Adressen und Internetseiten

BAfF e.V. - Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V., Paulsenstr. 55-56, 12163 Berlin, www.baff-zentren.org/

Deutscher Caritasverband e.V., Karlstraße 40, 79104 Freiburg, www.caritas.de

KiTA-aktuell.de - Experten- und Wissensportal für Kita-Leitungen, https://aktuelles.kita-aktuell.de/fachinfos/themenspezial-fluechtlinge/praxishilfen/, 18.3.2016

nifbe, Niedersächsisches Institut für Bildung und Entwicklung, Jahnstraße 79, 49080 Osnabrück, www.nifbe.de

Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP), Winzererstraße 9, 80797 München, www.ifp.bayern.de

Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern e. V., Maistraße 5, 80337 München, www.kath-kita-bayern.de

Zentrum für Trauma- und Konfliktmanagement (ZTK) GmbH, Clemensstr. 5-7, 50676 Köln, www.ztk-koeln.de

Bundesministerium für Bildung und Frauen, Abteilung I / 5a, Referat für Migration und Schule, Minoritenplatz 5, 1010 Wien, www.bmbf.gv.at

ÖNT - Österreichisches Netzwerk für Traumatherapie, Penzingerstraße 52 / 7, 1140 Wien, www.oent.at

Schweizer Institut für Psychotraumatologie (SIPT) GmbH, PD Dr. phil. Rosmarie Barwinski, Neuwiesenstrasse 95, 8400 Winterthur, www.psychotraumatologie-sipt.ch

Staatssekretariat für Migration, Quellenweg 6, 3003 Bern-Wabern, www.sem.admin.ch

Bildnachweis

Foto S. 13: © Robert Kneschke / Fotolia

Foto S. 39: © Robert Kneschke / Fotolia

Foto S. 47: © micromonkey / Fotolia

Foto S. 69: © spass / Fotolia

Foto S. 85: © djedzura / Fotolia

Foto S. 89: © wavebreakmediaMicro / Fotolia

Foto S. 95: © hydebrink / Fotolia

Foto S. 99: © S. Kobold / Fotolia

Foto Fallbeispiele Edward: © Nolte Lourens / Fotolia

Foto Fallbeispiele Nazim: © Picture-Factory / Fotolia

Foto Fallbeispiele Selima: © Kmiragaya / Fotolia

Autorenportraitfoto von Nora Cordova

Ausblick

„Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre alle die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (nach Antoine de Saint-Exupéry)

Während der Entstehung dieses Buches habe ich mit vielen Pädagogen und Pädagoginnen, Psychologen und Psychologinnen, Erziehern und Erzieherinnen sowie anderen Fachkräften gesprochen, diskutiert und mich ausgetauscht. Alle konnten wichtige Beiträge geben aus ihrer Arbeit mit Familien, die Flucht, Migration oder Trauma erlebt haben. Daraus haben sich für mich verschiedene Basispunkte für diese Arbeit ergeben:

•   „Möglichst wenig anders machen“: Dies ist eine Devise der Kita und Krippe St. Martin in Geisenhausen, die seit einigen Jahren gute und erfolgreiche Arbeit mit Migrationskindern und deren Familien machen. Es bedeutet schlicht und einfach, dass Kinder mit dieser Erfahrung eben Kinder sind und offen für die Haltungen, Kompetenzen und Methoden, die pädagogische Fachkräfte in der Kita sowieso vorzuweisen haben.

•   Angstfreiheit, Neugier und Zuneigung: Ein offenes Zugehen auf die Familien ohne Furcht vor Fehlern und Fremdheit, stattdessen mit Neugier und Zuneigung ist hilfreich. Es reduziert Belastung und kann viele Türen öffnen.

•   Gesunde Selbstfürsorge und Vertreten eigener Werte: Bei der Arbeit mit Familien, die wie Flüchtlingsfamilien schwere Erfahrungen gemacht haben und hohe Erwartungen mitbringen, ist die Gefahr der Überforderung schnell gegeben. Wer viel investiert, erhofft auch wenigstens ein Dankeschön oder ein Lächeln. Das bekommt man nicht immer, aus verschiedenen Gründen. Daher ist eine gesunde Selbstfürsorge, auch im Team, bei der eigene Grenzen vertreten werden, wichtig. Ebenso bedeutsam ist, dass pädagogische Fachkräfte die indiskutablen Werte der eigenen Gesellschaft vorleben und auch vertreten. Gewalt gegen ein Kind oder Diskriminierung der Geschlechter ist beispielsweise auf Dauer nicht hinnehmbar.

•   Dolmetscher und familiäre Strukturen mit einer kontinuierlichen pädagogischen Bezugsperson: In allen Einrichtungen, in denen Integration gelingt, sind die Strukturen klein und überschaubar, eben familiär. Es stehen unproblematisch Sprach- und Kulturdolmetscher zur Verfügung. Dies erleichtert ein Einleben und verhindert ein dauerhaftes „Zusammenglucken“ der Herkunftskulturen. Zudem erleichtert es die Möglichkeit, gute Kontakte zu deutschen Familien zu knüpfen. Wenn dann noch eine „Big Mama“, d.h. eine langjährige, geschätzte Bezugsperson vorhanden ist, die als Autoritätsperson und Ansprechpartner fungiert und Alltag vorlebt, gelingt dies noch besser.

•   Schützende Rahmenbedingungen, vor allem sehr gute finanzielle und personelle Ausstattung: Nicht zuletzt sollten notwendige Rahmenbedingungen einer Kita nicht verhandelbar sein. Integration und Unterstützung von Flüchtlingskindern in einer Kita sind nur dort möglich, wo die Ausstattung gut ist. Dazu gehören genügend ausgebildetes Personal und ausreichende Ressourcen, auch für die Vernetzung und eine gute Elternarbeit. Arbeit mit Flüchtlingsfamilien ist mit einem Mehraufwand verbunden und setzt eine hohe Fachkompetenz voraus. Eine - wenn auch - kurzfristige Überziehung des Betreuungsschlüssels gefährdet diesen Erfolg und sollte von Trägervertretern, Verbänden und Leitungen auf keinen Fall gebilligt werden.

Zuerst einmal sind es Kinder

„Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen.“ (Sprichwort aus Pakistan)

Pädagogische Fachkräfte sollten keine zu große Angst haben, etwas falsch zu machen.

Kinder mit Flucht- und Migrationshintergrund, die in Kitas aufgenommen werden, sind verschieden. Sie stammen aus ganz unterschiedlichen Ländern, Kontinenten und Regionen, aus verschiedenen Kulturen mit anderem geschichtlichem Hintergrund, bringen im Gepäck andere Religionen und Glaubensrichtungen mit. Sie sprechen andere Sprachen und Dialekte - und sind doch in erster Linie und vor allem einmal Kinder. Nicht kleine Erwachsene, nicht Fremde, sondern Kinder, einmalig und neugierig auf das Leben.

Das gilt es sich immer wieder vor Augen zu halten, um unbefangen auf sie zuzugehen, sie nach ihren Sorgen, Nöten und Freuden zu fragen und sie ein Stück des Weges zu begleiten. Pädagogische Fachkräfte sollten keine große Sorge haben, etwas „falsch zu machen“ - kleinere und vielleicht auch größere Fehler werden passieren und sind unvermeidbar, da die Unterschiede und kulturellen „Fettnäpfchen“ zu zahlreich und zu groß sind, um sie komplett zu überblicken. Doch das kann, wenn dem mit Humor, echtem Interesse und Offenheit begegnet wird, zu einer ehrlichen und tiefen Beziehung und einem gelungenen Verständnis zwischen allen Beteiligten beitragen. Alle können voneinander lernen.

Herausforderung Migration

Flucht und Wanderbewegungen gab es schon immer.

Migration bedeutet Einwanderung in ein anderes Land. Migration kommt vom lateinischen „migrare“, das „wandern, gehen“ meint. „Die Vereinten Nationen definieren Migration als Aufenthalt in einem anderen als dem Herkunftsland von länger als einem Jahr“ (Meier-Braun 2015, 33). Schon immer in der Geschichte der Menschheit gab es Wanderungen: Ganze Völker, Familien und Sippschaften suchten eine neue Zukunft in einem anderen, fremden Land. Das Alte wie das Neue Testament und die Thora erzählen diese Geschichten. Ruth kehrt mit ihrer Schwiegermutter Noemi in ihr Heimatland zurück, nachdem die Söhne gestorben waren. Moses zieht mit seinem Volk aus Ägypten ins Gelobte Land. Jesus, Maria und Josef fliehen nach der Geburt Jesu vor Herodes nach Ägypten.

Allein in Deutschland gab es in den letzten 120 Jahren verschiedene Migrationsbewegungen: Anfang des 20. Jahrhunderts kamen Arbeiter vor allem aus Polen, nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge aus den Besatzungszonen und den Ostgebieten, in den 1960ern Arbeitsmigranten aus der Türkei und Italien und seit den 1970ern Menschen aus vielen Teilen der Welt, in den 1990er Jahren vor allem auch Aussiedler (Adam / Inal 2013, 11). Die Gründe dafür sind unterschiedlicher Art: Armut, Krieg, Vertreibung, Unterdrückung, fehlende Bildungschancen oder andere Motive. Die meisten Familien wünschen sich eine friedliche Zukunft und bessere Lebensperspektiven für sich und ihre Kinder.

Von den migrierten Familien ist eine große Anpassungsleistung gefordert.

In jedem Fall bringt eine solche Einwanderung die Familien in herausfordernde Situationen: Sie müssen alles zurücklassen, ihre erarbeiteten Besitztümer, ihre Positionen oder Identitäten aufgeben und sich in der Fremde Neues aufbauen, oft aus dem Nichts. Sie sind gezwungen, eine neue Sprache zu lernen, sich an ein anderes Klima zu gewöhnen, sich mit einer fremden Kultur und Religion auseinanderzusetzen. Familien, die mit Kindern aus einem anderen Land zu uns kommen und bleiben wollen, müssen eine große Anpassungsleistung erbringen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen gelingt: u. a. wenn Sprache schnell gelernt wird, Offenheit für die neuen Regeln im neuen Land besteht, gute Perspektiven anspornen, aber auch, wenn sich die neuen Mitbürger mit ihren Ressourcen einbringen können.

Damit wir besser verstehen und unterstützen können, müssen wir wissen, welche umwälzenden Veränderungen auf Kinder nach Umsiedelung und Flucht warten. Je jünger sie sind, umso weniger Anpassungsschwierigkeiten haben sie, solange ihnen gute Bezugs- und Bindungspersonen zur Verfügung stehen.

Nazim hat in den letzten Monaten seines kurzen Lebens entscheidende Migrationserfahrungen gemacht: Er hat mit der Mutter die Umgebung verlassen, die ihm vertraut war, und ist in ein neues Land gezogen. Dort ist alles zuerst einmal fremd. Seine Mutter muss sich in einer neuen Gesellschaft zurechtfinden und die kleine Familie über Wasser halten. Nazims Vater ist nach der Scheidung zu Hause geblieben, die Großeltern, die Nazim viel betreut hatten, leben nicht mehr. Sein einziger Halt sind seine Mutter und das soziale Umfeld, das diese für die kleine Familie rund um das neue Zuhause aufbauen kann. Er spricht fließend serbisch und auch einige Worte Englisch. Seine Mutter hatte im Kosovo Englisch und Französisch studiert und dann Geld zurücklegen können. Die ersten Monate in Deutschland hat sie einen Sprachkurs besucht. Sie spricht recht gut Deutsch, auch weil sie in deutschen Haushalten putzt und dort sehr gut angesehen ist. Ihre Arbeitszeiten passen nicht immer mit den Kindergarten-Betreuungszeiten zusammen, daher muss Nazim öfters bei einer Freundin der Mutter warten, bis seine Mutter von der Arbeit kommt. Oder er malt in der Küche des Haushaltes, in dem die Mutter gerade zu tun hat. Nazim vermisst vor allem seine Oma, zu seinem Vater hatte er schon immer wenig Kontakt und Bindung, da dieser selten zu Hause war. Nazim lernt die deutsche Sprache schnell, er ist sprachbegabt. Seine Mutter hält dies für wichtig und spricht oft Deutsch. Im Kosovo sind die Winter kälter und die Sommer oft wärmer. Enge Wohnverhältnisse ist er von zu Hause gewohnt; im Kosovo hatten sie auch nicht viel Platz, da lebten die Großeltern mit in der Wohnung. Seine Mutter bringt ihn zu Fuß in die Kita, sie hat kein Auto. Er muss sich also nicht viel umgewöhnen: Seine Mutter als Bezugspunkt seines Lebens blieb erhalten, eine neue Sprache lernt er schnell, seine Mutter schafft für ihn ein neues soziales Umfeld. Seine Begabung, zu malen und die neue Sprache zu lernen, kommt ihm zugute. Dass er gerne und ohne Vorbehalte mit Mädchen spielt, eröffnet ihm auch im Kindergarten viele Möglichkeiten. So kann man sagen, dass seine persönlichen Vorlieben und Ressourcen die Familiensituation, sein Geschlecht wie auch seine Religion und seine Sprachbegabung ihm das Einleben deutlich erleichtern.

Die Familie kommt aus einem anderen Kulturkreis

Allem voraus: Nicht alle Kinder mit Migrationserfahrung sind in anderen Wertesystemen wie den unseren aufgewachsen. Manche Flüchtlingsfamilien, vor allem wohlhabende und gebildete aus den Großstädten, waren bereits im Herkunftsland an westlichen Werten orientiert.

Die Kinder haben unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen, Rollenvorstellungen und Erziehungsstile erlebt.

Viele Flüchtlingskinder jedoch kommen aus einer kulturellen Sozialisationsform, die Heidi Keller (Keller 2013, 14-15) „Modell der hierarchischen Verbundenheit“ nennt und die noch in den 1950er Jahren in bäuerlich geprägten Regionen in Westeuropa selbst vorherrschte.

Diese kulturelle Form von Erziehung und Sozialisation verlangt vom Einzelnen ein Einfügen in die Gemeinschaft, Respekt gegenüber Älteren und Gehorsam gegenüber den Eltern. Die Kinder übernehmen früh familiäre Pflichten im Haus und auf dem Feld. Diese Form bringt oft Mehr-Generationen-Verbände häuslicher Gemeinschaften mit sich, es gibt viele Kinder und ein eher geringeres Maß an formaler Schulbildung und Bildung allgemein. Diese Erziehungs- und Sozialisationsform entstand in einem anderen Kontext bzw. in einer anderen Gesellschaftsform, in der das Wohl der Gemeinschaft über dem Wohl des Einzelnen steht. Mütter beschäftigen sich mit Haushalt oder Arbeit auf dem Feld, sie spielen nicht mit ihren Kindern, Freizeit oder Spiel werden als überflüssig oder leere Zeit betrachtet. Kinder sind weniger stark nur auf die Kernfamilie oder gar die Mutter fixiert, sie werden oft auch von anderen Familienmitgliedern versorgt. Auch der Sprachstil ist anders: Mütter wiederholen Inhalte, die ihnen wichtig erscheinen, immer wieder und erwarten, dass Kinder zuhören, ohne sich eine eigene Meinung zu bilden. Mütter geben eher Anweisungen. So erzogene Kinder nehmen sich in ihren Zeichnungen und in Situationen vor allem als Teil der Gruppe, nicht als Individuum wahr. Nicht zuletzt sind Erziehungsmethoden, die verbale und körperliche Gewalt sowie psychische Einschüchterung beinhalten, durchaus üblich, um die erwünschten Erziehungsziele zu erreichen.

Persönliche Entwicklung ist nicht selbstverständlich für alle ein wichtiges Erziehungsziel.

Dies steht unserer Erziehungskultur, dem Modell der „psychologischen Autonomie“ (Keller 2013, 13), gegenüber, das eine kindzentrierte Sicht, Individualität und Selbständigkeit und Selbstwirksamkeit hochhält. Hier wird nach der Meinung des Kindes gefragt, das Kind in Entscheidungsprozesse mit einbezogen. Gemeinschaft steht nicht über persönlicher Entwicklung. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Eltern Zeit für das Kind haben und die ökonomische Freiheit besitzen, diese Zeit so zu investieren. Beste Voraussetzungen dafür gibt es in Kleinfamilien mit wenig Kindern und bei später Elternschaft. Diese Gegebenheiten finden sich am ehesten in einer europäischen Tradition der Mittelschicht, die weniger als 5 % der Weltbevölkerung ausmacht (Keller 2013, 14). So erzogene Kinder sind offene Fragen, eigene Meinungsäußerungen und selbständiges Freispiel gewohnt. Sie können sich sprachlich gut ausdrücken und eine eigene Meinung vertreten. Zeichnen sie Bilder von ihrer Familie, stellen sie sich oft im Zentrum und groß dar.

Diese große Diskrepanz hinsichtlich grundlegender Werte und Erziehungsziele, die hier in groben Zügen geschildert wurde, trifft auf viele, bei Weitem aber nicht alle Flüchtlingsfamilien zu. Je größer die Unterschiede jedoch sind, umso größer ist die Herausforderung für Eltern und pädagogische Fachkräfte. Aus solchen grundlegenden Unterschieden können viele Missverständnisse entstehen.

Nazim hat keine andere Sozialisationsform erlebt als die, die in Westeuropa vorherrscht. Seine Mutter legte immer Wert auf die Selbständigkeit ihres Sohnes und bezog ihn in Gespräche mit ein. Wenn sie Zeit hat, spielt sie mit ihm. An ihr sieht er, dass Frauen gleichberechtigt und autonom ihr Leben leben.

Die Familie vertritt andere Glaubensrichtungen

Religion und Kultur prägen Normen und Werte wie auch den konkreten Lebensvollzug. Buchreligionen mit Tradition, wie z.B. Christentum, Judentum oder Islam, werden Neuerungen im Lebensalltag erst einmal kritisch hinterfragen und prüfen. Aktuelle gesellschaftliche, politische und psychologische Entwicklungen und Erkenntnisse stellen Glaube und Religion daher auf eine Bewährungsprobe. Religion verhält sich also eher konservativ und besitzt eine wichtige Ordnungsfunktion (Uslucan 2013, 24). In einer fremden Umgebung geschieht dies umso mehr, dort erfährt die Ursprungsreligion oft sogar eine Überhöhung, da sie eine akzeptierte moralische Instanz darstellt. Sie entwickelt sich nicht so schnell weiter und soll eine Rückbindung an die alte Lebenswelt gewährleisten (Uslucan 2013, 28).

Es gibt unterschiedliche Formen gelebten Glaubens, die die Kinder geprägt haben.

Anbindung an eine bestimmte Religion bringt auch Bräuche und Rituale mit sich. Feste im Jahreskreis, Fastenzeiten und bestimmte Speisegewohnheiten können im neuen Umfeld zu Problemen führen. So kann es für Juden schwer sein, ungesäuertes Brot zu bekommen, für Muslime eine Herausforderung, den Ramadan trotz Berufstätigkeit und nicht fastendem Umfeld durchzuhalten. Fragen wie Weihnachtsfest im Januar, Schlachtgebote, Verbot von Schweinefleisch und Alkohol, Beten im Alltag, Kopftuch und vieles andere können existentielle Veränderungen bedeuten.

Es ist jedoch wichtig, Religion und Glaube immer auch in ihrer Funktion zu verstehen und sich dessen bewusst zu sein, dass es unterschiedliche Formen gelebten Glaubens gibt. Erst wenn klar ist, wie die Religion in der einzelnen Familie gelebt wird, kann man verstehen, welche Unterschiede (oder eben nicht) vorhanden sind und wie man Missverständnisse umschiffen kann.

Nazim und seine Mutter sind serbisch-orthodoxe Christen, eine Konfession, die dem katholischen Glauben ähnlich ist und gemeinsame Wurzeln mit ihm hat. Verschiedene Glaubensaspekte unterscheiden sich, auch die Gottesdienste und Feste werden anders, länger oder an anderen Tagen gefeiert. Grundsätzlich gilt jedoch, dass Nazim in diesem Bereich weniger Umstellung erlebt.

Die Familie spricht eine andere Sprache oder ist sprachlos

Kinder lernen Sprache immer in Beziehung zu ihren Bindungspersonen und aus dem Kontext. Der Spracherwerb beginnt bereits im Säuglingsalter. In den ersten sechs Monaten ist der Säugling fähig, jede Sprache mit ihren individuellen Lauten zu lernen. Aus dem Gehörten in der Umwelt engt sich der Kreis der Sprachen ein, so dass das Kind bereits mit sechs Monaten festgelegt ist auf ein bestimmtes Sprach- und Lautfeld. Dennoch ist der Erwerb einer oder mehrerer weiteren Sprachen im Kindesalter spielend möglich.

Eltern von Flüchtlingskindern sind mit dem Lernen einer neuen Sprache oft überfordert

Je kleiner das Kind ist und je mehr es der neuen Sprache ausgesetzt ist, desto schneller lernt es - falls es die innere und äußere Erlaubnis erhält, sich der neuen Sprache zuzuwenden, und nicht durch schlimme Ereignisse behindert wird. Eltern mit Migrationshintergrund können den Kindern dabei nicht viel helfen, sie sind selbst mit der fremden Sprache und allen anderen Neuerungen überfordert. Oft sogar fungiert das Kind schnell als Dolmetscher und bekommt damit eine Verantwortung und Position, die es überlasten kann. Schneller Spracherwerb und regelmäßiges Sprechen der neuen Sprache dienen dennoch dem „schnelleren Ankommen im neuen Land“.