Geschichten, die mit »… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage« aufhören, kennen wir alle. Für viele Paare sieht die Realität heutzutage leider anders aus. Plötzlich stehen sie vor den Scherben ihrer Liebe, gefangen in Wut, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Für diese Menschen hat Katherine Woodward Thomas diesen Ratgeber geschrieben. Das von ihr entwickelte 5-Schritte-Programm bietet wertvolle Hinweise und Werkzeuge für einen respektvollen Umgang mit dem ehemaligen Partner:
•Schritt 1 – Emotionalen Frieden finden
•Schritt 2 – Deine Kraft und dein Leben zurückgewinnen
•Schritt 3 – Muster durchbrechen, das Herz heilen
•Schritt 4 – Liebesalchemist werden
•Schritt 5 – Schaffe dir dein Glücklich-danach-Leben
Einfühlsam und mutmachend eröffnet die Autorin einen Weg, um heil und ganz aus dem Ende einer Liebesbeziehung hervorzugehen und wieder bei sich selbst anzukommen.
Katherine Woodward Thomas
Lass uns in Frieden auseinandergehen
Wenn die Liebe endet …
Die 5 Schritte des »Conscious Uncoupling«
Aus dem Englischen übersetzt
von Karin Weingart

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Conscious Uncoupling« bei Harmony Books, an imprint of the Crown Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC, New York, USA.
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Integral Verlag
Integral ist ein Verlag der Verlagsgruppe Random House GmbH.
ISBN 978-3-641-18495-7
V001
Erste Auflage 2016
Copyright © 2015 by Katherine Woodward Thomas
All rights reserved.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by Integral Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Neumarkter Straße 28, 81673 München
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Redaktion: Dr. Anita Krätzer
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung eines Motivs von © Mrs.Opossum/shutterstock
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
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Für alle Sozialkünstler, Wegbereiterinnen von Veränderungen und Pioniere neuer Chancen im Umgang miteinander, die voller Großherzigkeit, Güte und scharfer Intelligenz nach besseren Möglichkeiten suchen …
sowie für Mark und Alexandria,
die das Trotz allem glücklich bis ans Lebensende
zu einem großen Vergnügen machen
Inhalt
Einleitung: Wenn die Liebe am Ende ist
Teil eins:
Der bessere Weg, sich zu trennen
Scham, Schuld und das Scheitern der Liebesbeziehung
Bittere Trennungen, fiese Abschiede und die Kunst, trotz allem wieder glücklich zu werden
Neue Möglichkeiten: »Conscious Uncoupling« – eine Einführung
Wie und wann Sie dieses Programm durchführen sollten
Teil zwei:
Die fünf Schritte des »Conscious Uncoupling«
Schritt eins: Sie finden zu emotionaler Freiheit
Schritt zwei: Sie holen sich Ihre Kraft und Ihr Leben zurück
Schritt drei: Sie brechen aus alten Verhaltensmustern aus und heilen Ihr Herz
Schritt vier: Sie werden zum Alchemisten der Liebe
Schritt fünf: Trotz allem wieder glücklich werden
PS: Immer schöner, die Liebe
Das Glaubensbekenntnis des gemeinsamen Auseinandergehens
Ein herzliches Dankeschön geht an …
Hilfsangebote online
Literatur
Anmerkungen
Einleitung: Wenn die Liebe am Ende ist
»Irgendwo unter der Oberfläche der entzückenden Anfangszeiten verbergen sich in jeder intimen Beziehung die Ingredienzien einer totalen Katastrophe.«
ELIZABETH GILBERT
Vor dem Traualtar, an der Seite der ganz großen Liebe, rechnet niemand mit einer künftigen Enttäuschung. Geschweige denn damit, dass seine Ehe einmal in die fünfzigprozentige Scheidungsrate eingehen könnte. Denn in unserem Glauben an die ewige Liebe sind wir unerschütterlich und zu allem bereit … bis dass der Tod uns scheidet.
Ich bin die Verfasserin des Bestsellers Calling in »The One«. 7 Weeks to Attract the Love of Your Life. Überall auf der Welt folgen Zigtausende meinen Tipps zum Abbau innerer Blockaden und gehen glückliche Liebesbeziehungen ein. Unter diesen Umständen zu behaupten, dass ich im Anschluss an mein erstes das vorliegende Buch hätte schreiben wollen, wäre eine Riesenlüge. Ich wollte es genauso wenig, wie Sie es lesen wollen.
Als mir dämmerte, dass meine zehnjährige Ehe in die Brüche ging, betete ich. Aber es waren nicht etwa fromme Gebete, die ich in den Himmel schickte. Ich lag auf dem Rücken irgendwo auf der Wiese in einem Park nahe bei unserem Haus, schaute in das unendliche Blau über meinem Kopf und versuchte mir einen Reim auf die höchst unwillkommene Entwicklung zu machen, die die Dinge genommen hatten. Und das einzige Gebet, das mir in dem Moment angebracht schien, lautete: »Hey, das kann doch nicht euer Ernst sein!« Ich war ja so sauer. Mehr als wütend auf die unsichtbaren Mächte des Lebens und der Liebe, die sich offenbar zusammengerottet hatten, um sich auf meine Kosten einen Spaß zu machen. Um mir nach einer reichlich verkorksten Kindheit nun das verdiente Happy End zu verderben. Ein Happy End zumal, das ich in meinem ersten Buch doch so schön beschrieben – und öffentlich gemacht – hatte.
Das war ziemlich peinlich. Gelinde gesagt.
»Sie werden zwar nicht alles steuern können, was in Ihrem Leben geschieht, aber Sie können beschließen, sich davon nicht unterkriegen zu lassen.«
MAYA ANGELOU
Doch als ich schließlich begriffen hatte, dass die auf mich zukommende Trennung eine Tatsache war, der ich mich würde stellen müssen, beschloss ich, das Beste daraus zu machen. Denn wie viele Tausende meiner Altersgruppe war auch ich ein Scheidungskind. Das Produkt einer fürchterlichen, nichts weniger als einvernehmlichen Trennungsgeschichte, zu der auch zwei überaus brutale Sorgerechtsprozesse gehörten. Mit dem Ergebnis, dass ich meinen Vater von meinem elften Lebensjahr an praktisch nicht mehr zu Gesicht bekam. Das war der Zeitpunkt, an dem er schließlich das Handtuch warf und auf alle elterlichen Rechte verzichtete, weil er mit den ständigen Aggressionen meiner Mutter einfach nicht mehr klarkam. Und als ich nun selbst die Scheidung vor mir sah, wusste ich nur eines mit Sicherheit: Meiner Tochter würde ich so etwas nicht antun. Nie im Leben.
Im Laufe der Zeit bekam ich dann mit, dass ich mir darüber keine Sorgen zu machen brauchte. Unsere Scheidung verlief nicht nur zivilisiert, sondern ausgesprochen freundlich, respektvoll und human. Getragen wurde sie von einem Geist der Großzügigkeit und des Wohlwollens, der auch freundschaftliche Gesten und gegenseitige Unterstützung ermöglichte. Mark, mein Exmann, und ich taten alles in unserer Kraft Stehende, um weder einander noch natürlich vor allem unserer kleinen Tochter unnötig wehzutun. Deren größte Sorge bestand darin, dass sie den Kontakt zu ihrem Vater verlieren könnte, wie sie es bei zwei ihrer Freundinnen mitbekommen hatte. Doch da wir uns einig waren, was den weiteren Familienzusammenhalt und das Wohl unserer Tochter betraf, konnten wir ihr glaubwürdig versichern, dass sie davor keine Angst haben musste.
Unsere Scheidung unterschied sich meilenweit von den üblen Trennungen, die ich zuvor durchgemacht hatte – bei denen ich monatelang weder essen noch schlafen konnte und so zornerfüllt war, dass ich kaum durch den Tag kam, ohne irgendeinem armen Unbeteiligten, der mir über den Weg lief, den Kopf abzureißen. Einmal war ich sogar so durcheinander, dass ich nach fast zehn Jahren wieder mit dem Rauchen anfing und mir vor lauter Stress büschelweise die Haare ausfielen. Die übelste Trennung, die ich durchgemacht habe, war die von Frank, meinem Freund auf der Highschool. Darüber bin ich ewig nicht hinweggekommen. Fast zwanzig Jahre lang habe ich immer wieder von ihm geträumt. Nur um mich beim Aufwachen sofort daran zu erinnern, dass tatsächlich Schluss war und er Tausende von Kilometern von mir entfernt bei seiner einschüchternd schönen Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern lebte. Glücklich bis ans Lebensende …
Ja, die Schattenseiten der Liebe kenne ich nur allzu gut. Weshalb ich nach dem ersten schmerzhaften Schock sofort mit der Analyse angefangen habe. Ich wollte nämlich unbedingt herausfinden, wie genau es Mark und mir gelungen war, unsere eheliche Gemeinschaft mit so viel Güte und Anstand aufzugeben. Denn irgendwie schienen wir da auf etwas unschätzbar Wertvolles gestoßen zu sein. Das machten mir die Reaktionen unseres unmittelbaren Umfeldes nur noch deutlicher: Die meisten schüttelten erst einmal den Kopf und wunderten sich. Dann räumten sie ein, nie ein Ehepaar erlebt zu haben, das mit so viel gegenseitiger Rücksicht und Fürsorge auseinanderging.
Es war schon eine merkwürdige Fügung des Schicksals: Ich, die ich mich so sehr nach einem glücklichen Ende meiner unglücklichen Kindheit gesehnt hatte, schien doch tatsächlich eine andere, neue Form von Happy End entdeckt zu haben. Die Möglichkeit, sich in Würde, Güte und Ehrenhaftigkeit zu trennen, ohne sich oder den anderen dabei zu lädieren. Ich mache, wie ich in aller Bescheidenheit behaupten darf, die beste Zitronenlimonade der Welt. Und nun machte ich allem Anschein nach auch aus dieser Situation das Beste. Denn irgendwann wurde mir klar, was in der Phase unserer Trennung zwischen Mark und mir geschehen war: Wir hatten einen Fünf-Schritte-Prozess durchlaufen, an dessen Ende wir und alle Beteiligten nicht etwa verletzt, isoliert und am Boden zerstört dastanden, sondern heil, gesund und unversehrt.
Für mich, die ich an die Liebe glaube und eine glühende Verfechterin der Ehe beziehungsweise fester, dauerhafter Beziehungen bin, gibt es kaum etwas Unerfreulicheres als Trennungen. Gleichauf nur mit Erderwärmung, Diskriminierung älterer Menschen und Kinderarmut. Wie konnte es dazu kommen, dass ich trotz all meiner Abneigung gegen Trennung und Scheidung genau diesen Weg eingeschlagen habe. Was hatte sich zwischen Mark und mir abgespielt, das so schlimm war, dass ich es wagte, mich auf die Trennung von Heim und Herd einzulassen und mich von all meinen lang gehegten Hoffnungen und Träumen zu verabschieden?
Die meisten Ehen gehen ja in Form Tausender kleiner Puzzlestückchen den Bach runter, die für sich genommen kaum der Rede wert sind. Bei mir und Mark war es kurz gesagt so, dass ich mich verändert habe, und damit meine ich: radikal verändert. Um Fairness habe ich mich dabei nicht immer bemüht. Es war einfach Berufsrisiko – die Schattenseite eines Lehrerinnendaseins im Dienste von persönlichem Wachstum und unaufhörlicher Weiterentwicklung. Mein Mann hat mich nie betrogen, mich nicht misshandelt, und Alkoholiker oder Spieler war er auch nicht. Doch im Laufe der Jahre sind unsere Wertvorstellungen weiter und weiter auseinandergedriftet. Ich bin der totale Veränderungsjunkie, gehe stets an meine Grenzen und die der anderen, immer in dem Bemühen, das Potenzial, das in uns allen steckt, voll auszuschöpfen. Der warmherzige Mark dagegen hängt dem spirituellen Ideal der totalen Akzeptanz von allem, was ist, an und verspürt nicht das geringste Bedürfnis nach Veränderung. Während es mich fasziniert, auch in den dunkelsten Winkeln der Psyche herumzubuddeln, um die innersten Antriebskräfte zu erkunden und zu läutern, schert er sich möglichst wenig um die Schwächen der Menschen und stellt stattdessen das Schöne und Gute, das jedes Lebewesen an sich hat, in den Vordergrund. Es geht nicht darum, dass einer von uns unrecht hätte und der andere recht. Beide Lebenseinstellungen sind vollkommen in Ordnung. Vielen Paaren gelingt es ja auch, derartige Gegensätze auszubalancieren und einander so wunderbar zu ergänzen, dass jeder davon profitieren kann. Mark und mich aber brachten die Gespräche über die wichtigsten Dinge, die uns wirklich am Herzen lagen, irgendwann nicht mehr weiter. Es gelang uns nicht, uns auf gemeinsame Visionen oder Ziele zu verständigen, auch wenn wir das beide dringend gebraucht hätten. Und so gern wir uns auch mochten, bald wurde uns klar, dass uns eigentlich fast nur noch die Liebe zu unserer Tochter verband.
Nun, hätten wir das Licht der Welt fünfzig Jahre früher erblickt, wären wir um des Kindes willen wahrscheinlich zusammengeblieben, ohne groß darüber nachzudenken. Andererseits hätten wir dann vermutlich gar nicht erst geheiratet, denn zu der Zeit waren fast überall in den Vereinigten Staaten gemischtrassige Ehen noch verboten; legalisiert wurden sie erst nach einem Urteil des Supreme Court im Jahr 1967. Wären ich als Weiße und der Afroamerikaner Mark früher ein Paar geworden, hätten wir alles aufs Spiel setzen müssen, auch unser Leben. Aber glücklicherweise entwickelt sich die Kultur ja immer weiter. Abgesehen davon stellen Millionen von Menschen in der westlichen Welt heute höhere Erwartungen an die Ehe, und ich gehöre auch dazu. Nur der Kinder wegen zusammenzubleiben reicht uns nicht mehr. Die Autorin und Ehehistorikerin Stephanie Coontz weist darauf hin, dass sich Beziehungen in den letzten drei Dekaden entscheidender verändert haben als in den dreitausend Jahren zuvor.1 Und wie viele in meiner Generation wollte eben auch ich mehr von der Ehe, als es meiner Mutter und vor ihr meiner Großmutter vergönnt gewesen war. Was nicht etwa bedeutete, dass Mark und ich nicht alles dafür getan hätten, unsere Tochter zu einer ausgeglichenen, gesunden und glücklichen Persönlichkeit heranwachsen zu lassen. Selbstverständlich haben wir das getan; absolut alles drehte sich bei uns darum. Aber sollten wir deshalb wirklich für den Rest unseres Lebens mit niemand anderem mehr ins Bett gehen dürfen?
Ich meine, Mark ist echt sexy … aber: hallo?
»Aus allem, was kaputtgeht, webe ich mir einen Fallschirm.«
WILLIAM STAFFORD
Als eingefleischte Evolutionärin bin ich der festen Überzeugung, dass der Aufbau einer weiseren, aufgeklärteren und höher entwickelten Gesellschaft nur möglich ist, wenn sich die Menschen bemühen, weiser und aufgeklärter zu werden, und sich immer weiterentwickeln. Originelle, ungewöhnliche oder sogar aus dem Rahmen fallende Varianten auf dem Gebiet der Liebe faszinieren mich deshalb sehr. Wie Millionen »Kulturschaffende« (ein Begriff von Paul H. Ray und Sherry Ruth Anderson: Cultural Creatives) überall auf der Welt probiere auch ich gern neue Möglichkeiten des Zusammenlebens aus. Hinzu kommt: Als zugelassene Ehe- und Familientherapeutin fühle ich mich der humanistischen Psychologie und insbesondere dem Human Potential Movement verpflichtet, das die Ausschöpfung des gesamten menschlichen Potenzials in den Mittelpunkt stellt, sowohl individuell als auch auf sozialer Ebene. Alles in allem könnte man also zu Recht behaupten, dass es mir einfach nicht gegeben ist, in einer Ehe zu verharren, nur weil die Gesellschaft der Auffassung ist, es sei das Beste für die Kinder. Wissenschaftlich spricht zwar durchaus einiges für diese Auffassung, doch lässt sie eine kreative Antwort auf die Frage vermissen, wie sich ein ausgeglichenes, stabiles und liebevolles Familienleben auch nach der Scheidung weiterführen lässt. Als mir das klar wurde, war meine Neugier geweckt. Und ich begann mich intensiv damit zu beschäftigen, was wir als Gesellschaft tun können, um diesen Umstand zu verbessern.
Die Reise, die vor uns liegt
Die Ergebnisse meiner Recherche erfahren Sie auf den folgenden Seiten. Ich möchte Sie bitten, mich auf eine tief gehende innere Reise zu begleiten. Unsere Destinationen: Heilung, Veränderung, Entfaltung und Neuerfindung der eigenen Person. Für den Anfang möchte ich Sie auffordern, zwei Dinge zu überdenken: zunächst einmal die altgedienten Auffassungen in Sachen Trennung und Scheidung, dann aber auch die weit verbreitete Annahme, eine Beziehung, die nicht durch den Tod eines der Partner beendet wird, sei gescheitert. Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir aufgrund dieser kollektiven Annahme nie über primitive, destruktive Formen des Auseinandergehens hinausgekommen sind. Sie gehen aber auf Kosten des Wohlbefindens sowie der Ernsthaftigkeit der Beziehung – und wir fügen uns und den Kinder dabei mitunter so viel Schaden zu, dass die gesamte Zukunft davon überschattet wird. Deshalb präsentiere ich hier eine neue, friedfertige Möglichkeit, Liebesbeziehungen zu beenden, das »Conscious Uncoupling« (wörtlich: »bewusstes Ent-paaren«), das gemeinsame Auseinandergehen.
Im zweiten Teil begleite ich Sie dann durch Ihren persönlichen »Conscious-Uncoupling«-Prozess, gebe Ihnen Tipps und Ratschläge, wie Sie die fünf Schritte, aus denen er sich zusammensetzt, am besten bewältigen, vom ersten, »Sie finden zur emotionalen Freiheit«, bis zum letzten, »Trotz allem wieder glücklich werden«. Dabei gebe ich Ihnen jeweils praktische Instrumente an die Hand und führe Sie in die Fertigkeiten ein, die Sie brauchen, um die bevorstehenden Veränderungen optimal bewältigen und schließlich sogar mehr als wiederhergestellt daraus hervorgehen zu können.
Mein moralisches Dilemma
Ich habe, wie ich zugeben muss, lange gezögert, dieses Buch zu schreiben, und es immer wieder vor mir hergeschoben. Zum allergrößten Teil lag dies daran, dass ich auf gar keinen Fall irgendjemanden ermuntern will, eine langfristig angelegte Bindung leichtfertig zu lösen. Denn wohin führt es denn sonst, wenn die gesellschaftliche Schande wegfällt, als die eine »gescheiterte« Beziehung gegenwärtig noch gilt? Oder die Angst, den Kindern das Leben zu verderben, wenn sie, wie es bisher heißt, aus einer »kaputten« Familie kommen? Nein, zur Steigerung der Scheidungsrate will ich unter keinen Umständen auch nur das geringste bisschen beitragen.
Da ich, wie gesagt, eine starke Befürworterin langer, verbindlicher Beziehungen bin, tue ich, was immer ich kann, um den Paaren das Zusammenbleiben zu ermöglichen. Wer mich eines »Conscious Uncoupling« wegen aufsucht, muss sich darauf gefasst machen, dass ich ihn erst einmal ziemlich löchere und ihm auch vorhalte, dass es für diese Entscheidung noch zu früh sein könnte. Und weil ich eben dermaßen Feuer und Flamme für ernsthafte Liebesbeziehungen bin, freue ich mich auch sehr über die jüngste Erweiterung der Ehe-Landschaft in den Vereinigten Staaten, die es jetzt auch unseren homosexuellen Freunden und Freundinnen ermöglicht, ihre Verbindungen zu legalisieren und so zur Stärkung unserer Gesellschaft beizutragen. Sie können mir also wirklich glauben, wenn ich sage, dass ich das »Conscious Uncoupling« nicht etwa entwickelt habe, weil ich Trennungen auf die leichte Schulter nähme oder irgendjemanden vorschnell in dieser Entscheidung bestätigen wollte. Im Gegenteil. Unter der Überschrift »Wie und wann Sie dieses Programm durchführen sollten« gehe ich später noch genau darauf ein, unter welchen Umständen es das Beste ist, zusammenzubleiben.
»Das Leben ist nicht immer gerecht. Manchmal kann man sich sogar schon einen Splitter einziehen, wenn man den Regenbogen runterrutscht.«
CHERRALEA MORGEN
Worauf es mir aber am meisten ankommt: In einer Welt, in der sich pro Jahr mehr Menschen scheiden lassen, als neue Autos gekauft werden, sollten wir schleunigst lernen, friedlicher und freundschaftlicher auseinanderzugehen. Und genau das ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Buches.
Für wen ich dieses Buch geschrieben habe
Der »Conscious-Uncoupling«-Prozess eignet sich nicht etwa nur für Verheiratete, sondern für jeden, der unter dem Verlust einer Liebe leidet. Denn abgesehen davon, dass Trennungen wahnsinnig wehtun, stellen sie auch einen entscheidenden Wendepunkt dar, der Ihnen eine schwerwiegende Entscheidung abverlangt. In Ihrer momentanen Verzweiflung können Sie aufgeben und sich zurückziehen, um Ihr Herz vor weiteren Verletzungen zu schützen – Sie verurteilen sich dabei jedoch zu einem ärmlicheren Leben. Es könnte aber auch sein, dass es Ihnen gelingt, diese tragische Erfahrung als Chance zu begreifen; als Chance, klüger, tiefgründiger, reifer und liebesfähiger zu werden. Eine Trennung bietet also, kurz gesagt, die einmalige Gelegenheit für ein spirituelles Erwachen. Das Sie, was Authentizität, Mitgefühl, Lebenserfahrung, Tiefgang und – ich traue es mich kaum zu sagen – auch Freude angeht, auf eine ganz neue Ebene katapultiert. Letzteres ist allerdings nur möglich, wenn Sie es sich nicht bloß rational, sondern auch emotional fest vornehmen und dieses Ziel ganz bewusst ansteuern.
»Wenn uns das Leben Steine vorsetzt, können wir entscheiden, ob wir daraus eine Brücke bauen wollen oder eine Mauer.«
ANONYM
Dieses Buch ist genau richtig für Sie, wenn Sie den Mut aufbringen, sich Ihrem gegenwärtigen Liebeskummer mit ganzer Kraft zu stellen. Wenn Sie bereit sind, sich mithilfe Ihres Schmerzes von den Lügen zu befreien, die Sie schon viel zu lange toleriert haben, oder Abschied von Verhaltensmustern zu nehmen, derer Sie sich bislang nicht einmal bewusst waren. Die Lektüre würde ich Ihnen auch empfehlen, wenn Sie in dieser »Schlappe« die Chance sehen, sich endlich nicht mehr kleinmachen zu lassen, und aufhören wollen, Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Oder wenn Sie bereit sind, trotz oder gerade wegen dieses qualvollen Verlustes Ihr Herz zu öffnen, damit Sie sich selbst und andere intensiver lieben können. Und nicht zuletzt ist dieses Buch etwas für Sie, wenn Sie die Kraft aufbringen wollen, etwas Schönes aus der gegebenen Situation zu machen – nicht nur für sich, sondern für alle, die Ihnen am Herzen liegen.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen versprechen, dass Ihre Trennung durch den Prozess des »Conscious Uncoupling« vollkommen schmerzlos wird, aber das geht leider nicht. Denn wir Menschen sind biologisch darauf programmiert, uns aneinander zu binden; und deshalb führt einfach kein Weg daran vorbei, dass ein bisschen Blut fließt (oder auch etwas mehr), wenn diese Bande zerschnitten werden, und sei es auch noch so achtsam. Nachdem ich nun aber bereits Tausenden von Menschen durch diesen Prozess hindurchhelfen durfte, kann ich Ihnen wenigstens das versprechen: Auch Sie und alle, die Sie lieben, werden wohlbehalten daraus hervorgehen. Sobald Sie das tiefe Tal einmal durchschritten haben, wird Ihr künftiges Leben nicht bloß erträglich werden, sondern schöner und besser sein als zuvor. Mit Fug und Recht werden Sie auf eine neue Liebe hoffen können, die aus einem offenen, glücklichen, vertrauensvollen Herzen kommt, das Ihnen die Sicherheit gibt, alte Fehler nie mehr zu wiederholen. Und noch etwas kann ich Ihnen versprechen: Wenn Sie eines Tages auf diese grauenhaft schwierige Phase Ihres Lebens zurückschauen, werden Sie dankbar sein, dass Sie in der Lage waren, aus dem Schlimmsten, was Ihnen je zugestoßen ist, das rundum Beste zu machen.
»Wenn Liebe die Antwort ist, könnten Sie dann bitte die Frage noch mal wiederholen?«
LILY TOMLIN
TEIL EINS:
DER BESSERE WEG, SICH ZU TRENNEN

Scham, Schuld und das Scheitern der Liebesbeziehung
»Jeder, der es einmal durchgemacht hat, weiß: Verliebt hat man sich schnell, aber wehe, es geht zu Ende …«
MARTHA BECK
Was Trennungen besonders schlimm macht, ist die Kränkung, die damit einhergeht. Die Dinge haben sich nicht so entwickelt, wie sie es hätten tun sollen. Das Ziel wird verfehlt, dem wir uns insgeheim doch alle verschrieben haben – jenem »Glücklich bis an ihr Lebensende«. Und das gilt als ein so verheerendes Scheitern, dass man schnell das Gefühl bekommt, sich von diesem Schlag nie mehr erholen zu können. Nicht von dem Schock, nicht von dem Kummer. Und schon gar nicht von der Scham.
So traurig mich das Ende meiner Ehe auch machte, muss ich doch zugeben, dass ich das Gefühl der Demütigung und den drohenden Gesichtsverlust fast noch schlimmer fand (schließlich konnte ich meine Scheidung ja schwer verheimlichen). Das kollektive Drehbuch unserer Gesellschaft lässt in Sachen Ehe praktisch keinen Spielraum. Zusammengefasst lautet es etwa so: Hält die Verbindung, taugt sie was; geht sie kaputt, war sie von vornherein nichts wert. Einzige Ausnahme: Einer der Ehepartner hat sich etwas wirklich Schlimmes zuschulden kommen lassen, aber wirklich schlimm …
Wollte ich die Leute über die bevorstehende Trennung von Mark und mir informieren, konnte ich mich also auf einiges gefasst machen. Vor allem auf die ebenso versteckte wie sich automatisch einstellende Entwertung unserer gesamten Beziehung beziehungsweise eines von uns oder gar beider. Ich konnte sie förmlich hören, die Reaktionen. Es wurde natürlich nicht laut ausgesprochen, aber insgeheim – und so geheim bleibt das ja nie – dachten die anderen: Hmh, dann war das wohl doch nichts Gescheites. Oder: Na ja, viel habe ich von ihm (beziehungsweise ihr, je nach Gesprächspartner) eh nie gehalten. Allein schon der Gedanke weckte in mir das Bedürfnis, zu Hause zu bleiben, mich in eine Decke zu wickeln und nichts anderes zu tun, als Liebesfilme zu gucken und dabei Erdnussbutter mit Stückchen drin direkt aus dem Glas zu futtern. Filme im Übrigen, in denen sich die zwei am Ende kriegen und … klar doch! … glücklich sind bis an ihr Lebensende.
Die allermeisten von uns gehen stillschweigend davon aus, dass wahre Liebe das ganze Leben zu halten hat, insbesondere natürlich, wenn sie in Anwesenheit der Angehörigen und Freunde vor dem Altar besiegelt wurde. Denn spätestens seit sie in der Erstausgabe des Gebetbuchs der anglikanischen Kirche 1549 auftauchte, ist die Formel »… bis dass der Tod uns scheidet« fester Bestandteil der meisten kirchlichen Trauzeremonien. Die Idee dahinter reicht aber noch viel weiter zurück. Denken wir nur an die Witwenverbrennung im alten Indien oder an die chinesische Praxis, Mädchen die Füße so straff einzubinden, dass sie verkrüppeln, um sicherzustellen, dass die jungen Frauen ihrem späteren Ehemann nicht weglaufen konnten: Die Vorstellung von der Unauflösbarkeit der Ehe scheint also eigentlich schon … fast immer geherrscht zu haben.
Wir neigen sogar dazu, unsere Beziehungen nach ihrer Dauer zu bewerten. Für jeden »großen« Jahrestag werden die empfohlenen Geschenke kostbarer: etwas aus Zinn zum zehnten, aus Silber zum fünfundzwanzigsten und aus Gold zum fünfzigsten. Und sogar noch beim Schreiben dieses Buches überlege ich, welches Geschenk ich Mark wohl hätte machen können, wäre ich nur noch ein bisschen länger bei ihm geblieben: einen hübschen zinnernen Schlüsselanhänger vielleicht oder besser ein Paar schicke Manschettenknöpfe aus dem Material? Ich weiß noch, dass ich lange vor unserer Hochzeit einmal abends auf der Couch lag und einige wissenschaftliche Artikel studierte, die ich für meinen Abschluss im Fach Klinische Psychologie brauchte. In einem davon stolperte ich über den folgenden Satz eines renommierten Psychologen: »Grund, eine goldene Hochzeit zu feiern, gibt es eigentlich erst, wenn man weiß, was die Beziehung mit den Seelen der Eheleute angestellt hat.« Dass sich tatsächlich jemand traute, an unserem Ideal der lebenslänglichen ehelichen Gemeinschaft zu kratzen … so etwas hatte ich nie zuvor gehört oder gelesen.
Was uns wieder zu unserem kollektiven Drehbuch zurückführt, der Annahme: Endet eine Liebesbeziehung aus einem anderen Grund als dem Tod eines der Partner, ist sie gescheitert.
Im Ernst: Kennen wir denn auch nur eine einzige Liebesgeschichte, die mit einer freundlichen, respektvollen Trennung endet? Bei der die Liebe erhalten bleibt und bloß eine andere Form annimmt – zum Nutzen und Frommen aller? Eine Trennung, die niemanden zum Schuldigen macht oder ihn beschämt? Sondern bei der beide erhobenen Hauptes auseinandergehen können, in dem Wissen, für alles, was sie füreinander und für die Gesellschaft getan haben, geschätzt zu werden?
Würde sich doch gut anhören, oder?
In einer Kultur, die Trennung mit Scheitern gleichsetzt, gilt es schnell als Schande, wenn eine Liebesbeziehung zu Ende geht. Und unter solchen Umständen ist es schon beinahe normal, dass man nicht nur leidet, sondern sich auch noch entehrt und erniedrigt fühlt, insbesondere wenn man derjenige ist, der verlassen wurde. Dabei ist Liebeskummer doch so schon schwer genug zu ertragen, auch ohne Scham und die zusätzliche Einbuße des gesellschaftlichen Status.
Etymologisch geht shame (»Schande«, »Scham«) auf das Verb »sich bedecken« zurück. Der Tatbestand selbst ist durch das Bedürfnis gekennzeichnet, wegzulaufen und sich vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Genau so ging es Leslie, einer früheren Klientin von mir, als ihr Mann nach nur siebenmonatiger Ehe zu dem Schluss kam, die Hochzeit sei ein großer Fehler gewesen. Auf einem Spaziergang in den Hollywood Hills teilte er ihr mit, dass er sie verlassen und allein nach England zurückgehen werde. Es verschlug Leslie fast die Sprache, aber immerhin brachte sie noch die eine oder andere Frage heraus: Ob er eine Affäre habe? Nein. Ob er England so vermisse? Nein. Ob sie sexuell eine Enttäuschung für ihn sei? Auch nicht. Es war ihm einfach nur klar geworden, dass er nicht verheiratet sein wollte. Was in gewisser Weise alles nur noch schlimmer machte. Leslie wurde von Schamgefühlen geradezu überflutet. Sie musste ihrem Mann eine schlechte Ehefrau gewesen sein. Nichts an ihr konnte liebenswert sein, wenn selbst der Gatte sie zurückwies.
Wie besessen von ihren Sorgen war sie: »Was werden nur die Leute von mir denken?«, »Wie soll ich bloß mit der Demütigung fertigwerden, wieder Single zu sein?« Sie schämte sich so, dass sie niemandem sagte, was geschehen war. Statt ihre Freundinnen und Freunde anzurufen und um Unterstützung zu bitten, ging sie nicht mehr ans Telefon. Statt jemanden aus der Familie zu bitten, ihr in dieser Situation beizustehen, zog sie die Vorhänge zu und wurde zur Eremitin. Monatelang isolierte sie sich – bloß um das Gesicht zu wahren und sich die »Schande« nicht eingestehen zu müssen, dass sie verlassen worden war. Ja, so sind wir Menschen: Immer dann, wenn wir der Unterstützung und Verbundenheit am meisten bedürfen, bringen wir es fertig, unter der Bettdecke Zuflucht zu suchen und uns wegzuducken, verzehrt vom Gefühl sozialer Unzulänglichkeit.
Von Schuldgefühlen unterscheidet sich Scham der kulturvergleichenden Anthropologin und Professorin der Columbia University Ruth Benedict (1887–1948) zufolge insofern, als sich ein schlechtes Gewissen zumeist einstellt, wenn wir unseren eigenen Grundwerten zuwiderhandeln, während wir Scham empfinden, wenn wir gegen äußere Regeln verstoßen und den von der Gesellschaft an uns gestellten Erwartungen nicht entsprechen – was zur Folge hat, dass wir das Gefühl bekommen, von Grund auf schlecht zu sein und im Unrecht. Wer sich dem negativen Urteil der anderen ausgesetzt fühlt, auch wenn es noch so nett und mitleidig daherkommt, versinkt leicht in der tiefen, dunklen See der Scham.
Erwartungen gelten als die »Mutter allen Kummers« und enttäuschte Erwartungen sorgen tatsächlich oft für Verwirrung und totales inneres Chaos. Denn wenn die Wirklichkeit unseren Plänen zuwiderläuft, geraten wir leicht in Gefahr, psychisch den Halt zu verlieren. Dann ist es ganz so, als hätten wir uns im Wald verirrt und suchten verzweifelt nach einem Weg, der auf bekanntes Terrain zurückführt. Dem Hirn ist es bei Weitem lieber, wenn wir die Zukunft eindeutig vorhersagen können. Das ist auch der Grund für das Entstehen der Geschichten und Verhaltensmuster, auf die sich eine Kultur verständigt: Sie sollen als gesellschaftliche Normen Orientierungshilfe und Berechenbarkeit bieten.
Eine enge Freundin von mir, die nach den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung arbeitende Trainerin für Führungskräfte Dr. Karey Pohn, konnte im Rahmen ihrer Studien am Neuroleadership Institute2 bestätigen, dass im Gehirn große Mengen an Dopamin ausgeschüttet werden – eine Belohnungsreaktion –, wenn unsere Erwartungen Wirklichkeit werden. Es gibt uns ein gutes Gefühl. Bleibt das Leben dagegen hinter unseren Erwartungen zurück, erhöht sich das Stressniveau erheblich und das Gehirn wird in einen Zustand versetzt, in den es auch bei drohender Gefahr gerät. Der Cortisolspiegel im Blut steigt, Funktionen des Immunsystems werden heruntergefahren und das limbische System – Sitz der emotionalen Reaktivität – schaltet in den Kampf-oder-Flucht-Modus um, während der Dopamin- und Oxytocinspiegel stark abfällt und uns in einen Sumpf von Kummer und Elend stürzen lässt.
»Glücklich bis ans Lebensende«: der Ursprung des Mythos
Im Herzen war ich schon immer eine kleine Amateuranthropologin. Und als solche neige ich dazu, meine persönlichen Erfahrungen zu verallgemeinern. Das heißt, dass ich in vielerlei Hinsicht mein eigenes Versuchskaninchen bin und mir anhand meiner Gedanken, Annahmen, Gefühle und Neigungen oft Aufschluss über den Menschen als solchen verschaffe. Vor diesem Hintergrund können Sie sich bestimmt vorstellen, wie neugierig mich mein Minderwertigkeitsgefühl und die Scham machten, die ich empfand, als meine Ehe am Ende war. Das Erste, was mir auffiel, war, wie entblößt und ungeschützt ich mich fühlte, nachdem ich meinen Ehering abgelegt hatte. Oft ertappte ich mich dabei, dass ich die Hand in die Hosentasche steckte, um meinen so schrecklich nackten Ringfinger zu verbergen. Auch bemerkte ich, dass ich mich Menschen unterlegen fühlte, die dem Anschein nach in einer glücklichen Beziehung lebten, und Angst hatte, von oben herab behandelt zu werden, nun, da ich wieder Single war.
»Ich habe nicht versagt. Ich habe mit Erfolg zehntausend Wege entdeckt, die zu keinem Ergebnis führen.«
THOMAS A. EDISON
Mein Verstand rebellierte gegen die Vorstellung, emotional aber hatte ich mit meinem neuen Familienstand auch an gesellschaftlichem Status verloren. Da ich jedoch das Privileg genoss, schon lange lehrend tätig zu sein, brauchte ich in diesen Gefühlen wenigstens kein krankhaftes Einzelschicksal zu sehen, sondern konnte sie als das erkennen, was sie sind: eine Erfahrung, die viele machen – wenn nicht alle irgendwann einmal in ihrem Leben. Die aus einer Trennung resultierende emotionale Verwundbarkeit quält ähnlich durchdringend wie das Kreischen von Fingernägeln, die über eine Schiefertafel fahren; jedenfalls ist das für besonders sensible Menschen so, und von denen gibt es ja eine Menge.
Mich brachten diese Zusammenhänge auf die Idee, nach den Ursprüngen der kollektiven Ideale zu fahnden, die die meisten von uns in ihrem Bann halten und an denen ich wie Millionen andere so kläglich gescheitert bin. Mit dem »Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende« fing ich an. Wie eine erste schnelle Internetsuche ergab, handelte es sich dabei um eine der Formeln, mit denen die Leute in früheren Zeiten die Geschichten beendeten, die sie sich abends am Feuer erzählten. Aber es gab auch andere. Ein in Persien gängiger Spruch zum Beispiel lautete: »Diese Geschichte ist jetzt zwar zu Ende, zu erzählen aber gibt es noch viel.« Eindeutig ein Vorläufer jener Cliffhanger, mit denen die Fans der heutigen wöchentlich ausgestrahlten Seifenopern wohlvertraut sein dürften. In Norwegen und Deutschland etwa wurde auch gern die clevere Formulierung »Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute« verwendet. Meine persönliche Lieblingsformel aber stammt von den alten Hebräern: »Glücklich und in Wohlstand leben sie auch heute noch.«
Ich grub ein wenig tiefer. Und fand heraus, dass es märchenhafte Motive zwar auch schon in der alten indischen, chinesischen, griechischen, hebräischen und römischen Literatur gab, das Genre »Märchen« als solches aber erst Ende des 16. Jahrhunderts entstand.3 Und zwar insbesondere in Venedig. Hätten Sie gedacht, dass Ihr Verlangen, bis zum Tod glücklich mit Ihrer großen Liebe vereint zu bleiben, seinen Ursprung bei den romantischen Italienern hatte, die in ihren Gondeln durch die Kanäle der Lagunenstadt schipperten? Von den bekannteren und etablierteren Volkssagen jener Zeit unterschieden sich die Märchen durch ihre Magie, das Abenteuerliche – und durch ein Happy End, bei dem die Begegnung mit der wahren Liebe immer auch mit großem Wohlstand einherging.
Aber wie konnte es dazu kommen?, fragte ich mich. Und warum gerade zu jener Zeit? Was hatte es mit dem Venedig Ende des 16. Jahrhunderts auf sich, dass sich der Mythos vom »Glücklich bis ans Lebensende« dort so schnell durchsetzen und innerhalb relativ kurzer Zeit die Anspruchshaltung der Menschen fast überall auf der Welt prägen konnte? Noch einmal zur Erinnerung: Wir sprechen hier von einem Zeitraum von kaum mehr als vier Jahrhunderten, in dem diese eine Idee unsere Welt ganz entscheidend veränderte. Und im Maßstab der Evolution stellen vierhundert Jahre lediglich einen weltgeschichtlichen Schluckauf dar. Vor dieser Zeit war es bei der Partnerwahl und Eheschließung nie um Liebe gegangen. Ebenso wenig um Glücklichsein. Worum es jedoch durchaus ging, war das »Bis ans Lebensende« – und darüber hinaus. Denn alles drehte sich um Ländereien, Handel, Kommerz und Macht: Dinge, die man nicht so gern verliert. Es ging ums Überleben, um das tief im Menschen verankerte Bedürfnis nach Sicherheit.
Die leidvollen Ursprünge unseres Liebesideals
Bei meiner Suche nach den Quellen unserer heutigen Vorstellungen von der romantischen Liebe stieß ich auf zwei extreme Umstände, die das Leben der Bewohner Venedigs zur damaligen Zeit entscheidend prägten. Der erste war die geringe Lebenserwartung von weniger als vierzig Jahren. Was natürlich nicht heißen soll, dass jeder an seinem vierzigsten Geburtstag tot umfiel. Es gab durchaus viele, die fünfzig, sechzig oder siebzig Jahre alt wurden. Aber die Mehrzahl (genauer gesagt: 60 Prozent) der Europäer verstarb in der damaligen Zeit vor dem sechzehnten Geburtstag.
Meine Güte! Ich weiß nicht, ob Sie sich in die Lage der Venezianer vor vierhundert Jahren versetzen und sich ihren Kummer, ihre Trauer vorstellen können: Mehr als jedes zweite der Kinder, die sie, die ihre Freunde, Geschwister und Nachbarn zur Welt brachten, hatte keine Chance, auch nur erwachsen zu werden. Als ich mir die Zeit nahm, das richtig auf mich wirken zu lassen, wurde mir mit einem Mal bewusst, dass die Formel »Glücklich bis an ihr Lebensende« ja eigentlich lautet: »Sie lebten alle glücklich bis ans Lebensende«. Das war mir vorher nie aufgefallen. Aber in einer Welt, in der die Kinder nur eine so geringe Überlebenschance hatten, war es wahrscheinlich eine wirklich, wirklich gute Idee, die Eltern dabei zu unterstützen, dass sie gemeinsam durch dick und dünn gingen, um ihren Nachkommen die unter diesen Umständen bestmöglichen Ausgangsbedingungen zu sichern.
Der zweite Faktor, der das Leben seinerzeit entscheidend prägte, war die bedrückend starre Gesellschaftsstruktur. Im damaligen Venedig gab es zwar eine florierende Adelsschicht, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung jedoch lebte in bitterer Armut und hatte trotz harter Arbeit praktisch keine Möglichkeit, wirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen. Weiter erschwert, wenn nicht gar unmöglich wurde ein eventueller gesellschaftlicher Aufstieg durch ein in den Zwanzigerjahren des 16. Jahrhunderts eingeführtes Gesetz, das es den Adeligen verbot, außerhalb ihres Standes zu heiraten. Denn vergessen wir nicht: Dies alles spielte sich in den Zeiten vor der »Liebesheirat« ab, als die Eheschließung noch allein dem Erhalt des Wohlstandes diente. Ihre beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten im Verbund mit diesem rigide gehandhabten Verbot fesselten die Armen Venedigs an den Status quo – ohne die geringste Hoffnung, jemals aus ihrer Situation herauszukommen.
Doch glücklicherweise konnten sie in den Zeiten nach der Renaissance wenigstens schon lesen. Und sich deshalb in die realitätsfernen Bücher flüchten, die ihnen die Chance eines gesellschaftlichen Aufstiegs zumindest vorgaukelten. Wer könnte es ihnen verdenken, dass sie die aufkommenden Märchenbücher geradezu verschlangen. Als Schöpfer dieses neuen Literaturgenres gilt übrigens der italienische Schriftsteller und Verleger Giovanni Francesco Straparola. Die von ihm gesammelten und aufgeschriebenen Märchen waren zwar stilistisch noch nicht so ausgefeilt wie die der Franzosen ein Jahrhundert später; doch mit all ihrer Magie und Zauberei boten sie trotzdem eine willkommene Auszeit von der harten Realität des Alltagslebens. Nicht zuletzt aufgrund der romantischen Liebesgeschichten, an deren Ende sich das Leben der Heldenfigur selbstverständlich entscheidend zum Besseren wandelt, denn alle sind schließlich glücklich bis an ihr Lebensende. Allerdings an einem fernen, abgelegenen Ort. (Wir erinnern uns: In Venedig war dieses Glück wegen des Verbots der Eheschließung zwischen Adeligen und Leuten aus dem Volk ja nicht möglich.)
Ich muss zugeben: Diese Venezianer, die letztlich nicht bereit waren, sich der Unterdrückung zu beugen, in die sie hineingeboren wurden, haben mich tief beeindruckt. Und in dem Mythos vom »Glücklich bis ans Lebensende« sehe ich mittlerweile sogar die Anfänge des Human Potential Movement. Denn beides stellt ja eine Ermutigung dar, sich von den aktuellen Lebensbedingungen nicht unterkriegen zu lassen und allen Widrigkeiten zum Trotz ein Leben in Fülle anzustreben. Früher hatte ich immer gedacht, das Human Potential Movement gehe auf Geistesgrößen wie William James, Viktor Frankl, Abraham Maslow, Carl Rogers, Jean Houston und Milton Erickson zurück. Aber dabei hatte ich wohl den starken Schultern, auf denen sie alle standen, viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Denn für die überaus transformierende Praxis der geistigen Vorwegnahme eines besseren Lebens war letztlich der unermüdliche Giovanni Francesco Straparola verantwortlich.
Ein Plädoyer für die Weiterentwicklung unserer Liebesbeziehungen
So inspirierend das alles sein mag, ist es allmählich doch an der Zeit, einmal zu überlegen, ob sich der »Glücklich-bis-ans Lebensende«-Mythos nicht inzwischen überlebt hat und womöglich neu betrachtet beziehungsweise revidiert werden sollte. Denn die Gepflogenheiten des Datings, Zusammenfindens und Heiratens sind historisch nie lange gleich geblieben. Angefangen bei der Mitte des 18. Jahrhunderts noch radikal neuen Idee der romantischen Liebe als Ehegrund über die »traditionelle« Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern bis hin zum Zwei-Väter-Haushalt, der jedes halbe Jahr einmal Wochenendbesuch von der leiblichen Mutter erhält: Auf dem Gebiet der Liebe waren die Sitten, Gebräuche und Lebensformen immer in Bewegung. Und das wird auch so bleiben.
Dr. Helen Fisher, der hochrenommierten Beziehungsanthropologin und Professorin an der Rutgers University, zufolge ist heute serielle Monogamie die Norm.4 Demnach werden die meisten von uns im Laufe ihres Lebens zwei oder drei bedeutende Liebesbeziehungen haben. Was aber natürlich auch beinhaltet, dass die meisten von uns eine oder zwei bedeutende Trennungen durchleben werden. So, wie es früher eine Selbstverständlichkeit war, die eine wahre Liebe zu ehelichen, bindet man sich heute eben nicht mehr unbedingt fürs Leben. Angesichts der Tatsache, dass mehr als 40 Prozent aller Erstehen und sogar 60 beziehungsweise 70 Prozent der Zweit- und Drittehen geschieden werden,5 sollten wir allmählich einsehen, dass es mittlerweile ganz normal ist, wenn wir im Laufe unseres Lebens mehrere Partner haben. Denn es führt nun einmal kein Weg daran vorbei: Die Mehrheit von uns wird nicht mit einem einzigen Menschen zusammenbleiben und ihm in guten wie in schlechten Tagen die Treue halten, bis dass der Tod sie scheidet. Wir leben in einer Zeit, in der wir fast jeden Aspekt des Lebens – Arbeitswelt, Schlafgewohnheiten, Erziehungspraktiken, Ernährung und Computerprogramme, um nur einige zu nennen – ständig updaten müssen, wenn wir mit den steigenden Anforderungen Schritt halten wollen, die an uns gestellt werden. Wir sollten deshalb überlegen, ob wir nicht auch unser überkommenes, allzu simples Modell der romantischen Liebe in den Ruhestand schicken müssten. Unsere unrealistischen Fantasien von einem Leben, das wir führen könnten, verabschieden und Vorstellungen entwickeln, die zu dem Leben passen, das wir tatsächlich führen.
Einem jüngeren New-York-Times-Artikel zufolge sind heute mehr Menschen über fünfzig geschieden als verwitwet.6 Die Scheidungsrate langjähriger Ehen hat sich seit 1990 fast verdoppelt. Was ja auch nicht von ungefähr kommt: Dank Viagra und Hormonersatztherapien sind wir heute noch bis ins hohe Alter sexuell aktiv, wovon unsere Großeltern höchstens hätten träumen können. Während Oma die Erwartungen auf ein Mindestmaß zurückschraubte und sich mit ihrem wöchentlichen Bridge-Kränzchen zufriedengab, als sie ins sechste Lebensjahrzehnt eintrat, starten wir dann erst richtig durch, gönnen uns ein Umstyling, nehmen vielleicht an dem einen oder anderen Marathon teil und peilen die nächste große Liebe an. Auf Online-Datingseiten stellen die »Silver Seekers« über sechzig die mit am schnellsten wachsende Usergruppe dar.7 Diejenigen unter uns, die sich bereits im »Rentenalter« befinden, erwarten mehr vom Leben, als einmal in der Woche die Enkel zu bespaßen. Der allwöchentliche Spaß mit dem Liebsten darf schon auch noch sein.
»Auch Scheitern stellt eine Möglichkeit dar, herauszufinden, wie man etwas besser machen kann.«
MARIAN WRIGHT EDELMAN
Ich hoffe, dass wir bald in einen Diskurs eintreten, der es uns ermöglicht, den heutigen Bedingungen des Lebens und der Liebe besser gerecht zu werden, insbesondere in puncto Trennung. Statt unsere Beziehungen weiterhin anhand ihrer Dauer zu beurteilen, sollten wir schleunigst anfangen, uns Fragen zu stellen wie »Was habe ich daraus gelernt?« und »Was kann ich künftig besser machen?«.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Liebe tatsächlich alle Schwierigkeiten überwinden kann. Und damit stehe ich offenbar auch nicht allein. Denn wie Andrew J. Cherlin, der Autor des hochangesehenen Buches The Marriage-Go-Round, feststellt, haben wir Amerikaner zwar eine der höchsten Scheidungsraten in der westlichen Welt,8 zugleich aber werden bei uns auch besonders viele Ehen geschlossen: Prognosen zufolge heiraten fast 90 Prozent von uns in ihrem Leben mindestens einmal, ungeachtet der geringen Wahrscheinlichkeit, dass die Verbindung für immer hält. Unser Versuch, das »Happy End« neu zu definieren, ist also keinesfalls ein Beweis dafür, dass wir den Glauben an die Liebe verloren hätten, ganz im Gegenteil: Unser Vertrauen in die ewige Liebe ist unerschütterlich. Doch angesichts der Gegebenheiten unserer Zeit – wozu auch das postmoderne Spannungsverhältnis zwischen der Stabilität der Ehe und den Idealen von individueller Freiheit, Selbstverwirklichung und persönlichem Wachstum gehören – müssen wir es einfach akzeptieren, dass sich so viele Paare scheiden lassen. Und dies könnte vielleicht sogar die Essenz der wahren Liebe sein: zu lernen, wie man »trotz allem glücklich« sein kann bis ans Lebensende, wie man das Unverzeihliche vergeben, voller Hoffnung im Herzen und Gutmütigkeit in Wort und Tat weitermachen kann.
Doch bevor wir uns mit der Weiterentwicklung und Ausdehnung der Liebe beschäftigen können, müssen wir noch eine Weile bei ihren Schattenseiten verweilen und den armseligen Schwestern der Scham einen kleinen Besuch abstatten. Schnallen Sie sich an, denn jetzt tauchen wir kurz in die unberechenbare, primitive Hölle von Hass, Rache und anderen verstörend düsteren Aspekten der Liebe ein.