisches vor …«

Franzi quiekte auf. »Sag bloß, ihr wollt jetzt tatsächlich eure Namen in die alte Linde in unserem Garten einritzen!«

Kim nickte. Sie hatte schon seit einer Weile den Wunsch, ihrer Liebe zu Michi ein sichtbares Zeichen zu setzen. Und da die Linde der Baum der Liebenden ist, war ihr die Idee gekommen, gemeinsam mit Michi einen romantischen Ausflug zu machen und ›Kim & Michi forever‹ in den Stamm der alten Linde zu ritzen, die hinter Franzis Haus stand. Michi war erst nicht besonders begeistert von dem Plan gewesen, hatte es sich dann aber zum Glück doch noch anders überlegt. Und übermorgen sollte das große Ereignis nun stattfinden. Kim konnte es kaum erwarten. Nach diesem gemeinsamen Erlebnis wäre ihre und Michis Liebe ein für alle Mal besiegelt. Dann konnte sie nichts mehr trennen …

»Erde an Kim!« Franzis spöttische Stimme holte Kim in die Wirklichkeit zurück. »Ich hab dich gerade gefragt, ob du noch Tee willst.«

Kim nickte etwas verwirrt, und Franzi schenkte dampfenden Früchtetee nach.

»Kim träumt wahrscheinlich schon von Michis heißen Küssen unter dem Lindenbaum«, bemerkte Marie.

Franzi prustete los und verschüttete dabei jede Menge Tee auf der frisch geputzten Tischplatte.

Kim lief knallrot an. Sosehr sie Franzi und Marie auch mochte – manchmal hätte sie die beiden glatt erwürgen können. »Ich hab nun mal eine romantische Ader – und dazu stehe ich«, sagte sie trotzig. »Was ist denn so schlimm daran, sich hin und wieder etwas Romantik zu gönnen?«

»Gar nichts«, beruhigte sie Marie. »Reg dich nicht auf, wir haben doch nur Spaß gemacht.«

»Ha, ha, sehr witzig«, murmelte Kim immer noch etwas verärgert.

Franzi warf ihr einen aufmerksamen Blick zu. »Was ist denn los mit dir?«, erkundigte sie sich. »Sonst bist du doch auch nicht so empfindlich.«

Kim seufzte. »Ach, ich bin bloß genervt, weil ich keine Lust auf morgen habe. Die Zwillinge haben Geburtstag, und meine Mutter will, dass wir einen Ausflug machen. Den ganzen Tag. Mit der ganzen Familie. Ihr wisst ja, wie anstrengend Ben und Lukas sind. Ein Tag mit meinen Brüdern kommt einem ungefähr so lang vor wie ein ganzer Monat.«

Marie verzog das Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen. »Autsch! Das klingt gar nicht gut.«

Franzi nickte. »Allerdings. Kannst du nicht irgendeine Ausrede erfinden?«

Kim schüttelte den Kopf. »Keine Chance, ich hab schon alles versucht. Meine Mutter hat nicht mal nachgegeben, als ich behauptet habe, für die Mathearbeit nächste Woche lernen zu müssen. Sie meinte, das könnte ich am Sonntag auch noch machen.«

»Mist!« Marie runzelte die Stirn. »Wenn nicht mal eine Mathearbeit bei deiner Mutter zieht, muss ihr dieser Familienausflug wirklich sehr wichtig sein.«

Normalerweise legte Frau Jülich großen Wert darauf, dass ihre Kinder in der Schule immer zu den Besten gehörten (was bei den Zwillingen allerdings nicht besonders gut klappte, weil sie wahnsinnig faul waren). Sie ließ keine Gelegenheit aus, Kim darauf hinzuweisen, wie wichtig gute Schulleistungen für ihre berufliche Zukunft waren.

Kim ließ den Kopf hängen. »Na ja, irgendwie werde ich den Tag schon überstehen. Und wenn nicht, könnt ihr auf meinen Grabstein schreiben: Sie starb in der Blüte ihrer Jahre an zwei nervigen kleinen Brüdern …«

Kim war so damit beschäftigt, sich vor dem anstehenden Familienausflug zu grausen, dass sie gar nicht mitbekam, wie Franzi und Marie einen schnellen Blick wechselten.

»Ich hätte da vielleicht eine Idee …«, begann Franzi.

Kim hob den Kopf. Ein Fünkchen Hoffnung blitzte in ihren Augen auf. »Was denn? Wollt ihr einen Hubschrauber klauen und mich aus den Fängen meiner Familie retten?«

Franzi grinste. »Das nicht gerade. Aber wie wär’s, wenn Marie und ich morgen mitkommen? Als moralische Unterstützung sozusagen. Würde dir das helfen?«

Kim blieb glatt der Mund offen stehen. Überrascht sah sie von Franzi zu Marie. »Ist das euer Ernst? Ihr wollt tatsächlich einen ganzen Tag mit Ben und Lukas verbringen? Freiwillig? Habt ihr euch das gut überlegt?«

Marie schüttelte den Kopf. »Nein, aber das ist vielleicht auch besser so. Sonst ziehen wir unser Angebot noch zurück.«

»Aber was ist mit deinem Ausritt, Franzi?«, fragte Kim. »Und mit deinem Beauty-Tag, Marie?«

Franzi machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kann genauso gut ein andermal mit Fiona ausreiten. Sie hat bestimmt Verständnis dafür, schließlich ist das eine Art Notfall.« »Und ich verschiebe meinen Beauty-Tag einfach auf nächste Woche«, sagte Marie. »Kein Problem. Ich sehe auch so gut genug aus.« Selbstbewusst warf sie ihre langen Haare über die Schulter zurück.

Auf Kims Gesicht erschien ein glückliches Lächeln. Auch wenn Franzi und Marie sie manchmal nervten, wenn’s drauf ankam, konnte man sich hundertprozentig auf sie verlassen. Es war toll, solche Freundinnen zu haben!

»Ihr zwei seid einfach die Besten!« Kim sprang auf und fiel erst Franzi und dann Marie um den Hals. »Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll!«

»Da fällt uns schon was ein, oder?« Franzi zwinkerte Marie zu. »Genau.« Marie nickte. »Du könntest uns zum Beispiel einen Kakao Spezial im Café Lomo ausgeben.«

»Wird gemacht!« Kim lachte. Plötzlich sah der nächste Tag nicht mehr ganz so düster aus. Mit Franzi und Marie würde sie den Familienausflug schon überstehen – und vielleicht sogar Spaß dabei haben!

Achtung — nervige Zwillinge!