Über dieses Buch
»Einige Menschen machen ihr Hobby zum Beruf. Nun, bei mir war es genau umgekehrt. Erst durch meine Arbeit habe ich meine große Leidenschaft für das Thema Garten entdeckt.
In diesem Buch stelle ich einige der Gärten und Betriebe – vor allem aber deren großherzige Besitzerinnen und Besitzer vor, die ich in der Vergangenheit besuchen durfte. Sie alle öffneten ihre Pforten, um für ein oder zwei Tage eine Reporterin samt Kamerateam hereinzubitten. Wir durften in das Leben dieser Menschen eintauchen, sie kennenlernen, mitarbeiten und (manchmal dumme) Fragen stellen.
Die Reisen, auf die ich Sie mitnehmen möchte, die tollen Touren von denen hier die Rede sein wird, waren alle besonders, sie klangen noch lange in mir nach und sie haben mich verändert. Gärtnern macht glücklich und ich habe den Versuch unternommen zu beschreiben, warum.«
Über die Autorin
Sabine Platz, geboren 1971, ist eine deutsche Fernsehjournalistin. Sie wuchs in West-Berlin auf und studierte Wirtschaftskommunikation. Nach Stationen im Landesstudio Stuttgart und in Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan und dem Balkan, lebt und arbeitet Sabine Platz heute wieder in Berlin. Hier ist sie für das ZDF-Morgen- und Mittagsmagazin als Reporterin tätig und in wiederkehrenden Formaten zu sehen. Für ihre Serie »Platz im Garten« reist sie regelmäßig durch die Republik und trifft Menschen mit außergewöhnlichen Gartengeschichten.
SABINE PLATZ
Im Garten
ZWISCHEN KNOLLE
UND KOMPOST
LIEGT DAS GANZE LEBEN
GESCHICHTEN VON GÄRTEN UND MENSCHEN
Mit Illustrationen von Inka Hagen

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Im folgenden Text haben wir uns meist für die Verwendung des grammatischen, generischen Maskulinums entschieden. Nichtsdestotrotz sind, soweit nicht eindeutig anders angegeben, in allen Personengruppen und Bezeichnungen weibliche, männliche, non-binäre und fluide Personen mit eingeschlossen.
Originalausgabe 10/2021
Copyright © 2021 by Ludwig Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Nina Lieke
Illustrationen: Inka Hagen www.inkahagen.de
Bildredaktion: Tanja Zielezniak
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design
unter Verwendung von 336561919 © Ekkawit/Bigstock
und 363567545 © Smika/Shutterstock
Umschlag- und Autorenfoto: Benjamin Zibner/
Penguin Random House Verlagsgruppe
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-27868-7
V001
www.Ludwig-Verlag.de
INHALT
Vorwort
Lieber spät als nie
Piekarski
Die Orchidee
Die Schmiede
London
Penny
Ein guter Freund
Pfannkuchen in Thüringen
Der alte Apfel
Die Sibirische Lärche
Die Rumänen
Das Moor
Zum Geburtstag
Die beste Gärtnerin
Mein Garten im Winter
Hortensien in der Krise
Was bleibt?
Dank
Anhang


Vorwort
»Was halten Sie davon, wenn ich mal mit einem Kamerateam bei Ihnen vorbeikomme?« Wenn ich dienstlich telefoniere, dann dauert es manchmal gar nicht lange, bis ich, meist etwas vorsichtig, diese Frage stelle. Und ich telefoniere oft, schließlich muss ich sie finden, die Menschen da draußen, die ich für meine Rubrik Platz im Garten interviewen kann. Ich treffe Gartenbesitzerinnen, Gärtner, Landwirte, Biotannenbaumproduzenten, Organisatorinnen von Bundesgartenschauen, Menschen in freiwilligen Diensten, Enthusiasten und Expertinnen. Sie alle eint eines – die Liebe zu ihren Gärten und zur Natur.
Dieses Buch stellt einige der Gärten, vor allem aber deren großherzige Besitzer und Besitzerinnen vor, die ich in der Vergangenheit auf diese Weise gefunden habe und filmen durfte. Sie alle öffneten ihre Pforten, um für ein oder zwei Tage eine Reporterin samt Fernsehteam hereinzubitten. Fernsehen macht immer Umstände, manchmal Dreck, bringt Unruhe und kostet Zeit. Und dennoch durften wir kommen und eintauchen in das Leben dieser Menschen, ihre Gärten oder Betriebe kennenlernen, mitarbeiten und (manchmal dumme) Fragen stellen.
Treue moma-Zuschauer wissen – ich bin schlicht diejenige, die am Ende des Tages einen Film schneidet. Die Kenner, Expertinnen und Spezialisten, stehen auf der anderen Seite des Mikrofons. Darum ist dieses Buch kein Gartenratgeber. Klar – ich habe mir über die Jahre so einiges angeeignet. Wenn man unzählige Leute vom Fach interviewt, einen Profi nach dem anderen vor der Nase hat, bleibt zum Glück ein bisschen was hängen. Und dennoch, selbst wenn man bei uns Journalisten flott zum »Experten« ernannt wird, kaum, dass man zwei Mal über das gleiche Thema berichtet hat, so sage ich hier doch in aller Deutlichkeit: »Nein, meine Expertise geht keinesfalls über die einer Rückschläge erprobten Amateurgärtnerin hinaus.« Sie werden in diesem Buch zwar Informatives zu einigen ausgewählten Pflanzen oder Gehölzen finden, aber als Ratgeber taugen diese Seiten nicht. Eher vielleicht als kurze literarische Pause.
Als Journalistin kann ich auf wunderbare Weise meinen Beruf mit meiner großen Leidenschaft für das Thema Garten verbinden. Für dieses Buch aber habe ich mich auf unbekanntes Terrain begeben. Schließlich bin ich als Fernsehfrau daran gewöhnt, dass eine Kamera die Bilder für mich aufzeichnet. Beim Schreiben muss ich die Bilder durch Worte kreieren, sie lebendig und anschaulich in Schriftform aufs Papier bringen. Fernsehen mit Buchstaben sozusagen. Ich hoffe, das ist mir gelungen. Denn die Reisen, auf die ich Sie mitnehmen möchte, die tollen Touren, von denen auf den folgenden Seiten die Rede sein wird, waren alle besonders, sie klangen noch lange in mir nach und sie haben mich verändert. Und so komme ich gar nicht umhin, auch von dieser, von meiner ganz persönlichen Veränderung an einigen Stellen des Buches zu berichten. Gärtnern macht glücklich und mit den folgenden Seiten habe ich den Versuch unternommen, zu beschreiben, warum.
Vielleicht klingt auch in Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die ein oder andere Geschichte nach. Selbst wenn Sie längst wieder das Laub draußen zusammenklauben, mit der Schubkarre in Richtung Komposthaufen unterwegs sind oder auf dem Balkon die Sämereien in die Sonne stellen.
Was mehr könnte ich mir als Schreiberin dieser Zeilen wünschen?


Lieber spät als nie
Menschen wie mich, die ihre Leidenschaft für Gärten und die damit verbundene Freude an Rückschlägen und körperlicher Schwerstarbeit erst spät für sich entdecken, nennt man im Fachjargon Late Bloomer, also Spätzünder. Marketingexperten großer Gartencenterketten und Baumärkte umwerben diese Zielgruppe gerne, denn wer spät beginnt für ein Thema zu brennen, hat in der Regel einiges an Geld für die neue Leidenschaft zur Verfügung und kleckert nicht, sondern klotzt.
Das ist bei mir nicht anders. Ich habe in meinen 800 Quadratmetern Garten über die Jahre einen Großteil meines Reportergehalts versenkt. Und wenn ich schreibe versenkt, dann meine ich das wörtlich. Das Geld steckt mehr oder weniger sinnvoll angelegt in unglaublichen Mengen Tulpenzwiebeln, Frühblühern, Terrasseneinfassungen, Mulchmasse, Blumenerde, organischem Dünger, verschiedenerlei Stauden, Kleinstrauch- und Ramblerrosen und edlen, vermeintlich extravaganten Gehölzen. Leider aber gehört zum Schicksal einer späten Gärtnerin, dass sie keine Ahnung hat von dem, was sie da tut. Und wer keine Ahnung hat, kauft alles doppelt und dreifach, beginnt mit wilden Umbaumaßnahmen an der einen Stelle, pflanzt und gräbt und düngt an der anderen – nur um in der nächsten Saison festzustellen, dass sie sich all die Mühe und Kosten weitestgehend hätte sparen können. Der Rittersporn taucht gar nicht erst wieder auf, die super seltene Japan-Pfingstrose bildet auch im dritten Jahr nur eine einzige Blüte und der Phlox, ach der Phlox, der sieht so albern und spillerig aus, dass Karl Foerster, wäre er nicht schon tot, wahrscheinlich auf der Stelle zu Stein werden würde, hätte er sich im letzten Spätsommer in meinen Garten verirrt.
Und doch – all dieser deprimierenden Erfahrungen zum Trotz, habe ich nicht längst die Schaufel in die Ecke geschmissen und mich einem anderen, eventuell Erfolg versprechenderem Hobby zugewandt. Im Gegenteil. Seit ich das Gärtnern für mich entdeckt habe, begebe ich mich Jahr für Jahr voller Freude erneut in den Kampf, werfe die Siebtrommel an, grabe die Hochbeete um und lege – diesmal wird es klappen! – schon wieder ein neues Staudenbeet an. Warum fragen Sie sich?
Weil Gärtnern auf vielen verschiedenen Ebenen glücklich macht. Und das geht so: Erstens: Die Zeit in meiner grünen Hölle gehört mir allein, vergeht wie im Flug und ich vergesse auf die Uhr zu sehen. Zweitens: Gartenarbeit kann es locker mit jedem Core-App-Kurs, jeder Pump-up-Challenge und jeder Power-Yoga-Übung aufnehmen. Wer gärtnert braucht keine Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Ich schiebe die voll beladene Schubkarre von vorne nach hinten, trage den Gehölzschnitt zum Kompost. Ich habe die Gartenschere im Vorgarten vergessen, muss sie holen und schleppe bei der Gelegenheit auch gleich die Ausziehleiter mit. Ich steige hoch, binde fest, klettere runter, ich laufe, stoppe, schnibble, stehe auf und laufe weiter. Mein Fitnessarmband zeigt mir lange vor dem Mittagessen blinkend an, dass ich das tägliche Pensum der geforderten 10 000 Schritte erreicht habe. Und die nächsten 10 000? Habe ich spätestens nach dem Rückschnitt des Apfelbaums am Nachmittag auf dem Buckel. Drittens: Ich bin mein eigener Chef. Wo sonst habe ich das in meinem Leben? Meiner Familie ist es ziemlich einerlei, was ich da draußen treibe. Ob nun die Anemone nach da oder die Bergenie nach dort versetzt wird, sie sehen es sowieso nicht. Dieses Desinteresse ist manchmal frustrierend, schafft aber Freiheit! Ich friemle in meinem kleinen Reich vor mich hin und bin allein für all den Unsinn verantwortlich, aus dem wieder nix geworden ist. Ich führe Selbstgespräche, halte mein ungeschminktes Gesicht in die Sonne, und mir ist herzlich egal, ob meine Latzhose dreckig oder die Fingernägel schwarz vor Erde sind.
Kurzum – ich kann auf meinen amateurhaft bepflanzten Quadratmetern so sein,wie ich bin. Das ist großartig!
Okay, sagen Sie sich jetzt. Verstanden. Kapitel beendet, war’s das? Nein!
Da ist noch etwas, das mich jeden Tag mit neuer Begeisterung den Spaten in die Erde rammen lässt. Ich will versuchen es zu erklären, muss dafür aber, pardon, ein kleines bisschen ins Philosophische abschweifen. Und weil das eine ganze Menge Menschen deutlich besser können als ich, ziehe ich an dieser Stelle einen alten Bekannten hinzu.
Mit 17 oder 18 Jahren, ich war der Pubertät gerade einigermaßen entkommen, haben mich die Romane, Erzählungen und Märchen von Hermann Hesse sehr fasziniert. In kürzester Zeit verschlang ich einen Großteil dessen, was der Mann in seinem Leben zu Papier gebracht hat. Mit dem Glasperlenspiel fing es an, ich weiß noch, dass eine Freundin es mir schenkte. Mit Narziß und Goldmund, Demian und dem Steppenwolf ging es weiter. Ob Kurzgeschichte oder dicker Schmöker – Hesse kam genau zur richtigen Zeit. Ich fiel hinein in seine Sätze, die so leicht daherkamen und mich doch ganz tief berührten. Seine Schreibe ist blumig, anrührend und schön, aber nie flach, sondern mit großer Tiefe. Noch heute steht fast die gesamte Hesse’sche Taschenbuchausgabe in meinem Regal, aber ich gebe zu – den Band Freude am Garten habe ich damals ausgelassen. Und bis heute nicht gelesen. Wahrscheinlich fand ich ein Buch über die gärtnerischen Ergüsse meines Lieblingsschriftstellers schlicht unattraktiv. Ich wollte Geschichten über Menschen lesen und keine über Blumenrabatten. Auch an viele andere der Erzählungen habe ich heute nur noch eine vage Erinnerung, aber das letzte Buch, das ich las, Siddhartha, vergaß ich nie. Die Geschichte spielt in Indien und handelt von einem Brahmanen, der zum Bettler wird und sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens macht. Er begibt sich auf eine lange Reise, wird vom Bettler zum Kaufmann und lebt am Ende als Fährmann an einem Fluss. Er fällt von einem Extrem ins andere und erkennt, dass nicht Wissen ihm Frieden bringen wird, sondern die Erfahrungen, die er in seinem Leben machen wird. Jaaa, das klingt jetzt etwas schwülstig, ist es aber gar nicht! Zumindest nicht in meiner Erinnerung. Am Ende jedenfalls ist es die lange Reise des Lebens selber, die ihn glücklich macht. Mich beeindruckte das damals, aber ich fand die Story auch irgendwie ernüchternd. Ich war auf dem Sprung ins Erwachsenwerden, ich wollte nicht mein ganzes Leben lang auf der Suche sein und auf Erkenntnis warten! Ich wollte, dass mir jetzt jemand erklärt, was wir hier auf der Erde verloren haben und wozu das Leben gut sein soll. Das Buch von Hesse zeigte mir, dass dieser Jemand nicht auftauchen würde. Mit Siddhartha war meine Hesse-Manie erst mal vorbei. Das Leben nahm Fahrt auf, die Mauer fiel, und im Taumel der Wiedervereinigung schmiss ich recht schnell die unbequeme Frage nach dem Warum über Bord.
Erst Jahrzehnte später kam sie in meinem Garten wieder auf mich zu: Warum bin ich? Das war nicht von Anfang an so, nein. Die Frage kam erst unregelmäßig und dann immer häufiger. Heute ist sie täglich an meiner Seite. Egal was ich da draußen tue, sie ist da und sagt »Guten Tag«. Anders als früher, gehe ich ihr nicht mehr aus dem Weg, ich dränge sie nicht weg. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn sie kommt. Ich denke über sie nach.
Diese philosophische Begleiterscheinung des Gärtnerns fühlt sich an, wie die Umarmung durch einen geliebten Menschen: wohltuend und warm. Sie stimmt mich milde und macht mich resilienter für all das, was das Leben eventuell an Unerfreulichem zu bieten hat. Wir alle müssen mit Verlust, Trauer, Zurückweisung und anderen Widrigkeiten klarkommen. Wir ärgern uns über kleine und große Hindernisse, die sich uns in den Weg stellen. Manch einer rennt auf der Suche nach innerer Stärke den Marathon, ein anderer spielt Posaune, knüpft Makramee-Körbe oder verausgabt sich auf dem Tennisplatz. Mein Weg führt hinters Haus. Zwischen den längst abgeblühten Pfingstrosen und dem vermoosten Rasen finde ich meine Antworten und mein Rüstzeug, um außerhalb dieses kleinen Reiches zu bestehen. Egal wie stark der Wind des Alltags mir ins Gesicht bläst, ich fühle mich für all das besser gewappnet, seit ich mir jeden Tag vor Augen führe, dass auch ich nur ein kleiner Teil des großen Ganzen bin, und wir alle nur eine bestimmte Zeit auf dieser Erde verbringen dürfen. Keine neue Erkenntnis, fürwahr. Und doch ist sie für mich an keinem Ort allgegenwärtiger als da draußen zwischen Gehölzschnitt, Tomaten, der abgeblühten Clematis und dem Wein. All das landet am Ende der Saison auf dem Komposthaufen und wird von Milliarden Kleinstlebewesen und Mikroorganismen aufgefuttert, durch Därme gedrückt und ausgeschieden. Aus dem Humus des Alten, kreiert die Natur etwas Neues. Und was für jede Pflanze gilt, gilt gleichermaßen für alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten: Auch ich werde sterben.
Und dem natürlichen Kreislauf ist das ganz recht so, er wird sich weiterdrehen, so sehr ich auch versuche, mich dem zu widersetzen. Ein Garten bedeutet Kampf wider die Natur, gleichzeitig aber bringt er die tiefe Erkenntnis, dass man diesen Kampf nicht gewinnen wird. Niemand von uns. Wir sind alle gleich. Also verbringen wir doch die Zeit, die uns bleibt, bevor auch wir von Mikroorganismen zerkleinert und ausgeschieden werden, so angenehm wie nur möglich miteinander. So läuft es sich besser durchs Leben auf unserer gemeinsamen Reise in Richtung Kompost. Seit mir mein grünes Hobby jeden Tag diese Erkenntnis ins Bewusstsein drückt, braucht es schon einen ordentlichen Sturm, um mich umzuhauen. Es ist ein bisschen so, als würde ich dem Schicksal entgegentreten und mit unerschrockener Stimme zu ihm sagen: »Ich weiß ja, dass du mich manchmal ärgern musst, aber komm, ich zeig dir was. Ich habe die dicksten Kohlrabi der ganzen Nachbarschaft und die Astrantien blühten noch nie so schön wie dieses Jahr. Mit dir nehme ich es auch noch locker auf!«
Noch ein paar Gedanken zu Hermann Hesse. Er war, als er Siddhartha schrieb, Anfang 40. Wie seine Romanfigur, wie wir alle, war auch er ein Suchender. Hesse hatte bereits eine lange Reise nach Indien und Indonesien, einen Weltkrieg, eine Ehekrise, eine Schreibblockade und eine Psychoanalyse hinter sich. Und er war ein großer Gartenfreund. Jahre vorher hatte er mit seiner Familie einen Garten am Bodensee angelegt. Er wusste, wie man mit Schippe und Spaten umgeht und was es heißt, einen Kompost umzugraben. Nach allem, was man lesen kann, empfand er eine Zeit lang seine Schreibarbeit sogar als lästig, weil sie ihn vom Bestellen seines Gartens abhielt. Hesse hatte so einiges an Erfahrungen angesammelt, ein Teil der Wegstrecke lag bereits hinter ihm. Trotzdem fiel ihm das Schreiben von Siddhartha nicht leicht, es brauchte zwei Anläufe und einige Jahre, um das Buch zu vollenden. Er wohnte zu dieser Zeit im schweizerischen Montagnola, hatte in einem Schloss einige Zimmer gemietet, die Scheidung von seiner ersten Frau stand kurz bevor und er blickte auf die bewaldete Natur des Tessin und den Luganer See. Er hatte eine Schaffenskrise, und die Angst vor dem weißen Blatt muss ihn fast aufgefressen haben. Es erstaunt mich immer, wenn ich lese, wie sehr Menschen, die sich als herausragend, unfassbar talentiert und begnadet in unser aller Gedächtnis verankert haben, mit sich gehadert haben sollen. Kann es wirklich wahr sein, dass ein Schriftsteller wie Hermann Hesse Schreibblockaden hatte? Setzen Genies wie er sich nicht einfach an einen Tisch, spitzen den Bleistift und dann fließt es nur so aus ihnen heraus? Zack! Die nächste Seite gefüllt mit Worten für die Ewigkeit. Mit Sätzen, die noch Jahrzehnte später von suchenden jungen Menschen verschlungen werden. Zack! Schon schießt ihm die nächste Romanidee in den Kopf und ergießt sich in allerschönster Sprache aufs Papier.
Aber nein! Hermann Hesse hatte Zweifel, und wie!
Ich stelle mir vor, wie er vor die Tür ging, wenn er mit dem Schreiben ins Stocken geriet. Wie er sich umschaute, vielleicht zu Hacke oder Spaten griff und dem Schlossgärtner für ein paar Stunden zur Hand ging. Ich stelle mir weiter vor, wie er die Ärmel seines Oberhemdes hochkrempelte und sich dem Knöterich entgegenstellte. Zwischen den Hainbuchen und dem Spierstrauch schöpfte der von Zweifeln geplagte Hesse in meiner Vorstellung die Kraft, sich den Widrigkeiten des Lebens zu stellen. Na ja, oder zwischen Lavendel und Bougainvilleen, immerhin war er ja in der italienischen Schweiz. Unumstritten ist, dass dieser große Schriftsteller in der Natur Halt, Unterstützung und vielleicht sogar ein paar Antworten fand. Und mir geht es genauso. Auch ich komme bei der Gartenarbeit meinen Antworten näher. Meine Reise dauert hoffentlich noch ein Weilchen. Aber die Erkenntnis, dass es die Reise selbst ist, um die es geht, ist doch schon mal eine Menge wert.
